Was sind Interessengruppen

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Grundlagen der Wirtschaftspolitik
WS 2014/2015
(c) Sebastian Voll, Universität Jena
Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15
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4. Politische Ökonomie staatlicher Eingriffe
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Lernziele
Die Problematik des Staatsversagens aus Sicht der politischen Ökonomie verstanden
haben
Die Akteure am politischen Markt kennen und deren Rolle erläutern können
Das Grundmodell von Downs und grundlegende Erweiterungen verstanden haben und dies
auf reale Fragestellungen übertragen können
Die Begriffe Stimmentausch, Rent-Seeking, Lobbying erklären können
Die Rolle von Interessengruppen im politischen Prozess, bei Wahlentscheidungen und die
Wohlfahrtskosten des Lobbying erläutern können
Bedeutung und Ablauf des grundlegenden ökonomischen Bürokratiemodells nach
Niskanen erläutern können
Als Synthese aus den Kapitel 2; 3 und 4 Schlussfolgerungen für erfolgreiche
wirtschaftspolitische Reformen nachvollziehen können
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4. Politische Ökonomie staatlicher Eingriffe
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Inhalt
4.1 Grundlagen
4.2 Der politische Wettbewerb
4.3 Interessengruppen und „Rent-Seeking“
4.4 Ökonomische Theorie der Bürokratie
4.5 Ökonomische Theorie der Reformen
•
Grundlagen:
– Politiker und Verwaltung maximieren nicht zwingend die nationale Wohlfahrt, sondern
verfolgen rational Eigeninteressen
– Politischer Wettbewerb zwischen den Parteien führt zu einem Angleichen der
Wahlprogramme in Richtung der politischen Mitte
– Produzenten können i.d.R. ihre Interessen leichter gegenüber der Politik artikulieren, der
dadurch induzierte Wohlfahrtsverlust geht über den reinen „dead-weight-loss“ hinaus
– Das Prinzipal-Agent-Problem zwischen Politiker und Verwaltung führt zu ineffizienter
Verwaltung
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4.1 Grundlagen
• Ergebnis von Kapitel 3:
– In bestimmten Fällen versagen die Märkte in ihrer Funktion, allokative
Effizienz herzustellen
– Dann muss der Staat eingreifen  Einzelfallentscheidung, wie ein optimaler
Eingriff aus ökonomischer Sicht aussieht
– Implizite Annahme: „Der Staat“ maximiert die soziale Wohlfahrt
(„benevolente Diktator“)
• Aber: „der Staat“ vs. heterogene Akteure innerhalb des Gemeinwesens, die
verschiedene Rollen ausführen: Politiker, Wähler, Verwaltung, Richter etc.
 Wie verhalten sich Individuen in diesen Rollen?
 Methodologischer Individualismus: Eigennutzmaximierung
 Selbe Kalkül, welches den I. bei ihren anderen wirtschaftlichen Handlungen
unterstellt wird, gilt auch für politischen Prozess
 Individuelles Handeln wird von den Anreizstrukturen des institutionellen
Umfeldes beeinflusst – was passiert, wenn Eigennutz auf dieses Umfeld
trifft?
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4.1 Grundlagen
• Fehlende Wohlfahrtsmaximierung  mögliches Staatsversagen:
– Eingriff dort, wo kein Marktversagen herrscht
– Kein Eingriff dort, wo Markversagen herrscht
– Falsche/ineffiziente Regulierung bzw. Umverteilung (Kosten höher als
Nutzen)…
– Interventionsspiralen bzw. politische Hysterese: Staatsversagen führt zu
Marktversagen, Staat fühlt sich wieder genötigt einzugreifen 
Staatsversagen (Bsp. dt. Krankenversicherung, Rentenversicherung, MiniJobs und Mindestlohn, Energiewende…)
 Die individuelle Nutzenmaximierung der Akteure im Staatswesen führt nicht
unbedingt zur gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsmaximierung.
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4.2 Der politische Wettbewerb
Im Wesentlichen sind vier Akteure am „politischen Markt“ beteiligt:
• Regierung und Parteien
„Angebot“ am politischen
Markt
• Staatliche Verwaltung
• Wähler
„Nachfrage“ am politischen
Markt
• Interessengruppen
•
•
•
1. Rolle des Politikers und der staatlichen Verwaltung
„Politischer Unternehmer“ maximiert seinen Nutzen unter der Nebenbedingung, wieder
gewählt zu werden. Er bietet ein „politisches Güterbündel“ an, welches zur Wahl steht.
In seine Nutzenfunktion fließen hierbei ideologische Vorstellungen, Vorteile des
öffentlichen Amtes etc. mit ein. All das unter der Nebenbedingung, bei der Erfüllung
dieser Wünsche auch gewählt zu werden.
Ähnliches gilt für die Bürokraten: Sie maximieren ihren Eigennutzen unter der
Nebenbedingung, weiterbeschäftigt zu werden.
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4.2 Der politische Wettbewerb
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•
2. Rolle der Wähler
Auch der Wähler ist Eigennutzmaximierer; er wählt dasjenige Programm, welches seinen
Präferenzen am nächsten kommt.
Realistischerweise ist er hierbei „rational uninformiert“: er informiert sich nicht
vollständig über die Wahlprogramme. Kalkül: GN=GK der Informationsbeschaffung.
