06-16 Kaefer

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Hart im Nehmen
Goldglänzender Laufkäfer
(Carabus auronitens)
Käfer NATUR
Ob im Wald, in der Wüste, im Wasser oder in unseren Häusern – im Laufe
ihrer Entwicklungsgeschichte haben Käfer alle nur möglichen Lebensräume
besiedelt und dabei die unglaublichsten Anpassungen durchgemacht.
Die Kleinsten messen nur wenige Zehntelsmillimeter, der Grösste in Europa
ist mit einer Körperlänge von bis zu 9 Zentimetern geradezu ein Gigant.
Allen Käfern gemein ist der einheitliche Bauplan und der robuste Chitinpanzer.
Text und Fotos: Karl Weber
V
ielleicht kennen Sie die Geschichte: Die Familie sitzt an
einem Frühsommertag im Garten. Auf einem Rosenstrauch entdecken die Kinder einen Käfer und möchten seinen Namen wissen. Die Eltern besehen sich das Tier, glauben, bei ihm gewisse
Ähnlichkeiten mit einem Maikäfer feststellen zu können; nur… der Käfer, den alle gebannt anschauen, ist ein gutes Stück kleiner als ein Maikäfer. Der Vater wiegt den
Kopf und legt die Stirn in Falten. Und er
kommt zum Schluss, dass es sich eben um
einen jungen Maikäfer handeln müsse.
Zumindest in 2 Punkten hat Vater
Recht: Der besagte Käfer, der in Tat und
Wahrheit ein Gartenlaubkäfer ist, gleicht in
mancher Hinsicht, sieht man einmal von
der Grösse ab, tatsächlich einem Maikäfer.
Und er ist auch nahe mit diesem verwandt.
Aber: Junge, noch nicht ausgewachsene
Käfer gibt es nicht – weder bei den Maikäfern noch bei einer der vielen tausend
andern Käferarten. Ein Käfer durchläuft
in seiner Entwicklung 4 völlig voneinander
verschiedene Stadien: Ei – Larve – Puppe –
Vollinsekt. Während der Puppenruhe, die
meist mehrere Wochen oder Monate dauert, vollzieht sich die Umwandlung der
Larve zum fertigen Käfer. Einmal aus der
Puppe geschlüpft, wächst dieser nicht
mehr.
Käferlarven sind, je nach Familie, Art
und Lebensweise, äusserst vielgestaltig. In
der Regel durchleben sie 4 bis 6 Wachstumsstadien, in denen sie immer wieder
aus ihrer nicht mitwachsenden und daher
nach und nach zu eng werdenden Haut
schlüpfen. Die Dauer der Larvenentwicklung hängt nicht nur von der späte-
ren Grösse des Käfers ab. Sie ist in starkem
Masse auch von der zur Verfügung stehenden Nahrung, von ihrer Menge und Qualität, aber auch von den klimatischen Gegebenheiten abhängig. So treten in warmen
Ländern bei vielen Käferarten mehr Generationen auf als in kühlen; selbst bei Arten,
die in beiden Klimabereichen vorkommen.
Bei den meisten der bei uns heimischen
Käfern dauert die Larvalzeit ein paar
Monate, bei anderen 2, 3 oder 4 Jahre. Die
des grössten europäischen Käfers, des
Hirschkäfers, bewegt sich gar zwischen
5 und 8 Jahren; und vom Hausbock weiss
man, dass seine Larven unter ungünstigen
Bedingungen bis zu 15 Jahre brauchen, um
sich zu entwickeln. Die Lebenserwartung
der Imagines (der vollentwickelten, geschlüpften Käfer) ist meistens bedeutend
kürzer als die Zeit, die die Tiere als Larve
verbringen. Auch die Liegezeit als Puppe
ist im Vergleich dazu recht kurz.
Gartenlaubkäfer (Phylloperta horticola)
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NATUR Käfer
Der Ölkäfer –
per Luftfracht ins Bienennest
Ungewöhnlich, ja fast schon umständlich
verläuft die Entwicklung bei den Ölkäfern
(Meloe). Auf ein sehr lebhaftes erstes Larvenstadium folgt das zweite, in dem sich
die Larve als eher unförmiges und träges
Wesen zeigt. Daraufhin legt sie eine Ruhezeit als so genannte Scheinpuppe ein. Es
folgt eine wieder bewegliche Madenform
und danach die Puppe, aus der schliesslich
der Käfer schlüpft. Für die agile Primärlarve des Ölkäfers oder Maiwurms besteht
eine vordringliche Aufgabe: Sie muss in
ein Nest von ganz bestimmten solitären
Bienen gelangen. Schafft sie dies nicht,
ist sie verloren. Sie versucht daher, auf
schnellstem Wege, auf eine Blüte zu
kriechen. Dort wartet sie auf anfliegende
Bienenweibchen, um sich in ihrem Haarpelz festzuklammern und so per Luftfracht
in deren Nest transportieren zu lassen.
