Es gibt sie tatsächlich – afrikanische Chamäleons in Europa. Aber die kleine griechische Population ist in ihrem Bestand stark gefährdet und nur gerade zwischen 200 und 700 Tiere existieren noch. Text und Fotos: Benny Trapp I n Europa leben zwei unterschiedliche Chamäleon-Arten. Neben dem Europäischen Chamäleon (Chamaeleo chamaeleon), welches ausserhalb Nordafrikas in Spanien, Portugal, Süditalien (Sizilien), der Türkei und auf einigen griechischen Inseln beheimatet ist, lebt 32 Natürlich | 10-2004 das Afrikanische Chamäleon (Chamaeleo africanus) auf dem griechischen Festland. Die Unterscheidung der Arten ist für den Laien schwer, doch wird Chamaeleo africanus mit Gesamtlängen von über 40 Zentimetern wesentlich grösser als die verwandte Art. Die helmförmige Aufwöl- bung auf dem Hinterkopf ist weiterhin höher und zumindest während der Trächtigkeit lassen sich die Weibchen anhand ihrer auffällig türkis-gelb gestreiften Färbung eindeutig bestimmen. Gattungstypisch sind Chamäleons bekanntermassen in der Lage, ihre Körperfärbung zu verändern, und können diesen physiologischen Farbwechsel innerhalb weniger Sekunden vornehmen. Die Grundfarbe schwankt jedoch im Allgemeinen zwischen grünen, gelbgrünen und braunen bis braungrauen Tönen. Im Laufe der Evolution hat sich die Anpassung der Körperfarbe an die Umgebung als erfolgreiche Überlebensstrategie bewährt, doch kommen in unseren Tagen ganz andere Probleme auf diese fantastischen Lebewesen zu. Reportage NATUR Gefahren lauern für die kleine Gruppe überall: Hier in Griechenland gehen sie nicht zuletzt vom Fremdenverkehr aus, der in diesem Gebiet in den letzten Jahren untragbare Ausmasse angenommen hat. Während der Schlupf- und Eiablagezeit stellen Erholung Suchende, wenn auch unbewusst, eine grosse Gefahr für das Überleben der Art dar. Wie in wichtigen Vogelbrutgebieten, für dessen zeitweise Sperrung ein jeder Verständnis hat, müsste auch das Kerngebiet der Eiablageplätze seltener Reptilien zur Brutzeit völlig unter Schutz gestellt werden. Denn sollte der ständig zunehmende Badetourismus nicht auf vernünftige Weise in die Schranken geweisen werden können, ist das Afrikanische Chamäleon auf lange Sicht vermutlich nicht mehr zu retten und wird schon bald von unserem Kontinent verschwunden sein. Heftige Revierkämpfe Nach einer mehrmonatigen Winterruhe, während der die Tiere regungslos im dichten Buschwerk verharren, werden die Chamäleons im zeitigen Frühjahr aktiv. Es sind vor allem Jungtiere, die im Vorjahr geschlüpft sind und nun zu wachsen beginnen, um noch im gleichen Jahr geschlechtsreif zu werden. Im Allgemeinen kann zwar von einer Lebenserwartung von 3 bis 4 Jahre ausgegangen werden, doch überlebt ein Grossteil der ausgewachsenen Chamäleons den harten Winter in der freien Wildbahn nicht. Schon bald beginnen sie eigene Reviere zu bilden, sodass in den meisten Sträuchern, Büschen und Bäumen immer nur jeweils ein Tier zu finden ist. Dabei gehen rivalisierende Tiere oft energisch gegeneinander vor und es kann vor allem zur Paarungszeit in den Monaten August bis September unter den Männchen zu erbitterten Kämpfen kommen. Auf der Partnersuche verlassen sie ihre sicheren Verstecke und werden dann ausnahmsweise auch auf dem Erdboden angetroffen. Dabei legen die sonst standorttreuen Tiere weite Strecken auf dem für sie fremden Boden zurück. 11 Monate Brutdauer Zwischen September und Oktober begeben sich auch die Weibchen aus ihrer sicheren Umgebung auf den Grund, in den sie je nach Körpergrösse und Konstitution zwischen 20 und 90 Eier vergraben. Bereits in den frühen Morgenstunden beginnen sie damit, die bis zu 50 Zentimeter langen Röhren schräg nach unten in den lockeren Sand zu graben, bis eine Tiefe von etwa 30 Zentimetern unter der Oberfläche erreicht ist. Nur wenige Tiere stellen das Nest noch am gleichen Tag fertig. Die meisten übernachten in der Niströhre. Nach der Eiablage und dem Verschliessen des Geleges liegen sie oft noch lange Zeit erschöpft vor dem Nest und bewegen sich oft erst nach Stunden langsam und vorsichtig wieder in das sicherere Buschwerk. Die für