Elektrodynamik - Hu

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Theoretische Physik II für das Lehramt
Elektrodynamik
Prof. Dr. Roland Zimmermann
stud. phys. Martin Mücke
Institut für Physik der Humboldt-Universität zu Berlin
Lehrstuhl Halbleitertheorie
Version 24. 6. 2005
Inhaltsverzeichnis
1 Elektrostatik
1
1.1
Ladungen, Felder, Coulombgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1.2
Elektrisches Potenzial, Poisson-Gleichung . . . . . . . . . . . . .
6
1.3
Kondensator, Multipolentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
1.4
Randwertprobleme in der Elektrostatik . . . . . . . . . . . . . . . 12
1.5
Elektrostatik im Dielektrikum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
2 Magnetostatik
17
2.1
Elektrische Ströme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
2.2
Amperesches Gesetz, Magnetfeld, Vektorpotenzial
2.3
Magnetisches Moment, Magnetostatik im Medium . . . . . . . . 26
3 Elektrodynamik
. . . . . . . . 20
31
3.1
Induktionsgesetz, Maxwell-Gleichungen
. . . . . . . . . . . . . . 31
3.2
Quasistationärer Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
3.3
Elektromagnetische Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
3.4
Reflexion und Brechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
3.5
Dipolstrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
1
Elektrostatik
Die Elektrodynamik beschäftigt sich mit Ladungen und Strömen und den damit
verbundenen elektrischen und magnetischen Feldern. In der Elektrostatik werden die Gesetze für ruhende (bzw. nur langsam bewegte) Ladungen untersucht.
1.1
Ladungen, Felder, Coulombgesetz
Aus der klassischen Mechanik sind die Grundgrößen Masse, Länge und Zeit
bekannt. In der Elektrodynamik tritt eine weitere Größe auf, die Ladung. Sie
ist eine skalare Eigenschaft der Materie. Es existieren zwei verschiedene Arten
von Ladungen, die man durch Reiben verschiedener Materialien trennen kann:
positive Ladung:
negative Ladung:
q>0
q<0
(Glasstab)
(Hartgummistab)
Geladene Körper (Ladungen) üben eine Kraft aufeinander aus: Ladungen mit
gleichem Vorzeichen stoßen sich ab, während sich positive und negative Ladungen anziehen. Für Ladungen gilt folgender Erhaltungssatz:
In einem abgeschlossenem System ist die Summe der positiven und negativen
Ladungen konstant.
N
X
qj = const.
j=1
Experimentell wurde nachgewiesen, dass die Ladung quantisiert ist, d.h. jede
Ladung lässt sich als ganzzahliges Vielfaches einer kleinsten, nicht weiter teilbaren Elementarladung e schreiben.
Teilchen
Elektron
Proton
Neutron
Photon
Masse [kg]
9.109 · 10−31
1.673 · 10−27
1.675 · 10−27
0
Ladung
−e
+e
0
0
Die Kraftwirkung zwischen zwei Ladungen q1 und q2 im Abstand |r1 − r2 | = r12
wird durch das Coulombgesetz beschrieben:
F12 = e12 k
q1 q2
2 = −F21 .
r12
(1.1)
Die Coulomb-Kraft
· ist direkt proportional zum Produkt der Ladungen (inklusive Vorzeichen!),
· ist umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstandes der Ladungen,
· wirkt längs der Verbindungslinie
· und erfüllt actio = reactio.
1
k ist ein Proportionalitätsfaktor, der vom verwendeten Einheitensystem und
der damit verbundenen Definition der Ladungseinheit abhängt. Im SI-System
wird als Grundgröße die elektrische Stromstärke mit der Einheit Ampere (A)
verwendet. Daraus werden die Einheiten für die Ladung (Coulomb, C) und
elektrische Spannung (Volt, V) abgeleitet:
1 C = 1As ,
1 V = 1 J/C = 1 Nm/C .
Weitere abgeleitete Einheiten betreffen die Kapazität (Farad, F) und den magnetischen Fluss (Tesla, T):
1 T = 1 Vs/m2 .
1 F = 1C/V ,
Für den Proportionalitätsfaktor im Coulombgesetz ergibt sich
k = 10−7 c2
Vs
Vm
1
= 8.9876 · 109
=
.
Am
As
4π²o
(1.2)
²o = 8.854 · 10−12 As/Vm ist die Dielektrizitätskonstante des Vakuums. Die
Einheit für k lässt sich umschreiben als 1 Vm/As= 1 Nm2 /C2 und ergibt die
korrekte Einheit für die Kraft (Newton, N) im Coulombgesetz (1.1). Die Elementarladung hat den Wert e = 1.602 · 10−19 C.
Bei Anwesenheit weiterer Ladungen qj gilt das Superpositionsprinzip für die
Kräfte, und wir erhalten für die auf die Ladung q1 ausgeübte Kraft
F1 = kq1
N
X
qj
j=2
r1 − rj
.
|r1 − rj |3
(1.3)
Die elektrischen Feldstärke wird als Kraft F(r) auf eine kleine Testladung q am
Ort r eingeführt, die von einer Ladungskonfiguration hervorgerufen wird:
F(r)
.
q→0 q
E(r) = lim
(1.4)
Mit dem Coulombgesetz (1.3) folgt für das elektrische Feld mehrerer Punktladungen
X
r − rj
E(r) = k
qj
.
(1.5)
|r − rj |3
j
Die Punktladungen kann man zu einer Ladungsdichte ρ(r) (mit der Einheit
C/m3 ) zusammenfassen,
X
ρ(r) =
qj δ(r − rj ) ,
j
womit der Übergang zu einer quasi-kontinuierlichen Ladungsverteilung möglich
ist:
Z
r − r0
E(r) = k d3 r0 ρ(r0 )
(1.6)
|r − r0 |3
Das elektrische Feld ist ein Beispiel für ein Vektorfeld, das man durch Anheften eines Pfeiles an jeden Raumpunkt veranschaulichen kann. Die Verbindung
solcher Pfeile bildet eine Feldlinie, sie gibt den Weg einer kleinen Probeladung
im Feld an.
2
Das Gaußsche Gesetz: Der Fluss des Feldes durch eine geschlossene Fläche
S ist der eingeschlossenen Ladung proportional, d.h.
I
Z
1
Φ=
df · E(r) =
d3 r ρ(r) .
(1.7)
²o
V
S(V )
Zum Beweis betrachten wir zuerst eine einzelne Punktladung im Zentrum einer
Kugel mit dem Radius R. Feld und orientiertes Flächenelement sind gegeben
durch
q
(1.8)
E(r) = er k 2 , df = er r2 dΩ ,
r
wobei das Raumwinkel-Element in Kugelkoordinaten dΩ = sin ϑ dϑ dφ ist. Im
Integral kompensieren sich gerade die r-Potenzen, und wir erhalten
Z
q
q
Φ = dΩ k 2 R2 = 4π kq = .
(1.9)
R
²o
Die Erweiterung auf eine beliebige, die Punktladung umschließende Oberfläche
nutzt die Beziehungen
df · E = df E cos Θ ,
df =
1
dn ,
cos Θ
wobei Θ der Winkel zwischen Flächennormale und Feldrichtung er und dn
das senkrecht projizierte Flächenelement ist. Widerum kompensieren sich die
Radien und die cos Θ-Faktoren, so dass (1.9) unverändert gilt. Der Gaußsche
Satz folgt durch Erweiterung auf ein Ladungssystem bzw. den Grenzübergang
zur kontinuierlichen Ladungsverteilung. Aus der Ableitung ist klar, dass nur
Ladungen innerhalb des Volumens V zum Fluss beitragen können.
Als Anwendung betrachten wir das Feld einer kugelsymmetrischen Ladungsverteilung: Aufgrund der sphärischen Symmetrie ρ(r) ≡ ρ(r) ist zu
erwarten, dass auch das elektrische Feld nur vom Betrag r abhängt und radial
gerichtet ist:
E(r) = er E(r) .
Mit Hilfe des Gaußschen Gesetzes (1.7) berechnen wir den Fluss durch die
Oberfläche einer Kugel vom Radius r
I
Z
1
1
Φr = df · E(r) =
d3 r0 ρ(r0 ) = Q(r) .
²o
²o
Sr
Vr
Q(r) ist dabei die bis zum Radius r eingeschlossene Ladung. Mit dem Flächenelement df = er r2 dΩ erhalten wir
I
Φr = dΩ r2 E(r) = 4πr2 E(r)
Sr
und schließlich
E(r) =
1 Q(r)
.
4π²o r2
3
Die kugelsymmetrische Ladungsverteilung erzeugt im Punkt r ein elektrisches
Feld, als ob die bis r integrierte
R rLadung Q(r) im Kugelmittelpunkt konzentriert
wäre. Explizit mit Q(r) = 4π 0 dr0 r02 ρ(r0 ) erhalten wir
Z r
1
E(r) =
dr0 r02 ρ(r0 ).
²o r2 0
Beispiel: Homogen geladene Kugel: Die Ladungsdichte lässt sich mit Hilfe der Stufenfunktion Θ(x) darstellen:
ρ(r) = ρ0 Θ(R − r).
Zwei Fälle müssen unterschieden werden:
(a) r > R :
Z
0
R
R3
3
dr0 r02 ρ0 = ρ0
=⇒
E(r) =
1 ρ0 R3
1 Q
≡
.
r2 3²o
4π²o r2
Die Gesamtladung Q ist das Produkt aus Ladungsdichte und Kugelvolumen, Q = ρ0 (4π/3) R3 .
(b) r < R :
Z
0
r
dr0 r02 ρ0 = ρ0
r3
3
=⇒
E(r) = r
ρ0
.
3²o
Man erkennt, dass die elektrische Feldstärke E(r) stetig ist, allerdings an der
Stelle r = R einen “Knick” besitzt.
Beispiel: Kugelschale: Die Dicke der Kugelschale betrage ∆, der Innenradius sei R und der Außenradius damit R + ∆. Für den Fall r < R folgt nach
Anwendung des Gaußschen Gesetzes unmittelbar
E(r) ≡ 0.
Die Aussage, dass das Innere einer kugelsymmetrischen Ladungsverteilung feldfrei ist, gilt ganz allgemein!
Für r > R + ∆ erhält man
E(r) =
mit
∆Q =
1 ∆Q
4π²o r2
4π
((R + ∆)3 − R3 )ρ0 .
3
Lässt man nun die Kugelschale sehr dünn werden (∆ ¿ R), so kann man den
Ausdruck (R + ∆)3 entwickeln und nach dem linearen Term abbrechen:
(R + ∆)3 ' R3 + 3R2 ∆ + O(∆2 ) .
4
E(r)
1.0
0.5
0.0
0.0
0.5
1.0
1.5
2.0
r/R
Abbildung 1: Betrag des elektrischen Feldes für eine homogen geladene Kugel
vom Radius R (gestrichelt) und eine Kugelschale der Dicke ∆ (∆/R = 0.2,
ausgezogen). Die radiale Ladungsverteilung ist grau markiert.
Damit vereinfacht sich obiger Ausdruck zu
∆Q = 4πR2 ∆ ρ0 = SR σ .
Hier ist SR = 4πR2 die Oberfläche der Kugel und σ = ∆ ρ0 die Flächenladungsdichte der Kugelschale (mit der Einheit C/m2 ). Es ist zu erkennen, dass
die elektrische Feldstärke
E(r) = Θ(r − R)
1 SR σ
r2 4π²o
an der Stelle r = R einen Sprung macht, sich also unstetig verhält. Allgemein
kann man zeigen, dass die Normalkomponente des elektrischen Feldes E(r) beim
Durchgang durch geladene Flächen unstetig ist, während die tangentiale Komponente stetig bleibt:
E2 − E1 |n =
σ
,
²o
E2 − E1 |t = 0 .
(1.10)
Der Gaußsche Integralsatze sei hier ohne Beweis angegeben:
Wenn E(r) ein hinreichend oft differenzierbares Vektorfeld und V ein Volumen
mit geschlossener Oberfläche S(V ) ist, dann gilt
I
Z
df · E(r) = d3 r div E(r) .
(1.11)
S(V )
V
Mit dessen Hilfe kann das Gaußsche Gesetz (1.7) differentiell geschrieben werden:
1
div E(r) = ρ(r)
(1.12)
²o
5
Daraus ergibt sich die physikalischen Aussage, dass Ladungen die Quellen des
elektrischen Feldes sind. Diese Gleichung stellt die differentielle Form von (1.6)
dar.
1.2
Elektrisches Potenzial, Poisson-Gleichung
Im elektrischen Feld E(r) wird am Ort r auf eine (Probe-)Ladung q die Kraft
F(r) = q E(r)
ausgeübt. Die Arbeit, die verrichtet werden muss, um die Ladung von r1 nach
r2 zu verschieben, beträgt
Z
W21 = −q
E(r) · ds = q ϕ21 .
(1.13)
C21
Die auf die Probeladung bezogenen Arbeit wird als elektrisches Potenzial ϕ
bezeichnet (mit der Dimension J/C = Nm/C = V, also Volt). Wir zeigen, dass
das Integral nur von Anfangs- und Endpunkt abhängt, also unabhängig von
der Wahl des Weges C21 ist. Dazu beginnen wir mit einer Punktladung q am
Ursprung: Das Skalarprodukt aus dem elektrischen Feld
er
E(r) = k q 2
r
und dem Wegelement ds vereinfacht sich zu
E(r) · ds = |E| dr = k q
dr
r2
(siehe Skizze). Das Wegintegral
Zr2
kq
ϕ21 = −
r1
E
dr
1
r
ds
2
dr
= kq
r2
µ
1
1
−
r2 r1
¶
= ϕ(r2 ) − ϕ(r1 )
ist also tatsächlich nur vom Anfangs- und Endwert abhängig. Deshalb kann das Potenzial des
elektrischen Feldes als Funktion ϕ(r) geschrieben werden. Für eine Punktladung q am Ort r0
hat es die folgende Gestalt:
ϕ(r) =
kq
.
|r − r0 |
q
Die Verallgemeinerung auf beliebige Ladungsverteilungen ρ lautet
Z
ρ(r0 )
1
d3 r 0
ϕ(r) =
4π²o
|r − r0 |
6
(1.14)
Wie kann nun das elektrische Feld direkt aus dem Potenzial berechnet werden?
