28-32 Blattlaus

Werbung
Freund oder Feind?
Blattläuse sind ein ganz besonderes Volk: Sie sind hoch spezialisiert,
vermehren sich rasend schnell und brauchen dazu nicht einmal Männer.
Doch ebenso schnell können ihre Kolonien wieder verschwinden.
Text und Fotos: Siegfried Keller
B
lattläuse sind ungern gesehene
Gäste, sei es auf dem Balkon, im
Garten oder in landwirtschaftlichen
Kulturen. Sie werden gewöhnlich
nur mit Schäden in Verbindung gebracht.
Diese Ansicht ist aber ihrer ökologischen
Bedeutung überhaupt nicht angemessen.
Weltweit gibt es über 5000 Arten, in Mitteleuropa sind es rund 400. Fast alle haben
sich auf ganz bestimmte Wirtspflanzen
28 Natürlich | 4-2005
spezialisiert. Nur gerade 25 bis 30 Arten
leben bei uns auf Kulturpflanzen und
können als Schädlinge eingestuft werden.
Verminderte Erträge
Alle Blattläuse ernähren sich von Pflanzensaft. Mit ihrem feinen Saugrüssel durchstechen sie die äusseren Pflanzenzellen
und zapfen direkt den Saftstrom an. Die
meisten Blattlausschäden sind eine Folge
des Saftentzuges, was Wachstum und
Erträge vermindert. Einige Blattlausarten
begnügen sich nicht nur mit Saftentzug, sie
geben auch Speichel an die Pflanze ab. Die
Folge sind gekräuselte oder eingerollte
Blätter, im Extremfall gar vollständig abgeschlossene Hohlräume. Diese so genannten
Gallen bieten ihren Bewohnern ausgezeichneten Schutz vor Feinden und Witterungs-
Garten NATUR
Erwachsen in 10 Tagen
Der Frühlingsflug erfolgt in unseren Breiten von Mai bis Anfang Juni. In dieser
Periode werden die Ackerkulturen, viele
Gemüsearten, Beeren und Obstbäume
besiedelt. Die günstigen Temperaturen
bewirken, dass die Blattläuse innerhalb
von 10 Tagen erwachsen sind und sich
wieder vermehren können.
Bis zur Ernte der Ackerkulturen
können 4 bis 5 Blattlausgenerationen
entstehen; die Blattläuse erreichen in
dieser Zeit ihre höchste Populationsdichte. Die nun folgende Periode ist
für sie die schlimmste. Die meisten Kulturen sind geerntet und auch die wilden
Pflanzen bieten keine günstigen Ernährungsbedingungen mehr. Relativ wenige
Tiere überleben und schaffen im September den Rückflug auf die Winterwirte,
wo nochmals eine Vermehrung erfolgt.
Milde Winter schaden
Die Blattlauswespe sticht in Sekundenschnelle ein Ei in den Körper einer Blattlaus.
einflüssen. Manche Blattlausarten sind
gefürchtet wegen ihrer Fähigkeit, Erreger
von Pflanzenkrankheiten zu übertragen.
Im Frühling
schlüpfen nur Weibchen
In Mitteleuropa überwintern die Blattläuse
als Eier. Sie werden im Spätherbst gelegt,
vorzugsweise an Knospen von Büschen
und Bäumen, in Rindenritzen oder an die
bodennahen Teile von Gräsern und Kräutern (siehe auch Natürlich 11-2004 «Wie
Insekten überwintern»). Sobald im Frühling die Knospen zu schwellen beginnen
oder das Wachstum einsetzt, schlüpfen aus
den Eiern die jungen Blattläuse. Es schlüpfen nur Weibchen. Wenn sie nach etwa 3
bis 4 Wochen ausgewachsen sind, beginnen diese so genannten Stammmütter mit
dem Gebären weiterer junger Blattläuse.
Die Eiphase wird übersprungen.
Sobald ihre Wirtspflanzen verholzen, die
Gräser und Kräuter ein bestimmtes Reifestadium erreichen oder die Kolonien zu
dicht werden, reagieren die Blattläuse mit
der Bildung von Flügeln. Nun packt sie die
Wanderlust, sie heben ab und lassen sich
mit dem Wind treiben. Ihre Reisedistanz
kann bei günstigen Bedingungen Hunderte
von Kilometern betragen. Am Ende der
Reise gehts darum, die richtige Wirtspflanze
zu finden. Für die Landung orientieren sie
sich anhand von Farben, aber erst das Kosten von Pflanzensaft zeigt ihnen, ob sie auf
der richtigen Pflanzenart sind oder nicht.
