Hart im Nehmen Goldglänzender Laufkäfer (Carabus auronitens) Käfer NATUR Ob im Wald, in der Wüste, im Wasser oder in unseren Häusern – im Laufe ihrer Entwicklungsgeschichte haben Käfer alle nur möglichen Lebensräume besiedelt und dabei die unglaublichsten Anpassungen durchgemacht. Die Kleinsten messen nur wenige Zehntelsmillimeter, der Grösste in Europa ist mit einer Körperlänge von bis zu 9 Zentimetern geradezu ein Gigant. Allen Käfern gemein ist der einheitliche Bauplan und der robuste Chitinpanzer. Text und Fotos: Karl Weber V ielleicht kennen Sie die Geschichte: Die Familie sitzt an einem Frühsommertag im Garten. Auf einem Rosenstrauch entdecken die Kinder einen Käfer und möchten seinen Namen wissen. Die Eltern besehen sich das Tier, glauben, bei ihm gewisse Ähnlichkeiten mit einem Maikäfer feststellen zu können; nur… der Käfer, den alle gebannt anschauen, ist ein gutes Stück kleiner als ein Maikäfer. Der Vater wiegt den Kopf und legt die Stirn in Falten. Und er kommt zum Schluss, dass es sich eben um einen jungen Maikäfer handeln müsse. Zumindest in 2 Punkten hat Vater Recht: Der besagte Käfer, der in Tat und Wahrheit ein Gartenlaubkäfer ist, gleicht in mancher Hinsicht, sieht man einmal von der Grösse ab, tatsächlich einem Maikäfer. Und er ist auch nahe mit diesem verwandt. Aber: Junge, noch nicht ausgewachsene Käfer gibt es nicht – weder bei den Maikäfern noch bei einer der vielen tausend andern Käferarten. Ein Käfer durchläuft in seiner Entwicklung 4 völlig voneinander verschiedene Stadien: Ei – Larve – Puppe – Vollinsekt. Während der Puppenruhe, die meist mehrere Wochen oder Monate dauert, vollzieht sich die Umwandlung der Larve zum fertigen Käfer. Einmal aus der Puppe geschlüpft, wächst dieser nicht mehr. Käferlarven sind, je nach Familie, Art und Lebensweise, äusserst vielgestaltig. In der Regel durchleben sie 4 bis 6 Wachstumsstadien, in denen sie immer wieder aus ihrer nicht mitwachsenden und daher nach und nach zu eng werdenden Haut schlüpfen. Die Dauer der Larvenentwicklung hängt nicht nur von der späte- ren Grösse des Käfers ab. Sie ist in starkem Masse auch von der zur Verfügung stehenden Nahrung, von ihrer Menge und Qualität, aber auch von den klimatischen Gegebenheiten abhängig. So treten in warmen Ländern bei vielen Käferarten mehr Generationen auf als in kühlen; selbst bei Arten, die in beiden Klimabereichen vorkommen. Bei den meisten der bei uns heimischen Käfern dauert die Larvalzeit ein paar Monate, bei anderen 2, 3 oder 4 Jahre. Die des grössten europäischen Käfers, des Hirschkäfers, bewegt sich gar zwischen 5 und 8 Jahren; und vom Hausbock weiss man, dass seine Larven unter ungünstigen Bedingungen bis zu 15 Jahre brauchen, um sich zu entwickeln. Die Lebenserwartung der Imagines (der vollentwickelten, geschlüpften Käfer) ist meistens bedeutend kürzer als die Zeit, die die Tiere als Larve verbringen. Auch die Liegezeit als Puppe ist im Vergleich dazu recht kurz. Gartenlaubkäfer (Phylloperta horticola) Natürlich | 5-2004 7 NATUR Käfer Der Ölkäfer – per Luftfracht ins Bienennest Ungewöhnlich, ja fast schon umständlich verläuft die Entwicklung bei den Ölkäfern (Meloe). Auf ein sehr lebhaftes erstes Larvenstadium folgt das zweite, in dem sich die Larve als eher unförmiges und träges Wesen zeigt. Daraufhin legt sie eine Ruhezeit als so genannte Scheinpuppe ein. Es folgt eine wieder bewegliche Madenform und danach die Puppe, aus der schliesslich der Käfer schlüpft. Für die agile Primärlarve des Ölkäfers oder Maiwurms besteht eine vordringliche Aufgabe: Sie muss in ein Nest von ganz bestimmten solitären