Dazu betrachtet man die Verschiebung entlang eines kleinen Wegelements ds
ϕ21 = ϕ(r + ds) − ϕ(r) =
∂ϕ
∂ϕ
∂ϕ
dx +
dy +
dz .
∂x
∂y
∂z
Andererseits ist das gleich
−E(r) · ds = −(Ex dx + Ey dy + Ez dz) ,
und der Vergleich liefert für die einzelnen Feldkomponenten Ex = −∂ϕ/∂x usw.
Vektoriell geschrieben
E(r) = −grad ϕ(r) ≡ −∇ϕ(r)
(1.15)
mit dem Nabla-Operator ∇. Stimmt das mit dem ursprünglichen CoulombGesetz (1.6) überein? Zum Nachweis wende man den Gradienten auf (1.14) an
und verwende die Relation ∇(1/r) = −er /r2 !
Die Kombination von (1.12) mit (1.15) ergibt die wichtige Poisson-Gleichung,
die das Potenzial mit der Ladungsdichte differentiell verknüpft:
∆ϕ(r) = −
1
ρ(r)
²o
(1.16)
∆ ist der Laplace-Operator:
∆ = div grad =
∂2
∂2
∂2
+
+
.
∂x2 ∂y 2 ∂z 2
Das ist gewissermaßen die Umkehrfunktion von (1.14). Um sich das klarzumachen, muss die Relation
∆r
1
= −4π δ(r − r0 )
|r − r0 |
benutzt werden. Hier ist wichtig, die Variable zu markieren, auf die der LaplaceOperatior wirken soll.
Im ladungsfreien Raum (ρ ≡ 0) vereinfacht sich (1.16) zur sogenannten LaplaceGleichung
∆ϕ(r) = 0 .
(1.17)
Die Lösungen werden als harmonische Funktionen bezeichnet, sie treten neben
der Elektrodynamik an verschiedenen Stellen in der theoretischen Physik auf, so
z.B. als Schwingungsmuster von Membranen und als Lösungen der SchrödingerGleichung für freie Teilchen.
Eine weitere wichtige Eigenschaft des statischen elektrischen Feldes ergibt sich
aus (1.15) durch Anwenden der Rotation,
rot E = −∇ × ∇ϕ ≡ 0
7
(1.18)
(man denke an a × a ≡ 0). Die Rotation von E(r) verschwindet, oder anders
ausgedrückt: Das elektrostatische Feld ist wirbelfrei. Im Bild der Feldlinien
heißt das: Es gibt keine geschlossenen Feldlinien (sie müssen nämlich auf Ladungspunkten beginnnen und enden). Dieser Sachverhalt lässt sich auch unter
Benutzung des Stokesschen Integralsatzes herleiten, der hier ohne Beweis
angegeben wird:
Sei E(r) ein hinreichend oft differenzierbares Vektorfeld und F eine Fläche mit
dem Rand C(F ), dann gilt
I
Z
E(r) · ds = rotE(r) · df .
(1.19)
F
C(F )
Aus dem Linienintegral in (1.13) folgt für einen geschlossenen Weg C
I
E(r) · ds = ϕ1 − ϕ1 = 0 ,
C
und mit Hilfe von (1.19) ebenfalls rot E = 0.
Elektrostatische Feldenergie: Wir berechnen die Arbeit Wtot , die erforderlich ist, um die Ladungen qj (j = 1 . . . N ) aus dem Unendlichen an ihre
Endpositionen rj zu bringen. Dabei wird die j-te Ladung qj im Potenzial der
(j − 1) vorherigen Ladungen verschoben. Die in diesem Schritt aufzuwendende
Arbeit beträgt


j−1
1 X qj qk
(j−1)
(j−1)


.
Wj = qj ϕ
(rj ) − ϕ
(∞) =
| {z }
4π²o
|rj − rk |
=0
k=1
Die gesamte potentielle Energie der Ladungsverteilung ergibt sich als Summe
aller Wj :
Wtot =
N
X
j=2
Wj =
N j−1
1 X X qj qk
1 1
=
4π²o
|rj − rk |
2 4π²o
j=2 k=1
N
X
j,k=1(j6=k)
qj qk
.
|rj − rk |
Die letzte Summe geht gleichermaßen über die Indizes j und k, wobei die Terme
j = k weggelassen werden (es gibt keine Wechselwirkung einer Ladung mit sich
selbst). Der Faktor 1/2 muss eingeführt werden, damit die einzelnen Anteile
nicht doppelt gezählt werden.
Beim Übergang zu einer kontinuierlichen Ladungsverteilung kann dieser Ausschluss der Selbstwechselwirkung wieder wegfallen, und man erhält
ZZ
1 1
ρ(r) ρ(r0 )
Wtot =
d3 r d3 r0
.
(1.20)
2 4π²o
|r − r0 |
Mit dem Ausdruck (1.14) für das Potenzial einer Ladungsverteilung folgt daraus
Z
1
Wtot =
d3 r ρ(r) ϕ(r) .
(1.21)
2
8
Die Feldenergie kann aber auch durch das elektrische Feld selbst ausgedrückt
werden. Zunächst wird die Ladungsdichte mit Hilfe der Poisson-Gleichung ersetzt und anschließend die Beziehung ϕ ∆ϕ = ∇(ϕ∇ϕ) − (∇ϕ)2 angewendet,
die eine partielle Integration ermöglicht:
Z
Z
Z
²o
²o
²o
3
3
2
Wtot = −
d r ϕ ∆ϕ =
d r (∇ϕ) −
d3 r ∇(ϕ∇ϕ) .
2
2
2
Das zweite Integral wird in ein Oberflächenintegral überführt
Z
Z
3
d r ∇(ϕ∇ϕ) = df ϕ∇ϕ
V
F
und verschwindet, wenn wir die Fläche ins Unendliche verlegen, weil der Integrand stärker gegen Null geht (∼ 1/r3 ) als das Flächenelement groß wird
(∼ r2 ). Mit (1.15) bleibt als Ergebnis für die Gesamtenergie
Z
²o
d3 r E2 (r) .
(1.22)
Wtot =
2
Der Integrand definiert die Energiedichte des elektrischen Feldes:
ω(r) =
²o 2
E (r) .
2
Beispiel: Feldenergie einer homogen geladene Kugel: Aus dem bereits
berechneten elektrischen Feld für eine homogen geladene Kugel mit Radius R
½
¾
Q
r
1
E(r) = er
Θ(R
−
r)
+
Θ(r
−
R)
4π²o R3
r2
lässt sich die Gesamtenergie leicht berechnen:
Wtot
²o
=
2
µ
Q
4π²o
¶2
·ZR
¸
Z∞
Q2 3
r4
1
.
4π
dr 6 + dr 2 =
R
r
4π²o 5R
|0 {z } R
| {z }
1/(5R)
1/R
Der Ausdruck würde für R → 0 divergieren, aber wie eben ausgeführt, ist er
für diesen Fall einer Punktladung nicht anwendbar: In (1.20) wurde die Selbstwechselwirkung nicht sauber ausgeschlossen.
1.3
Kondensator, Multipolentwicklung
Das Grundproblem der Elektrostatik besteht darin, das elektrische Potenzial zu
berechnen. In Isolatoren sind die elektrischen Ladungen durch chemische Kräfte
gebunden, also ortsfest. Ist daher die Ladungsdichte ρ(r) für alle r bekannt und
muss das Potenzial ϕ(r) keine Randbedingungen im Endlichen erfüllen, so lässt
sich (1.14) direkt integrieren. Im Gegensatz dazu sind in Metallen die Ladungen frei beweglich. Daraus folgt direkt die räumliche Konstanz des Potenzials,
9
weil sonst die resultierende elektrische Feldstärke E(r) 6= 0 die Ladungen solange verschieben würde, bis ϕ(r) = const gilt. Aus der Poisson-Gleichung (1.16)
folgt dann sofort, dass es innerhalb des Metalls keine Ladungsdichte geben
kann, die Ladungen sitzen höchstens auf der Grenzfläche des metallischen Leiters. Da jetzt eine Lösung der Laplace-Gleichung (1.17) unter Berücksichtigung
zusätzlicher Randbedingungen für ϕ(r) zu finden ist, spricht man von einem
Randwertproblem der Elektrostatik (s. Kapitel 1.4).
Für hochsymmetrische Situationen lässt sich die Lösung mit Hilfe des Gaußschen Gesetzes leicht berechnen. Dieses Verfahren soll am Beispiel des Kugelkondensators erläutert werden.
Kondensator: Unter einem Kondensator versteht man zwei leitende Platten beliebiger Form, die durch Anlegen einer Potenzialdifferenz U aufgeladen
werden. Die beiden Platten tragen dann die entgegengesetzt gleich großen Ladungen ±Q. Die Kapazität C ist ein Maß für die Speicherfähigkeit des Kondensators, sie ist bestimmt durch das Verhältnis
C=
Q
.
U
(1.23)
Beispiel: Der Kugelkondensator: Auf zwei konzentrischen Kugelschalen
mit den Radien R1 und R2 seien die Ladungen ±Q homogen verteilt. Die Kugelsymmetrie des Problems führt zu einer rein radialen Feldverteilung E(r) =
er E(r). Mit dem Gaußschen Gesetz erhält man
E(r) =
Q 1
Θ(R2 > r > R1 ) .
4π²o r2
Daraus lässt sich das elektrostatische Potenzial wegen
er E(r) = −grad ϕ(r) = −er
dϕ(r)
dr
leicht berechnen:
Z∞
dr0 E(r0 )
ϕ(r) = +
r
=
Q
4π²o
½µ
1
1
−
R1 R2
¶
µ
Θ(R1 − r) +
1
1
−
r R2
¶
¾
Θ(R2 > r > R1 ) .
Offensichtlich ist das Potenzial im Innenraum r < R1 konstant. Das gilt allgemein für das Innere von geschlossenen Leitern, in denen also das elektrostatische
Feld verschwindet - womit auch die abschirmende Wirkung des Faraday-Käfigs
erklärt ist.
Die Spannungsdifferenz zwischen den Kugelschalen ist
Q R2 − R1
,
U = ϕ(R1 ) − ϕ(R2 ) =
| {z } 4π²o R1 R2
=0
10
und man erhält als Kapazität des Kugelkondensators
C = 4π²o
R1 R2
.
R2 − R1
Lässt man den Abstand der beiden Kugelschalen R2 − R1 = d klein werden,
so gilt zunächst R1 R2 ≈ R2 . Die Oberfläche der Kugel ist F = 4πR2 , so dass
man für die Kapazität C = ²o F/d schreiben kann. Diese Relation ist auch für
den Plattenkondensator gültig – er ist nichts anderes als der Grenzfall eines
Kugelkondensators mit R À d.
Abschließend soll noch die elektrostatische Feldenergie berechnet werden, die
auf den Raum zwischen den konzentrischen Kugelschalen beschränkt ist:
Wtot
²o
=
2
Z
Q2
d r E (r) =
8π²o
3
ZR2
2
R1
Q2
1
dr 2 =
r
8π²o
µ
1
1
−
R1 R2
¶
=
1
QU .
2
Multipolentwicklung: Wir betrachten eine begrenzte Ladungsverteilung,
die außerhalb einer Kugel mit Radius R um den Ursprung verschwindet. Für
das Potenzial verwenden wir
Z
1
ρ(r0 )
ϕ(r) =
d3 r 0
4π²o
|r − r0 |
mit der üblichen Randbedingung ϕ(∞) = 0. Wenn wir uns nur für das Verhalten
von ϕ(r) in großem Abstand von der Ladungsverteilung interessieren (r À R),
kann im Integrand eine Taylor-Entwicklung angesetzt werden. Allgemein gilt
für eine Funktion mit Vektor-Argument
¢
¢¡
¢
¡
1¡ 0
r · ∇r r0 · ∇r f (r) + · · · .
f (r − r0 ) = f (r) − r0 · ∇r f (r) +
2
Angewandt auf f (r) = 1/r und mit dem Zwischenergebnis ∇r (1/r) = −r/r3
ergibt sich
1
r · r0
1
3(r · r0 )2 − r2 r02
=
+
+
+ ··· ,
3
5
|r − r0 |
r
2r
|{z}
| r{z } |
{z
}
Monopol
Dipol
(1.24)
Quadrupol
und die Entwicklung des Potenzials bis zur Ordnung 1/r2 lautet entsprechend
·
¸
Z
1
1
r · r0
3 0
0
ϕ(r) =
d r ρ(r )
+ 3 + ··· .
(1.25)
4π²o
r
r
Wir definieren den Dipolvektor p und benutzen den Ausdruck für die Gesamtladung Q:
Z
Z
3 0
0 0
p = d r ρ(r ) r , Q = d3 r0 ρ(r0 ) ,
(1.26)
11
um das Potenzial in erster Näherung anzugeben
¸
·
1
Q
r·p
+ 3 .
ϕ(r) '
4π²o r
r
(1.27)
Insbesondere für ein neutrales System (Q = 0) dominiert der Dipolterm. Eine
mögliche Realisierung eines Dipols ist eine Anordnung zweier entgegengesetzt
gleicher Punktladungen ±q mit Abstandsvektor a:
p = q (r + a) − q r = q a .
Das elektrische Feld eines Dipols lässt sich aus E(r) = −∇ϕ(r) (1.15) berechnen. Dazu verwendet man zweckmäßigerweise Kugelkoordinaten mit der
Achsenwahl ez kp:
ϕ(r) =
1 r·p
1 pz
1 p cos θ
=
=
.
3
3
4π²o r
4π²o r
4π²o r2
Der Nabla-Operator in Kugelkoordinaten lautet
∇r = er
1 ∂
1
∂
∂
+ eθ
+ eφ
.
