WELCHE BOTSCHAFTEN VERMITTELTE DIE ARCHITEKTUR-BIENNALE IN VENEDIG UND IM SPEZIELLEN DER DEUTSCHE PAVILLON? 14 . A R C H I T E K T U R BIENNALE VENEDIG trends thesen typologien Die Dialogreihe von GROHE 2014 Inhalt Vorwort 05 Thematische Zusammenfassung von Nadin Heinich, plan A, München 06 Interview mit Savvas Ciriacidis und Prof. Alex Lehnerer 10 Interview mit Prof. Muck Petzet 16 Interview mit Prof. Klaus Kada 20 Impressum und Bildnachweise 26 Literaturtipps von GROHE 27 trends thesen typologien SEHR GEEHRTE LESER „Absorbing Modernity 1914 – 2014“ lautete das Thema der 14. Architekturbiennale in Venedig, das Rem Koolhaas im letzten Jahr allen Länderpavillons gleichermaßen verordnet hatte. Viele Biennale-Besucher fragten sich, ob die deutsche Übersetzung wohl die „absorbierende, nationale Eigenheiten verschluckende Moderne“ oder „die absorbierende Moderne, die ihrerseits aufgesaugt wird“ lauten würde. Ist es in der Gegenwart überhaupt noch legitim, nationale Perspektiven zu eröffnen? Die meisten Kuratoren sind der Auffassung, dass es keine länderspezifische Architektur mehr gibt. Der Kunsthistoriker Beat Wyss hingegen bezeichnet die Einstellung, dass jede Nationalitätenfrage „überholt, reaktionär und überflüssig“ sei, als naiv. Spätestens seit der Ukrainekrise sei diese gemütliche Gewissheit erschüttert. Es sei also eine gute Idee, sich gerade jetzt mit Geschichte und Funktion der nationalen Pavillons auseinanderzusetzen. Die beiden Generalkommissare des deutschen Pavillons, Alex Lehnerer und Savvas Ciriacidis haben das Thema von Koolhaas ernst genommen und im „Bungalow Germania“ zwei gegensätzliche architektonische Haltungen und zwei Konzepte staatlicher Repräsentation aufeinanderstoßen lassen: dem vielgeschmähten, von den Nazis pathetisch überformten deutschen Pavillon haben sie eine 1:1 Teilnachbildung des Bonner Kanzlerbungalow implantiert. Einerseits bewundert als einer der besten Länderpavillons, den es seit Jahren in den Giardini gab, andererseits kritisiert als Show, die keine Fragen stellte. Mit den Generalkommissaren des deutschen Pavillons 2014 - Professor Alex Lehnerer und Savvas Ciriacidis, mit dem Generalkommissar des deutschen Pavillons 2012 - Professor Muck Petzet und mit dem renommierten Architekten und Biennale Kenner - Professor Klaus Kada sind wir der Frage nachgegangen: Welche Botschaften vermittelte die weltweit bedeutendste Architekturausstellung 2014 und im Speziellen der deutsche Pavillon? Folgend ersehen Sie Interviews mit den oben benannten Herren sowie eine Zusammenfassung einer Dialogrunde, die Ende 2014 im GROHE Headquarter in Düsseldorf stattfand. Mit den besten Grüßen Sabine Gotthardt Director Business Development Architecture & Real Estate D-A-CH GROHE Deutschland Vertriebs GmbH trends thesen typologien zur 14. ARCHITEKTUR-BIENNALE VENEDIG Seite 5 FUNDAMENTALES UND ARCHITEKTONISCHE ETÜDEN GROHE DIALOG ZUR 14. ARCHITEKTURBIENNALE: EINE ZUSAMMENFASSUNG. Kurz vor Ende der 14. Architekturbiennale in Venedig lud die Grohe Deutschland Vertriebs GmbH in ihren Hauptsitz nach Düsseldorf ein, um ein Fazit zu ziehen. Die aktuellen Kommissare des deutschen Pavillons, Alex Lehnerer und Savvas Ciriacidis, trafen auf Muck Petzet, Generalkommissar von 2012, sowie den steirischen Architekten Prof. Klaus Kada, langjähriger Biennale-Kenner, der noch zwei Monate vor der Eröffnung den Kanzlerbungalow in Bonn besichtigte. Angenehm erfrischend war dieser Abend nicht als klassische Podiumsdiskussion angelegt. Um einen großen Tisch herum saßen rund 40 Architekten, die nach Eingangsstatements der Experten eingeladen waren mitzudiskutieren. Obwohl die Biennale in Venedig – immer noch die „Formel 1“ unter den Architekturausstellungen – bereits von einer umfassenden Berichterstattung begleitet worden war, entspann sich dieser Abend über zwei Stunden inklusive lebhafter Diskussion und machte deutlich, dass es vielleicht gerade aufgrund der Informationsflut den Wunsch nach Orientierung gibt. Die Veranstaltung fand im Rahmen der Dialogreihe „Trends Thesen Typologien“ statt, mit der Grohe immer wieder Fragen nach dem stellt, was Architektur antreibt, oder der gesellschaftlichen Rolle von Architektur. Durch den Abend führte Sabine Gotthardt, Leiterin Business Development bei Grohe, die die gesamte Reihe initiierte. Das große Ganze und der Blick durch das Mikroskop Rem Koolhaas als Biennale-Direktor – „und alle waren nervös, haben weiter gedacht, sich mehr angestrengt als sonst“ beschrieb Muck Petzet eingangs seinen Eindruck als Jurymitglied des deutschen Beitrags. Die diesjährige Biennale stand unter dem Titel „Fundamentals“ und bestand aus drei, sich miteinander verschränkenden Teilen, die nicht nur in die Zukunft, sondern auch zurück blickten: der epischen Schau „Monditalia“ in den Arsenale, der Ausstellung „Elements of Architecture“ im ehemaligen italienischen Pavillon sowie den Länderpavillons, die dem Thema „Absorbing Modernity: 1914-2014“ gewidmet waren. In einer Reise durch ganz Italien, von Süd nach Nord, von der Renaissance bis zur Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa, verwob Monditalia Architektur, Film, Tanz, Musik und Theater zu einem großen Ganzen und untersuchte das Thema „Absorbing Modernity“ in seiner komplexen Fülle beispielhaft an diesem Land. Um das Detail ging es in der Ausstellung „Elements of Architecture“, um den mikroskopischen Blick auf die unverzichtbaren Elemente der Architektur und ihre historischen Entwicklungen: Decken, Böden, Wände, Fenster, Treppen, Balkone, Rampen etc. Die Länderpavillons waren erstmals eingeladen, sich alle einem Thema zu widmen. Doch der Titel „Absorbing Modernity: 1914-2014“ war trügerisch. Was genau meint die deutschen Übersetzung, die „absorbierende, nationale Eigenheiten verschluckende Moderne“, oder doch die „absorbierte Moderne“, ihrerseits wieder aufgesogen, historisch-enzyklopädisch oder auch der Blick nach vorn? Sind Länderpavillons, die nationale Perspektive heute überhaupt noch zeitgemäß? Sollten wir nicht viel stärker zum Beispiel eine europäische Perspektive einnehmen? Muck Petzet und Klaus Kada sind überzeugte „BiennaleFans“. Die Frage, ob ihre Erwartungen an die diesjährige Architekturbiennale erfüllt wurden, das Konzept aufgegangen sei, beantworteten sie mit einem klaren Ja. Der Blick auf das Potenzial der Moderne und gleichzeitig ihre Bedrohung, das Ausleuchten des schmalen Grades zwischen „gut“ und „böse“ war das richtige Thema zur richtigen Zeit. „Wir gehen auf einen Abgrund zu“, so Petzet“, „Architektur ist ein Grund für den hohen Ressourcenverbrauch“. Moderne bedeutet nicht nur weltweite Nivellierung, sondern auch „Ressourcen schonen, reduzieren, bescheiden bauen“. Der Modernisierungsprozess hat sich in den einzelnen Ländern mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten vollzogen. Während das durch die Moderne ausgelöste Wachstum in Staaten, wie denen in Zentraleuropa, fast abgeschlossen ist, befinden sich andere, zum Beispiel China oder Brasilien, mittendrin. Die viel ernsthaftere Frage ist aus seiner Sicht daher die, wie wir die kommenden Entwicklungen gestalten wollen. Einer der besten Pavillons war für Petzet der russische, der mit viel Ironie in die trends thesen typologien zur 14. ARCHITEKTUR-BIENNALE VENEDIG Seite 6 Zukunft blickten. In Form einer fiktiven Messe wurden hier die besten Ideen der russischen Moderne