Es folgt ein interessantes Phänomen: Ein
Teil der Blattläuse wandelt sich zu Männchen-Müttern: alle ihre Nachkommen
sind Männchen. Der andere Teil wandelt
sich zu Weibchen-Müttern: ihre Nachkommen sind Eier legende Weibchen.
Damit sie aber Eier legen können, müssen sie sich paaren. Blattlauseier sind
im Verhältnis zu ihren Müttern gross, sodass die Weibchen mancher Arten nur
2 bis 3 Eier legen. Schlechte Überwinterungsbedingungen können diesen Arten
arg zusetzen. Entgegen einer weit verbreiteten Meinung sind nicht kalte, sondern
milde Winter schlecht für Blattläuse. Dadurch hat der Embryo einen zu hohen
Stoffwechsel und die Energievorräte sind
erschöpft, bevor es Frühling ist.
Enormes
Vermehrungspotenzial
Dank Jungfernzeugung und dem Gebären
von Jungen haben Blattläuse ein enormes
Vermehrungsvermögen. Im Lauf eines
Jahres können Blattläuse etwa 10 bis 12 Generationen entwickeln. Je nach Art kann
eine Blattlaus 50 bis 100 Nachkommen
zur Welt bringen. Eine kurze Rechnung
offenbart Unglaubliches: Bei 10 Generationen pro Jahr und bei 100 Jungen pro Weibchen ergibt das aus einer einzigen Blattlaus
bis am Ende des Jahres die unvorstellbare Zahl von 100 000 000 000 000 000 000
Natürlich | 4-2005 29
NATUR Garten
Dank Jungfernzeugung und dem Gebären voll entwickelter Junger
können Blattläuse innert kurzer Zeit riesige Kolonien bilden.
Nachkommen, was ungefähr einer Blattlausmasse von einer Billion Tonnen entspricht. Die Nahrungsmenge, die sie benötigt, braucht man sich gar nicht vorzustellen, sie hätten ihre Wirtspflanzen
längst vernichtet.
Glücklicherweise handelt es sich bei
diesem Zahlenspiel um reine Theorie. Die
Wirklichkeit sieht ganz anders aus. Das
riesige Vermehrungspotenzial ist vielmehr
die einzige wirksame Waffe der Blattlaus,
um ihr Überleben zu sichern. Dank ihrer
Fähigkeit, innert kurzer Zeit riesige
Fleischmengen zu produzieren, sind sie
eine begehrte Beute unzähliger kleinerer
und grösserer Tiere. Ein Teil hat sich auf
den Verzehr dieser praktisch wehrlosen,
weichhäutigen Geschöpfe spezialisiert,
für andere stellen sie eine Gelegenheitsnahrung dar.
Blattlausfeinde
Zu den Spezialisten gehören die beliebten
Marienkäfer. Im Volksmund haben sie
zahlreiche Namen wie Himmelsgüügeli
oder Herrgottschäfer. Tatsache ist, dass
diese halbkugeligen, auffallend rotschwarz oder gelb-schwarz gezeichneten
Käfer Unmengen von Blattläusen verzehren. Ein Siebenpunkt-Marienkäfer vertilgt im Laufe seines Lebens rund 3000
Blattläuse. Übrigens: Der SiebenpunktMarienkäfer ist kein ausgewachsener
Zweipunkt-Marienkäfer. Die jugendlichen Marienkäfer sind unscheinbar graublau-schwarz und sehen einem Zwergkrokodil ähnlicher als ihren Eltern. Ihre
Nahrung jedoch ist die gleiche.
Andere Blattlausspezialisten sind
Schwebfliegen. Sie sehen auf den ersten
Blick aus wie Wespen oder Bienen, was
wohl auch zu ihrem Schutz beiträgt. Ihr
Name rührt von der Fähigkeit her, den
Flug plötzlich stoppen und an Ort schweben zu können. Ausgewachsene Fliegen
ernähren sie sich von Pollen und Nektar.
30 Natürlich | 4-2005
Nur im Herbst gib es Männchen und
Sex. Ein geflügeltes Erbsenblattlausmännchen paart sich mit einem
Weibchen, das anschliessend
die überwinternden Eier ablegt.