 Hieraus ergeben sich Informationsasymmetrien, die von Politikern ausgenutzt werden
können
3. Rolle der Interessengruppen
Verringern die Unsicherheit der Politiker über Wählerinteressen  senken
Informationskosten für Wähler und Politiker
Senken Verhandlungskosten im politischen Prozess durch Interessenbündelung
Ziel der IG ist nicht die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt, sondern der Gewinn
ökonomischer Renten für die Mitglieder auch auf Kosten anderer u.U.
Wohlfahrtsverluste!
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4.2 Der politische Wettbewerb
•
•
•
Programmwahl von Parteien: Das Hotelling-Downs Modell (1957)
Politiker/Parteien („politische Unternehmer“) stehen mit ihren Programmen im
Wettbewerb um die Wählerstimmen.
Problem der Politiker: Welches Programm den Wählern anbieten?
Grundmodell von Downs (1957) in Anlehnung an Hotelling‘s Modell räumlichen
Wettbewerbs (1926)
Annahmen:
• 2 Parteien, Wahlprogramme haben nur eine Dimension
• Politiker wollen ins Amt gewählt zu werden, um dort ihren Nutzen zu maximieren
• Wähler wählen das Programm, das ihren Präferenzen am nächsten kommt
• Vollständige Information, Wahlbeteiligung 100%, Wählerschaft normalverteilt
• Es gewinnt die Partei, die mind. 50%+1 Stimme erhält.
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4.2 Der politische Wettbewerb
Stimmenanteil
L: Programm der Linkspartei
R: Programm der Rechtspartei
Alle Wähler zw. A und X wählen L, da es
ihren Präferenzen am nächsten kommt.
Alle Wähler zw. X und B wählen R, da es
ihren Präferenzen am nächsten kommt.
 L erhält mehr als 50% und gewinnt die
Wahl
A
Stimmenanteil
L
X
R
50%
B
Politisches
Spektrum
Was macht die Rechtspartei, um Chance auf
Wahlsieg zu haben? „Ruck nach Links“
A
L
XI
R
50%
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B
Politisches
Spektrum
Nun wählen alle Wähler zw. XI und B die
Rechtspartei, da es ihren Präferenzen am nächsten
kommt. Partei L wird nur noch von den Wählern
zw. A und XI gewählt
 Rechtspartei erhält mehr als 50% der Stimmen
und gewinnt die Wahl.
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4.2 Der politische Wettbewerb
• Nun wird sich wiederum die Linkspartei weiter nach rechts bewegen etc.
• Im Endergebnis vereinen beide Parteien je 50% der Stimmen auf sich (Wahlergebnis dann
Zufall)
• Beide Wahlprogramme entsprechen den Präferenzen des Wählers, der bei 50% der
Stimmen positioniert ist: “Medianwähler” als politisches Zentrum und Mitte
 Medianwählertheorem: Die Medianposition wird sich im politischen Wettbewerb
durchsetzen
Stimmenanteil
A
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50%; R; L
Politisches
Spektrum
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4.2 Der politische Wettbewerb
Was kann man aus diesem Modell für die praktische Wirtschaftspolitik ableiten?
•
•
•
•
•
•
•
•
Abstrakt: Der Medianwähler kann nicht verlieren (gut aus Demokratiesicht, da keine
Diktatur der Minderheiten) – aber seine Präferenzen müssen nicht ökonomisch optimal
sein
Kritik am Modell:
Einfluss von Geldgebern wird nicht beachtet
Rolle von Interessengruppen wird nicht beachtet
Einfluss loyaler Wähler
Möglichkeit, nicht zur Wahl zu gehen (Entfremdung und Entstehen neuer Parteien)
Informationsprobleme (Wähler- und Parteienseite)
Glaubwürdigkeitsprobleme bei Wechsel des Programms
Problem des „log-rolling“ (Stimmentausch): Minderheit wird zu Mehrheit, Medianwähler
nicht mehr ausschlaggebend
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4.2 Der politische Wettbewerb
Fallbeispiel Medianwählermodell – Distributionspolitik in Deutschland
Die Hinwendung bzw. stärkere Ausgestaltung der Sozialpolitik ab der Mitte der 1970er Jahre
bis Mitte der 1980ger Jahre in Richtung der Präferenzen ausgebildeter Facharbeiter bzw.
Angestellter kann mit dem Medianwählermodell erklärt werden. Arbeitslosengeld,
welches für eine relative Lange Dauer (bis 2006: bis zu 32 Monate) ein relativ hohes
Einkommen gesichert hat und damit; Rentenversicherung, welche zum Ziel die
Stabilisierung des Einkommensniveaus nach der Erwerbszeit hatte und sich in ihren
Steigerungen an den Produktivitätssteigerungen der Wirtschaft ausrichtete statt an
Kriterien der Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit oder Bedürftigkeit.
Ähnlich ließe sich die Zuwendung der SPD unter Gerhard Schröder auf die politischen
Bedürfnisse der sog. „Neuen Mitte“ (studierte Angestellte und Selbständige, Berufstätige
Frauen, welche seit Mitte der 1990er Jahre als Medianwählergruppe identifiziert werden
kann) und die damit einhergehende Reformagenda 2010 erklären.
Neben der Unmöglichkeit, Distributionspolitik ohne starke Werturteile zu betreiben, sind
Ökonomen mit Blick auf das Medianwählermodell skeptisch, was Umverteilungspolitik
angeht. Nach dem Medianwählermodell wird Verteilungspolitik sich wenig an ethischmoralischen Kriterien der Bedürftigkeit ausrichten – Beispiele in Deutschland sind die
Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeitsrenten, Rentenzahlungen unterhalb des Existenzminimums, die schlechteren Schulabschlüsse von Kindern aus bildungsfernen Haushalten und die niedrigere Studierendenquote von Kindern aus Arbeiterhaushalten, um nur
einige zu nennen.