verhökert, spielerisch, aber mit Tiefgang und einer spitzen Bemerkung auf das Schaulaufen in Venedig während der Eröffnungstage. „Elements of Architecture“ überzeugte mit einem Feuerwerk an Ausstellungsideen, auch wenn die Schau mit ihrer extremen Detailfixierung wie ein Fremdling wirkte. Ihre große Leistung bestehe darin, ein Wissen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, das sonst nur in Spezialliteratur zu finden ist, und so einen populären Zugang zu Architektur zu eröffnen. „Alle Schüler sollte man dahin schicken“, so Petzet, denn „Architekten können“ ergänzte Kada, „sich sonst meist nur so ausdrücken, dass Architekten es verstehen“. Die beiden diesjährigen Kuratoren wollten die Biennale nicht als Bilanzveranstaltung überbewerten. Für sie ist das Projekt noch lange nicht abgeschlossen, befinden sie sich doch mittendrin, in „Phase 3“ des Biennale-Zyklus. Nach der Beschreibung ihres Vorhabens und der ersten Welle der Reaktion unmittelbar nach der Eröffnung, stecken sie nun mitten im kritischen Diskurs. Bis jetzt haben sie drei verschiedene Lesarten ihres Pavillons herauskristallisiert: als historisches Projekt im Sinne einer experimentellen Denkmalpflege, als medienkritisches Projekt, das über das Ausstellen von Architektur bzw. Ausstellungsarchitektur reflektiert, und als Disziplinprojekt, das sich mit dem Autonomieanspruch von Architektur auseinandersetzt. Doch was war da eigentlich zu sehen? destens eine Achse verdreht, damit es der Bungalow mit der „Krake des Faschismus“ besser aufnehmen kann. So war es seiner Meinung nach nicht immer ein Spiel auf Augenhöhe, das gelegentlich zu Ungunsten des Bungalows ausfiel. Komplett gegen jede Verdrehung von irgendwelchen Achsen argumentierte Muck Petzet. Für ihn besteht die Stärke des Konzeptes in der Konzentration auf die Architektur, die Materialität: Der Dialog von Nazibau und wieder erstarkter Republik ließ eine seltsame Stimmung in den Zwischenräumen entstehen, neutralisierte beide Pavillons, entmystifizierte sie. Überflüssig war für ihn alles Anekdotische, das Sofa oder der schwarze, gepanzerte Amts-Mercedes von Helmut Kohl, der vor dem Eingang parkte. Ciriacidis und Lehnerer haben bewusst auf Pläne, Aufkleber, Beschriftungen oder sonstige Leitsysteme verzichtet. Ihr Pavillon war der einzige Biennale-Beitrag ohne Worte, teilte sich rein über Raum und Material mit. Sie wollten so eine möglichst offene Lesbarkeit der Installation erreichen. Die Grenze zwischen tatsächlichem Bauen und dem Ausstellen von Architektur wurden perfekt verwischt, der Besucher zunächst wunderbar irritiert. Und doch beschlich einen ein seltsames Gefühl beim Durchwandern des Pavillons. All diese Perfektion und Präzision ließ viele Besucher seltsam unberührt. Das spiegelte sich in den geteilten Pressestimmen zum deutschen Beitrag und auch in der Diskussion an diesem Abend wider, an dem etwa Klaus Kada nach dem ganz einfachen „Warum?“ fragte. Architektur mit Gebrauchsanweisung? Eine architektonische Montage Die Idee für den deutschen Beitrag begann mit einem Einzeiler: „Wir bauen den Bungalow ab und verschneiden ihn mit dem Pavillon.“ Gemeint sind damit natürlich nicht irgendein Bungalow und irgendein Pavillon, die hier miteinander montiert wurden, sondern zwei historisch stark aufgeladene Gebäude, die für zwei gegensätzliche architektonische Haltungen und zwei Konzepte staatlicher Repräsentation stehen: Der deutsche Pavillon, 1909 als Padiglione Bavarese in den Giardini errichtet und 1938 im Sinne der Nationalsozialisten umgebaut, sowie der Kanzlerbungalow, 1964 von Sep Ruf für Ludwig Erhardt entworfen als ein Sinnbild der neuen, geläuterten, bescheiden auftretenden Bonner Republik. „Wie schaffen wir es, in die letzten 100 Jahre hinein zu kommen? Wir wollten keine chronologische Sammlung abliefern, sondern haben nach einem speziellen architektonischen Moment gesucht“ so Ciriacidis und Lehnerer. Für sie handelt es sich vor allem um ein abstraktes architektonisches Experiment, bei dem es darum geht, Gleichzeitigkeit zu erzeugen, das eine Gebäude durch das andere zu lesen und um die Frage, wie Architektur kommuniziert. Sind es die Gebäude, die faschistisch oder demokratisch sind, oder sind es die Bilder und Erinnerungen, die wir damit verbinden? Bei Präsentationen, so erzählten sie, hätten sie oft einen Backstein dabei, um die Diskussion zwischen Objekt und seiner Bedeutung anzuregen, das Verhältnis von Material und seiner Mythologisierung in Frage zu stellen. Dieser 1:1 Teilnachbau des Kanzlerbungalows in den deutschen Pavillon überraschte mit seiner Präzision. Schwerer Stein, ein ausladender Portikus und hohe Türen traf auf schlanke Stahlstützen, Glaswände, Holzdecken und gemauerte Backsteinwände. Natürlich hätten Muck Petzet und Klaus Kada einiges anders gemacht. Kada hätte min- Die „doppelte Lesbarkeit“ als Ziel. „Der Pavillon liest und referenziert sich durch den Bungalow und der Bungalow durch den Pavillon.“ Versteht das jemand, der nicht Architektur studiert hat? trends thesen typologien zur 14. ARCHITEKTUR-BIENNALE VENEDIG Seite 8 Auch das Publikum war geteilter Meinung. Muck Petzet brachte es schließlich auf den Punkt. Bei „Bungalow Germania“ geht es nicht um „Liebe“ oder eine Botschaft, die die Welt verändern soll, vielmehr ist es ein architektonisches Experiment, das sehr konsequent durchgezogen wurde. Das Thema „Absorbing Modernity“ war eine riesige Falle, bei der sich viel zu viele Beiträge bei der Frage ‚Wie kann man 100 Jahre Architekturgeschichte darstellen?’ in rein enzyklopädischen Betrachtungen verloren. Bungalow Germania dagegen ist weit entfernt von einer Landesmuseumsausstellung, sondern inszeniert ein spezielles architektonisches Moment. Und als vielleicht einziger Beitrag nimmt er Bezug zum Hauptpavillon, indem er die politische Aufladung architektonischer Elemente untersucht. Die große Stärke liegt für Petzet darin, zwei extrem bedeutungsschwangere Gebäude, Destillate der deutschen Geschichte, in einen Dialog zu bringen und völlig zu neutralisieren, zu entmystifizieren. Eine architektonische Etüde. INTERVIEW MIT SAVVAS CIRIACIDIS UND PROF. ALEX LEHNERER Die Generalkommissare des deutschen Pavillons der 14. Internationalen Architektur-Biennale in Venedig unterrichten am Departement Architektur der ETH Zürich und führen dort gemeinsam das Architekturbüro CIRIACIDISLEHNERER. In praktischer und akademischer Arbeit versuchen sie Architektur als kulturelle Praxis zu begreifen. Ihre theoretische und praktische Arbeit ist international publiziert und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. trends thesen typologien zur 14. ARCHITEKTUR-BIENNALE VENEDIG Seite 10 „ES IST EINE ARCHITEKTURBIENNALE UND KEINE LANDESMUSEUMSAUSSTELLUNG.