N icolas C ollins Der New Yorker Performer, Komponist und Klangkünstler, Jahrgang 1954, studierte bei Alvin Lucier Komposition und arbeitete viele Jahre mit David Tudor und der Gruppe Composers Inside Electronics zusammen. Collins ist Pionier in der Verwendung von selbstentwickelten elektronischen Schaltkreisen, sogenannten Handmade Electronics, Mikrocomputern, Radiogeräten, aufgelesenem Klangmaterial und verfremdeten Musikinstrumenten. Unter anderem hat er eine Kombination von Posaune und Computer entworfen, die es ihm erlaubt, gesampelte Klänge mittels der Posaune zu steuern. In den 1990er Jahren lebte und arbeitete Collins vorwiegend in Europa, vor allem in Amsterdam und Berlin, wo er Gast des Künstlerprogramms des DAAD war. Er ist Chefredakteur des Leonardo Music Journal und Professor am Art Institute of Chicago. A lvin L ucier Der US-Amerikaner, Jahrgang 1931, ist ein Komponist, dessen Stücke und Installationen den Akt des Hörens auf besondere Weise erfahrbar machen. In vielen seiner Werke wie der „Music for Solo Performer“ aus dem Jahr 1965, in der Lucier mit seinen Gehirn­strömen und mittels einfacher Übertragungstechnik Perkussions­instrumente zum Klingen bringt, werden physikalische Prozesse Ursprung der klanglichen Ereignisse. Oft gleichen seine Stücke experimentellen Versuchsanordnungen, in denen eigentlich Unhörbares hörbar gemacht wird. Seit 1982 arbeitet Alvin Lucier in seinen Werken auch mit Interferenztönen, die sich aus dem Zusammenklang von Sinus­ tönen und traditionell gespielten Instrumenten ergeben. R einhol d F rie d l geboren 1964, lebt seit 1987 in Berlin. Er studierte Klavier, Mathematik und Musikwissenschaft in Stuttgart und Berlin und gründete und leitet das Ensemble Piano-InsideOut und Zeitkratzer. Als Pianist und Komponist arbeitete er mit Künstlern wie etwa Lee Ranaldo (Sonic Youth), Phill Niblock, Helmut MM14_6stg_18.03._SAL_CollinsLucierDreyblatt__RZ.indd 1 Oehring, Nicolas Collins, Lou Reed, MERZBOW a.k.a., Masami Akita, Radu Malfatti, Bernhard Guenter, Mario Bertoncini (nuova consonanza) und Keiji Hainoand zusammen. Der Schwerpunkt der Arbeit von Friedl liegt beim inside-piano, den Spieltechniken und Möglich­ keiten des Innenklaviers. A rnol d Dre yblatt geboren 1953 in New York, ist Komponist, Performer und Bildender Künstler. Er studierte bei Pauline Oliveros, La Monte Young und Alvin Lucier und lebt seit 1984 in Berlin. Innerhalb der zweiten Generation der New Yorker Minimal Komponisten entwickelte er einen ganz eigenen kompositorischen Ansatz. Ende der 1970er erfand er eine Vielzahl an neuen Instrumenten, Aufführungstechniken sowie ein Stimmungs­system und formierte und leitete zahlreiche Ensembles unter dem Titel „The Orchestra of Excited Strings“. Seine Musik beschreibt er als transzendent und ekstatisch, sie steht unter dem Einfluss der amerikanischen Avantgarde und wird oft als rock-orientierter Minimalismus beschrieben. Seit 1984 ist er auch als Performer und Bildender Künstler aktiv. Gegenwärtig hat er eine Professur für Medienkunst an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel inne. T he O rchestra of Ex cite d S trings Das Orchester in der Besetzung mit Arnold Dreyblatt (Excited Strings Bass, Electronik), Konrad Sprenger (Jörg Hiller), (Perkussion, digital gesteuerte E-Guitarre), Joachim Schütz (modifizierte E-Guitarre) und Robin Hayward (mikrotonale Tuba) hat Dreyblatt im Jahr 2009 aus einer langen Zusammenarbeit mit den Musikern heraus für gemeinsame Aufführungen und Projekte formiert. Das Ensemble spielte erstmalig in dieser Besetzung