Die albanische Minderheit in Mazedonien im Kontext des EU Beitritts Hamburg, den 8. Oktober 2010 Margot Reis Eckdaten: Die Albaner in Mazedonien Volkszählung 2002: – 25,2 % ethnische Albaner in Mazedonien Hauptsächlich in Westmazedonien: – Tëtovo (70,32%), Gostivar (66,68%), Diber / Debar (57,07%), Struga (56,85%) – Kumanovo (25,87%), Skopje / Shkup (Saraj, Cair, Sutka, Aracinovo) Problem Ein autoritäres Regime kann ethnische Konflikte mit Gewalt unterdrücken, aber in einer Demokratie haben ethnische Minderheiten Anspruch auf Beteiligung (« Inklusion », Dahl 1971). Wie kann man die Probleme lösen, die mit der Stabilisierung eines jungen multiethnischen Staates einhergehen ? Was ist in Mazedonien in Bezug auf die albanische Minderheit seit 1991 passiert ? Plan Minderheiten und Minderheitenschutz 2. Mazedonien nach 1991 3. EU-Beitritt und albanische Minderheit 1. 1. Minderheiten und Minderheitenschutz 1. Minderheiten und Minderheitenschutz Staat und Nation Staat: Staatsbürger und ihre Institutionen, politische Gemeinschaft => state-building Nation: eine soziokulturelle Gemeinschaft, die einen Staat haben will => nation-building Ethnie: eine soziokulturelle Gemeinschaft, die keinen Nationalstaat haben will (theoretisch) Nationalität / narodnost (jug.), nationalnost (mk.): « Heimat » ausserhalb von VR Jugoslawien VS. narod als staatstragendes Volk in einer Republik 1. Minderheiten und Minderheitenschutz Minderheit Was ist eine Minderheit ? 1. 2. 3. 4. 5. 6. Andere stabile Traditionen / Merkmale als die Mehrheit Selbstbewusstsein als Minderheit Wille, die Traditionen zu pflegen Genug Minderheitsangehörige Staatsangehörigkeit des Aufenthaltlandes (Europarat 1993) Loyalität dem Aufenthaltstaat gegenüber (?) (Untersuchungsausschuss der Kommission für Menschenrechte der UNO, 1950) 7. Recht auf Anerkennung als Minderheit ? 1. Minderheiten und Minderheitenschutz Mehrvölkerstaaten Nationalstaat Nationalitätenstaat (Minderheit > 10%) Mehrvölkerstaat / Vielvölkerstaat (Minderheit > 10%, Mehrheit < 50%) Multiethnische und multinationale Staaten … und Mazedonien ? Wo verlaufen die Grenzen zwischen Gruppen ? Religion ? Sprache ? Politischer und symbolischer Wettbewerb 1. Minderheiten und Minderheitenschutz Minderheitsrechte Individuelle Rechte z.B. Nichtdiskriminierung, Kulturpflege, eigene Sprache benutzen Kollektive Rechte / Gruppenrechte – Territorialautonomie Selbstverwaltung in Minderheitsregionen, ev. Bundesstaat Aber: neue Minderheit, Entfremdung, keine kompakte Siedlung – Personenautonomie Vertreter auf lokaler oder zentraler Ebene – Kulturautonomie Selbstverwaltung für Kultur, Bildung (Minderheitsschulen) 1. Minderheiten und Minderheitenschutz Minderheitsschutz - international Internationale Abkommen – z.B. UNO, aber wenig verpflichtend – KSZE/OSZE: Spillover-Mission seit 1992, Rolle bei der Streit um eine albanischsprachige Universität (South East European University) Keine bilaterale Verträge Europarat: – – – Europäische Menschenrechtskonvention (nie benutzt) Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten Paraphiert, aber nicht ratifiziert: Charta für Regional- und Minderheitssprachen, Übereinkommen bzg. Staatsangehörigkeit EU-Ebene 1. Minderheiten und Minderheitenschutz Minderheitsschutz in der EU EU-Aussenpolitk – Anerkennung neuer Staaten in Jugoslawien – Externe Demokratieförderung – Positive Konditionalität EU-Beitrittspolitik – Kopenhagener Kriterien (1993): Demokratische Institutionen, Rechtstaatlichkeit, Menschenrechte, Respekt