Interview von Botschafterin Ulrike Knotz für die Tageszeitung „Utrinski Vesnik“, veröffentlicht am 2. April 2011 1. Im Europäischen Parlament gibt es Einschätzungen, dass Mazedonien zu lange auf einen Fortschritt bei der EU-Integration wartet und dass dies politische Frustration hervor ruft, deren Zeugen wir jetzt im Land sind. Stimmen Sie dem zu? Ich stimme zu, daß die Tatsache, daß Mazedonien trotz einer entsprechenden Empfehlung der EU-Kommission bis heute keine Beitrittsverhandlungen beginnen konnte, sich negativ auf die Stimmungslage im Land auswirkt. Wie wir alle wissen, ist der ungelöste Namensstreit mit Griechenland ein wesentliches Hindernis auf dem Weg zu einem Beschluß des Europäischen Rates zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. Es ist wichtig, daß in der mazedonischen Gesellschaft Enttäuschung und Mutlosigkeit nicht überhand nehmen und die Motivation zur Beseitigung des Hindernisses, d.h. zur Lösung der Namensfrage, stärker ist. Es braucht Optimismus, guten Willen und viel Realitätssinn. Dazu kann die Politik, dazu können aber auch die Medien viel beitragen. Ein Kompromiß in der Namensfrage ist vielleicht gar nicht mehr so unpopulär, wenn offen darüber gesprochen wird, was er für die Bürger in ihrer Lebenswirklichkeit konkret bedeutet bzw. auch nicht bedeutet, und wenn der Blick in die Zukunft gerichtet wird. 2. Ist es üblich, dass das Parlament in einer wirklichen Demokratie so viele Gesetze in Abwesenheit fast der gesamten Opposition verabschiedet wie das derzeit in Mazedonien der Fall ist? In einer funktionierenden Demokratie ist es nicht üblich, das Parlament zu boykottieren, und daher ist es auch nicht normal, Gesetze in Abwesenheit der Opposition zu beschließen. Eine Partei, die boykottiert, muß sich des Risikos bewußt sein, daß eine der Folgen eine widerstandslose Turbo-Gesetzgebung sein kann. Beides sollte nicht vorkommen. 3. Wird der Beschluss des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag hinsichtlich des Namensstreits einen Einfluss haben? Ob das Urteil des Internationalen Gerichtshofes Einfluß auf die Verhandlungen zur Lösung des Namensstreites hat, kann ich rechtlich nicht beurteilen. Ob das Urteil politisch relevant, wird hängt ganz davon ab, welche Verwendung die Politik davon macht, d.h. ob das Urteil als Argumentationslieferant gebraucht wird. 4. Wie bewerten Sie die Kritik der Regierung, dass sich die ausländischen Diplomaten zu sehr in die inneren Angelegenheiten des Landes einmischen? Hat dieser Ansatz irgend welche Schwierigkeiten für Ihre Arbeit in Mazedonien zur Folge? Mazedonien ist Kandidatenland für den EU- Beitritt. Das Land muß schwierige Reformen zur Angleichung an die EU-Standards durchführen. Die Ziele sind anspruchsvoll, und der Weg ist nicht leicht. Es geht um die Wahrung der Menschenrechte, die Entwicklung von Rechtsstaat, Demokratie und Marktwirtschaft. Wenn wir als Diplomaten aus EUMitgliedstaaten Mazedonien auf dem Weg zur EU helfen wollen – und das wollen meine Kollegen und ich ausnahmslos -, müssen wir gelegentlich erklären, was die Standards in einem konkreten Fall bedeuten. Das ist etwas völlig anderes als die berühmte „Einmischung in innere Angelegenheiten“. Das Problem besteht darin, daß hierzulande die Perzeption des politischen Geschehens überwiegend von der Perspektive von Freund-Feind dominiert wird. Der Kommentar eines Diplomaten wird dann als Unterstützung dieser oder jener Partei gewertet, was ja in der Tat eine „Einmischung in innere Angelegenheiten“ darstellen würde. Man bekommt schnell ein Etikett angeklebt, das macht die Arbeit nicht leicht. Übrigens beteiligen sich auch die Medien an diesem Stil. Ich glaube, es gibt keinen Kollegen, der nicht schon die unschöne Erfahrung gemacht hat, daß seine Äußerungen tendenziös entstellt wiedergegeben worden sind. 5. Zu Beginn ihres Mandats stellte die Regierung Deutschland als wichtigsten Partner vor. Jetzt erwähnt fast niemand die Beziehungen zu Berlin und der einzige deutsche Name, den wir hier jetzt kennen, ist der Name des Europaabgeordneten Bernd Posselt. Wie bewerten Sie die Beziehungen zwischen beiden Ländern? Die deutsch-mazedonischen Beziehungen sind intensiv und freundschaftlich; daran hat sich nichts geändert. Staatspräsident Ivanov war 2009 in Deutschland, und der damalige Bundespräsident Köhler hat