— Weitere Infos — Zürcher Hochschule der Künste Zürcher Fachhochschule Alvin Lucier 85th Birthday Festival Entgegen eines traditionell-europäischen Musikverständnisses wie es noch während seines stark neoklassizistisch geprägtem Kompositionsstudium zwischen 1950 und 60 in den U.S.A. vorherrschend war, bestehen Alvin Luciers experimentellen Kompositionen seit der letztlich 1965 begonnenen Phase der Live-Elektronik aus Verbalpartituren, die nicht in einem altherkömmlichen Sinne als Kodifizierung vorgefertigter musikalischer Ideen zu verstehen sind, sondern vielmehr als fokussierte Versuchsanordnungen, die sowohl akustische als auch akustisch generierte Phänomene präsentieren. Diese Arbeiten der sechziger und siebziger Jahre beschäftigen sich dabei beispielsweise mit der auditiven Beschaffenheit von natürlichen und architektonischen Räumen, den physikalischen Eigenschaften des Klangs in Form von Raumresonanzen, der Plastizität akustischer Phänomene sowie der Visualisierung derartiger Schallereignisse. Als eine Weiterführung live-elektronischer Sinustonkompositionen der siebziger Jahre beginnt 1982 Luciers bis heute andauernde Werkphase der Instrumentalstücke, die nahezu ausschliesslich minutiös geplante Schwebungen thematisieren, erzeugt durch zumeist gegen elektronisch generierte Wellen anspielende klassische Musikinstrumente. Trotz eines dabei stattfindenden Rückgriffs auf traditionelle Spieltechniken, Notationsformen und Konzertsituationen stehen auch diese Kompositionen weiterhin ausserhalb eines herkömmlichen Musikverständnisses und verdeutlichen gerade durch die Verwendung vertrauter Instrumente in gewohnter Umgebung Luciers radikale ästhetische Position. Insbesondere sticht die minimalistische Konsequenz hervor mit der er bereits seit Beginn der Werkphase der Live-Elektronik auf «No ideas but in things...»1, sprich die Unabgeschlossenheit der der Stätte innewohnende Idee fernab klassischer Künstlerromantik und konventioneller musikalischer Sprache hört, um stets erneut anhand experimenteller Kompositionen als ästhetische Reflexionen sowohl auf die Phänomenalität des Klangs als auch die Wahrnehmung der Wahrnehmung selbst zu verweisen. Zu den prominenteren Interpreten der Werke Luciers zählen - neben dem Arditti Quartett oder auch dem Boston und dem Pittsburgh Symphony Orchestra – John Cage, Joan La Barbara, David Tudor, Yoko Ono, Charles Curtis, James Tenney, Pauline Oliveros, John Tilbury, Nam June Paik sowie jüngst Yo La Tengo, Oren Ambarchi oder auch Stephen O’Malley von SunnO))). Lucier selbst war an der Umsetzung zahlreicher Werke befreundeter Komponisten wie etwa Morton Feldman, Earle Brown, Christian Wolff und Steve Reich beteiligt. Er kollaborierte im Laufe seiner Karriere mit so unterschiedlichen Künstlern wie Sol LeWitt, Robert Wilson oder John Ashbery und gründete Mitte der sechziger Jahre gemeinsam mit Robert Ashley2, David Behrman und Gordon Mumma die Sonic Arts Union, eine Art Aufführungsgemeinschaft mit der sie in über zehn Jahren aussergewöhnliche Konzerte in aller Welt gaben. Ungeachtet eines ausgeprägten Stotterns trat Lucier in Filmen wie Nam June Paiks Homage to John Cage3 oder Robert Ashleys Music with Roots in the 1 Ein für Lucier zentraler Satz William Carlos Williams’, auf den er sich immer wieder bezieht. Von William Carlos Williams erstmals 1944 in dem Gedicht A Sort of a Song, in: The Collected Poems of William Carlos Williams, Volume II 1939-1962, New Directions Books, New York 1988 vorkommend als auch dann wiederholt in William Carlos Williams: Paterson, New Directions Books, New York 1992 (Erstauflagen 1946, 1948, 1951, 1958, 1963) 2 «For the concert Alvin performs Wolfman, a recent composition of mine. In just a few years I came to realize that Alvin was the only person ever to perform the piece correctly.» Robert Ashley: Introduction, in: Music 109, Alvin Lucier, Middletown CT (Wesleyan University Press) 2012, x 3 «Legend has it that, at the first screening, Cage turned to Alvin and informed him that he had decided he was the only person who should ever be allowed to lecture on his music.» Ronald Kuivila, Alvin in Albany, in: Alvin Lucier – A Celebration, Andrea Miller Keller (Hrsg.), Middletown CT(Wesleyan University Press), S. 17 — Weitere Infos Aether auf und übernahm auch die Hauptrolle in der Spielfilmtrilogie Dr. Chicago4 von George Manupelli, in der er sich auf ganz bemerkenswerte Weise durch jeweils 90 Minuten psychedelischen sechziger Jahre Film improvisiert. Nach einer über vierzigjährigen Lehrtätigkeit (1968-2011) als Professor für experimentelle Musik an der renommierten Wesleyan-University in Middletown, Connecticut (mit Studenten wie Ronald Kuivila, Nicolas Collins, Arnold Dreyblatt, Douglas Kahn oder auch den beiden MGMT Gründungsmitgliedern Andrew VanWyngarden und Ben Goldwasser), hunderten von Kompositionen, Konzerten und Ausstellungen sowie zahlreichen Preisen, Förderungen und Stipendien wurde Alvin Lucier 2006 mit dem SEAMUS Lifetime Achievement Award ausgezeichnet und erhielt 2007 den Ehrendoktortitel der Künste der Plymouth University. I am Sitting in a Room (1970), Luciers bis heute mit Abstand populärste Arbeit, gilt neben Stücken wie Cages 4’33 als eine der bedeutendsten experimentellen Kompositionen des 20. Jahrhunderts überhaupt. So betitelte etwa das New Yorker Whitney Museum im Jahr 2000 die grosse Klangkunstausstellung im Rahmen der American Century Reihe «I am Sitting in a Room: Sound Works by American Artists 1950-2000» und niemand Geringeres als das New Yorker Museum of Modern Art erwarb 2014 die Rechte an I am Sitting in a Room als Installation. Die Zeitschrift The Wire zählt dessen Plattenaufnahme aus dem Jahre 1981 neben so unterschiedlichen Werken wie Metal Machine Music von Lou Reed, Charles Ives’ Symphony No. 4, Iggy Pops Kill City, Miles Davis’ On the Corner oder Steve Reichs Early Works zu den 100 Records That Set The World On Fire (While No One Was Listening)5. Und für Steve Reich selbst gehört, neben eigenen frühen Arbeiten und Stockhausens Gesang der Jünglinge, Luciers I am Sitting in a Room zu den «...most important pieces of that period of electronic music.»6 Stellvertretend für viele weitere Künstler die sich in den letzten Jahrzehnten durch I am Sitting in a Room auf unterschiedlichste Weise inspirieren liessen, sei hier noch der mehrfach Oscar-nominierte Sound-Designer Ren Klyce genannt, der über ein Studium bei Gordon Mumma bereits in den späten sechziger Jahren auf Lucier aufmerksam wurde und mittels der charakteristischen Wiederaufnahmetechnik von I am Sitting in a Room unter anderem das aufwendige Sound-Design der David Fincher Filme Sieben (1995) und Zodiac (2007) realisierte.7 5 Vgl. http://www.discogs.com/de/lists/The-Wires-100-Records-That-Set-The-World-On-Fire-While-No-One-Was-Listeningextra-30-Records/421?page=3 6 Steve Reich in: American Composers – Dialogues on Contemporary Music, Edward Strickland (Hrsg.), Bloomington and Indianapolis IN (Indiana University Press) 1987, S. 39 7 Vgl. Peter Albrechtsen: An introduction to Alvin Lucier – and his impact on the sound of Se7en, Designing Sound 08.08.2013, http://designingsound.org/2013/08/an-introduction-to-alvin-lucier-and-his-impact-on-the-sound-of-se7en/ (zuletzt eingesehen 10.02.2016) 2