und Schutz ethnischer Minderheiten, funktionierende Marktwirtschaft, Bereitschaft zur Umsetzung der EU-Rechtstexten (acquis communautaire) – Beitrittskonditionalität EU-Innenpolitik – Antidiskriminierungsprogramme, aber wenig rechtlich bindender Inhalt (vgl. Frankreich, Griechenland) 2. Mazedonien nach 1991 2. Mazedonien nach 1991 Demokratische Transformation Autoritäre Regime Liberalisierung Demokratisierung Konsolidierung Konsolidierte Demokratie 2. Mazedonien nach 1991 Minderheiten und Konsolidierung Zentralthese: Konsolidierung erst möglich, wenn Konsens zwischen den Volksgruppen über die Grundtruktur des Staates besteht (Linz und Stepan 1996). 2. Mazedonien nach 1991 Demokratische Transition in Mazedonien Referendum über Unabhängigkeit: 8. September 1991, Unabhängigkeit eine Woche später Albanischer Boykott bei Referendum und Verabschiedung der Verfassung Im Vergleich zu anderen Ländern auf dem Balkan « ruhig » bis Flüchtlingskrise im Rahmen des KosovoKonflikt 1999, Konflikt in Mazedonien 2001 Neue Ordnung des Staates 2. Mazedonien nach 1991 Die albanische Parteien in Mazedonien PDP / PPD Partija za demokratski Prosperitet / Partia e prosperiteti demokratike / Partei für demokratische Prosperität DPA / PDSh Demokratska Partija na Albancite / Partia Demokratike Shqiptare / Albanische Demokratische Partei NDP / PDP Narodna Demokratska Partija / Partia Demokratike Popullore / Nationale Demokratische Partei DUI / BDI Demokratska unija za integracija / Bashkimi Demokratik për Integrim / Demokratische Union für die Integration 2. Mazedonien nach 1991 « Soziokulturelles Parteiensystem » (Beichelt) Beteiligung der albanischen Parteien an der Regierung vom Anfang an Albanische Parteien: Interessenvertretung vs. traditionelle Konfliktlinien Wenig Stimmenabgabe jenseits ethnischer Linien: kein « cross-community voting » ausser bei Präsidentschaftswahl Gefahr: – Jede Partei verteidigt die Interesse seiner Gruppe – Bei Wahlen hat die radikalste Partei oft bessere Aussichen 2. Mazedonien nach 1991 Konflikt Januar – August 2001 Konflikt 2001 zwischen Sicherheitskräfte und UÇK- Mazedonien => warum ? – Mazedonien = Nationalstaat der Mazedonier (und nicht der anderen) ? – Keine gute Repräsentation durch Parteien ? – « Scheinbeteiligung » an der Regierung ? – Korruption ? – Diskriminierung ? – Grossalbanien ? – Konflikt auch zwischen den albanischen Parteien ? – …? 2. Minderheiten und Minderheitenschutz Mazedonien vor und nach Ohrid VOR OHRID NACH OHRID Verfassungspräambel: « Staat des mazedonischen Volkes » « Die Bürger der Republik Mazedonien »: das mazedonische Volk und die namentlich erwähnte Minderheiten Albanisch offizielle Sprache nur auf lokaler Ebene Albanisch offizielle Sprache auf Zentralebene mit Ausnahme von Armee, Polizei und internationale Beziehungen Unterricht auf Albanisch nur in Vorschule und erste 4 Klassen Unterricht auf Albanisch bis zur Uni (Uni Tetovo 2004 legal + SEEU) Diskriminierungsverbot Gleichberechtigung => Quoten in Verwaltung und Polizei Territorial- und Personenautonomie + Gesetz über lokale Selbstverwaltung 2. Minderheiten und Minderheitenschutz Eine Konsensdemokratie ? Ohrid 13. August 2001 Machtteilung Konsensdemokratie Machtteilung zwischen politischen Eliten, die zwei klare Gruppen vertreten Gruppe A Gruppe A Gruppe B Gruppe B 1. Grosse Koalition der ethnischen Parteien 2. Doppelte Mehrheit im Parlament 3. Proportionalität im öffentlichen Dienst 4. Weitgehende Selbstverwaltung für Gruppenangelegenheiten 2. Minderheiten und Minderheitenschutz Fragen nach Ohrid Ging es im Konflikt darum, Grossalbanien zu bilden oder mehr Rechte in Mazedonien zu bekommen ? Ändert die Unabhängigkeit Kosovas was daran ? Was denkt Albanien davon ? Was passiert mit den anderen Minderheiten in Mazedonien (Türken, Roma, neue mazedonische Minderheit in albanischen Gebieten) ? Problem der Trennung z.B. in der Schule => Parallelgesellschaften ? 