themenheft schmerz

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Nr. 992a · 67. Jg. · 2013
TYP 1 UND TYP 2 DIABETES MELLITUS
Lantus® – mit 1. Juli 2008 bewilligungsfrei (RE2)*
Apidra® – Positive Opinion der Emea für die
Zulassung für Kinder ab 6 Jahren
THEMENHEFT
THEMENHEFT
DIABETES
SCHMERZ
Inkretine –
Neuigkeiten
in ein
der neuer
Ansatz in der Therapie
Schmerztherapie?
des Typ 2 Diabetes
Insulinanaloga
Management
von
Kreuzschmerzen
Diabetes im Alter
Antihypertensiva
Schmerz
– Demenz bei
Diabetes mellitus
Diabetes
im Therapie
SpannungsOpioide
in der
von
feld von Lebensstilbeiund
Durchbruchschmerzen
Medizinmit
Patienten
Krebserkrankungen
© Bernhard Monzel
Notfallmanagement bei
Opioid-Überdosierung
PROATGLA080601
Fachkurzinformation siehe Seite 30
HbA1c < 7% unter
Lebensstiltherapie –
was nun?
Erfolgreiches
24-Stunden Diabetes Hotline: 01/801 85-2448
www.diabetesportal.at
* Alle Darreichungsformen sind dokumentationspflichtig
P.b.b. Verlagspostamt 1180 Wien • 04Z035389 M • ISSN 0048-5128
Juni 2008 Nr. 940a 62. Jahrgang
•
•
P.b.b. Verlagspostamt 1180 Wien • GZ13Z039504M • ISSN 0048-5128
Fachkurzinformation siehe Seite 13
THEMENHEFT SCHMERZ
Zeitgemäße
Schmerztherapie
– Relevantes für
die tägliche
Praxis
D
I N H A LT
WISSENSCHAFT
W. Ilias
Neuigkeiten in der Schmerztherapie?
4
as vorliegende Themenheft widmet
sich wesentlichen Aspekten einer
individuellen Schmerztherapie.
Detailliertere Einblicke in die Pathophysiologie und exaktere Erfassung des
Schmerzgeschehens ermöglichen eine
„maßgeschneiderte“ (Kombinations-)
Therapie. Univ.-Prof. Dr. Wilfried Ilias aus
Wien geht auf diesbezügliche aktuelle
Aspekte von medikamentöser und invasiver Schmerztherapie ein.
In der Behandlung von Kreuzschmerzen
stehen neben einer suffizienten medikamentösen Therapie vor allem die Aufklärung und die (körperliche) Aktivierung
des Patienten im Vordergrund. Sowohl
Warnhinweise hinsichtlich spezifischer
Ursachen („Red flags“) als auch Faktoren für die Entwicklung einer Chronifizierung („Yellow flags“) müssen dabei berücksichtigt werden. OA Dr. Peter
Machacek und Univ.-Prof. Dr. Martin
Friedrich aus Wien fassen die aktuellen
österreichischen Leitlinien zusammen.
Der weiten Verbreitung von Schmerzen bei betagten Menschen stehen häufig unzureichende Erfassung und Behandlung gegenüber – in besonderem
Maß gilt dies für Patienten mit kognitiven Defiziten. Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar, Dr. Michael Obmann und Prim.
Dr. Georg Pinter aus Klagenfurt befassen sich eingehend mit geeigneten Instrumenten zur Schmerzerfassung sowie therapeutischen Besonderheiten bei
diesen Patienten.
Durchbruchschmerzen stellen im Rahmen des Managements von Tumorerkrankungen eine Herausforderung dar
– die Verfügbarkeit transmukosaler Applikationsformen hat hier eine deutliche Verbesserung für die betroffenen
Patienten gebracht. Univ.-Prof. Dr. Herbert Watzke aus Wien gibt einen Überblick hinsichtlich adäquater Erfassung
und Therapie.
Ihr Dr. Michael Burgmann
Schriftleitung
Jahrgang 67 / 992a / 2013
P. Machacek, M. Friedrich
Management von Kreuzschmerzen
10
R. Likar, M. Obmann, G. Pinter
Schmerz – Demenz
14
H. Watzke
Opioide in der Therapie von Durchbruchschmerzen
bei Patienten mit Krebserkrankungen
15
FORTBILDUNG
Erfolgreiches Notfallsmanagement bei
Opioid-Überdosierung
22
IMPRESSUM ISSN 0048-5128 DVR 0163538
Medieninhaber und Verleger: ARZT & PRAXIS VerlagsgmbH, Währinger Straße 112, 1180 Wien, Tel. 01/479 05 78, Fax: 01/479 05 78 DW 30,
E-Mail: [email protected], www.arztundpraxis.at Herausgeber: Dkfm. Karin Schmitt Geschäftsführung:
Mag. Manuela Moya Druckerei: „agensketterl“ Druckerei GesmbH, 3001 Mauerbach Bezugsbedingungen: Der
Abonnementpreis beträgt jährlich (einschließlich Porto, in Österreich auch einschließlich Ust.) Euro 35,– . Turnusärzte:
Euro 19,– . Abonnement Ausland: Euro 80,– / Erscheinungsort: 1180 Wien. Schriftleitung: Dr. Michael Burgmann,
Oberer Panoramaweg 10, 8112 Gratwein, Tel: 0676/671 01 98, [email protected].
Druckauflage: 15.000
Namentlich gezeichnete Artikel, Leserbriefe und sonstige Beiträge sind die persönliche und/oder wissenschaftÖAK-geprüft (1.HJ/11)
liche Meinung des Verfassers und müssen daher nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen. Die
Zeitschrift dient zur persönlichen Information des Empfängers und seiner Mitarbeiter, soll aber nicht im Wartezimmer aufgelegt werden. Für Angaben über Dosierungen, Applikationsformen und Angaben Pharmazeutischer Spezialitäten kann der Verlag keine Gewähr
übernehmen. Sie sind vom jeweiligen Anwender auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder
ein anderes Verfahren) oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt, verwertet oder verbreitet
werden.
Liebe Leserin, lieber Leser,
aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen die männliche Form gewählt.
Die Angaben beziehen sich aber auf Angehörige beider Geschlechter.
ARZT & PRAXIS
3
4
THEMENHEFT SCHMERZ
Neuigkeiten in der
Schmerztherapie?
Univ.-Prof. Dr. Wilfried Ilias
Ordinationszentrum Wiener Privatklinik
Pelikangasse 15, A-1090 Wien
Email: [email protected]
Diverse Scores zu Schmerzintensitätserfassung, Differenzierung von neuropathischen
versus nozizeptiven Schmerzen, Lebensqualität, Grad der Beeinträchtigung, vor allem aber
auch zur begleitenden Erfassung der Therapieeffizienz sind nun auf diversen Web-Seiten (z.B. Partners Against Pain [1]) verfügbar.
Die Anwendung dieser diagnostischen und
therapiebegleitenden Werkzeuge erfordert einen beträchtlichen Zeitaufwand, kann sich
aber gerade in der derzeit restriktiven „Bewilligungsgebarung“ der Kassen als sehr nutzbringend erweisen. Ob der leichte Trend zu Kombinationspräparaten (siehe weiter unten) als
„Neuigkeit“, reumütige Rückkehr zur altbewährten Kombinationspräparate-Philosophie
oder Folge des zunehmenden Kostendruckes
auf Entwicklungsabteilungen aufzufassen ist,
darf hier offenbleiben. Neu ist jedenfalls das
immer tiefer gehende Verständnis der unterschiedlichen Wirkprofile von Medikamenten
innerhalb der gleichen Substanzklasse wie Analgesie versus Entzündungshemmung [2] bzw.
gastrointestinales versus kardiales Risiko am
Beispiel der NSAI [3] oder die Differenzierung
von Opioiden in jene, welche nur Opioidrezeptor-selektiv wirken, und solche, welche auch an
5HT3-, α2-, NMDA- oder Nozizeptin-Rezeptoren binden können [4] und damit das Wirkspektrum insbesondere auf chronisch-neuropathische Schmerzqualitäten erweitern. Diese
letztere Erkenntnis hat bereits zur Entwicklung
eines mittlerweile zugelassenen Wirkstoffes
dieser Substanzklasse geführt – Tapentadol
(Palexia®) – und es ist absehbar, dass weitere
Entwicklungen mit dieser Substanzspezifität
folgen werden. Obwohl die Implantation von
Schmerzstimulatoren und -pumpen nur in
entsprechend ausgerüsteten und qualifizier-
ARZT & PRAXIS
Die Einblicke in die Pathophysiologie des Schmerzgeschehens
werden immer detaillierter – ebenso ist man bemüht, durch
immer komplexere Schmerzscores und -definitionen das jeweils
vorliegende Schmerzgeschehen so exakt wie möglich zu erfassen,
um dadurch eine „maßgeschneiderte“ Kombinationstherapie zu
ermöglichen.
ten Einrichtungen durchgeführt wird, soll hier
auch auf diese Möglichkeiten eingegangen
werden, um bei Vorliegen chronisch unbeeinflussbarer Schmerzen diese Therapieoption in
Erwägung zu ziehen. Nicht zuletzt soll auch
die Anwendung minimalinvasiver, lokaler Verfahren wie Schmerzblockaden und Neurolysen
kurz diskutiert werden, da die Effizienz dieser
Methoden oft unterschätzt wird.
Medikamentöse Schmerztherapie
Nicht-steroidale Antiinflammatoria (NSAI)
Nichtselektive COX-1-/COX-2-Inhibitoren sind
trotz bekannter unerwünschter Nebenwirkungen eine bis jetzt unersetzbare Medikamentengruppe in der Therapie akuter und chronischer Schmerzzustände. Die Bezeichnung
NSAI weist bereits deutlich darauf hin, dass
ein wesentlicher Aspekt der analgetischen
Wirkung dieser Substanzen auf einer Entzündungshemmung beruht, mittlerweile ist aber
unbestritten, dass NSAI auch eine zentrale analgetische Wirkung entfalten, sei dies nun auf
spinaler [5] oder zerebraler [6] Ebene. Diese
Wirkweisen sind allerdings nicht gleichmäßig
ausgeprägt – so kann man unter den NSAI solche mit vornehmlich entzündungshemmender, ausgeglichener oder vornehmlich analgetischer Wirkung unterscheiden. Als Beispiel für
Ersteres sei Indomethacin, als ein solches für
Letzteres sei Naproxen genannt (Ketorolac ist
ja in Österreich nicht verfügbar), während Azetylsalizylsäure beide Eigenschaften balanciert
aufweist [2] - siehe hier auch Abbildung 1, modifiziert nach McCormack [2]. Aus diesen Erkenntnissen ergibt sich, dass Schmerzen bei
im Vordergrund stehender Entzündung besser auf antiinflammatorisch betonte und solche mit dominierender Nozizeption besser auf
analgetisch betonte NSAI ansprechen. Oft weisen die Patienten selbst darauf hin, auf welches der verschriebenen NSAI ihre Schmerzen
am besten ansprechen. Aus der Tatsache, dass
COX-2 in den meisten Geweben ja erst entzündungsbedingt exprimiert wird, ist leicht abzuleiten, dass bei COX-2-selektiven NSAI die antiinflammatorische Wirkung besonders betont
ist. Ähnliche Unterschiede ergeben sich bei den
Nebenwirkungsprofilen der diversen NSAI,
wobei hier nicht nur deutliche Differenzen
zwischen COX-2-selektiven und nicht-selektiven, sondern auch innerhalb dieser Gruppen
substanzspezifische Eigenheiten bestehen.
Da beide COX-Enzyme organspezifisch unterschiedlich verteilt sind, wobei dies sowohl die
konstitutiv vorhandene als auch die induzierbare Menge anbelangt, wird die Hemmung
dieser Enzyme durch ein NSAI im jeweiligen
Organ unterschiedlich ausgeprägte Folgen zeigen [7]. Ungeachtet der Tatsache, dass COX-2
in den meisten Geweben erst bei inflammatorischem Stress exprimiert wird, soll nicht übersehen werden, das COX-2 im ZNS und in reproduktiven Organen „konstitutiv“ vorhanden ist.
Die oben angesprochenen Unterschiede innerhalb der NSAI-Gruppen beziehen sich einerseits auf die Wirkpotenz, welche sich nicht
zuletzt ableiten lässt aus der unterschiedlichen, durchschnittlichen „In vitro“-Dosierung
(z.B. Lornoxicam 0,008mmol, Azetylsalizylsäure 16 mmol[8]) und der durchaus unterschiedlichen „COX-Selektivität“, die je nach Untersuchungsmethode auch bei „ nicht-selektiven“
NSAI eine substanzspezifische Präferenz für
COX-1 oder COX-2 zeigt. Auch innerhalb der
COX-2-selektiven Medikamente zeigen sich
beträchtliche Unterschiede – so ist unter experimentellen Voraussetzungen das Verhält-
Jahrgang 67 / 992a / 2013
THEMENHEFT SCHMERZ
nis COX-1 : COX-2 bei Lumiracoxib 500:1 [9]
bzw. bei Meloxicam 3:1 [10]. Hinzu kommt,
dass Bindungsaffinität und -dauer der NSAI an
die Enzymmoleküle ebenfalls eine bedeutende
Rolle hinsichtlich Wirkung und unerwünschten Nebenwirkungen zu spielen scheinen [11].
Nicht zuletzt ist die Eliminations-Halbwertszeit (t½) der einzelnen NSAI von klinischer Relevanz – so konnte für nicht-selektive NSAI eine direkte Korrelation zwischen der t½ und
der Häufigkeit gastrointestinaler (GI) Blutungen nachgewiesen werden, d.h. NSAI mit kurzer t½ weisen ein niedrigeres Risiko als solche mit langer t½ auf (siehe auch Abb. 2 nach
Adams [12]).
Schließlich sind bei manchen Medikamenten, so auch bei den NSAI Ibuprofen und Ketoprofen, die S-Enatiomere – Dexibuprofen
(Seractil®) und Dexketoprofen (Enantyum®)
– deutlich nebenwirkungsärmer als deren Razemate. Nachdem diese Medikamente zum
Zeitpunkt der Studie von Adams noch nicht
auf dem (britischen) Markt verfügbar waren,
wurden sie ebensowenig berücksichtigt wie
Lornoxicam (Xefo®) – Post-Marketing-Daten
zeigen aber, dass die drei genannten Medikamente sich hinsichtlich Korrelation von t½ und
GI-Risiko gut in dieses Diagramm (Abb.2) integrieren ließen, also ein sehr günstiges Nebenwirkungsprofil aufweisen.
Besondere Aufmerksamkeit hat nach Einführung der COX-2-selektiven Medikamente die
auffällige Häufung von kardiovaskulären Ereignissen hervorgerufen, welche zunächst zur
Rücknahme von Vioxx® (Rofecoxib) und Bextra® (Valdecoxib) führten und in der Folge die
Einschätzung des Nutzen-Risiko-Profils dieser
Substanzgruppe neu orientierten. Nach Intensivierung klinischer Studien mit dem Ziel, das
kardiovaskuläre Risikoprofil von NSAI generell zu objektivieren, zeigte sich allerdings bald,
Opioid
µ
κ
5HT3
α2
NMDA
NOP/ORL1
Tramadol
+
-
+
+
-
-
Morphium
+
-
-
-
-
-
Methadon
+
-
-
-
+
-
Oxycodon
+
+
-
-
-
-
Buprenorphin
+
+
-
-
-
+
Tapentadol
+
-
-
+
-
-
Pethidin
+
-
+
+
-
-
Fentanyl
+
-
-
-
-
-
Sufentanil
+
-
-
-
-
-
Piritramid
+
-
-
-
-
-
Tab. 1: Rezeptoraffinität gängiger Opioide
dass auch nicht-selektive NSAI thromboembolische Ereignisse in unterschiedlicher Häufigkeit auslösen können. Überraschend war hier
vor allem das relativ hohe Risikopotenzial von
Diclofenac einerseits und das niedrige kardiale
Risiko (vergleichbar mit Placebo) von Naproxen
[13]. In anderen Studien hat auch Ibuprofen
ähnliche Sicherheit wie Placebo gezeigt [14].
Entscheidend und ursächlich scheint hier die
unterschiedliche Hemmwirkung diverser NSAI
auf endotheliale und thrombozytäre COX-1
zu sein, wobei das Thromboserisiko mit dem
Überwiegen der endothelialen COX-1-Hemmung zunimmt. Bei Azetylsalizylsäure (ASA)
ist die Hemmwirkung zwischen endothelialer
und thrombozytärer COX-1 ausgeglichen, womit man sich die protektive Wirkung von ASA
erklärt [15]. Das häufigere Auftreten von Vorhofflimmern unter NSAI-Therapie im Vergleich
zu Placebo-kontrollierten Kontrollgruppen
scheint ebenfalls auf diesem Mechanismus zu
basieren [16]. Die Hemmung der COX-Enzyme verursacht eine Reduktion gefäßdilatierender Prostaglandine und gleichzeitig eine Hemmung der Na+- Sekretion mit resultierender
Zunahme des Blutdruckes – ähnlich wie bei
50
Naproxen
Ketorolac
Abb. 1: NSAI – Antiinflammatorischer versus analgetischer
Effekt (modifiziert nach McCormack, Drugs 1991)
20
10
0
Sulindac
Fenbufen
Naproxen
30
0
Analgesie
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Piroxicam
40
Ibuprofen
am
Ibuprofen
Halbwertszeit
ASS
Schlussfolgerung
• NSAI mit kurzer Halbwertszeit haben ein generell geringeres Risiko von
Ne­ben­wirkungen.