Garten NATUR
Geburt einer Blattlaus
Ihre Eier legen sie stets in Blattlauskolonien. Dank dieser Fürsorge finden die
ausschlüpfenden Larven gleich einen
reich gedeckten Tisch. Das ist auch notwendig, denn als typische Fliegenmaden
haben sie weder Augen noch Beine. Ihre
Opfer finden sie, indem sie sich langsam
vorwärts bewegen und dabei mit dem
Vorderkörper hin und her pendeln. Meldet ihr Tastsinn eine Blattlaus, so wird sie
gleich mit den Mundhaken gepackt und
ausgesaugt. Bis sie ausgewachsen ist,
frisst sie rund 500 Blattläuse.
Eine ähnliche Lebensweise haben die
wesentlich kleineren Larven der Blattlaus-Gallmücken. Sie brauchen nur etwa
30 Blattläuse, bis sie ausgewachsen sind,
dafür vermehren sie sich schneller und
können auch in kleinen Blattlauskolonien überleben.
Von innen ausgehöhlt
Eine interessante Lebensweise haben die
parasitischen Blattlauswespen. Sie gehören
zu den Schlupfwespen. Der Name rührt daher, dass die ausgewachsenen Wespen aus
dem Körper ihrer Opfer schlüpfen. Doch
wie kommen sie dort hinein? Einfach, indem das Weibchen ein Ei in den Körper des
Opfers einsticht. So einfach ist das aller-
dings nicht, denn die betroffene Blattlaus
wehrt sich heftig, allerdings meist vergeblich. Ist das Ei im Körper der Blattlaus, so
schlüpft schon bald die Larve. Sie ernährt
sich vorerst von Zellen ihrer eigenen Eihaut, die sich im Blattlausblut rasch vermehren, später frisst sie alle Organe der
Blattlaus, die dabei richtiggehend ausgehöhlt wird und stirbt. Nun fixiert die
unverdaulichen Stoffwechselprodukte ausgeschieden. Trotzdem ist es nicht ganz gerecht,
den Honigtau dem Blattlauskot gleichzusetzen, da er einen hohen Anteil an zuckerhaltigem Pflanzensaft enthält.
Honigtau wird nicht nur von Blattläusen produziert, sondern auch von anderen Pflanzensaftsaugern wie Schmierläusen, Weissen Fliegen,
Foto: Josef Hättenschwiler
Zikaden und Blattflöhen (Psyllen). Werden die
Was ist Honigtau?
Ausscheidungen nicht fortlaufend verwertet, so
können sie zu grösseren Gebilden auskristallisieren. Solche können auch aus dem Blutungssaft von Bäumen entstehen. Sie werden unter
dem Begriff «Manna» zusammengefasst. Dieser
Name leitet sich von Mannose ab, einer Zucker-
Blattläuse beziehen ihre Nahrung aus dem
müssen sie Zucker im Überschuss aufnehmen.
art, die in diesen Ausscheidungen reichlich
Saftstrom der Pflanzen, den sie mit ihren
Dieser wird aber nicht wie beim Menschen in
vertreten ist. Zahlreiche Forscher vertreten die
mikroskopisch feinen, zu Hohlnadeln umge-
Form von Fett abgelagert; Blattläuse sind in
Ansicht, dass es sich beim biblischen Manna,
formten Mundteilen anzapfen. Der Saft enthält
der Lage, den überschüssigen Zucker direkt
der Moses und seine Gefolgschaft vor dem
viel Zucker, aber sehr wenig Eiweiss. Damit
aus dem Darm wieder auszuscheiden. Durch
Hungertod bewahrte, um auskristallisierten
Blattläuse ihren Eiweissbedarf decken können,
die gleiche Körperöffnung werden auch die
Honigtau handelte.
Natürlich | 4-2005 31
Larve des Siebenpunkt-Marienkäfers frisst eine Blattlaus.
Wespenlarve die Blattlaushaut an der
Unterlage und verpuppt sich anschliessend
im Innern. Nach wenigen Tagen schlüpft
die ausgewachsene Wespe durch ein kreisrundes, selbst gefertigtes Loch im Rücken
der Blattlausmumie. Alle Blattlauswespen
sind Spezialisten, die sich nur in wenigen,
meist nahe verwandten Blattlausarten entwickeln können. Ihre Lebensweise ist deshalb sehr stark an jene ihrer Wirte angepasst und auch Zahl und Länge der Generationen entsprechen jener der Blattläuse.