“ GROHE: Sowohl der deutsche Pavillon als auch der Kanzlerbungalow waren repräsentative Architekturen ganz unterschiedlicher Zeit. Worin bestand für Sie die besondere Herausforderung, diese beiden Architektursprachen in den Kontext zu stellen? S. Ciriacidis: Ja, es sind zwei völlig unterschiedliche Architekturen, aus zwei unterschiedlichen Zeiten der deutschen Geschichte. Aber gleichzeitig wurden beide in ähnlicher Art und Weise politisch als kommunizierendes Medium instrumentalisiert, beansprucht und wohl auch überbeansprucht. Diese Frage - ob man Architektur zum sprechen bringen kann, und schließlich ob in unserem Fall diese zwei Gebäude sogar miteinander sprechen können, war die Herausforderung. GROHE: Hatten Sie sich beworben, weil Sie die Idee bereits gefunden hatten, oder wie war die Chronologie? Es gab Stimmen, die sagten: „Warum haben sie nicht das Olympiagebäude in München genommen, als Zeichen der aufstrebenden und wieder starken Bundesrepublik. Prof. A. Lehnerer: Die Idee kam mit der Fragestellung, also erst danach. Wir wollten ein Gebäude durch ein anderes lesen und durch diese Aktion eine Geschichte der Nation und der Architektur der letzten hundert Jahre erzählen. Die Frage, ob man auch ein anderes Gebäude nehmen könnte, stellte sich uns nicht. Für unsere Geschichte war neben dem deutschen Pavillon der Kanzlerbungalow als „Wohnzimmer der Nation” der ideale Akteur. Ich finde es erstaunlich, dass Ihre Idee bis nach Amerika herüberschwappt und viele derart bewegt. Prof. A. Lehnerer: Diese Diskussionen dokumentieren letztendlich die Qualität der Arbeit. Es geht nicht darum, das deutsche Problem zwischen Demokratie und Diktatur zu diskutieren, sondern es geht für uns u.a. um die ganz eindeutige Frage, wie wir uns als Architekten mit dem Vergangenen auseinandersetzen, wie die Vergangenheit unsere Arbeit heute beschäftigt und wie wir andere Methoden finden, um uns mit ihr auseinanderzusetzen. Deswegen war es für uns klar, dass wir keine Landesmuseumsausstellung machen, dass wir keine Art von Repräsentation finden wollen, sondern dass wir versuchen, räumlich im Maßstab eins zu eins eine Antwort auf diese Frage zu finden. Und da gibt es für uns keine besseren Gebäude als die beiden. Selbst der Zufall, dass dieser Kanzlerbungalow 1964 gebaut wurde, genau in der Hälfte dieses Beobachtungszeitraumes, das sind für uns alles wunderbare Zufälle, die dann eins zum anderen gebracht haben. S. Ciriacidis: Als die Idee da war, haben wir sie nie hinterfragt. Das war ganz klar: Genau das ist es, das müssen wir so machen. Wäre es nur eine räumliche Geschichte, dann hätte sich das viel schneller erschöpft. Aber es sind diese Bedeutungen, diese Instrumentalisierung, wo sich die Gebäude plötzlich auf einer Ebene entsprechen, ergänzen, oder sogar gleich funktionieren. Dass das dann physisch so umgesetzt worden ist, macht diese Ausstellung auch so vieldeutig. Alle Länderpavillons mussten sich mit der mehr oder weniger provokanten Behauptung auseinandersetzen, die Moderne habe die identisch erkennbaren Eigenschaften nationaler Formensprache verwischt. Wie ist Ihre Einstellung zu dieser These? Prof. A. Lehnerer: Es ist eine These, eine Art Provokation, aber ich denke nicht, dass die architektonische Moderne (wenn Ihre Frage sich auf diese bezieht…) als solche nationale Formensprachen verwischt hat. Da würden wir ihrem romantischen Universalitätsanspruch und stilisiertem Kollektivismus zu viel Bedeutung zumessen. Das hat mit anderen — vergleichsweise radikaleren und ja, wenn man so will, auch „modernen” Phänomenen und Prozessen zu tun. Lokale Identitäten gehen heute nicht einfach verloren, sondern sind mobil, machen sich mit Leichtigkeit auf die Reise und lassen sich weltweit reproduzieren. Diese vermeintlich daraus entstehende Homogenität ist ein modernes Phänomen, hat aber mit einer architektonischen Moderne nicht viel zu tun. Die Frage rührt von der Beobachtung, dass die Architektur international immer austauschbarer wird. S. Ciriacidis: Wird sie das? Ich weiss es nicht. Das war sie vielleicht schon immer, oder? Ich denke, das gilt für einen gewissen Teil, auf der Welt werden in allen großen Städten trends thesen typologien zur 14. ARCHITEKTUR-BIENNALE VENEDIG Seite 11 ein paar Hochhäuser gleich aussehen. Das ist noch kein Hinweis darauf, dass diese These wirklich stimmt. Wir organisierten vor Kurzem in der Kunstsammlung Nordrhein Westfalen das 2. Mal eine Dialogveranstaltung zum Thema SLOW ARCHITECTURE. Dies stieß auf großes Interesse bei den Architekten und dokumentierte die Sehnsucht, sich wieder mehr in Richtung Regionalität zu bewegen und die Tradition wieder wesentlich mehr in den Fokus zu stellen. Prof. A. Lehnerer: Man muss nur aufpassen, dass diese Sehnsucht nach Authentizität, nach Wahrheit oder nach Echtheit nicht auf einmal etwas nostalgisch und romantisch daherkommt. Wenn darin die Frage nach dem Umgang mit Geschichte und Vergangenheit gestellt wird, ist das interessant. Aber mit Aussagen wie „früher war alles besser“ können wir relativ wenig anfangen. Im Gegenteil, wir finden, dass es gerade spannend ist, in einer auf den ersten Blick homogenen Situation Spezialität zu suchen, und nicht von vorn herein etwas zu suchen, was sich abgrenzt. S. Ciriacidis: Ich glaube nicht, dass man sagen kann: „Die böse Moderne und die gute Tradition“. Das ist genau das, was man von der Ausstellung in Venedig mitnehmen kann. Die Chance dieser Biennale war ja, dass es ein und dieselbe Frage für alle Länderpavillons gab. Und jedes Land präsentierte unterschiedliche Antworten und unterschiedliche Fragestellungen. Das war schon ein reiches Bild, was da entstanden ist. Es gibt ausreichend Beispiele in der Geschichte der Menschheit, wo sich Architektur von Politik hat instrumentalisieren lassen. Haben Sie sich mit diesem Gedanken bei dem Verschmelzen von Kanzlerbungalow und deutschem Pavillon auseinandergesetzt und zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen? Prof. A. Lehnerer: Es war immer so, dass Architektur von Politik instrumentalisiert wurde und ein Ausdruck von Macht ist. Nicht nur, wenn Politiker bauen! Wie sonst kaum etwas anderes, hängt Architektur vom Kapital ab. Die Tatsache, dass Architektur eng mit Politik und Macht zu tun hat, war für uns eine Art von Auslöser. Im Falle des Kanzlerbungalows und des Pavillons sind es zwei buchstäbliche Beispiele, bei denen diese Verbindung Architektur — Macht — Politik verschmelzen. Letztendlich geht es aber gar nicht um Politik und Architektur, sondern es geht um diese Bedeutungszuschreibung von Architektur, den kulturellen Bezug der Architektur und eben die Mechanismen dieser kulturellen und politischen Aufladung der Architektur. In Ihrem kuratorischen Statement sprechen Sie über den Weg vom Raum zum Bild zum Raum und schließlich wieder zum Bild. Dabei bleibt das Material konkret, aber es findet eine Abstraktion des Raumes statt. Können Sie uns diese Position genauer erläutern? Prof. A. Lehnerer: Wir haben ja keine tatsächliche Architektur gemacht. Der Pavillon ist ein Gebäude, aber der Bungalow ist keine Architektur. Der Bungalow und der Pavillon verlieren beide ihre eigentliche Funktion als Gebäude. Es ist natürlich eine Installation, aber mit architektonischen Mitteln. Und das Interessante ist ja gerade was dann passiert — was mit den Materialien und mit ihrer Funktion passiert. Das Glas bietet auf einmal nicht mehr die Aussicht in den Park. Das heißt, man fängt sofort an, das Glas nicht mehr als Schicht bzw. als funktionierendes Element eines Gebäudes zu sehen, sondern das Glas selber wird zum Objekt; zu einem Artefakt im Raum. Und das öffnet ganz andere Interpretationsmöglichkeiten als die der reinen Funktionalität des Glases. Der Kamin, der da drin steht, ist natürlich kein funktionierender Kamin. Er steht drin und wird auf einmal zu einer Art von Folie, ein Artefakt jenseits seiner Funktion als Kamin. Das Bungalowdach ist plötzlich nicht mehr Gebäudedecke, sondern es eine Schicht, die sich auf einmal