• COX-2-selektive NSAI haben ein deutlich
geringeres Risiko von GI-Nebenwirkungen
als nicht-selektive NSAI.
• Eine Kombination mit gastroprotektiven
Medikamenten wie Protonenpumpeninhibitoren, Misoprostol und H2-Blockern
senkt dieses Risiko deutlich [19] – dies gilt
bei „Risikopatienten“ auch für COX-2-selektive Blocker. Beachte: Diese protektive
Wirkung betrifft nur den Magen und nicht
60
Piroxicam
of
en
Meloxicam
Diclofenac
Lo
rn
ox
ic
Indometacin
Ke
to
pr
Antiinflammatorischer Effekt
NSAI – Antiinflammatorischer versus analgetischer Effekt
den GI-Nebenwirkungen scheint auch hier die
t½ mit dem Risikopotenzial zu korrelieren [15].
Nicht zuletzt können NSAI auch Lebertoxizität entfalten, wobei hier einerseits die individuelle Sensibilität, andererseits aber auch Therapiedauer und -dosis ausschlaggebend sind
[17].
Nicht-selektive NSAI können bei ASA-sensitivem Asthma lebensbedrohliche Anfälle auslösen – dies gilt nicht für COX-2-selektive NSAI
[18].
Azaprazon
Diflunisal
Fenoprofen
Ketoprofen
Diclofenac Flurbiprofen
20
40
60
80
GI-Ereignisse pro Mill. Verschreibungen
Abb. 2: Zusammenhang zwischen der Häufigkeit gastrointestinaler Ereignisse und
der Halbwertszeit verschiedener NSAI (modifiziert nach Adams, Lancet 1987)
ARZT & PRAXIS
5
6
THEMENHEFT SCHMERZ
•
•
•
•
den Darm. Kombipräparate nicht-selektiver NSAI sind bereits auf dem Markt – z.B.
Arthrotec®(Diclofenac + Misoprostol), Vimovo® (Naproxen + Esomeprazol).
Kardiale unerwünschte Nebenwirkungen
wie thromboembolische Ereignisse und
Vorhofflimmern treten nicht ausschließlich
bei COX-2-selektiven NSAI auf, sondern
sind bei längerer Anwendung und höherer
Dosis auch bei nicht-selektiven COX-Inhibitoren zu erwarten – Ausnahmen: Naproxen, Ibuprofen.
Alle NSAI können durch Blockade der Prostaglandinsynthese blutdrucksteigernd wirken – auch hier gilt „Dauer mal Dosis“.
Anstiege von Leberenzymen werden bei
NSAI-Therapie oft beobachtet, sind in der
Regel bei rechtzeitigem Absetzen reversibel, daher regelmäßige Labor-Kontrolle.
Bei ASA-sensitivem Asthma keinesfalls
nicht-selektive, sondern ausschließlich
COX-2-selektive NSAI wählen.
Opioide
Diese sind die effektivsten Schmerzmittel mit
dem breitesten Anwendungsspektrum. Unerwünschte und gefährliche Nebenwirkungen
sind zumeist Folge einer (absichtlich oder unabsichtlich) unkorrekten Dosierung, einer zusätzlichen Einnahme von Alkohol und oder Sedativa, einer Mehrfachverordnung als Folge
von „doctor shopping“ und nicht zuletzt eines
zu spät erkannten oder ignorierten Auftretens
von metabolischen Störungen, Dehydratationszuständen, fieberhaften Erkrankungen etc.
(20). Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass die Inzidenz gefährlicher Nebenwirkungen von Opioiden deutlich niedriger ist
als jene von Diuretika, NSAI, Antikoagulantien
bzw. Antidepressiva [21].
Obwohl ursprünglich angenommen wurde, dass Opioide im Wesentlichen gegenei­
nander austauschbar sind, weiß man mittlerweile, dass diese substanzspezifisch nicht
nur auf unterschiedliche Rezeptoren einwirken (siehe Tab. 1), sondern auch am Rezeptor
selbst durch ungleiche Diffusionskonstanten
und Kontaktzeiten pharmakodynamisch deutlich von­einander abweichen und damit auch
teils klinisch auffällige Wirkdifferenzen hinsichtlich des Ansprechens spezieller Schmerzarten (nozizeptiv, neuropathisch) zeigen [22].
Wie die Tabelle zeigt, weisen manche Opioide
auch Rezeptoraffinitäten an 5HT3- und/oder
α2- bzw. NMDA- und Orphan-/Nozizeptin-Rezeptoren auf, was deren Effizienz insbesondere in der Therapie chronischer neuropathischer Schmerzen gegenüber jener von reinen
µ-Agonisten deutlich abhebt [23]. Hervorzuheben ist, dass lang gehegte Vorbehalte gegen
den Einsatz von Opioiden bei nicht-tumorbedingten Schmerzen durch solide Evidenz endgültig aufgehoben sind [22,24]. Bei älteren
Menschen kann die Eliminationsgeschwindigkeit der meisten Opioide verzögert sein – eine
deutliche Ausnahme bietet hier lediglich Buprenorphin [25]. Insbesondere bei Patienten
mit eingeschränkter Urteilsfähigkeit sollten
transdermale Systeme bevorzugt eingesetzt
werden, da diese hinsichtlich Mehrfacheinnahme eine geringere Irrtumswahrscheinlichkeit bieten. Auch sind sie durch Angehörige
und Pflegepersonal leichter zu kontrollieren.
Bei Durchbruchschmerzen zeigen rasch wirksame Fentanylpräparate mit transmukosaler
Resorption schnellen Wirkeintritt und ebenso kurze Wirkdauer, was wesentliche Vorteile gegenüber anderen Opioiden bringt, da
Opioid
µ
κ
5HT3
α2
NMDA
NOP/ORL1
Tramadol
+
-
+
+
-
-
Morphium
+
-
-
-
-
-
Methadon
+
-
-
-
+
-
Oxycodon
+
+
-
-
-
-
Buprenorphin
+
+
-
-
-
+
Tapentadol
+
-
-
+
-
-
Pethidin
+
-
+
+
-
-
Fentanyl
+
-
-
-
-
-
Sufentanil
+
-
-
-
-
-
Piritramid
+
-
-
-
-
-
Tabelle 1: Rezeptoraffinität gängiger Opioide
ARZT & PRAXIS
sich Durchbruchschmerzen durch eine kurze und intensive Schmerzperiode definieren
[26]. Im Vergleich scheint hier die transnasale Applikationsform nochmals Vorteile gegenüber der bukkalen aufzuweisen, wobei die zeitlichen Unterschiede allerdings marginal sind
und auch berücksichtigt werden sollte, welche
Art der Applikation von den Patienten bevorzugt wird [27].
Bei Obstipation haben sich sowohl Lactulose als auch Macrogol bewährt – sie setzen jedoch eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr
voraus, die allerdings von älteren Menschen
selten konsequent genug durchgeführt wird.
Eine tatsächlich ursächliche Therapie der Opioid-induzierten Obstipation ist durch die orale Verabreichung von Naloxon möglich. Eine
magistrale Rezeptur ist z.B.: 5 Amp. Naloxon,
Aqua dest. ad 100ml, D.S.: 4x tgl.5 ml p.o. einnehmen. Nachdem Naloxon nur zu vier % enteral resorbiert wird, kommt es durch diese
Medikation nicht zur Hemmung der analgetischen Wirkung des jeweils verordneten Opioids. Es gibt auch fixe Opioid/Naloxon-Kombinationen wie Oxycodon/Naloxon (Targin®)
und Buprenorphin/Naloxon (Suboxone®), wobei nur Ersteres für die Schmerztherapie gedacht, Letzteres hingegen der Substitutionstherapie vorbehalten ist und aufgrund er
hohen Substratmengen für die Schmerztherapie nur in Ausnahmefällen infrage kommt.
Targin® ist trotz nachweisbarer Vorteile (28)
bis heute nicht im Erstattungskodex berücksichtigt. Sofern aus welchen Gründen immer
eine parenterale Obstipationstherapie notwendig erscheint, kann Methylnaltrexon (Relistor®) verabreicht werden – diese Substanz
ist nicht Hirnschranken-gängig und antagonisiert daher den analgetischen Effekt von Opioiden nicht.
Schlussfolgerung
• Opioide stellen eine unverzichtbare Therapieoption sowohl bei nozizeptiven als auch
neuropathischen Schmerzen dar.
• Opioide mit Mehrfach-Rezeptorwirkung
wie Tramadol, Tapentadol, Buprenorphin,
Methadon und Pethidin eignen sich besonders für Schmerzen mit neuropathischem
Charakter, wobei auch für Oxycodon (bzw.
Oxycodon + Naloxon) eine gute Wirkung
bei diesen Schmerzarten nachgewiesen
wurde [29].
• Bei geriatrischem Patientengut wird Buprenorphin als Opioid der Wahl empfohlen,
Jahrgang 67 / 992a / 2013
THEMENHEFT SCHMERZ
da diese Substanz auch bei eingeschränkter Organfunktion eine relativ konstante
Pharmakokinetik aufweist [25].
• Bei Durchbruchschmerzen stellen Fentanylpräparate mit transmukosaler Applikation (bukkal, nasal) die Therapie der Wahl dar.
• Transdermale Systeme (Fentanyl, Buprenorphin) eigenen sich besonders für die
Therapie chronischer Schmerzen mit konstantem Schmerzpegel (zu Durchbruchschmerz siehe oben) und für die Anwendung bei geriatrischen und dementen
Patienten.
• Eine Überwachung der Therapie ist vor allem bei fieberhaften Erkrankungen und anderen Dehydratationsursachen besonders
zu empfehlen.
Koanalgetika
Antikonvulsiva
Traditionell werden Natriumkanalblocker (z.B.
Carbamazepin) auch heute noch als Primärtherapie bei neuropathischen Schmerzzuständen wie Zoster- und Trigeminusneuralgie eingesetzt. Die Wertigkeit dieser Substanz in den
genannten Indikationen ist unbestritten.
Dennoch konnten aufgrund immer breiterer Datenlage neue Antikonvulsiva wie Gabapentin und das klassenverwandte Pregabalin – beides Kalziumkanalblocker – und
Topiramat – ein NMDA-Rezeptorantagonist –
bei bestimmten chronischen Schmerzleiden
wie Diabetischer Polyneuropathie, Zoster- bzw.
Trigeminusneuralgie und neuropathischen
Schmerzzuständen bei Tumorerkrankungen
mit großem Erfolg eingesetzt werden, wobei
Pregabalin sehr günstige Daten aufweist [29].
Nachteil des Einsatzes von Antikonvulsiva ist
die notwendige individuelle Aufsättigung mit
dem jeweiligen Medikament, welche oft mehrere Wochen beansprucht und erst nach dieser
Zeit entschieden werden kann, ob eine Fortführung der Therapie mit dem gewählten Medikament erfolgversprechend ist oder nicht. In
gleicher Weise liegen die individuellen Dosierungen – sowohl was den Wirkungseffekt als
auch die unerwünschten Nebenwirkungen anbelangt (Schwindel, Beeinträchtigung der Reaktionsfähigkeit, Libido- und/oder Potenzverlust, Myoklonismen etc.) – oft sehr weit
auseinander und verlangen eine große Compliance von Arzt und Patient. Beeindruckend ist
oft die individuelle Empfindlichkeit bzw. Unempfindlichkeit gegen Antikonvulsiva, wobei
die interindividuellen Dosisunterschiede bis
Jahrgang 67 / 992a / 2013
zum Achtfachen differieren können [30]. Bei
komplexen Schmerzzuständen – sogenanntem Mischschmerz (nozizeptiv plus neuropathisch) – ist eine Kombination mit Opioiden
und NSAI oft unumgänglich, was die Abstimmung der optimal wirksamen gegen die nebenwirkungsärmste Dosis sehr erschwert und
eine enge individuelle Betreuung bzw. Observation erfordert (31).
Schlussfolgerung
• Natriumkanalblocker wie Carbamazepin
und Valproinsäure sind nach wie vor in der
Therapie von Neuralgien etabliert.
• Moderne Antikonvulsiva wie Gabapentin und Pregabalin zeigen eine gute Evidenzlage zur Therapie neuropathischer
Schmerzzustände.
• Die Therapie mit Antikonvulsiva erfordert eine vorsichtige individuelle Titration, um unerwünschte Nebenwirkungen zu
vermeiden.
• Häufige Nebenwirkungen sind Libidoverlust, Potenzstörungen, Schwindel und
Myoklonismen.
Antidepressiva
Als klassische (Ko)-Analgetika gelten hier
die Trizyklika, die über Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung im absteigenden schmerzhemmenden System wirken sollen. Aufgrund der breiten Evidenzlage
(Metaanalysen) werden sie bis heute als Mittel der Wahl bei neuropathischen Schmerzzuständen empfohlen [32]. Meinungen, dass sie
zur Schmerztherapie deutlich niedriger dosiert werden können als in ihrer Hauptindikation Depression, haben sich nicht bestätigt
[33]. Während Nebenwirkungen wie Müdigkeit einer Tachyphylaxie unterliegen, gilt dies
für Potenzstörungen und Libidoverlust nicht,
was bei manchen Patienten zu Therapieabbrüchen führt. Eine unangenehme bis lebensbedrohliche Nebenwirkung ist das serotoninerge Syndrom, welches durch auffällige
Schweißsekretion, Unruhe, Tremor, Palpitation, Akkomodationsstörungen, Tachykardie
bis hin zu Konvulsionen bzw. Schizophrenie
gekennzeichnet sein kann und insbesondere bei Kombinationen mit Substanzen wie Tramadol, welches ja die Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme ebenfalls hemmt,
aber auch anderen Opioiden auftreten kann.
Es scheint wichtig, auch darauf hinzuweisen,
dass es seltene Fälle von Suiziden im Zusam-
menhang mit der Anwendung von Trizyklika
gibt und die Patienten jedenfalls einer engen
Beobachtung bedürfen. Insbesondere bei Absetzen oder Wechsel der Substanz scheint besondere Vorsicht geboten [34]. Natrium- und
Kalziumkanalblocker-Wirkung können bei
Überdosis (tödliche) Rhythmusstörungen auslösen [31]. Daten für die Therapieeffizienz von
Amitriptylin liegen vor bei diabetischer Neuropathie [35], Post-Zoster-Neuralgie [36] sowie in der Intervalltherapie der Migräne [37].
Ein Trizyklikum mit ausgeprägter Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer(NRI)-Wirkung ist Desipramin. Diabetische Neuropathie
konnte mit diesem relativ selektiven NRI ebenso effektiv behandelt werden wie mit Amitriptylin [35]. Für Duloxetin – einen Serotoninund Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer
(SNRI) – liegen sehr gute Daten zur Therapie
von diabetischer Neuropathie und anderen
neuropathischen Schmerzen vor [38]. Dies gilt
auch für Venlafaxin. Neben neuropathischen
Schmerzzuständen konnte für Antidepressiva
(insbesondere Milnacipran) eine – wenn auch
unbefriedigende – Effektivität bei der Therapie
der Fibromyalgie nachgewiesen werden [39].
Schlussfolgerung
• Trizyklika gelten auch heute noch als Mittel der ersten Wahl zur Therapie neuropathischer Schmerzzustände.
• Duloxetin kann nun ebenfalls als Mittel mit
guter Evidenzlage, insbesondere in der Therapie der diabetischen Neuropathie, aber
auch anderer neuropathischer Schmerzzustände empfohlen werden.
• Auf die Gefahr eines serotoninergen Syndroms insbesondere bei Kombination von
SSRI oder SNRI sowie Trizyklika sei besonders hingewiesen.
• Wie bei Antikonvulsiva erfordert auch die
Therapie mit Antidepressiva eine vorsichtige initiale Titration.
• Auf die Nebenwirkungen wie Rhythmusstörungen sei besonders hingewiesen.
Muskelrelaxantien
Bei einigen Schmerzleiden sind auch Muskelrelaxantien indiziert, wobei diese unterschiedliche Angriffspunkte haben. So wirken Benzodiazepine über GABA-erge Pfade, Tizanidin
über einen α2-adrenergen Agonismus, Bac­
lofen wieder ist ein Agonist am GABA-B-Rezeptor, Tolperison (derzeit in Österreich nicht
mehr vertrieben) ist ein Natriumkanalblocker.
ARZT & PRAXIS
7
8
THEMENHEFT SCHMERZ
Die zweifelsfrei interessanteste Substanz in
dieser Hinsicht ist Orphenadrin – ein Relaxans,
welches in Kombination mit Diclofenac (Neodolpasse®) und in Kombination mit Paracetamol (Norgesic®) verschreibbar ist. Es handelt
sich dabei um ein Medikament mit antihistaminischer, Natriumkanal-blockierender, anticholinerger und Noradrenalin-Wiederaufnahme-hemmender Wirkung (40). Vor allem bei
akuten Schmerzen mit einer muskulären Komponente wie beispielsweise Lumboischialgien
kann Muskelerschlaffung einen wesentlichen
Beitrag zur Schmerzlinderung leisten.