bei Nymusikk in Oslo und beim Festival Impakt in Utrecht. Als Trio (ohne Robin Hayward)folgten weitere Konzerte bei vielen internationalen Festivals. Nun begrüßt das Ensemble erneut Robin Hayward im Bunde und präsen­tiert bei MaerzMusik erstmalig die „Motor Guitar“ von Konrad Sprenger. Konra d Sp renger (Jö rg H iller ) Der Komponist, Musiker und Produzent ist 1977 in Lahr geboren und lebt heute in Berlin. Sprenger machte als Produzent Aufnahmen mit Künstlern wie Ellen Fullman, Arnold Dreyblatt, Robert Ashley und Terry Fox. Er spielte mit Bands wie Ethnostress oder Ei sowie mit dem Künstlerkollektiv Honeysuckle Company. Seit 2000 spielt er regelmäßig mit den Komponisten Arnold Dreyblatt und Ellen Fullman. Gegenwärtig konzentriert er sich auf Live-Performances mit computerge­steuerter, mehrkanaliger E-Gitarre. Seine Musik und in­stallative Arbeit wurde in renommierten internationalen Galerien und Kunsthallen für zeitgenössische Kunst präsentiert. J oachi m S ch ü tz Der Musiker und Produzent, geboren 1969 in Hamburg, spielt E-Gitarre sowie Electronics live und im Studio. Seit 1990 ist er Mitglied der Band Metabolismus. Als Produzent und Künstler arbeitet er u.a. mit Ellen Fullman, Ja König Ja, Pantha du Prince, Turner, Jeans Team, Cluster Bomb Unit, Konrad Sprenger, Arnold Dreyblatt, Mense Reents, Phillip Sollmann, Samara Lubelski, Die Vögel, Depeche Mode, Animal Collective, AA Records und Phantom & Ghost zusammen. Seit 1993 arbeitet er für Filmproduktionen. R obin H ayward Der Tubist und Komponist, geboren 1969 in Brighton, England, lebt seit 1998 in Berlin. Er führte völlig neu­ artige Spieltechniken für Blechblasinstrumente ein, insbesondere durch die Entdeckung des Geräuschventils und später, im Jahr 2009, durch die Erfindung der ersten ganz und gar mikrotonalen Tuba. 2012 erfand er das „Hayward Tuning Vine“, ursprünglich als eine Visualisierung des harmonischen Raums, den die mikrotonale Tuba impliziert. Seine Herangehensweise an das Instrument und seine Möglichkeiten ist u.a. mit der CD „Valve Division and States of Rushing“ gut dokumentiert. 2005 gründete er das Blechbläserensemble Zinc & Copper Works. N I C O L A S C O L L I N S / A LV I N L U C I E R A R N O L D D R E Y B L AT T TH EORC H ESTR AO FE xC ITE DSTR I N G S 18 0 3 2 014 2 2 U H R BERGHAIN MAE R ZM U S I KF E STIVALF Ü RAKTU E LLEM U S I K S O N IC A RTS LO UNG E N icolas C ollins Roomtone Variations für Computer und Instrumentalisten (2013) Fassung für Klavier im Berghain (2014) UA 15’ Reinhold Friedl, Klavier A lvin L ucier T h e B i r d o f B r e m e n F l i e s T h r o u g h t h e H o uses of the Burghers (1972) Realisation für Fixed Media von Nicolas Collins und Volker Straebel (2014) UA 11’ Auftragswerk des Elektronischen Studios der TU Berlin, Fachgebiet Audiokommunikation, mit Unterstützung des DAAD A rnol d Dre yblatt & The O rchestra of Ex cite d S trings konra d S p renger ( J örg H iller ) Litotes (2012) A rnol d Dre y blatt N o d al Ex c i t at i o n s ( 1 9 7 9 ) Ense m ble Ko m p ositionen Spedition Fas t i n P l ac e Odd Shuffle S u s t ai n N am e G am e Arnold Dreyblatt, Excited String Bass / Elektronik Konrad Sprenger (Jörg Hiller), Perkussion / digital gesteuerte E-Gitarre Joachim Schütz, modifizierte E-Gitarre Robin Hayward, mikrotonale Tuba In Zusammenarbeit mit Technische Universität Berlin − Fachgebiet Audiokommunikation – Elektronisches Studio. In Kooperation mit Berghain Berliner Festspiele Ein Geschäftsbereich der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH Gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien Intendant Dr. Thomas Oberender Kaufmännische Geschäftsführung Charlotte Sieben Künstlerischer Leiter Matthias Osterwold Organisationsleitung Ilse Müller Mitarbeit Ina Steffan / Hélène Philippot / Chloë Richardson / Marie von der Heydt Programmberatung Volker Straebel Redaktion Barbara Barthelmes / Melanie Uerlings / Christina Tilmann Technische Leitung Matthias Schäfer / Andreas Weidmann Grafik Ta-Trung, Berlin Christine Berkenhoff (Berliner Festspiele) / Fleck · Zimmermann Programm- und Besetzungsänderungen vorbehalten Das Gesamtprogramm des Festivals ist zum Preis von 5 € erhältlich BFS_MM14_Titelseiten_Abendzettel_11-20_RZ.indd 6 28.02.14 11:58 03.03.2014 10:44:28 R oo m tone Variations N o dal Ex citation In „Roomtone“ werden die Resonanzfrequenzen des Konzertsaals per Computer in Echtzeit nachgezeichnet. Dies geschieht mittels akustischer Rückkoppelungen, das Ergebnis wird in einem linierten Notensystem an die Wand projiziert. Die stärksten, resonanzreichsten Töne erscheinen als erste auf der linken Seite des Notensystems, die schwächsten am rechten Ende. Sobald die Notenlinien gefüllt sind, beginnen die Musiker Variationen über die Töne, die jeweils in dem projizierten Notensystem markiert werden, zu improvisieren und bewegen sich auf diese Weise allmählich durch die dem spezifischen Raum digital abgehörte „architektonische Tonreihe“. Mein Dank gilt Nick Didkovsky und Georg Hajdu für ihr intelligentes MaxScoreNotenschreibprogramm. Im Frühjahr 1979 wurde ich gebeten, ein Solostück bei einem New Yorker Performance Festival aufzuführen. Ich hatte damals ein ganzes Repertoire an einzelnen perkussiven Spieltechniken und Techniken mit dem Bogen entwickelt. Diese verbanden sich zu einer kontinuierlichen rhythmischen Technik, mit deren Hilfe ich Obertonakkorde über den Grundtönen hervorrufen konnte. Diese Technik basiert auf einer Kombination aus Bogenstrichen und Bogenschlägen, bei denen ein kurzes Stück des Bogens in Kontakt mit der Saite gebracht wird und dabei auf und ab bewegt wird. Wenn das Schlagen des Bogens betont wird, überlagert der unharmonische Charakter des Anschlags den Klang, und wenig Resonanz wird erzeugt. Wenn ein langer Abschnitt des Bogenhaars die Saite berührt, ist das Klangresultat ebenfalls resonanzarm. Nachdem ich dieses Stück eine längere Zeit nicht aufgeführt hatte, begann ich es Ende der 1990er Jahre wieder zu spielen und weitete dabei allmählich seinen Umfang und seine Dynamik aus.Die durchgehende Grundschwingung wird zu jeder Zeit bei allen Saiten beibehalten; jegliche Änderung in der Tonhöhe geschieht in der Obertonstruktur. Eine Verkürzung der klingenden Saite wird nie durch „sordiniertes“ Spiel oder Spiel auf dem Griffbrett erzielt. Vielmehr werden einzelne Oberton- und Partialtonschwingungen einbezogen und dem Instrument entlockt. Diese werden zuweilen an den Schwingungs­knoten der Saiten isoliert. Nicolas Collins Arnold Dreyblatt Alvin Lucier © Kai Bienert R M SI M 1, Der V ogel von B re m en fliegt durch die Häuser der Bürger Nicolas Collins © Kai Bienert Dreyblatt – The Orchestra of Exited Strings © Pieter Kers S p e d ition L itotes ( 2012 ) Das Stück erforscht rhythmische Muster, die auf euklidischen Algorithmen basieren, um eine Art kognitive Unsicherheit durch metrische Dissonanzen hervorzurufen. Konrad Sprenger behandelt die Gitarrensaiten als Frequenzgeneratoren, die durch verschiedene elektronisch gesteuerte, mechanische Aktionen in Bewegung gesetzt werden. Die Musik bezieht sich auf die insistierenden Rhythmen von