Pech, dass sich die Ölkäferlarven oft
an alles gerade erreichbare Haarige krallen.
Dieses Versehen führt bereits zu hohen Verlustraten. Gelangt die Larve aber tatsächlich in ein Bienennest, braucht sie eine
Brutzelle, in der sie sowohl den kompletten
Nahrungsvorrat an Pollen bzw. Nektar
Pillendreher (Scarabaeus semipunctatus)
als auch ein Ei der Biene vorfindet. Das
Ei dient ihr einerseits als Landeplatz, um
nicht im Nahrungsbrei zu ertrinken, anderseits aber auch als erste Nahrung. Nach der
Häutung zur trägen Sekundärlarve lebt
das Tier vom eigentlich für die Bienenlarve
vorgesehenen Brutklumpen. Nach 2 weiteren Häutungen verlässt die Käfermade die
Brutzelle und verwandelt sich im benachbarten Erdreich zur Scheinpuppe. Erst
nach der Überwinterung im Boden erfolgt
die Häutung zu einer letzten, aber nur
wenige Tage bestehenden Larvenform, der
dann endlich die Puppe folgt, aus der etwa
4 Wochen später der fertige Käfer schlüpft.
Ölkäfer besitzen übrigens ein hochwirksames Blutgift, das Cantharidin, das
merkwürdigerweise Insekten fressenden
Wirbeltieren wie z. B. Vögeln, Igeln und
Fledermäusen nicht schadet, während
beim Menschen schon eine Dosis von
0,03 Gramm Cantharidin zum Tode
führen würde.
Käferweibchen legen ihre Eier einzeln
oder in Gruppen in die verschiedensten
Verstecke ab. Man findet sie beispielsweise unter Rinde, im Holz gesunder und
vor allem absterbender kranker bzw. geschwächter Bäume, in der Erde oder an
Blättern und in Stengeln von vielerlei Pflanzen. Ihre Gestalt ist unterschiedlich: oval,
rundlich, walzen- oder spindelförmig, ja
sogar stabförmig. Die Zahl der Eier
schwankt von Art zu Art erheblich. Es können ein paar wenige, einige Dutzend, einige
Hundert, aber auch mehrere Tausend sein.
Während sich bei den meisten Insekten
die Brutfürsorge darin erschöpft, dass die
Weibchen die Eier an oder in die Nähe der
richtigen Futterpflanze legen oder dazu
entsprechende Wirts- bzw. Beutetiere suchen, gehen bei andern die Bemühungen
um das Wohl des Nachwuchses bedeutend
weiter. Manche Arten schaffen für die
Jungen im Voraus günstige Entwicklungsbedingungen, indem sie Schutzbauten,
Nester, Kokons, Brutkammern usw. errichten und/oder ganze Nahrungsdepots anlegen. Auch verschiedene Käfer lassen Eiern,
Larven und Puppen eine mehr oder weniger aufwändige Betreuung angedeihen.
Der Pillendreher –
macht sich über jeden Mist her
Bekannt, ja berühmt geworden durch
ihre nicht alltägliche Form von Brutfürsorge sind die so genannten Pillendreher
Pinselkäfer (Trichius fasciatus)
mit dichter, pelzartiger Behaarung.
aus der Gruppe der Mist- oder Kotkäfer
(Familie Blatthornkäfer). Bei ihnen haben
wir es mit wahren Dungexperten zu tun.
Wo immer in ihrem Lebensraum frischer
Kot anfällt – das Vorkommensgebiet der
Pillendreher der Gattung Scarabaeus liegt
vor allem im Mittelmeergebiet und in der
südlichen Paläarktis –, stellt sich meist
schon nach kurzer Zeit eine mehr oder
weniger grosse Zahl der kleinen Kraftprotze ein. Pillendreher sind in der Lage,
Gegenstände hochzuwuchten oder Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die nahezu
das 800fache ihres Körpergewichtes wiegen. Grösstes Interesse eines jeden dieser
Käfer ist es jeweils, sich einen Teil aus
dem Pferde-, Esel-, Rinder-, Schaf- oder
Kamelkot herauszuschneiden und sicherzustellen: sei es zur sofortigen Mahlzeit,
sei es als späterer Proviant oder, bei den
weiblichen Tieren, als Brutunterlage für
die zukünftigen Larven.