Schlussfolgerung
• Muskelrelaxantien sind besonders bei
Schmerzen mit pathologischer Erhöhung
des Muskeltonus indiziert.
• Benzodiazepine sind als zentrale Muskelrelaxantien auch am absteigenden
schmerzhemmenden GABA-ergen System
wirksam.
Cannabinoide
Im Menschen konnten bisher zwei Cannabinoid-Rezeptortypen festgestellt werden:
CB1 und CB2. Der natürliche Ligand für diese Rezeptoren ist die Fettsäure Anandamid,
ein Abbauprodukt der Arachidonsäure. Der
Einsatz von Cannabinoiden in der Schmerztherapie wird immer wieder kontrovers diskutiert, obwohl mittlerweile deren Wirksamkeit in gewissen Bereichen ausreichend belegt
ist. Interessant ist, dass Cannabinoide auf präsynaptische Rezeptoren im Sinne eines Rückkoppelungsmechanismus wirken und hier
den natürlichen Liganden Anandamid ersetzen. Eine über NK1-Rezeptoren gesteuerte Langzeit-Potenzierung, welche letztlich für
die Entwicklung von Schmerzbahnung verantwortlich ist, kann durch solche Rückkoppelungen verhindert werden [41]. Insbesondere bei komplexen Schmerzzuständen mit
Chronifizierungstendenz hat sich der Einsatz
von Cannabinoiden sehr bewährt – so auch
bei Migräne [42]. Hinzuzufügen ist auch, dass
Cannabinoid-Agonisten neben ihrer anti­
emetischen und analgetischen Wirkung vor
allem auch appetitanregend wirken, was insbesondere in der Tumorschmerztherapie von
Wichtigkeit ist. Im Tiermodell konnte gezeigt
werden, dass Cannabinoid-Rezeptoren bei
chronisch neuropathischen Schmerzen vermehrt exprimiert werden, was das Ansprechen
auf exogen zugeführte Cannabinoide erleich-
ARZT & PRAXIS
tert (43). In Österreich sind derzeit Dronabinol
(2, 5, 10 mg Kps., Suchtgift-vignettenpflichtig)
und das rein synthetische Nabilon (0,5, 1,0; 2,0
mg Kps., nicht vignettenpflichtig) erhältlich –
sie sollten zwei- bis dreimal täglich verordnet
werden.
Schlussfolgerung
• Cannabinoide sind als Schmerzmodulatoren aufzufassen, die insbesondere bei
chronischen Schmerzen eine Senkung
des Schmerzpegels und eine verbesserte
Schmerzverarbeitung gewährleisten.
• In der Regel ist die Therapie mit Cannabinoiden von einer auffallenden Müdigkeit
begleitet.
• Die Therapie mit Cannabinoiden ist bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen kontraindiziert [44].
Invasive Schmerztherapie
Die Diskussion soll lediglich einen Einblick in
die Möglichkeiten dieser Methoden geben, da
deren Anwendung auf Zentren beschränkt ist,
die über eine entsprechende Expertise inklusive Nachbetreuung verfügen. Dennoch erscheint es wichtig, Möglichkeiten, Indikationen
und Risiken dieser Methoden zu erwähnen.
Schmerzstimulatoren
Die Behandlung von Schmerzen mittels elek­
trischer Impulse datiert schon in die Antike zurück, wo mit Zitterrochen und elektrischen Aalen Schmerzzustände behandelt wurden. Die
moderne Schmerzstimulation beruht auf der
Gate-Control-Theorie von Wall und Melzack.
Man ging zunächst davon aus, dass Störimpulse das Gate schließen würden und dadurch die Wahrnehmung von Schmerzen gedämpft bis vollkommen unterdrückt würde.
Heut geht man davon aus, dass insbesondere
die rückenmarksnahe Stimulation GABA und
Adenosin freisetzt und damit schmerzhemmende Neurone aktiviert. Zu diesem Zweck
werden Stimulationssonden in den Epiduralraum eingebracht und zunächst über ein externes Stimulationsgerät elektrische Impulse an das Rückenmark abgegeben. Sofern
damit eine ausreichende Abdeckung des
schmerzhaften Areals erzielt und dieser Effekt auch über zwei Wochen aufrechterhalten werden kann, wird ein Stimulationsaggregat implantiert, welches ähnlich wie ein
Herzschrittmacher auch mittels Fernsteuerung programmiert werden kann. Je nach be-
nötigter Strommenge und Alter des Patienten
kann auch die Indikation zur Verwendung eines wiederaufladbaren Gerätes gestellt werden. Die Kosten liegen je nach Gerät bei 17.000
– 23.000 Euro, weshalb die Indikation zu dieser
Methode sehr sorgfältig gestellt werden muss.
Indikation für diese Methode sind neuropathische Schmerzzustände, welche auf herkömmliche Schmerztherapien nicht reagieren (chronischer, unbeeinflussbarer Schmerz – ICD10:
R52.0). Neben der rückenmarksnahen Therapie haben sich nunmehr auch subkutan verlegte Stimulationssonden als äußerst wirksam erwiesen [45]. In besonders schwierigen
Schmerzzuständen können derartige Stimulationssonden auch epidural über dem Gyrus
praecentralis [46] und im Thalamus platziert
werden [47].
Schmerzpumpen
Die rückenmarksnahe Applikation von Medikamenten zur Therapie chronischer Schmerzzustände kann sowohl epidural als auch intrathekal erfolgen. Vor Implantation von
Pumpensystemen ist ähnlich wie bei der
oben erwähnten Stimulation eine Testphase
zu durchlaufen, welche die Effizienz der Methode beweist. Als implantierbare Pumpensysteme stehen solche mit kontinuierlicher
Medikamentenabgabe und elektronisch steuerbare Pumpen mit externer Programmierfähigkeit zur Verfügung. Letztere sind vor allem
bei Patienten mit Schmerzzuständen einzusetzen, welche ein wechselndes Tagesprofil aufweisen und damit eine variable Abgabe
von Schmerzmitteln an das Rückenmark erfordern. Die Systeme erlauben nicht nur eine individuell auf das Schmerzprofil abgestimmte
Programmierung des Abgabemodus, sondern
darüber hinaus auch einen individuellen Abruf
von Bolus-Injektionen über ein durch den Patienten bedienbares Steuergerät. Hervorzuheben ist dabei, dass der Patient damit nicht nur
direkt Einfluss auf sein momentan vorherrschendes Schmerzprofil nehmen kann, sondern durch Eintragung des jeweils herrschenden Schmerzpegels (VAS-Score) dem Arzt die
Möglichkeit einer sehr engen Kontrolle und
Nachjustierung des Infusionsmodus geben
kann. Neben Morphium und anderen Opioiden
wie Sufentanil, Fentanyl, Hydromorphon und
Buprenorphin werden auch Clonidin, Lokalanästhetika und Ziconotid (Prialt®) eingesetzt
bzw. empfohlen. Ähnlich wie bei den Methoden der Schmerzstimulation ist diese Metho-
Jahrgang 67 / 992a / 2013
THEMENHEFT SCHMERZ
de Schmerzzentren vorbehalten und bedarf
einer sehr engen Indikationsstellung. Indikation ist wie oben chronisch unbeeinflussbarer
Schmerz.
♦
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ARZT & PRAXIS
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10
THEMENHEFT SCHMERZ
Management von
Kreuzschmerzen
OA Dr. Peter Machacek (li.),
Prim. Univ.-Prof. Dr. Martin Friedrich
Orthopädisches Spital Wien-Speising,
Speisinger Str. 109, 1130 Wien,
Kontakt: [email protected]
Kreuzschmerzen sind eines der am weitesten verbreiteten Leiden in der zivilisierten Gesellschaft und dementsprechend häufig sind
niedergelassene Ärzte mit diesem Schmerzbild konfrontiert. Die Lebenszeitprävalenz
beträgt 60–85 %, die Rezidivrate liegt bei
20–44 % und erreicht bezogen auf die gesamte Lebensspanne bis zu 85 %. Der gewaltige
gesundheitsökonomische Faktor erklärt sich
somit von selbst.
Der Begriff Kreuzschmerz (Low Back Pain) bezieht sich auf Schmerzen im Bereich zwischen
den zwölften Rippen und den unteren Gesäß­
falten mit oder ohne Ausstrahlung in ein oder
beide Beine. Prinzipiell muss zwischen spezifischen und unspezifischen (eigentlich: unklaren)
Kreuzschmerzen unterschieden werden.
Die Häufigkeit aller spezifischen Kreuzschmerzen wird in der Literatur mit 15 % angegeben. Das würde bedeuten, dass für 85 %
aller Kreuzschmerzen keine eindeutige Dia­
gnose gestellt werden kann. Dieser Überlegung widersprechen jedoch Arbeiten, in denen
z.B. alleine der diskogene Schmerz (bedingt
durch Verletzung bzw. Degeneration des Anulus fibrosus) bis zu 39 % aller Kreuzschmerzen verursacht. Weiters werden Schmerzen,
die durch degenerative Veränderungen der Facettengelenke verursacht werden, noch häufig fehlinterpretiert und daher als unspezifisch
beurteilt. Dasselbe gilt für das schmerzhafte Iliosakralgelenk. Letztendlich muss festgehalten werden, dass degenerative Wirbelsäulenveränderungen einen gewissen Übergang
zwischen den beiden Kreuzschmerzformen
darstellen, da bei einem Großteil dieser Veränderungen Pathomorphologie und Beschwerden nicht eindeutig korrelieren.
Nichtsdestotrotz gestaltet sich gera-
ARZT & PRAXIS
Bei der Behandlung von Kreuzschmerzen stehen neben einer
suffizienten medikamentösen Therapie vor allem die Aufklärung
und die (körperliche) Aktivierung des Patienten im Vordergrund.
Sowohl Warnhinweise hinsichtlich spezifischer Ursachen („Red
flags“) als auch Faktoren für die Entwicklung einer Chronifizierung („Yellow flags“) müssen berücksichtigt werden.
de das Therapiemanagement des unspezifischen Kreuzschmerzes als sehr schwierig. Daher hat eine Arbeitsgruppe um Univ.-Prof.
Dr. Martin Friedrich (Orthopädisches Spital
Wien-Speising) und Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar (LKH Klagenfurt) im Jahr 2007 österreichische Leitlinien für das Management akuter und
chronischer unspezifischer Kreuzschmerzen
herausgebracht, welche 2011 überarbeitet und
neuerlich publiziert wurden. Die in diesem Artikel angeführten evidenzbasierten Vorschläge
zur Behandlung von Kreuzschmerzen sind an
ebendiese Leitlinien angelehnt.
Die Dauer der Beschwerden ist sowohl hinsichtlich der Prognose als auch des therapeutischen Vorgehens von großer Bedeutung. Es
werden akute (Schmerzdauer vier bis sechs
Wochen), subakute (fünf bis zwölf Wochen)
und chronische Schmerzen (> zwölf Wochen)
unterschieden, wobei die zeitlichen Angaben
als fließende Übergänge und nicht als scharfe Grenzen zu betrachten sind. Es ist wichtig
zu berücksichtigen, dass ein Chronifizierungsprozess bereits vier Wochen nach Schmerzbeginn bestehen kann. Von akut-rezidivierenden Kreuzschmerzen spricht man, wenn nach
sechs Monaten Beschwerdefreiheit eine neue
Episode von Schmerzen auftritt.
Diagnostik
Die Basis für eine fundierte Diagnose ist eine detaillierte Anamnese und ein strukturierter
klinischer Untersuchungsgang. Warnhinweise
(„Red flags“) gehören unbedingt berücksichtigt und sollten ähnlich einer Checkliste während des Anamnesegespräches geistig abgerufen werden. Aber auch scheinbar unwichtige
Details können eine Diagnose wertvoll stützen.
So weist z.B. bei einem Patienten mit Schmer-
zen beim Gehen die Beschwerdeerleichterung
durch das Hinsetzen (sprich einer Flexion der
LWS) auf das Vorliegen einer Vertebrostenose
hin. Ein anderes Beispiel: Hartnäckige Nachtschmerzen, die auf ASS gut ansprechen, lassen
ein Osteoidosteom vermuten. Das ausführliche Patientengespräch ist für eine schnelle
und vor allem richtige Diagnosestellung daher
unverzichtbar.
Orientierend an der Anamnese wird die klinische Untersuchung angeschlossen:
• Inspektion (Gangbild, Schonhaltung, Beckenschiefstand, Verletzungszeichen)
• Palpation (Muskelhartspann, Druck- oder
Klopfschmerz)
• Bewegungsumfang der LWS im Stehen
(Ante- und Retroflexion, Seitneigung) sowie im Liegen (segmentale Untersuchung
in Seitenlage)
• Orientierende neurologische Untersuchung
(Motorik, Reflexe, Sensibilität, Lasegue Zeichen, Cauda-Symptomatik, Babinski- Zeichen)
Die klinische Untersuchung sollte strukturiert
immer den gleichen Ablauf haben, sodass der
Untersucher eine Routine beim Erkennen und
Beurteilen von Normabweichungen erfährt.
Ein paar Beispiele:
• Eine schmerzhafte Retroflexion bzw. Seitneigung kann zum Beispiel ein Hinweis für
ein Facettensyndrom sein.
• Eine Schonhaltung im Sinne eines „Shifts“
– also eine Neigung des Oberkörpers zur
Seite – kann ein Hinweis für ein eingeengtes lumbales Neuroforamen an der gegenüberliegenden Seite sein.
• Ebenso kann ein Haltungsprovisorium auf
Basis eines einseitig schmerzhaften Facettensyndroms entstehen (Abb.1).
• Eine Stufenbildung der Dornfortsätze
Jahrgang 67 / 992a / 2013
THEMENHEFT SCHMERZ
(„Sprungschanzenphänomen“) weist auf
eine Spondylolisthese hin.
• Vor allem die neurologischen Untersuchungsschritte bedürfen einer bestimmten
Aufmerksamkeit und Routine. Eine klassische „schöne“ Defizitsymptomatik wie aus
dem Lehrbuch kommt viel seltener vor als
ein diffuses Schmerzbild ohne eindeutige radikuläre Zuordnung. Häufig ist es nur
ein dezenter Hinweis (z.B. eine diskrete Reflexabschwächung im Seitenvergleich), der
letztendlich den Weg zu einer radikulären
Symptomatik weist.
Falls der gar nicht so seltene Fall eintritt, dass
weder die Anamnese noch die klinische Untersuchung eine spezifische Schmerzursache
vermuten läßt, sollte man sich nicht gleich auf
den routinemäßigen Einsatz von Röntgenbildern und Laboruntersuchungen stürzen. Studien haben belegt, dass bei Schmerzpersistenz
erst vier bis sechs Wochen nach Schmerzbeginn die Durchführung von bildgebenden Verfahren hinsichtlich der Erstellung einer spezifischen Diagnose Sinn macht. Es muss klar sein,
dass Hinweise für spezifische Ursachen prinzipiell auch erst später im Krankheitsverlauf
offensichtlich werden können. Hierbei ist die
Durchführung einer Magnetresonanztomographie durchaus indiziert.
Die Diagnose „unspezifischer Kreuzschmerz“
dient als Arbeitsdiagnose und der Verlauf soll
anhand regelmäßiger Kontrollen mit Anamnese und Untersuchung dokumentiert werden.
Abb.1 : Haltungsprovisorium mit Shift des
Oberkörpers nach links bei rechts betontem
Facettensyndrom.
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1. Alter < 20 oder > 55 Jahre
2. Zunahme oder Persistenz der Beschwerden trotz Therapie
3. Kürzliches schwereres Trauma
4. Schmerz, der unabhängig von körperlicher Belastung ist oder sich in Ruhe verstärkt
5. Thoraxschmerz
6. Osteoporose
7. Länger dauernde systemische Steroideinnahme
8. Immunsuppression, Drogenabusus, HIV
9. Fieber, schlechter Allgemeinzustand
10. Anamnese einer Tumorerkrankung
11. Ungewollter Gewichtsverlust
12. Persistierender Verlust der lumbalen Flexionsbeweglichkeit
13. Neurologische Ausfälle und Symptome
14. Strukturdefizite, Anomalien
Tab. 1: Warnhinweise auf spezifischen Kreuzschmerz / RED FLAGS
Der spezifische Kreuzschmerz
Zu den spezifischen Ursachen für Kreuzschmerzen zählen Neoplasien, Entzündungen,
Infektionen, Verletzungen, metabolische Knochenerkrankungen, psychische Erkrankungen
sowie spezifische degenerative Veränderungen wie die fortgeschrittene Spondylolisthese,
die aktivierte Facettenarthrose und schwerwiegende degenerative Bandscheibenerkrankungen die u.a. mit Nervenwurzelirritationen
und Cauda-equina-Symptomatik einhergehen
können. Als klinische Kriterien für den spezifischen Kreuzschmerz werden gewisse Alarmsymptome (sogenannte „Red flags“) gewertet
(siehe Tab. 1). Diesen Symptomen soll umso mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden,
umso eher als die Beschwerden des Patienten
auf einen atypischen Verlauf des Krankheitsbildes hindeuten. Die Abklärung und Therapie des spezifischen Kreuzschmerzes erfolgen
gemäß der Grunderkrankung. In der Praxis ist
man sehr häufig mit Bandscheiben-bedingten
Schmerzbildern konfrontiert. Wenn ein radikuläres Schmerzbild vorliegt, ist der Verlauf hinsichtlich einer fortschreitenden Wurzelsymptomatik (progrediente Parese) als Warnsignal
hinsichtlich eines drohenden Wurzeltodes zu
werten.