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4.2 Der politische Wettbewerb
•
Erweiterungen des Downs-Modells (nur eine Auswahl):
– Entfremdung der Wähler:
• überschreitet die Distanz zwischen Wählerpräferenzen und Parteiprogrammen
eine bestimmten Wert, geht ein Individuum nicht mehr wählen
• Medianwählerergebnis ist dann abhängig von Verteilung – bei unimodaler
Verteilung hält das Medianwählerergebnis, bei bimodaler V. kommt es zu
„Polarisierung“ der Parteien
– Unsicherheit der Politiker über Wählerpräferenzen, aber mit eigenen Präferenzen:
• Politiker bewegen sich von eigenen Präferenzen auf Medianwähler zu
• Aber nicht vollständig – die Wahlprogramme der Parteien gleichen sich nicht
100% an
– Multidimensionale Wahlthemen:
• Nicht mehr nur „links-rechts“ Entscheidung im Wahlkampf, sondern beliebig
viele Themen
• Keine 100% Annäherung an Medianwähler, aber um den Median herum existiert
ein Set an politischen Programmen, welches idealerweise von den Politikern
angestrebt werden muss, um nicht auf jeden Fall gegen andere Parteien (in
diesem Set) zu verlieren ( Plott‘s theorem)
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4.2 Der politische Wettbewerb
Log-Rolling – Stimmentausch und Koalitionsbildung:
Gruppe 1 stimmt für ein Vorhaben von Gruppe 2, wenn diese im Gegenzug für das Vorhaben
von Gruppe 1 stimmt.
Stimmenanteile
Bauern
30
40
30
Zur getrennten Abstimmung stehen
1. Subvention für A durch eine Steuer für C.
2. Subvention für B durch eine Steuer für C.
(c) Sebastian Voll, Universität Jena
Kohlebergbau
Verarbeitendes
Gewerbe
Alternative Interpretation: Steuer für
A,B,C aber: Nettogewinn für A/B
durch jeweilige Subvention
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4.2 Der politische Wettbewerb
•Stimmt jede Gruppe nur für oder gegen eine sie betreffende Maßnahme und enthält sich
sonst:
 beide Maßnahmen werden abgelehnt, da eine Mehrheit dagegen stimmt (30% pro, 40%
contra, 30% Enthaltung).
•Schließen sich Gruppe A und B zusammen und helfen jeweils der anderen Gruppe bei der
Abstimmung:
 beide Maßnahmen werden angenommen, da eine Mehrheit (60%) dafür stimmt.
Fazit für die praktische Wirtschaftspolitik:
•
•
•
•
Koalitionsbildung kann dazu führen, dass der Medianwähler nicht in allen Themen
gewinnt
Politisch gesehen ermöglichen solche Koalitionen erst stabile Regierungen
Aus ökonomischer Sicht sind große Teile der Ausgabensteigerungen der Staaten aber nur
durch Koalitionsbildung zu erklären
Da fast immer Verteilungsaspekte betroffen sind: nicht pareto-optimal (eine Gruppe stellt
sich schlechter, die andere besser)
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4.2 Der politische Wettbewerb
Fallstudie Stimmentausch: Die Abstimmung Deutschlands im Defizitverfahren 2003/2004
Eine Voraussetzung für die deutsche Zustimmung zu einer gemeinsamen Währungsunion in
Europa waren strikte Bestimmungen zur Höhe des jeweiligen Haushaltsdefizits eines
Mitglieds pro Jahr. Dies wurde im Maastrichtvertrag 1992 mit höchsten 3% des BIP pro
Jahr festgeschrieben. Bei Überschreitung der Neuverschuldungsgrenze hatte die EUKommission zu warnen und die Länder konnten im ECOFIN-Rat über Maßnahmen gegen
das Land bis hin zu Sanktionen in Form von Geldbußen beraten.
Anfang 2003 war klar, dass Deutschland, Frankreich und Italien wahrscheinlich die 3%
Grenze in diesem Jahr verletzen. Mitte des Jahres war absehbar, dass D und F 2003 sowie
2004 nicht unter die 3% Grenze kommen werden, die EU-Kommission empfahl daraufhin
dem ECOFIN-Rat ein Defizitverfahren einzuleiten.
Bei dem Beschluss über ein Defizitverfahren gegen ein Land darf das betroffene Land nicht
mitstimmen – allerdings standen ja Frankreich, Italien (mit großen Stimmgewichten) und
Grie-chenland auch in Gefahr eines Defizitverfahrens. Mittels Koalitionsbildung
stimmten die als Gruppe betroffenen Ländern im ECOFIN-Rat im November 2003 gegen
alle Defizitverfahren und hebelten damit die Bestimmungen des Maastrichtvertrages aus.
Als Konsequenz wurde der sog. Stabilitäts- und Wachstumspakt im Jahr 2005 wesentlich
entschärft, so dass eine wirksame Defizitkontrolle durch die EU-Kommission nicht mehr
möglich war. Die negativen Folgen der Aufweichung von Regelungen zur Staatsverschuldung sind mit dem Aufbrechen der europäischen Staatsschuldenkrise deutlich geworden.
