| Ladenalltag © Fotofinder Beratung Schwellenkunden nicht mit Infos überladen Beratung ist eines der wichtigsten Pfunde, mit denen der Naturkosthandel wuchern kann. Insbesondere bei Neu- und Schwellenkunden kann man damit punkten. Dabei geht es in erster Linie darum, sich auf individuelle Kundenbedürfnisse einzustellen. Das ist leichter gesagt als getan, denn viele Fragen verlangen Spezialkenntnisse. Es kommt also darauf an, die Fort- und Weiterbildung der Mitarbeiter an der jeweiligen Zielgruppe auszurichten und veränderte Kundenbedürfnisse zu berücksichtigen. // Sylvia Raabe Das erfreuliche Flächenwachstum der letzten Jahre hat viele neue Mitarbeiter in den Naturkostfachhandel gebracht. Ob Quereinsteiger aus anderen Branchen, Auszubildende oder gelernte Kaufmänner und -frauen aus dem konventionellen Lebensmitteleinzelhandel, wichtig ist eine gute Aus- bzw. Fortbildung. Denn wie Elke Röder, Geschäftsführerin des BNN Herstellung und Handel e.V., betont: „Die Beratungskompetenz ist das Qualitätsmerkmal des Fachhandels.“ Gleichzeitig aber geht sie davon aus, dass die Beratungspotenziale, die die Branche hat, noch nicht in ausreichendem Maße ausgeschöpft werden. Die hohe Kunst der Kundenberatung sei es, die Sach- und Warenkunde einerseits und den Mehrwert von Bio andererseits zusammenzubringen. Gelegenheitskäufer mit speziellen Fragen Gute Beratung kann insbesondere bei den neuen Kunden wichtig sein, die ihre Bioeinkäufe häufig erst einmal als Selten- und Gelegenheitskäufer beginnen. Professor Achim Spiller von der Uni Göttingen sieht in dieser Kundengruppe die größte Chance für die Ausweitung des Biomarktanteils (vgl. die Studie „Analyse des Kaufverhaltens von Gelegenheits- und Seltenkäufern und ihrer Bestimmungsgründe für/ gegen den Kauf von Öko- Produkten“, BioHandel 03/2004, nachzulesen von Abonnenten des Online-Angebots unter www.biohandel-online.de). „Stammkunden setzen voraus, dass ihr Ladner eine gute Vorauswahl für sie getroffen hat, da geht es bei der Beratung und beim Kundenkontakt eher um die Beziehungsgestaltung und -pflege“, bestätigt Harald Wurm, Geschäftsführer des BNN Einzelhandel. Potenziale lägen hier vor allem in der Erhöhung des Durchschnittsbons. Bei Schwellenkunden hingegen biete sich die Chance, diese behutsam in den Fachhandel hinüberzuziehen; gute Beratung sei da sicherlich förderlich. „Die Neukunden dürfen aber nicht mit zu vielen Informationen überfordert werden. Viel wichtiger ist es, auf ihre ganz konkreten Bedürfnisse einzugehen“, stellt Harald Wurm fest. So könne man eine solide Basis legen, auf der eine gute Kundenbeziehung entstehen kann. Kompetenz ausstrahlen Viele Verbraucher finden heute den Weg in ein Bio-Fachgeschäft, weil sie ein Problem haben, das mit der Ernährung zusammenhängt. „Viele Fragen, die die Kunden haben, sind ganz individuell und sehr personenbezogen“, berichtet Katrin Engel, die beim Forum Berufsbildung für die Naturkost-Lehrgänge zuständig ist. Zu den häufigsten Fragen gehören die Themen Allergien und Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten, > 9|10 BioHandel 61 Ladenalltag | Beratung > auch das Thema Säuglingsernährung spielt eine große Rolle. Allgemeine Fragen zu Bio und den Bio-Richtlinien scheinen hingegen eher selten vorzukommen. Wichtig ist hier, dass der Kunde sich nicht zu Informationen genötigt fühlt. Wer dem Kunden diese Sicherheit glaubhaft vermitteln möchte, sollte fit im grundlegenden Bio-Know-how sein: Was zum Beispiel die wichtigsten Unterschiede zwischen Demeter und EU-Bio sind, gehört ebenso dazu wie das Wissen, wie Bio zu Gentechnik steht oder was unter artgerechter Tierhaltung zu verstehen ist. „Green Glamour ist vorbei“ „Manchmal reicht es, wenn der Kunde eine einzige fachliche Frage stellt, die nicht ordentlich beantwortet wird – schon kann das Image der Glaubwürdigkeit beschädigt