Minimal Music, Krautrock und Techno und deren gemeinsame Absicht, eine Art von Transzendenz durch vorwärtstreibende, ein breites Klangspektrum umfassende Klänge zu erzielen. Das speziell für Konrad Sprenger angefertigte Instrument wurde von ihm entworfen und von Sukandar Kartadinata und Daniel van den Eijkel in Berlin gebaut. MM14_6stg_18.03._SAL_CollinsLucierDreyblatt__RZ.indd 2 Fast in Place O dd S huffle S ustain N am e G ame Arnold Dreyblatts Orchestra of Excited Strings spielt in einem 20-tönigen System, das nicht gleichschwebend temperiert ist und auf dem Obertonspektrum basiert. Für sein Ensemble hat er neue Musikinstrumente erfunden, herkömmliche Instrumente abgeändert und neuartige Spieltechniken entwickelt. Das Tonsystem von Dreyblatt geht vom dritten, fünften, siebten, neunten und elften Oberton und deren Vielfachen aus. Die in mathematischer Relation stehenden Obertöne werden in ihren tonalen Bezügen hörbar wahrgenommen, wenn sie transponiert werden und über einem Grundton erklingen. Die ersten vier Ensemblestücke wurden für die „excited string“-Bass, modifizierte E-Gitarre, Schlagzeug und für die über Computer gesteuerte mehrkanalig verstärkte Gitarre komponiert. Für das letzte Stück „Name Game“, spielt Dreyblatt die Obertonreihen mit einem Hammond-DrawbarEmulator, der den Klang einer klassischen Hammond-Orgel nachahmt. Zu den weniger bekannten Kompositionen Alvin Luciers gehört ein Stück mit dem rätselhaften Titel „RMSIM 1, Der Vogel von Bremen fliegt durch die Häuser der Bürger“, wobei RMSIM als „Raum-Simulation“ aufzulösen ist. Das Stück entstand als Auftragskomposition für Radio Bremen und wurde am 6. Mai 1972 im Rahmen des Festivals Pro Musica Nova uraufgeführt. Im Archiv von Radio Bremen findet sich ein Stereo-Mitschnitt der Aufführung mit der Bezeichnung „computer-gesteuertes sound environment“ und der Hinweis, dass das vierkanalige Steuer-Tonband an der Wesleyan Universität in Middletown, Connecticut, an der Lucier bis zu seiner Emeritierung lehrte, erstellt wurde. Ob bei der Uraufführung ein Ton­band abgespielt wurde oder eine liveelektronische Performance stattfand, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Dem Programmzettel einer Aufführung am 9. Mai 1973 an der Wesleyan University ist zu ent­nehmen, dass „RMSIM 1“ als „Echtzeit Raumklang Kontrollsystem“ konzipiert war, bei dem Konzert aber der Stereo-Mix einer 4-Kanal-Aufnahme gespielt wurde. Das Original-Band wurde mit einem PDP-10 Rechner von DEC (Digital Equipment Corporation) erzeugt. Von „RMSIM 1“ ist keine Partitur überliefert. Zur Entstehungszeit von „RMSIM 1“ scheint Alvin Lucier nicht an eine erneute Realisation gedacht zu haben. Unsere Fassung, die mit Zustimmung des Komponisten als Auftragswerk des Elektronischen Studios der TU Berlin entstand, stützt sich auf zeitgenössische Programmnotizen Luciers sowie Aufzeichnungen von Nic Collins, der als Student Luciers dessen Vorlesung „Introduction to Electronic Music“ im Frühjahrs­semester 1973 besuchte. Die Realisation entstand im Austausch mit dem Komponisten und Kollegen des Fach­ gebiets Audiokommunikation der TU Berlin, die uns bei der Anwendung aktueller Software zur Raumsimulation unterstützten. „RMSIM 1“ geht aus vom Bild eines Vogels, der durch verschiedene Räume fliegt. Der Vogel ist gleichzeitig Verursacher und Hörer der Klänge. Wir folgen unserem Quellmaterial durch wechselnde Raumakustiken, die durch dieses artikuliert werden und es zugleich in seinen klanglichen Eigenschaften unterschiedlich beleuchten. Volker Straebel 03.03.2014 10:44:29