∂r
r ∂θ
r sin θ ∂φ
Damit erhalten wir für die einzelnen Komponenten von E(r, θ, φ)
Er =
p 2 cos θ
,
4π²o r3
Eθ =
p sin θ
,
4π²o r3
Eφ = 0 .
Das Feld eines Dipols hat also lediglich einen radialen und einen polaren Anteil.
Der Quadrupolterm dominiert entsprechend für eine Ladungsverteilung aus vier
Punktladungen, die entgegengesetzt gerichtete Dipole bilden. Dann ist sowohl
Q als auch p identisch Null.
1.4
Randwertprobleme in der Elektrostatik
In einem bestimmten Raumbereich sei die Ladungsdichte ρ(r) vorgegeben. Zusätzlich soll auf den vorhandenen Grenzflächen eine der beiden Randbedingungen
gelten:
Dirichlet: ϕ(r)
oder
Neumann: en · ∇ϕ(r) = −E(r)|n .
Wir suchen das Potenzial ϕ(r) bzw. die elektrische Feldstärke E(r) im gesamten
Raumbereich. Mit Hilfe der Greenschen Theoreme kann gezeigt werden, dass
durch die Vorgabe von Dirichlet- oder Neumann-Randbedingungen das Potenzial eindeutig bestimmt wird. Die beiden wichtigsten Methoden zur Berechnung
von Randwertproblemen sollen hier kurz erläutert werden.
12
Methode der Greenschen Funktionen: Die Lösung der Poisson-Gleichung
für eine punktförmige Einheitsladung bei r0 nennt man Greensche Funktion
G(r, r0 ):
1
∆r G(r, r0 ) = − δ(r − r0 ) .
²o
Diese Gleichung wird durch
G(r, r0 ) = −
1
1
+ F (r, r0 )
4π²o |r − r0 |
(1.28)
gelöst, wobei die Funktion F (r, r0 ) einerseits die Laplace-Gleichung ∆r F (r, r0 ) =
0 erfüllen muss und andererseits so zu konstruieren ist, dass die Randbedingungen erfüllt werden.
Methode der Bildladungen: Hier wird davon ausgegangen, dass es möglich
ist, durch Platzieren von fiktiven Bildladungen im Außenraum das auf den
Randflächen vorgegebene Potenzial ϕ(r) (oder dessen Normalenableitung) zu
realisieren. Dies soll an folgendem Beispiel erläutert werden.
Beispiel: Punktladung vor einer Metallplatte: Wir betrachten eine Punktladung q im Abstand d über einer unendlich ausgedehnten Metallplatte. Weiterhin wollen wir annehmen, dass die Platte geerdet ist.
¯ Die Randbedingung
für die Metallplatte ist damit vom Dirichlet-Typ: ϕ(r)¯Platte = 0. Wir wählen
zunächst unser Koordinatensystem so, dass die Punktladung q auf der z-Achse
liegt und vermuten, dass die Bildladung qB aus Symmetriegründen ebenfalls
auf der (negativen) z-Achse bei −dB liegen muss. Das zu berechnende Potenzial setzt sich aus dem Anteil der Ladung q und der Bildladung qB zusammen:
Ã
!
q
qB
1
p
+ p
ϕ(r) =
4π²o
ρ2 + (z − d)2
ρ2 + (z + dB )2
mit ρ2 = x2 + y 2 . Zur Bestimmung der noch unbekannten Parameter qB und
dB dient die Randbedingung


1 
q
qB
 = 0,
p
ϕ(x, y, z = 0) =
+ q
4π²o
ρ2 + d2
ρ2 + d2B
die für alle Werte von ρ nur erfüllt werden kann, wenn qB = −q und dB =
d gilt. Es handelt sich also um eine spiegelsymmetrische Anordnung zweier
Punktladungen bei r0 = (0, 0, d) und rB = (0, 0, −d) mit entgegengesetztem
Vorzeichen. Das Potenzial lautet damit
µ
¶
q
1
1
ϕ(r) =
−
.
4π²o |r − r0 |
|r − rB |
Um die Feldverteilung E(r) zu berechnen, haben wir lediglich den negativen
Gradienten des Potenzials zu bilden:
µ
¶
q
r − r0
r − rB
E(r) = −∇r ϕ(r) =
−
.
4π²o |r − r0 |3
|r − rB |3
13
Speziell fürp
die Oberfläche der Metallplatte (z = 0) erhalten wir wegen |r−r0 | =
|r − rB | = ρ2 + d2
E(x, y, z = 0) =
q r − r0 − r + rB
q −2d ez
=
.
4π²o (ρ2 + d2 )3/2
4π²o (ρ2 + d2 )3/2
Der Vektor der elektrischen Feldstärke steht also senkrecht auf der Metalloberfläche.
Die Bildladung ist allerdings eine Fiktion. Tatsächlich wurde auf der Platte eine
nach außen abklingende Flächenladungsdichte σ(ρ) “induziert” (siehe (1.10)):
¡
¢
q −2d
.
σ(ρ) = ²o E(x, y, 0+ ) − E(x, y, 0− ) =
4π (ρ2 + d2 )3/2
Integriert man über die gesamte Metalloberfläche, so erhält man die gesamte
influenzierte Flächenladung, die natürlich gleich der Bildladung qB = −q sein
muss:
Z
Z∞
Z∞
−ρ q d
0
2
q = d ρ σ(ρ) = 2π dρ ρ σ(ρ) = dρ 2
= −q .
(ρ + d2 )3/2
0
0
Für nichtebene Randflächen ist natürlich keine einfache Spiegelung möglich!
1.5
Elektrostatik im Dielektrikum
Bisher haben wir ausschließlich elektrische Felder im Vakuum betrachtet, die
durch die beiden Maxwellgleichungen
div E(r) =
1
ρ(r) ,
²o
rot E(r) = 0
(1.29)
beschrieben werden. Tatsächlich ist die Ladungsstruktur der Materie so, dass
sich in einem makroskopischen Volumen die positiven und negativen Ladungen fast vollständig kompensieren. Nach außen wirkt nur die Überschussladung
(und eventuell das Dipolmoment). Außerdem unterliegen die genauen Positionen der mikroskopischen Ladungen auch zeitlichen Fluktuationen. Deshalb ist
es sinnvoll, sich nur für Größen zu interessieren, die über atomare Dimensionen
gemittelt sind.
Wir betrachten das mikroskopische Potenzial, das von einer Ladungsverteilung
innerhalb eines (kleinen) Volumens VR um R hervorgerufen wird, und unterwerfen es der Dipolentwicklung (1.27)
·
¸
qj
pj · (r − R)
1 X
ϕmi (r) =
+
Θ(rj ∈ VR ) .
(1.30)
4π²o
|r − R|
|r − R|3
j
In einer vergröberten Beschreibung führen wir nun eine (Überschuss-)Ladungsdichte
ρ(R) und eine effektive Dipoldichte oder Polarisation P(R) ein, die im weiteren
als glatte Funktionen zu verstehen sind:
1 X
1 X
ρ(R) =
qj Θ(rj ∈ VR ) , P(R) =
pj Θ(rj ∈ VR ) .
V
V
j
j
14
Entsprechend können wir in (1.30) zur Integration übergehen (R → r0 ):
·
¸
Z
1
1
3 0
0
0
ϕ(r) =
d r ρ(r ) + P(r ) · ∇r0
.
(1.31)
4π²o
|r − r0 |
Um die Maxwell-Gleichung in Materie zu erhalten, bildet man die Divergenz
des E-Feldes
·
¸
Z
1
3 0
0
0
0
div E(r) = −∆r ϕ(r) =
d r ρ(r ) + P(r ) · ∇r 4πδ(r − r0 )
4π²o
·
¸
Z
1
3 0
0
0
=
ρ(r) +
d r P(r ) · ∇r0 δ(r − r ) .
²o
Aufgrund der Glattheit von P(r) kann der zweite Term partiell integriert werden. Wegen ∇ · P = div P erhält man schließlich
div (²o E(r) + P(r)) = ρ(r)
(1.32)
bzw. mit div P(r) = −ρp (r)
div E(r) =
1
(ρ(r) + ρp (r)) .
²o
Man nennt ρp (r) die Polarisationsdichte, die wie eine zusätzliche Ladungsdichte
wirkt. Um eine Analogie zu den Maxwellgleichungen im Vakuum zu erhalten,
definiert man als dielektrische Verschiebung
D(r) = ²o E(r) + P(r) ,
(1.33)
div D(r) = ρ(r)
(1.34)
rot E(r) = 0 .
(1.35)
woraus dann folgt:
Der Vektor der Polarisation P(r) beschreibt die Verschiebung von Ladungen
in einem Isolator bei Anlegen eines äußeren elektrischen Feldes. Jedes Teilchen
(Atom, Molekül), in dem positive und negative Ladungen gebundenen sind,
wird so zu einem elektrischen Dipol. P erscheint dann als effektive Dipoldichte,
wie wir sie weiter oben formal eingeführt haben. Entsprechend ihrer Entstehung
müssen verschiedene Arten der Polarisation unterschieden werden, die auch eine Klassifizierung der Dielektrika ermöglichen.
(a) Eigentliches Dielektrikum: Ohne ein äußeres Feld ist zunächst auch
keine Polarisation vorhanden. In einem neutralen Atom (z.B. Wasserstoff-Atom)
fallen die Ladungsschwerpunkte des positiven Kerns und der negativen Elektronenhülle zusammen. Damit ist auch kein elektrisches Dipolmoment vorhanden. Dieses wird erst bei Anlegen eines elektrischen Feldes E durch “Deformation” des Atoms induziert, indem sich die negativen Ladungen gegenüber
dem positiven Kern verschieben. Die rücktreibende Kraft ist die CoulombWechselwirkung. Man spricht daher von Deformationspolarisation.
15
Die Ladungsverschiebung und damit auch das induzierte Dipolmoment jedes
Atoms wird proportional zum äußeren Feld sein, so dass wir
pj = ²o α E(rj )
(1.36)
erwarten. Den stoffspezifischen Proportionalitätsfaktor α nennt man die atomare Polarisierbarkeit. Für das Wasserstoff-Atom ergibt sich zum Beispiel der
Wert αH = 6.7 · 10−31 m3 . Die effektive Dipoldichte lautet dann
1 X
P(R) =
pj Θ(rj ∈ VR ) = n ²o α E(R) ,
V
j
sie ist also proportional zur Dichte n = N/V der Atome. Damit kann man
allgemein schreiben
D(r) = ²o E(r) + P(r) = ²o (1 + nα) E(r) .
Mit der relativen Dielektrizitätskonstante ²r = 1 + nα folgt schließlich die wichtige Materialgleichung
D(r) = ²o ²r E(r)
(1.37)
Luft unter Normalbedingungen ist z.B. nur sehr schwach polarisierbar (²r =
1.0006). In anisotropen Medien hat ²r Tensorcharakter, die Polarisation ist also
nicht mehr parallel zur Feldstärke.
(b) Paraelektrikum: Hier liegen im Medium schon permanente molekulare
Dipole (z.B. H2 O) vor, die auf Grund ihrer thermischen Bewegung statistisch
verteilt sind, so dass nach außen kein Dipolmoment auftritt. Bei Anlegen eines
elektrischen Feldes werden die Moleküle jedoch ausgerichtet. Deswegen spricht
man hier von Orientierungspolarisation. Für Vertreter dieser Stoffgruppe gilt
ebenfalls die obige Materialgleichung. Wasser hat einen anomal großen Wert
von ²r = 80.4 !
(c) Ferroelektrikum: Darunter versteht man Stoffe, bei denen sich die permanenten Dipole unterhalb einer kritischen Temperatur sogar ohne Anwesenheit eines äußeren Feldes ausgerichtet haben (z.B. Seignette-Salz). Da Ferroelektrika im elektrischen Feld ein kompliziertes Verhalten zeigen, lässt sich keine
Dielektrizitätskonstante ²r angeben, und die lineare Beziehung (1.37) gilt nicht.
Beispiel: Dielektrikum im Kondensator: An der Oberfläche des Dielektrikums wird eine Polarisationsladungsdichte aufgebaut. Diese muss von der
Ladung auf der Kondensatorplatte kompensiert werden, d.h. die Ladung Q
wird größer. Aus der Integraldarstellung von
div D(r) = ρ(r)
kann man leicht ableiten, dass sich die Normalkomponente von D beim Durchgang durch eine geladene Grenzfläche unstetig verhält. Wenn σ die (konstante)
Flächenladungsdichte auf einer Kondensatorplatte ist, so gilt
D(r) = ez D(z) ,
D|aussen = 0 ,
16
D|innen = σ .
Für die Gesamtladung auf einer Platte folgt mit (1.37)
U
F,
d
wobei F die Fläche und d die Dicke des mit dem Dielektrikum ausgefüllten
Kondensators ist. Für die Kapazität ergibt sich
Q = σ F = D F = ²o ²r E F = ²o ²r
F
.
d
Die Kapazität des Kondensators hat sich demnach bei Verwendung eines Dielektrikums um den Faktor ²r erhöht.
C = Q/U = ²o ²r
2
Magnetostatik
Im vorangegangenen Kapitel haben wir gesehen, dass ruhende elektrische Ladungen elektrostatische Felder erzeugen und Kräfte auf andere Ladungen ausüben. Wir wollen nun die Erscheinungen behandeln, die von bewegten Ladungen (elektrischen Strömen) hervorgerufen werden. Diese erzeugen magnetische
Felder und wirken ebenfalls mit Kräften aufeinander ein.
2.1
Elektrische Ströme
Wir betrachten einen Strom von Einzelladungen qj mit Geschwindigkeiten vj .