in diesem Pavillon mehr als Zwischendecke wiederfindet. Oder wie der Patio in der Mitte des zentralen Raumes diesen Raum zentriert. Dieser Raum ist seit 1964 eine Art von gerichteter länglicher Raum, und plötzlich kommt der Patio des Bungalows genau in die Mitte hinein und zentriert ihn wieder. Das sind alles hoch interessante Dinge für uns, die man tatsächlich direkt aus der räumlichen Intervention heraus lesen kann, zu der man nicht unbedingt die tatsächliche Geschichte dieser beiden Gebäude braucht. S. Ciriacidis: Im Grunde könnte man sagen, dass wir das Material ausstellen. Und wir erzählen die Geschichte durch das Material. Es sind zwei unterschiedliche Materialkulturen, die da zusammentreffen. Einmal dieser weiße Gipsraum und dann der unverputzte Klinker. Prof. A. Lehnerer: Natürlich fragt man sich: Was soll der Backstein uns dort sagen? Was sagt uns das Glas, was sagt uns das Holz der Decke? Man wird gezwungen, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Man bekommt die Antworten nicht unmittelbar — es gibt ja keine Bildunterschriften. Aber deswegen entfaltet sich dieses Projekt jetzt derart, weil wir es in seiner Bedeutung nicht von vorn herein eingeschränkt haben. trends thesen typologien zur 14. ARCHITEKTUR-BIENNALE VENEDIG Seite 12 Welches Lob zum Bungalow Germania hat Sie am meisten bewegt? Prof. A. Lehnerer: Wir sind viel unterwegs und sprechen über dieses Projekt. Unsere Arbeit produziert einen Diskurs, und das ist wichtig für unsere Arbeit als Architekten. Wir haben das Gefühl, dass wir mit diesem Pavillon einen Beitrag geleistet haben. Es gibt aus Spanien, aus Norwegen, aus Großbritannien, aus Amerika, der Schweiz, etc. Stimmen, die unsere Arbeit bewegend fanden. Wir haben versucht, bei unserem Handwerk zu bleiben und beabsichtigten nicht, Historiker zu sein oder als Kuratoren aufzutreten. Aber dennoch hat dieses Projekt verschiedene Interpretationen produziert. Für die einen handelt es sich um einen experimentellen Zugang zu Geschichte und Erinnerung, d.h. einer Art experimenteller Denkmalpflege. Andere sehen darin ein medienkritisches Projekt, eben weil wir nichts anderes als das Material haben sprechen lassen in der Ausstellung. Und schließlich lässt sich dieses Projekt als kritisches Architekturprojekt lesen, welches sich zwischen kulturellem Kontext und der Autonomie von architektonischer Form positioniert. S. Ciriacidis: Was wir nie machen wollten, war eine Ausstellung, die eine Illustration einer Idee ist. Für uns war es wichtig, dass das, was dort ist, für sich steht. Und nicht ergebnisgenau vorformuliert wird. Aber davon gingen viele Besucher aus. Ich zitiere einen Kritiker: „Der deutsche Pavillon bietet weder Erlebnis noch Erkenntnis. Er ist extrem exklusiv, weil er diejenigen ausschließt, die nicht schon sehr viel Vorwissen über die beiden Gebäude mitbringen. Möchte man aus der Ausstellung wirklich etwas Substantielles mitnehmen, muss man entweder vorher alles wissen oder sich hinterher die erforderlichen Informationen mühsam beschaffen. Für unter Dreißigjährige und alle diejenigen, die mit der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte geographisch wenig verbunden sind, dürfte dieser Verschnitt zweier Gebäude noch befremdlicher sein, und in seiner Themenwahl vermutlich auch etwas provinziell wirken.“ Prof. A. Lehnerer: Wir akzeptieren diese Kritik natürlich voll und ganz. Jeden einzelnen dieser Sätze kann man aber hinterfragen. Es ist eben nicht so, dass man dieses Projekt nur durch seinen geschichtlichen Inhalt lesen kann, sondern man muss sich auch auf die Erfahrung, die dort stattfindet, einlassen. Wenn man in die Ausstellung geht und eine Art von Geschichtsunterricht bekommen will, ist man dort falsch. Das war nicht unsere Absicht. Für uns geht es um eine architektonische Erfahrung und Diskussion, und die wird ausgelöst auch jenseits einer geschichtlichen Betrachtung. Das heißt, die Geschichte ist für uns einmal Aufhänger, dann auch Zweck, aber natürlich auch das Mittel, um eine architektonische Diskussion zu führen. Die Geschichte hat uns dieses Material und diese zwei Gebäude geliefert, mit der wir dann diese architektonische Intervention machen konnten. Was würden Sie so einem Leser antworten? Prof. A. Lehnerer: Es ist eine Architekturbiennale und keine Landesmuseumsausstellung. Wenn man sich über die deutsche Geschichte erkundigen möchte, dann geht man ins Haus der Geschichte in Bonn oder man geht ins Deutsche Historische Museum nach Berlin. Oder noch besser, man liest ein Buch. Also hat dieser Besucher Ihre Idee nicht verstanden? Prof. A. Lehnerer: Doch, er hat sie für sich verstanden. Er hat daraus gezogen, dass sie nicht so interessant ist für ihn. Das ist völlig okay. Wir müssen jetzt nicht sagen, er solle besser hinschauen. Unsere Arbeit ist nur ein Angebot. Wenn einen der Pavillon nicht bewegt hat, wenn einer keinen Erkenntnisgewinn herausgezogen hat, ist das okay für uns. Das ist wie mit allen kulturellen Medien. Das passiert nicht nur Architekten, es passiert auch Schriftstellern et cetera. Unser Ziel war es nicht, eine didaktische, pädagogische Arbeit abzuliefern. Wir wollten nicht zeigen, wie toll oder wie schlecht Deutschland die Moderne benutzt hat. Wenn wir es didaktisch oder pädagogisch gemacht hätten, hätten wir gesagt, wie man es lesen soll. Und das haben wir nirgendwo gemacht. Und ich glaube, so viel Verantwortung und so viel Teilnahme haben wir verlangt von den Leuten, die sich diese Ausstellung anschauen. Wenn jemand wissen will, was wir genau wollten, dann kann er uns fragen oder die Ausstellung befragen, kann diese 400 Seiten Text lesen. S. Ciriacidis: Die Ausstellung trägt ja nicht den Titel „ohne Titel“, sondern hat einen Titel. Wir haben auch dieses Saalblatt gemacht, mit dem man dem Besucher minimale Informationen gibt. Ein Kritiker hat das ganz gut beschrieben: „Wenn einen das irritiert oder reizt, dann kann man nachforschen und nachlesen.“ Dass das mühsam ist, das heißt ja nur, dass es dann seriös oder gut ist. Und das muss er auch, wenn es ihn interessiert. Es ist ein Angebot, das im Grunde davon lebt, dass ich vor Ort etwas erfahre, etwas entdecke, etwas empfinde, und danach, wenn dieses Konzept einmal in meinem Kopf irgendwo Anklang gefunden hat, dann kann ich von da aus ganz verschiedenen Geschichten nachgehen. trends thesen typologien zur 14. ARCHITEKTUR-BIENNALE VENEDIG Seite 13 Ein Befürworter des BUNGALOW GERMANIA hat geschrieben: „Im Vergleich zu den deutschen Pavillons der Biennalen der letzten Jahre hat dieser Beitrag eine Seele und ist für mich dadurch der beste Beitrag 2014 und einer der besten, wenn nicht sogar der beste Pavillon der letzten Jahre überhaupt. Es wurde viel diskutiert über diese Vermittlung, über die fehlende Aussicht auf den Rhein und über die Frage, ob man Architektur überhaupt ausstellen kann. Diese Diskussionen sind auch eine Qualität des Beitrages. Aber geht es darum?“ Architektur lässt sich nicht ausstellen, denn die Aussicht und die Qualitäten des Ortes sind untrennbar und nicht übertragbar.