Bienen gelangen. Schafft sie dies nicht, ist sie verloren. Sie versucht daher, auf schnellstem Wege, auf eine Blüte zu kriechen. Dort wartet sie auf anfliegende Bienenweibchen, um sich in ihrem Haarpelz festzuklammern und so per Luftfracht in deren Nest transportieren zu lassen. Pech, dass sich die Ölkäferlarven oft an alles gerade erreichbare Haarige krallen. Dieses Versehen führt bereits zu hohen Verlustraten. Gelangt die Larve aber tatsächlich in ein Bienennest, braucht sie eine Brutzelle, in der sie sowohl den kompletten Nahrungsvorrat an Pollen bzw. Nektar Pillendreher (Scarabaeus semipunctatus) als auch ein Ei der Biene vorfindet. Das Ei dient ihr einerseits als Landeplatz, um nicht im Nahrungsbrei zu ertrinken, anderseits aber auch als erste Nahrung. Nach der Häutung zur trägen Sekundärlarve lebt das Tier vom eigentlich für die Bienenlarve vorgesehenen Brutklumpen. Nach 2 weiteren Häutungen verlässt die Käfermade die Brutzelle und verwandelt sich im benachbarten Erdreich zur Scheinpuppe. Erst nach der Überwinterung im Boden erfolgt die Häutung zu einer letzten, aber nur wenige Tage bestehenden Larvenform, der dann endlich die Puppe folgt, aus der etwa 4 Wochen später der fertige Käfer schlüpft. Ölkäfer besitzen übrigens ein hochwirksames Blutgift, das Cantharidin, das merkwürdigerweise Insekten fressenden Wirbeltieren wie z. B. Vögeln, Igeln und Fledermäusen nicht schadet, während beim Menschen schon eine Dosis von 0,03 Gramm Cantharidin zum Tode führen würde. Käferweibchen legen ihre Eier einzeln oder in Gruppen in die verschiedensten Verstecke ab. Man findet sie beispielsweise unter Rinde, im Holz gesunder und vor allem absterbender kranker bzw. geschwächter Bäume, in der Erde oder an Blättern und in Stengeln von vielerlei Pflanzen. Ihre Gestalt ist unterschiedlich: oval, rundlich, walzen- oder spindelförmig, ja sogar stabförmig. Die Zahl der Eier schwankt von Art zu Art erheblich. Es können ein paar wenige, einige Dutzend, einige Hundert, aber auch mehrere Tausend sein. Während sich bei den meisten Insekten die Brutfürsorge darin erschöpft, dass die Weibchen die Eier an oder in die Nähe der richtigen Futterpflanze legen oder dazu entsprechende Wirts- bzw. Beutetiere suchen, gehen bei andern die Bemühungen um das Wohl des Nachwuchses bedeutend weiter. Manche Arten schaffen für die Jungen im Voraus günstige Entwicklungsbedingungen, indem sie Schutzbauten, Nester, Kokons, Brutkammern usw. errichten und/oder ganze Nahrungsdepots anlegen. Auch verschiedene Käfer lassen Eiern, Larven und Puppen eine mehr oder weniger aufwändige Betreuung angedeihen. Der Pillendreher – macht sich über jeden Mist her Bekannt, ja berühmt geworden durch ihre nicht alltägliche Form von Brutfürsorge sind die so genannten Pillendreher Pinselkäfer (Trichius fasciatus) mit dichter, pelzartiger Behaarung. aus der Gruppe der Mist- oder Kotkäfer (Familie Blatthornkäfer). Bei ihnen haben wir es mit wahren Dungexperten zu tun. Wo immer in ihrem Lebensraum frischer Kot anfällt – das Vorkommensgebiet der Pillendreher der Gattung Scarabaeus liegt vor allem im Mittelmeergebiet und in der südlichen Paläarktis –, stellt sich meist schon nach kurzer Zeit eine mehr oder weniger grosse Zahl der kleinen Kraftprotze ein. Pillendreher sind in der Lage, Gegenstände hochzuwuchten oder Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die nahezu das 800fache ihres Körpergewichtes wiegen. Grösstes Interesse eines jeden dieser Käfer ist es jeweils, sich einen Teil aus dem Pferde-, Esel-, Rinder-, Schaf- oder Kamelkot herauszuschneiden und sicherzustellen: sei es zur sofortigen Mahlzeit, sei es als späterer Proviant oder, bei den weiblichen Tieren, als Brutunterlage für die zukünftigen Larven. Weil friedliche Koexistenz bei Pillendrehern aber nicht eben hoch im Kurse steht, zumindest nicht, wenn frischer, saftiger Dung lockt, gehen die meisten Skarabäen rasch daran, mit Hilfe ihrer gezähnten Kopfplatte eine Portion des Segens abzuschaben, zusammenzurechen und sich damit vom allgemeinen Gedränge abzusetzen. Dazu fertigen sie sich kleinere oder grössere Kugeln, so genannte Pillen, an. Mit dem Kopfschild wühlen und graben sie in der weichen Oberfläche des Dunghaufens, werfen lockeres Material zur Seite, fegen es mit den abgeplatteten, bogenförmigen Vorderbeinen zusammen und fördern es Schub um Schub unter das hinterste Beinpaar. Ihnen, den Hinterbeinen, die in Form und Gestalt einem Hohlzirkel ähnlich sind, fällt die Aufgabe zu, das zusammengekratzte Gut zu einer Pille zu formen. Durch ihren Druck und durch die kreisförmigen Bewegungen der Tiere wächst unter deren Bauch bald eine kleine Kugel heran. Je nach Material, Verwendungszweck und Arbeitslaune eines Käfers kann sie ein Mehrfaches an Gewicht und Grösse ihres Besitzers erreichen. Jetzt heisst es für den Eigentümer, die Errungenschaft in Sicherheit zu bringen. Sonne und aufgeheizter Boden würden den saftigen Mist schnell austrocknen und seines Geschmacks berauben. Die Pille an einem geschützten Ort zu vergraben, ist für den Käfer die einzige Möglichkeit, dies zu verhindern. Deshalb umfasst er die Beute mit den langen Hinterbeinen und schubst, Lilienhähnchen (Lilioceris lilii) Puppe des Kleinen Zangenbockes (Rhagium inquisitor) in ihrer typischen Puppenwiege unter Fichtenrinde. Natürlich | 5-2004 9 NATUR Käfer Der Hirschkäfer – der grösste Käfer Europas rückwärts gehend, den Kopf nach unten, das Körperende in die Höhe gereckt, seine Last fort. Das letzte Beinpaar, als Hauptorgan dieses Transportmechanismus, ist in ununterbrochener Bewegung, um die Kugel im Gleichgewicht zu halten und sie mit wechselnden Stössen in die gewünschte Richtung zu dirigieren. Hindernisse werden dabei auf direktem Wege überwunden oder umgangen. Durch die dauernde Verlagerung der Drehachse kommt die Pille während des Transports mit allen Stellen ihrer Oberfläche mit dem Boden in Berührung, was eine weitere Abrundung ihrer Form zur Folge hat. Der Hirschkäfer (Lucanus cervus) ist die Eichen, doch wird manchmal auch anderes grösste der in Europa vorkommenden Käfer- Holz angenommen. Die Larven leben 5 bis arten. Männliche Tiere, die mit ihren an 8 Jahre im und vom faulenden oder verrot- Geweihe erinnernden Oberkieferzangen eine teten Moderholz. Dann vergraben sie sich in Länge um 80 Millimeter (Extremwerte bis der Erde und verpuppen sich in einer innen 90 mm) erreichen können, machen eine geglätteten Puppenwiege. Nach wenigen durchaus imposante Figur, ganz besonders, Wochen schlüpft der Käfer. Aber nur 3 bis wenn sie bei einbrechender Dämmerung 4 Wochen seines etwa 10 Monate dauern- in mehr oder weniger aufrechter Haltung den Lebens verbringt er ausserhalb der laut purrend dahergeflogen kommen. Umso Puppenhöhle. In dieser Zeit ernährt er sich grösser die Überraschung, wenn man einmal an blutenden Eichenstämmen vom ein Hirschkäferweibchen in den Händen hält, süsslichen Baumsaft. und es kaum glauben kann, dass es sich um Gelegentlich kommt es zwischen Hirsch- ein Tier der gleichen Art handelt. Der Ge- käfermännchen zu Rivalenkämpfen, bei Heftige Kämpfe schlechtsdimorphismus beim Hirschkäfer denen mit den Kieferzangen hart zugepackt ist erstaunlich