Weil friedliche Koexistenz bei Pillendrehern aber nicht eben hoch im Kurse
steht, zumindest nicht, wenn frischer,
saftiger Dung lockt, gehen die meisten
Skarabäen rasch daran, mit Hilfe ihrer
gezähnten Kopfplatte eine Portion des
Segens abzuschaben, zusammenzurechen
und sich damit vom allgemeinen Gedränge
abzusetzen. Dazu fertigen sie sich kleinere
oder grössere Kugeln, so genannte Pillen,
an. Mit dem Kopfschild wühlen und graben
sie in der weichen Oberfläche des Dunghaufens, werfen lockeres Material zur Seite,
fegen es mit den abgeplatteten, bogenförmigen Vorderbeinen zusammen und
fördern es Schub um Schub unter das hinterste Beinpaar. Ihnen, den Hinterbeinen,
die in Form und Gestalt einem Hohlzirkel
ähnlich sind, fällt die Aufgabe zu, das
zusammengekratzte Gut zu einer Pille
zu formen. Durch ihren Druck und durch
die kreisförmigen Bewegungen der Tiere
wächst unter deren Bauch bald eine kleine
Kugel heran. Je nach Material, Verwendungszweck und Arbeitslaune eines Käfers
kann sie ein Mehrfaches an Gewicht und
Grösse ihres Besitzers erreichen. Jetzt
heisst es für den Eigentümer, die Errungenschaft in Sicherheit zu bringen. Sonne und
aufgeheizter Boden würden den saftigen
Mist schnell austrocknen und seines Geschmacks berauben. Die Pille an einem
geschützten Ort zu vergraben, ist für den
Käfer die einzige Möglichkeit, dies zu verhindern. Deshalb umfasst er die Beute mit
den langen Hinterbeinen und schubst,
Lilienhähnchen
(Lilioceris lilii)
Puppe des Kleinen Zangenbockes (Rhagium inquisitor)
in ihrer typischen Puppenwiege unter Fichtenrinde.
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NATUR Käfer
Der Hirschkäfer – der grösste Käfer Europas
rückwärts gehend, den Kopf nach unten,
das Körperende in die Höhe gereckt, seine
Last fort. Das letzte Beinpaar, als Hauptorgan dieses Transportmechanismus, ist
in ununterbrochener Bewegung, um die
Kugel im Gleichgewicht zu halten und
sie mit wechselnden Stössen in die gewünschte Richtung zu dirigieren. Hindernisse werden dabei auf direktem Wege
überwunden oder umgangen. Durch die
dauernde Verlagerung der Drehachse
kommt die Pille während des Transports
mit allen Stellen ihrer Oberfläche mit
dem Boden in Berührung, was eine weitere
Abrundung ihrer Form zur Folge hat.
Der Hirschkäfer (Lucanus cervus) ist die
Eichen, doch wird manchmal auch anderes
grösste der in Europa vorkommenden Käfer-
Holz angenommen. Die Larven leben 5 bis
arten. Männliche Tiere, die mit ihren an
8 Jahre im und vom faulenden oder verrot-
Geweihe erinnernden Oberkieferzangen eine
teten Moderholz. Dann vergraben sie sich in
Länge um 80 Millimeter (Extremwerte bis
der Erde und verpuppen sich in einer innen
90 mm) erreichen können, machen eine
geglätteten Puppenwiege. Nach wenigen
durchaus imposante Figur, ganz besonders,
Wochen schlüpft der Käfer. Aber nur 3 bis
wenn sie bei einbrechender Dämmerung
4 Wochen seines etwa 10 Monate dauern-
in mehr oder weniger aufrechter Haltung
den Lebens verbringt er ausserhalb der
laut purrend dahergeflogen kommen. Umso
Puppenhöhle. In dieser Zeit ernährt er sich
grösser die Überraschung, wenn man einmal
an blutenden Eichenstämmen vom
ein Hirschkäferweibchen in den Händen hält,
süsslichen Baumsaft.