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4.2 Der politische Wettbewerb
Fallstudie Stimmentausch: Koalitionsvertrag 2013
Im Koalitionsvertrag der 18. Wahlperiode haben sich die CDU und SPD vertraglich zur
Durchführung bestimmter Politikmaßnahmen innerhalb der nächsten 4 Jahre
verpflichtet. Damit stellt die deutsche „Besonderheit“ des Koalitionsvertrages eine
gute Quelle zur Veranschaulichung der möglichen Kosten des Stimmentausches dar.
Im Bereich der Rentenpolitik sind Rente mit 63 Anliegen der SPD, die Mütterrente ein
Anliegen der CDU/CSU. Beide Parteien hätten nicht die alleinige Mehrheit, um ihre
jeweiligen Anliegen durchzusetzen (CDU: 41,5%; SPD: 25,7% der Sitze im
Bundestag) und haben im Wahlkampf die Konzepte des Gegners stark kritisiert.
Ohne den Koalitionsvertrag wäre die Durchsetzung der einzelnen Punkte damit nicht
möglich. Bis 2030 fallen allein durch diese beiden Beschlüsse zusätzliche Kosten in
Höhe von ~ 50 Mrd. € bei der Rente mit 63 sowie ~90 Mrd. € bei der Mütterrente
an.
Die Beschlüsse der aktuellen Großen Koalition passen daher recht Gut zur kritischen
Sicht der Ökonomen bezüglich des Stimmentausches.
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4.3 Interessengruppen und „Rent-Seeking“
Interessengruppen nehmen wesentlich Einfluss auf die Politik:
• Was sind Interessengruppen?
• Was ist deren Ziel?
• Wieso sind manche IG erfolgreicher als andere?
Was sind Interessengruppen
• Zusammenschluss von „Nachfragern“ am politischen Markt ist eine
Interessengruppe
• Politiker sind über Wählerpräferenzen unsicher – benötigen Informationen
• IG bieten dem Politiker Informationen über Präferenzen ihrer Mitglieder an
• Relativ große und glaubwürdige IG:
• Diese Aktivitäten kommen allen Bürgern „zu Gute“ – ob sie (finanzierendes)
Mitglied der IG sind, oder nicht
 Tätigkeit der IG ist ein öffentliches Gut  Trittbrett fahren möglich
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4.3 Interessengruppen und „Rent-Seeking“
Trittbrettfahren - warum bilden sich dennoch Interessengruppen?
(siehe Kapitel 3, Folie 9; Mancur Olson 1956)
1. Gruppe ist klein und homogen (Identifizieren und Sanktionieren von Trittbrettfahrern ist möglich, Transaktionskosten der Organisation sind gering)
2. Angebot eines zusätzl. Privatgutes (ADAC, Verbraucherzentralen…)
3. Zwangsmitgliedschaft (IHK, Ärztkammern etc.)
4. Beitrag großer Gruppenmitglieder (NATO)
Daraus ergibt sich:
• Produzenteninteressen sind i.d.R. besser organisiert als Konsumenten
 vgl. Punkt 1 und 4, tw. gilt noch 3: Produzenten sind kleine, homogene
Gruppe, daher mit geringeren Transaktionskosten
 Schaden bei Konsumenten aus einer einzelnen Maßnahme pro Kopf gering
 die Gewinne weniger Produzenten sind pro Produzent groß (Bsp.:
Agrarsubventionen, „Kohlepfenning“, „EEG-Umlage“)
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4.3 Interessengruppen und „Rent-Seeking“
In welchem Maße lohnt Lobbying?
• Lobbyingausgaben sind als Investition zu sehen: Vorfinanzierung, aber unsicherer
Ertrag
• Je höher erwartete GE des Lobbying im Vergleich zum Gewinn aus regulärer
Geschäftstätigkeit (entspricht Opportunitätskosten), desto mehr lohnt Lobbying.
 In expandierenden, dynamischen Sektoren sind die Opportunitätskosten
hoch, da produktive Kräfte, die für Lobbying eingesetzt werden, nicht im
Produktionsprozess verwendet werden können.
 In schrumpfenden Sektoren hingegen liegen Ressourcen brach, die
Opportunitätskosten sind gering.
 v.a. zu Marktbedingungen nicht wettbewerbsfähige Industrien betreiben
Lobbying (Agrar, Steinkohle, Energie, Post, Werften, Flugzeugbau …)
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4.3 Interessengruppen und „Rent-Seeking“
•
•
•
Ziel der Interessengruppe:
„Rent Seeking“ (Tullock 1967): Einsatz von Ressourcen zur Rentenumverteilung statt zur
produktiven Arbeit (Rentengenerierung)
Bsp.: Monopol (Briefmonopol der Post, Schornsteinfeger, Fernbusse, TüV), Zölle,
Steuern, Subventionen, gesetzliche Regulierung (Marktzutrittsbarrieren mit Ziel,
Bestreitbarkeit von Märkten zu verringern, bspw. Meisterbrief, )
Buchanan (1980) identifiziert 3 Typen von weiterer Ressourcenverschwendung im
Lobbying/Rent-seeking-Prozess:
1. Aufwendungen des „Rentenempfängers“ (Lobbying, Spenden, evtl. Korruption)
2. Aufwendungen von Bürokraten und Politikern, um Bemühungen der Interessengruppen
zu bewerten, abzuwehren oder ihnen entgegenzukommen (evtl. regulatory capture, evtl.
