Auf Suche nach Synergien

Werbung
RADIATIO UND IMMUNTHERAPIEN
Auf Suche nach Synergien
Foto: CanStockPhoto
Bisherige, meist präklinische Daten zeigen, dass die Kombination von Radiotherapie
und Checkpoint-Inhibitoren die Ausbildung einer systemischen Immunantwort fördert
und lokale Effekte verstärkt.
er antiinflammatorische Effekt der Radiotherapie wird seit langem bei der Behandlung
chronischer Entzündungen oder zur Konditionierung
vor Stammzelltransplantation eingesetzt. Aktuelle
Daten zeigen jedoch, dass ionisierende Strahlung in
therapeutischer Dosis auch Immunreaktionen gegen
Tumorzellen verstärken kann und damit systemische
Wirkungen hat.
Eine randomisierte Phase-III-Studie (Impfung mit
einem Mucin-Antigen [Stimuvax] nach definitiver
Radiochemotherapie beim inoperablen Lungenkarzinom) zeigt einen signifikanten Überlebensvorteil in
der Gruppe der Patienten mit simultaner Radiochemotherapie (1). Indirekte Hinweise kommen aus randomisierten Studien beim Mammakarzinom (2, 3). In
den Armen mit zusätzlicher Bestrahlung der Lymphknoten fand sich eine zwar geringe, aber signifikante
D
32
Abnahme der Fernmetastasierung. Auch beim Lungenkarzinom im Stadium I war das fernmetastasenfreie Überleben nach stereotaktischer Bestrahlung
besser als nach Operation (4).
Immer wieder wurden Einzelfälle berichtet, in denen eine Radiotherapie nicht nur lokal, sondern auch
distant zu einem klinisch beobachtbaren Tumorrückgang führte (5, 6). Solche Effekte werden als „abscopal“ oder besser „systemische Immunmodulation“
bezeichnet.
In einer aktuellen Studie von Golden et al. (7)
wurden Patienten mit metastasierten soliden Tumoren im Rahmen eines zweistufigen Studienprotokolls
prospektiv mit 10 × 3,5 Gy an zwei verschiedenen
Läsionen bestrahlt und ab der zweiten Woche zusätzlich mit GM-CSF behandelt (Makrophagenaktivierung). Elf von 41 (26,8 Prozent) Patienten zeigten ein
abscopales Tumoransprechen.
Grundlage für eine systemische Immunantwort ist
die Überwindung des immunsuppressiven Tumormikromilieus und damit die Auslösung oder Verstärkung einer intrinsischen, wohl im Wesentlichen zellulären Immunreaktion. Präklinisch wurde
gezeigt, dass ein Teil der lokalen Wirkung ionisierender Strahlung durch zytotoxische T-Zellen vermittelt
wird (8) und in Abwesenheit von T-Zellen deutlich
größere Dosiswerte zur Erreichung eines therapeutischen Effektes benötigt werden (9). Bestrahlung
führt in soliden Tumoren zum proliferativen Zelltod,
beziehungsweise zur Zellnekrose mit Freisetzung
von Zellfragmenten. Dies unterscheidet sich vom
„programmierten Zelltod“, der Apoptose im engeren
Sinne, die wesentlich bei Chemotherapie vorkommt.
Bestrahlung bewirkt eine vermehrte Expression
von
MHC-I-Molekülen,
Calreticulin
und
NKG2D-Liganden (10–12) sowie die Ausschüttung
von Damage Associated Molecular Patterns
(DAMPs) wie HSP70, HMGB1 und ATP (13, 14).
Die Erkennung von DAMPs durch Pattern-Recognition-Rezeptoren (PRRs) wie TLR4 (15), RIG-I (16)
und NOD-like-Rezeptoren bewirkt die Aktivierung
und Ausreifung von dendritischen Zellen (17),
Kreuzpräsentation von Tumorantigenen und schließlich die Ausbildung von tumorspezifischen, zytotoxischen CD8+ T-Zellen. Allerdings wird als Gegenreaktion auch die verstärkte Expression von PD1 /
PDL-1-Rezeptoren an der Zelloberfläche beobachtet.
Inhibitorisch co-stimulatorische Moleküle wie
Perspektiven der Onkologie 1/2016 | Deutsches Ärzteblatt
Foto: Michael Flentje, Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie, Universitätsklinikum Würzburg
CTLA-4 und PD-1 verhindern normalerweise eine überschießende
T-Zellaktivierung und induzieren eine periphere Immuntoleranz. Hier
wirken Checkpoint-Inhibitoren wie
Ipilimumab, Pembrolizumab oder
Nivolumab, die beim metastasierten
Melanom und Lungenkarzinom
erstmals auch klinisch Überlebensverbesserungen erreichen.