und es kaum glauben kann, dass es sich um
Gelegentlich kommt es zwischen Hirsch-
ein Tier der gleichen Art handelt. Der Ge-
käfermännchen zu Rivalenkämpfen, bei
Heftige Kämpfe
schlechtsdimorphismus beim Hirschkäfer
denen mit den Kieferzangen hart zugepackt
ist erstaunlich gross. Weibchen erreichen
wird. Öfter als bei solchen Rangeleien
nur eine Länge von maximal etwa 45 Milli-
fallen die Käfer indes von Ast und Baum,
meter; der Kopf ist wesentlich schmäler
wenn sie nach exzessivem Genuss gärender
als bei den Männchen, die Oberkiefer sind
Säfte berauscht die Kontrolle über sich
normal ausgebildet, d. h. es handelt sich
verlieren. Nicht alle männlichen Tiere besit-
um kurze, wenn auch kräftige Zangen.
zen im Übrigen gleich grosse Oberkiefer;
Hirschkäferweibchen legen ihre Eier an
deren Länge und Gestalt variieren ausser-
morsche Wurzelstöcke vor allem von
ordentlich.
Nicht immer aber gehen Transport und
Einlagerung des Nahrungsvorrates reibungslos vonstatten. Oft versuchen andere Skarabäen dem rechtmässigen Besitzer die «Pille» streitig zu machen. Da kann
es passieren, dass dieser plötzlich von
einem oder mehreren Artgenossen angegriffen wird, oder dass ein dreister Wegelagerer versucht, sich der während des
Aushebens der Vorratskammer zu wenig
bewachten Kugel zu bemächtigen. Dann
entbrennen mitunter heftige Kämpfe
zwischen den Käfern. Mit voller Wucht
stürzen sie sich aufeinander. Rumms…
schon fliegen 2 Kontrahenten in den Sand.
Doch gleich sind sie wieder auf den
Beinen, packen erneut zu, schieben sich
hin und her, richten sich Brust an Brust
auf und versuchen einander aus dem
Gleichgewicht zu bringen. Hart schlagen
die Panzer aufeinander. Es ist ein zähes
Ringen mit Stossen und Drücken, Ziehen
und Heben. Wer zuerst auf dem Rücken
liegt, hat das Nachsehen und muss
dulden, dass sich der Sieger über die Pille
hermacht. Doch nur so lange, bis der eben
Abgeschlagene sich wieder aufgerappelt
hat und seinen Gegner abermals angreift.
Blinder Eifer schadet indes oft auch PiIlendrehern. Regelmässig kommt es vor, dass
sich 2 ergrimmte Skarabäen noch mit
Ausdauer um eine Mistkugel streiten, mit
der sich ein lachender Dritter längst unbemerkt davongemacht hat.
Gelegentlich, aber viel seltener als
beim Drechseln von Vorratspillen, lassen
sich Skarabäen-Weibchen beim Kneten
von Brutpillen beobachten. Diese sind
meist um ein Beträchtliches grösser, werden nur aus ganz frischem und saftigem
Ein ungleich Pärchen: Kopula von Hirschkäfern (Lucanus cervus).
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Kleiner Eichenbock (Cerambyx scopolii) – auch Buchenbock genannt.
Dung angefertigt und kommen auch
viel tiefer in die Erde, in eine besondere
Brutkammer, zu liegen. Hier erst erhalten sie ihre endgültige birnenähnliche
Form. Am oberen Pol, dem schmäleren
Ende also, bringt das Käferweibchen eine
Höhlung an und versieht sie mit einem
Ei. Die später aus ihm schlüpfende Larve
mästet sich vom frisch gebliebenen Mist
ihrer Kinderstube. Sie frisst sich mit der
Zeit buchstäblich durch diese hindurch,
wächst, häutet und verpuppt sich in ihr –
und findet eines Tages als fertig entwickeltes Insekt den Weg an die Sonne.
Wohl niemals sonst in der Geschichte
der Menschheit wurde einem Insekt so
viel Ehre zuteil wie diesen Dungkäfern zur
Zeit der alten Ägypter. Sie hatten das Tier
einst zum Sinnbild Atons, des Sonnengottes, erhoben. Die Pille, die es in ihren
Mythen von Sonnenaufgang zu Sonnenuntergang rollt, galt als Symbol für das
Tagesgestirn. Die 6 scharfen, zackigen Vorsprünge am Kopfschild des Käfers wurden
als Strahlen gedeutet. Man trug das meist
in Stein geschnittene Abbild des heiligen
Skarabäus als Schmuck oder Amulett gegen die Fährnisse des Lebens. Darstellungen verschiedenster Art wurden an unzähligen Statuen und auf Reliefs in Tempeln
Foto: blickwinkel/Hecker/Sauer
Skarabäus –
Sinnbild des Sonnengottes
Ölkäfer-Weibchen (Meloe violaceus) bei der Nahrungsaufnahme. Es kann 2000–4000
Eier ablegen, um die hohen Ausfälle bei der Larvenentwicklung auszugleichen.