“ Prof. A. Lehnerer: Es ist nicht die zentrale Frage, ob man das kann oder nicht, aber es ist eine spannende Frage, und das macht das Projekt auch zu einem kritischen Projekt. Wir beantworten die Frage nicht mit ja oder nein, sondern es gibt viele Aspekte, die sich aus dieser Fragestellung entwickeln. Natürlich kann man sagen, der BUNGALOW GERMANIA hat eher etwas mit Konzeptkunst als mit Architektur zu tun. Aber wir müssen uns ja gar nicht positionieren, sondern wir haben diese Frage in den Raum gestellt. Eine Kritik war, die Ausstellung stellt zu wenig Fragen. Im Gegenteil, ich glaube, unsere Arbeit stellt sehr viele Fragen, aber das Einzige, was sie nicht tut, ist unmittelbar und explizit zu antworten. Der Betrachter muss sich die Fragen selber erarbeiten. Prof. A. Lehnerer: Ja, aber es löst bei manchen Unbehagen aus, wenn sie in den Pavillon hineinkommen und nicht gleich eine Antwort auf ihre Fragen erhalten: „Was ist das jetzt hier, warum haben die Jungs da 16 Tonnen Backstein verbaut, warum steht dieser absurde Kamin auf einmal in der Mitte? Warum dieses Dach, warum diese Verschneidung? Ist es Architektur, ist es Ausstellungsarchitektur oder ist es ausgestellte Architektur?“ Wir sehen darin unsere Aufgabe, diese Fragen in einer sinnvollen Art zu stellen. Das ist die Aufgabe von Architektur überhaupt. Wenn Architektur immer nur Antworten gibt, wäre es das Langweiligste auf der Welt. Die eigentlich spannende Architektur ist doch die, die Fragen stellt. Und wie sie das tut, darüber kann man diskutieren. Da hat jeder, der in diesem Jahr in dem deutschen Pavillon war, wahrscheinlich eine andere Meinung. Bundesrepublik, ist er Sinnbild der Moderne? Warum hat man nicht die Statue von Henry Moore genommen?“ Prof. A. Lehnerer: Die einen sagen dies, die anderen jenes. Für uns war das Auto wichtig. Er bildet einen ersten Knoten, an dem beide Gebäude sich in dieser Eingangsszene verbinden. Auch der Mercedes hat wieder eine Diskussion ausgelöst. Prof. A. Lehnerer: Gut so! Für uns war das auch eine Entscheidung, welche Ihre Zeit gebraucht hat. Beim Mercedes haben Sie hinterfragt, bei der eigentlichen Idee nicht? S. Ciriacidis: Wir haben uns über ein Jahr mit diesem Projekt und seiner Idee beschäftigt. Eine persönliche Frage an Sie: Können Sie nach der Biennale besser mit Kritik umgehen als in der Zeit davor? Prof. A. Lehnerer: Es ist bekanntlich so, dass man mit Kritik wächst. Kritik ist für uns auch wichtig, denn für uns war diese Arbeit ein Experiment, auch mit dem Publikum. Und das Tolle war, dass wir mit diesem Pavillon ein extrem großes Publikum hatten. Wir waren sehr gespannt, was da kommen wird. Wie empfanden Sie den Zentralpavillon, der ja von vielen Besuchern sehr kritisch gesehen wurde, da völlig unspannend und lediglich eine Aneinanderreihung von einzelnen Elementen? Prof. A. Lehnerer: Ich finde es eine extrem spannende Methode, sich mit diesen Einzelelementen auseinanderzusetzen, keine Art von tektonischer Diskussion zu führen, sondern auf ihre elementaren Einzelheiten einzugehen. Es gibt einige Orte in diesem Zentralpavillon, die finde ich aufregender als andere. Sich über einen Doppelboden Gedanken zu machen, das finde ich ebenso interessant wie mit abgehängten Decken, unter denen wir alle täglich leben. Eine ganze Menge Besucher fanden den Mercedes vor dem Eingang in Kombination mit dem roten Teppich völlig überflüssig. Und es gibt Stimmen, die sagen: „Hat dieser Mercedes jetzt die bescheidene Republik repräsentiert, ist er wirklich Sinnbild einer neuen trends thesen typologien zur 14. ARCHITEKTUR-BIENNALE VENEDIG Seite 14 INTERVIEW MIT TRADITIONALISIERUNG PROF. MUCK PETZET Bei dem Generalkommissar des deutschen Pavillons der 13. Architektur-Biennale in Venedig 2012 bildeten der Umbau und die Modernisierung von Gebäuden der Nachkriegsmoderne einen Schwerpunkt. Er gewann zahlreiche nationale und internationale Preise. In 2004/2005 übernahm er einen Lehrauftrag für Entwurf an der Hochschule Liechtenstein, Vaduz. Seit Sept. 2014 hat er eine Professur für Sustainable Design in Mendrisio, Schweiz trends thesen typologien zur 14. ARCHITEKTUR-BIENNALE VENEDIG Seite 16 „DER BUNGALOW GERMANIA LEISTET EINEN WEITEREN WICHTIGEN BEITRAG ZU EINER ENTIDEOLOGISIERUNG DES DEUTSCHEN PAVILLONS.“ GROHE: Wie empfanden Sie das von Rem Koolhaas gewählte Thema „Absorbing Modernity 1914-2014“, welches er auf der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig allen 65 Länderpavillons gleichermaßen verordnet hat? Prof. M. Petzet: Es war eine sehr gute Biennale, das Generalthema wurde ernst genommen und führte zu einer Übersumme in den Länderdarstellungen, zu insgesamt sehr interessanten Länderbeiträgen. Ergänzt durch die Ausstellung im Arsenale „Monditalia“, die für Italien beispielhaft das Thema „Absorbing Modernity“ vorgeführt und gezeigt hat, wie umfassend man das Thema darstellen und begreifen kann; insgesamt ein sehr interessanter Ausstellungsteil, eine positive Überraschung für mich. Die ‚Fundamentals’ empfand ich innerhalb dieses Themas dann fast wie einen Fremdkörper, weil hier mit den Grundelementen der Architektur etwas ganz anderes bearbeitet wurde. Letztlich aber auch in sich eine sehr schöne Ausstellung, sehr amüsant und populär aufbereitet; obwohl ich die Zersplitterung von Architektur in Elemente und die Fokussierung auf Detailpunkte persönlich als Architekt schwierig finde. Den Arsenale-Beitrag fand ich im Gesamtkonzept besser, interessanter und schlüssiger. Warum ist „Absorbing Modernity“ als Generalthema in der jetzigen Zeit so gut? Auch wenn die ‚Moderne’ von Architekturhistorikern sozusagen ‚offiziell’ für beendet oder tot erklärt wurde: wir leben mitten in ihrem Zeitalter. Wir erleben eine rasante globale Entwicklung der Urbanisierung und Änderung der Lebensbedingungen, die in einer klaren Kontinuität mit der Moderne steht, dem ‚internationalen Stil’, der ja letztlich auch als Ausdruck unserer wachstums-, wirtschaftsund technikgetriebenen Gesellschaften gelesen werden kann. Insofern ist es interessant zu sehen, wie Länder in Zentraleuropa - zum Beispiel in Deutschland und in der Schweiz - diesen ‚Absorbtionsprozess’ verarbeitet haben. Länder, in denen der Wachstumsprozess, den die Moderne ermöglicht hat, sozusagen schon abgeschlossen ist; Länder, in denen wir heute eher von einer Schrumpfung bzw. von einem sehr langsamen Wachstum sprechen. Und dann im Gegenzug andere Länder wie Brasilien oder China, bei denen dieser Modernisierungsprozess gerade in vollem Gange ist. Eine Entwicklung, die letztlich auch unsere Zukunft ganz real mit bestimmen wird. Die Biennale stellt also mit dem ‚historischen’ Blick auf 100 Jahre Absorbtionsgeschichte durchaus auch eine zukunftsgerichtete Frage nach der Identität von Nationen und ihrem Verhältnis zu globalen Strömungen. Es ist ja das Interessante an der ‚altmodischen’ Form der Biennale mit ihren ‚Länderpavillons’, dass so ein ‚Nationen’-Vergleich möglich und von der Struktur her angelegt ist. Daher fand ich es ein sehr relevantes und intelligentes Thema. Welche Länderpavillons haben Sie von ihrer inhaltlichen und gestalterischen Umsetzung am meisten beeindruckt? Am beeindruckendsten fand ich den russischen Pavillon, der einerseits sehr frei mit dem Erbe der Moderne gespielt hat und andererseits dabei sehr ernsthafte Fragen aufgeworfen hat. Ich denke an die teils recht ironischen bis zynischen Projekte mit durchaus realistischem Hintergrund, wie beispielsweise der Ersatz von historischen Denkmälern durch ‚technisch bessere’ Kopien oder die katastrophenund kriegssichere Ausrüstung von Wohnblöcken. Auch das Prinzip Reduce/Reuse/Recycle – unser Thema 2012 – wurde aufgegriffen und im Sinne