Bei einem akuten radikulären Schmerzbild ist als Erstmaßnahme eine schmerzarme Lagerung angezeigt (z.B. Stufenlagerung).
Schmerzmedikamentös reicht die WHO Stufe I meist nicht aus, sodass man durchaus mit
NSAR und leichten Opioiden beginnen kann.
Wurzelinfiltrationen mit einem Lokalanästhetikum und Steroiden können gleich in der Pra-
xis anhand anatomischer Landmarks oder bei
entsprechender Infrastruktur unter dem Röntgen Bildwandler-gezielt erfolgen.
Wie eingangs schon erwähnt, gibt es sehr
wohl spezifische Schmerzursachen, die in der
Literatur noch keinen Einzug fanden. Auf diese
möchte ich kurz eingehen:
Ein Facettensyndrom kann ähnlich einer aktivierten Arthrose sehr schmerzhaft sein. Klinisch imponieren oft eine Bewegungseinschränkung in der LWS und ein Druckschmerz
über den betroffenen Facettengelenken
(„Springing-Test“ in Bauchlage). Hier zeigt sich
auf Bildwandler-gezielte Infiltrationen ein gutes Ansprechen. Nach entsprechender Austestung mittels Blockade der Rami mediales hat
sich beim chronisch-rezidivierenden Facettensyndrom die Durchführung einer Thermokoagulation bewährt (Abb. 2).
Ebenso kann eine chronische Affektion des
Iliosakralgelenkes durch eine Bildwandler-ge-
Abb. 2: Thermokoagulation der Rami mediales
L4+L5 rechts unter Bildwandler-Kontrolle
ARZT & PRAXIS
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THEMENHEFT SCHMERZ
1. Distress
nen adäquate manualtherapeutische Techniken hilfreich sein.
2. Depressive Stimmung
3. Rückzug vom sozialen Umfeld
4. Inadäquates Schmerzerleben mit Neigung zum „Katastrophieren“
5. Inadäquates physisches und psychisches Verhalten im Umgang mit den Beschwerden: Beispiele hierfür sind die Überzeugung, dass die Schmerzen gefährlich und dauerhaft schwer
beeinträchtigend seien oder ein ausgeprägtes Angst-Vermeidungsverhalten mit der Folge
deutlich reduzierter alltäglicher Aktivität.
6. Unbefriedigende Arbeitssituation
7. Somatisierungstendenz
8. Schlafstörung
9. Pensionierungswunsch
10. Substanzmissbrauch/-abhängigkeit
Tab. 2: Warnhinweise auf chronische Verläufe / YELLOW FLAGS
zielte Blockade des Gelenkes bewiesen und mit
einer Thermokoagulation effektiv behandelt
werden. Klinische Hinweise für ein schmerzhaftes ISG sind neben Funktionseinschränkungen auch Druckschmerzhaftigkeit über dem
dorsalen Bandapparat.
Es ist belegt, dass eine rupturierte bzw. degenerativ veränderte Bandscheibe durch das Einsprossen von Blutgefäßen auch eine sensible
Nervenversorgung und somit die Fähigkeit zur
„Schmerzleitung“ entwickeln kann. Das führt
zu dem sogenannten diskogenen Schmerz.
Hierbei hat sich im MRT ein hyperintenses Signal im dorsalen Anteil der typischerweise dehydrierten Bandscheibe (sogenannte „high intensity zone“) als Korrelat in der Bildgebung
etabliert. Die Therapie des diskogenen Schmerzes kann ebenfalls mittels Hitze durch Radiofrequenz (Biacuplastie) erfolgen. Grundlegend
sei festgehalten, dass die angeführten Therapien mittels Thermokoagulation erst nach dem
Ausschöpfen aller konservativen Maßnahmen (v.a. Physiotherapie!) angewendet werden sollen.
Der akute unspezifische Kreuzschmerz
Neben der Pharmakotherapie ist die ausführliche Aufklärung des Patienten über den Verlauf der Erkrankung entscheidend. Dem Patienten muss überzeugend vermittelt werden,
dass akute unspezifische Kreuzschmerzen in
der Regel einen gutartigen Verlauf haben und
es sich hierbei um keine gefährliche Erkrankung handelt. Es gehört kommuniziert, dass es
für den Verlauf besser ist, wenn die gewohnten Alltagsaktivitäten einschließlich der Arbeit
fortgeführt bzw. möglichst bald wieder aufge-
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nommen werden. Bettruhe soll vermieden und
daher nicht verordnet werden.
Die Pharmakotherapie kann sich an dem
WHO-Stufenschema orientieren, wobei sich als
Mittel der Wahl Paracetamol etabliert hat. Nur
bei unzureichender Wirkung von Paracetamol
ist unter Berücksichtigung der Kontraindikationen ein Versuch mit einem NSAR angezeigt
(obligater Magenschutz, auch eine Kombination mit Paracetamol ist möglich). Bei Versagen
dieser analgetischen Therapie ist die Anwendung von Opioiden angezeigt. Muskelrelaxantien haben sich als Komedikation bewährt,
wobei die Anwendung von Benzodiazepinen
wegen der Gefahr der Abhängigkeit auf maximal eine Woche beschränkt bleiben sollte.
Während für die meisten physikalischen
Maßnahmen keine klaren Empfehlungen möglich sind, wurde für Wärmebehandlungen in
Kombination mit Bewegungstherapien eine
Evidenz im Ausmaß wie für NSAR festgestellt.
Bei segmentalen Funktionsstörungen könPRAXISTIPPS
• Aufklären und Beruhigen des Patienten:
Unspezifische Kreuzschmerzen haben
meist einen selbstlimitierenden Verlauf;
Alltagsaktivitäten fortführen, Bettruhe
vermeiden.
• Bei akuten starken Schmerzen (z.B. radikuläres Bild): medikamentöse Schmerztherapie mit WHO Stufe II beginnen
• Bei akuten unspezifischen Schmerzen:
NSAR, Wärme und Aktivität
• Bei chronischen unspezifischen Kreuzschmerzen: multimodale Therapie
notwendig.
Der chronische unspezifische
Kreuzschmerz
Die wichtigste Aufgabe bei der Behandlung eines akuten Schmerzbildes ist das Erkennen und rechtzeitige Beeinflussen eines Chronifizierungsprozesses. Der Übergang
vom akuten zum chronischen unspezifischen
Kreuzschmerz ist von psychosozialen Faktoren wesentlich mitgeprägt. Da diese Faktoren die Chronifizierung nachweislich begünstigen, wurde eine Liste mit Warnfaktoren
erstellt („Yellow flags“, siehe Tab. 2). Wenn man
den psychosozialen Hintergrund rechtzeitig
in das Therapiekonzept miteinbezieht, können
die Langzeitfolgen der Erkrankung (schwere
Funktionseinschränkungen, Invalidität, sozialer Rückzug) limitiert werden.
Bei drohender oder bereits eingetretener
Chronifizierung sollte ein multidisziplinäres
Behandlungsprogramm zum Einsatz kommen.
Eine Einzelintervention (z.B. ausschließlich
medikamentöse Behandlung) ist nicht ausreichend. Mit dem Patienten sind realistische
Therapieziele zu besprechen (z.B. berufliche
Reintegration, Schmerzreduktion und -kon­
trolle, aber nicht Schmerzfreiheit!).
Pharmakotherapeutisch haben sich NSAR
einschließlich Coxibe und Paracetamol bei anhaltenden Kreuzschmerzen als wirksam erwiesen. Wegen der bekannten gastrointestinalen Nebenwirkungen von NSAR müssen bei
längerem Einsatz Wirksamkeit und Sicherheit
gegeneinander abgewogen werden. Das Sicherheitsproblem haben auch die Coxibe nicht
gelöst (bei KHK und Insultrisiko kontraindiziert). Auch die Anwendung von Opioiden hat
sich bewährt, wobei sie nicht als Dauertherapie, sondern mehr als mittelfristige Überbrückung bis zum Wirkungseintritt des Gesamttherapiekonzeptes gedacht sind.
Bezüglich Koanalgetika gibt es eine starke
Evidenz für trizyklische Antidepressiva (Amitriptylin) und selektive Serotonin- und Noradre­
nalin-Wiederaufnahmehemmer. Ebenso sind
Muskelrelaxantien effektiv bei der Schmerzlinderung. Antikonvulsiva sind beim neuropathischen Schmerz indiziert und spielen daher
bei der Behandlung des unspezifischen Kreuzschmerzes eher eine untergeordnete Rolle.
Eine der wichtigsten Maßnahmen ist die Physiotherapie. Sie soll dem Patienten einerseits
die Notwendigkeit der Eigeninitiative sowie
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Schulung des Körperbewusstseins vermitteln und andererseits durch
das Training von physiologischen Bewegungsabläufen mit kräftigenden
und stabilisierenden Übungen eine präventive Funktion einnehmen.
Auch die Kombination von Elektro- bzw. Thermotherapie/Massage/
Traktion und Ultraschall gilt als wirksam (nicht jedoch deren Anwendung
als Einzelmaßnahme). Manualtherapeutische Techniken zur Lösung von
Funktionsstörungen sind bei den Patienten empfohlen, die anhaltende Probleme bei der Verrichtung von gewohnten Alltagsaktivitäten haben. Psychologische Interventionen haben in erster Linie das Ziel, bei der
Schmerzbewältigung im Alltag zu helfen (bewältigungsorientierter und
präventiver Ansatz, Verhaltenstherapie). Auch Entspannungsverfahren
(autogenes Training, Yoga) sind bei chronischen Schmerzpatienten indiziert. Bei schweren chronischen Kreuzschmerzformen sind multidisziplinäre Regimes inklusive psychologischer Interventionen und arbeitsbezogener Rückenschule von hoher Intensität (≥ 5 Stunden pro Tag)
angezeigt (sogenanntes „functional restoration program“). Diese Programme sollten gestuft in stationäre, tagesklinische und ambulante
Phasen aufgebaut sein – sie sind aber derzeit in Österreich nicht flächendeckend verfügbar.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Management
des unspezifischen Kreuzschmerzes neben der Schmerzreduktion vor
allem auf den Erhalt der Funktion im täglichen Leben abzielt. Ziel ist tendenziell mehr eine optimierte Lebensführung als eine Heilung. Der Ansatz ist grundsätzlich multidisziplinär unter Einbeziehung medizinischer,
sozialer und psychologischer Aspekte.
♦
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Hemmern behandelt werden oder mit MAO Hemmern während der letzten 2 Wochen behandelt wurden.
Bei gleichzeitiger Behandlung mit Linezolid. Bei schwerer Leberinsuffizienz oder schwerer Niereninsuffizienz (Kreatinin Clearance < 10 ml/min). Bei Epilepsie, die nicht ausreichend durch eine Behandlung kontrolliert wird. Tramadol darf nicht verabreicht werden während der Stillzeit, wenn eine länger dauernder
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oder andere NSAR) Asthmaanfälle, Bronchospasmen, akute Rhinitis, Nasenpolypen, Urtikaria oder angioneurotische Ödeme auslösen. - mit einer Vorgeschichte von gastrointestinalen Blutungen oder Perforationen, die im Zusammenhang mit einer vorhergehenden NSAR Therapie steht. - mit bestehenden oder
in der Vergangenheit wiederholt aufgetretenen peptischen Ulzera oder Blutungen (mindestens zwei voneinander unabhängige Episoden von nachgewiesener Ulzeration oder Blutung). - mit zerebrovaskulären
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Anwendung, Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln und sonstigen Wechselwirkungen, Schwangerschaft und Stillzeit und Nebenwirkungen sowie Gewöhnungseffekten entnehmen Sie bitte der veröffentlichten Fachinformation.
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THEMENHEFT SCHMERZ
Schmerz – Demenz
Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar1 (li.),
Dr. Michael Obmann1(o.F.),
Prim. Dr. Georg Pinter2(re.)
Abt. für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Klinikum Klagenfurt am Wörthersee, Feschnigstraße 11, 9020 Klagenfurt
Abt. für Akutgeriatrie/Remobilisation, Klinikum Klagenfurt am
Wörthersee, Feschnigstraße 11, 9020 Klagenfurt
Kontakt: [email protected]
1
2
In einer Erhebung im Bundesland Kärnten gaben 53,4% der Männer und 63,6% der Frauen über 65 Jahren an, unter Schmerzen zu leiden – die Hälfte sogar unter starken bis sehr
starken Schmerzen. 84,2% tun dies bereits seit
Jahren. In einer schwedischen bevölkerungsbezogenen Studie berichten drei Viertel der
über 75-jährigen Personen über chronische
Schmerzen, ein Drittel davon über schwere
und schwerste Dauerschmerzen.
40 – 80% der Bewohner von Pflegeheimen
leider unter anhaltenden, häufig nicht dia­
gnostizierten Schmerzen. Auch in der extramuralen Pflege ist der Anteil der Schmerzpatienten erheblich: Zwischen 40 und 50% der
Patienten, die zu Hause mobile Pflegedienste in Anspruch nehmen, sind Schmerzpatienten. Schon aufgrund der demografischen Entwicklung gewinnt das Thema zunehmend an
Bedeutung. Prognosen der WHO zufolge wird
die Zahl der Menschen über 60 Jahren von
Aufgrund komplexer physischer und psychischer Veränderungen
im Alter stellen Schmerzmessung und -therapie für ältere und
betagte Patienten eine besondere Herausforderung dar.
Mit dem Alter nehmen chronisch-schmerzhafte Erkrankungen
kontinuierlich zu. Je nach Untersuchung variieren die Angaben
über das Vorkommen von Schmerzen bei Personen über 65 Jahren
zwischen 50 und 86%.
rund 600 Millionen im Jahr 2000 auf 1,2 Milliarden bis ins Jahr 2025 ansteigen, 2050 sollen bereits mehr als zwei Milliarden dieser Altersgruppe angehören. Die Gruppe der über
80-Jährigen ist die am schnellsten wachsende
Bevölkerungsgruppe.
Zu den wichtigsten Ursachen chronischer
Schmerzen im Alter gehören degenerative Erkrankungen des Bewegungsapparates, Osteoporose, neuropathische Schmerzen wie
Post-Zoster-Neuralgie oder Schmerzen, die
mit Tumorleiden in Zusammenhang stehen.
Weiters erwähnenswert sind Schmerzen aufgrund von Gefäßkrankheiten und Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises, Phantomschmerzen und Insultfolgen.
Unzureichende Erfassung und
Behandlung
Der weiten Verbreitung von Schmerzen bei
älteren und betagten Menschen steht eine
Die Schmerzspirale
Autonomieverlust
Anorexie
Schlafstörungen
Immobilität
pain
Angst
Depression
Verzweiflung
Würdeverlust
Abb. 1: Die Schmerzspirale
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Einsamkeit
häufig unzureichende Erfassung und Behandlung gegenüber. In besonderem Maß gilt dies
für Patienten mit kognitiven Defiziten. Ältere
Personen mit kognitiven Beeinträchtigungen
und Menschen mit Behinderung haben das
größte Risiko einer insuffizienten Behandlung.
Eines von vielen Beispielen: Nach Angaben
der EFIC (European Federation of Chapters of
the International Association for the Study of
Pain) bekommt mehr als ein Viertel der onkologischen Patienten über 65 Jahre keine Analgetika, die negativen Auswirkungen auf die Lebensqualität sind enorm.
Die Folgen unzureichend therapierter
Schmerzen sind aber gerade bei alten Patienten schwerwiegend – psychische Beeinträchtigungen, Verzögerungen des Genesungsverlaufs und eine Chronifizierung der Schmerzen
gehören mitunter zu den am meisten verbreiteten Konsequenzen. Nicht kontrollierte Schmerzen können neben der körperlichen
Einschränkung im täglichen Leben zu einem
Verlust der Autonomie und zu sozialen Beeinträchtigungen, Appetitverlust, Schlafstörungen, Depression und Angst führen – eine belastende Spirale (Abb. 1): Denn je ausgeprägter
etwa Depression, Angst oder Schlafstörungen, desto stärker wiederum sind die Schmerzen, und je größer die Einschränkungen, desto
größer auch der Verlust an Beweglichkeit, was
wiederum die Sturzgefahr massiv erhöht und
so zum neuerlichen Schmerzrisiko wird.
Diese Befunde machen deutlich, dass es eine
wichtige Verantwortung von klinisch tätigen
Personen ist, den Schmerz in dieser Patientengruppe richtig zu erkennen und zu therapieren.
Für die unzureichende Erfassung und Behandlung von Schmerzen im Alter gibt es eine
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THEMENHEFT SCHMERZ
Reihe von Ursachen (Tab. 1).
