Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/2015 (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 1 4. Politische Ökonomie staatlicher Eingriffe • • • • • • • Lernziele Die Problematik des Staatsversagens aus Sicht der politischen Ökonomie verstanden haben Die Akteure am politischen Markt kennen und deren Rolle erläutern können Das Grundmodell von Downs und grundlegende Erweiterungen verstanden haben und dies auf reale Fragestellungen übertragen können Die Begriffe Stimmentausch, Rent-Seeking, Lobbying erklären können Die Rolle von Interessengruppen im politischen Prozess, bei Wahlentscheidungen und die Wohlfahrtskosten des Lobbying erläutern können Bedeutung und Ablauf des grundlegenden ökonomischen Bürokratiemodells nach Niskanen erläutern können Als Synthese aus den Kapitel 2; 3 und 4 Schlussfolgerungen für erfolgreiche wirtschaftspolitische Reformen nachvollziehen können (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 2 4. Politische Ökonomie staatlicher Eingriffe • Inhalt 4.1 Grundlagen 4.2 Der politische Wettbewerb 4.3 Interessengruppen und „Rent-Seeking“ 4.4 Ökonomische Theorie der Bürokratie 4.5 Ökonomische Theorie der Reformen • Grundlagen: – Politiker und Verwaltung maximieren nicht zwingend die nationale Wohlfahrt, sondern verfolgen rational Eigeninteressen – Politischer Wettbewerb zwischen den Parteien führt zu einem Angleichen der Wahlprogramme in Richtung der politischen Mitte – Produzenten können i.d.R. ihre Interessen leichter gegenüber der Politik artikulieren, der dadurch induzierte Wohlfahrtsverlust geht über den reinen „dead-weight-loss“ hinaus – Das Prinzipal-Agent-Problem zwischen Politiker und Verwaltung führt zu ineffizienter Verwaltung (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 3 4.1 Grundlagen • Ergebnis von Kapitel 3: – In bestimmten Fällen versagen die Märkte in ihrer Funktion, allokative Effizienz herzustellen – Dann muss der Staat eingreifen Einzelfallentscheidung, wie ein optimaler Eingriff aus ökonomischer Sicht aussieht – Implizite Annahme: „Der Staat“ maximiert die soziale Wohlfahrt („benevolente Diktator“) • Aber: „der Staat“ vs. heterogene Akteure innerhalb des Gemeinwesens, die verschiedene Rollen ausführen: Politiker, Wähler, Verwaltung, Richter etc. Wie verhalten sich Individuen in diesen Rollen? Methodologischer Individualismus: Eigennutzmaximierung Selbe Kalkül, welches den I. bei ihren anderen wirtschaftlichen Handlungen unterstellt wird, gilt auch für politischen Prozess Individuelles Handeln wird von den Anreizstrukturen des institutionellen Umfeldes beeinflusst – was passiert, wenn Eigennutz auf dieses Umfeld trifft? (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 4 4.1 Grundlagen • Fehlende Wohlfahrtsmaximierung mögliches Staatsversagen: – Eingriff dort, wo kein Marktversagen herrscht – Kein Eingriff dort, wo Markversagen herrscht – Falsche/ineffiziente Regulierung bzw. Umverteilung (Kosten höher als Nutzen)… – Interventionsspiralen bzw. politische Hysterese: Staatsversagen führt zu Marktversagen, Staat fühlt sich wieder genötigt einzugreifen Staatsversagen (Bsp. dt. Krankenversicherung, Rentenversicherung, MiniJobs und Mindestlohn, Energiewende…) Die individuelle Nutzenmaximierung der Akteure im Staatswesen führt nicht unbedingt zur gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsmaximierung. (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 5 4.2 Der politische Wettbewerb Im Wesentlichen sind vier Akteure am „politischen Markt“ beteiligt: • Regierung und Parteien „Angebot“ am politischen Markt • Staatliche Verwaltung • Wähler „Nachfrage“ am politischen Markt • Interessengruppen • • • 1. Rolle des Politikers und der staatlichen Verwaltung „Politischer Unternehmer“ maximiert seinen Nutzen unter der Nebenbedingung, wieder gewählt zu werden. Er bietet ein „politisches Güterbündel“ an, welches zur Wahl steht. In seine Nutzenfunktion fließen hierbei ideologische Vorstellungen, Vorteile des öffentlichen Amtes etc. mit ein. All das unter der Nebenbedingung, bei der Erfüllung dieser Wünsche auch gewählt zu werden. Ähnliches gilt für die Bürokraten: Sie maximieren ihren Eigennutzen unter der Nebenbedingung, weiterbeschäftigt zu werden. (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 6 4.2 Der politische Wettbewerb • • • • • 2. Rolle der Wähler Auch der Wähler ist Eigennutzmaximierer; er wählt dasjenige Programm, welches seinen Präferenzen am nächsten kommt. Realistischerweise ist er hierbei „rational uninformiert“: er informiert sich nicht vollständig über die Wahlprogramme. Kalkül: GN=GK der