Mazedonien 2008 gleich zweimal besucht. Unsere Regierungschefs und Außenminister, die Parlamentarier und die Vertreter der politischen Parteien stehen miteinander persönlich in Kontakt. Ich freue mich insbesondere darüber, daß unsere Beziehungen ein sehr solides Fundament in der Zivilgesellschaft haben. Es gibt die verschiedensten Stipendienprogramme und Programme für Jugendbegegnungen, die lebendigen Städtepartnerschaften der Stadt Skopje mit den deutschen Städten Nürnberg und Dresden und eine große und aktive mazedonische Diaspora, die eine lebende Brücke zwischen unseren Völkern ist. Deutschland ist für Mazedonien der wichtigste Handelspartner und bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit einer der wichtigsten bilateralen Geber. 6. Es gibt Kommentare, dass Mazedonien sich in einer Art Selbstisolation befindet und sich mehr Feinde als Freunde schafft. Sind Sie der Meinung, dass das Land seine politische Richtung gewechselt hat, anstelle sich auf gute Beziehungen zur EU zu konzentrieren? Nein, ich glaube nicht, daß die mazedonische Außenpolitik eine Kursänderung vorgenommen hat. Die euroatlantische Integration ist weiterhin der Leitstern. Ich sehe auch Mazedonien nicht isoliert, im Gegenteil. Mazedonien ist bereits jetzt vielfältig mit NATO und EU verbunden, hat z.B. seine Streitkräfte auf internationale Einsätze ausgerichtet, beteiligt sich an den NATO-Einsätzen in Afghanistan, unterhält ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU, hat EU-Kandidatenstatus und erhält in erheblichem Umfange finanzielle Hilfen aus dem EU-Haushalt. Eine förmliche Mitgliedschaft bzw. die Aussicht darauf würde aber natürlich einen qualitativen Sprung bedeuten; es ist ja eine Art Gütesiegel z.B. gegenüber potentiellen ausländischen Investoren. 7. Was meinen Sie wird die größte Herausforderung für Mazedonien in diesem und im kommenden Jahr sein? Ich sehe verschiedene große Herausforderungen: die Arbeit an der Reformagenda, insbesondere die Durchsetzung einer unabhängigen Justiz und einer professionellen, über der Parteipolitik stehenden Verwaltung, ferner die Reduzierung der Arbeitslosigkeit und natürlich die Beendigung des Namensstreites. Diese Herausforderungen stehen alle im Kontext des großen strategischen Zieles, der euroatlantischen Integration. 8. Wie sehen Sie als Vertreter eines führenden EU-Landes den Druck auf die unabhängigen Medien in Mazedonien, der sogar noch mehr bedeutet, absichtlicher Versuch zur Schließung einiger davon. Utrinski Vesnik ist auch Teil dieses Mosaiks. Mein Eindruck ist, daß es in MKD eine große Vielfalt von Medien mit unterschiedlicher politischer Orientierung gibt, und wenn man sich die Zeit nimmt und sich den ganzen Abend lang die verschiedenen Nachrichtensendungen ansieht, kann man sich ungefähr ein Bild vom Geschehen zusammensetzen. Ich denke, daß die gegenwärtige politische Krise letztlich Ausdruck einer Krise der Medienlandschaft ist: Ein Element aus dem Mosaik drohte – aus welchen Gründen auch immer verlorenzugehen, darauf gab es eine Reaktion im politischen Sektor. Der Gesamteindruck des Informationsangebotes ist zufriedenstellend; individuell betrachtet stehen die Medien jedoch zu oft in finanzieller Abhängigkeit und unter dem Druck der Politik bzw. ihrer Eigentümer. Überall auf der Welt gibt es Beispiele dafür, wie Politik und Wirtschaft versuchen, die Medien zu instrumentalisieren. Aus deutscher Erfahrung kann ich nur sagen: Ein echter öffentlicher Rundfunk ist sehr wichtig. Ein echter öffentlicher Rundfunk muß eine institutionell unabhängige Redaktion haben und muß auch finanziell unabhängig sein, d.h. er darf sich nicht wesentlich aus dem Staatsbudget, von einem Oligarchen oder durch Werbekampagnen finanzieren, sondern aus den Rundfunkgebühren, direkt und ohne Umwege über das Staatsbudget. Die Schaffung eines öffentlichen Rundfunks ist in erster Linie eine Frage des politischen Willens – und zwar aller politischen Parteien, egal ob in Regierung oder Opposition. Was „Utrinski Vesnik“ betrifft: an der Botschaft verfolgen wir natürlich eine Vielzahl von Medien. Ich persönlich würde es bedauern, wenn aus dem bunten Medienmosaik das Element „Utrinski Vesnik“ verschwinden würde. Die Zeitung spricht mich übrigens auch durch ihre zurückhaltende, eher intellektuelle Aufmachung an. (Slobodanka Jovanovska)