Korruption)
3. Verzerrungen bei Drittparteien:
• Verzerrungen durch Steuern, welche die Subventionen finanzieren
• Finanzierung von Gegenlobbying, Entstehen von Lobbyagenturen, Think-Tanks etc. die
„Auftragslobbying“ betreiben  Ressourcenverschwendung
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4.3 Interessengruppen und „Rent-Seeking“
• Der Wohlfahrtsverlust ist damit wesentlich höher als im reinen ökonomischen Mikromodell
beschrieben: Es werden zusätzliche Ressourcen unproduktiv eingesetzt.
• Die Aktivitäten von Interessengruppen sind aus ökonomischer Sicht daher mit hohen Kosten
verbunden
Die Bildung von Interessengruppen hat jedoch auch Vorteile:
– Sie übernehmen Aufgaben, bei denen sie geringere Transaktionskosten haben als
Politiker, z.B. Ausbildungsinhalte von Berufen (Handwerkskammern),
Qualtitätskontrolle (IHK) Informationsbeschaffung (VDEW)….
– Senkung der Informationskosten aus Politiker- und Wählersicht durch Bündelung von
Interessen.
– Senkung der Verhandlungskosten durch Bündelung der Akteure.
(c) Sebastian Voll, Universität Jena
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4.3 Interessengruppen und „Rent-Seeking“
Integration von Interessengruppen in das Downs-Modell
• Politiker kann „wahre“ Verteilung der Wähler-Interessen nicht beobachten (Informationsasymmetrie); nicht alle Wähler gehen wählen (Wahlbeteiligung in Deutschland: 70%)
• Interessengruppen können aber ihre Position und ihre Mitgliederzahl artikulieren
• und angeben, dass Mitglieder mit hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlich für Kandidaten
wählen, wenn dieser die geforderten Positionen der Interessengruppen bedient
 Bild der Politiker über Wählerpräferenzen wird verzerrt
• Dadurch können IG auch Interessen durchsetzen,
welche den Mehrheitspräferenzen Entgegen
laufen
• Hängt ab von Größe und Glaubwürdigkeit der
Interessengruppen
• Dies beeinflusst wiederum Positionierung des
Politikers bei der Wahl (Rentengarantie,
Mindestlohn, Atomausstieg…)
• Durch Entfremdung: Wahlsieg bei „nichtA
median“ Positionierung dennoch möglich
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Stimmenanteil
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Dges
DIG1
DIG2
23
4.3 Interessengruppen und „Rent-Seeking“
Was lässt sich hieraus für die praktische Wirtschaftspolitik ableiten?
•
Interessengruppen versuchen auf Renten von anderen Wählern auf ihre
Mitglieder umzuverteilen, haben das gesamwirtschaftliche Wohl nicht im Auge
•
Versuchen sowohl in der Innenkommunikation (mit Mitgliedern) als auch
Außenkommunikation (Politiker, Medien) möglichst große Mehrheit der Wähler
hinter sich zu bringen, um dem Politiker eine große Wählerbasis zu signalisieren
•
Wichtig in der wirtschaftspolitischen Diskussion ist daher, diese Aussagen auf
ihre dahinterstehenden Werturteile zu prüfen
Und die Implikationen einzelner Lobbying-Bemühungen für alle Wähler
sichtbar zu machen (Kosten-Nutzen Kalkül und ökonomische Alternativen
aufzeigen)
•
•
Da sich Produzenten tendenziell besser organisieren können als Konsumenten,
könnte der Staat bei einzelnen Themen durch Schaffung von Kommunikationsportalen eine Organisation der Konsumenteninteressen fördern
(„Verbraucherportal“)
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4.4 Politische Ökonomie der Bürokratie
•
•
Beamte sorgen dafür, dass die Beschlüsse eines Gemeinwesens umgesetzt werden. Sie
sind daher wesentlicher Teil des politischen Systems.
Wie alle Individuen möchten auch sie ihren Nutzen maximieren: „Jekyll und Hyde“
Annahme, wenn Nutzenmaximierung nur für das Privatleben der Beamten gilt
•
In der Realität liegt ein (mindestens) zweistufiges PAP vor:
– Politiker ist Agent des Wählers
Informationsasymmetrien
– Bürokrat ist Agent des Politikers
 Großer Handlungsspielraum für Bürokraten
•
•
•
•
•
Das Grundmodell von Niskanen (1971):
(Chef-)bürokrat erhält Gehalt abhängig von Größe seines Bereiches
Bei Eigennutzmaximierung (Gehalt): Maximierung des Budgets des Büros
Wähler geben MZB für ein ÖG an Politiker weiter
Politiker gibt MZB der Wähler an Bürokraten weiter
Politiker kann Grenzkosten des Büros nicht beobachten - er bekommt vom B. am Ende
nur „die Rechnung“ für eine bestimmte Menge ÖG
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4.4 Politische Ökonomie der Bürokratie
GE
Nutzen
x: Gut, von Politiker angeboten, von Bürokrat
bereitgestellt, von Wähler nachgefragt
Kosten
Kosten (GK): Bereitstellungsgrenzkosten des
Gutes durch Bürokraten (kennt nur der
Bürokrat)
x
Nutzen (MZB): Durch Politiker geschätzte
(marginale) Zahlungsbereitschaft der Wähler
GE
A
D
MZB
XE: allokativ optimale Menge (Rente: ABC)
XN: Von Bürokraten bereitgestellte Menge
(Rente: ABC-CDE=0)
Da Kosten=Nutzen und nicht GK=GN: Menge x
zu hoch
C
B
E
xE
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GK
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xN
x
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4.4 Politische Ökonomie der Bürokratie
Im Verständnis der Rolle von Beamten gibt es wesentliche Unterschiede zwischen den Nationen.