Informationsbeschaffung. Hieraus ergeben sich Informationsasymmetrien, die von Politikern ausgenutzt werden können 3. Rolle der Interessengruppen Verringern die Unsicherheit der Politiker über Wählerinteressen senken Informationskosten für Wähler und Politiker Senken Verhandlungskosten im politischen Prozess durch Interessenbündelung Ziel der IG ist nicht die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt, sondern der Gewinn ökonomischer Renten für die Mitglieder auch auf Kosten anderer u.U. Wohlfahrtsverluste! (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 7 4.2 Der politische Wettbewerb • • • Programmwahl von Parteien: Das Hotelling-Downs Modell (1957) Politiker/Parteien („politische Unternehmer“) stehen mit ihren Programmen im Wettbewerb um die Wählerstimmen. Problem der Politiker: Welches Programm den Wählern anbieten? Grundmodell von Downs (1957) in Anlehnung an Hotelling‘s Modell räumlichen Wettbewerbs (1926) Annahmen: • 2 Parteien, Wahlprogramme haben nur eine Dimension • Politiker wollen ins Amt gewählt zu werden, um dort ihren Nutzen zu maximieren • Wähler wählen das Programm, das ihren Präferenzen am nächsten kommt • Vollständige Information, Wahlbeteiligung 100%, Wählerschaft normalverteilt • Es gewinnt die Partei, die mind. 50%+1 Stimme erhält. (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 8 4.2 Der politische Wettbewerb Stimmenanteil L: Programm der Linkspartei R: Programm der Rechtspartei Alle Wähler zw. A und X wählen L, da es ihren Präferenzen am nächsten kommt. Alle Wähler zw. X und B wählen R, da es ihren Präferenzen am nächsten kommt. L erhält mehr als 50% und gewinnt die Wahl A Stimmenanteil L X R 50% B Politisches Spektrum Was macht die Rechtspartei, um Chance auf Wahlsieg zu haben? „Ruck nach Links“ A L XI R 50% (c) Sebastian Voll, Universität Jena B Politisches Spektrum Nun wählen alle Wähler zw. XI und B die Rechtspartei, da es ihren Präferenzen am nächsten kommt. Partei L wird nur noch von den Wählern zw. A und XI gewählt Rechtspartei erhält mehr als 50% der Stimmen und gewinnt die Wahl. Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 9 4.2 Der politische Wettbewerb • Nun wird sich wiederum die Linkspartei weiter nach rechts bewegen etc. • Im Endergebnis vereinen beide Parteien je 50% der Stimmen auf sich (Wahlergebnis dann Zufall) • Beide Wahlprogramme entsprechen den Präferenzen des Wählers, der bei 50% der Stimmen positioniert ist: “Medianwähler” als politisches Zentrum und Mitte Medianwählertheorem: Die Medianposition wird sich im politischen Wettbewerb durchsetzen Stimmenanteil A (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 50%; R; L Politisches Spektrum 10 4.2 Der politische Wettbewerb Was kann man aus diesem Modell für die praktische Wirtschaftspolitik ableiten? • • • • • • • • Abstrakt: Der Medianwähler kann nicht verlieren (gut aus Demokratiesicht, da keine Diktatur der Minderheiten) – aber seine Präferenzen müssen nicht ökonomisch optimal sein Kritik am Modell: Einfluss von Geldgebern wird nicht beachtet Rolle von Interessengruppen wird nicht beachtet Einfluss loyaler Wähler Möglichkeit, nicht zur Wahl zu gehen (Entfremdung und Entstehen neuer Parteien) Informationsprobleme (Wähler- und Parteienseite) Glaubwürdigkeitsprobleme bei Wechsel des Programms Problem des „log-rolling“ (Stimmentausch): Minderheit wird zu Mehrheit, Medianwähler nicht mehr ausschlaggebend (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 11 4.2 Der politische Wettbewerb Fallbeispiel Medianwählermodell – Distributionspolitik in Deutschland Die Hinwendung bzw. stärkere Ausgestaltung der Sozialpolitik ab der Mitte der 1970er Jahre bis Mitte der 1980ger Jahre in Richtung der Präferenzen ausgebildeter Facharbeiter bzw. Angestellter kann mit dem Medianwählermodell erklärt werden. Arbeitslosengeld, welches für eine relative Lange Dauer (bis 2006: bis zu 32 Monate) ein relativ hohes Einkommen gesichert hat und damit; Rentenversicherung, welche zum Ziel die Stabilisierung des Einkommensniveaus nach der Erwerbszeit hatte und sich in ihren Steigerungen an den Produktivitätssteigerungen der Wirtschaft ausrichtete statt an Kriterien der Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit oder Bedürftigkeit. Ähnlich ließe sich die Zuwendung der SPD unter Gerhard Schröder auf die politischen Bedürfnisse der sog. „Neuen Mitte“ (studierte Angestellte und Selbständige, Berufstätige Frauen, welche seit Mitte der 1990er Jahre als Medianwählergruppe identifiziert werden kann) und die damit einhergehende Reformagenda 2010 erklären. Neben der Unmöglichkeit, Distributionspolitik