PHARMA TESTOSTERONMANGEL Nur wenige Männer sind tatsächlich therapiebedürftig Auch bei indizierter Hormonbehandlung – symptomatischer und laborchemischer Hypogonadismus – sind gerade zu Beginn engmaschige Kontrollen unabdingbar. er Markt für Testosteron-Präparate boomt. Nach Einschätzung des Münsteraner Andrologen Prof. Dr. med. Michael Zitzmann wird in den USA entgegen den Leitlinien eine Testosteronbehandlung in bis zu 40 Prozent der Fälle ohne laborchemische Bestätigung eines Defizits eingeleitet; auch die empfohlenen Kontrollen bleiben häufig aus. So konnten die Autoren einer jüngst publizierten Kohortenstudie (1) nicht auf Indikationsstellung und Laborparameter zurückgreifen – und damit Patienten ohne Hypogonadismus oder mit erhöhtem Basisrisiko aus den Berechnungen ausschließen. Diese Studie hatte bei Männern über 65 Jahren 90 Tage nach dem Start der Hormontherapie einen zweifachen Anstieg nicht tödlicher D Herzinfarkte ergeben; danach war kein Exzess-Risiko mehr zu ermitteln. Bei jüngeren Männern mit kardiovaskulären Erkrankungen in der Anamnese wurde innerhalb dieses Zeitintervalls ein dreifach erhöhtes Risiko berechnet, ohne diese Anamnese war es nicht erhöht. Diese Ergebnisse passen zu einer Metaanalyse (2). Ein Hormondefizit wird häufig nicht verifiziert Der Rückschluss, eine Testosterontherapie steigere generell das Risiko für kardiovaskuläre Zwischenfälle, hat nach Auffassung von deutschen Fachärzten allerdings gravierende Mängel. Dabei wird bereits in den internationalen Empfehlungen von 2008 zur Testosteronbehand- KURZ INFORMIERT Anwendungseinschränkungen von Dihydroergotoxin-haltigen Arzneimitteln – Arzneimittel mit dem Wirkstoff Dihydroergotoxin dürfen in folgenden Indikationen künftig nicht mehr verschrieben werden: ● symptomatische Behandlung chronischer pathologischer kognitiver und neurosensorischer Beeinträchtigungen bei älteren Personen (mit Ausnahme der Alzheimer-Krankheit und sonstiger Demenzen) ● Begleitbehandlung des Raynaud-Syndroms ● Begleitbehandlung der Verringerung der Sehschärfe und von Sehfeldstörungen vermutlich vaskulären Ursprungs ● Prophylaxe von Migränekopfschmerz ● symptomatische Behandlung bei venöslymphatischer Insuffizienz. Hintergrund sind Sicherheitsbedenken aufgrund gemeldeter schwerer Fälle von Fibrose und Ergotismus. Eine gegenwärtige Behandlung mit A 654 Dihydroergotoxin-haltigen Präparaten in diesen Indikationen sollte im Rahmen eines regulären Arztbesuchs umgestellt werden. Topische Akne-Therapie – Mit Acnatac® (Meda) steht eine neue Fixkombination (Clindamycin 10 mg/g + Tretinoin 0,25 mg/g) zur topischen Behandlung der Acne vulgaris zur Verfügung. Die alkoholfreie Gelformulierung reduziert nach Angeben des Herstellers schnell entzündliche und nichtentzündliche Läsionen und zeigt keine Antibiotika-Resistenz. ® Eziclen zur Darmreinigung – Mit Eziclen steht ein neues Medikament von Aptalis-Pharma zur effektiven Darmreinigung zur Verfügung. In Studien zeigte Eziclen eine hohe Reinigungseffektivität aller Kolonabschnitte, einschließlich des schwer zu reinigenden rechten Kolons. Die gute Verträglichkeit wirkt sich positiv auf die Patientencompliance aus. EB lung des Hypogonadismus auf die relative Kontraindikation von Herzerkrankungen hingewiesen und deren vordringliche Behandlung vor einer Testosterongabe empfohlen. Deutlich ist – neben der Hämatokrit-Kontrolle – auch der Hinweis auf häufigere Nebenwirkungen bei Übergewichtigen. Wie Prof. Dr. med. Hermann M. Behre, Halle, ausführte, bewirken nicht primär das Alter, sondern in erster Linie Begleiterkrankungen erniedrigte Testosteronspiegel, etwa ein metabolisches Syndrom, Diabetes oder Adipositas. Auch bei einer indizierten Hormonbehandlung – symptomatischer und laborchemischer Hypogonadismus – sind gerade zu Beginn engmaschige Kontrollen unabdingbar, so