Es ist eine Tendenz der deutschen Staatswissenschaft, Politik und Verwaltung als idealisiertes
Bild darzustellen. In den meisten anderen Nationen existiert diese Vorstellung nicht . Die Bürokratietheorie im Rahmen des Public Choice Ansatzes hat sich nicht umsonst in den USA entwikkelt, wo die Leitvorstellung des „limited government“ auch gegen die Idealisierung eines allgemeinwohlorientierten Beamtenstandes wirkt.
Mit der Nationwerdung Deutschlands wurde dem Beamtentum eine wesentliche Rolle innerhalb
des Staates zugeschrieben, welche mit einem Idealbild verbunden ist. Max Weber schreibt bspw.
(1922, S.825): Das moderne Beamtentum beruht auf „…Anstellung, Gehalt, …, fachmäßiger
Schulung und Arbeitsteilung, festen Kompetenzen, …, hierarchischer Unter- und Überordnung“.
Individuelle Motive werden in diesem Ideal ausgeblendet.
Diese Ansicht findet sich auch in den „hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums“ (Art.
33 V GG) und ist auch im Beamtenrechtsrahmengesetzt (§35 I, S1, S2) enthalten: „Der Beamte
diene dem ganzen Volk. …[Er] hat bei seiner Amtsführung auf das Wohl der Allgemeinheit bedacht zu nehmen“. Diese geforderte Überparteilichkeit entspringt auch dem idealisierten Beamtenverständnis nach Friedrich Hegel (1821) wonach der Beamte das Allgemeine Interesse gegenüber den egoistischen Partikularinteressen zur Geltung bringt.
Die moderene Bürokratietheorie nach Niskanen unterstellt zwar auch ein Unterordnungsverhältnis
des Bürokraten unter die Weisungen des Politikers – allerdings hat der B. bei der Verwirklichung
Freiheitsspielräume durch asymmetrische Information, welche er zur Eigennutzmaximierung
ausnutzen wird.
(c) Sebastian Voll, Universität Jena
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4.4 Politische Ökonomie der Bürokratie
Was kann man aus diesem Ansatz für die praktische Wirtschaftspolitik ableiten?
•
Aus dem Modell:
 Überversorgung der Bürger mit öffentlich bereitgestellten Gütern ist zu erwarten
 Beispiele: Kultur, Öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Bundesagentur für Arbeit
•
In Erweiterungen des Modells:
 Einzelne Bürokratien entwickeln ein „Eigenleben“: nutzen PAP zum Politiker/zum
Wähler aus um eigene Interessen voranzubringen (Bsp: 8 vs. 9-Jährige Abiturzeit)
 Einzelne Bürokratien sind innovativ: zur Ausdehnung des eigenen Budgets werden
neue „Produkte“ angeboten (BIZ, EU-Kommission, Fachhochschulen…) 
„Parkinsons Gesetz“ (1955)
•
Schlussfolgerungen für das Sanktions- und Anreizsystem von Bürokratien
 Budget- bzw. Erfolgskontrollen der Bürokratien durch Externe sind nötig (wo
möglich)
 Zulassen externer (privater) Konkurrenz oder interner Konkurrenz bzw.
Benchmarking-Vergleiche mit anderen Regionen
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4.4 Politische Ökonomie der Bürokratie
•
•
•
Weiterentwicklungen/Ergänzungen des Niskanen-Modells (Auswahl)
„Slack“-Maxmimierung statt Budgetmaximierung
– Nutzen des Bürokraten besteht nicht alleine aus hohem Budget.
– höhere Gehälter, Dienstwagen, viele Mitarbeiter, großes Büro, wenig Anstrenung
(shirking) etc.
– Folge: (G)K-Kurve über optimaler (G)K-Kurve, x kleiner als xN. (X-Ineffizienz,
„Slack“)
„Capture“-Theorie der Regulierung:
– Bürokratie vertritt nach einiger Zeit Position der zu regulierenden Branche.
– Ziel ist friedliche Koexistenz und Sicherung der Regulierung, da Behörde sonst
überflüssig wird
– Alternativ: Hoffnung der Bürokraten auf gut bezahlten Job in Privatwirtschaft 
Produzentenfreundliche Regulierung als „signaling“
Keine klare Trennung von Politikern und Bürokraten:
– Parlamentarier kommen häufig aus der Bürokratie und wechseln später wieder
dorthin.
– Letztlich „Kartellbildung“ von Politik und Bürokratie zu Lasten der Bürger („Staat als
Leviathan“)
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4.4 Politische Ökonomie der Bürokratie
Extremform des Bürokratiemodells – der „Staat als Leviathan“ (Brennan, Buchanan, 1980)
•
Allokationstheorie:
– Staat stellt die von den Bürgern gewünschte Menge an öffentlichen Gütern bereit und
erhebt dafür Steuern
– Greift bei Marktversagen effizienzsteigernd ein
– Annahme:
• „Staat“ als wohlwollender Diktator  aber: historisch gesehen naiv
• Politischer Wettbewerb beschränkt Entscheidungsträger auf die von Bürgern gewünschten
Alternativen  aber: idealisierte Darstellung des politischen Wettbewerbs
•
Leviathan-Modell: Brennan und Buchanan, 1980:
– Politik und Verwaltung agieren mit gemeinsamen Ziel des Ausbaus von (ökonomischer)
Macht und Einkommen des Staates: „politisches Kartell“ – Staat als Monopolist
– Staat ist „malvolenter“ Steueraufkommenmaximierer und Umverteiler  „Laffer-Kurve“
– Politischer Wettbewerb hilft nicht, dies zu beschränken:
• Steueraufkommen wir maximal erhoben
• Und auf die für (Wieder-)Wahl notwendigen Interessengruppen bzw. Wählerschichten
umverteilt
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4.4 Politische Ökonomie der Bürokratie
Fallstudie Staatsausgaben und Beschäftigung im öffentlichen Dienst
Die vom Leviathan-Modell und der Bürokratietheorie getroffene Grundaussage der stetig
steigenden Staatstätigkeit findet Unterstützung in den Daten des öffentlichen Dienstes sowie
der Staatsausgaben.