ohne starke Werturteile zu betreiben, sind Ökonomen mit Blick auf das Medianwählermodell skeptisch, was Umverteilungspolitik angeht. Nach dem Medianwählermodell wird Verteilungspolitik sich wenig an ethischmoralischen Kriterien der Bedürftigkeit ausrichten – Beispiele in Deutschland sind die Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeitsrenten, Rentenzahlungen unterhalb des Existenzminimums, die schlechteren Schulabschlüsse von Kindern aus bildungsfernen Haushalten und die niedrigere Studierendenquote von Kindern aus Arbeiterhaushalten, um nur einige zu nennen. (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 12 4.2 Der politische Wettbewerb • Erweiterungen des Downs-Modells (nur eine Auswahl): – Entfremdung der Wähler: • überschreitet die Distanz zwischen Wählerpräferenzen und Parteiprogrammen eine bestimmten Wert, geht ein Individuum nicht mehr wählen • Medianwählerergebnis ist dann abhängig von Verteilung – bei unimodaler Verteilung hält das Medianwählerergebnis, bei bimodaler V. kommt es zu „Polarisierung“ der Parteien – Unsicherheit der Politiker über Wählerpräferenzen, aber mit eigenen Präferenzen: • Politiker bewegen sich von eigenen Präferenzen auf Medianwähler zu • Aber nicht vollständig – die Wahlprogramme der Parteien gleichen sich nicht 100% an – Multidimensionale Wahlthemen: • Nicht mehr nur „links-rechts“ Entscheidung im Wahlkampf, sondern beliebig viele Themen • Keine 100% Annäherung an Medianwähler, aber um den Median herum existiert ein Set an politischen Programmen, welches idealerweise von den Politikern angestrebt werden muss, um nicht auf jeden Fall gegen andere Parteien (in diesem Set) zu verlieren ( Plott‘s theorem) (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 13 4.2 Der politische Wettbewerb Log-Rolling – Stimmentausch und Koalitionsbildung: Gruppe 1 stimmt für ein Vorhaben von Gruppe 2, wenn diese im Gegenzug für das Vorhaben von Gruppe 1 stimmt. Stimmenanteile Bauern 30 40 30 Zur getrennten Abstimmung stehen 1. Subvention für A durch eine Steuer für C. 2. Subvention für B durch eine Steuer für C. (c) Sebastian Voll, Universität Jena Kohlebergbau Verarbeitendes Gewerbe Alternative Interpretation: Steuer für A,B,C aber: Nettogewinn für A/B durch jeweilige Subvention Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 14 4.2 Der politische Wettbewerb •Stimmt jede Gruppe nur für oder gegen eine sie betreffende Maßnahme und enthält sich sonst: beide Maßnahmen werden abgelehnt, da eine Mehrheit dagegen stimmt (30% pro, 40% contra, 30% Enthaltung). •Schließen sich Gruppe A und B zusammen und helfen jeweils der anderen Gruppe bei der Abstimmung: beide Maßnahmen werden angenommen, da eine Mehrheit (60%) dafür stimmt. Fazit für die praktische Wirtschaftspolitik: • • • • Koalitionsbildung kann dazu führen, dass der Medianwähler nicht in allen Themen gewinnt Politisch gesehen ermöglichen solche Koalitionen erst stabile Regierungen Aus ökonomischer Sicht sind große Teile der Ausgabensteigerungen der Staaten aber nur durch Koalitionsbildung zu erklären Da fast immer Verteilungsaspekte betroffen sind: nicht pareto-optimal (eine Gruppe stellt sich schlechter, die andere besser) (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 15 4.2 Der politische Wettbewerb Fallstudie Stimmentausch: Die Abstimmung Deutschlands im Defizitverfahren 2003/2004 Eine Voraussetzung für die deutsche Zustimmung zu einer gemeinsamen Währungsunion in Europa waren strikte Bestimmungen zur Höhe des jeweiligen Haushaltsdefizits eines Mitglieds pro Jahr. Dies wurde im Maastrichtvertrag 1992 mit höchsten 3% des BIP pro Jahr festgeschrieben. Bei Überschreitung der Neuverschuldungsgrenze hatte die EUKommission zu warnen und die Länder konnten im ECOFIN-Rat über Maßnahmen gegen das Land bis hin zu Sanktionen in Form von Geldbußen beraten. Anfang 2003 war klar, dass Deutschland, Frankreich und Italien wahrscheinlich die 3% Grenze in diesem Jahr verletzen. Mitte des Jahres war absehbar, dass D und F 2003 sowie 2004 nicht unter die 3% Grenze kommen werden, die EU-Kommission empfahl daraufhin dem ECOFIN-Rat ein Defizitverfahren einzuleiten. Bei dem Beschluss über ein Defizitverfahren gegen ein Land darf das betroffene Land nicht mitstimmen – allerdings standen ja Frankreich, Italien (mit großen Stimmgewichten) und Grie-chenland auch in Gefahr eines Defizitverfahrens. Mittels Koalitionsbildung stimmten die als Gruppe betroffenen Ländern im ECOFIN-Rat im November 2003 gegen alle Defizitverfahren und hebelten damit die Bestimmungen des Maastrichtvertrages aus. Als Konsequenz wurde der