Ein Haus zieht um TEIL 2 1 2 „Das Schlössle von Effringen“ stand bis zum Das Mauer-Puzzle In seine Einzelteile zerlegt, ist das „Schlössle von Effringen“ in der Restaurierungshalle angekommen. Dort ging es als Erstes darum, die Außenmauern in die richtige Position zu bringen und sie für den Wiederaufbau im Freilichtmuseum vorzubereiten. Das ist eine handwerkliche Herausforderung, denn 600 Jahre haben deutliche Spuren hinterlassen 36 1 Der Vorarbeiter Tobias Rosenstengel (rechts im S Fotos: MSL/Michael Gregonowits (4), MSL/Florian Wachsmann, JaKo Baudenkmalpflege, Illustration: Sabine Dubb letzten Sommer im gleichnamigen Ort am Rande des Schwarzwalds (Bild). Dann wurde es abgebaut (Bild unten: Die Einzelteile wurden nummeriert), um ins Schwarzwälder Freilichtmuseum Vogtsbauernhof in Gutach umzuziehen. Wir begleiten diesen Restaurierungs-Prozess, der über die Schwäbische Alb führt und im Jahr 2018 beendet sein soll elbst beim Anblick gründlicher Zerstörung bleibt Tobias Rosenstengel gelassen: „Da hat der Hausbock-Käfer ganz schön gewütet“, sagt er und deutet auf den vollkommen zerfressenen Rest eines Holzbalkens. „Der gräbt große Gänge und ist ziemlich zerstörerisch.“ Mit seinem großen Appetit hat der kleine Käfer dem „Schlössle von Effringen“ aber auch eine neue Außenwand beschert. Tobias Rosenstengel leitet als Vorarbeiter der Firma JaKo Baudenkmalpflege das bis zu sechsköpfige Team, das sich derzeit in Balingen, am Rande der Schwäbischen Alb, um das mehr als 600 Jahre alte Gebäude kümmert. Zersägt und in seine Einzelteile zerlegt, wird es dort in einer großen Halle Stück für Stück restauriert. Die Arbeiten sind Teil der Translozierung des „Schlössles“ von seinem ursprünglichen Standort in Effringen bei Calw ins Schwarzwälder Freilichtmuseum Vogtsbauernhof in Gutach (siehe S. 39). Zuletzt stand das Stellen und Restaurieren der Außenmauern auf dem Arbeitsplan. Diese bestehen hauptsächlich aus gemauertem Sandstein und wurden für den Transport nach Balingen mittels eines Spezialverfahrens verpackt. In der Restaurierungshalle wurden die einzelnen Mauerteile dann wieder so platziert, wie sie zuvor auch in Effringen gestanden hatten. Nur eben nicht übereinander, sondern das Erd- neben dem Obergeschoss. Da es dabei um Zentimeter geht, hat es Stunden gedauert, beispielsweise ein fast 20 Tonnen schweres Mauerteil mit dem großen Kran haargenau an Ort und Stelle zu bringen. Bild) mit einem Teil seines Teams in Balingen: links Zimmermann Olaf Hartmann, in der Mitte Fachwerker Georg Hentsch. 2 In der Halle stehen Ober- (vorn) und Untergeschoss nebeneinander, jedes mehr als drei Meter hoch. Zusammengerechnet sind die beiden Fronten 28 Meter lang – stattliche Ausmaße für ein Gebäude von 1406. Weswegen es auch schon früh „Schlössle“ genannt wurde. 3 Das Mauerwerk in diesem Teil des Erdgeschosses musste abgetragen und neu gemauert werden, der alte Mörtel hatte den Sandstein nicht mehr zusammengehalten. Für den Maurer beginnt dann das Puzzeln, weil natürlich die alten Steine wiederverwendet werden sollen. Lediglich der Mörtel ist neu, es handelt sich um einen zementarmen Werkstoff speziell für historische Bauten Die Vergangenheit hat Holz und Stein zugesetzt Während es vor der Tür stürmt und schneit, herrschen in der Restaurierungshalle angenehme Temperaturen. Sie wird von großen Heizstrahlern unter der mehr als zehn Meter hohen Decke erwärmt. „Für die Maurerarbeiten brauchen wir Plusgrade“, erklärt Tobias Rosenstengel. Unter anderem deshalb wird das „Schlössle“ auch in der Halle „zwischengelagert“. Wäre es zum Beispiel gleich ins Freilichtmuseum gebracht worden, hätte man dort über Monate ein riesiges Zelt aufstellen, beheizen und einen teuren Kran mieten müssen – ein finanziell viel größerer Aufwand. 3 37 2 9 8 8 Die Fachwerk-Mauer in der Außenwand wurde in der Halle fast komplett neu gezimmert. Für diesen 4,40 Meter breiten und 2,80 Meter hohen Abschnitt verwenden die Restauratoren Balken aus Fichtenholz. 9 Viel mehr Holz als dieses kleine Balkenstück ist von der historischen Substanz nicht übrig geblieben. Dennoch bauen die Zimmerleute es in ihrer neuen Konstruktion ein – schließlich soll so viel Originalmaterial wie möglich erhalten werden. 