gross. Weibchen erreichen wird. Öfter als bei solchen Rangeleien nur eine Länge von maximal etwa 45 Milli- fallen die Käfer indes von Ast und Baum, meter; der Kopf ist wesentlich schmäler wenn sie nach exzessivem Genuss gärender als bei den Männchen, die Oberkiefer sind Säfte berauscht die Kontrolle über sich normal ausgebildet, d. h. es handelt sich verlieren. Nicht alle männlichen Tiere besit- um kurze, wenn auch kräftige Zangen. zen im Übrigen gleich grosse Oberkiefer; Hirschkäferweibchen legen ihre Eier an deren Länge und Gestalt variieren ausser- morsche Wurzelstöcke vor allem von ordentlich. Nicht immer aber gehen Transport und Einlagerung des Nahrungsvorrates reibungslos vonstatten. Oft versuchen andere Skarabäen dem rechtmässigen Besitzer die «Pille» streitig zu machen. Da kann es passieren, dass dieser plötzlich von einem oder mehreren Artgenossen angegriffen wird, oder dass ein dreister Wegelagerer versucht, sich der während des Aushebens der Vorratskammer zu wenig bewachten Kugel zu bemächtigen. Dann entbrennen mitunter heftige Kämpfe zwischen den Käfern. Mit voller Wucht stürzen sie sich aufeinander. Rumms… schon fliegen 2 Kontrahenten in den Sand. Doch gleich sind sie wieder auf den Beinen, packen erneut zu, schieben sich hin und her, richten sich Brust an Brust auf und versuchen einander aus dem Gleichgewicht zu bringen. Hart schlagen die Panzer aufeinander. Es ist ein zähes Ringen mit Stossen und Drücken, Ziehen und Heben. Wer zuerst auf dem Rücken liegt, hat das Nachsehen und muss dulden, dass sich der Sieger über die Pille hermacht. Doch nur so lange, bis der eben Abgeschlagene sich wieder aufgerappelt hat und seinen Gegner abermals angreift. Blinder Eifer schadet indes oft auch PiIlendrehern. Regelmässig kommt es vor, dass sich 2 ergrimmte Skarabäen noch mit Ausdauer um eine Mistkugel streiten, mit der sich ein lachender Dritter längst unbemerkt davongemacht hat. Gelegentlich, aber viel seltener als beim Drechseln von Vorratspillen, lassen sich Skarabäen-Weibchen beim Kneten von Brutpillen beobachten. Diese sind meist um ein Beträchtliches grösser, werden nur aus ganz frischem und saftigem Ein ungleich Pärchen: Kopula von Hirschkäfern (Lucanus cervus). 10 Natürlich | 5-2004 Kleiner Eichenbock (Cerambyx scopolii) – auch Buchenbock genannt. Dung angefertigt und kommen auch viel tiefer in die Erde, in eine besondere Brutkammer, zu liegen. Hier erst erhalten sie ihre endgültige birnenähnliche Form. Am oberen Pol, dem schmäleren Ende also, bringt das Käferweibchen eine Höhlung an und versieht sie mit einem Ei. Die später aus ihm schlüpfende Larve mästet sich vom frisch gebliebenen Mist ihrer Kinderstube. Sie frisst sich mit der Zeit buchstäblich durch diese hindurch, wächst, häutet und verpuppt sich in ihr – und findet eines Tages als fertig entwickeltes Insekt den Weg an die Sonne. Wohl niemals sonst in der Geschichte der Menschheit wurde einem Insekt so viel Ehre zuteil wie diesen Dungkäfern zur Zeit der alten Ägypter. Sie hatten das Tier einst zum Sinnbild Atons, des Sonnengottes, erhoben. Die Pille, die es in ihren Mythen von Sonnenaufgang zu Sonnenuntergang rollt, galt als Symbol für das Tagesgestirn. Die 6 scharfen, zackigen Vorsprünge am Kopfschild des Käfers wurden als Strahlen gedeutet. Man trug das meist in Stein geschnittene Abbild des heiligen Skarabäus als Schmuck oder Amulett gegen die Fährnisse des Lebens. Darstellungen verschiedenster Art wurden an unzähligen Statuen und auf Reliefs in Tempeln Foto: blickwinkel/Hecker/Sauer Skarabäus – Sinnbild des Sonnengottes Ölkäfer-Weibchen (Meloe