sog. Stabilitäts- und Wachstumspakt im Jahr 2005 wesentlich entschärft, so dass eine wirksame Defizitkontrolle durch die EU-Kommission nicht mehr möglich war. Die negativen Folgen der Aufweichung von Regelungen zur Staatsverschuldung sind mit dem Aufbrechen der europäischen Staatsschuldenkrise deutlich geworden. (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 16 4.2 Der politische Wettbewerb Fallstudie Stimmentausch: Koalitionsvertrag 2013 Im Koalitionsvertrag der 18. Wahlperiode haben sich die CDU und SPD vertraglich zur Durchführung bestimmter Politikmaßnahmen innerhalb der nächsten 4 Jahre verpflichtet. Damit stellt die deutsche „Besonderheit“ des Koalitionsvertrages eine gute Quelle zur Veranschaulichung der möglichen Kosten des Stimmentausches dar. Im Bereich der Rentenpolitik sind Rente mit 63 Anliegen der SPD, die Mütterrente ein Anliegen der CDU/CSU. Beide Parteien hätten nicht die alleinige Mehrheit, um ihre jeweiligen Anliegen durchzusetzen (CDU: 41,5%; SPD: 25,7% der Sitze im Bundestag) und haben im Wahlkampf die Konzepte des Gegners stark kritisiert. Ohne den Koalitionsvertrag wäre die Durchsetzung der einzelnen Punkte damit nicht möglich. Bis 2030 fallen allein durch diese beiden Beschlüsse zusätzliche Kosten in Höhe von ~ 50 Mrd. € bei der Rente mit 63 sowie ~90 Mrd. € bei der Mütterrente an. Die Beschlüsse der aktuellen Großen Koalition passen daher recht Gut zur kritischen Sicht der Ökonomen bezüglich des Stimmentausches. (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 17 4.3 Interessengruppen und „Rent-Seeking“ Interessengruppen nehmen wesentlich Einfluss auf die Politik: • Was sind Interessengruppen? • Was ist deren Ziel? • Wieso sind manche IG erfolgreicher als andere? Was sind Interessengruppen • Zusammenschluss von „Nachfragern“ am politischen Markt ist eine Interessengruppe • Politiker sind über Wählerpräferenzen unsicher – benötigen Informationen • IG bieten dem Politiker Informationen über Präferenzen ihrer Mitglieder an • Relativ große und glaubwürdige IG: • Diese Aktivitäten kommen allen Bürgern „zu Gute“ – ob sie (finanzierendes) Mitglied der IG sind, oder nicht Tätigkeit der IG ist ein öffentliches Gut Trittbrett fahren möglich (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 18 4.3 Interessengruppen und „Rent-Seeking“ Trittbrettfahren - warum bilden sich dennoch Interessengruppen? (siehe Kapitel 3, Folie 9; Mancur Olson 1956) 1. Gruppe ist klein und homogen (Identifizieren und Sanktionieren von Trittbrettfahrern ist möglich, Transaktionskosten der Organisation sind gering) 2. Angebot eines zusätzl. Privatgutes (ADAC, Verbraucherzentralen…) 3. Zwangsmitgliedschaft (IHK, Ärztkammern etc.) 4. Beitrag großer Gruppenmitglieder (NATO) Daraus ergibt sich: • Produzenteninteressen sind i.d.R. besser organisiert als Konsumenten vgl. Punkt 1 und 4, tw. gilt noch 3: Produzenten sind kleine, homogene Gruppe, daher mit geringeren Transaktionskosten Schaden bei Konsumenten aus einer einzelnen Maßnahme pro Kopf gering die Gewinne weniger Produzenten sind pro Produzent groß (Bsp.: Agrarsubventionen, „Kohlepfenning“, „EEG-Umlage“) (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 19 4.3 Interessengruppen und „Rent-Seeking“ In welchem Maße lohnt Lobbying? • Lobbyingausgaben sind als Investition zu sehen: Vorfinanzierung, aber unsicherer Ertrag • Je höher erwartete GE des Lobbying im Vergleich zum Gewinn aus regulärer Geschäftstätigkeit (entspricht Opportunitätskosten), desto mehr lohnt Lobbying. In expandierenden, dynamischen Sektoren sind die Opportunitätskosten hoch, da produktive Kräfte, die für Lobbying eingesetzt werden, nicht im Produktionsprozess verwendet werden können. In schrumpfenden Sektoren hingegen liegen Ressourcen brach, die Opportunitätskosten sind gering. v.a. zu Marktbedingungen nicht wettbewerbsfähige Industrien betreiben Lobbying (Agrar, Steinkohle, Energie, Post, Werften, Flugzeugbau …) (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 20 4.3 Interessengruppen und „Rent-Seeking“ • • • Ziel der Interessengruppe: „Rent Seeking“ (Tullock 1967): Einsatz von Ressourcen zur Rentenumverteilung statt zur produktiven Arbeit (Rentengenerierung) Bsp.: Monopol (Briefmonopol der Post, Schornsteinfeger, Fernbusse, TüV), Zölle, Steuern, Subventionen, gesetzliche Regulierung (Marktzutrittsbarrieren mit Ziel, Bestreitbarkeit von Märkten zu verringern, bspw. Meisterbrief, ) Buchanan (1980) identifiziert 3 Typen von weiterer Ressourcenverschwendung im Lobbying/Rent-seeking-Prozess: 1. Aufwendungen des „Rentenempfängers“ (Lobbying, Spenden, evtl. Korruption) 