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NATUR Käfer
und in den Grabkammern der grossen
Pharaonen gefunden. Stilisierte Nachbildungen aus Stein, Fayence oder in Gold
gefassten Halbedelsteinen bekamen die
Mumien mit ins Grab gegeben.
Wesentlich nüchterner dürften jene
Wissenschafter die Mistkäfer und deren
Arbeit betrachtet haben, die vor kurzem
entdeckten, dass zumindest ein Skarabäus-Verwandter, der Zambesische Pillendreher (Scarabaeus zambesianus), auch
die Nächte nützt, um die wertvollen Kugeln zu fertigen und in Sicherheit zu bringen. Vor der Dämmerung orientieren sich
die Tiere, ähnlich wie Bienen und Zugvögel, an der Sonne, um ihre Wege (im
Falle der Käfer die Rollpisten) geradlinig
auszurichten. Nach Dämmerungseinbruch können sie sich dank spezieller
Rezeptoren in den Augen auch des
Mondes – falls sichtbar! – als Orientierungshilfe bedienen. Sie sind erwiesenermassen in der Lage auch das gegenüber
der Sonne millionenfach schwächere
Polarisationsmuster des Mondhimmels
zu erkennen. Eine phantastische Sinnesleistung.
Die Totengräber – unterirdischer Leichenschmaus
Brutpflege in höchster Entwicklung, zumindest auf Insekten bezogen, kennt man
etwa von den so genannten Totengräbern.
Bei diesen schwarzen oder orangeschwarz gebänderten Käfern leben – eher
ungewohnt bei Kerbtieren – die Geschlechter für die Dauer einer Brut in einer
Art Saisonehe zusammen. Die Tiere haben
ein ausgezeichnetes Geruchsvermögen
entwickelt und fliegen nachts auf die
Suche nach Kadavern kleiner Wirbeltiere.
Wahrscheinlich sind sie befähigt, Aas
schon auf viele hundert Meter Entfernung
wahrzunehmen. An einem Leichnam versammelt sich in einer Nacht mitunter eine
grössere Zahl dieser Käfer, die umgehend
damit beginnen, Erde unter dem Kadaver
wegzugraben. Schon nach wenigen Stunden sinkt die Leiche in die von den Totengräbern ausgehobene Vertiefung. Meist
kommt es nun zwischen den am Werk
beteiligten Tieren zu Streitereien, ja zu
heftigen Kämpfen um den begehrten
Leichnam. Sie enden erst, wenn sich ein
Käfer-Pärchen gegen alle Mitinteressenten
durchgesetzt hat. Von ihm wird das tote
Tier nun vollends «beerdigt» und zu einer
Aaskugel geformt. Sie kommt etwa 5 bis
10 Zentimeter tief unter Boden in eine
geschlossene Höhlung zu liegen. Nach
getaner Arbeit und der anschliessenden
Paarung vertreibt das Käferweibchen
meist auch noch den Ehegatten vom
Schauplatz des Geschehens. Die Eiablage
erfolgt in einem von der «Krypta» ausgehenden kurzen Seitengang. Nach wenigen Tagen schon schlüpfen aus den gut
ein Dutzend Eiern die Larven.
Die Mutter ist indessen nicht untätig
geblieben, sondern hat ein Loch in die
Oberfläche der Aaskugel genagt und
Foto: blickwinkel/Hecker/Sauer
Totengräber (Necrophorus sp.) an Lungvogelleiche. Diese Käfer gehören zur «Gesundheitspolizei» der Natur.
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Einer der flug- und kletterfähigen Laufkäfer: Der Grosse Puppenräuber (Calosoma sycophanta).
Die Laufkäfer – die Schnellen
Die weitaus meisten haben im Laufe ihrer
Entwicklungsgeschichte das Fliegen aufgegeben und sich aufs Laufen spezialisiert.
In der Folge sind ihre Deckflügel längs der
Rückenmittellinie teilweise oder gänzlich
zusammengewachsen und lassen sich nicht
mehr öffnen. Die ehemals dem Fliegen
dienenden häutigen Hinterflügel verkümmerten mehr oder weniger. Als Läufer zählen sie
hingegen zur absoluten Spitzenklasse;
schnell und behende durchs Leben, liesse
sich von ihnen sagen.