Die Stromdichte können wir dann schreiben als
1 X
qj vj .
j=
V
j
Wir führen die über das Volumen V gemittelte Geschwindigkeit
P
qj vj
j
hvi = P
qj
j
ein (sie ist in der Regel klein gegenüber den Einzelgeschwindigkeiten), und
erhalten j = ρ hvi. Im allgemeinen Fall bildet die Stromdichte ein orts- und
zeitabhängiges Vektorfeld, das über die Ladungsdichte ρ(r, t) mit dem Geschwindigkeitsfeld v(r, t) verknüpft ist:
j(r, t) = ρ(r, t) v(r, t)
Die Einheit der Stromdichte ist
Ladung Weg
·
Volumen Zeit
·
⇒
(2.1)
¸
C
.
s · m2
Die Stromstärke I (transportierte Ladung pro Zeit, mit der Einheit Ampere,
1A = 1C/s) ist der Stromfluss durch eine gegebene Fläche F , also
I
dQ
I=−
= j · df .
(2.2)
dt
F
17
Kontinuitätsgleichung: Für elektrische Ladungen gilt ein strikter Erhaltungssatz. Folglich kann sich in einem Volumen V die Gesamtladung nur ändern,
wenn Ladungen durch die Oberfläche des Volumens hinein- bzw. hinausfließen.
Die zeitliche Änderung der Gesamtladung lässt sich einerseits schreiben als
Z
dQ
∂ρ(r, t)
= d3 r
,
dt
∂t
V
andererseits folgt aus (2.2) aber auch
I
Z
dQ
−
=
j(r, t) · df = d3 r div j(r, t)
dt
V
S(V )
unter Verwendung des Gaußschen Satzes (1.11). Die Addition beider Gleichungen liefert
¶
µ
Z
∂ρ(r, t)
3
= 0.
d r div j(r, t) +
∂t
V
Da diese Beziehung für beliebige Volumina gilt, muss der Integrand identisch
verschwinden, womit die Kontinuitätsgleichung abgeleitet ist:
div j(r, t) +
∂ρ(r, t)
=0
∂t
(2.3)
In der Magnetostatik werden nur zeitlich konstante (besser stationäre) Ströme
und Ladungsverteilungen behandelt:
∂ρ
=0
∂t
−→
div j(r) = 0 .
(2.4)
Daraus folgen zwei wichtige Konsequenzen:
(a) Durch jeden Querschnitt eines Leiters fließt der gleiche Strom:
I
0=
j · df = −F1 j1 + F2 j2 = −I1 + I2
S(V )
(b) Es gilt die Kirchhoffsche Knotenregel:
N
X
Ik = 0 .
k=1
Elektrischer Widerstand: Der elektrische Strom als eine geordnete Bewegung elektrischer Ladungen wird in der Regel durch ein elektrisches Feld getrieben. In linearer Näherung ist die Stromdichte j proportional zum treibenden
Feld E:
j(r) = σ(r) E(r) ,
(2.5)
18
I
SperrRichtung
U
0
DurchlassRichtung
LawinenDurchbruch
Abbildung 2: Strom-Spannungs-Kennlinie für einen p-n-Übergang im Halbleiter
(schematisch). Das Ohmsche Verhalten (gestrichelt) ist nur in einem kleinen
Bereich gültig.
wobei σ die elektrische Leitfähigkeit mit der Dimension [A/(Vm)] ist. Für ein
nichtisotropes Medium handelt es sich um einen Tensor 2. Stufe σjk . Die reziproke Größe ρs = σ −1 nennt man spezifischen elektrischen Widerstand.
Wir wollen noch den Ohmschen Widerstand eines leitenden geraden Drahtes
(Länge l, Querschnitt F ) bestimmen, zwischen dessen Enden eine Potenzialdifferenz U anliegt. Zunächst gilt
j = σE = σ
U
l
und damit
σF
·U.
l
Der Ohmsche Widerstand des Drahtes beträgt also
I =jF =
R=
U
l
=
I
σF
mit der Einheit Ohm (1Ω = 1 V/A). Die Gültigkeit des Ohmschen Gesetzes U =
I R bzw. in seiner materialspezifischen Form j = σ E ist eine Idealisierung, die
nur für kleine Spannungen bzw. Felder zutrifft. Der Einsatz von Halbleitern in
elektronischen Bauelementen beruht z. B. auch darauf, dass ein sogenannter pn-Übergang eine stark asymmetrische Strom-Spannungs-Kennlinie besitzt, also
gleichrichtend wirkt (Abb. 2).
Elektrische Leistung: Wird in einem elektrischen Feld die Ladung qj um
die Strecke drj verschoben, so wird an der Ladung die Arbeit
dWj = qj E · drj
19
geleistet. Die Ableitung nach der Zeit definiert die elektrische Leistung
dWj
= qj E · vj .
dt
Summieren wir über alle im Volumen vorhandenen Ladungen und teilen durch
das Volumen selbst, erhalten wir die Leistungsdichte


X
1 X dWj
1
=
qj vj  · E = j · E .
V
dt
V
j
j
Die gesamte vom elektrischen Feld am System im Volumen V bewirkte Leistung
beträgt also
Z
d3 r j · E .
P =
(2.6)
V
Für den Fall eines dünnen Drahtes der Länge l und mit dem Querschnitt F
erhält man
P = j E F l = I E l = I U = R I2 .
Man nennt P auch die Verlustleistung, die durch Stoßprozesse an die Gitterbausteine übertragen wird und damit die thermische Energie des Leiters erhöht.
Die freien Ladungen werden also im elektrischen Feld nur so lange beschleunigt,
bis die ’Reibungskräfte’ zu einem stationären Zustand führen. Wie erwartet ergibt sich die Einheit von P = I U als [A V ] = [(C/s)V ] = [J/s] = [W ], also
Watt.
2.2
Amperesches Gesetz, Magnetfeld, Vektorpotenzial
Ebenso wie das Coulombgesetz die Grundlage für die gesamte Elektrostatik
darstellt, ist das Amperesche Gesetz die fundamentale Beziehung in der Magnetostatik. Es beschreibt die Kraftwirkung zwischen zwei stromdurchflossenen
Leitern:
ZZ
j1 (r1 ) × (j2 (r2 ) × r12 )
µo
mag
d3 r1 d3 r2
(2.7)
F12 =
3
4π
r12
mit r12 = r1 − r2 . Die neue Konstante µo nennt man die Permeabilität des Vakuums (oder magnetische Feldkonstante). Sie wurde verwendet, um die Einheit
Ampere festzulegen (wie weiter unten noch genau ausgeführt wird):
µo
Vs
N
= 10−7
= 10−7 2 .
4π
Am
A
(2.8)
Gl. (2.7) kann man unter Verwendung von a × (b × c) = b · (a · c) − (a · b) · c
umformen:
j1 × (j2 × r12 )
1
(j1 · j2 ) · r12
= −j2 · (j1 · ∇r1
)−
.
3
3
r12
r12
r12
20
Der erste Term liefert nach partieller Integration wegen (2.4) keinen Beitrag,
somit bleibt lediglich
ZZ
¡
¢ r12
µo
mag
F12 = −
(2.9)
d3 r1 d3 r2 j1 (r1 ) · j2 (r2 ) · 3 .
4π
r12
Sind die Ströme gleichgerichtet (j1 k j2 ), so ziehen sich die beiden Leiter an:
∼ −r12 . Hier deutet sich eine Analogie zwischen der Elektrostatik und
Fmag
12
der Magnetostatik an, wenn man mit der auf zwei feste Ladungsverteilungen
verallgemeinerten Coulomb-Kraft vergleicht:
ZZ
1
r12
Fel
=
d3 r1 d3 r2 ρ1 (r1 ) ρ2 (r2 ) 3 .
(2.10)
12
4π²o
r12
Die enge Verknpüpfung zwischen den elektrischen (1/²o ) und magnetischen (µo )
Eigenschaften wird allerdings erst in der relativistischen Elektrodynamik richtig
klar. Den Proportionalitätsfaktor (1.2) im Coulombgesetz kann man mit (2.8)
umschreiben zu
1
Vs
µo
k=
= 10−7 c2
= c2
,
4π²o
Am
4π
woraus also
²o µo c2 = 1
(2.11)
folgt. Das Auftreten der Lichtgeschwindigkeit weist auf relativistische Effekte
hin. In der Tat sind die Kräfte zwischen Strömen (also die magnetischen Eigenschaften) ein relativistischer Effekt, wie man sich dimensionell aus (2.9) im
Vergleich zu (2.10) klar machen kann:
F mag ∼ µo
(V j)2
(Q v)2
Q2 v 2
∼
µ
∼
.
o
r2
r2
²o r2 c2
Beispiel: Kraft zwischen zwei parallelen Leitern: Ein unendlich langer
gerader Draht und ein Draht der Länge l verlaufen parallel zueinander in zRichtung im Abstand d. Es gilt also j1 kj2 kez und
r12 = −d ex − (z2 − z1 ) ez .
Außerdem soll der Querschnitt der beiden Leiter so klein sein, dass die elektrischen Ströme Ik als Stromfäden betrachtet werden können, also
Z
Z
3
d r jk (rk ) = Ik dsk
(2.12)
gilt mit dem Linienintegral entlang des Leiters k. Für die Kraft, die der Draht
2 auf den Draht 1 ausübt, erhält man damit aus (2.9)
Fmag
12
µo
= + I1 I2
4π
Zl
0
+∞
Z
d ex + (z2 − z1 ) ez
dz1
dz2 ¡
¢ .
2 + (z − z )2 3/2
d
2
1
−∞
21
Die in x-Richtung verlaufenden Zuleitungen tragen nicht zur Kraft bei, weil
dort j1 · j2 = 0 gilt! Der zweite Summand im Integranden liefert keinen Beitrag,
da es sich um eine ungerade Funktion handelt. Mit der Substitution z = z2 − z1
und weiter s = z/d ergibt sich
Fmag
12
=
µo
I1 I2 d ex l
4π
+∞
Z
−∞
= ex
l
µo
I1 I2
4π
d
+∞
Z
−∞
dz
¡
¢3/2
d2 + z 2
µo
2l
ds
¡
¢3/2 = ex 4π I1 I2 d .
1 + s2
(2.13)
Wie schon weiter oben vermerkt, wirkt die Kraft anziehend, wenn die beiden
Ströme I1 und I2 gleichgerichtet sind. Zur praktischen Definition des Ampere
stelle man sich zwei Leiter vor, die jeweils von Strömen der Stärke 1 A durchflossen werden und den Abstand 1 m voneinander haben. Die Kraft pro Längeneinheit (1 m) auf den Leiter 1 beträgt nach (2.13) und im Vergleich mit (2.8)
mag
F12
=
µo
(1 A)2 2 = 2 · 10−7 N ,
4π
womit die Bestimmung der Stromstärke auf eine Kraftmessung zurückgeführt
worden ist.
Ähnlich wie in der Elektrostatik soll nun der Feldbegriff eingeführt werden. Die
magnetische Induktion B(r) wird von einem Stromkreis gemäß
Z
µo
r − r0
B(r) =
d3 r0 j(r0 ) ×
(2.14)
4π
|r − r0 |3
hervorgerufen (Biot-Savart-Gesetz ). B(r) beschreibt die Kraft auf einen Einheitsstrom, für eine beliebige Stromdichte j1 (r) also
Z
mag
F1 = d3 r j1 (r) × B(r) ,
(2.15)
womit das Amperesche Gesetz (2.7) realisiert ist. Die magnetische Induktion
wird in Tesla (T) gemessen. Die zugehörige Definition erschließt sich am besten
aus (2.15):
¸ ·
¸
·
Vs
N
mag
=
.
F
= V j B = I l B : ⇒ [T] =
Am
m2
Beispiel: Bewegte Punktladung: Wir betrachten eine Punktladung q0 , die
sich mit (nicht zu großer) Geschwindigkeit v0 bewegt. Die Ladungsdichte ist
¡
¢
ρ(r, t) = q0 δ r − v0 t
und ergibt die Stromdichte
¡
¢
j(r, t) = ρ(r, t) v(r, t) = q0 v0 δ r − v0 t .
22
Eingesetzt in (2.15) erhält man die magnetische Kraft
Fmag = q0 v0 × B(r = v0 t) .
Berücksichtigt man noch die Kraftwirkung des elektrischen Feldes E, ergibt das
insgesamt die Lorentzkraft auf eine bewegte Ladung:
F = Fel + Fmag = q0 (E + v0 × B)
(2.16)
Das Vektorpotenzial: Mit der schon mehrfach benutzten Identität
r − r0
1
= −∇r
|r − r0 |3
|r − r0 |
kann das Biot-Savart-Gesetz (2.14) umgeschrieben werden zu
Z
1
µo
d3 r0 j(r0 ) × ∇r
.
B(r) = −
4π
|r − r0 |
Der Nabla-Operator kann aus dem Integral herausgezogen werden, da er ja
nur auf die äußere Variable r wirkt. Dabei wird mit dem Vektorprodukt so
verfahren: ∇r × (f (r) j) = (∇r f (r)) × j = −j × ∇r f (r). Es ergibt sich
Z
j(r0 )
µo
d3 r 0
.
(2.17)
B(r) = ∇r × A(r) , A(r) =
4π
|r − r0 |
Wir sehen, dass die magnetische Induktion B als Rotation des sogenannten
Vektorpotenzials A(r) dargestellt werden kann. Daraus folgt wegen div rotA ≡ 0
unmittelbar eine der Maxwell-Gleichungen der Magnetostatik
div B(r) = 0
(2.18)
B(r) ist also quellenfrei, was gleichbedeutend mit der Aussage ist: Es gibt keine
magnetischen Ladungen (Monopole).
Wenn wir den Laplace-Operator auf das Vektorpotenzial (2.17) anwenden, erhalten wir
Z
µo
1
∆r A(r) =
d3 r0 j(r0 ) ∆r
.
4π
|r − r0 |
Mit ∆r (1/r) = −4πδ(r) vereinfacht sich das zu
∆r A(r) = −µo j(r)
(2.19)
– sozusagen das magnetostatische Analogon zur Poisson-Gleichung (1.16).
23
Eichtransformation: In der Elektro- bzw. Magnetostatik sind nicht die Potenziale, sondern die Felder E(r) und B(r) die physikalisch relevanten Größen.