2. Aufwendungen von Bürokraten und Politikern, um Bemühungen der Interessengruppen zu bewerten, abzuwehren oder ihnen entgegenzukommen (evtl. regulatory capture, evtl. Korruption) 3. Verzerrungen bei Drittparteien: • Verzerrungen durch Steuern, welche die Subventionen finanzieren • Finanzierung von Gegenlobbying, Entstehen von Lobbyagenturen, Think-Tanks etc. die „Auftragslobbying“ betreiben Ressourcenverschwendung (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 21 4.3 Interessengruppen und „Rent-Seeking“ • Der Wohlfahrtsverlust ist damit wesentlich höher als im reinen ökonomischen Mikromodell beschrieben: Es werden zusätzliche Ressourcen unproduktiv eingesetzt. • Die Aktivitäten von Interessengruppen sind aus ökonomischer Sicht daher mit hohen Kosten verbunden Die Bildung von Interessengruppen hat jedoch auch Vorteile: – Sie übernehmen Aufgaben, bei denen sie geringere Transaktionskosten haben als Politiker, z.B. Ausbildungsinhalte von Berufen (Handwerkskammern), Qualtitätskontrolle (IHK) Informationsbeschaffung (VDEW)…. – Senkung der Informationskosten aus Politiker- und Wählersicht durch Bündelung von Interessen. – Senkung der Verhandlungskosten durch Bündelung der Akteure. (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 22 4.3 Interessengruppen und „Rent-Seeking“ Integration von Interessengruppen in das Downs-Modell • Politiker kann „wahre“ Verteilung der Wähler-Interessen nicht beobachten (Informationsasymmetrie); nicht alle Wähler gehen wählen (Wahlbeteiligung in Deutschland: 70%) • Interessengruppen können aber ihre Position und ihre Mitgliederzahl artikulieren • und angeben, dass Mitglieder mit hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlich für Kandidaten wählen, wenn dieser die geforderten Positionen der Interessengruppen bedient Bild der Politiker über Wählerpräferenzen wird verzerrt • Dadurch können IG auch Interessen durchsetzen, welche den Mehrheitspräferenzen Entgegen laufen • Hängt ab von Größe und Glaubwürdigkeit der Interessengruppen • Dies beeinflusst wiederum Positionierung des Politikers bei der Wahl (Rentengarantie, Mindestlohn, Atomausstieg…) • Durch Entfremdung: Wahlsieg bei „nichtA median“ Positionierung dennoch möglich (c) Sebastian Voll, Universität Jena Stimmenanteil Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 Dges DIG1 DIG2 23 4.3 Interessengruppen und „Rent-Seeking“ Was lässt sich hieraus für die praktische Wirtschaftspolitik ableiten? • Interessengruppen versuchen auf Renten von anderen Wählern auf ihre Mitglieder umzuverteilen, haben das gesamwirtschaftliche Wohl nicht im Auge • Versuchen sowohl in der Innenkommunikation (mit Mitgliedern) als auch Außenkommunikation (Politiker, Medien) möglichst große Mehrheit der Wähler hinter sich zu bringen, um dem Politiker eine große Wählerbasis zu signalisieren • Wichtig in der wirtschaftspolitischen Diskussion ist daher, diese Aussagen auf ihre dahinterstehenden Werturteile zu prüfen Und die Implikationen einzelner Lobbying-Bemühungen für alle Wähler sichtbar zu machen (Kosten-Nutzen Kalkül und ökonomische Alternativen aufzeigen) • • Da sich Produzenten tendenziell besser organisieren können als Konsumenten, könnte der Staat bei einzelnen Themen durch Schaffung von Kommunikationsportalen eine Organisation der Konsumenteninteressen fördern („Verbraucherportal“) (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 24 4.4 Politische Ökonomie der Bürokratie • • Beamte sorgen dafür, dass die Beschlüsse eines Gemeinwesens umgesetzt werden. Sie sind daher wesentlicher Teil des politischen Systems. Wie alle Individuen möchten auch sie ihren Nutzen maximieren: „Jekyll und Hyde“ Annahme, wenn Nutzenmaximierung nur für das Privatleben der Beamten gilt • In der Realität liegt ein (mindestens) zweistufiges PAP vor: – Politiker ist Agent des Wählers Informationsasymmetrien – Bürokrat ist Agent des Politikers Großer Handlungsspielraum für Bürokraten • • • • • Das Grundmodell von Niskanen (1971): (Chef-)bürokrat erhält Gehalt abhängig von Größe seines Bereiches Bei Eigennutzmaximierung (Gehalt): Maximierung des Budgets des Büros Wähler geben MZB für ein ÖG an Politiker weiter Politiker gibt MZB der Wähler an Bürokraten weiter Politiker kann Grenzkosten des Büros nicht beobachten - er bekommt vom B. am Ende nur „die Rechnung“ für eine bestimmte Menge ÖG (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 25 4.4 Politische Ökonomie der Bürokratie GE Nutzen x: Gut, von Politiker angeboten, von Bürokrat bereitgestellt, von Wähler nachgefragt Kosten Kosten (GK): Bereitstellungsgrenzkosten des Gutes durch