Laufkäfer sind vor allem echte Bodentiere;
nur einige verstehen auch gut zu klettern.
Wir haben es bei ihnen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, mit schnellfüssigen, tagoder dämmerungs- bzw. nachtaktiven räube-
Darmsekrete hinein erbrochen. Daraufhin lockt sie die Larven zum aufgelösten
Futterbrei. Dort lassen sich diese – ähnlich wie nestjunge Vögel – erst einmal
von Mund zu Mund mit dem Nahrungssaft füttern. Bald aber fressen sie selbstständig vom Aas. Ihre Entwicklung geht
äusserst schnell vonstatten. Bereits nach
etwa 7 Tagen sind sie ausgewachsen und
verpuppungsreif. Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt das Käferweibchen in der
Brutkammer, hegt und pflegt den Nachwuchs, ja verteidigt ihn gegen jede Art in
die Krypta eindringender, aasfressender
oder räuberischer Insekten.
Überall, wo es Nahrung gibt
So ungewöhnlich einheitlich und unverkennbar der Bauplan der riesigen Zahl von
Käfern ist, ihr äusseres Erscheinungsbild
und ihre so verschiedenartige Lebensweise
überraschen den Beobachter immer wieder.
rischen Jägern zu tun, die vor allem andern
Insekten und deren Larven, aber auch
Schnecken und kleineren Würmern nachstellen. Auf die mit den kräftigen, zugespitzten Beissmandibeln gepackte Beute
wird Verdauungssaft gespuckt und der
dadurch entstehende Nahrungsbrei aufgesogen. Dieser Verdauungssaft wird von vielen
Laufkäfern im Falle einer Störung auch
Gegnern oder Feinden entgegengespuckt.
Überdies verfügen manche Arten über am
Hinterleibsende liegende Drüsen, aus denen
bei Gefahr Wehrsäfte gezielt auf einen Feind
gespritzt werden können. Sie verursachen
einen unangenehmen haftenden Geruch und
verfehlen selten ihre Wirkung – zumindest
bei uns Menschen nicht.
Was gibt es doch allein unter den in der
kleinen Schweiz lebenden Käfern für phantastische, ja beinahe abenteuerliche Gestalten: Der mit riesigen Oberkieferzangen
ausgestatteten Hirschkäfer beispielsweise;
oder der Zimmermannsbock, dessen knotige Fühler bis zu 5-mal länger sind als der
Körper des Tieres; die Rüsselkäfer mit
ihrem charakteristischen, lang ausgezogenen Kopf; die eigenartigen Kurzflügler, bei
denen, wie der Name sagt, die starren
Vorderflügel nur einen kleinen Teil des
Hinterkörpers decken; die Weichkäfer, die
man ihrer bunten Farbe wegen auch Soldatenkäfer nennt; oder die herrlich metallisch
glänzenden Prachtkäfer und so manch
andere.
Kaum weniger unterschiedlich als ihre
äussere Erscheinung ist auch die Lebensweise der Käfer. Schon der Blick auf ein
paar der zahlreichen Familiennamen, mit
denen das Heer der Käfer bedacht wurde,
vermittelt einen Eindruck von der gross-
Käfer NATUR
artigen Anpassung an verschiedene Lebensbedingungen. Da gibt es z.B. Laufkäfer
und Schwimmkäfer, Aaskäfer und Raubkäfer, Leuchtkäfer und Bohrkäfer, Pillenkäfer und Blütenfresser, Blattkäfer und
Borkenkäfer…
Käfer sind, zumindest für den, der
sie zu finden weiss, allgegenwärtig. Sie
leben auf Bäumen und Sträuchern, Blüten
und Blättern, in der Laubstreu und unter
Steinen, im Holz und im Wasser. Wir
begegnen ihnen nicht nur während der
warmen Jahreszeit, sondern auch im
Winter, nicht nur in der freien Natur,
sondern auch in menschlichen Behausungen. Käfer haben sich überall angesiedelt,
wo es für sie Nahrung gibt. Und wo finden sie solche schon nicht? Kaum ein
organischer Stoff, der nicht irgendwelchen
Käfern als Nahrung dient. Wir entdecken
unter ihnen Fleisch- und Pflanzenfresser,
Saftlecker und Modervertilger, Dungliebhaber und Pollennascher, Holzverzehrer
und Leichenbeseitiger. Manche Arten sind
stark spezialisiert und nehmen nur eine
bestimmte Nahrung zu sich. Andere dagegen haben eine umfangreiche Speisekarte, fressen z. B. von den verschiedensten Pflanzen oder ernähren sich sowohl
von pflanzlicher als auch von tierischer
Kost; sind also Vegetarier und Fleischfresser zugleich. Zwischen den reinen
Nahrungsspezialisten und den ausgesprochenen Allesfressern bestehen alle nur
denkbaren Übergänge.