violaceus) bei der Nahrungsaufnahme. Es kann 2000–4000 Eier ablegen, um die hohen Ausfälle bei der Larvenentwicklung auszugleichen. Natürlich | 5-2004 11 NATUR Käfer und in den Grabkammern der grossen Pharaonen gefunden. Stilisierte Nachbildungen aus Stein, Fayence oder in Gold gefassten Halbedelsteinen bekamen die Mumien mit ins Grab gegeben. Wesentlich nüchterner dürften jene Wissenschafter die Mistkäfer und deren Arbeit betrachtet haben, die vor kurzem entdeckten, dass zumindest ein Skarabäus-Verwandter, der Zambesische Pillendreher (Scarabaeus zambesianus), auch die Nächte nützt, um die wertvollen Kugeln zu fertigen und in Sicherheit zu bringen. Vor der Dämmerung orientieren sich die Tiere, ähnlich wie Bienen und Zugvögel, an der Sonne, um ihre Wege (im Falle der Käfer die Rollpisten) geradlinig auszurichten. Nach Dämmerungseinbruch können sie sich dank spezieller Rezeptoren in den Augen auch des Mondes – falls sichtbar! – als Orientierungshilfe bedienen. Sie sind erwiesenermassen in der Lage auch das gegenüber der Sonne millionenfach schwächere Polarisationsmuster des Mondhimmels zu erkennen. Eine phantastische Sinnesleistung. Die Totengräber – unterirdischer Leichenschmaus Brutpflege in höchster Entwicklung, zumindest auf Insekten bezogen, kennt man etwa von den so genannten Totengräbern. Bei diesen schwarzen oder orangeschwarz gebänderten Käfern leben – eher ungewohnt bei Kerbtieren – die Geschlechter für die Dauer einer Brut in einer Art Saisonehe zusammen. Die Tiere haben ein ausgezeichnetes Geruchsvermögen entwickelt und fliegen nachts auf die Suche nach Kadavern kleiner Wirbeltiere. Wahrscheinlich sind sie befähigt, Aas schon auf viele hundert Meter Entfernung wahrzunehmen. An einem Leichnam versammelt sich in einer Nacht mitunter eine grössere Zahl dieser Käfer, die umgehend damit beginnen, Erde unter dem Kadaver wegzugraben. Schon nach wenigen Stunden sinkt die Leiche in die von den Totengräbern ausgehobene Vertiefung. Meist kommt es nun zwischen den am Werk beteiligten Tieren zu Streitereien, ja zu heftigen Kämpfen um den begehrten Leichnam. Sie enden erst, wenn sich ein Käfer-Pärchen gegen alle Mitinteressenten durchgesetzt hat. Von ihm wird das tote Tier nun vollends «beerdigt» und zu einer Aaskugel geformt. Sie kommt etwa 5 bis 10 Zentimeter tief unter Boden in eine geschlossene Höhlung zu liegen. Nach getaner Arbeit und der anschliessenden Paarung vertreibt das Käferweibchen meist auch noch den Ehegatten vom Schauplatz des Geschehens. Die Eiablage erfolgt in einem von der «Krypta» ausgehenden kurzen Seitengang. Nach wenigen Tagen schon schlüpfen aus den gut ein Dutzend Eiern die Larven. Die Mutter ist indessen nicht untätig geblieben, sondern hat ein Loch in die Oberfläche der Aaskugel genagt und Foto: blickwinkel/Hecker/Sauer Totengräber (Necrophorus sp.) an Lungvogelleiche. Diese Käfer gehören zur «Gesundheitspolizei» der Natur. 12 Natürlich | 5-2004 Einer der flug- und kletterfähigen Laufkäfer: Der Grosse Puppenräuber (Calosoma sycophanta). Die Laufkäfer – die Schnellen Die weitaus meisten haben im Laufe ihrer Entwicklungsgeschichte das Fliegen aufgegeben und sich aufs Laufen spezialisiert. In der Folge sind ihre Deckflügel längs der Rückenmittellinie teilweise oder gänzlich zusammengewachsen und lassen sich nicht mehr öffnen. Die ehemals dem Fliegen dienenden häutigen Hinterflügel verkümmerten mehr oder weniger. Als Läufer zählen sie hingegen zur absoluten Spitzenklasse; schnell und behende durchs Leben, liesse sich von ihnen sagen. Laufkäfer sind vor allem echte Bodentiere; nur einige verstehen auch gut zu klettern. Wir haben es bei ihnen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, mit schnellfüssigen, tagoder dämmerungs- bzw. nachtaktiven räube- Darmsekrete hinein erbrochen. Daraufhin lockt sie die Larven zum aufgelösten Futterbrei. Dort lassen sich diese – ähnlich wie nestjunge Vögel – erst einmal von Mund zu Mund mit dem Nahrungssaft füttern. Bald aber fressen sie selbstständig vom Aas. Ihre Entwicklung geht äusserst schnell vonstatten. Bereits nach etwa 7 Tagen sind sie ausgewachsen und verpuppungsreif. Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt das Käferweibchen in der Brutkammer, hegt und pflegt den Nachwuchs, ja verteidigt ihn gegen jede Art in die Krypta eindringender, aasfressender oder räuberischer Insekten. Überall, wo es Nahrung gibt So ungewöhnlich einheitlich und unverkennbar der Bauplan der riesigen Zahl von Käfern ist, ihr äusseres Erscheinungsbild und ihre so verschiedenartige Lebensweise überraschen den Beobachter immer wieder. rischen Jägern zu tun, die vor allem andern Insekten und deren Larven, aber auch Schnecken und kleineren Würmern nachstellen. Auf die mit den kräftigen, zugespitzten Beissmandibeln gepackte Beute wird Verdauungssaft gespuckt und der dadurch entstehende Nahrungsbrei aufgesogen. Dieser Verdauungssaft wird von vielen Laufkäfern im Falle einer Störung auch Gegnern oder Feinden entgegengespuckt. Überdies verfügen manche Arten über am Hinterleibsende liegende Drüsen, aus denen bei Gefahr Wehrsäfte gezielt auf einen Feind gespritzt werden können. Sie verursachen einen unangenehmen haftenden Geruch und verfehlen selten ihre Wirkung – zumindest bei uns Menschen nicht. Was gibt es doch allein unter den in der kleinen Schweiz lebenden Käfern für phantastische, ja beinahe abenteuerliche Gestalten: Der mit riesigen Oberkieferzangen ausgestatteten Hirschkäfer beispielsweise; oder der Zimmermannsbock, dessen knotige Fühler bis zu 5-mal länger sind als der Körper des Tieres; die Rüsselkäfer mit ihrem charakteristischen, lang ausgezogenen Kopf; die eigenartigen Kurzflügler, bei denen, wie der Name sagt, die starren Vorderflügel nur einen kleinen Teil des Hinterkörpers decken; die Weichkäfer, die man ihrer bunten Farbe wegen auch Soldatenkäfer nennt; oder die herrlich metallisch glänzenden Prachtkäfer und so manch andere. Kaum weniger unterschiedlich als ihre äussere Erscheinung ist auch die Lebensweise der Käfer. Schon der Blick auf ein paar der zahlreichen Familiennamen, mit denen das Heer der Käfer bedacht wurde, vermittelt einen Eindruck von der gross- Käfer NATUR artigen Anpassung an verschiedene Lebensbedingungen. Da gibt es z.B. Laufkäfer und Schwimmkäfer, Aaskäfer und Raubkäfer, Leuchtkäfer und Bohrkäfer, Pillenkäfer und Blütenfresser, Blattkäfer und Borkenkäfer… Käfer sind, zumindest für den, der sie zu finden weiss, allgegenwärtig. Sie leben auf Bäumen und Sträuchern, Blüten und Blättern, in der Laubstreu und unter Steinen, im Holz und im Wasser. Wir begegnen ihnen nicht nur während der warmen Jahreszeit, sondern auch im Winter, nicht nur in der freien Natur, sondern auch in menschlichen Behausungen. Käfer haben sich überall angesiedelt, wo es für sie Nahrung gibt. Und wo finden sie solche schon nicht? Kaum ein organischer Stoff, der nicht irgendwelchen Käfern als Nahrung dient. Wir entdecken unter ihnen Fleisch- und Pflanzenfresser, Saftlecker und Modervertilger, Dungliebhaber und Pollennascher, Holzverzehrer und Leichenbeseitiger. Manche Arten sind stark spezialisiert und nehmen nur eine bestimmte Nahrung zu sich. Andere dagegen haben eine umfangreiche