Pilze machen Blattläusen
den Garaus
Neben diesen spezialisierten Blattlausfeinden gibt es alle Übergänge von weniger spezialisierten Blattlausräubern wie
Florfliegenlarven, Blumen- und anderen
Raubwanzen, räuberische Fliegen, Krabben- und Netzspinnen und Raubmilben
bis zu den Gelegenheitsräubern wie Laufkäfer, Kurzflügelkäfer, Soldatenkäfer,
Ohrwürmer und Kamelhalsfliegen. Nicht
zu vergessen sind schliesslich auch die
Insekten fressenden Vögel.
Doch nicht nur räuberische Insekten
oder Vögel dezimieren Blattlauskolonien.
Sie leiden auch unter Krankheiten. Vor
allem Pilzkrankheiten treten immer wieder seuchenhaft auf und können noch
so grosse Blattlauspopulationen innert
Wochenfrist töten.
Ameisen
geschäften mit Blattläusen
Blattläuse sind aber nicht nur die Nahrung zahlreicher anderer Organismen.
Als Produzenten des Honigtaus verköstigen sie Hunderte weiterer Insektenarten,
daher sind sie von grosser ökologischer
Bedeutung. Neben sehr vielen parasitisch
32 Natürlich | 4-2005
lebenden Wespen profitieren davon auch
Fliegen, Käfer oder Bienen. Letztere sammeln Honigtau und machen daraus den
Waldhonig. Der Name rührt davon her,
dass die grossen Tannenläuse besonders
viel Honigtau produzieren und deshalb
für Honigbienen sehr attraktiv sind. Die
Bienen finden diese Honigtautracht vor
allem an Fichten und Weisstannen. Bei
der Fichten-Quirlschildlaus zum Beispiel
holen sie die Ernte direkt von der Laus.
Bei den Ameisen ist dieser süsse Saft
so beliebt, dass sie mit den Blattläusen
richtiggehend ins Geschäft gekommen
sind: Die Blattläuse liefern den Ameisen
Honigtau, dafür werden sie von den
Ameisen gegen Feinde geschützt und
sogar auf neue Wirtspflanzen getragen.
Diese Symbiose ist sehr wirksam, doch
einige wenige Arten von Blattlauswespen und Schwebfliegen haben sich die
richtige Duftnote angeeignet. Sie werden
von den Ameisen nicht mehr als Feinde
erkannt und können konkurrenzlos und
unbehelligt ihren Opfern nachstellen.
Ohrwürmer sind Gelegenheitsfeinde der Blattläuse.
Da die Blattläuse den Honigtau aktiv
ausscheiden, fällt er auf darunterliegende
Pflanzenteile oder zu Boden. In guten
Blattlausjahren kann es vorkommen, dass
unter Bäumen eine klebrige Schicht entsteht. Daran ist zu denken, wenn man
im Sommer sein im Schatten von Bäumen
parkiertes Auto oder Fahrrad klebrig
vorfindet. Es ist nicht das Werk von Vandalen, sondern das Resultat eines ganz
natürlichen Vorganges, der einer grossen
Insektengemeinschaft zugute kommt
und nicht zuletzt auch zahlreiche Nützlinge fördert.
■
Tipps zur biologischen Blattlausbekämpfung
Brennnesselsud
Brennesseln pflücken, mit Wasser übergiessen, zugedeckt 2–3 Tage stehen lassen. Den
Sud in eine Sprühflasche füllen. Vorsicht – je
älter der Sud ist, desto mehr stinkt und wirkt
er und kann dann die Pflanzen verbrennen.
Neempräparate (auch Niem genannt)
Bei stärkerem Befall hat sich die Verwendung
von Neem-Präparaten als wirkungsvoll erwiesen. Extrakte des Neembaums sind rein biologischen Ursprungs und haben eine breitgefächerte Wirkung auf eine Vielzahl von
Schädlingen, ohne Nützlinge zu gefährden.
Anwendungsempfehlung auf den Verpackungen beachten. Neemsamen oder Neemtabletten sind in Ökoläden erhältlich.
Schmierseifenlauge
100 Gramm Schmierseife auf 5 Liter Wasser
plus 150 Milliliter Spiritus. In eine Sprühflasche abfüllen. Befallene Pflanzenteile
gezielt behandeln.
Achtung: Diese Präparate auf keinen Fall
bei direkter Sonneneinstrahlung sprühen,
da sonst die behandelten Pflanzen Verbrennungen erleiden.
rbe
Herunterladen