eines Weiterdenkens der sozialistischen Plattenbausystematik in die freie Marktwirtschaft übertragen. Jede der vielen ‚Messekojen’ war ein komplett durchdachtes und stringent dargestelltes Gedankenexperiment, ein insgesamt sehr spannender und beeindruckender Beitrag. Es war toll, dass diese Ideen gerade während der Eröffnungstage von sehr glaubwürdigen und hochqualifizierten ‚Vertretern’ persönlich vermittelt wurden. Ansonsten ist mir vor allem noch der belgische Pavillon in sehr positiver Erinnerung, der sehr leise und poetisch die Frage der ‚Adaption’ der Moderne durch den alltäglichen Gebrauch, die Einrichtung und Benutzung buchstäblich aufgegriffen hat. trends thesen typologien zur 14. ARCHITEKTUR-BIENNALE VENEDIG Seite 17 Was halten Sie vom Preisträger, dem koreanischen Pavillon? Diese Preisvergabe konnte ich nicht nachvollziehen, der Pavillon hat sich mir nur sehr schwer erschlossen. Eventuell wollte man einen Ansatz zur ‚Wiedervereinigung’ der beiden koreanischen Staaten würdigen. Und der deutsche Pavillon? Das ist eine sehr ernsthafte und interessante architektonische Installation – die vielleicht als einzige eine Brücke schlägt vom Thema ‚Absorbing Modernity’ zu den ‚Elements of Architecture’: ein Dialog zweier – vor allem in ihrer politischen ‚Aufladung’- konträrer Architekturen. Und hier ist es sehr gelungen, wie jedes Detail des in den Pavillon implantierten Bungalows ‚echt’ ist - vom Klinker bis hin zur Vorhangschiene und dem zeittypisch groben Textilvorhang. Mit diesen elementaren architektonischen Mitteln werden ganz abstrakte Fragen untersucht: Können Architekturen Gebäude selbst - ‚demokratisch’ oder ‚faschistisch’ sein? Oder sind es unsere Bilder, die wir damit verbinden? Letztlich ist dann in den Zwischenräumen und im architektonisch gestalteten Dialog der beiden Architekturen eine Art Neutralisierung der politischen Aufladung entstanden. Meiner Meinung nach ist dieses wagemutige Experiment einer realen Architekturcollage gelungen. Die Geschichte der Absorption von Moderne ist in Deutschland eben radikal unterbrochen worden durch das Dritte Reich und die Vertreibung oder Auslöschung vieler progressiver Vertreter der ‚Moderne’. In dem Bungalow von 1964 lässt sich ein wichtiger ‚Kristallisationsmoment’ der ganz besonderen Absorbierungsgeschichte der Moderne in Deutschland sehen. Der Beitrag ist im übrigem auch in seiner ‚Ernsthaftigkeit’ und Schwere sehr deutsch. Es hat große Konsequenz und Stärke nur ganz wenig zu erklären, sondern die Architektur wirken zu lassen. Der Versuch, eine ‚Übereinstimmung’ der beiden Gebäude herzustellen, ist meines Erachtens gelungen. Nur die anekdotischen Teile der Installation, nämlich der Mercedes Benz und der rote Teppich haben mich irritiert, da sie ja nur mit dem ‚Bungalow’ verbunden sind. Die hätte es nicht gebraucht. Warum nicht? Weil diese Elemente eher ablenken von den architektonischen und konzeptionellen Stärken dieser Installation. Das ‚anekdotische’ Aufladen mit persönlicher und deutscher Geschichte, das ‚interessant machen’ hat diese Arbeit nicht nötig. Weil sie rein architektonisch argumentiert, ein formales architektonisches Experiment ist: die Idee der Überlagerung zweier Architekturen – die eine, die schon dort ist und die andere, die implantiert wird. Es geht um beide Gebäude und deswegen fand ich auch die Titelwahl BUNGALOW GERMANIA irreführend. Es geht nicht hauptsächlich um den Kanzlerbungalow, sondern um die Überlagerung und um das, was dazwischen entsteht. Genau dieses Dazwischen ist das Interessante. Die Unmittelbarkeit, mit der hier die politisch aufgeladenen Elemente, wie zum Beispiel das ‚moderne’ Flachdach oder die ‚demokratischtransparente’ Glasfassade im Spannungsfeld zu der brutal-sakralen Achsial-Symmetrie des deutschen Pavillons stehen. Es wurden einem die einzelnen Elemente, ihre Bedeutung und ideologische Aufladung bewusst und dies war eine interessante Verbindung zum Hauptpavillon mit den ‚Elements of Architecture’. Auch beim Bungalow Germania ging es extrem um diese Elemente, wie sie gemacht und materialisiert sind. Es war extrem interessant zu sehen, welche ‚Rollen’ sie innerhalb der Gebäude übernehmen und welche Bedeutungen sie ausstrahlen, wie sie einen stummen Dialog über die deutsche Absorptionsgeschichte führen. Ich denke an die Diskussionen in den 70er und 80er Jahren, demokratische Architektur müsse transparent sein. Oder die Verunglimpfung der ‚modernen Architektur’ in den 30-iger Jahren als ‚undeutsch’, eine Diskussion, die stark an den Flachdächern festgemacht wurde. Im Übrigen wird in diesem geschärften Blick auf die Architektur selbst auch sichtbar, dass der deutsche Pavillon in seiner rationalen Struktur hinter der SäulenShowfassade eigentlich ein ‚moderner’ Stahlbetonbau ist. Der pragmatische Umbau nach dem Krieg, der diese Struktur offengelegt hat, war ein gutes Stück ‚Entnazifizierung’. Die Künstler haben mit Ihren Arbeiten ein Übriges getan. In diesem Sinn leistet Bungalow Germania auch einen weiteren wichtigen Beitrag zu einer Entideologisierung des deutschen Pavillons. Er ist nun mal da und einer der besten, wenn nicht der beste Ausstellungsort in den Giardini. Die Dimensionen erlauben solch raumgreifende Installationen wie den Bungalow. Die Räume sind – wenn man vom Sog der Mittelachse absieht - relativ neutral und haben ein großartiges Licht. Natürlich liebe ich den nordischen Pavillon von Sverre Fehn als Architektur viel mehr, aber ausstellen darin ist viel schwieriger als im deutschen. Die parallel zur Biennale vom deutschen Werkbund organisierte Ausstellung „This is Modern“, die von einem ‚hypothetischen’ Abbruch und Neubau des deutschen Pavillons ausging, empfand ich in diesem Kontext als Ärgernis. Statt sich – in der großartigen Tradition des Werkbundes – zum 100. Geburtstag um Essentielles zu kümmern, wie etwa die heute wieder brandaktuelle Frage des Wohnens für das Existenzminimum, hat man nichts Besseres zu tun, als Bestehendes in Frage zu stellen, um die ‚Kreativität’ der deutschen Architekten zeigen zu können. Das ist Tabula Rasa-Denken von Vorgestern. trends thesen typologien zur 14. ARCHITEKTUR-BIENNALE VENEDIG Seite 18 Haben Sie die Ausstellung gesehen? Nein, ich kenne nur den Ausstellungskatalog. Es sind einige wenige interessante architektonische Arbeiten dabei, gerade die, die sich dem Abbruch verweigern oder zumindest die Geschichte weiterschreiben. Der Rest ist – aufgabenbedingt – eher peinlich. Diese Ausstellung zeigt, wie stark die Realität dieses Gebäudes durch eine ideologische Aufladung überlagert ist, wie man sich seiner Geschichte schämt und nicht begreift, dass hier ein gut brauchbares und überdies historisch und kunsthistorisch bedeutendes Gebäude vorhanden ist. Diese Diskussion ist einfach völlig sinnlos und meines Erachtens sogar schädlich. Die Kreativität des deutschen Architekten durch einen neuen deutschen Pavillon zu zeigen, das ist so absurd, so altmodisch, so völlig aus der Zeit gefallen – sowohl was die fehlende Wertschätzung von Bestand betrifft – als auch das Bild vom ‚kreativen’ Neubauarchitekten. An dieser Debatte sieht man auch wieder die Relevanz des Themas vom Bungalow Germania. Die Architekturbiennale positioniert sich als die bedeutendste Architekturausstellung weltweit. Setzt sie Zeichen? Hinterfragt sie Dinge, die Architekten alltäglich tun? Ist sie auch zukünftig