Speisekarte, fressen z. B. von den verschiedensten Pflanzen oder ernähren sich sowohl von pflanzlicher als auch von tierischer Kost; sind also Vegetarier und Fleischfresser zugleich. Zwischen den reinen Nahrungsspezialisten und den ausgesprochenen Allesfressern bestehen alle nur denkbaren Übergänge. Viele Käferarten, wie etwa die Raupen jagenden Laufkäfer oder die Blattläuse vertilgenden Marienkäfer, erweisen sich durch ihre Ernährungsgewohnheiten für den Menschen oft als «nützlich». Andere treten in Feld, Wald und Haus als seine Konkurrenten auf und können enorme Schäden anrichten. So beispielsweise der erstmals gegen Ende des 19. Jahrhunderts aus Nordamerika eingeschleppte Colorado- oder Kartoffelkäfer, die Borkenkäfer, die die lebenden Saftbahnen von Bäumen zerstören, der Hausbock und manche Rüsselkäfer. In manchen Jahren neigen verschiedene Arten zur Massenvermehrung. Favorable Klimabedingungen, ein Überangebot an Nahrung und mangelnder Feinddruck vermögen eine solche Entwicklung auszulösen oder sie zumindest zu begünstigen und zu fördern. Durch den hohen Nahrungsbedarf geraten in der Folge diese Tiere immer wieder in Verruf. Mit Blick auf Natürlich | 5-2004 13 Der Moschusbock (Aromia moschata) trägt seinen Namen nach einem von ihm abgesonderten aromatrischen Sekret aus in Weidenblättern enthaltener Salicylsäure. die vor allem in Pflanzenkulturen angerichteten Schäden wird dann von Kalamitäten gesprochen. Bei zahlreichen Arten sind es nur die Larven, welche durch ihre Frasstätigkeit zu Schädlingen werden, während die Käfer selbst sich als harmlose Pollen- oder Nektarkonsumenten entpuppen. Purrende Flieger Sogar den Lebensraum Wasser haben Käfer sich also erobert. Mehrere Formen passten sich im Laufe ihrer Entwicklungsgeschichte diesem Element an und entwickelten dabei viele Sonderheiten. Besonders die Versorgung mit Atemluft gestaltete sich bei den im Wasser lebenden Tieren komplizierter als bei ihren an Land lebenden Verwandten. Um Luft aufzunehmen, kommt z. B. der Gelbrandkäfer hin und wieder an die Oberfläche, reckt sein Hinterende ein wenig aus dem Wasser und tauscht dabei alte, verbrauchte Atemluft gegen frische, sauerstoffreiche aus. Er tankt diese in den Raum zwischen der Hinterleibsoberseite und den Flügeldecken. Mit der neuen Luftreserve taucht das Tier wieder ins tiefere Wasser. Andere in Gewässern lebende Käfer haben andere Techniken der Luftbeschaffung entwickelt. Die Flug- fähigkeit haben die Wasserkäfer aber keineswegs eingebüsst. Manche von ihnen zeigen sich sogar recht flugfreudig. Käfer als exzellente Flieger bezeichnen zu wollen, wäre wohl übertrieben. Die meisten von ihnen purren ziemlich geradlinig, verhältnismässig langsam und wenig wendig dahin. Auch die Ausdauer im Flug liegt ihnen nicht gerade. Ausnahmen, wie z.B. die lauf- und fluggewandten Sandlaufkäfer, der Gelbrandkäfer, die Rosenkäfer und einige andere, bestätigen auch hier nur die Regel. Manche Arten verzichten völlig aufs Fliegen und verlassen sich statt dessen auf ihre 6 behenden Beine. Käfer NATUR Die Kleinsten Als echte Winzlinge unter den Käfern dürfen die Federflügler, die Punktkäfer, die Zwergkäfer und einige zur Verwandtschaft der so genannten Kurzflügler zählende Arten aus der Familiengruppe der polyphagen Käfer bezeichnet werden. Die teils rundlichen, teils halbkugelig oder längsoval geformten Tierchen mit stark glänzender oder matter Oberseite messen lediglich zwischen 0,5 und 1,9 Millimeter. Bei Gefahr können sich Punktkäfer durch Einklappen des Kopfes und der Vorderbrust auf die Körperunterseite zu einer winzigen Mittelalterliche