Weder das elektrische Potenzial ϕ(r) noch das Vektorpotenzial A(r) sind eindeutig bestimmt, denn die Eichtransformationen
A(r) −→ Ã(r) = A(r) + ∇r χ(r)
(2.20)
ϕ(r) −→ ϕ̃(r) = ϕ(r) + c
(2.21)
mit einer beliebigen skalaren Funktion χ(r) bzw. einer Konstanten c führen
mit (2.17) und (1.15) auf dieselben Felder: Es gilt ja ∇ c = grad c = 0 und
∇ × ∇χ(r) = rot grad χ(r) = 0.
Die Coulomb-Eichung
divA(r) = 0
(2.22)
spielt eine besondere Rolle. Die explizite Darstellung (2.17) genügt der CoulombEichung wegen div j(r) = 0. Im allgemeinen Fall kann man als Eichfunktion χ(r)
die Lösung der Poisson-Gleichung
∆χ(r) = −divA(r)
wählen, um zur Coulomb-Eichung überzugehen. Man überzeuge sich, dass dann
aus (2.20) tatsächlich divÃ(r) = divA(r) + div grad χ(r) = 0 folgt! In der
Coulomb-Eichung lässt sich die magnetische Induktion besonders einfach berechnen. Allgemein können wir umformen
∇ × B = ∇ × (∇ × A) = ∇(∇ · A) − (∇ · ∇)A = grad div A − ∆A .
Mit (2.22) verschwindet der erste Term, und es bleibt rot B = −∆A. Mit Hilfe
von (2.19) gewinnen wir die (inhomogene) Maxwell-Gleichung
rot B(r) = µo j(r)
(2.23)
die natürlich unabhängig von der Wahl der Eichung gilt. Mit Hilfe des StokesSatzes (1.19) lässt sich das auch in integraler Form schreiben:
I
Z
B(r) · ds = µo j(r) · df .
(2.24)
F
C(F )
Wir fassen noch einmal die Feldgleichungen (Maxwell-Gleichungen) für den statischen Fall im Vakuum zusammen:
div E(r) = ρ(r)/²o
div B(r) = 0
rot E(r) = 0
rot B(r) = µo j(r)
Alternativ kann man die Felder durch die Potentiale ausdrücken, für die PoissonGleichungen gelten:
E(r)
= −grad ϕ(r)
B(r)
∆ϕ(r) = −ρ(r)/²o
= rot A(r)
∆A(r) = −µo j(r)
24
Beispiel: Vektorpotenzial für konstantes Magnetfeld: Es sei die räumlich konstante magnetische Induktion B = B0 ez vorgegeben, und wir suchen
mögliche Realisierungen für das Vektorpotenzial A(r). Es muss also gelten
µ
¶
µ
¶
µ
¶
∂Ay
∂Ay
∂Az
∂Ax ∂Az
∂Ax
B = rot A(r) =
−
ex +
−
ey +
−
ez .
∂y
∂z
∂z
∂x
∂x
∂y
|
{z
}
|
{z
}
|
{z
}
=0
=0
= B0
Der Ansatz Ax = αy, Ay = βx, Az = 0 erfüllt die drei geklammerten Relationen, wenn β − α = B0 gewählt wird. Folglich lautet das Vektorpotenzial
¡
¢
A(r) = αy, (B0 + α)x, 0 .
Offensichtlich ist die Coulomb-Eichung div A(r) = 0 erfüllt – die x-Komponente
von A hängt nicht von x ab, usw. Der Parameter α kann noch frei gewählt
werden. Zwei übliche Festlegungen sind:
Symmetrische Eichung:
¢
B0 ¡
−y, x, 0
2
B0
2
−→
A=
α = −B0
−→
¡
¢
A = −B0 y, 0, 0 .
α=−
Landau-Eichung:
Beispiel: Vektorpotenzial und Induktion eines langen Drahtes: Mit
Hilfe der Gleichung (2.17) wollen wir das Vektorpotenzial eines geraden, unendlich langen Drahtes berechnen, der vom Strom I1 durchflossen wird. Wir legen
die z-Achse des Koordinatensystems in Drahtrichtung und verwenden Zylinderkoordinaten r = (z, ρ, φ) :
µo
A(r) =
4π
Z
j(r0 )
d r
|r − r0 |
3 0
(2.12)
=
=
µo
I1 ez
4π
µo
I1 ez
4π
+∞
Z
dz 0
p
ρ2 + (z − z 0 )2
−∞
+∞
Z
dz̃
p
−∞
ρ2
+ z̃ 2
.
p
Wegen der logarithmische Divergenz der Stammfunktion ln(z̃+ ρ2 + z̃ 2 ) wählen
wir endliche Integrationsgrenzen:
Z+a
−a
dz̃
Z+a
p
=2
ρ2 + z̃ 2
¯+a
p
¯
2
2
= 2 ln(z̃ + ρ + z̃ )¯¯
dz̃
p
ρ2 + z̃ 2
0
p
a + ρ2 + a2
= 2 ln
ρ
0
aÀρ
−→
Das Vektorpotenzial lautet damit
A(ρ) =
µo
2I1 ez ln(2a/ρ) .
4π
25
2 ln(2a/ρ) .
Es ist rotationssymmetrisch um die z-Achse und erfüllt die Coulomb-Eichung.
Um die magnetische Induktion B(r) auszurechnen, müssen wir lediglich die
Rotation von A(r) in Zylinderkoordinaten bilden:
µ
¶
µ
¶
µ
¶
∂Aρ ∂Az
1 ∂Az ∂Aφ
1 ∂(ρAφ ) 1 ∂Aρ
rot A(r) =
−
eρ +
−
eφ +
−
ez .
ρ ∂φ
∂z
∂z
∂ρ
ρ ∂ρ
ρ ∂φ
Wegen Aρ = 0 und Aφ = 0 hat das B-Feld nur eine Komponente in Richtung
von eφ :
∂Az
µo
B(ρ) = −
eφ = +
I1 eφ .
∂ρ
2πρ
Die Integrationsgrenze a ist jetzt herausgefallen! Die Feldlinien von B bilden
also konzentrische Ringe um den stromführenden Leiter. Abschließend platzieren wir einen weiteren Leiter der Länge l im Abstand d. In ihm fließe der Strom
I2 (I1 kI2 ). Die Kraft auf diesen Draht beträgt dann
Z
Fmag
21
=
Zl
3
d r j(r) × B(r) =
dz I2 ez × B(ρ = d)
0
l
µo
l
µo
I1 I2 (ez × eφ ) = − I1 I2 ex .
=
2π
d
2π
d
Damit haben wir das frühere Ergebnis (2.13) reproduziert.
2.3
Magnetisches Moment, Magnetostatik im Medium
Wir betrachten eine auf das Volumen V begrenzte Stromverteilung j(r0 ), die
nach (2.17) ein Vektorpotenzial A(r) hervorruft. Liegt der Beobachtungspunkt
r weit außerhalb, kann der Nenner im Integrand in eine Taylorreihe entwickelt
werden (siehe (1.24)):
·
¸
Z
µo
1
r · r0
3 0
0
A(r) =
d r j(r )
+ 3 + ··· .
(2.25)
4π
r
r
V
Wir beweisen zunächst, dass der erste Term keinen Beitrag liefert. Mit
div(xl j) = xl div j + j · grad xl = j · el = jl
|{z}
(2.26)
=0
erhalten wir für die l-Komponente der Stromdichte
Z
Z
Z
3
3
d r jl (r) = d r div(xl j(r)) =
xl j(r) df = 0 ,
V
V
S(V )
da die Stromdichte auf der Oberfläche S(V ) verschwindet. Daraus folgt
Z
d3 r j(r) = 0 .
(2.27)
V
26
Das abgeschlossene Stromgebiet liefert also keine Beitrag ∝ 1/r. Den zweiten
Term bringen wir in eine Vektorprodukt-Form mit
¡
¢ ¡
¢
¡
¢
¡
¢
r × r0 × j(r0 ) = r · j(r0 ) r0 − r · r0 j(r0 ) ⇒ −2 r · r0 j(r0 ) .
Die letzte Gleichung gilt nur unter dem r0 -Integral. Zum Beweis bildet man
div (xl xk j) = xl jk + xk jl + xl xk div j und verfährt wie in (2.26), um
Z
d3 r [xl jk (r) + xk jl (r)] = 0
(2.28)
nachzuweisen. Damit haben wir
Z
Z
1
d3 r0 (r · r0 ) · j(r0 ) = − r × d3 r0 r0 × j(r)
2
erreicht und können das magnetisches Moment
Z
1
d3 r r × j(r)
m=
2
(2.29)
definieren. Für großes Abstände r ist das Vektorpotenzial also durch
A(r) =
µo m × r
4π r3
(2.30)
gegeben. An zwei Beispielen soll nun die Berechnung des magnetischen Moments
demonstriert werden.
Beispiel: Ringstrom: Eine kreisförmige Leiterschleife mit dem festen Radius
r kann am besten in Polarkoordinaten beschrieben werden:
r = r er ,
dr = r dφ eφ .
Unter Verwendung von (2.12) erhalten wir
1
m= I
2
Z
1
r × dr = I ez
2
Z2π
dφ r2 = Iπr2 ez = I F .
0
Mit F als dem Flächenvektor (er liegt in Normalenrichtung) gilt diese Formel
für beliebige, in einer Ebene liegende Stromverteilungen.
Beispiel: System von Punktladungen: Die Stromdichte mehrerer geladener Teilchen mit Ladung q und Masse M lautet
X
j(r) = q
δ(r − rn ) vn .
n
Das gesamte magnetische Moment ergibt sich zu
q X
q
qX
q X
rn × vn =
rn × (M vn ) =
ln =
L.
m=
|
{z
}
2 n
2M n
2M n
2M
Drehimpuls ln
27
Das Verhältnis von magnetischem Moment zu Gesamtdrehimpuls nennt man
gyromagnetisches Verhältnis, hier erhalten wir dafür
|m|
q
=
.
|L|
2M
Diese Relation bleibt auch in der Quantenmechanik für die Bahnbewegung richtig. Beim Spin (= Eigendrehimpuls des Elektrons) fehlt jedoch der Faktor 1/2!
Kraft und Drehmoment auf beliebige Stromverteilung: Gegeben sei
ein äußeres Feld der magnetischen Induktion B(r). Bringen wir einen Leiter mit
der Stromdichte j(r) in dieses Feld, so wirkt auf den Leiter eine Kraft
Z
F = d3 r j(r) × B(r)
und ein Drehmoment
Z
M=
¡
¢
d3 r r × j(r) × B(r) .
Handelt es sich um ein homogenes Magnetfeld B0 = constr , so wird wegen
(2.27) keine Kraft auf den Leiter ausgeübt:
Z
F = d3 r j(r) × B0 = 0 .
Es wirkt aber ein Drehmoment:
Z
Z
¢
¡
¡
¢
1
3
M = d r r × j(r) × B0 = − B0 × d3 r r × j(r) .
2
Die Gültigkeit der letzten Umformung mache man sich klar mittels
r × (j × B0 ) = (r · B0 ) j − (r · j) B0 ,
B0 × (r × j) = (B0 · j) r − (B0 · r) j ⇒ −2 (B0 · r) j .
Der unterstrichene Term verschwindet im Integral – siehe (2.28) für l = k. Mit
(2.29) gilt dann für das Drehmoment im homogenen Magnetfeld
M = m × B0
(2.31)
Magnetostatik im Medium
In Analogie zu Kapitel 1.5 wollen wir die Magnetostatik in Materie entwickeln.
Ausgehend von der mikroskopischen Gültigkeit der Maxwellgleichungen
div Bmi (r) = 0 ;
rot Bmi (r) = µo jmi (r)
(2.32)
gelingt der Übergang zu den makroskopischen Größen wiederum durch Integration (Mittelung) über ein Volumen V bei R:
Z
1
B(R) =
d3 r Bmi (r) Θ(r ∈ VR ) .
V
28
Da die Mittelung mit der Differentiation vertauscht werden kann, bleibt die
homogene Maxwellgleichung weiterhin unverändert:
div B(r) = 0 .
(2.33)
Die gemittelte Stromdichte enthält sowohl Beiträge freier Ladungen (z.B. Leitungselektronen) als auch gebundener Ladungen. In einem äußeren Magnetfeld
verschieben sich die Ladungen und bewirken damit Ströme:
jtot (r) = jfrei (r) + jgeb (r) .
(2.34)
jgeb (r) beschreibt im Wesentlichen atomare Kreisströme, die ein inneres Zusatzfeld M(r) bewirken, das über
jgeb (r) = rot M(r)
(2.35)
definiert wird. Damit lautet die inhomogene Maxwellgleichung zunächst
rot B(r) = µo jfrei (r) + µo rot M(r) .
Führen wir nun als Hilfsgröße das Magnetfeld
H(r) =
1
B(r) − M(r)
µo
(2.36)
mit der Dimension Ampere pro Meter [A/m] ein, so bleibt schließlich
rot H(r) = jfrei (r) .
(2.37)
Wir lassen im folgenden den Index an der freien Stromdichte weg, da Verwechslungen auszuschließen sind.
Magnetische Suszeptibilität χm : Für den Spezialfall eines linearen, isotropen Mediums gilt
M(r) = χm H(r) .
(2.38)
Setzen wir (2.38) in (2.36) ein und definieren als relative Permeabilität
µr = 1 + χm ,
(2.39)
so erhalten wir die wichtige Materialgleichung
B(r) = µo (H(r) + M(r)) = µo (1 + χm ) H(r) = µo µr H(r) .
(2.40)
Mit Hilfe der magnetischen Suszeptibilität gelingt nun die folgende Einteilung
der magnetischen Stoffe:
(a) Nichtmagnetisch: Diese Stoffklasse ist durch χm = 0, also µr = 1 charakterisiert. Damit gilt wie im Vakuum
B(r) = µo H(r) .