sein“, warnt Elke Röder. Ausgelöst durch die wirtschaftliche Krise prognostiziert sie eine neue grüne Ernsthaftigkeit. Vorbei seien die Zeiten des „green glamour“; zukünftig kämen verstärkt Verbraucher in den Naturkostfachhandel, die auf der Suche nach vertrauenswürdigen, glaubwürdigen und eben auch ökologisch und sozial korrekten Lebensmitteln seien. Neben den egoistisch motivierten, gesundheitlichen Fragen habe diese Verbrauchergruppe auch wieder verstärkt Interesse an den altruistischen Aspekten von Bio: wie z.B. Tierhaltung, Welthunger und Klimaschutz. Auch den umfassenderen Ansprüchen dieser Kunden müsse die Beratungskompetenz des Fachhandels dann gerecht werden. Bio Wissens-Check: Beispielhafte Fragen aus einigen Warengruppen Brot und Backwaren 1 / Welche Getreidesorten gibt es? 2 / Was ist eine Glutenunverträglichkeit? 3 / Verträgt ein Weizenallergiker Dinkel? 4 / Wann ist ein Mehl ein Vollkornmehl? | Ladenalltag Tipps für Aus- und Fortbildung -- Forum Berufsbildung in Berlin: Umschulungen, Fortbildungen, Seminare und Fernstudiengänge für den Bereich Naturkost mit unterschiedlichen Schwerpunkten -- Seminarreihe mit aktuellen Aufhängern des BNN Einzelhandel in Zusammenarbeit mit Experten aus der Branche -- Sensorikseminare für den Naturkostfachhandel des BNN Herstellung und Handel -- Weiling Akademie des Naturkostgroßhändlers Weiling -- Viele weitere (regionale) Großhändler bieten Schulungen an, z.B. Terra Naturkosthandel -- Produktbezogene Schulungen direkt durch die Hersteller (häufig in Zusammenarbeit mit dem Großhandel) -- Naturkost Akademie u.a. mit Angeboten für betriebswirtschaftliches Know-How Um Schulungen ihrer Mitarbeiter kommt die Branche nicht umhin. Insbesondere die fundierte Einarbeitung von neuen Mitarbeitern im Bereich Bio-Warenkunde ist ohne externe Aus- und Fortbildungsmaßnahmen fast nicht möglich. Und Branchenkenner betonen: Die Mitarbeiter wollen lernen und wissen. Insbesondere Quereinsteiger sind fachlich sehr interessiert und anspruchsvoll. „Früher war Engagement ausreichend, heute wollen die Quereinsteiger mehr, sie wollen fachlich unterfüttert werden“, sagt Elke Röder. Auch Katrin Engel vom Forum > ? Fleisch & Wurst 1 / Was bedeutet artgerechte Tierhaltung? 2 / Warum ist Bio-Fleisch teurer? 3/ Warum gibt es Wurst mit und ohne Nitritpökelsalz (NPS)? Käse 1 / Was ist der Unterschied zwischen tierischem und mikrobiellem Lab? 2 / Darf bei der Herstellung von Bio-Käse Gen-Lab eingesetzt werden? 3 / Was ist Rohmilchkäse? Milch(produkte) 1 / Was ist der Unterschied zwischen einer Laktose-Intoleranz und einer Milcheiweißallergie? 2 /Sind Aromastoffe im Bio-Joghurt erlaubt? 3 / Werden die Bio-Bauern fair bezahlt? Obst und Gemüse 1 / Warum gibt es auch bei Bio-Produkten Flugware? 2 / Ist es ökologisch, einen Bio-Apfel aus Chile zu essen? 3 / Wie kann bei Importware die Bio-Qualität garantiert werden? Sojaprodukte 1 / Werden für Bio-Sojabohnen Regenwälder abgeholzt? 2 / Sind Sojaprodukte für Babys geeignet? 3 / Darf man mit einer Laktose-Intoleranz Soja-Milch trinken? Antworten auf Seite 64/65 62 BioHandel 9|10 9|10 BioHandel 63 Ladenalltag | Beratung > Berufsbildung betont, dass nicht nur die Kunden ein Mehr an Beratung im Naturkostfachhandel erwarten. Die neuen Mitarbeiter gehen davon aus, dass eine fachliche Kompetenz zu ihrem neuen Job dazu gehört. Daraus lässt sich ableiten, dass ein gut geschulter und fachlich versierter Verkäufer sich wohler fühlt und daher dem Kunden auch ganz anders gegenübertreten und besser beraten kann. „Hier geht es darum, dass die Mitarbeiter stolz darauf sein können, im Fachmarkt zu arbeiten und dass Wissensvermittlung an den Kunden Spaß macht“, fasst Elke Röder zusammen. Zu den besonders beratungsintensiven Bereichen im Naturkostfachhandel gehören all die Warengruppen, die an der Bedienungstheke mit persönlichem Kundenkontakt