Verbreitet ist das Phänomen des „Underreporting of pain“. Trotz zum Teil starker Beeinträchtigungen berichten ältere Patienten weniger über Schmerzen als jüngere, was oft zur
falschen Annahme führt, dass sie weniger unter Schmerzen leiden. Eines der Probleme bildet die Einstellung der Patienten selbst: Schon
aufgrund der Häufigkeit schmerzhafter Zustände mit zunehmendem Alter wird Schmerz
von vielen Betroffenen als ein Merkmal des Älterwerdens empfunden und als Schicksal akzeptiert (Defizitmodell). Die Therapeuten werden daher oft gar nicht oder unzureichend
über die Schmerzen informiert.
Aber nicht nur die Einschätzung, Schmerzen
gehörten zum Alter, hindert ältere Menschen
häufig daran, von ihren Leiden zu berichten.
Diese Zurückhaltung kann auch mit der Sorge
zu tun haben, dass das Zugeben von Schmerzen zu einer Unterbringung in einem stationären oder pflegerischen Setting führen könnte.
Das Underreporting wiederum führt unter
anderem aber dazu, dass Schmerzen bei älteren Personen tendenziell auch unterbehandelt
werden. Schuler et al. konnten beispielsweise
zeigen, dass bei der Hälfte der stationären geriatrischen Patienten die Schmerzsituation dem
behandelnden Arzt nur ungenügend bekannt
oder für ihn schwierig zu erkennen ist. Dies unter anderem deshalb, weil sich mit dem Alter
das Repertoire der Körpersprache einschränken kann. Ein unbewegtes lächelndes Gesicht
etwa täuscht Beschwerdefreiheit vor. Dazu
kommt nicht selten eine erschwerte verbale
Kommunikation, etwa durch einen Sprachverlust nach einem Schlaganfall oder durch fortgeschrittene Stadien der Parkinson‘schen Erkrankung ebenso wie höhergradige kognitive
Beeinträchtigungen.
Schmerzerkennung und -messung bei
kognitiv beeinträchtigten und/oder
nicht-kommunikativen Patienten
Um die schmerztherapeutische Unterversorgung kognitiv beeinträchtigter Patienten zu
verhindern, muss der Schmerz aber gerade in
dieser Gruppe konsequent gemessen werden.
Ein umfassendes Assessment ist die Basis für
eine adäquate Schmerztherapie.
Bei Patienten mit eingeschränkter verbaler
Kommunikationsfähigkeit oder mit höhergradigen kognitiven Defiziten ist das eine besondere Herausforderung.
Die verbale Kommunikationsfähigkeit kann
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• unterschätzte Schmerzintensität durch Behandler
• Underreporting durch die Betroffenen
• Symptomwandel
• Multimorbidität
• zurückhaltende Therapie aufgrund der Polypharmazie
• Störung der Kommunikation, insbesondere durch kognitive Einschränkungen
• zu niedrige Dosierung oder zu große Intervalle
• unzureichende Schmerzmessung
Tab. 1: Verbreitete Ursachen für unzureichende schmerztherapeutische Diagnostik und Versorgung
bei alten Patienten
aber auch bei kognitiv nicht beeinträchtigten
geriatrischen Patienten aufgrund von Sprachoder Sprechstörungen unterschiedlicher Ursache eingeschränkt oder inadäquat sein.
Ganz besonders dann, wenn die verbale
Kommunikation eingeschränkt ist und die kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigt sind, ist
auf indirekte Zeichen vorhandener Schmerzen zu achten. Hier sind bei der strukturierten Schmerzerfassung Symptome wie
Schweißneigung bzw. Schwitzen, angespannter Gesichtsausdruck, Schonhaltung bzw.
verkrampfte Haltung, veränderter Atemrhythmus, Verhaltensänderungen, Appetitverlust,
Schlafstörungen, Verwirrtheit, Verschlechterung des Allgemeinzustandes, Tachykardien,
gequälte Lautäußerungen, ängstliche Abwehr
von Berührung, Grimassieren, Stirnrunzeln
oder starre Mimik (Tab. 2) zu beachten.
Schweißneigung und Schwitzen können bei
jüngeren, nicht verbalisierungsfähigen Patienten ein Anzeichen für Schmerzen sein, bei alten und betagten Menschen allerdings nicht,
da der Mechanismus der Wärmeabgabe über
Schwitzen im Alter nicht mehr gewährleistet
ist.
Eine besonders wichtige Rolle kommt gerade bei dieser Patientengruppe Pflegepersonen
und Angehörigen zu, die aufgrund ihrer Beobachtung derartige Anzeichen oft früh erkennen können.
Auch für verbal und kognitiv eingeschränkte
Patienten sind inzwischen Scores und Skalen
entwickelt worden wie der ECPA (Echelle Comportementale de la douleur pour Pesonnes
Ágées non communicates), der BESD (BEurteilung von Schmerz bei Demenz), die deutsche
Fassung der PAINAD-Scale (Pain Assessment
IN Advanced Dementia) sowie die Doloplus
2-Skala.
Die BESD-Skala etwa beruht auf einem relativ kurzen bzw. relativ einfach durchzuführenden Test und ist vor allem für mobilere Patien-
ten gut geeignet – sowohl chronische als auch
akute Schmerzen lassen sich damit gut erfassen (Tab. 3).
Erfahrungen mit der Doloplus2-Skala
Die deutschsprachige Version der Doloplus 2-Skala wurde im Rahmen einer Studie in
Kärnten an drei verschiedenen Krankenanstalten evaluiert.
Sie erfasst psychomotorische und psychosoziale Auswirkungen von Schmerzen in einer
30-punktigen Skala, die Beobachtungen der
Reaktion eines Patienten wurden festgehalten.
Im Gegensatz zu anderen Erhebungen kam
diese Evaluierung zum Ergebnis, dass die Skala sich als tauglich zur Schmerzerfassung erweist, die Beurteilungen von Ärzten und Pflegepersonen stimmen weitgehend überein.
Eine gute Einschulung des Pflegepersonals ist
die Voraussetzung für die erfolgreiche Anwendung bei kognitiv beeinträchtigten Patienten.
Der Score ist auch in der Verlaufsmessung zuverlässig, die Skala zeigt eine gute Sensitivität.
• Unruhe
• angespannter Gesichtsausdruck
• Schonhaltung, verkrampfte Haltung
• veränderter Atemrhythmus
• Verhaltensänderungen
• Appetitverlust
• Schlafstörungen
• Verwirrtheit
• Verschlechterung des Allgemeinzustands
• Tachykardien
• gequälte Lautäußerungen
• ängstliche Abwehr von Berührung
• Grimassieren, Stirnrunzeln, starre Mimik
Tab. 2: Indirekte Schmerzzeichen bei alten
Patienten
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Atmung
Negative Lautäußerungen
Gesichtsausdruck
Körpersprache
Trost
- normal
0
- gelegentlich angestrengt atmen
1
- kurze Phasen von Hyperventilation
1
- lautstark angestrengt atmen
2
- lange Phasen von Hyperventilation
2
- Cheyne-Stokes-Atmung
2
- keine
0
- gelegentliches Stöhnen und Ächzen
1
- sich leise negativ oder missbilligend äußern
1
- wiederholt beunruhigt rufen
2
- lautes Stöhnen und Ächzen
2
- weinen
2
- lächelnd oder nichtssagend
0
- trauriger Gesichtsausdruck
1
- ängstlicher Gesichtsausdruck
1
- sorgenvoller Blick
1
- grimassieren
2
- entspannt
0
- angespannte Körperhaltung
1
- nervöses Hin- und Hergehen
1
- Nesteln
1
- Körpersprache starr
2
- geballte Fäuste
2
- angezogene Knie
2
- sich entziehen, wegstoßen oder schlagen
2
- trösten nicht notwendig
0
- Ist ablenken oder beruhigen durch Stimme oder Berührung möglich?
1
- Ist trösten, ablenken oder beruhigen nicht möglich?
2
Ein Wert ≥ 3/10 in Ruhe bzw. ≥ 5/10 in einer Mobilitätssituation wird als therapiebedürftig angesehen
Tab. 3: BESD-Skala: Beurteilungskriterien und Bepunktungen im Überblick
Bei zunehmender Erfahrung nimmt das Ausfüllen der Skala immer weniger Zeit in Anspruch. Wenn die Möglichkeit besteht, sollte
vor Ort eine Referenzperson ernannt werden.
Die Erfahrungen sprechen für eine gute und
einfache klinische Anwendbarkeit der Doloplus-2-Skala. Diese sollte von Angehörigen
verschiedener Disziplinen ausgefüllt werden –
und zwar unabhängig davon, ob der Patient zu
Hause gepflegt wird oder in einer stationären
Einrichtung.
den entsprechend der Schmerzursache eingesetzt und reichen von medikamentöser
Behandlung über physio- bzw. ergotherapeutische Maßnahmen sowie psychologische Interventionen bis hin zu invasiven Methoden.
Hinzu kommen neurostimulatorische Verfahren und komplementäre Ansätze. Beim betagten bzw. kognitiv beeinträchtigten Menschen
sind insbesondere psychosoziale Maßnahmen
und Miteinbeziehung des Umfeldes von großer
Wichtigkeit.
Schmerztherapeutische Besonderheiten bei älteren, dementen Patienten
Fokus Pharmakotherapie
Im Rahmen der Schmerztherapie stehen verschiedene Optionen zur Verfügung. Diese wer-
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Auch bei älteren, dementen Patienten findet das WHO-Stufenschema seine Anwendung, wobei häufig eine Kombinationstherapie
notwendig ist und einzelne Stufen auch übersprungen werden können. Von zentraler Bedeutung ist hier die individuelle Abstimmung
– besonders berücksichtigt werden müssen
Multimorbidität, kognitive Beeinträchtigung
sowie psychosoziale Einschränkungen, die allesamt sehr oft Adhärenzprobleme nach sich
ziehen. Hilfreich in diesem Zusammenhang ist
ein kurzes Medikamentenassessment im Rahmen der Anamnese (Haben sie schon einmal
vergessen, Medikamente einzunehmen? Ist ihnen gelegentlich egal, ob sie ihre Medikamente einnehmen? Haben sie schon selbstständig
Medikamentenpausen durchgeführt? Welche
Medikamente nehmen sie derzeit ein?).
Zudem sind bei Medikamentengabe Veränderungen von Pharmakokinetik und -dynamik zu beachten – hier spielt unter anderem
die Nierenfunktion eine wesentliche Rolle. Beachtenswert ist dabei, dass der Serum-Kreatininwert alleine zumeist eine Unterschätzung
der tatsächlichen Nierenfunktionseinschränkung nach sich zieht. In der täglichen Praxis
hat sich daher die Abschätzung der Kreatininclearance mittels der Cockcroft-Gault-Formel
bewährt bzw. die MDRD-Formel bei einer GFR
unter 60 ml/min. (siehe beispielsweise unter:
www.kidney.org/professionals/KDOQI/gfr_
calculator.cfm).
Vor allem bei multimorbiden Patienten
kommt es sehr häufig zu Medikamenteninteraktionen, sodass eine Hierarchisierung der
Therapienotwendigkeiten durchzuführen ist.
Im geriatrischen Alltag wird dies durch ein
multidimensionales geriatrisches Assessment
erreicht, wobei eine funktionelle Diagnostik
die bessere Einschätzung der entsprechenden Therapieoptionen ermöglicht. Auch in der
Praxis können durch einfache Screeningverfahren (Geriatric Depression Scale [GDS], Mini-Mental Status Examination [MMSE], Timed
Up and Go Test etc.) therapierelevante Zusatzinformationen gewonnen werden. Eine geriatrische Fachexpertise ist beim multimorbiden,
gebrechlichen Patienten („frail elderly“) unumgänglich. Eine wesentliche Komorbidität stellt
die Depression dar – sie ist in bis zu 50% der
betroffenen Patienten vorhanden und bedarf
ebenso einer entsprechenden fachärztlichen
Intervention.
NSAR: Bei älteren Patienten ist stets auf deren deutlich erhöhtes gastrointestinales Blutungsrisiko bzw. eine bestehende Herzinsuffizienz zu achten. Im Rahmen Letzterer können
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NSAR zur Aggravierung der Symptomatik
durch Wasserretention bzw. Verschlechterungen von Nierenfunktion und kardio-renalem
Anämiesyndrom beitragen.
Als Alternativpräparate der ersten Stufe können Paracetamol und Metamizol verwendet
werden.
Bei der iv.-Darreichungsform von Paracetamol ist zu beachten, dass die Infusionsdauer für eine ausreichende analgetische Wirkung
unter 15 Minuten betragen sollte. Täglich können bis zu vier Gramm iv. verabreicht werden
– der Abstand zwischen den Infusionen sollte
mindestens vier Stunden betragen.
Bei der iv.-Gabe von Metamizol ist zu beachten, dass eine zu rasche Gabe zu bedrohlichen
Blutdruckabfällen führen kann – daher empfiehlt sich eine Kurzinfusion über 15-30 Minuten, die Tageshöchstdosis sollte fünf Gramm
nicht überschreiten.
Opioide: Bei älteren Patienten sollte zunächst deren größere Opioidsensitivität beachtet werden. Vertreter mit kurzer Halbwertszeit sind primär vorzuziehen, können
aber nach einer Stabilisierungsphase durchaus
auf Depotpräparate wie etwa Pflaster umgestellt werden. Die Initialdosis sollte beim älteren Menschen um 30–50% geringer angesetzt
werden und es sollte eine individuelle behutsame Dosistitration erfolgen („start low – go
slow“). Entsprechende Vorsicht ist bei gleichzeitiger Gabe von Sedativa, Antidepressiva und
Neuroleptika geboten.
Eine Kombination verschiedener Opioide ist
nicht sinnvoll – ein Wechsel bei starken Nebenwirkungen oder ungenügender Wirkung hingegen schon, dabei sollte jedoch die Folgesubstanz in einer niedrigeren Dosis begonnen
werden. Deren Berechnung erfolgt zunächst
anhand von Äquivalenztabellen (Opioid-Dosimeter), wobei diese Annäherungswerte wiedergeben, die an die klinische Situation angepasst werden müssen.
Schwache Opioide sind zur Therapie von
Schmerzen mittlerer bis starker Intensität indiziert und unterliegen nicht dem Suchtmittelgesetz. Sie sollten allerdings nicht bis zur letzten therapeutischen Möglichkeit ausgenutzt
werden, um nicht in den Bereich zunehmender
Nebenwirkungen zu gelangen – dementsprechend empfiehlt sich der zeitgerechte Umstieg
auf ein starkes Opioid in niedriger Dosierung.
Starke Opioide sind in verschiedenen Darreichungsformen (parenteral, sublingual, bukkal,
oral, transdermal) verfügbar und ermöglichen
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Verbaler Schmerzausdruck
Schonhaltung in Ruhe
- keine Äußerung
0
- Äußerungen nur bei Patientenkontakt
1
- gelegentliche Äußerungen
2
- dauernde spontane Schmerzäußerungen
3
- keine Schonhaltung
0
- vermeidet gelegentlich gewisse Haltungen
1
- ständige, wirksame Schonhaltung
2
- ständige, ungenügend wirksame Schonhaltung
3
Schutz von schmerzhaften - kein Schutz
Körperzonen
- bei Patientenkontakt ohne Hinderung von Pflege und
Untersuchung
Mimik
Schlaf
Waschen/Ankleiden
Bewegung/Mobilität
Kommunikation
Soziale Aktivitäten
Verhaltensstörungen
0
1
- bei Patientenkontakt mit Hinderung jeglicher Handlung
2
- Schutz auch in Ruhe, ohne direkten Kontakt
3
- übliche Mimik
0
- schmerzausdrückende Mimik bei Patientenkontakt
1
- schmerzausdrückende Mimik ohne Patientenkontakt
2
- dauernde ungewohnte, ausdruckslose Mimik
3
- gewohnter Schlaf
0
- Einschlafschwierigkeiten
1
- häufiges Erwachen (motorische Unruhe)
2
- Schlaflosigkeit mit Auswirkungen auf den Wachzustand
3
- unveränderte gewohnte Fähigkeiten
0
- wenig eingeschränkt
1
- stark eingeschränkt
2
- unmöglich, Patient wehrt sich bei jedem Versuch
3
- unverändert gewohnte Fähigkeiten
0
- aktiv wenig vermindert
1
- aktiv und passiv eingeschränkt
2
- Bewegungen unmöglich, Mobilisationsversuch wird
abgewehrt
3
- unverändert
0
- intensiviert
1
- vermindert, Rückzug
2
- Fehlen oder Abweisung jeglicher Kommunikation
3
- Teilnahme an gewohnten Aktivitäten
0
- gewohnte Aktivitäten nur auf Anregung oder Drängen
1
- teilweise Ablehnung gewohnter Aktivitäten
2
- Ablehnung jeglicher sozialer Aktivitäten
3
- gewohntes Verhalten
0
- wiederholte Verhaltensstörungen bei Patientenkontakt
1
- dauernde Verhaltensstörung bei Patientenkontakt
2
- dauernde Verhaltensstörung ohne äußeren Anlass
3
Ein Wert ≥ 5/30 gilt als Hinweis auf bestehenden therapiebedürftigen Schmerz.
Tab. 4: Doloplus-2-Skala: Beurteilungskriterien und Bepunktungen im Überblick
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THEMENHEFT SCHMERZ
so eine sehr individuelle Therapie. Vorwiegend eingesetzt werden Buprenorphin, Fentanyl, Hydromorphon, Morphin bzw. Oxycodon.