Bürokraten (kennt nur der Bürokrat) x Nutzen (MZB): Durch Politiker geschätzte (marginale) Zahlungsbereitschaft der Wähler GE A D MZB XE: allokativ optimale Menge (Rente: ABC) XN: Von Bürokraten bereitgestellte Menge (Rente: ABC-CDE=0) Da Kosten=Nutzen und nicht GK=GN: Menge x zu hoch C B E xE (c) Sebastian Voll, Universität Jena GK Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 xN x 26 4.4 Politische Ökonomie der Bürokratie Im Verständnis der Rolle von Beamten gibt es wesentliche Unterschiede zwischen den Nationen. Es ist eine Tendenz der deutschen Staatswissenschaft, Politik und Verwaltung als idealisiertes Bild darzustellen. In den meisten anderen Nationen existiert diese Vorstellung nicht . Die Bürokratietheorie im Rahmen des Public Choice Ansatzes hat sich nicht umsonst in den USA entwikkelt, wo die Leitvorstellung des „limited government“ auch gegen die Idealisierung eines allgemeinwohlorientierten Beamtenstandes wirkt. Mit der Nationwerdung Deutschlands wurde dem Beamtentum eine wesentliche Rolle innerhalb des Staates zugeschrieben, welche mit einem Idealbild verbunden ist. Max Weber schreibt bspw. (1922, S.825): Das moderne Beamtentum beruht auf „…Anstellung, Gehalt, …, fachmäßiger Schulung und Arbeitsteilung, festen Kompetenzen, …, hierarchischer Unter- und Überordnung“. Individuelle Motive werden in diesem Ideal ausgeblendet. Diese Ansicht findet sich auch in den „hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums“ (Art. 33 V GG) und ist auch im Beamtenrechtsrahmengesetzt (§35 I, S1, S2) enthalten: „Der Beamte diene dem ganzen Volk. …[Er] hat bei seiner Amtsführung auf das Wohl der Allgemeinheit bedacht zu nehmen“. Diese geforderte Überparteilichkeit entspringt auch dem idealisierten Beamtenverständnis nach Friedrich Hegel (1821) wonach der Beamte das Allgemeine Interesse gegenüber den egoistischen Partikularinteressen zur Geltung bringt. Die moderene Bürokratietheorie nach Niskanen unterstellt zwar auch ein Unterordnungsverhältnis des Bürokraten unter die Weisungen des Politikers – allerdings hat der B. bei der Verwirklichung Freiheitsspielräume durch asymmetrische Information, welche er zur Eigennutzmaximierung ausnutzen wird. (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 27 4.4 Politische Ökonomie der Bürokratie Was kann man aus diesem Ansatz für die praktische Wirtschaftspolitik ableiten? • Aus dem Modell: Überversorgung der Bürger mit öffentlich bereitgestellten Gütern ist zu erwarten Beispiele: Kultur, Öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Bundesagentur für Arbeit • In Erweiterungen des Modells: Einzelne Bürokratien entwickeln ein „Eigenleben“: nutzen PAP zum Politiker/zum Wähler aus um eigene Interessen voranzubringen (Bsp: 8 vs. 9-Jährige Abiturzeit) Einzelne Bürokratien sind innovativ: zur Ausdehnung des eigenen Budgets werden neue „Produkte“ angeboten (BIZ, EU-Kommission, Fachhochschulen…) „Parkinsons Gesetz“ (1955) • Schlussfolgerungen für das Sanktions- und Anreizsystem von Bürokratien Budget- bzw. Erfolgskontrollen der Bürokratien durch Externe sind nötig (wo möglich) Zulassen externer (privater) Konkurrenz oder interner Konkurrenz bzw. Benchmarking-Vergleiche mit anderen Regionen (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 28 4.4 Politische Ökonomie der Bürokratie • • • Weiterentwicklungen/Ergänzungen des Niskanen-Modells (Auswahl) „Slack“-Maxmimierung statt Budgetmaximierung – Nutzen des Bürokraten besteht nicht alleine aus hohem Budget. – höhere Gehälter, Dienstwagen, viele Mitarbeiter, großes Büro, wenig Anstrenung (shirking) etc. – Folge: (G)K-Kurve über optimaler (G)K-Kurve, x kleiner als xN. (X-Ineffizienz, „Slack“) „Capture“-Theorie der Regulierung: – Bürokratie vertritt nach einiger Zeit Position der zu regulierenden Branche. – Ziel ist friedliche Koexistenz und Sicherung der Regulierung, da Behörde sonst überflüssig wird – Alternativ: Hoffnung der Bürokraten auf gut bezahlten Job in Privatwirtschaft Produzentenfreundliche Regulierung als „signaling“ Keine klare Trennung von Politikern und Bürokraten: – Parlamentarier kommen häufig aus der Bürokratie und wechseln später wieder dorthin. – Letztlich „Kartellbildung“ von Politik und Bürokratie zu Lasten der Bürger („Staat als Leviathan“) (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 29 4.4 Politische Ökonomie der Bürokratie Extremform des Bürokratiemodells – der „Staat als Leviathan“ (Brennan, Buchanan, 1980) • Allokationstheorie: – Staat stellt die von den Bürgern gewünschte Menge an öffentlichen Gütern bereit und erhebt dafür Steuern – Greift bei Marktversagen