2. Mazedonien nach 1991 Zwischenfazit Mazedonien ist ein Staat mit einer bedeutenden ethnischen Minderheit (circa 25% der Bevölkerung). Nationalitätenstaat Da die Minderheit so gross ist, müssen die politische Institutionen eine gewisse Machtteilung vorsehen. Wie steht das in Verhältnis zu dem EU-Beitritt Mazedoniens ? 3. Mazedonien in die EU ? Bildquelle Wikipedia 3. Mazedonien in die EU ? Beziehungen EU-MK Wirtschaft – – – Politik – – – Ab 1993: Kompensationen für das Embargo gegen Serbien Ab 1995 Hilfe im Rahmen von PHARE Seit 2001 CARDS Teilnahme an Ohrid-Verhandlungen (Alain Le Roy) Verschiebung der Geberkonferenz zwecks schnelle Implementierung Klare Positionierung von Kommissionspräsident Prodi bei Referundum über lokale Selbstverwaltung (2004) Militär – Nach Essential Harvest und Amber Fox (NATO), EU-Polizeimissionen Concordia (März bis Sept. 2003) und Proxima (ab Sept. 2003) 3. Mazedonien in die EU ? Annäherung Mazedonien an der EU Vor Ort: EU-Sondervertreter, Europäische Agentur für Wiederaufbau, Vertretung der Kommission 2004: Stabilisierung- und Assoziierungsabkommen u.a. Zugang zum Markt ohne sofortige Gegenleistung, ab 2003 Vorstufe zur Beitrittsperspektive Seit 2005 Kandidatenstatus Fortschrittsbericht mit Empfehlungen, Reformanreize Zugang zu neuen Geldtöpfen Aufhebung der Visumspflicht 2010 3. Mazedonien in die EU ? Schlüsselprioritäten im Beitrittspartnerschaft (Februar 2008) 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Dialog zwischen Regierung und Opposition Reform des Staatsapparates Polizeireform Reform der Justiz (auch Zusammenarbeit mit den Haag) Kampf gegen Korruption Politik gegen Arbeitslosigkeit Verbesserung der wirt. Rahmenbedingungen Umsetzung des Stab.- und Assoziierungsprozesses 3. Mazedonien in die EU ? EU-Beitritt Mazedoniens Kandidatenstatus, aber ? – Namensstreit mit Griechenland (NATO Absage 2008) – Keine laufende Verhandlungen für Mazedonien trotz EU-Zusage (2008) Erst Kroatien, Türkei, Island ? – Starke EU-Kritik an Korruption, Unregelmässigkeit und Gewalt bei Wahlen, v.a. zwischen DPA/PDSh und DUI/BDI (2006, 2008) – EU-Krise, keine Beitrittswelle mehr, Zustimmung der EU-Bevölkerung ? Schlechte Erfahrungen ? Andere Alternativen wie Russland ? 3. Mazedonien in die EU ? Folgen der EU-Beitrittsperspektive EU-Beitritt Ziel aller Parteien in Mazedonien, auch der albanischen Parteien EU-Beitrittsperspektive: – erleichtert die Akzeptanz von Ohrid und von Reformen ? – Druck von Aussen oder Einverständnis der Bevölkerung mit den Reformen? Nachhaltig ? – Problem von widersprüchlichen Forderungen: Ohrid umsetzen VS. weniger Geld ausgeben (z.B. Polizei) 3. Mazedonien in die EU ? Folgen für die Albaner in Mazedonien Kompromisslösungen unabdingbar für EU- und NATO-Beitritt Teilnahme an Programmen wie Austauschprogramme, öffentliche Gelder, Strukturfonds … Mehr Minderheitenschutz durch EU-Texte? Aber die von der EU verlangten Reformen gefährden traditionelle Machtverhältnisse Bildquelle Reuters Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit ! Ju faleminderit për vëmendjen !