Die gesamten Staatsausgaben haben sich, mit leichten Schwankungen, von 1950 bis 2010 von
ehemals 31,6% des BIP auf 46,6% erhöht (Bundesbank, 2012). Dies bedeutet, dass die
Staatstätigkeit nicht nur mit der gesamten Wirtschaftskraft proportional, sondern
überproportional gewachsen ist, was im Einklang mit dem Leviathanmodell stehen würde.
Ähnliches lässt sich in der langen Frist für die Beschäftigten der staatlichen Verwaltung
beobachten: 1913 waren ca. 902.000 vollzeitäquivalente Stellen in der staatlichen Verwaltung
besetzt, 1950 ca. 1,3 Mio. und 2005 immerhin ca. 2,7 Mio. Dies entspricht einer Steigerung
bis 1950 auf 150% und bis 2005 auf ca. 300% - während die Bevölkerung in Deutschland
von 65 Mio. auf heute ca. 82 Mio – und damit auf 126% des Wertes von 1913 gestiegen ist.
(Blankart, 2008, S. 473). Waren 1950 ca. 11% der Erwerbstätigen vom Staat beschäftigt, lag
der Anteil 1994 bei 17% (Blankart, 2008, S.474; Daten ab 1995 nicht mit vorherigem
Zeitraum vergleichbar).
Der Anstieg der Beschäftigtenzahlen im Staatsdienst ließe sich wiederum mit den
Bürokratiemodellen seit Niskanen sowie der Kartellbildung zu Lasten der Bürger von Politik
und Bürokratie erklären.
(c) Sebastian Voll, Universität Jena
Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15
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4.4 Politische Ökonomie der Bürokratie
•
Lösung des Leviathan-Problems ist nur auf Verfassungsebene möglich
– Beschränkung der Besteuerungsmöglichkeiten des Staates
•
•
•
•
Keine Kopfsteuern (Existenzminimum, Beschränkung der Steuerbasis)
Eigentumsrechte – übermäßige Besteuerung als Form der Enteignung
Unabhängigkeit der Geldpolitik – Seignorage als „Inflationssteuer“
Grundprinzipien der Besteuerung: Gleichmäßigkeit, Leistungsfähigkeitsprinzip
– Systemwettbewerb und Föderalismus: Jurisdiktionen als „Clubs“ und Abstimmung
mit den Füßen
– Subsidiaritätsprinzip in Verbindung mit direkter Demokratie (Beispiel Schweiz)
– Beschränkung der Verschuldungsmöglichkeit des Staates
 Regelbindung staatlicher Entscheidungsträger
(c) Sebastian Voll, Universität Jena
Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15
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4.5 Positive Theorie wirtschaftspolitischer Reformen
•
Notwendigkeit von Reformen:
–
–
–
–
•
R. bei Struktur und Anreizwirkungen von bestehenden…
…Markteingriffen und Regulierung,
Umverteilungsmaßnahmen (Zielgenauigkeit, Nachhaltigkeit)…
…wenn sich die bisherige Struktur als ineffizient und nicht nachhaltig erweist
Probleme bei Beschluss und Umsetzung von Reformen:
– Jede Reform verursacht in der kurzen Frist Verlierer, langfristig gibt es Gewinner und Verlierer
( Pareto-Kriterium nicht möglich)
– Verlierer erkennen drohende Verluste sofort (späteres Renteneintrittsalter, niedrigere EEGUmlage, Reform des Meisterzwangs bei bestimmten Berufen…)
– und versuchen über Interessengruppen die Reformen zu verhindern.
– Gewinne sind auf viele Individuen verteilt und tw. nicht sofort zu identifizieren/ quantifizieren
 Organisation der Verlierer in IG gelingt meist relativ gut – potentielle Reformgewinner
haben geringes Mobilisierungspotential
(c) Sebastian Voll, Universität Jena
Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15
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4.5 Positive Theorie wirtschaftspolitischer Reformen
•
Theoretische Grundlagen
Nach welchen Kriterien soll entschieden werden, ob „Reformen“ durchgeführt werden
müssen?