Viele Käferarten, wie etwa die Raupen
jagenden Laufkäfer oder die Blattläuse
vertilgenden Marienkäfer, erweisen sich
durch ihre Ernährungsgewohnheiten für
den Menschen oft als «nützlich». Andere
treten in Feld, Wald und Haus als seine
Konkurrenten auf und können enorme
Schäden anrichten. So beispielsweise der
erstmals gegen Ende des 19. Jahrhunderts
aus Nordamerika eingeschleppte Colorado- oder Kartoffelkäfer, die Borkenkäfer, die die lebenden Saftbahnen von
Bäumen zerstören, der Hausbock und
manche Rüsselkäfer. In manchen Jahren
neigen verschiedene Arten zur Massenvermehrung. Favorable Klimabedingungen, ein Überangebot an Nahrung und
mangelnder Feinddruck vermögen eine
solche Entwicklung auszulösen oder sie
zumindest zu begünstigen und zu
fördern. Durch den hohen Nahrungsbedarf geraten in der Folge diese Tiere
immer wieder in Verruf. Mit Blick auf
Natürlich | 5-2004 13
Der Moschusbock (Aromia moschata) trägt seinen Namen
nach einem von ihm abgesonderten aromatrischen Sekret
aus in Weidenblättern enthaltener Salicylsäure.
die vor allem in Pflanzenkulturen angerichteten Schäden wird dann von Kalamitäten gesprochen. Bei zahlreichen Arten sind es nur die Larven, welche durch
ihre Frasstätigkeit zu Schädlingen werden, während die Käfer selbst sich als
harmlose Pollen- oder Nektarkonsumenten entpuppen.
Purrende Flieger
Sogar den Lebensraum Wasser haben
Käfer sich also erobert. Mehrere Formen
passten sich im Laufe ihrer Entwicklungsgeschichte diesem Element an und
entwickelten dabei viele Sonderheiten.
Besonders die Versorgung mit Atemluft
gestaltete sich bei den im Wasser lebenden Tieren komplizierter als bei ihren
an Land lebenden Verwandten. Um Luft
aufzunehmen, kommt z. B. der Gelbrandkäfer hin und wieder an die Oberfläche,
reckt sein Hinterende ein wenig aus
dem Wasser und tauscht dabei alte, verbrauchte Atemluft gegen frische, sauerstoffreiche aus. Er tankt diese in den
Raum zwischen der Hinterleibsoberseite
und den Flügeldecken. Mit der neuen
Luftreserve taucht das Tier wieder ins
tiefere Wasser. Andere in Gewässern
lebende Käfer haben andere Techniken
der Luftbeschaffung entwickelt. Die Flug-
fähigkeit haben die Wasserkäfer aber
keineswegs eingebüsst. Manche von ihnen zeigen sich sogar recht flugfreudig.
Käfer als exzellente Flieger bezeichnen
zu wollen, wäre wohl übertrieben. Die
meisten von ihnen purren ziemlich geradlinig, verhältnismässig langsam und wenig
wendig dahin. Auch die Ausdauer im
Flug liegt ihnen nicht gerade. Ausnahmen,
wie z.B. die lauf- und fluggewandten Sandlaufkäfer, der Gelbrandkäfer, die Rosenkäfer und einige andere, bestätigen auch
hier nur die Regel. Manche Arten verzichten völlig aufs Fliegen und verlassen sich
statt dessen auf ihre 6 behenden Beine.
Käfer NATUR
Die Kleinsten
Als echte Winzlinge unter den Käfern dürfen die Federflügler, die Punktkäfer, die
Zwergkäfer und einige zur Verwandtschaft
der so genannten Kurzflügler zählende
Arten aus der Familiengruppe der polyphagen Käfer bezeichnet werden. Die teils
rundlichen, teils halbkugelig oder längsoval geformten Tierchen mit stark glänzender oder matter Oberseite messen lediglich
zwischen 0,5 und 1,9 Millimeter.