29
(b) Diamagnetisch: Beim Diamagnetismus handelt es sich um einen reinen
Induktionseffekt. Nach Einschalten eines äußeren Feldes werden permanente
magnetische Dipole induziert, die nach der Lenzschen Regel zum erregenden
Feld H entgegengesetzt ausgerichtet sind. χm muss also negativ sein:
χm < 0 .
(c) Paramagnetisch: In paramagnetischen Stoffen sind bereits permanente
magnetische Dipole vorhanden, die sich im äußeren Magnetfeld ausrichten. Die
magnetische Suszeptibilität ist im allgemeinen von der Temperatur abhängig,
da die Ausrichtung der Dipole durch thermische Unordnung gestört wird:
χm (T ) > 0 .
(d) Kollektiver Magnetismus: χm ist hier eine von Temperatur und Magnetfeld abhängige, nichtlineare Funktion:
χm = χm (T, H) .
Im Fall des Ferromagnetismus ergibt sich z.B. die typische Hysteresekurve.
Feldverhalten an Grenzflächen: Ohne Beweis folgen noch die zur Berechnung magnetostatischer Probleme wichtigen Stetigkeitsbedingungen für das
Magnetfeld H(r) und die magnetische Induktion B(r):
B2 − B1 |n = 0 ,
H2 − H1 |t = 0 .
(2.41)
Die Normalkomponente von B(r) und die Tangentialkomponente von H(r) verhalten sich stetig.
30
3
Elektrodynamik
Haben wir in den vorangegegangenen Kapiteln ausschließlich statische Probleme betrachtet, wollen wir nun Phänomene untersuchen, die auf zeitabhängige
elektrische und magnetische Felder zurückzuführen sind.
3.1
Induktionsgesetz, Maxwell-Gleichungen
Aus der Magnetostatik ist uns bekannt, dass nach (2.14) ein elektrischer Strom
eine magnetische Induktion B erzeugt. Michael Faraday entdeckte im Jahre
1831, dass auch umgekehrt zeitlich veränderliche Magnetfelder in einem Leiterkreis einen Strom hervorrufen. Die mathematische Formulierung dieses Zusammenhangs nennt man das Faradaysche Induktionsgesetz :
Z
I
d
B(r, t) · df =
E(r, t) · ds ,
(3.1)
−
dt
F
S(F )
wobei das Integral auf der linken Seite den Fluss von B durch die Fläche F
beschreibt und der Ausdruck auf der rechten Seite die Elektromotorische Kraft
(EMK) im geschlossenen Leiter S(F ) definiert. Das Gesetz besagt also, dass
die zeitliche Änderung des magnetischen Flusses ein elektrisches Feld und über
(2.5) einen Strom in der Leiterschleife induziert. Das Vorzeichen wird durch die
Lenzsche Regel festgelegt. Demnach ist der induzierte Strom und der damit verbundene magnetische Fluß so gerichtet, dass sie der Ursache ihrer Entstehung
entgegenwirken. Die Flussänderung kann auf verschieden Weise zustandekommen, z.B. durch Bewegung der Leiterschleife im äußeren Magnetfeld oder durch
zeitliche Veränderung der magnetischen Induktion.
Mit Hilfe des Satzes von Stokes lässt sich (3.1) noch umformen
I
Z
E · ds = rot E · df ,
S(F )
F
und wir erhalten als Verallgemeinerung der homogenen Maxwell-Gleichung der
Elektrostatik das Faraday-Gesetz in differentieller Form
rot E = −Ḃ
(3.2)
Hier und im weiteren lassen wir die Argumente r, t der verschiedenen Größen
weg, wenn es keine Verwechslung geben kann. Außerdem ist die zeitliche Ableitung mit dem Punkt über dem Symbol markiert.
Maxwellsche Ergänzung: Dies ist allerdings nicht die einzige Veränderung,
die vorzunehmen ist. Betrachtet man die inhomogene Maxwell-Gleichung der
Magnetostatik rot B = µo j und wendet auf beiden Seiten die Divergenz an,
div rot B = µo div j = 0 ,
31
so kann das nur für stationäre Ströme gelten. Im allgemeinen Fall muss nämlich
auch die Kontinuitätsgleichung erfüllt werden, die wir mit (1.3) umschreiben
³
´
0 = div j + ρ̇ = div j + ²o Ė .
Dann sollte wohl der gesamte Ausdruck in Klammern als Quelle für rot B dienen, damit wieder div rot B = 0 gilt. Mit dieser sogenannten Maxwellschen
Ergänzung erhalten wir
³
´
rot B = µo j + ²o Ė
(3.3)
Ein zeitlich veränderliches elektrische Feld ist also genauso wie ein Strom Quelle für Wirbel der magnetischen Induktion. Wir fassen noch einmal die vier
Maxwell-Gleichungen für das Vakuum zusammen:
div E = ρ/²o
div B = 0
Coulomb-Gesetz
Keine magnetischen Monopole
rot E = −Ḃ
³
´
rot B = µo j + ²o Ė
Faraday-Gesetz
Biot-Savart + Maxwellsche Ergänzung
(3.4)
Die beiden Gleichungen mit Ladungsdichte bzw. Stromdichte auf der rechten
Seite bilden die inhomogenen Maxwell-Gleichungen.
Maxwell-Gleichungen im Medium: Wir gehen wieder von der Annahme
aus, dass die Gleichungen des Vakuums mikroskopisch universell gelten. Den Zusatz der Polarisationsladungsdichte haben wir schon in Kapitel 1.5 besprochen.
Hier erwarten wir keine Modifikation von Gleichung (1.34). Bei der Stromdichte
jtot = jfrei + jgeb = jfrei + rot M + Ṗ
taucht aber ein zusätzlicher Term auf, der wegen der Zeitableitung in der Magnetostatik noch keine Rolle spielen konnte. Dieser Term beschreibt die Ströme,
die durch Verschiebung der Polarisationsladungen entstehen. Demnach erhalten
wir für (3.3) folgenden Ausdruck:
1
rot B = jfrei + rot M + ²o Ė + Ṗ .
µo
Mit (1.37) und (2.36) vereinfacht sich diese Gleichung zu
rot H = j + Ḋ ,
(3.5)
wobei der Index ’frei’ bei der Stromdichte wieder weggelassen wurde. Wir
können also die Maxwell-Gleichungen in Materie zusammenfassen:
div D = ρ
rot E = −Ḃ
div B = 0
rot H = j + Ḋ
32
(3.6)
Hinzu kommen noch die Materialgleichungen für die Hilfsfelder D (dielektrische Verschiebung) und H (Magnetfeld), die wir für ein lineares und isotropes
Medium angeben
1
D = ²r ²o E ,
H=
B.
(3.7)
µr µo
Man überzeuge sich, dass die Kontinuitätsgleichung auch für die gemittelten
(makroskopischen) Größen Ladungsdichte und Stromdichte gilt:
0 = div rot H = div j + div Ḋ = div j + ρ̇ .
Elektromagnetische Potenziale
Wir wollen nun untersuchen, wie sich die Zeitabhängigkeit der elektrischen und
magnetischen Felder auf die Potenziale ϕ und A auswirkt. Zunächst betrachten
wir die homogenen Maxwell-Gleichungen, die von den Potenzialen automatisch
erfüllt werden können. Wie in der Magnetostatik lässt sich die magnetische
Induktion B als Rotation des Vektorpotenzials A darstellen
B(r, t) = rot A(r, t) ,
(3.8)
da auf diese Weise div B = div rot A = 0 erreicht ist. Setzt man (3.8) in
³
´
0 = rot E + Ḃ = rot E + Ȧ
ein, so wird klar, dass der Ausdruck in Klammern als Gradient geschrieben
werden kann, also aufgelöst zu
E(r, t) = −∇ ϕ(r, t) − Ȧ(r, t) .
(3.9)
Damit ist die zweite homogene Maxwell-Gleichung erfüllt.
Die Eichtransformation wird von dieser Modifikation ebenfalls betroffen. Die
magnetische Induktion bleibt offensichtlich invariant gegenüber der Transformation von A auf
Ã(r, t) = A(r, t) + ∇χ(r, t)
für eine beliebige skalare Funktion χ(r, t). Ã würde aber das elektrische Feld
verändern, wenn das skalare Potenzial ϕ nicht passend mittransformiert wird,
und zwar muss gelten
˙ = −∇ϕ̃ − Ȧ − ∇χ̇ =! −∇ϕ − Ȧ .
E = −∇ϕ̃ − Ã
Damit sind die folgenden Eichtransformationen erlaubt:
A(r, t) =⇒ Ã(r, t) = A(r, t) + ∇χ(r, t)
ϕ(r, t) =⇒ ϕ̃(r, t) = ϕ(r, t) − χ̇(r, t)
Die inhomogenen Maxwell-Gleichungen liefern uns die Bestimmungsgleichungen
für A und ϕ. Der Einfachheit halber betrachten wir nur den Vakuumfall
³
´
rot B = µo j + ²o Ė
div E = ρ/²o
33
Mit µo ²o = 1/c2 (c ist die Vakuumlichtgeschwindigkeit) gilt
rot B = rot rot A = grad div A − ∆A = µo j +
¢
1¡
−∇ϕ̇ − Ä ,
2
c
und wir erhalten
µ
¶
1
¤ A = −µo j + grad divA + 2 ϕ̇
c
(3.10)
mit der Definition des Viereck- oder d’Alembert-Operators
1 ∂2
,
(3.11)
c2 ∂t2
der die relativistische Verallgemeinerung des Laplace-Operators darstellt. Er
kann auch als vierdimensionales Skalarprodukt des relativistischen Nabla-Operators
¶
µ
∂
∂
∂
∂
,
,
,
∂(ct)
∂x
∂y
∂z
mit seinem kovarianten Pendant geschrieben werden.
¤=∆−
Ganz entsprechend bekommen wir für das skalare Potenzial
−∆ϕ − div Ȧ = ρ/²o
(3.12)
Wir haben so die Maxwell-Gleichungen in ein System von zwei partiellen Diffentialgleichungen zweiter Ordnung überführt, das sich durch geeignete Eichtransformationen vereinfachen lässt:
(a) Coulomb-Eichung: Die Coulomb-Eichung
div A = 0
führt für das skalare Potenzial zu einer Gleichung, deren Lösung (1.14) wir
bereits kennen:
Z
1
ρ(r0 , t)
ϕ(r, t) =
d3 r 0
.
4π²o
|r − r0 |
Wir setzen diesen Ausdruck in (3.10) ein und nutzen die Kontinuitätsgleichung
aus:
Z
divr0 j(r0 , t)
µo
∇r d3 r0
.
(3.13)
¤ A(r, t) = −µo j(r, t) +
4π
|r − r0 |
(b) Lorentz-Eichung: Jetzt wählen wir die Eichfunktion χ so, dass die
Lorentz-Bedingung
1
div A + 2 ϕ̇ = 0
(3.14)
c
erfüllt wird. Damit gelingt es, die beiden Differentialgleichungen (3.10) und
(3.12) vollständig voneinander zu entkoppeln:
¤ A(r, t) = −µo j(r, t)
(3.15)
¤ ϕ(r, t) = −ρ(r, t)/²o .
(3.16)
34
Retardierte Potenziale (Lienard-Wiechert-Potenziale)
Wir suchen nun nach Potenzialen, die die beiden entkoppelten Differentialgleichungen (3.15) und (3.16) erfüllen. Wir wollen beweisen, dass
Z
1
ρ(r0 , t − |r − r0 |/c)
ϕ(r, t) =
d3 r 0
(3.17)
4π²o
|r − r0 |
eine spezielle (abklingende) Lösung von (3.16) ist. Es muss zunächst
¤r
¯
¡
¢
1
1
ρ r0 , t − |r − r0 |/c = ¤r ρ(r0 , t − r/c)¯r=|r−r0 |
0
|r − r |
r
berechnet werden. Wir wollen dies hier allgemein für eine beliebige Funktion
f (r − ct)/r durchführen, also
1
1
1 ∂2
¤ f (r − ct) = ∆ f (r − ct) −
f (r − ct) .
r
r
r ∂(ct)2
(3.18)
Wir haben schon mehrfach ∆(1/r) = −4πδ(r) verwendet, womit wir
1
1
∆ f (r − ct) = −4πδ(r)f (r − ct) + f 00 (r − ct)
r
r
ableiten können. Der zweite Term kompensiert den zweiten Term in (3.18), und
wir gewinnen
1
¤ f (r − ct) = −4πδ(r)f (r − ct) .
r
Einsetzen in (3.17) ergibt dann den gesuchten Beweis
Z
4π
¤ ϕ(r, t) = −
d3 r0 δ(r − r0 )ρ(r0 , t − |r − r0 |/c) = −ρ(r, t)/²o .
4π²o
Analog lässt sich ein Ausdruck für das Vektorpotenzial A(r, t) finden:
Z
µo
j(r0 , t − |r − r0 |/c)
A(r, t) =
d3 r0
.
4π
|r − r0 |
(3.19)
Zu dieser speziellen Lösung benötigen wir noch die allgemeine Lösung der homogenen Wellengleichung
¤ ϕ(r, t) = 0 .
Diese Gleichung wird z.B. von jeder Funktion der Form
ϕ(r, t) = f (e1 · r − ct) .
gelöst, wobei e1 ein beliebiger fester Einheitsvektor ist.
35
3.2
Quasistationärer Fall
Im vorherigen Kapitel haben wir die retardierten Potentiale als Lösung der
Differentialgleichungen (3.15) und (3.16) eingeführt, wobei offensichtlich die
endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit der elektrischen und magnetischen Felder
berücksichtigt wurde. Beschränken wir uns auf Felder, deren zeitliche Änderung
sehr langsam im Vergleich zu deren Retardierung ist, spricht man vom quasistationären Fall.
In den Maxwell-Gleichungen kann mit dieser Einschränkung der Term Ḋ in
rot H = j + Ḋ
vernachlässigt werden. Dann verschwindet (s. (3.6)) auch die Zeitableitung der
Ladungsdichte, und mit der Kontinuitätsgleichung folgt wieder die Stationaritätsbedingung der Magnetostatik (2.4)
ρ̇ ≈ 0
→
div j ≈ 0 .