1) Pareto-Kriterium:
2) Kompensationskriterien:
– Paretianische Kompensation: positiver Gesamtnutzen, Umverteilung als
Entschädigung von Gewinnern zu „Reformverlierern“  Pareto-Optimalität durch
Kompensation
– Hypothetische Kompensation (Kaldor, 1939; Hicks, 1940; Scitovsky, 1942) :
positiver Gesamtnutzen ermöglicht theoretisch Kompensation, diese wird aber nicht
durchgeführt
3) Kriterium der Quasi-Pareto-Optimalität (C.C. von Weizsäcker, 1984):
– Fokus auf einzelne Maßnahmen falsch
– Frage nach dem Regime, in dem die Bürger leben wollen: änderungsfreudig,
reformfähig, auf Gruppen bedacht oder einzelfallorientiertes Kompensationsregime
– Idee der Generalkompensation:
(c) Sebastian Voll, Universität Jena
Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15
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4.5 Positive Theorie wirtschaftspolitischer Reformen
• Unter welchen Bedingungen sind Reformen „gut“ durchzusetzen:
– Günstiger Zeitpunkt: Anfang einer Wahlperiode – positive Wirkungen der R. bis zur
nächsten Wahl möglich
– umfassende Reformen: Reformpakete (Bsp. Australien, Dänemark, Irland…) statt
Einzelreformen (Hartz IV)  Generalkompensation
– Starkes Gegen-Lobbying mit Umkehr der Beweislast: Kosten des status-quo
offenlegen
– Einbindung von Interessengruppen in die Folgekosten ihres Machteinflusses
(Gewerkschaften und Arbeitslosenversicherung, Bsp. Dänemark; Atomenergie und
Endlagerung)
– externer Druck („dirty-work-hypothesis“): Stabilitätspakt und EU-Kommission
– Leider auch Glück: „gute“ Politiker, wirtschaftspolitische Berater, Zeitgeist
• Normativ: proaktives vs. pathologisches Lernen im Reformprozess
(c) Sebastian Voll, Universität Jena
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4.6 Normative Schlussfolgerungen
Ökonomische Analyse des politischen Prozesses zeichnet ein pessimistisches Bild:
• Medianwähler, Interessengruppen und Bürokratie sorgen für Abweichen von
ökonomisch rationalen Alternativen
 Staat als Leviathan, der zur Medianposition oder zu Gunsten von
Partikularinteressen umverteilt (im Extremfall)
• Reformprozesse sind schwierig und werden regelmäßig unterbunden:
 Politsche Hysterese, pathologisches Lernen
•
1.
2.
3.
Arbeitsteilung von Staat und Markt:
Kapitel 2 und 3: benevolente Diktator  Kapitel 4: nutzenmaximierende
Individuen
Ordnungspolitik vs. prozesspolitischer Dirigismus  Arbeitsteilung
Regelbindung vs. Diskretion  Konsistenz der Anreizstrukturen
Angebotspolitik vs. Nachfragepolitik  Reformen
(c) Sebastian Voll, Universität Jena
Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15
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Übungsfragen
1.
2.
3.
4.
5.
Erläutern Sie die Annahmen des Public Choice Ansatzes der politischen Ökonomie
und die Rolle der Akteure auf dem politischen Markt. Wer ist dabei Anbieter, wer
Nachfrager auf dem politischen Markt?
Erläutern Sie an Hand des Hotelling-Downs Modells, wieso sich die
Parteiprogramme der großen Volksparteien im Zeitablauf angleichen. Was bedeutet
dies für den sog. Medianwähler? Erläutern Sie auch diesen Begriff.
Was ist das sog. „Log-Rolling“, und wieso sehen Ökonomen darin die Gefahr, dass
sich das Staatsbudget ineffizient weit ausdehnt?
Beurteilen Sie das „Lobbying“ als Aktivität von Interessengruppen aus
wohlfahrtsökonomischer Perspektive. Erläutern Sie dazu auch den Begriff „Rent
Seeking“ (rentensuchendes Verhalten). Gehen Sie dabei auf die Wohlfahrtskosten
einer erfolgreichen Lobbying-Aktivität ein, bspw. durch einen Zoll, Einschränkung
des Wettbewerbs oder eine Subvention ein. Welche zusätzlichen Kosten entstehen
über diese Wohlfahrtseffekte hinaus?
Welche Annahme(n) aus dem Hotelling-Downs-Modell aus Aufgabe 1 müssen Sie
fallen lassen, damit Interessengruppen ihre Rolle bei bevorstehenden Wahlen
erfüllen? Wie wirkt sich dies auf das Ergebnis (Medianwähler) aus?
(c) Sebastian Voll, Universität Jena
Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15
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Übungsfragen
6.
Wie lässt sich mit Hilfe eines Prinzipal-Agent-Ansatzes erklären, dass Bürokratien ihre
Aktivitäten teilweise suboptimal weit ausdehnen? Erläutern Sie dazu das grundlegende
Bürokratiemodell nach Niskanen auch mit Hilfe einer Graphik. Können Sie ein Beispiel
für diese These finden?
7. Welche Annahmen und Aussagen trifft das sog. „Leviathan-Modell“ der Besteuerung?
8. Welche Aspekte beeinflussen nach der ökonomischen Theorie der Reformen die
Wahrscheinlichkeit erfolgreicher wirtschaftspolitischen Reformen positiv, welche
negativ? Was bezeichnen in diesem Zusammenhang die Begriffe der „politischen
Hysterese“ und des „pathologischen Lernens“?
9. Der Bund der Steuerzahler gilt als einzige organisierte Interessenvertretung aller
Steuerpflichtigen Bürger in Deutschland. Dennoch wird seine Stimme von der Politik
wenig wahrgenommen, was an der sehr geringen Mitgliederzahl im Verhältnis zur den
Steuerpflichtigen liegt. Erläutern Sie an Hand Mancur Olsons Bedingungen zur
Bereitstellung kollektiver Güter die geringe Anzahl der im Bund der Steuerzahler
organisierten Bürger.
(c) Sebastian Voll, Universität Jena
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