Wobei Buprenorphin bzw. Hydromorphon
aufgrund der inaktiven Metaboliten für den älteren Patienten am besten geeignet sind.
Gerade beim alten bzw. dementen Patienten ist die Antizipation der Nebenwirkungen
(Übelkeit, Erbrechen, Obstipation) von großer
Wichtigkeit und eine entsprechende Begleitmedikation zumindest in den ersten Wochen
einer Therapie unbedingt erforderlich. In der
Obstipationsprophylaxe haben sich dabei Makrogole bewährt. Bei der Therapie von Übelkeit ist vor dem Einsatz von Metoclopramid
auf ein gleichzeitig bestehendes Dopaminmangelsyndrom (Mb. Parkinson, ParkinsonSyndrome etc.) zu achten – ein solches gilt als
Kontraindikation für Metoclopramid, Alternativsubstanz in jenen Fällen wäre beispielsweise Domperidon.
Koanalgetika: Bei kognitiv beeinträchtigten Menschen ist unbedingt auf das Nebenwirkungsprofil der eingesetzten Therapeutika
zu achten, wobei insbesondere ein anticholinerges Syndrom (wie es beispielsweise trizyklische Antidepressiva auslösen können) rasch
erkannt werden soll. Dieses präsentiert sich
durch Mundtrockenheit, Obstipation, Miktionsstörungen, Tachykardie und unter Umständen auch durch ein Delir.
Zusammenfassung
Pflegebedürftige, nicht-kommunikative alte
und gebrechliche Menschen verdienen unsere
besondere Aufmerksamkeit. Im Verdachtsfalle ist ein Therapieversuch mit einem potenten
Analgetikum bei kognitiv beeinträchtigten Patienten in der Differentialtherapie immer zu erwägen, um nicht fälschlicherweise Schmerzen
durch eine nicht-indizierte beruhigende Medikation zu behandeln!
Ein wesentliches Element einer guten
schmerztherapeutischen Versorgung ist natürlich eine gelungene Kommunikation mit
dem älteren Menschen. Stellen Sie sicher, dass
Ihr Patient die Verordnung begriffen hat, dass
er mit der Therapie einverstanden ist, dass er
die Arzneipackung öffnen und die Tabletten
entnehmen kann, dass er Tabletten schlucken
kann, dass er sich merken kann, ob er die Tablette schon eingenommen hat und dass er versteht, was mit der Medikation bezweckt wird.
Erst dann wird Ihre Intervention dem Patienten
auch helfen können.
Schmerztherapie ist eine wichtige ärztliche
Aufgabe in der täglichen Praxis und erfordert
gerade beim älteren Patienten viel Feingefühl
und einen guten Patientenkontakt – Sie können mit einer gelungen Schmerztherapie sehr
viel zu einer guten Lebensqualität Ihrer Patienten beitragen.
♦
Fachkurzinformationen
Fentoron 12 Mikrogramm/h transdermales Matrixpflaster
Zusammensetzung: Jedes transdermale Pflaster setzt 12,5 Mikrogramm Fentanyl pro Stunde frei. Jedes transdermale Pflaster mit 3,75 cm2 Desorptionsfläche enthält 2,063 mg Fentanyl. Anwendungsgebiete: Erwachsene: Fentoron
ist indiziert bei schweren chronischen Schmerzen, die nur mit Opiatanalgetika
ausreichend behandelt werden können. Kinder: zur Langzeittherapie schwerer
chronischer Schmerzen bei Kindern ab 2 Jahren, die bereits eine Opioidtherapie
erhalten. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen
der sonstigen Bestandteile. Akute oder postoperative Schmerzen, da eine Dosistitration bei kurzzeitiger Anwendung nicht möglich ist. Schwere Beeinträchtigung des zentralen Nervensystems, Schwere Atemdepression. Arzneimittelabhängigkeit und Suchtpotential. Abhängigkeit: Bei wiederholter Verabreichung
von Opioiden können sich Toleranz und physische sowie psychische Abhängigkeit entwickeln; bei der Behandlung von tumorbedingtem Schmerz ist dies jedoch selten. Iatrogen bedingte Sucht nach Opioidverabreichung ist selten. Bei
Patienten mit Arzneimittelabhängigkeit/Alkoholabusus in der Anamnese besteht ein höheres Risiko, eine Abhängigkeit oder einen Abusus während der
Opioidbehandlung zu entwickeln. Patienten mit einem erhöhten Risiko für Opioidabusus können aber dementsprechend mit Opioidformulierungen mit verzögerter Wirkstofffreisetzung behandelt werden; bei diese Patienten ist jedoch
eine Kontrolle auf Anzeichen von unsachgemäßem Gebrauch, Missbrauch oder
Sucht erforderlich. Fentanyl kann in ähnlicher Weise wie andere Opioidagonisten misbraucht werden. Abusus oder absichtlicher unsachgemäßer Gebrauch
von transdermalem Fentanyl Plaster kann zu Überdosierung und/oder Tod führen. Pharmakotherapeutische Gruppe: Opioide; Phenylpiperidin-Derivate, ATCCode: N02AB03. Liste der sonstigen Bestandteile: Klebeschicht (Matrix), Poly[(2ethylhexyl)acrylat-co-(2-hydroxyethyl)acrylat-co-methylacrylat]. Trägerfolie,
Polypropylenfolie, blaue Drucktinte, Abziehfolie, Poly(ethylenterephthalat)folie
(silikonisiert). Art und Inhalt des Behältnisses: Jedes transdermale Pflaster ist
in einen separaten Beutel verpackt. Die Verbundfolie enthält von außen nach
innen folgende Schichten: beschichtetes Papier, low density Polyethylen-Folie,
Aluminium-Folie, Surlyn (thermoplastisches Ethylen-Methacrylsäure-Copolymer). Packung mit 2 transdermalen Pflastern, Packung mit 3 transdermalen
Pflastern, Packung mit 4 transdermalen Pflastern, Packung mit 5 transdermalen
Pflastern, Packung mit 8 transdermalen Pflastern, Packung mit 10 transdermalen Pflastern, Packung mit 16 transdermalen Pflastern, Packung mit 20 transdermalen Pflastern. Es werden möglicherweise nicht alle Packungsgrößen in
den Verkehr gebracht. Verfügbare Packungsgrössen in Österreich: Packung mit
5 transdermalen Pflastern. Inhaber der Zulassung: ratiopharm Arzneimittel Vertriebs-GmbH, Albert Schweitzer-Gasse 3, A-1140 Wien, Tel.Nr.: +43/1/970070, Fax-Nr.: +43/1/97007-66, e-mail: [email protected]. Rezeptpflicht/Apothekenpflicht: Suchtgift, Abgabe nur auf Suchtgiftrezept, apothekenpflichtig.
Stand der Information: 03/2011
Weitere Hinweise zu Warnhinweisen und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung, Wechselwirkungen mit anderen Mitteln, Nebenwirkungen und zutreffendenfalls Angaben über die Gewöhnungseffekte sind der veröffentlichten Fachinformation zu entnehmen.
Fentoron 25, 50, 75 und 100 Mikrogramm /h - transdermales Matrixpflaster
Zusammensetzung: Fentoron 25 Mikrogramm /h – transdermales Matrixpflaster. Jedes transdermale Matrixpflaster enthält 4,125 mg Fentanyl mit einer
Freisetzungsoberfläche von 7,5 Quadratzentimeter, die 25 Mikrogramm Fentanyl pro Stunde freisetzt. Fentoron 50 Mikrogramm /h transdermales Matrixpflaster. Jedes transdermale Matrixpflaster enthält 8,25 mg Fentanyl mit einer Freisetzungsoberfläche von 15 Quadratzentimeter, die 50 μg Fentanyl pro
Stunde freisetzt. Fentoron 75 Mikrogramm /h - transdermales Matrixpflaster.
Jedes transdermale Matrixpflaster enthält 12,375 mg Fentanyl mit einer Freisetzungsoberfläche von 22,5 Quadratzentimeter, die 75 Mikrogramm Fentanyl pro Stunde freisetzt. Fentoron 100 Mikrogramm /h - transdermales Matrixpflaster. Jedes transdermale Matrixpflaster enthält 16,5 mg Fentanyl mit
einer Freisetzungsoberfläche von 30 Quadratzentimeter, die 100 Mikrogramm
ARZT & PRAXIS
Fentanyl pro Stunde freisetzt. Anwendungsgebiete: Chronische Schmerzen, die
nur mit Opiatanalgetika ausreichend behandelt werden können. Hinweis: In
den durchgeführten Studien war eine Zusatzmedikation mit schnellfreisetzenden morphinhaltigen Arzneimitteln bei fast allen Patienten zur Kupierung von
Schmerzspitzen erforderlich. Gegenanzeigen: Fentoron – transdermale Matrixpflaster dürfen nicht angewendet werden bei: bekannter Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff Fentanyl, gegen andere Opiate oder gegen sonstige Bestandteile des transdermalen Pflasters, kurzfristigen Schmerzzuständen
(z. B. nach operativen Eingriffen), gleichzeitiger Anwendung von Monoaminoxidase (MAO) - Hemmer oder innerhalb von 14 Tagen nach Beendigung einer
Therapie mit MAO – Hemmern, Atemdepression ohne künstliche Beatmung,
bradykarden Rhythmusstörungen, akuten hepatischen Porphyrien, schwer beeinträchtigter ZNS – Funktion, erhöhtem intrakraniellem Druck, schwerer Hypotension durch Hypovolämie, Myasthenia gravis. Gewöhnungseffekte: Fentanyl ist aufgrund seiner chemischen Struktur und seiner morphinomimetischen
Eigenschaften ein Suchtgift. Gewöhnung, physische und psychische Abhängigkeit können sich daher bei wiederholter Anwendung von Fentanyl entwickeln. Pharmakotherapeutische Gruppe: Phenylpiperidin – Derivat, ATC-Code:
N02AB03. Liste der sonstigen Bestandteile: Matrix, Polyacrylat-Adhäsivschicht,
Trägerfolie, Polypropylenfolie, Abziehfolie, Polyethylenterephthalatfolie, silikonisiert, blaue Drucktinte. Art und Inhalt des Behältnisses: Fentoron 25 Mikrogramm /h; 50 Mikrogramm /h; 75 Mikrogramm /h und 100 Mikrogramm /h
– transdermale Matrixpflaster werden in Packungen mit 5 transdermalen Pflastern (auf der Freisetzungsoberfläche befindet sich eine Schutzfolie (PET)), welche einzeln in Beuteln, bestehend aus Papier/ Polyethylenfolie/ Aluminiumfolie/
Surlyn, verpackt sind, verordnet. Inhaber der Zulassung: ratiopharm Arzneimittel Vertriebs-GmbH, Albert Schweitzer-Gasse 3, A-1140 Wien, 1 1 ratiopharm,
Tel.Nr.: +43/1/97007-0, Fax-Nr.: +43/1/97007-66, e-mail: [email protected].
Rezeptpflicht/Apothekenpflicht: Suchtgift, Abgabe auf Suchtgiftrezept, apothekenpflichtig. Stand der Information: 11/2009. Weitere Hinweise zu Warnhinweisen und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung, Wechselwirkungen
mit anderen Mitteln, Nebenwirkungen und zutreffendenfalls Angaben über die
Gewöhnungseffekte sind der veröffentlichten Fachinformation zu entnehmen.
Hydromorphon ratiopharm 4 mg-, 8 mg-, 16 mg- und 24 mg-Retardtabletten
Zusammensetzung: Jede Hydromorphon ratiopharm 4 mg Retardtablette enthält 4 mg Hydromorphonhydrochlorid (entsprechend 3,55 mg Hydromorphon). Jede Hydromorphon ratiopharm 8 mg Retardtablette enthält 8 mg
Hydromorphonhydrochlorid (entsprechend 7,09 mg Hydromorphon). Jede Hydromorphon ratiopharm 16 mg Retardtablette enthält 16 mg Hydromorphonhydrochlorid (entsprechend 14,19 mg Hydromorphon). Jede Hydromorphon
ratiopharm 24 mg Retardtablette enthält 24 mg Hydromorphonhydrochlorid
(entsprechend 21,28 mg Hydromorphon). Anwendungsgebiete: Behandlung
von starken Schmerzen. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile, Atemdepression mit Hypoxie und/
oder Hyperkapnie, Schwere, chronisch obstruktive Lungenerkrankung, Koma,
Akutes Abdomen, Paralytischer Ileus, Gleichzeitige Gabe von Monoaminooxidase-Hemmern oder wenn diese innerhalb der letzten 2 Wochen abgesetzt wurden. Die Langzeitanwendung von Hydromorphon kann zur Entwicklung einer
Toleranz mit der Erfordernis höherer Dosen zur Erzielung des erwünschten analgetischen Effekts führen. Eine Kreuztoleranz zu anderen Opioiden kann bestehen. Die chronische Anwendung von Hydromorphon kann zu physischer
Abhängigkeit führen und bei abrupter Beendigung der Therapie können Entzugssymptome auftreten. Wenn die Therapie mit Hydromorphon nicht mehr
länger erforderlich ist, kann es ratsam sein, die Tagesdosis allmählich zu reduzieren, um das Auftreten eines Entzugssyndroms zu vermeiden. Pharmakotherapeutische Gruppe: Opioide, natürliche Opium-Alkaloide, ATC-Code: N02AA03.
Liste der sonstigen Bestandteile: Tablettenkern: Mikrokristalline Cellulose, Hypromellose, Ethylcellulose, Hyprolose, Propylenglycol, Talkum, Carmellose-Natrium, Magnesiumstearat, Hochdisperses Siliciumdioxid. Tablettenüberzug:
Hypromellose, Macrogol (6000), Talkum, Titandioxid (E 171). Außerdem: Hy-
dromorphon ratiopharm 8 mg, Eisen-(III)-oxid (E 172), Hydromorphon ratiopharm 16 mg, Eisen-(III)-oxid-hydroxid x H2O (E 172). Art und Inhalt des Behältnisses: Kindergesicherte Aluminium/PVC-PE-PVDC-Blister. HDPE-Flaschen
mit kindergesicherten PE-Schraubdeckel. Packungsgrößen: 10, 14, 20, 28, 30,
50, 56, 98, 100 Retardtabletten in Blistern. 10, 20, 30, 50, 100 Retardtabletten
in Flaschen. Es werden möglicherweise nicht alle Packungsgrößen in den Verkehr gebracht. Verfügbare Packungsgrössen in Österreich: Blisterpackungen mit
10 und 30 Stück. Inhaber der Zulassung: ratiopharm Arzneimittel VertriebsGmbH, Albert-Schweitzer Gasse 3, A-1140 Wien, Tel.Nr.: +43/1/97007-0, FaxNr.: +43/1/97007-66, e-mail: [email protected]. Rezeptpflicht/Apothekenpflicht: Suchtgift, Abgabe nur auf Suchtgiftrezept, apothekenpflichtig. Stand
der Information: 11/2012. Weitere Hinweise zu Warnhinweisen und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung, Wechselwirkungen mit anderen Mitteln, Nebenwirkungen und zutreffendenfalls Angaben über die Gewöhnungseffekte
sind der veröffentlichten Fachinformation zu entnehmen.
Oxycodon-HCl ratiopharm 20 mg-, 40 mg- und 80 mg-Retardtabletten
Zusammensetzung: Oxycodon-HCl ratiopharm 20 mg Retardtabletten. Jede Retardtablette enthält 20 mg Oxycodonhydrochlorid entsprechend 17,9 mg Oxycodon. Sonstige Bestandteile: Eine Retardtablette enthält maximal 6 mg Saccharose. Oxycodon-HCl ratiopharm 40 mg Retardtabletten. Jede Retardtablette
enthält 40 mg Oxycodonhydrochlorid entsprechend 35,9 mg Oxycodon. Sonstige Bestandteile: Eine Retardtablette enthält maximal 12 mg Saccharose. Oxycodon-HCl ratiopharm 80 mg Retardtabletten. Jede Retardtablette enthält 80
mg Oxycodonhydrochlorid entsprechend 71,7 mg Oxycodon. Sonstige Bestandteile: Eine Retardtablette enthält maximal 23 mg Saccharose. Anwendungsgebiete: Starke Schmerzen, die nur mit Opioid-Analgetika angemessen behandelt
werden können. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen Oxycodon oder einen der sonstigen Bestandteile. Schwere Atemdepression mit Hypoxie und/oder
Hyperkapnie. Schwere chronisch-obstruktive Lungenerkrankung. Cor pulmonale. Schweres Asthma bronchiale. Paralytischer Ileus. Akutes Abdomen, verzögerte Magenentleerung. Toleranzentwicklung und Abhängigkeit: Die Langzeitanwendung von Oxycodon kann zu einer Toleranzentwicklung führen, wodurch
höhere Dosen erforderlich werden, um den gewünschten analgetischen Effekt
zu erzielen. Es besteht eine Kreuztoleranz mit anderen Opioiden. Die chronische
Anwendung von Oxycodon kann zu körperlicher Abhängigkeit führen. Bei abrupter Beendigung der Therapie können Entzugserscheinungen auftreten. Ist
die Oxycodon-Therapie nicht länger erforderlich, ist eine schrittweise Reduzierung der Tagesdosis ratsam, um das Auftreten von Entzugssymptomen zu
vermeiden. Pharmakotherapeutische Gruppe: Natürliche Opiumalkaloide, ATCCode: N02A A05. Liste der sonstigen Bestandteile: Tablettenkern: Zucker-Stärke-Pellets (Saccharose, Maisstärke), Hypromellose, Macrogol 6000, Talkum,
Ethylcellulose, Hyprolose, Propylenglycol, Magnesiumstearat, Mikrokristalline
Cellulose, Hochdisperses Siliciumdioxid. Tablettenüberzug: Oxycodon-HCl ratiopharm 20 mg Retardtabletten, Hypromellose, Talkum, Macrogol 6000, Titandioxid (E 171), Eisenoxid, rot (E 172), Oxycodon-HCl ratiopharm 40 mg Retardtabletten, Hypromellose, Talkum, Macrogol 6000, Titandioxid (E 171), Eisenoxid,
gelb (E 172), Eisenoxid, rot (E 172), Oxycodon-HCl ratiopharm 80 mg Retardtabletten, Hypromellose, Talkum, Macrogol 6000, Titandioxid (E 171), Eisenoxid,
gelb (E 172). Art und Inhalt des Behältnisses: Kindergesicherte Alu/PVC/PVDCBlisterpackungen. Packungsgrößen: 10, 20, 30, 50, 60, 100 Retardtabletten. Es
werden möglicherweise nicht alle Packungsgrößen in den Verkehr gebracht.