Ritter Dass sich die Käfer trotzdem so erfolgreich durchzusetzen und in den unterschiedlichsten Lebensräumen zurechtzufinden vermögen, verdanken sie nicht zuletzt ihrer robusten Bauweise. Betrachtet man Käfer etwas genauer, vielleicht sogar mit Hilfe einer leicht vergrössernden Lupe, stellt man unschwer fest, dass fast alle solide und kräftig gebaut sind. Wie geharnischte mittelalterliche Ritter muten sie einen in ihren aus Platten, Schildern, Ringen und Spangen zusammengefügten Chitinpanzern an. Der Kopf mit den kauend-beissenden Mundwerkzeugen geht in Kugel zusammenrollen, während die Kurzflüglerarten den zugespitzten Hinterleib teleskopartig zusammenschieben und weitgehend unter die Flügeldecken ziehen. Bevorzugte Aufenthaltsorte dieser Miniaturkäfer sind feuchtes Laub, Moospolster, schimmelnde Pflanzenteile, Exkremente von Tieren und Räume unter Rinde. Über ihr Leben ist noch relativ wenig bekannt. Der kleinste heute bekannte Käfer ist übrigens Nanosella fungi, ein Kurzflügler aus Nordamerika. Seine stattliche Länge: 0,25 Millimeter! Imagines, Gelege und Larven des Kartoffelkäfers (Leptinotarsa decemlineata). Natürlich | 5-2004 15 NATUR Käfer die vom übrigen Körper abgesetzte und bewegliche, auf der Oberseite vom Halsschild bedeckte Vorderbrust über. Mittelund Hinterbrust sowie der oben weichhäutige Hinterleib werden meist von den der Körperform angepassten Vorderflügeln verhüllt. Diese haben sich zu harten, starren Deckplatten entwickelt, unter denen der Leib und die verletzbaren, fein zusammengefalteten häutigen Hinterflügel wohlgeborgen ruhen. Zum Fliegen benützen die Käfer, im Gegensatz zu andern Insekten, nur das hintere Flügelpaar. Die Flügeldecken werden beim Flug seitwärts gespreizt und dienen als starre Tragflächen. Die 6 Beine sitzen paarweise an den 3 Brustabschnitten eingelenkt. Auch sie sind aus harten Chitinschienen zusammengesetzt. Gerade der Blick auf die Bauchseite eines Käfers vermittelt in den allermeisten Fällen den Eindruck, als seien diese Ritter im Panzerrock aus lauter geschliffenem Stahl zusammengefügt. Nur eine Lanze fehlt ihnen. Käfer haben nämlich, wie fälschlicherweise oft angenommen, keinen Stachel; mit ihren Mundwerkzeugen können sie einen höchstens mal beissen oder kneifen. ■ Gelbrandkäfer (Dytiscus marginalis), im Bild ein Männchen – ein guter Schwimmer und Flieger. Der Riesenbock – der grösste Käfer der Welt Die Bockkäfer stellen mit weltweit etwa Quellgebiet des Amazonas lebende Riesen- den voluminösesten und mit etwa 30 Gramm 27000 Arten einerseits eine der artenreichs- bock (Titanus giganteus) als der grösste Gewicht neben den ebenfalls in den Tropen ten Tierfamilien, anderseits gilt der mit einer Käfer der Welt. Da er zudem eine relativ lebenden Herkules- und Goliathkäfern zu Körperlänge von 160 bis 200 Millimetern im grosse Körperbreite erreicht, gehört er zu den schwersten Insekten überhaupt. Bockkäfer zählen infolge ihrer meist schlanken gestreckten Gestalt, ihrer zum Teil bizarren Körperform und ihrer oftmals schönen Farben zu den auffälligsten Käfern. Die deutschsprachige Bezeichnung erlangten sie dank ihrer bei vielen Arten körperlangen oder sogar erheblich längeren, knotigen Fühler. Auch unter den rund 250 in Mitteleuropa vorkommenden Bockkäferarten finden wir Foto: blickwinkel, A. Hartl einige mit herausragenden Körpermassen. 16 Natürlich | 5-2004 So erreichen Männchen des Mulmbockes (Eriogaster faber) 60 Millimeter, solche des Eichenheldbockes (Cerambyx cerdo) 55 Millimeter und die des Körnerbockes (Megopis scabricornis) immerhin eine Länge von 50 Millimetern.