wichtig? Die Biennale in Venedig ist wichtig, weil sie eine sehr große und wirklich internationale bis globale Austauschplattform für Architekten und Architektur herstellt. Da verknüpfen sich Gedanken und entstehen Netzwerke, es findet eine öffentliche, inhaltliche Auseinandersetzung mit Architektur statt – auf vielen Ebenen – mit der Darstellung, den Inhalten – aber letztlich auch mit der gesellschaftlichen Relevanz von Architektur. Das hat diese Biennale mit ‚Absorbing Modernity’ wieder geleistet. Aber auch mit den ´Elements of Architecture` die Entwicklung und Rolle dieser Elemente zu sehen, das war sehr interessant und für ein breites Publikum zugänglich. Man darf nicht vergessen, dass die Mehrzahl der Besucher der Biennale kein Fachpublikum ist – insbesondere sogar viele Schulklassen kommen. Über diese ‚begreifbaren’ und alltäglichen Elemente wird man spielerisch an Architektur herangeführt: was sind das alles für Fragen, Probleme und Zusammenhänge, mit denen sich Architekten beschäftigen? Wie beeinflusst die Technologie einer Kloschüssel letztlich auch ein Haus? Was verbergen sich für ‚Bedeutungen’ in Treppenstufen? Dazu dann die großen Fragen von ‚Absorbing Modernity’: Wie hat sich die Welt entwickelt, in der wir leben? Und welche Ideen können wir für die Zukunft daraus ableiten? Wo kann man sich sonst in so einer Vielfalt von Ansätzen mit solchen Fragen derart intensiv auseinandersetzen? Eine große Stärke der diesjährigen Biennale war die Betonung des Länderspezifischen, was bislang ja eher als altmodisch oder überholt galt, wir leben schließlich in einer globalisierten Welt. Trotz oder gerade wegen des ‚gleichen’ Themas für alle Nationenpavillons waren die Unterschiede bzw. das Länderspezifische umso klarer und prägnanter; selbst von Nachbarn wie Deutschland und der Schweiz, die ganz unterschiedliche Grundhaltungen, ganz unterschiedliche architektonische Kulturen haben. Durch diese Länderkonkurrenz zu einem gleichen Thema entstand eine Differenz der Eigenheiten und gleichzeitig eine große Zusammengehörigkeit, die die Biennale in diesem Jahr besonders interessant gemacht hat. INTERVIEW MIT UNIV. PROF. DI ARCH. KLAUS KADA 1976 gründete Prof. Kada sein Architekturbüro in Leibnitz, eine Dependance in Graz folgte 1988. Seit 1996 besteht das Architekturbüro Klaus Kada+Gerhard Wittfeld in Aachen (aktueller Name: Kadawittfeldarchitektur). 1992 wurde Kada Präsident von Europan Österreich. Von 1995 bis 2006 war er Universitätsprofessor an der Fakultät für Architektur an der RWTH Aachen. Der Bund Deutscher Architekten verlieh Kada 1996 die Ehrenmitgliedschaft. Er hatte Gastprofessuren an der Hochschule für Künste Bremen und der TU München. trends thesen typologien zur 14. ARCHITEKTUR-BIENNALE VENEDIG Seite 20 „DER BUNGALOW GERMANIA VERMITTELT ZU WENIG, DAS IST DAS PROBLEM. ER HAT EINE GANZE MENGE VORAUSGESETZT, WAS FÜR DEN BESUCHER SCHWER EINZULÖSEN IST.“ GROHE: Sie haben die 14. Architektur Biennale in Venedig besucht. Mit welchen Eindrücken sind Sie nach Hause gefahren? Prof. Kada: Der Eindruck war gut, weil Koolhaas genau und präzise - so wie er das immer macht - die Zeit trifft. Es ist eine Art Schlusskonzert und Bilanz, die den nächsten Schritt einer weiteren Entwicklung initiieren könnte. Ein umfangreiches Thema gut konzipiert und auch organisiert. Eine Show für interessierte Nicht-Fachleute und auch für wenig informierte Architekten. Es war also von Koolhaas ein gut gewähltes Thema? Ja, weil es eine Zeit dokumentiert und auch zeigt, dass wir für die Zukunft wenige Visionen entwickelten. Was fehlt denn an der Zukunft? Wir leben in einer Zeit der Beschleunigung mit verschiedenen Geschwindigkeiten. Wissenschaft und Technik haben eine hohe Geschwindigkeit in der Veränderung, Gesellschaftspolitik und damit auch die Architektur sind einer gewissen Trägheit unterworfen und unterliegen meist einem selbstreferierenden System. Es gilt mehr an neue Chancen zu denken und nicht nur immer an das Kalkül und vor allem durch Bildung denken lernen und mehr Eigenverantwortung tragen. Was müsste sich grundsätzlich ändern im ganzen Baugeschehen, damit Architektur wieder eine andere Stellung bekommt? Planen und Bauen wird hauptsächlich allein von wirtschaftlichen Interessen gesteuert. Von Verantwortlichkeit gegenüber Gesellschaft, Kultur und Umwelt ist wenig oder gar nichts vorhanden. Um dieses Manko zu ersetzen, ist eine enge Kooperation von Planen und Bauen von Vorteil und Wissenschaft und Forschung eng an diesen Prozess zu binden und zu kultivieren. Das wäre eine Vorgangsweise, an der sich auch Architekten erfreuen würden. Wie fanden Sie die Umsetzung des Themas „Absorbing Modernity“ von den Länderpavillons? Ich habe wahrscheinlich nicht alle Länderpavillons gesehen, aber ich gewann den Eindruck, dass sich alle bemüht haben, das Thema vom Prinzip her irgendwie auf die Reihe zu kriegen. Und das war sehr interessant, ihre Selbstdarstellung und damit auch ihre Zuordnung in die Gesamtdarstellung der verschiedenen Länder zu beobachten. Alle Länderpavillons mussten sich ja mehr oder weniger mit der provokanten Behauptung auseinandersetzen, die Moderne habe die identischen, erkennbaren Eigenschaften nationaler Formen und Sprachen verwischt. Stimmen Sie dieser These bzw. Behauptung zu? Die Polarisierung der Macht und die Globalisierung haben Werte und Ressourcen umverteilt und das hat Spuren hinterlassen. Die Macht der Wirtschaft und die Macht des Kapitals haben sich systemimmanent, mehr oder weniger radikal, über alle Länder der Welt hinweg ausgebreitet und führten zu einer wenig interessanten Vereinheitlichung. Die Architektur hat sich von der Politik immer schon instrumentalisieren lassen. Verschiedene Gesellschaftssysteme haben immer ihren spezifischen kulturellen Ausdruck gehabt. Erst die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts hat diese Differenzierung abgeschwächt, da kleinere regionale Entwicklungen an Bedeutung verloren haben und daher auch die Vielfalt trends thesen typologien zur 14. ARCHITEKTUR-BIENNALE VENEDIG Seite 21 differenzierter Ausdrucksformen verschwunden ist. Dieses Phänomen konnte man im Zentralpavillon der Biennale unter dem Titel der Ausstellung „Fundamentals“ zum Beispiel an der historischen Fensterdarstellung gegenüber den modernen industrialisierten Fassaden eindeutig lesen. Eine Differenzierung in der Vereinheitlichung tritt nur in kaum sichtbaren technischen Details, zum Beispiel bauphysikalischer Art, auf. Wolf Prix von Coop (H)immelblau hat in einer Pressemitteilung geäußert - ich zitiere wörtlich: „Rem Koolhaas ist für mich ein ganz cleverer Bursche. Was anderes konnte er machen, als sich von den anderen Kuratoren abzusetzen, und sich nach den beiden letzten unsäglichen Ausstellungen mit einem Thema in einem Pavillon zurückzuziehen, dort seiner Sehnsucht nach Fundamentalem zu frönen und die moderne Langeweile den anderen Länderkuratoren zu überlassen.