Verfügbare Packungsgrößen in Österreich: 10, 30 und 60 Stück. Inhaber der
Zulassung: ratiopharm Arzneimittel Vertriebs-GmbH, Albert-Schweitzer-Gasse 3, A-1140 Wien, Tel.-Nr.: +43/1/97007-0, Fax-Nr.: +43/1/97007-66, e-mail:
[email protected] Verschreibungspflicht/Apothekenpflicht: Suchtgift, Abgabe nur auf Suchtgiftrezept, apothekenpflichtig. Stand der Information: 12/2011
Weitere Hinweise zu Warnhinweisen und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung, Wechselwirkungen mit anderen Mitteln, Nebenwirkungen und zutreffendenfalls Angaben über die Gewöhnungseffekte sind der veröffentlichten Fachinformation zu entnehmen.
Jahrgang 67 / 992a / 2013
THEMENHEFT SCHMERZ
Opioide in der Therapie von
Durchbruchschmerzen bei
Patienten mit Krebserkrankungen
Univ.-Prof. Dr. Herbert Watzke
Professur für Palliativmedizin, Klinik für Innere Medizin I,
Medizinische Universität Wien
Währinger Gürtel 18–20, 1090 Wien
E-mail: [email protected]
Fachkurzinformation siehe Seite 21
Die transmukosal applizierbaren Fentanylpräparate erfüllen diese Bedingungen in idealer
Weise und stellen damit einen großen Fortschritt in der Schmerztherapie dieser Patientengruppe dar.
Dem Schmerz kommt im Rahmen einer
Krebserkrankung besondere Bedeutung zu,
weil die überwiegende Zahl der Patienten mit
Krebserkrankungen behandlungsbedürftige
Schmerzen aufweist und Schmerz in der Regel
auch das erste Zeichen ihrer schweren und lebensverändernden Erkrankung darstellt.
Dieses erste Signal der Krebserkrankung wird
oft von den Patienten falsch zugeordnet oder
nicht beachtet („wäre ich doch nur früher zum
Arzt gegangen“), verschwindet häufig im Rahmen der Krebsbehandlung wieder und wird
letztlich dann, wenn es im Rahmen einer Progression der Krebserkrankung wiederkehrt,
als Ausdruck der Unheilbarkeit wahrgenommen. Diese Wahrnehmung fällt dann oft auch
in die Phase des Auslaufens einer wirksamen
Durchbruchschmerzen treten besonders bei Patienten mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen auf, kommen häufig ohne jede Vorwarnung, sind
extrem schmerzhaft und müssen rasch behandelt werden. Dafür sind
Medikamente notwendig, die rasch und sehr stark analgetisch wirken
und möglichst durch den Patienten selbst angewendet werden können.
Krebstherapie, in der naturgemäß Schwierigkeiten im Akzeptieren der Situation auftreten
und Verdrängungsprozesse Platz greifen können. Schmerzen werden als spürbarstes Zeichen des Fortschreitens der Erkrankung in diesen Verdrängungsprozess miteinbezogen und
damit der Bedarf nach analgetischer Therapie
negiert. Im Besonderen betrifft das die Opioide, welche in der Bevölkerung im Kontext von
Krebserkrankungen als Ultima Ratio in Situationen der Ausweglosigkeit bzw. des nahenden Todes und nicht einfach als wirkungsvolle
Schmerzmittel verstanden werden. Eine wesentliche Voraussetzung für die Einleitung einer wirkungsvollen Schmerztherapie in Onkologie und Palliativmedizin ist deshalb nicht
nur die korrekte Verwendung, Dosierung und
Kombination der Schmerzmedikamente an
sich, sondern auch die Unterstützung des Patienten in der Konfrontation, Verarbeitung und
weitestmöglichen Akzeptanz seiner schweren,
lebensbedrohlichen Erkrankung.
Definition von Durchbruchschmerzen
Als Durchbruchschmerzen werden Schmerzattacken bezeichnet, die aufgrund ihrer hohen
Intensität eine laufende, an sich ausreichende Schmerztherapie mit Opioiden „durchbrechen“. Eine Schmerztherapie wird dabei als
ausreichend angesehen, wenn kein oder nur
milder Schmerz in der vorangegangenen Woche vorhanden war.
Durchbruchschmerzen treten in zwei Formen auf (siehe Abb. 1 und 2) – als unvorhersehbare und ohne erkennbare Auslöser auftretende Schmerzattacken („spontaner
Durchbruchschmerz“) oder als „vorhersehbare“ Schmerzattacken („ausgelöster Durchbruchschmerz“) im Rahmen bestimmter Aktivitäten wie Husten, willkürliche Bewegung,
aber auch Umbetten oder Miktion.
Von diesen beiden Formen des Durchbruchschmerzes abzugrenzen ist der End-of-doseSchmerz, welcher auf eine unzureichende Wir-
19
20
THEMENHEFT SCHMERZ
kung der Basistherapie hinweist und in der Zeit
unmittelbar vor der nächsten regulären Opioid-Basismedikation auftritt.
Charakteristika von
Durchbruchschmerzen
Bei Patienten mit tumorbedingten chronischen Schmerzen sind Durchbruchschmerzen
besonders häufig. Bis zu 90 Prozent aller Patienten mit Krebsschmerzen können Phasen
von Durchbruchschmerzen erleiden, wobei mit
dem Fortschreiten der Erkrankung in der Regel
deren Prävalenz steigt. Im Rahmen einer Attacke von Durchbruchschmerzen, deren Intensität typischerweise bei VAS 6–8 liegt, aber auch
nicht selten Werte bis zu 10 erreicht, steigt der
Schmerz so rasch an, dass das Schmerzmaximum bereits nach 3–5 Minuten erreicht ist.
Der Schmerz hält dann im Mittel 30 Minuten
in der maximalen Stärke an und klingt danach
langsam wieder ab (siehe Abb. 3). Durchbruchschmerzen sind ein häufiger Grund für eine
stationäre Einweisung von Patienten mit Tumorerkrankungen – bei notfallmäßigen Krankenhauseinweisungen von Onkologiepatienten
sind sie die häufigste Ursache. Damit stellen
sie nicht nur eine individuelle Belastung dar,
sondern haben auch eine gesundheitsökonomische Relevanz. Patienten können immer
wieder auftretende Schmerzattacken trotz ansonsten gut eingestellter Schmerztherapie als
besonders demoralisierend und verzweifelnd
erleben. Nicht oder unzureichend behandelte Durchbruchschmerzen sind mit einer eingeschränkten Lebensqualität und signifikanten
Morbidität der Betroffenen wie Funktionseinbußen und erhöhtem Depressionsrisiko verbunden. Patienten mit Durchbruchschmerzen
sind weniger zufrieden mit ihrer Schmerztherapie. Belastende Symptome einer Tumorerkrankung wie Luftnot, Übelkeit oder Inappetenz werden durch immer wieder auftretende
Schmerzattacken verstärkt.
Therapie von Durchbruchschmerzen
Eine sinnvolle Therapie von Durchbruchschmerzen muss bestimmte – durch die oben
erwähnten Charakteristika der Schmerzen vorgegebene – Anforderungen erfüllen.
Sie muss extrem stark analgetisch wirksam
sein, um der hohen Intensität von Durchbruchschmerzen gerecht zu werden. Ihre analgetische Wirkung muss schnell einsetzen und sich
rasch zum Maximum steigern, um der raschen
Schmerzentwicklung beim spontanen Durch-
ARZT & PRAXIS
Ausgelöste Durchbruchschmerzen
 durch Bewegung, Husten,
Umlagerung etc.
Spontane Durchbruchschmerzen
 ohne erkennbaren Anlass
Abb. 1: Klassifikation von Durchbruchschmerzen
Abb. 2: Vorhersagbarkeit von Durchbruchschmerzen

Mittlere bis hohe Intensität
(~ VAS 8)

Rascher Schmerzanstieg (Spitzen-
schmerz nach ~ 3 Minuten)

Kurze Schmerzdauer
(~ 30 Minuten)
Abb. 3: Charakteristika von Durchbruchschmerzen
bruchschmerz entgegenwirken zu können. Die
analgetische Wirkung muss zudem rasch abklingen, damit nicht ein über die Schmerzdauer hinausgehender, unnötig hoher Analgetikaspiegel bestehen bleibt.
Sie muss einfach handhabbar sein und sofern im individuellen Fall die Voraussetzungen dafür erfüllt sind, einen autonomen Einsatz ermöglichen, da aufgrund des raschen
Auftretens der Schmerzen die Anforderung einer ärztlichen oder pflegerischen InterventiAPPLIKATION
on mitunter mit einer zu langen Wartezeit verbunden sein kann. Diesem Anforderungsprofil
entsprechen transmukosale Fentanyl-Formulierungen, wenn sie über die Mund- oder Nasenschleimhaut aufgenommen werden, am
besten. Sie werden auf Grund ihrer lipophilen
Eigenschaft gut resorbiert, erreichen infolge einer Umgehung der Leber sehr rasch die systemische Zirkulation und damit die zentralen
Opioidrezeptoren bzw. haben wegen ihrer pharmakologischen Eigenschaften eine vergleichsweise kurze Wirkungsdauer (siehe Abb. 4).
Transmukosale Applikation von Fentanyl
Folgende transmukosale Fentanyl-Formulierungen stehen in Österreich zur Auswahl:
Das oral-transmukosale Fentanylcitrat war
das erste transmukosale Fentanyl und hat bewiesen, dass derartige Präparate eine gleiche
analgetische Potenz und auch den gleichen
raschen Wirkungseintritt wie intravenös verabreichtes Morphin haben. Durch Reiben eines Fentanyl-Sticks (Actiq®) an der Mundschleimhaut löst sich die Matrix auf, in die das
Fentanylcitrat eingebettet ist. Dabei wird Fentanyl kontinuierlich innerhalb von 15 Minuten freigesetzt – eine schmerzlindernde Wirkung setzt bei guter Verträglichkeit innerhalb
von 5 Minuten ein. Actiq® ist in sechs Wirkstärken in einem Bereich von 200 bis 1.600 μg
verfügbar. Die bei Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen häufig auftretende Mundtrockenheit schränkt den Gebrauch
bei diesen Patienten allerdings ein. Verfügbar
ist Fentanyl auch in Form einer Buccaltablette
(Fentanylcitrat – Effentora®), die im Falle einer
Durchbruchschmerzattacke in die obere Wangentasche über einen der hinteren Backenzähne gelegt wird. Das beim Auflösen freigesetzte Kohlendioxid fördert die Absorption des
Wirkstoffs weiter. Mit der Buccaltablette werden eine höhere Plasmakonzentration (cmax ),
ein schnellerer Zeitpunkt, an dem die maximale Plasmakonzentration erreicht wird (tmax ),
WIRKUNGSEINTRITT
WIRKDAUER
Morphin oral
30 min.
4h
Morphin sc.
10 – 15 min.
3–4h
nicht-retardiert
Morphin iv.
Fentanyl transmukosal
5 min.
1–2h
5 – 15 min.
1–2h
Abb. 4: Pharmakokinetik von Opioiden
Jahrgang 67 / 992a / 2013
THEMENHEFT SCHMERZ
und eine größere und früher beginnende Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve (auco-tmax ) erreicht als durch oral-transmukosal
verabreichtes Fentanyl.
Die Daten zeigen eine klinisch relevante Schmerzreduktion nach 10 Minuten – die
anal­getische Wirkung hält bis zu 2 Stunden an.
Falls es unter Anwendung der bukkalen Applikation zu Irritationen an der Schleimhaut
kommen sollte, kann ein Wechsel der Applikationsstelle im Mund erfolgen. Patienten sind
genau aufzuklären, dass die Buccaltablette
nicht gelutscht, gekaut oder geschluckt werden sollte, weil sie sonst ihre optimale Wirkung
verliert. Effentora® ist in 5 Wirkstärken in einem Bereich von 100 bis 800 μg verfügbar.
Die intranasale Verabreichung von Fentanyl (Fentanylcitrat – Instanyl®) hat sich als interessante Behandlungsoption beim Durchbruchschmerz erwiesen, weil sie auch für
Patienten mit Schluckbeschwerden, sehr trockenem Mund oder Übelkeit und Erbrechen
gut geeignet ist. Intranasal verabreichtes Fentanyl zeichnet sich auch durch eine hohe Bioverfügbarkeit aus – und zwar in pharmakokinetischen Studien von etwa 90 Prozent, erste
klinisch relevante Fentanyl-Plasmakonzentrationen wurden bereits 2 Minuten nach Ver-
abreichung beobachtet, 10 Minuten nach Verwendung stellte sich bei den meisten Patienten
bereits eine klinisch relevante Schmerzreduktion von mindestens zwei Punkten auf einer
11-teiligen numerischen Schmerzskala ein.
Instanyl® steht in Wirkstärken von 50, 100 und
200 μg zur Verfügung.
Intravenöse oder subkutane Gabe von
Opioiden
Intravenöse Opioide sind zur Behandlung eines Durchbruchschmerzes prinzipiell sehr gut
geeignet, weil sie einen ausreichend raschen
Wirkungseintritt und eine schnelle Anflutung
bis zum Wirkungsmaximum aufweisen (Abb. 4).
Sie werden deshalb in allen Situationen eingesetzt, in denen eine Verabreichung ohne ZeitPRAXISTIPPS
Bei Patienten mit weit fortgeschrittenen Krebserkrankungen werden Durchbruchschmerzen häufig durch Umlagerungen im Rahmen der Körperpflege
ausgelöst. Deshalb sollte 5–10 Minuten vor Beginn der Umlagerung ein rasch
wirksames Opioid (transmukosal oder intravenös / subkutan) gegeben werden.
verzögerung gewährleistet ist – was beispielsweise bei Patienten mit laufenden Perfusoren
oder PCA-Pumpen der Fall ist. Die subkutane
Gabe von Opioiden ist wegen des verzögerten
Wirkungseintrittes zur Behandlung von spontanen Durchbruchschmerzen ungeeignet –
für die Therapie von ausgelösten Durchbruchschmerzen, z.B. beim Umbetten, sind sie unter
Berücksichtigung des Zeitintervalls bis zum
Wirkungseintritt (10–15 Minuten) aber durchaus geeignet.
Orale Gabe nicht-retardierter Opioide
Aufgrund der pharmakokinetischen Profile
können Durchbruchschmerzen mit kurz wirksamen Opioiden wie nicht-retardiertem Morphin, Hydromorphon oder Oxycodon nicht
ausreichend behandelt werden: Bei oraler Gabe liegt der Wirkungseintritt dieser nicht-retardierten Opioide im Bereich von mindestens
30 Minuten. Damit entsprechen sie nicht dem
zeitlichen Muster von Durchbruchschmerzen, sondern erzielen ihre Wirkung erst zu einem Zeitpunkt, zu dem häufig die Schmerzen
bereits wieder abgeklungen sind. Hinzu kommt
eine zu lange Wirkdauer von – je nach verwen♦
detem Opioid – 4 bis 8 Stunden.