verbunden sind. Beispiel Fleisch und Wurst: „Das ist ein Bereich, der sowohl Neukunden anspricht, als auch Stammkunden bindet, die dann für diese Produkte keine andere Einkaufsstätte mehr aufsuchen müssen“, so Harald Wurm. „ Die Warengruppe erfordert allerdings sehr viel Fachwissen. Im offenen Verkaufsbereich gibt es hohe gesetzliche Anforderungen, was die Ausstattung anbetrifft. Das Verkaufspersonal an dieser Stelle sollte besonders geschult sein, auch im Umgang mit verpackter Ware gibt es einiges zu beachten. Generell gilt gerade für derartige hochpreisige Produkte, dass Brot und Backwaren 1 / Weizen, Dinkel, Einkorn, Emmer, Kamut, Roggen, Gerste, Hafer, Reis, Mais, Hirse 2 / eine Unverträglichkeit gegenüber dem Klebereiweiß, das in vielen Getreidesorten enthalten ist 3 / Er verträgt unter Umständen Dinkel; Details sind mit dem Arzt zu klären. 4 / Vollkornmehl enthält die gesamten Bestandteile der gereinigten Körner, einschließlich des Keimlings Fleisch & Wurst 1 / Rücksicht auf artspezifische Verhaltensweisen 2 / längere Mastzeiten, Bio-Futter, artgerechte Tierhaltung, niedrigere Erträge pro Quadratmeter 3 / gesundheitliche Bedenken gegenüber NPS (Krebsgefahr durch Nitrosamine). Trotzdem für Biowurst zugelassen, allerdings mit niedrigerem Höchstwert. Demeter und Bioland erlauben kein NPS Käse 1 / Tierisches Lab wird aus Kälbermägen gewonnen, mikrobielles Lab wird aus Schimmelpilzkulturen gezüchtet. 2 / Der Einsatz von Gen-Lab ist verboten. 3 / wird aus unerhitzter Milch hergestellt, um das typische Aroma von Rohmilchkäse zu erhalten 64 BioHandel 9|10 | Ladenalltag die Unterschiede zwischen ökologischer und konventioneller Erzeugung deutlich gemacht werden können.“ Die gerade neu erschienene Fachhandelsbroschüre Warenkunde Fleisch- und Wurstwaren, die der BNN Einzelhandel in Kooperation mit dem Forum Berufsbildung herausgibt, informiert ausführlich zu diesem Thema. Diese und weitere Broschüren zu anderen Warengruppen gehören nach Aussage von Harald Wurm in jeden Laden, so dass sich die Mitarbeiter jederzeit informieren können. Kodex-Kampagne bietet Liste mit häufig gestellten Fragen Eine Alternative, sein Wissen mal schnell zwischendurch zu schulen und überprüfen, bietet derzeit der BNN Herstellung und Handel in Verbindung mit der Kodex-Kampagne „Bio kann mehr!“ Zu jedem Flyer, der im Rahmen der Kampagne für die Kundenansprache erstellt wurde (Themen u.a.: Allergien, Gentechnik, Milch) gibt es vom Verband eine Liste mit FAQ’s (Häufig gestellte Fragen). Diese wird allen an der Kampagne teilnehmenden Einzelhändlern zur Verfügung gestellt. Aktuell hat der Verband zudem ein Bio-Quiz in Arbeit, das in Form von Quiz-Karten eine spielerische Auseinandersetzung mit dem eigenen BioKnow-how ermöglichen soll. < ! Milch(produkte) 1 / Bei Laktoseintoleranz wird Milchzucker nicht vertragen, bei bei Allergie geht es um das Milchweiweiß. 2 / natürliche Aromen laut EU-Öko erlaubt, Verbände (z.B. Demeter) verzichten freiwillig darauf 3 / Aktuell liegt der Biomilchpreis bei durchschnittlich 40 Cent pro Liter, was den konventionellen Milchpreis um ca. 10 Cent übertrifft. Obst und Gemüse 1 / Reif gepflückte und per Flugzeug transportierte Früchte schmecken besser, aber die Ökobilanz ist schlecht. 2 / Wenn die gelagerten heimischen Äpfel zur Neige gehen, besteht Nachfrage nach Übersee-Importen; wegen der Ökobilanz sollte per Schiff transportierte Ware bevorzugt werden. 3 / Importe aus Drittländern müssen EU-Standards erfüllen. Sojaprodukte 1 / Hersteller von Bio-Sojaprodukten achten darauf, keine Rohstoffe aus ehemaligen Regenwaldgebieten zu beziehen. 2 / Kinder unter einem Jahr sollten keine Sojamilch bekommen, weil sie zu viel Eiweiß und zu wenig Fett hat. 3 / Rein pflanzliche Sojamilch enthält keine Laktose und kann daher bei einer Laktose-Intoleranz verwendet werden. 9|10 BioHandel 65