“ Das kann ich unterschreiben, aber nur als Polemik. Die Länder ziehen sich nicht zurück, es wird nur dokumentiert. Sie haben ja nichts Neues gezeigt. Das ist nur eine Aufzeichnung der letzten 100 Jahre. Wie schon eingangs erwähnt, ist es eine Bilanz einer Architekturentwicklung, die im Vergleich der Länder auch zu einer gewissen Selbsterkenntnis und zu einer Bewertung für zukünftig Besseres führt. Wie empfanden Sie den deutschen Pavillon, zwei Gebäude aus zwei unterschiedlichen Epochen miteinander verschmelzen zu lassen? Die beiden Generalkommissare des deutschen Pavillons sind nach meiner Information Konzeptarchitekten. Idee und Konzept sind okay, sie haben auch die „Elemente“ der Architektur mitgenommen. Aber ich habe ein Problem mit dem Ergebnis. Die Architektur des Kanzlerpavillons ist die Idee von einem in der Landschaft stehenden Gebäude unter Einbeziehung der Natur und mit einer starken Verbindung von Innen nach Außen; also ein transparentes Gebäude, wobei Transparenz auch immer der Umgang mit Licht bedeutet. Die wichtigen architektonischen Merkmale des Pavillons und sein Bezugssystem zum Ort gehen verloren. Der Akt der Intervention in der Verbindung von Kanzlerpavillon und Padiglione della Germania erscheint als bloßes Hineinstellen und vermittelt keinen Konflikt und auch kein Ergebnis. Als Konfliktpotential könnte ich mir ein Durchdringen, Durchstoßen, Durchschneiden, Einschieben, Verschachteln, Zueinanderfügen, etc., vorstellen, das zum Erkennen einer klaren Botschaft führt. Wenn ich den Kanzlerbungalow nicht gekannt hätte, hätte ich mich in dieser Verschachtelung überhaupt nicht ausgekannt. Ich habe den Kanzlerbungalow in Bonn zwei- oder dreimal gesehen, durch einen Zufall zuletzt zwei Monate vor Beginn der diesjährigen Architektur Biennale. Noch ein Moment fiel mir auf, dass durch diese Intervention der „Überlagerung“ eine identische Achsenlage vom öffentlichen Teil des Kanzlerpavillons und der Achse des Padiglione della Germania entstand. Achsialsymetrische Anlagen unterstützen die Autorität der Macht und dies zeichnet auch den Padiglione della Germania sehr deutlich aus. Nunmehr entsteht der Eindruck, dass der monumentale Padiglione della Germania das kleine eingelagerte Pflänzchen Demokratie brutal überstülpt. Also er war nicht selbsterklärend genug? Der BUNGALOW GERMANIA vermittelt wenig. Er hat eine ganze Menge vorausgesetzt, das aber für den Besucher schwer einzulösen war. Gab es einen Pavillon, der Sie besonders bewegt hat? Im Sinne von Koolhaas muss ich sagen: der italienische Pavillon mit seiner Polarität zwischen den Mailänder Geschichten und der modernen Architektur. Es war eine Präsentation für ein selbstbewusstes historisches Verständnis. Ich zitiere noch eine Aussage von Wolf Prix, hier kritisiert er die derzeitige Architekturdiskussion. Wörtlich laut Prix: „In der Architekturdiskussion stimme nichts mehr, alles sei viel zu spät, die selbstverliebte Theorie spricht über das Ende der Zukunft in lustig vollgestopften, sinnentleerten Hallen, schlecht ausgebildete Architekten sind aus Mangel an Wissen beeindruckt von dem dreidimensionalen Popup-Neufert, der kunsthistorisch aufgeladene Architekturkritiker zu Begeisterungsstürmen hinreißt.“ Klingt sehr düster. Was meinen Sie? Das stimmt genau. Das ist radikal genug formuliert. Die eigentliche Misere ist die Folge einer Bildungspolitik, die lange Zeit sehr konservativ und nunmehr auch immer mehr wirtschaftorientiert praktiziert wird. Im Alter von 2-7 Jahren haben Kinder bekanntlich die größte Aufnahmeund Lernfähigkeit. Das heißt, die frühen Jahre sind die wichtigsten. Hier sind Investitionen und Visionen notwendig, nicht zur Bildung einer verregelten Gesellschaft, sondern für das Wecken von Interessen und Neugier. Tatsache aber ist, dass es keinen Dialog, kein Gespräch, trends thesen typologien zur 14. ARCHITEKTUR-BIENNALE VENEDIG Seite 22 keine Kritik und vor allen Dingen auch kein Streitgespräch mehr gibt. Die Zeit haben wir endgültig versaut. Für die Zukunft sehe ich nur eine einzige Möglichkeit und das wäre eine positive Politik des Zulassens. trends thesen typologien zur 14. ARCHITEKTUR-BIENNALE VENEDIG Seite 23 Herausgeber: GROHE Deutschland Vertriebs GmbH Zur Porta 9 D - 32457 Porta Westfalica Konzept und Realisation: Sabine Gotthardt Director Business Development Architecture & Real Estate D-A-CH GROHE Deutschland Vertriebs GmbH Telefon 08153 984756 Mobil 0175 5881228 E-Mail [email protected] Fotos: S.1, 2, 7, 15 Bungalow Germania, 2014 © CLA / Foto: Bas Princen S. 4 Bungalow Germania. Deutscher Pavillon auf der 14. Internationalen Architektur-Ausstellung – la Biennale di Venezia, 2014. Grafische Gestaltung: Thomas Dahm S. 9 Blick auf den Kanzlerbungalow mit der Plastik von Bernhard Heiliger „Die drei Grazien“, 1989. © Bundesregierung / Foto: Lothar Schaack, Plastik von Bernhard Heiliger: © 2014, ProLitteris S. 10 Savvas Ciriacidis und Alex Lehnerer, 2014. Foto: David von Becker S. 16 Muck Petzet, Foto: Gerhardt Kellermann S. 19 Bungalow Germania, Biennale 2012 © RRR / Erica Overmeer 2012 S. 23. Prof. Klaus Kada © Carl Brunn S. 23. Prof. Klaus Kada: Adidas Laces, Herzogenaurach, kadawittfeld architektur © werner huthmacher / berlin Stadthalle Graz © gerhard hagen/angelo kaunat S. 24-25 Fotos: Gunter Dreißig LITERATURTIPPS VON GROHE G E S P R ÄC HS S TO F F : A R C HI T E K T U R BAUKULTUR IM WERTEWANDEL IM GESPRÄCH MIT FÜHRENDEN PERSÖNLICHKEITEN DER DEUTSCHEN BAU- UND IMMOBILIENBRANCHE P LÄSST SICH MIT SLOW ARCHITECTURE EIN NEUER UMGANG MIT STADT UND LANDSCHAFT ERREICHEN? WAS ARCHITEKTUR HEUTE LEISTEN MUSS: INTERKULTURELL INTERNATIONAL INTERDISZIPLINÄR SLOW A R C H I T E C T U R E In der Dokumentation „Was Architektur heute leisten muss: Interkulturell – International – Interdisziplinär“ äußern sich 16 international renommierte Architekten wie Wolf D. Prix, Christoph Ingenhoven, Hadi Teherani, Dietmar Eberle oder Jürgen Mayer H. zu den Herausforderungen an die Architektur in Gegenwart und Zukunft. 167 Seiten, 16 Interviews In „Baukultur im Wertewandel“ wird die Einstellung von 26 renommierten Persönlichkeiten der Bauund Immobilienbranche zum Thema Nachhaltigkeit dokumentiert. Es gewährt einen Einblick in die kontroverse Stimmungslage einer heterogenen Branche. 212 Seiten, 26 Interviews trends thesen typologien Die Dialogreihe von GROHE 2014 In „Lässt sich mit SLOW ARCHITECTURE ein neuer Umgang mit Stadt und Landschaft erreichen?“ kommen mit Martin Rauch von LEHM TON ERDE aus Österreich und Armando Ruinelli von Ruinelli Associati Architetti aus der Schweiz zwei sehr renommierte Vertreter von SLOW ARCHITECTURE zu Wort. Desweiteren umfasst die Broschüre eine inhaltliche Zusammenfassung eines durch GROHE organisierten SLOW ARCHITECTURE Dialoges in der Kunstsammlung Nordrhein Westfalen im Sep. 2014. 20 Seiten 16:23 ANKÜNDIGUNG ZUR VERANSTALTUNG IM DAM AM 12.03.2015 DIE STADT DER ZUKUNFT G I B T E S D I E I D E A L E S T A D T ? SIND DIE AUFGABEN UND LÖSUNGEN EINER ZUKUNFTSWEISENDEN STADTENTWICKLUNG – GLOBAL BETRACHTET – VERGLEICHBAR? WAS KÖNNEN WIR VONEINANDER LERNEN? DIE STADT DER ZUKUNFT Renommierte Architekten berichten und diskutieren, welche Beiträge Architektur für eine lebenswerte Stadtentwicklung leisten kann. WANN: WO: DONNERSTAG, 12. MÄRZ 2015 DEUTSCHES ARCHITEKTURMUSEUM (DAM) SCHAUMAINKAI 43 60596 FRANKFURT A. M. EINLASS: AB 19:00 UHR ANMELDUNG: [email protected] GROHE Deutschland Vertriebs GmbH Zur Porta 9 D-32457 Porta Westfalica Postfach 1353 D-32439 Porta Westfalica Tel. +49 (0) 571 39 89 333 Fax +49 (0) 571 39 89 999 www.grohe.de GROHE Ges.m.b.H Wienerbergstraße 11/A7 A-1100 Wien Tel. +43 (0) 1 68060 Fax +43 (0) 1 6884535 www.grohe.at GROHE Switzerland SA Bauarena Volketswil Industriestraße 18 CH-8604 Volketswil Tel. +41 (0) 44 877 73 00 Fax +41 (0) 44877 73 20 www.grohe.ch