Literatur beim Verfasser
Bezeichnung des Arzneimittels: Fentanyl Hexal 37,5 Mikrogramm/h – transdermales Matrixpflaster; Fentanyl Hexal 150 Mikrogramm/h – transdermales Matrixpflaster. Qualitative und Quantitative Zusammensetzung:
Fentanyl Hexal 37,5 Mikrogramm/h: Jedes transdermale Pflaster setzt 37,5 Mikrogramm Fentanyl pro Stunde frei. Jedes transdermale Pflaster mit 15,75 m2 Absorptionsfläche enthält 8,66 mg Fentanyl. Sonstiger Bestandteil: 8,66 mg raffiniertes Sojaöl. Fentanyl Hexal 150 Mikrogramm/h: Jedes transdermale Pflaster setzt 150 Mikrogramm Fentanyl pro Stunde frei. Jedes transdermale Pflaster mit 63 m2 Absorptionsfläche enthält 34,65 mg
Fentanyl. Sonstiger Bestandteil: 34,65 mg raffiniertes Sojaöl. Wirkstoffgruppe: Pharmakotherapeutische Gruppe: Analgetika; Opioide; Phenylpiperidin-Derivate. ATC-Code: N02AB03. Anwendungsgebiete: Schwere chronische Schmerzen, die nur mit Opioid-Analgetika ausreichend behandelt werden können. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff, hydriertes Kolophonium, Soja, Erdnuss oder einen der sonstigen Bestandteile. Akute oder postoperative Schmerzen, da eine Dosistitration bei kurzzeitiger Anwendung nicht möglich ist. Schwere Beeinträchtigung des zentralen Nervensystems. Liste der sonstigen Bestandteile: Abziehfolie:
Poly(ethylenterephthalat)-Folie, silikonisiert; Selbstklebende Matrixschicht: hydriertes Kolophonium, Poly (2-ethylhexylacrylat-co-vinylacetat), raffiniertes Sojaöl; Trägerfolie: Poly-(ethylenterephthalat), blaue Bedruckung.
Inhaber der Zulassung: Hexal Pharma GmbH, 1020 Wien. Packungsgrößen: 5 Stück. Verschreibungspflicht/Apothekenpflicht: Suchtgift, Abgabe auf Suchtgiftrezept, apothekenpflichtig. Stand der Information: Juni 2010
Weitere Angaben zu Warnhinweisen und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung, Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln oder sonstige Wechselwirkungen, Nebenwirkungen und Gewöhnungseffekten sowie Angaben zu Schwangerschaft und Stillzeit sind der veröffentlichten Fachinformation zu entnehmen.
Jahrgang 67 / 992a / 2013
ARZT & PRAXIS
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FORTBILDUNG
Erfolgreiches Notfallsmanagement
bei Opioid-Überdosierung
Opioid-Überdosierungen sind ebenso vermeidbar wie lebensbedrohlich – dieses Problem hat mit steigender
Anzahl an Verschreibungen und Zunahme der verordneten Dosishöhe in der Praxis an Bedeutung gewonnen. Ein adäquates Notfallsmanagement verlangt die Beachtung verschiedener Faktoren bzw. „Fallstricke“.
Drei Faktoren ruft E. W. Boyer in seiner rezent
im NEJM erschienenen Übersichtsarbeit [1] in
diesem Zusammenhang ganz besonders ins
Be­wusstsein: Zum einen entfaltet ein Opioid im Rahmen einer Überdosierung lebensbe­
drohliche toxische Effekte auf unterschiedlichste Organsysteme. Zum anderen sind seine
normalen pharmakokinetischen Eigenschaften
während einer Überdosierung oftmals gestört
und vermögen so die Intoxikation zu prolongieren. Drittens variiert die Wirkdauer des jeweiligen Opioids je nach eingesetzter Substanz
bzw. Formulierung.
Zumeist sind Überdosierungen auf falsche
Verschreibung, Einnahme- bzw. Anwendungsfehler sowie Substanzmissbrauch (auch in suizidaler Absicht) zurückzuführen. Ein erfolgreiches Management zeichnet sich laut Boyer
durch eine entsprechende Erfassung all dieser Aspekte aus – in der Folge werden zentrale Aussagen dazu zusammengefasst.
Pathophysiologische und toxikologische Aspekte
Unter bestimmten Voraussetzungen (z.B. regelmäßigem, oftmaligem Einsatz kurzwirksamer Opioide über eine gewisse Zeitspanne
hinweg) kann es im Laufe einer Opioid-Therapie zur Toleranzentwicklung kommen – diese scheint aber hinsichtlich Analgesie schneller
einzutreten als in Bezug auf die Atemdepression. Demnach dürfte in solchen Fällen mit zunehmender Therapiedauer die Gefahr einer
Atemdepression wachsen bzw. sich das therapeutische Fenster verkleinern.
Zudem sind bekannte pharmakokinetische
Konstanten von Opioiden im Falle einer Überdosierung oftmals bedeutungslos. So führen
eine unberechenbare Resorption nach missbräuchlicher Aufnahme (orale Einnahme großer Mengen, Schnupfen/Injizieren zerstampfter oraler Präparationen, Pflaster-Erwärmung
bzw. multiple -Anwendung) sowie eine verzögerte bzw. verlängerte Resorption durch Opioid-induzierte gastrointestinale Motilitätsmin-
ARZT & PRAXIS
derung oder auch eine veränderte Elimination
(Abbau von konstanten Mengen statt Proportionen nach Absättigung diesbezüglicher Enzyme) zu verzögertem Eintreten, verstärkter Intensität und protrahierter Dauer von
Opioid-Überdosierungen.
Klinische Präsentation – weitere
Diagnostik
Die klassische Symptomentrias besteht aus
Atemdepression (Hypo- bis Apnoe), Bewusstseinseinschränkung (Somnolenz bis Koma)
und Miosis – allerdings ist diese nicht immer in
gleicher Form bzw. Ausprägung anzutreffen.
„Conditio sine qua non“ der Opioid-Intoxikation ist die Atemdepression. Eine Opioid-Anwendung in therapeutischen Dosierungen bei
Patienten ohne Toleranzentwicklung schränkt
alle Phasen der Atmungsaktivität ein, wobei
das Ausmaß von der Dosis abhängig ist. Starker Schmerz wirkt hier „antagonistisch“ und
mindert die Gefahr einer Atemdepression. Eine Atemfrequenz unter 12 Atemzügen pro Minute bei Personen, die sich nicht im natürlichen
Schlafzustand befinden, sollte laut Boyer den
Verdacht auf das Vorliegen einer Opioid-Intoxikation lenken – insbesondere wenn diese von
Stupor und Miosis begleitet ist.
Hingegen ist eine alleinige Miosis bei Bewusstseinsgestörten kein ausreichender Hinweis auf eine Opioid-Intoxikation, da dieses
Bild auch bei Vergiftungen mit Antipsychotika, Antikonvulsiva, Sedativa, Hypnotika bzw.
Alkohol bestehen kann und eine gleichzeitige
Atemdepression in solchen Fällen laut Boyer
gewöhnlich fehlt.
Als weitere Folgen einer Opioid-Intoxikation können Bradykardie bzw. Hypotonie, Hypothermie, Lungenödem, Hepatopathie (Hypoxämie- bzw. Paracetamol-bedingt),
Rhabdomyolyse, Nierenversagen (Myoglobinurie-bedingt), verminderte gastrointestinale Peristaltik, herabgesetzte Reflexe, Kompartmentsyndrom sowie zerebrale Krampfanfälle
zu beobachten sein. In der klinischen Untersu-
chung sollten zunächst Atmung (einschließlich
Auskultation bezüglich Lungenödem – oftmals
erst nach Naloxon-Gabe suffizient möglich),
Bewusstseinszustand, Kreislauf, Pupillen bzw.
Muskulatur (Abtasten hinsichtlich Kompartmentsyndrom) beurteilt werden. Nach stabilisierenden Erstmaßnahmen sollte nach Pflastern gesucht (etwa bei Missbrauch auch im
Bereich von Axillae, Perineum, Skrotum bzw.
Oropharynx zu finden) und diese entfernt bzw.
die Haut durch Abwaschen mit kaltem Wasser
und Seife dekontaminiert werden.
Notfallsmanagement
Patienten mit Hypo-/Apnoe bedürfen eines
mechanischen bzw. medikamentösen Atemstimulus. Freihalten der Atemwege und assistierte bzw. kontrollierte Beatmung mit Sauerstoff
(über Maske bzw. endotracheale Intubation)
vermögen eine suffiziente Ventilation bzw.
Oxygenierung wiederherzustellen und beugen der sekundären Entstehung eines Lungenödems vor.
Naloxon ist ein kompetitiver Antagonist an
allen Opioid-Rezeptoren und vermag alle Zeichen einer Opioid-Intoxikation – insbesondere Atemdepression und Bewusstseinseinschränkung – wieder vollständig bzw. teilweise
aufzuheben. Es entfaltet signifikante Wirkungen bei parenteraler, nasaler oder endotrachealer, nicht aber bei oraler Gabe (hoher FirstPass-Effekt). Bei Opioid-Abhängigen ist mit
niedrigeren initialen Plasmaspiegeln, höheren
Verteilungsvolumina und längeren Eliminations-Halbwertszeiten zu rechnen.
Bei iv.-Gabe ist ein Eintritt der Wirkung innerhalb von zwei Minuten zu erwarten – diese hält
dosisabhängig über 1–4 Stunden an. Dies ist
ein deutlich kürzerer Zeitraum als es der Wirkdauer der meisten Opioide bei Intoxikation entspricht. Repetitive Gaben ausreichender Naloxon-Dosen sind daher notwendig, will man ein
„Rebound“-Phänomen verhindern. Rezidivierend auftretende Atemdepressionen stellen eine Indikation für Dauerinfusionstherapie bzw.
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FORTBILDUNG
orotracheale Intubation dar, sofern diese Maßnahmen nicht schon primär gesetzt wurden
– in allen Fällen einer Opioid-Intoxikation ist
demnach eine ausreichend lange Nachbeobachtung (ggf. Intensiv-Monitoring) wesentlich.
Die Dosisfindung ist empirisch (orientiert
sich also am klinischen Zustandsbild), da die
effektive Naloxon-Menge von in der Notfallssituation oftmals nicht zugänglichen Variablen
abhängt – so etwa der Menge an verabreichtem bzw. eingenommenem Opioid, der relativen Rezeptoraffinität von Naloxon gegenüber
dem zu verdrängenden Opioid, dem Körpergewicht des Patienten oder der ZNS-Gängigkeit
des betreffenden Opioids.
Die übliche iv.-Initialdosis bei bekannter
wie auch vermuteter Opioid-Überdosierung
bzw. -Intoxikation beim Erwachsenen beträgt
0,4–2 mg Naloxonhydrochlorid – falls die gewünschte Verbesserung der Atemfunktion
nicht unmittelbar nach der ersten iv.-Gabe erzielt wird, kann sie in Abständen von 2–3 Minuten wiederholt werden. Wenn nach Gabe von 10 mg keine wesentliche Verbesserung
beobachtet wird, kann man daraus schließen,
dass die Atemdepression teilweise oder vollständig auf andere Krankheitsbilder oder andere Wirkstoffe als Opioide zurückzuführen ist.
Ausnahmen hiervon sind Buprenorphin und
hohe Dosen von agonist-antagonistisch wirkenden Opioiden.
Je nach Art des zu antagonisierenden Opioids (z.B. kurz- oder langwirksam), dessen Anwendungsform, Dosis und Anwendungszeit
können weitere Gaben nach 1–2 Stunden notwendig werden – alternativ dazu kann Naloxonhydrochlorid als iv.-Infusion verabreicht
werden.
Laut Boyer ist Naloxon auch bei Patienten
mit Opioid-Abhängigkeit nicht kontraindiziert
– zum einen hält er beobachtete Entzugserscheinungen wie Gähnen, Piloarrektion, Tränenfluss, Schwitzen, Myalgien, Erbrechen bzw.
Diarrhoe zwar für unangenehm, aber nicht lebensbedrohlich und zum anderen würden diese Patienten bereits auf geringe Dosen von
Naloxon im Sinne einer Atmungsverbesserung
und ohne Auslösung eines Entzuges ansprechen. Als Alternative zur sofortigen Verabreichung von Naloxon nennt Boyer die orotracheale Intubation mit nachfolgender kontrollierter
Beatmung zur Sicherstellung einer ausreichenden Oxygenierung und als Aspirationsschutz.
Für eine gastrointestinale Dekontamination
oraler Präparate – z.B. durch Magenspülung –
ergibt sich ein nur kleines Zeitfenster, das von
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der Formulierung des eingenommenen Opioids abhängig ist – dieses umfasst laut Boyer die
erste Stunde nach Ingestion, bei Retard-Präparaten laut Produktinformationen bis zu vier
Stunden. Patienten mit verschluckten Pflastern profitieren von einer Macrogol-induzierten beschleunigten Darmentleerung.
Eine persistierende Hypoxämie nach Naloxon-Gabe kann auf das Vorliegen eines Lungenödems hinweisen – in schweren Fällen
haben sich die orotracheale Intubation und
Beatmung mit positivem PEEP bewährt. Eine Diuretika-Gabe hingegen würde in solchen
Fällen laut Boyer kaum helfen (keine Flüssigkeitsüberladung) und darüber hinaus eine etwaige bestehende myoglobinurische Niereninsuffizienz verstärken. Lungenödeme wurden
in nahezu allen Fällen mit tödlichem Ausgang,
nicht jedoch bei Patienten, die große NaloxonMengen per Dauerinfusion erhalten hatten,
beobachtet.
In der Notfallsituation sind zudem Hypovolämie bzw. Hypothermie zu beachten und
entsprechend zu therapieren. Eine Volumengabe ist auch Therapie der Wahl bei bestehender Rhabdomyolyse zur Verhinderung der
Myoglobin-Präzipitation in den Nierentubuli.
Bei präklinischen Hinweisen auf ein Kompartmentsyndrom (Härte, Spannung, Schwellung)
ist an die mögliche Notwendigkeit einer chirurgischen Notfallsintervention zu denken.
Spezielle Risikogruppen
Psychiatrische Erkrankungen und chronische
Schmerzsyndrome weisen eine gewisse Überlappung auf – vor allem Patienten mit Depression bzw. Angststörungen sind allein schon
wegen oftmals höheren verschriebenen Opioid-Dosen gefährdeter für Intoxikationen. Zudem nehmen diese Patienten auch häufiger
gleichzeitig Sedativa bzw. Hypnotika (z.B. Benzodiazepine) ein, für welche eine enge Assoziation mit Todesfällen an Opioid-Überdosierungen beobachtet werden konnte.
Als weitere Risikogruppe nannte Boyer Kinder – hier steht die akzidentelle Ingestion von
Präparaten, die für Erwachsene bestimmt sind,
im Vordergrund. Bei Kindern setzen Opioid-Intoxikationen oftmals verzögert ein, nehmen
einen schweren Verlauf und klingen langsamer ab – dies hängt mit der von Erwachsenen
differierenden Pharmakokinetik zusammen.
Dementsprechend erfordern Vergiftungen mit
langwirksamen Formulierungen (orale RetardPräparate, Pflaster) sowie Substanzen mit langer Halbwertszeit (z.B. Buprenorphin) ein be-
sonderes Augenmerk. Zudem nehmen Kinder
oft eine höhere Opioid-Menge in Relation zu
ihrem Körpergewicht auf und bedürfen vergleichsweise höherer Naloxon-Dosierungen.
Auch Betagte sollten engmaschig und ausreichend lang nachbeobachtet werden. Zum
einen weisen sie eine höhere Empfindlichkeit
für Opioid-Effekte auf, zum anderen vermögen aber auch Komorbiditäten wie etwa Niereninsuffizienz, COPD oder Schlafapnoe-Syndrom die Opioid-induzierte Atemdepression
zu verstärken. Zudem können altersbedingte
Verminderungen etwa von hepatischem Blutfluss oder Plasmaeiweißbindung zu unvorhersehbaren und protrahierten Opioid-Intoxikationen führen. Auf diese Aspekte wird auch das
bisweilen bei Betagten beobachtete Versagen
von Naloxon in der erfolgreichen Aufhebung
einer Intoxikation mit kurzwirksamen Opioiden
zurückgeführt.
„Fallstricke“
1. Naloxon verkürzt eine Opioid-Überdosierung nicht und wirkt kürzer als die meisten
Opioide – Gefahr des Wiederauftretens der
Intoxikationssymptome → verhinderbar ist
diese durch repetitive Gabe bzw. Dauerinfusion von Naloxon und ausreichend lange
bzw. intensive Nachbeobachtung.
2.Die erfolgreiche Naloxon-Dosis korreliert
nicht mit der Intoxikationsschwere (z.B. bei
Opioid-Abhängigen oftmals initialer Erfolg
durch kleine Dosis) – ebenfalls „Rebound“Gefahr durch fehlende Wiederholung der
Gabe, zu kurze Nachbeobachtung und
nicht initiierte Überstellung zum IntensivMonitoring → Maßnahmen zur Verhinderung siehe oben.
3.Zeitpunkt der Plasma-Spitzenkonzentration des Opioids korreliert nicht mit jenem
der maximalen Atemdepression – ein dementsprechendes Timing ist nicht möglich.
4. Kinder und Betagte sind Risikogruppen →
Notfallsmanagement und Nachbeobachtung ausreichend lange bzw. intensiv.
5. Nicht-Erkennen einer gleichzeitigen Paracetamol-Intoxikation zu einem möglichst
frühen Zeitpunkt, der optimal für eine Gabe von N-Acetylcystein als Antidot wäre →
Spiegelbestimmung im Rahmen der Dia­
gnostik ist laut Boyer sinnvoll.
♦
Literatur:
[1] Boyer EW: Management of Opioid Analgesic Overdose; N Engl J Med 2012; 367: 146–155
[2]Produktinformationen zu verfügbaren parenteralen
Naloxon-Präparationen
ARZT & PRAXIS
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Fachkurzinformation siehe Seite 18
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