europäische Chamäleons können innerhalb weniger Sekunden ihre Körperfarbe wechseln. Seltenstes Wirbeltier Europas Das kleine Vorkommen der Art beschränkt sich auf einen etwa 4000 mal 300 Meter breiten Küstenstreifen im Südwesten des griechischen Festlands. In diesem Bereich ist das ungewöhnliche Reptil, das derzeit zu einem der seltensten Wirbeltiere unseres Kontinents gehört, noch relativ häufig anzutreffen. Die hohe Individuendichte bei tatsächlich aber geringer Stückzahl mag darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei diesen Tieren um die Einzigen und Letzten ihrer Art in Europa handelt und bereits geringfügige Veränderungen des Lebensraums oder andere Einflüsse den sofortigen Zusammenbruch der gesamten Population zur Folge haben können. NATUR Reportage Nach dem Schlüpfen (rechts) erklimmen Chamäleons instinktiv den nächstgelegenen Halm oder Ast und klammern sich an. Sie sind so eine ideale Beute für Räuber. Reptilien ungewöhnlich lange Brutdauer der Eier lässt die Jungtiere erst 11 Monate später, also zwischen August und September oder spätestens Anfang Oktober des darauf folgenden Jahres, schlüpfen. Die Eier liegen also den gesamten Winter über im Boden und beginnen sich erst in den Sommermonaten, sobald genügend Sonnenstrahlen den Boden erwärmen, richtig zu entwickeln. Freiwillige Helfer behüten Jungtiere Nicht berühren: junge Chamäleons sind mit einem Gramm Schlupfgewicht sehr empfindlich. Der Schlupf bahnt sich üblicherweise am späten Nachmittag oder abends an und es kann einige Zeit dauern, bis das letzte Chamäleon den Weg ins Freie gefunden hat. Deshalb fällt die Suche nach einem geeigneten Schlafplatz in der Regel in die Nachtstunden, in denen sich die eigentlich tagaktiven Echsen mehr tastend als sehend orientieren müssen. Die gerade mal 5 bis 6 Zentimeter langen und etwa 1 Gramm schweren Jungtiere suchen umgehend den nächstgelegenen Ast oder Halm auf und erklimmen diesen instinktiv bis zu dessen höchstgelegenem Punkt. Dabei handelt es sich häufig um niedrige, dem Schlupfloch nahe gelegene Gräser, an denen sie sich in der ersten Nacht versammeln. So sitzen sie bis zum Morgengrauen gemeinschaftlich und dabei mehr oder weniger wehrlos auf einer kleinen Fläche zusammen. Zu diesem Zeitpunkt ist der Schlupferfolg eines ganzen Geleges gefährdet. An dieser Stelle beginnt die Arbeit der freiwilligen Helfer, die jedes Jahr aus allen möglichen Nationen nach Griechenland strömen, um am Schutz der liebenswerten Reptilien teilzuhaben. Unter normalen Umständen wäre ein Eingriff in das natürliche Verhalten tunlichst zu vermeiden. Leider wird der Chamäleons benötigen Hilfe Jedes Jahr werden freiwillige Helfer gesucht, die in den Monaten Juli, August, September und Oktober mitarbeiten wollen. Die Mindestaufenthaltsdauer sollte 4 Wochen betragen, optimal wären 2 oder Chamäleons im Müll entsorgt Eiablageplatz der Chamäleons auch intensiv als Badestrand genutzt. Gerade daraus entstehen unzählige Gefahren, mit denen Mutter Natur nicht rechnen konnte. Gefahrenherd Tourist Um die winzigen und unscheinbaren Tiere vor Spaziergängern, streunenden Haustieren wie Hunden oder Katzen, mitgeführten Hunden oder durch den Geruch von Essensresten und Müll angelockten Ratten, Mardern und Füchsen zu schützen, verteilen Helfer die frisch geschlüpften Tiere nach der Zählung und Geschlechtsbestimmung auf die nur wenige Meter weiter gelegenen und für sie sicheren Büsche. Der Verlust eines einzigen Geleges würde bei einer Gesamtzahl von 40 bis maximal 150 Nestern pro Saison einen katastrophalen Einbruch in den Bestand der letzten griechischen Chamäleons bedeuten. Daher werden die bekannten Nester über den gesamten Zeitraum von Juli bis Oktober mehrmals täglich kontrolliert und bewacht. Bereits vor der Schlupfzeit haben die Helfer des Projekts alle Hände voll zu tun. Der gesamte Strandbereich und bevorzugter Eiablageplatz ist ein beliebtes Ziel für Wildcamper. In älteren Campingführern ist er gar als optimaler Zeltplatz für Sparsame empfohlen. Die deutlichen Spuren aus früheren Zeiten sind unter anderem in der Verwüstung der