effizienzsteigernd ein – Annahme: • „Staat“ als wohlwollender Diktator aber: historisch gesehen naiv • Politischer Wettbewerb beschränkt Entscheidungsträger auf die von Bürgern gewünschten Alternativen aber: idealisierte Darstellung des politischen Wettbewerbs • Leviathan-Modell: Brennan und Buchanan, 1980: – Politik und Verwaltung agieren mit gemeinsamen Ziel des Ausbaus von (ökonomischer) Macht und Einkommen des Staates: „politisches Kartell“ – Staat als Monopolist – Staat ist „malvolenter“ Steueraufkommenmaximierer und Umverteiler „Laffer-Kurve“ – Politischer Wettbewerb hilft nicht, dies zu beschränken: • Steueraufkommen wir maximal erhoben • Und auf die für (Wieder-)Wahl notwendigen Interessengruppen bzw. Wählerschichten umverteilt (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 30 4.4 Politische Ökonomie der Bürokratie Fallstudie Staatsausgaben und Beschäftigung im öffentlichen Dienst Die vom Leviathan-Modell und der Bürokratietheorie getroffene Grundaussage der stetig steigenden Staatstätigkeit findet Unterstützung in den Daten des öffentlichen Dienstes sowie der Staatsausgaben. Die gesamten Staatsausgaben haben sich, mit leichten Schwankungen, von 1950 bis 2010 von ehemals 31,6% des BIP auf 46,6% erhöht (Bundesbank, 2012). Dies bedeutet, dass die Staatstätigkeit nicht nur mit der gesamten Wirtschaftskraft proportional, sondern überproportional gewachsen ist, was im Einklang mit dem Leviathanmodell stehen würde. Ähnliches lässt sich in der langen Frist für die Beschäftigten der staatlichen Verwaltung beobachten: 1913 waren ca. 902.000 vollzeitäquivalente Stellen in der staatlichen Verwaltung besetzt, 1950 ca. 1,3 Mio. und 2005 immerhin ca. 2,7 Mio. Dies entspricht einer Steigerung bis 1950 auf 150% und bis 2005 auf ca. 300% - während die Bevölkerung in Deutschland von 65 Mio. auf heute ca. 82 Mio – und damit auf 126% des Wertes von 1913 gestiegen ist. (Blankart, 2008, S. 473). Waren 1950 ca. 11% der Erwerbstätigen vom Staat beschäftigt, lag der Anteil 1994 bei 17% (Blankart, 2008, S.474; Daten ab 1995 nicht mit vorherigem Zeitraum vergleichbar). Der Anstieg der Beschäftigtenzahlen im Staatsdienst ließe sich wiederum mit den Bürokratiemodellen seit Niskanen sowie der Kartellbildung zu Lasten der Bürger von Politik und Bürokratie erklären. (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 31 4.4 Politische Ökonomie der Bürokratie • Lösung des Leviathan-Problems ist nur auf Verfassungsebene möglich – Beschränkung der Besteuerungsmöglichkeiten des Staates • • • • Keine Kopfsteuern (Existenzminimum, Beschränkung der Steuerbasis) Eigentumsrechte – übermäßige Besteuerung als Form der Enteignung Unabhängigkeit der Geldpolitik – Seignorage als „Inflationssteuer“ Grundprinzipien der Besteuerung: Gleichmäßigkeit, Leistungsfähigkeitsprinzip – Systemwettbewerb und Föderalismus: Jurisdiktionen als „Clubs“ und Abstimmung mit den Füßen – Subsidiaritätsprinzip in Verbindung mit direkter Demokratie (Beispiel Schweiz) – Beschränkung der Verschuldungsmöglichkeit des Staates Regelbindung staatlicher Entscheidungsträger (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 32 4.5 Positive Theorie wirtschaftspolitischer Reformen • Notwendigkeit von Reformen: – – – – • R. bei Struktur und Anreizwirkungen von bestehenden… …Markteingriffen und Regulierung, Umverteilungsmaßnahmen (Zielgenauigkeit, Nachhaltigkeit)… …wenn sich die bisherige Struktur als ineffizient und nicht nachhaltig erweist Probleme bei Beschluss und Umsetzung von Reformen: – Jede Reform verursacht in der kurzen Frist Verlierer, langfristig gibt es Gewinner und Verlierer ( Pareto-Kriterium nicht möglich) – Verlierer erkennen drohende Verluste sofort (späteres Renteneintrittsalter, niedrigere EEGUmlage, Reform des Meisterzwangs bei bestimmten Berufen…) – und versuchen über Interessengruppen die Reformen zu verhindern. – Gewinne sind auf viele Individuen verteilt und tw. nicht sofort zu identifizieren/ quantifizieren Organisation der Verlierer in IG gelingt meist relativ gut – potentielle Reformgewinner haben geringes Mobilisierungspotential (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 33 4.5 Positive Theorie wirtschaftspolitischer Reformen • Theoretische Grundlagen Nach welchen Kriterien soll entschieden werden, ob „Reformen“ durchgeführt werden müssen? 