4.10.5 Ein- und Ausschaltvorgang bei einer Spule Lässt man elektrischen Strom durch eine Spule fließen, so fließt aufgrund der Selbstinduktion nicht sofort die maximale Stromstärke durch die Spule. Die Stromstärke steigt mit einer gewissen Verzögerung auf den maximalen Wert an. Im Folgenden soll nun untersucht werden, wie der Anstieg der Stromstärke im Detail aussieht. Hierzu betrachten wir zunächst einen einfachen Stromkreis, der aus einer Stromquelle einem Schalter und einer Spule mit Eisenkern (Induktivität) besteht. Dabei kann man für die Spule ein sog. Ersatzschaltbild zeichnen, das aus einer Induktivität und einem Widerstand besteht. Diese gedankliche Zerlegung der Spule in zwei Bauteile ist sinnvoll, da die Spule neben ihrer Eigeninduktivität , die den Stromfluss beim Einschalten hemmt, noch einen „normalen“ elektrischen Widerstand besitzt. Letzerer kommt dadurch zustande, dass eine Spule prinzipiell nichts anderes als ein aufgewickelter sehr langer Draht ist, der aufgrund seiner Länge einen relativ hohen ohmschen Widerstand aufweist. Wird nun der Schalter geschlossen, so liegt an der Spule die Spannung der Spannungsquelle Durch Einsetzen von und an. erhält man die Gleichung: Anmerkung: Die Spannungen und besitzen dabei ein negatives Vorzeichen, da sowohl die Eigeninduktivität als auch der ohmsche Widerstand den Stromfluss durch die Spule hemmen. Durch Umformen erhält man eine nicht homogene lineare Differentialgleichung erster Ordnung: Diese kann mit den bisher bekannten mathematischen Mitteln (Trennung der Variablen) nicht gelöst werden. Aus diesem Grund wird zunächst der Ausschaltvorgang betrachtet, bei dem die Differential© M. Brennscheidt gleichung in homogener Form vorliegt. Öffnet man nämlich den Schalter, so wird die Spule abrupt von der Spannungsquelle getrennt. Die Spannung kann deshalb gleich Null gesetzt werden. Für den Ausschaltvorgang ergibt sich somit die homogene Differentialgleichung: Diese kann nun analog zur Rechnung beim Entladevorgang eines Kondensators durch „Trennung der Variablen“ gelöst werden: 1. Ausschaltvorgang Für den Ausschaltvorgang bei der Spule erhält man also die Exponentialfunktion: Die Stromstärke fällt demnach beim Öffnen des Schalters exponentiell ab. Die folgende Abbildung zeigt der graphischen Verlauf der Stromstärke . Es ist zu beobachten, dass die Stromstärke in gleichen Zeitintervallen (Halbwertszeit) um die Hälfte abnimmt. In der Nachfolgenden Rechnung wird die Halbwertszeit für den Ausschaltvorgang der Spule berechnet. © M. Brennscheidt Berechnung der Halbwertszeit : Die Stromstärke in der Spule nimmt gemäß der Formel exponentiell mit der Zeit ab. Nach der Zeit fließt nur noch die Hälfte der Stromstärke durch die Spule: Setzt man nun für Die Anfangsstromstärke die Exponentialfunktion zur Zeit ein, so ergibt sich die Gleichung kann nun gekürzt und die Gleichung nach aufgelöst werden. Die Halbwertszeit ist somit umso größer, je höher die Eigeninduktivität und je kleiner der Ohmsche Widerstand ist. Die Formel für die Halbwertszeit kann man verwenden, um die Eigeninduktivität von unbekannten Spulen zu bestimmen. Hierzu bestimmt man zunächst bei Dauerbetrieb den elektrischen Widerstand der Spule und misst dann beim Ausschalten die Halbwertszeit der © M. Brennscheidt sinkenden Stromstärke. Durch Umstellen der Formel für die Halbwertszeit nach Halbwertszeit berechnen. lässt sich dann die Abschließende Bemerkung: Den Faktor aus den Exponentialfunktionen bezeichnet man häufig mit Abklingkonstante, wohingegen der Kehrwert Zeitkonstante genannt wird. Für die Halbwertszeit ergibt sich dann die Formel: 2. Einschaltvorgang Der Einschaltvorgang einer Spule verläuft genau umgekehrt zum Ausschaltvorgang. Diese Annahme ist zunächst nur eine Vermutung, kann jedoch durch Lösen der obigen nicht homogenen Differentialgleichung mit den geeigneten mathematischen Kenntnissen bewiesen werden. Im folgenden Diagramm ist der graphische Verlauf eines Einschaltvorgangs mit direkt angeschlossenem Ausschaltvorgang dargestellt: Es ist zu erkennen, dass sich die Kurve des Einschaltvorgangs aus der Kurve des Ausschaltvorgangs durch Spiegelung an der x-Achse und Verschiebung nach oben um ergibt. Die Formel für den Aufladevorgang erhält man also durch Spiegelung und Verschiebung. Ausschaltvorgang: Spiegelung an der x-Achse: Verschiebung um nach oben: Für den Einschaltvorgang ergibt sich somit die Formel: © M. Brennscheidt