10 Der Zahn der Zeit hat in Gestalt des Holzbock-Käfers vernichtend am alten Material genagt. Doch nicht nur im Holz haben Tiere ihre Spuren hinterlassen, die Restauratoren berichten auch von großen Marder-Höhlen und weitverzweigten Mäuse-Tunneln, die sie in den alten Mauern entdeckt haben Ansicht des Mauerwerks von oben (Ausschnitt) Mauerwerk aus Sandstein (gereinigt und befestigt) Rinne, mit Beton gefüllt Bewehrung aus Eisenstangen B 3 5 4 6 Rinne A Die keilförmigen Kerben bilden einen senkrechten, rautenförmigen Hohlraum, der am Ende im Museum mit Beton gefüllt wird Senkrechte, keilförmige Kerbe 7 10 Wie es weitergeht Fotos: MSL/Michael Gregonowits (5), MSL/Florian Wachsmann (4), Illustration: Sabine Dubb 1 1 Die Vorbereitungen für den Wiederaufbau im Freilichtmuseum finden ebenfalls in Balingen statt: In jeden der insgesamt 25 Mauerabschnitte werden senkrecht zwei keilförmige Kerben geschnitten (siehe Illustration unten – A). Stehen die Wandteile am Ende fertig ausgerichtet dicht an dicht in Gutach, werden die Aussparungen dort mit Beton gefüllt, um die Abschnitte fest miteinander zu verbinden (B). 2 Die Mauerecken kamen am Stück auf die Tieflader, sie wurden nicht auf Gehrung getrennt, damit auch sie später nach dem gleichen Verfahren wie die geraden Teile verbunden werden können. Lockere Steine haben die Maurer bereits mit Mörtel befestigt. 3 Mit der Kettensäge schneidet der Vorarbeiter die senkrechten Kerben in jede schmale Mauerseite. An das Werkzeug ist ein Wasserschlauch angeschlossen, das Wasser soll unter anderem Staub binden und die Kette spülen. 4–7 Die obere Schnittkante der Mauer bereiten die Restauratoren in drei Schritten für den Umzug vor. Zunächst reinigen sie die Zwischenräume (z. B. mit einem Staubsauger) und befestigen lose Steine mit Mörtel. Daraufhin schneiden sie eine Rinne in das Gemäuer, in die sie als Bewehrung zwei lange Eisenstangen legen. Die Styroporteile dienen dazu, die Stangen vorübergehend zu fixieren. In Bild 6 sehen Sie auch den rautenförmigen Hohlraum, der beim Zusammenfügen der Mauern entstanden ist (B in der Illustration). Schließlich werden die Rinnen mit Beton gefüllt und geben der Mauer somit die Stabilität, um entweder das Obergeschoss oder den Dachstuhl zu tragen An diesem Tag beschäftigt Tobias Rosenstengel, der Zimmermann und Restaurationsspezialist aus Erfurt arbeitet seit vier Jahren bei JaKo, nicht nur das zerfressene Holz, auch eine kaputte Mauer fordert seine Aufmerksamkeit. Ein Stück vom Erdgeschoss hatte die Verpackung ausgebeult, ein eindeutiges Zeichen dafür, dass etwas nicht stimme, so der Experte. Also packte er den Abschnitt aus, trug loses Mauerwerk langsam ab und mauerte neu. Dafür hat er einen weiteren Spezialisten im Team, den Maurer Heinz Natterer: „Es geht viel um Gefühl, das kann nur ein Maurer mit Erfahrung, wer nur Neubauten macht, wäre hier verloren“, erklärt Vorarbeiter Rosenstengel. Ansonsten bleiben die insgesamt 25 einzelnen Mauerabschnitte so weit wie möglich verpackt. Dennoch muss auch er als Zimmermann in Balingen bisweilen Steine bearbeiten, um sie für den Wiederaufbau in Gutach vorzubereiten – mal mit der Kettensäge, mal mit dem Staubsauger. Bis zum Sommer sollen die Mauern restauriert und für die Weiterreise präpariert sein. Der einzige hölzerne Teil der Außenmauer, ein gut vier Meter langes Fachwerk-Wandstück aus dem Obergeschoss, wird diese Reise nur noch mit wenigen Originalteilen antreten. „Eigentlich wollen wir so viel historische Substanz wie möglich erhalten“, erklärt der Vorarbeiter den Restaurationsauftrag, doch der hungrige Holzbock-Käfer war an dieser Stelle anderer Meinung. Aus frischem Holz zimmerte die Mannschaft schließlich einen neuen Wandabschnitt, die wenigen noch verwertbaren Originalteile wurden darin fein säuberlich integriert. Florian Wachsmann Nachdem alle Mauerteile präzise ausgerichtet und komplett restauriert wurden, befassen sich die Restauratoren mit den Innenwänden – diese bestehen überwiegend aus Fachwerk – und stellen sie ebenfalls auf. Anschließend restaurieren sie die einzelnen Geschossdecken samt Unterzügen und integrieren sie ebenfalls in das Gebäude. Daraufhin nehmen sie den Dachstuhl in Angriff, der im Frühsommer aufgerichtet sein soll. Gedeckt wird er in Balingen jedoch nicht, die Ziegel kommen erst in Gutach darauf. Noch im Sommer erfolgt der Abbau des Gebäudes in der Halle, dann soll das „Schlössle“ ins Freilichtmuseum transportiert und dort errichtet werden. Die restlichen Monate des Jahres wird es winterfest gemacht. Im Jahr 2017 stehen die letzten Arbeiten an der Fassade sowie der Innenausbau auf dem Programm. Mit Beginn der Saison 2018 öffnet es schließlich seine Türen für die Öffentlichkeit. Wir werden seine Reise bis dahin in jeder Ausgabe begleiten … Weitere Infos unter: www.schloessle-effringen.de, www.vogtsbauernhof.de, www.jako-baudenkmal pflege.de 39