1) Pareto-Kriterium: 2) Kompensationskriterien: – Paretianische Kompensation: positiver Gesamtnutzen, Umverteilung als Entschädigung von Gewinnern zu „Reformverlierern“ Pareto-Optimalität durch Kompensation – Hypothetische Kompensation (Kaldor, 1939; Hicks, 1940; Scitovsky, 1942) : positiver Gesamtnutzen ermöglicht theoretisch Kompensation, diese wird aber nicht durchgeführt 3) Kriterium der Quasi-Pareto-Optimalität (C.C. von Weizsäcker, 1984): – Fokus auf einzelne Maßnahmen falsch – Frage nach dem Regime, in dem die Bürger leben wollen: änderungsfreudig, reformfähig, auf Gruppen bedacht oder einzelfallorientiertes Kompensationsregime – Idee der Generalkompensation: (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 34 4.5 Positive Theorie wirtschaftspolitischer Reformen • Unter welchen Bedingungen sind Reformen „gut“ durchzusetzen: – Günstiger Zeitpunkt: Anfang einer Wahlperiode – positive Wirkungen der R. bis zur nächsten Wahl möglich – umfassende Reformen: Reformpakete (Bsp. Australien, Dänemark, Irland…) statt Einzelreformen (Hartz IV) Generalkompensation – Starkes Gegen-Lobbying mit Umkehr der Beweislast: Kosten des status-quo offenlegen – Einbindung von Interessengruppen in die Folgekosten ihres Machteinflusses (Gewerkschaften und Arbeitslosenversicherung, Bsp. Dänemark; Atomenergie und Endlagerung) – externer Druck („dirty-work-hypothesis“): Stabilitätspakt und EU-Kommission – Leider auch Glück: „gute“ Politiker, wirtschaftspolitische Berater, Zeitgeist • Normativ: proaktives vs. pathologisches Lernen im Reformprozess (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 35 4.6 Normative Schlussfolgerungen Ökonomische Analyse des politischen Prozesses zeichnet ein pessimistisches Bild: • Medianwähler, Interessengruppen und Bürokratie sorgen für Abweichen von ökonomisch rationalen Alternativen Staat als Leviathan, der zur Medianposition oder zu Gunsten von Partikularinteressen umverteilt (im Extremfall) • Reformprozesse sind schwierig und werden regelmäßig unterbunden: Politsche Hysterese, pathologisches Lernen • 1. 2. 3. Arbeitsteilung von Staat und Markt: Kapitel 2 und 3: benevolente Diktator Kapitel 4: nutzenmaximierende Individuen Ordnungspolitik vs. prozesspolitischer Dirigismus Arbeitsteilung Regelbindung vs. Diskretion Konsistenz der Anreizstrukturen Angebotspolitik vs. Nachfragepolitik Reformen (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 36 Übungsfragen 1. 2. 3. 4. 5. Erläutern Sie die Annahmen des Public Choice Ansatzes der politischen Ökonomie und die Rolle der Akteure auf dem politischen Markt. Wer ist dabei Anbieter, wer Nachfrager auf dem politischen Markt? Erläutern Sie an Hand des Hotelling-Downs Modells, wieso sich die Parteiprogramme der großen Volksparteien im Zeitablauf angleichen. Was bedeutet dies für den sog. Medianwähler? Erläutern Sie auch diesen Begriff. Was ist das sog. „Log-Rolling“, und wieso sehen Ökonomen darin die Gefahr, dass sich das Staatsbudget ineffizient weit ausdehnt? Beurteilen Sie das „Lobbying“ als Aktivität von Interessengruppen aus wohlfahrtsökonomischer Perspektive. Erläutern Sie dazu auch den Begriff „Rent Seeking“ (rentensuchendes Verhalten). Gehen Sie dabei auf die Wohlfahrtskosten einer erfolgreichen Lobbying-Aktivität ein, bspw. durch einen Zoll, Einschränkung des Wettbewerbs oder eine Subvention ein. Welche zusätzlichen Kosten entstehen über diese Wohlfahrtseffekte hinaus? Welche Annahme(n) aus dem Hotelling-Downs-Modell aus Aufgabe 1 müssen Sie fallen lassen, damit Interessengruppen ihre Rolle bei bevorstehenden Wahlen erfüllen? Wie wirkt sich dies auf das Ergebnis (Medianwähler) aus? (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 37 Übungsfragen 6. Wie lässt sich mit Hilfe eines Prinzipal-Agent-Ansatzes erklären, dass Bürokratien ihre Aktivitäten teilweise suboptimal weit ausdehnen? Erläutern Sie dazu das grundlegende Bürokratiemodell nach Niskanen auch mit Hilfe einer Graphik. Können Sie ein Beispiel für diese These finden? 7. Welche Annahmen und Aussagen trifft das sog. „Leviathan-Modell“ der Besteuerung? 8. Welche Aspekte beeinflussen nach der ökonomischen Theorie der Reformen die Wahrscheinlichkeit erfolgreicher wirtschaftspolitischen Reformen positiv, welche negativ? Was bezeichnen in diesem Zusammenhang die Begriffe der „politischen Hysterese“ und des „pathologischen Lernens“? 9. Der Bund der Steuerzahler gilt als einzige organisierte Interessenvertretung aller Steuerpflichtigen Bürger in Deutschland. Dennoch wird seine Stimme von der Politik wenig wahrgenommen, was an der sehr geringen Mitgliederzahl im Verhältnis zur den Steuerpflichtigen liegt. Erläutern Sie an Hand Mancur Olsons Bedingungen zur Bereitstellung kollektiver Güter die geringe Anzahl der im Bund der Steuerzahler organisierten Bürger. (c) Sebastian Voll, Universität Jena Grundlagen der Wirtschaftspolitik WS 2014/15 38