Vegetation, des eigentlichen Lebensraums der Reptilien, zu erkennen. Fehlende Aborte werden immer noch im Buschwerk geschaffen und tonnenschwere Campingwagen erschweren den Neuwuchs an freien oft bereits zerstörten Flächen. Über den Nestern aufgestellte Zelte oder Wohnwagen verhindern durch ihren Schattenwurf die nötige Erwärmung der Nester, sodass die Eier absterben. Mühevoll aufgestellte und nicht zuletzt kostspielige Holzpoller und Schilder, die verhindern sollen, dass der Strandbereich befahren wird, werden herausgerissen und nicht selten sogar für abendliche Lagerfeuer missbraucht. So müssen Uneinsichtige trotz eigentlich ausreichender Beschilderung allabendlich persönlich auf das Campingverbot im Schutzgebiet aufmerksam gemacht werden, was jede Menge Zeit und Arbeit kostet. Zu den weiteren Aufgaben der Mitarbeiter gehört auch die allgemeine Bewachung des Gebietes. Eine grosse Zahl der geschützten Chamäleons wird für die Terraristik gefangen und illegal in griechischen Zoogeschäften verkauft oder für den westeuropäischen Handel exportiert. In den letzten Jahren belegen etliche Funde diese Praxis. Funde, die auch offenbaren, mit welcher Verantwortungslosigkeit versucht wird, auf Kosten der Natur und seltener Pflanzen oder Tiere Profit zu schlagen. So sei hier der Fund eines Stoffbeutels in einem Mülleimer des Athener Flughafens genannt. Darin befanden sich neben einer Sandboa, die ebenfalls im Schutzgebiet vorkommt, einige noch lebende Exemplare des seltenen Chamäleons. Offensichtlich war die Angst vor der Kontrolle so gross, dass der Käufer sich entschloss, die Tiere auf diese Art zu entsorgen. Eine ganzjährige Bewachung des Gebietes ist bislang aus organisatorischen und finanziellen Gründen nicht möglich, doch hat die Anwesenheit der freiwilligen Naturschutzwarte während der Sommermonate schon manche Entnahme von Chamäleons und anderen gefährdeten Arten wie auch Landschildkröten aus diesem Gebiet verhindern können. Seit der letzten Saison setzen die Freiwilligen deshalb auf eine 24-stündige Bewachung und optimierten die Beziehungen zur örtlichen Polizei. Erfreulicherweise sind diese Beziehungen zur Polizei vor allem seit dem letzten Jahr überaus gut. 3 Monate (auch kurzfristige Anmeldungen können angenommen werden). • Voraussetzung sind das Interesse am Naturschutz und ein Mindestalter von 18 Jahren. Für Studenten können Zeugnisse ausgestellt werden. • Unterbringung ist auf einem sauberen Campingplatz am Rande des Gebietes. Zelte sind wenn möglich mitzubringen, Kost und Logis müssen selbst getragen werden. • Für die Zeit des Aufenthalts fällt eine Versicherungssumme von 60 Euro an. Interessenten können sich unter Angabe ihrer Festnetznummer per E-Mail bei [email protected] melden. Verständnis und Zuneigung reichen leider nicht. Der Schutz der Chamäleons kostet auch Geld! Bankverbindung für Spenden: DGHT-Spendenkonto Stichwort «Chamäleon» BLZ 320 513 70, Konto 315 200. Opfer der Strasse Ein schwer wiegendes Problem ist die erst vor wenigen Jahren fertig gestellte Strasse, die mitten durch das Gebiet führt und entlang des Strandbereichs den SommerLebensraum von den Eiablageplätzen trennt. Sie führt über etwa 3 Kilometer zu einer provisorischen Strandtaverne, die Natürlich | 10-2004 35 Reportage NATUR Rund 10 Prozent der gesamten griechischen Population der afrikanischen Chamäleons fällt jährlich dem Verkehr zum Opfer. mitten im Schutzgebiet steht und deren offizielle Genehmigung für die Umweltschützer ein grosses Fragezeichen darstellt. Dementsprechend fallen hier neben unzähligen Land- und Sumpfschildkröten, Echsen und Schlangen jährlich Dutzende Chamäleons dem Strassenverkehr zum Opfer. Bisherige Untersuchungen ergaben, dass jährlich etwa 10 Prozent der Gesamtpopulation Opfer der Strasse werden. Schon beim Überrollen mit erhöhter Geschwindigkeit entsteht unter Fahrzeugen ein Unterdruck, der die Lungen der Tiere zum Platzen bringen kann. So liegen auf dem Asphalt immer wieder auch tote Reptilien, die nicht die geringsten äusseren Verletzungen aufweisen. Selbstverständlich werden – wie nirgendwo in Griechenland – auch in diesem Bereich keine Geschwindigkeitsbegrenzungen eingehalten. Selbst offiziell aufgestellte Schilder werden immer wieder durch Sprühfarbe oder Schrotschüsse unkenntlich gemacht. Der einzig sinnvolle Vorschlag, den Verkehr mit Schwellen zu beruhigen, wurde bisher von der zuständigen Behörde abgewiesen. Zur Information der Besucher und Finanzierung des Projektes führt die Schutzgruppe seit einigen Jahren einen Informationsstand an dem neben dem Verkauf von Büchern, Postkarten und dergleichen auch immer wieder Helfer angeworben oder interessante Kontakte geschmiedet werden. Der eigentlich von der Region Messinien genehmigte Infostand, benötigt zusätzlich die Bewilligung des Bürgermeisters von Pylos. Aus fadenscheinigen Gründen verweigert dieser jedoch den Stand und blockiert somit alle Bemühungen der griechischen Umweltorganisationen. Auf die Anfrage des ansässigen Mitarbeiters Niko Liberopoulos, den InfoKiosk am Hafen oder Strand aufstellen zu dürfen, bekam er als offizielle Antwort des Bürgermeisters Karakaidos, dass Umweltschutzorganisationen jeder Art in seinem Amtsbereich nicht erwünscht seien und sie – frei übersetzt – sich zum Teufel scheren sollen. ■ Viel Arbeit für Naturschützer Gegen Mitte bis Ende September überschnei- achten die Helfer, wie weit die Grabtätigkeiten ruhenden Muttertiere und entlassen sie in den sich Schlupf- und Eiablagezeit, sodass nun des Weibchens bereits fortgeschritten sind. den nächstgelegenen Busch. Die an der Ober- die meiste Arbeit für die Naturschützer anfällt. Sobald festgestellt ist, dass ein Gelege tief fläche befindlichen, bis dahin nur durch Neben den Eiablageplätzen im Strandbereich genug gegraben ist und das Weibchen sich im Gestrüpp und Ähnliches getarnten Gitter erkennen einige Weibchen jährlich die Vorzüge Inneren des Gangs befindet, sichern die Helfer werden zum Abschluss etwa 20 Zentimeter des lockeren Bodens der illegal bewirtschafte- dieses mit Metallgittern. Somit verhindern sie, über den Eiern im Boden vergraben und mit ten Felder inmitten des Schutzgebietes. Da dass grabende Hunde, Marder und Füchse das langen Metallhaken verankert, sodass ein diese aber jährlich bis zu zweimal umgegraben Weibchen noch im Gelege erbeuten können. guter Schutz für die 11 Monate dauernde Brut- werden, haben Gelege hier nicht die geringste Die Maschen der Gitter sind gross genug, dass phase gewährleistet ist. Überlebenschance. Also müssen solche Gelege die Chamäleons mühelos hindurchpassen, Im Jahr 2003 konnten von den freiwilligen Mit- komplett entnommen und an optimalen Stellen Angreifer jedoch nicht nahe genug an die arbeitern über 90 neue Chamäleon-Nester auf vorsichtig wieder eingegraben werden. Ein Job, Muttertiere rankommen. Jeder Nesteingang diese Weise gesichert werden, aus denen bis der Fingerspitzengefühl und besondere Vor- muss grossflächig mit solchen Gittern abge- Ende September 2004 648 männliche und 659 sicht erfordert, damit die empfindlichen Eier deckt werden, damit sich Marder und andere weibliche Jungtiere aus 48 Nesterngeschlüpft weder beim Ausgraben noch beim Transport Raubtiere nicht unter ihnen durchgraben sind. Bereits vor ihrer Entdeckung fielen im Jahr Schaden erleiden. können. Direkt über dem Eingang befestigen 2003 drei Gelege je einem Steinmarder, Fuchs Zunächst einmal aber müssen die Nester über- Helfer zusätzlich einen Käfig aus dem gleichen und Hund zum Opfer. Es wurden jedoch auch haupt entdeckt werden. Dazu ist es notwendig, Material, der den Abstand zum grabenden Tier Grabspuren von eben diesen Eierdieben gefun- die Umgebung mehrmals täglich nach vergrössert und somit als zusätzlicher Schutz den, die an die bereits verankerten Schutzgitter grabenden Weibchen abzusuchen. Mit geübtem für das weibliche Chamäleon dient. stiessen und daraufhin erfolglos aufgegeben Blick entdeckt man die Tiere bereits auf einige Am Morgen nach der Eiablage vermessen die hatten. Der Aufwand, den die Helfer betreiben, Distanz. Aus entsprechender Entfernung beob- Tierschützer die meist vor dem Bruttunnel hat sich in diesen Fällen gelohnt. Natürlich | 10-2004 37