Gegen- und Selbstinduktion
Das Faradaysche Induktionsgesetz besagt, dass die zeitliche Änderung des magnetischen Flusses durch eine Fläche F eine Induktionsspannung zwischen den
Enden des Leiterkreises induziert wird, der F umschließt:
Uind = −Φ̇ .
(3.20)
Das Minuszeichen (Lenzsche Regel) bewirkt eine Abschwächung des ’treibenden’ durch das induzierte elektrische Feld.
Betrachten wir nun ein System von N verschiedenen, geschlossenen Stromkreisen Sn mit Stromdichten jn . Der magnetische Fluss durch den m-ten Kreis
beträgt
Z
N
X
Φm (t) =
B(r) · df , B(r) =
rot An (r) .
n=1
Fm
Dabei ist An das der Stromverteilung jn zugeordnete Vektorpotential. Fassen
wir die Ströme als Stromfäden auf, lässt sich das Vektorpotential umschreiben
zu
Z
I
µo µr
jn (r0 , t)
µo µr
1
An (r, t) =
d3 r 0
=
I
(t)
dr0
.
n
4π
|r − r0 |
4π
|r − r0 |
Sn
Mit dem Stokesschen Satz erhalten wir
XZ
XI
Φm (t) =
rot An (r) · df =
An (r) · dr
n
=
Fm
X
n
=
X
I I
µo µr
In (t)
4π
n
Sm
dr · dr0
Sm Sn
Lmn In (t) .
n
36
1
|r − r0 |
Mit Lmn bezeichnet man den von der Leitergeometrie abhängigen Induktionskoeffizient, und zwar für m = n als Selbstinduktivität, für m 6= n als Gegeninduktivität. Für die im Stromkreis Sm induzierte Spannung gilt also unter
Verwendung von (3.20)
ind
Um
(t) = −
N
X
Lmn I˙n (t) .
(3.21)
n=1
Beispiel: Selbstinduktivität einer langen Spule: Wir betrachten eine
Spule der Länge l mit kreisförmigen Querschnitt (Radius R) und N Windungen.
Aufgrund der Symmetrie des Problems ist es nicht erforderlich, die abgeleiteten
Formeln mit Stromfäden zu verwenden. Für das Magnetfeld kann ein Ansatz in
Zylinderkoordinaten gemacht werden:
B(r) = B(ρ) ez .
Wir verwenden die Maxwell-Gleichung rot B = µo µr j in integraler Darstellung
und erhalten unter Verwendung des Stokesschen Satzes
I
B · ds = µo µr N I .
C
Da die Wegintegration senkrecht zur Spulenachse keine Beiträge liefert und im
Außenraum das Magnetfeld stark “verdünnt” ist (B ≈ 0), erhält man
l B(ρ) = µo µr N I .
Das Magnetfeld innerhalb der Spule ist also homogen. Der Fluss durch die
Querschnittsfläche F einer Windung beträgt
NF
I,
l
und die gesamte in der Spule induzierte Spannung ist
Φ = B F = µo µr
N 2F ˙
I.
l
Daraus lässt sich die Selbstinduktivität der Spule nach (3.21) ablesen:
U ind = −N Φ̇ = −µo µr
L = µo µr
N 2F
.
l
Der Wechselstromkreis
Ein Stromkreis bestehe aus einer Spule der Induktivität L, einem Kondensator
der Kapazität C, einem Ohmschen Widerstand R und einer Spannungsquelle, über die eine periodische Wechselspannung Ue (t) eingeprägt wird. Für den
Spannungsabfall an den einzelnen Bauteilen findet man:
Kondensator: UC = Q/C
Widerstand: UR = R I
Spule:
UL = −L I˙
37
Nach der Maschenregel muss
Ue − Q/C − LI˙ = R I
gelten. Differenzieren wir erneut und setzen I = dQ/dt, so erhalten wir eine
Differentialgleichung zweiter Ordnung für den Strom I(t):
LI¨ + RI˙ + I/C = U̇e
(3.22)
Für den Fall einer periodischen, eingeprägten Spannung
Ue (t) = U0 cos ωt
wollen wir die Differentialgleichung mit einem komplexen Ansatz lösen, wobei
der Realteil der komplexen Lösung mit der physikalische Lösung identifiziert
wird.
Ue (t) = U0 eiωt → I(t) = I0 eiωt .
Einsetzen in (3.22) liefert
I0 =
iωU0
U0
=
= |I0 | e−iϕ
2
iωR − Lω + 1/C
R + i(Lω − 1/(ωC))
und als physikalische Lösung
I(t) = Re |I0 | ei(ωt−ϕ) = |I0 | cos(ωt − ϕ)
mit
U0
|I0 | = p
R2
+ (ωL −
1/(ωC))2
,
tan ϕ =
ωL − 1/(ωC)
.
R
Hier beschreibt ϕ die Phasenverschiebung des Stromes gegenüber der eingeprägten Spannung.
Ausgehend von der komplexen Schreibweise für I(t) und Ue (t) definieren wir
den komplexen Widerstand
Ẑ =
Ue
U0 iϕ
=
e = Z eiϕ
I
|I0 |
und bezeichnen Z als Impedanz.
Die graphische Darstellung des Stromes |I0 | in Abhängigkeit von der Frequenz
der Wechselspannung zeigt
√ ein typisches Resonanzverhalten. Der Strom wird
maximal für ω = ω0 = 1/ LC. Wir berechnen die Leistung im Wechselstromkreis:
P (t) = [ReU (t)] [ReI(t)]
= U0 cos(ωt) |I0 | cos(ωt − ϕ)
¡
¢
= U0 cos(ωt) |I0 | cos(ωt) cos ϕ + sin(ωt) sin ϕ .
Die zeitlich gemittelte Leistung führt wegen
cos2 (ωt) =
1
,
2
cos(ωt) sin(ωt) = 0
38
auf
1
R
1
P (t) = U0 |I0 | cos ϕ = U02 2
.
2
2
R + (ωL − 1/(ωC))2
Das Vorhandensein einer Kapazität und/oder einer Induktivität im Wechselstromkreis verringert also die Leistungsabgabe durch die Quelle. Für verschwindenden Ohmschen Widerstand (R = 0) wird P = 0. Man spricht in diesem Fall
von einem wattlosen Strom.
Der Schwingkreis
Nachdem wir im vorangegangenen Abschnitt den allgemeinen Wechselstromkreis diskutiert haben, beschränken wir uns nun auf eine Situation ohne äußere
(treibende) Spannungsquelle. Sie kann realisiert werden durch das Aufladen
eines Kondensators. Anschließend wird ein geeigneter Schalter umgelegt, so
dass Widerstand, Kondensator und Spule einen geschlossenen, von der äußeren
Spannungsquelle abgekoppelten Stromkreis bilden. Die zu lösende Differentialgleichung lautet
LI¨ + RI˙ + I/C = 0 .
(3.23)
Der Ansatz I(t) ∼ exp(iΩt) ergibt eine quadratische Gleichung für Ω
−Ω2 L + iΩR + 1/C = 0
mit den Lösungen
r
iR
R2
1
Ω± =
± − 2+
.
2L
4L
LC
√
ω0 = 1/ LC ist die Eigenfrequenz des ungedämpften Schwingkreises. Wir definieren weiter die Dämpfungskonstante γ = R/2L und erhalten
q
Ω± = iγ ± ω02 − γ 2
und für den Strom
µ
¶
q
2
2
I(t) ∼ exp −γt ± it ω0 − γ
.
Aus dem Verhalten des Wurzelterms lassen sich drei verschiedene Lösungstypen
für den Schwingkreis ableiten:
(a) Schwache Dämpfung: ω02 − γ 2 ≡ ω12 > 0
Die Lösung I(t) ∼ e−γt cos(ω1 t) beschreibt eine gedämpfte harmonische Schwingung. Für die zugehörige Spannung (z.B. an der Spule) gilt
¡
¢
UL ∼ I˙ ∼ e−γt −γ cos(ω1 t) − ω1 sin(ω1 t) .
(3.24)
Strom und Spannung sind im Schwingkreis phasenverschoben. Unter der Annahme sehr schwacher Dämpfung lässt sich der erste Summand vernachlässigen
und man erhält
I(t) ∼ cos(ω0 t) ,
UL (t) ∼ sin(ω0 t) .
Der Strom läuft also der Spannung um π/2 hinterher.
39
+π/2
0
L
Winkel φ
R
Ue
-π/2
1.0
I0 [U0/R]
Strom I0
C
γ = 0.25 ω0
0.5
0.0
0.0
0.5
1.0
1.5
2.0
ω/ω0
Abbildung 3: Resonanzverhalten im Schwingkreis mit Induktivität L, Widerstand R√und Kapazität C (siehe rechtes Schema) mit der Resonanzfrequenz
ω0 = 1/ L C. Phasenverschiebung (oben) und Betrag der Stromstärke (unten)
sind als Funktion der eingeprägten Frequenz dargestellt.
(b) Aperiodischer Grenzfall: ω02 = γ 2
Die Differentialgleichung (3.23) lautet hier
I¨ + 2γ I˙ + γ 2 I = 0 .
Zwei linear unabhängige Lösungen sind exp(−γt) und t exp(−γt), und es ergibt
sich
I(t) = e−γt (a + bt) ,
wobei die Koeffizienten a und b durch die Anfangsbedingungen eindeutig bestimmt werden.
(c) Kriechfall: ω02 < γ 2
Hier verläuft der Abfall des Stromes noch langsamer als im aperiodischen Grenzfall, nämlich
I(t) = ae−γ+ t + be−γ− t
p
mit γ± = γ ± ω02 − γ 2 . Wegen
q
γ− = ω02 /(γ + ω02 − γ 2 ) → ω02 /2γ
kann der Zerfall für starke Dämpfung γ beliebig langsam werden!
40
3.3
Elektromagnetische Wellen
Zur Herleitung der homogenen Wellengleichung gehen wir von einem Medium
ohne freie Ladungen und freie Ströme aus. Diese Situation entspricht einem
ungeladenen Isolator. Der Satz der Maxwell-Gleichungen lautet
div D = 0
rot E = −Ḃ
div B = 0
rot H = Ḋ
Betrachten wir ein homogenes Medium, so gelten außerdem die Materialgleichungen
D = ²r ²o E , B = µr µo H .
(3.25)
Die Maxwell-Gleichungen lassen sich damit auf
div E = 0
rot E = −Ḃ
div B = 0
rot B = µr µo ²r ²o Ė
√
umschreiben. Neben µo ²o = 1/c2 führen wir den Brechungsindex N = µr ²r
und die Lichtgeschwindigkeit im Medium c0 = c/N ein. Damit erhalten wir
rot B =
1
Ė .
c02
Auf die Maxwell-Gleichung mit rot E wenden wir erneut die Rotation an. Die
linke Seite liefert
rot rot E = grad |div
{zE} − ∆E ,
=0
die rechte Seite dagegen
−rot Ḃ =
Es muss also
∆E −
1
Ë .
c02
1
Ë = 0
c02
(3.26)
erfüllt sein. Dies ist die homogene Wellengleichung für das elektrische Feld E
in einem Medium mit der Lichtgeschwindigkeit c0 . Eine Ableitung für das magnetische Feld B führt auf den gleichen Ausdruck. Gl. (3.26) wird von jeder
Funktion der Form
f (k · r − ωt)
(3.27)
gelöst, wenn die Dispersionsrelation
ω = ± c0 k
(3.28)
erfüllt ist. Die Lösung (3.27) breitet sich in Richtung des Wellenvektors k mit
der Geschwindigkeit c0 formstabil aus. Die Wellenlänge λ ist mit dem Betrag
des Wellenvektors über
2π
2πc0
λ=
=
k
ω
veknüpft. Für sichtbares Licht im Vakuum liegt die Wellenlänge im Bereich
λ = 0.4 . . . 0.8 µm.
41
Eine spezielle Realisierung von (3.27) sind die ebenen Wellen
E(r, t) = E0 ei(k·r−ωt) ,
B(r, t) = B0 ei(k·r−ωt) .
Sie werden so genannt, weil dabei die Flächen konstanter Phase (k · r − ωt =
const.) durch Ebenen senkrecht zur Ausbreitungsrichtung k gebildet werden.
Eingesetzt in (3.26)
µ
¶
ω2
2
−k + 02 E0 ei(k·r−ωt) = 0
c
erhält man wieder die obige Dispersionsrelation. Es müssen natürlich auch die
Maxwell-Gleichungen erfüllt werden:
div E = 0 −→ E0 · k = 0 ,
div B = 0 −→ B0 · k = 0 .
Das elektrische sowie das magnetische Feld sind senkrecht zur Ausbreitungsrichtung orientiert: Elektromagnetische Wellen sind transversale Wellen. Weiterhin
gilt
rot E = −Ḃ
1
rot B = 02 Ė
c
−→ k × E0 = ω B0 ,
ω
−→ k × B0 = 02 E0 .
c
Die Vektoren k, E0 , B0 bilden in dieser Reihenfolge ein orthogonales rechtshändiges Vektor-Tripel.
Wenn wir die z-Achse in Richtung des Wellenvektors legen, können wir die
Lösung der Wellengleichung als
E(r, t) = ex E0 cos(kz − ωt)
E0
B(r, t) = ey 0 cos(kz − ωt)
c
schreiben.
Polarisation ebener Wellen: Das elektromagnetische Feld hat zwei linear
unabhängige Polarisationsrichtungen. Im Falle der sich in z-Richtung ausbreitenden Welle wären dies Schwingungen in x- bzw. y-Richtung. Die einzelnen,
im allgemeinen komplexen Größen
E0x = |E0x | eiϕ ,
E0y = |E0y |ei(ϕ+δ)
können um eine relative Phase δ verschoben sein. Wir betrachten insbesondere
den Fall einer Phasenverschiebung um δ = ±π/2, oder in anderer Schreibweise
E0y = ±iE0x
−→
E = E0 (ex ± iey ) ei(kz−ωt) .