Behre. Vor einer unkritischen Hormonbehandlung warnte auch der Mönchengladbacher Urologe Prof. Dr. med. Herbert Sperling. Nach der European Male Aging Study weisen zwar 23,5 Prozent der Männer im Alter zwischen 40 und 70 Jahren einen laborchemischen Hypogonadismus auf, aber nur 2,1 Prozent sind symptomatisch und damit therapiebedürftig. Für die Referenten überwiegen bei gegebener Indikation die Vorteile einer Testosterongabe gegenüber den Nachteilen – entsprechende Überwachung vorausgesetzt. Denn Testosteron gilt längst nicht mehr als reines Sexualhormon, sondern beeinflusst nach übereinstimmenden Aussagen vielfältige metabolische Prozesse, vom Knochen- über den Glukose- bis hin zum Fettstoffwechsel. „So weisen nach einer aktuellen Studie aus England hypogonadale Männer mit Diabetes Typ 2 bei einer mittleren Beobach- Deutsches Ärzteblatt | Jg. 111 | Heft 15 | 11. April 2014 PHARMA tungszeit von 5,8 Jahren eine höhere Überlebensrate auf, wenn ihr Testosterondefizit ausgeglichen wird“, erklärte Behre. Während Prostata-, Mammakarzinom und Lebertumoren als absolute Kontraindikationen akzeptiert sind, scheint die Testosterongabe bei benigner Prostatahypertrophie möglich, solange anamnestisch kein akuter Harnverhalt erhoben wird. In diesen Fällen empfiehlt Sperling, den Restharn in die Kontrollen einzubeziehen. Zu ihnen zählt unabdingbar die Überwachung des Bluttdrucks, da ein möglicher Anstieg des Hämatokrits rheologische Folgen hat und zumindest eine Dosisreduktion oder das Absetzen der Therapie erfordert. Dies wiederum ist am einfachsten umzusetzen bei einer Applikationsform, die täglich zugeführt wird. Axilläre Anwendung mit speziellem Applikator Seit kurzem steht dafür eine zweiprozentige alkoholische Lösung zur axillären Anwendung (Axiron®) zur Verfügung. „Zur adäquaten Resorption müssen die Achselhöhlen nicht rasiert, aber vorher gereinigt werden“, erklärte Prof. Dr. med. FrankMichael Köhn, München. Deodorants und Antitranspirantien sollten vorher aufgetragen werden. Den manuellen Kontakt verhindert ein spezieller Applikator. Wirksamkeit und Verträglichkeit sind in einer offenen Titrationsstudie (3) über 120 Tage bei 155 Männern mit symptomatischem Hypogonadismus (mittlerer Serumwert 6,6 nmol/l) mit einer Startdosis von 60 mg/d dokumentiert. Nach 15 Tagen wurde bei drei Viertel der Teilnehmer ein normalisierter Testosteronspiegel gemessen. Diese Tagesdosis erwies sich für den ganz überwiegenden Anteil der Patienten (76 Prozent) als optimal. Die häufigsten Nebenwirkungen waren laut Köhn Hautveränderungen wie Irritationen (sieben Prozent) und Ery▄ them (fünf Prozent). Dr. rer. nat. Renate Leinmüller Pressegespräch Axiron®, in Frankfurt/M, Veranstalter: Lilly Pharma @ Literatur im Internet: www.aerzteblatt.de/lit1514 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 111 | Heft 15 | 11. April 2014 A 655 PHARMA LITERATURVERZEICHNIS HEFT 15/2014, ZU: TESTOSTERONMANGEL Nur wenige Männer sind tatsächlich therapiebedürftig Auch bei indizierter Hormonbehandlung – symptomatischer und laborchemischer Hypogonadismus – sind gerade zu Beginn engmaschige Kontrollen unabdingbar. LITERATUR 1. Finkle WD, et al.: Increased Risk of Non-Fatal Myocardial Infarction Following Testosterone, 2014. 2. Therapy Prescription in Men. PLoS ONE 9(1): e85805. doi:10.1371/ journal.pone.0085805 3. Xu L, et al.: Testosterone therapy and cardiovascular events among men: a systematic review and meta-analysis of placebo-controlled randomized trials BMC Medicine 2013, 11:108 www.biomed central.com/1741–7015/11/108 4. Wang C, et al.: Efficacy and safety of the 2% formulation of testosterone topical solution applied to the axillae in androgen deficient men. Clinical Endocrinology, 2011; 75: 836–43. A3 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 111 | Heft 15 | 11. April 2014