Bei Gefahr können sich Punktkäfer durch
Einklappen des Kopfes und der Vorderbrust
auf die Körperunterseite zu einer winzigen
Mittelalterliche Ritter
Dass sich die Käfer trotzdem so erfolgreich
durchzusetzen und in den unterschiedlichsten Lebensräumen zurechtzufinden
vermögen, verdanken sie nicht zuletzt
ihrer robusten Bauweise. Betrachtet man
Käfer etwas genauer, vielleicht sogar mit
Hilfe einer leicht vergrössernden Lupe,
stellt man unschwer fest, dass fast alle
solide und kräftig gebaut sind. Wie geharnischte mittelalterliche Ritter muten
sie einen in ihren aus Platten, Schildern,
Ringen und Spangen zusammengefügten
Chitinpanzern an. Der Kopf mit den kauend-beissenden Mundwerkzeugen geht in
Kugel zusammenrollen, während die Kurzflüglerarten den zugespitzten Hinterleib
teleskopartig zusammenschieben und weitgehend unter die Flügeldecken ziehen.
Bevorzugte Aufenthaltsorte dieser Miniaturkäfer sind feuchtes Laub, Moospolster,
schimmelnde Pflanzenteile, Exkremente
von Tieren und Räume unter Rinde. Über
ihr Leben ist noch relativ wenig bekannt.
Der kleinste heute bekannte Käfer ist
übrigens Nanosella fungi, ein Kurzflügler
aus Nordamerika. Seine stattliche Länge:
0,25 Millimeter!
Imagines, Gelege und Larven
des Kartoffelkäfers
(Leptinotarsa decemlineata).
Natürlich | 5-2004 15
NATUR Käfer
die vom übrigen Körper abgesetzte und
bewegliche, auf der Oberseite vom Halsschild bedeckte Vorderbrust über. Mittelund Hinterbrust sowie der oben weichhäutige Hinterleib werden meist von den
der Körperform angepassten Vorderflügeln verhüllt. Diese haben sich zu harten,
starren Deckplatten entwickelt, unter
denen der Leib und die verletzbaren, fein
zusammengefalteten häutigen Hinterflügel wohlgeborgen ruhen. Zum Fliegen
benützen die Käfer, im Gegensatz zu andern Insekten, nur das hintere Flügelpaar.
Die Flügeldecken werden beim Flug
seitwärts gespreizt und dienen als starre
Tragflächen.
Die 6 Beine sitzen paarweise an den
3 Brustabschnitten eingelenkt. Auch sie
sind aus harten Chitinschienen zusammengesetzt. Gerade der Blick auf die
Bauchseite eines Käfers vermittelt in
den allermeisten Fällen den Eindruck, als
seien diese Ritter im Panzerrock aus
lauter geschliffenem Stahl zusammengefügt. Nur eine Lanze fehlt ihnen. Käfer
haben nämlich, wie fälschlicherweise oft
angenommen, keinen Stachel; mit ihren
Mundwerkzeugen können sie einen
höchstens mal beissen oder kneifen.
■
Gelbrandkäfer (Dytiscus marginalis), im Bild ein Männchen –
ein guter Schwimmer und Flieger.
Der Riesenbock – der grösste Käfer der Welt
Die Bockkäfer stellen mit weltweit etwa
Quellgebiet des Amazonas lebende Riesen-
den voluminösesten und mit etwa 30 Gramm
27000 Arten einerseits eine der artenreichs-
bock (Titanus giganteus) als der grösste
Gewicht neben den ebenfalls in den Tropen
ten Tierfamilien, anderseits gilt der mit einer
Käfer der Welt. Da er zudem eine relativ
lebenden Herkules- und Goliathkäfern zu
Körperlänge von 160 bis 200 Millimetern im
grosse Körperbreite erreicht, gehört er zu
den schwersten Insekten überhaupt.
Bockkäfer zählen infolge ihrer meist schlanken gestreckten Gestalt, ihrer zum Teil
bizarren Körperform und ihrer oftmals
schönen Farben zu den auffälligsten Käfern.
Die deutschsprachige Bezeichnung erlangten
sie dank ihrer bei vielen Arten körperlangen
oder sogar erheblich längeren, knotigen
Fühler.
Auch unter den rund 250 in Mitteleuropa
vorkommenden Bockkäferarten finden wir
Foto: blickwinkel, A. Hartl
einige mit herausragenden Körpermassen.
16 Natürlich | 5-2004
So erreichen Männchen des Mulmbockes
(Eriogaster faber) 60 Millimeter, solche des
Eichenheldbockes (Cerambyx cerdo) 55 Millimeter und die des Körnerbockes (Megopis
scabricornis) immerhin eine Länge von
50 Millimetern.
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