Das Betragquadrat des komplexen Feldes ist
|E|2 = Ex2 + Ey2 = |E0x |2 = const.
42
Von physikalischer Relevanz ist lediglich der Realteil:
£
¤
ReE = E0x ex cos(kz − ωt) ∓ ey sin(kz − ωt) .
Der elektrische Feldvektor beschreibt hier also eine Schraubenbahn um die
Ausbreitungsrichtung. Man bezeichnet diese Situation als zirkular polarisiertes
Licht, wobei E0y = iE0x einer Rechtsdrehung und E0y = −iE0x einer Linksdrehung des Feldvektors entspricht. In der Regel sind die Beträge von E0x und
E0y verschieden, und der Phasenwinkel kann beliebige Werte annehmen. Man
spricht allgemein von elliptisch polarisiertem Licht – lineare bzw. zirkulare Polarisation sind Spezialfälle.
3.4
Reflexion und Brechung
Bevor wir das Reflexionsgesetz und das Brechungsgesetz ableiten, soll das Verhalten des elektromagnetischen Feldes an der Grenzfläche zwischen zwei verschiedenen Medien untersucht werden. Vereinfachend nehmen wir an, dass weder Ladungen noch Ströme in der Grenzfläche vorhanden sind (σ = 0, j = 0).
Ausgehend von der Integraldarstellung des Faradayschen Induktionsgesetzes
(3.1) integrieren wir über eine infinitesimale Fläche ∆F = ∆l × ∆n. Für die
linke Seite ergibt sich
Z
Ḃ1 + Ḃ2
,
− df · Ḃ = −∆F
2
∆F
und für die rechte Seite
Z
dr · E = ∆l · (E1 − E2 ).
S(∆F )
Die Beiträge der Integration längs ∆n und −∆n haben sich kompensiert. Nun
lassen wir die Länge des Wegelements ∆n senkrecht zur Grenzfläche gegen Null
gehen. Damit verschwindet auch ∆F , und wir erhalten für beliebiges ∆l
∆l · (E1 − E2 ) = 0 .
Das Skalarprodukt entspricht einer Projektion des Feldvektors auf die Grenzfläche, identisch mit der Tangentialkomponente des Feldes. Wir folgern daher,
dass die Tangentialkomponente von E beim Durchtritt durch eine Grenzfläche
stetig ist.
Aus den verbleibenden Maxwell-Gleichungen lassen sich nach ähnlichen Überlegungen weitere Bedingungen für das Verhalten an einer Grenzfläche ableiten.
Sie lauten
Die Tangentialkomponenten von E und H sind stetig.
Die Normalkomponenten von D und B sind stetig.
Die zweite Zeile ergab sich aus div D = 0 und div B = 0.
43
ko
kr
N1
a1
N2
a2
kt
Abbildung 4: Reflexion und Brechung: Ausbreitungsvektoren von elektromagnetischen Wellen beim Übergang vom optisch dünnen zum dichteren Medium
(N2 > N1 ).
Reflexions- und Brechungsgesetz
Eine aus dem Medium 1 kommende Welle wird an der Grenzfläche zum Medium 2 teilweise reflektiert und teilweise gebrochen. Wir wollen dabei annehmen,
dass für die Brechungsindizes N2 > N1 gilt. Für ebene Wellen erhalten wir
Medium 1:
E1 = Eo ei(ko r−ωt) + Er ei(kr r−ωt) ,
Medium 2:
E2 = Et ei(kt r−ωt) .
Aus den Stetigkeitsbedingungen folgte, dass die Frequenz der elektromagnetischen Welle in beiden Medien übereinstimmen muss! Daraus ergibt sich
kr = ko = N1
ω
,
c
kt = N2
ω
.
c
Wegen der Translationsinvarianz entlang der Grenzfläche sind alle Felder periodisch gegenüber Verschiebungen in der Grenzfläche. Deshalb müssen die Projektionen aller drei Vektoren auf die Grenzfläche übereinstimmen. Ohne Beschränkung der Allgemeinheit wählen wir das Koordinatensystem so, dass die
Grenzfläche von der x-y-Ebene gebildet wird und der Wellenvektor ko der einfallenden Welle in der x-z-Ebene liegt. Dann gilt
kox = krx = ktx ,
koy = kry = kty = 0 ,
d.h. alle Wellenvektoren liegen in der Einfallsebene. Aus geometrischen Überlegungen lässt sich
kox = krx , koz = −krz
und damit das Reflexionsgesetz ableiten: Einfalls- und Reflexionswinkel sind
gleich. Aus
kox = ko sin α1 = ktx = kt sin α2
44
gewinnt man das Brechungsgesetz
sin α1
kt
N2
=
=
sin α2
ko
N1
(3.29)
Senkrechter Einfall
Für den Spezialfall, dass die elektromagnetische Welle aus dem Vakuum senkrecht auf die Grenzfläche trifft (ko,r,t kez ), sollen noch die Beziehungen zwischen
den Amplituden des elektrischen Feldes abgeleitet werden. Da alle Felder tangential sind, muss auf der Grenzfläche die Stetigkeit
E2 = E1 :
Et = Eo + Er
(3.30)
gelten, ebenso für H. Für den häufig vorkommenden Fall, dass im Medium
µr = 1 gilt, ergibt sich auch B1 = B2 . Wir berechnen die Rotation der ebenen
Wellen im Vakuum und im Medium:
rot E1 = i(ko × Eo ) + i(kr × Er ) = iω B1 ,
rot E2 = i(kt × Et ) = iω B2 .
Wegen B1 = B2 können wir beide Gleichungen gleichsetzen und erhalten mit
ki × Ei = ki Ei (senkrechter Einfall)
ko Eo + kr Er = kt Et .
Weiter gilt kr = −ko und kt = N ko , womit wir
N Et = Eo − Er
(3.31)
erhalten. Addition und Subtraktion der beiden Gleichungen (3.30) und (3.31)
führt auf
1−N
2
Eo , Er =
Eo .
Et =
1+N
1+N
Als Transmissions- bzw Reflexionsvermögen wird das entsprechende Amplitudenverhältnis bezeichnet:
¯ ¯ ¯
¯ ¯ ¯
¯
¯
¯ Er ¯ ¯ 1 − N ¯
¯ Et ¯ ¯ 2 ¯
¯, R=¯ ¯=¯
¯
T = ¯¯ ¯¯ = ¯¯
¯ Eo ¯ ¯ 1 + N ¯ .
Eo
1+N¯
Die Absolutstriche müssen hier stehen, weil der Brechungsindex im allgemeinen
eine komplexe Größe ist, die von der Frequenz abhängt: N (ω) = n(ω) + ik(ω).
3.5
Dipolstrahlung
Bewegte Ladungen und Ströme erzeugen zeitabhängige Felder, die sich als elektromagnetische Wellen fortpflanzen. Wir wollen den einfachsten Fall behandeln,
nämlich das Fernfeld eines oszillierenden Dipols im Vakuum. Ladungsdichte und
45
Stromdichte sollen streng periodisch mit der Freuqenz ω oszillieren, wie es z. B.
in einem Schwingkreis realisiert werden kann:
ρ(r, t) = ρ0 (r) e−iωt ,
j(r, t) = j0 (r) e−iωt .
(3.32)
Einsetzen in das skalare Lienard-Wiechert-Potential (3.17) erzeugt im Integranden wegen der Retardierung den Faktor exp(−iω(t − |r − r0 |/c)). Das Potential
oszilliert also ebenfalls mit exp(−iωt), und für die zeitfreie Amplitude ϕ0 (r)
erhalten wir
Z
1
ρ0 (r0 ) ik|r−r0 |
ϕ0 (r) =
d3 r 0
e
,
(3.33)
4π²o
|r − r0 |
wobei die Wellenzahl k = ω/c eingeführt wurde. Wir interessieren uns für das
Verhalten im Fernfeld: Wenn r groß gegenüber der Ausdehnung des Emitters
(r0 -Integrationsgebiet) ist, können wir |r − r0 | ⇒ r − er · r0 nähern und haben
¡
¢
0
0
eik|r−r | ⇒ eikr e−iker ·r ⇒ eikr 1 − ik er · r0 .
Bei der letzten Näherung haben wir noch kr0 ¿ 1 vorausgesetzt, was gerechtfertigt ist, wenn der Emitter klein gegenüber der Wellenlänge λ = 2π/k ist. Von
der Entwicklung des Nenners in (3.33) nehmen wir nur den ersten Term mit,
also 1/r. Damit gewinnen wir
Z
¡
¢
1 eikr
d3 r0 ρ0 (r0 ) 1 − ik er · r0 .
ϕ0 (r) =
4π²o r
Der erste Term (Gesamtladung) ist Null, denn aus der Kontinuitätsgleichung
(2.3) erhalten wir jetzt
div j0 (r) = iωρ0 (r) ,
und das Integral über div j0 verschwindet nach dem Gauß-Satz. Deshalb trägt
erst der zweite Term mit dem Dipolmoment p0 bei,
Z
1 eikr
(−ik) er · p0 ,
p0 = d3 r r ρ0 (r) .
(3.34)
ϕ0 (r) =
4π²o r
Wir verfahren ganz analog mit dem Vektorpotential (3.19) und erhalten
Z
¡
¢
µo eikr
d3 r0 j0 (r0 ) 1 − ik er · r0 .
(3.35)
A0 (r) =
4π r
Hier beschränken wir uns sogar auf den ersten Term, der mit Überlegungen
ähnlich (2.26) umgeformt werden kann:
Z
Z
Z
3
3
d r j0 (r) = − d r r div j0 (r) = −iω d3 r r ρ0 (r) = −iω p0 .
Damit ergibt sich eine Form des Vektorpotentials, die ganz ähnlich zu (3.34)
ist:
1 eikr
A0 (r) =
(−ik)p0 .
(3.36)
4π²o c r
µo wurde dabei durch ²o µo = 1/c2 eliminiert.
46
z
E
δδ
r
p
Abbildung 5: Abstrahlung eine Dipols p: Das elektrische Feld E liegt in der pr-Ebene, während das B-Feld senkrecht dazu steht. Die Beträge folgen der typischen Dipol-Charakteristik ∝ sin ϑ (ausgezogene Kurve im Polardiagramm).
Der Betrag des Energieflusses (Poynting-Vektor, ∝ sin2 ϑ) ist gestrichelt dargestellt.
Jetzt berechnen wir die elektromagnetischen Felder. Aus (3.9) wird
E0 (r) = −∇ϕ(r) + iωA0 (r) .
Wenn der Gradient auf (3.34) angewendet wird, kommt die führende Potenz in
1/r aus
∇eikr = eikr ik er ,
und wir erhalten
E0 (r) =
k 2 eikr
k 2 eikr
(p0 − (er · p0 )er ) =
(er × p0 ) × er ,
4π²o r
4π²o r
(3.37)
wobei wieder einmal (a × b) × c = b(a · c) − a(b · c) gebraucht wurde. Die
Berechnung der magnetischen Induktion beginnt mit
B0 (r) = rot A0 (r)
und benutzt
rot (f (r) p0 ) = f 0 (r)(er × p0 ) .
Wieder liefert in f (r) = exp(ikr)/r die Ableitung der Exponentialfunktion den
führenden Anteil, und das Ergebnis lautet
B0 (r) =
k 2 eikr
(er × p0 ) .
4π²o c r
(3.38)
Die beiden Feldvektoren bilden also mit dem Ortsvektor ein orthogonales Vektortripel, und wir erhalten die saubere Form einer elektromagnetischen Kugelwelle. Der Ausbreitungsvektor liegt in Richtung des Ortsvektors, und für
sehr große Abstände ergibt sich lokal eine ebene Welle. Allerdings hängt die
47
Intensität dieser Wellen in charakteristischer Weise von der Orientierung zum
Dipolvektor ab. Wenn wir diesen in z-Richtung legen, haben wir
c |B0 (r)| = |E0 (r)| =
k 2 eikr
p0 sin ϑ .
4π²o r
(3.39)
Man beachte, dass die Absolutstriche hier die Länge der (komplexen) Feldvektoren bedeuten. Physikalische Bedeutung haben nur die jeweiligen Realteile. Wie in Fig. 5 zu sehen, ist die Ausstrahlung senkrecht zur Dipolachse am
stärksten, während in Achsenrichtung des Dipols kein Feld emittiert wird. Diese Richtungsabhängigkeit muss z.B. beachtet werden, wenn man eine Antenne
bezüglich eines Senders optimal ausrichten will.
Energietransport in Wellenfeldern
Ohne Darstellung des Beweises geben wir an, dass für den Energietransport
eine Kontinuitätsgleichung gilt:
div S + ẇ = −j · E .
(3.40)
Dabei sind die Energiedichte w und die Energiestromdichte S durch
w=
1
(H · B + E · D) ,
2
S=E×H
definiert. Deren lokale Gesamtänderung erzeugt Joulesche Wärme (rechte Seite
von (3.40)). Im vorliegenden Fall ist der Poynting-Vektor S durch
S(r, t) =
¡
¢
¡
¢
1
Re E0 (r)e−iωt × Re B0 (r)e−iωt
µo
gegeben, er hat die Richtung des Ortsvektors. (Für ebene Wellen liegt er in
Ausbreitungsrichtung k.) Der Betrag von S ergibt sich mit (3.39) zu
1
|S(r, t)| =
µo c
µ
¶2
k 2 cos(kr − ωt)
p0 sin ϑ
.
4π²o
r
Im Zeitmittel kann cos2 ⇒ 1/2 ersetzt werden, und wir erhalten
S(r) =
k 4 p20 c sin2 ϑ
.
32π 2 ²o r2
Die Integration über den vollen Raumwinkel r2 2π sin ϑdϑ ergibt 4/3 für das
ϑ-Integral, insgesamt also für den totalen ausgestrahlten Energiefluss
Stot =
k 4 p20 c 8π
ω 4 p20
=
.
32π 2 ²o 3
12π²o c3
Charakteristisch ist die starke Frequenzabhängigkeit mit ω 4 .
48
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