Allerdings kann die Inhibition
von CTLA-4 in T-Zellerschöpfung
und in eine vermehrte Expression
von PD-L1 einmünden, was systemische Immunreaktionen limitiert und einen Resistenzmechanismus darstellt. Durch den kombinierten Einsatz von Bestrahlung und
Anti-CTLA-4und/oder AntiPD-L1/PD-1-Inhibitoren wird dieser Resistenzmechanismus zumindest teilweise überwunden (18). Im
Mausmodell führt die Kombination mit CTLA-4-Inhibitoren zu einer vermehrter T-Zellinfiltration im
bestrahlten Tumor, einer Herunterregulation der
Treg-Population (CD4+) und Stimulierung der Zytokinausschüttung (19). In eleganten Experimenten
wurde aber auch die Regression eines kontralateralen, nicht bestrahlten Tumors im selben Tier gezeigt.
Alleinige Behandlung mit dem CTLA-4-Checkpoint-Inhibitor war dagegen wirkungslos.
Diese präklinischen Daten scheinen sich in die
Klinik zu übertragen: Neben einzelnen eindrücklichen Fallberichten von abscopalen Effekten unter anderem nach 3 × 9,5 Gy beim malignen Melanom (5)
oder 5 × 6 Gy bei Lebermetastasen eines NSCLC
(6), jeweils in Kombination mit Ipilimumab, berichten Grimaldi et al. in einer Fallserie mit 21 unter Ipilimumab progredienten Patienten mit fortgeschrittenem malignem Melanom über insgesamt elf abscopale Reaktionen nach lokaler Radiotherapie (20). In
der randomisierten Studie von Kwon et al. beim metastasierten, kastrationsresistenten Prostatakarzinom war das Überleben nach umschriebener Bestrahlung einzelner Skelettmetastasen und Ipilimumab im Langzeitverlauf gebessert (p = 0,053; [21]).
Eine große Anzahl prospektiver Studien ist unterwegs. Denn viele Fragen sind offen. Sie betreffen:
● die Sequenz (simultan oder sequenziell; [22]),
● die optimale Dosis und Fraktionierung der Strahlentherapie sowie
● die Relevanz in größeren Patientengruppen.
● Es scheint plausibel, dass speziell hohe Einzeldosen zu einem immunogenen Zelltod (ICD) führen.
Solche stereotaktischen Präzisionsbestrahlungen sind lokal hocheffektiv (Abbildung 1). Beim
frühen Lungenkarzinom werden zum Beispiel
Kontrollraten über 90 Prozent erreicht (23). Konventionell fraktionierte Bestrahlungsserien über
mehrere Wochen könnten theoretisch ein Problem
sein. Denn aktivierte zytotoxische T-Zellen könn-
ten durch wiederholte Bestrahlungen inaktiviert
und synergistische Effekte dadurch limitiert werden. Auf der anderen Seite könnten fraktionierte
zu Verschiebungen innerhalb des immunnologischen Netzwerks führen. Bisherige präklinische
Daten, welche das immunogene Potenzial von
Einzeitbestrahlungen und fraktionierten Bestrahlungen vergleichen, sind widersprüchlich (24, 25).
Erschwert wird die Beurteilung durch die geänderte Dynamik von Krankheitsverläufen unter Immuntherapie mit einem oft späteren Therapieansprechen
als nach klassischen Chemotherapien (26). Zudem
treten unerwartete Toxizitäten wie Hypophysitis,
Pneumonitis oder Hepatitis auf (27).
Nichtsdestotrotz deuten die bisher verfügbaren
Daten auf eine akzeptable Verträglichkeit der kombinierten Gabe von Radiotherapie und Checkpoint-Inhibitoren hin (28).
Stereotaktische
Bestrahlung eines
peripheren Bronchialkarzinoms mit
3 × 12,5 Gy. Hochkonformale Dosisdeposition im Tumor.
Keine relevante
Lungenbelastung.
Zusammenfassung
● Bisherige,
●
meist präklinische Daten zeigen, dass
die Kombination von Radiotherapie und Immuntherapie die Ausbildung einer systemischen Immunantwort fördern und lokale Effekte verstärken
kann.
Die Dosisintensität und Verträglichkeit moderner
Präzisionsbestrahlungen dürfte in diesem Zusammenhang einen wertvollen Baustein speziell in der
Therapie oligometastasierter Tumorerkrankungen
▄
beisteuern.
DOI: 10.3238/PersOnko/2016.02.12.09
Dr. Jörg Tamihardja
Prof. Dr. med. Michael Flentje
Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie
Universitätsklinikum Würzburg
Interessenkonflikt: Der Autor erhielt Honorare für Beratertätigkeiten
von der Firma AstraZeneca.
@
Perspektiven der Onkologie 1/2016 | Deutsches Ärzteblatt
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit0616
33
RADIATIO UND IMMUNTHERAPIEN
Auf Suche nach Synergien
Bisherige, meist präklinische Daten zeigen, dass die Kombination von Radiotherapie
und Checkpoint-Inhibitoren die Ausbildung einer systemischen Immunantwort fördern
und lokale Effekte verstärken.
LITERATUR
1. Mitchell P, Thatcher N, Socinski MA, et al.: Tecemotide in
unresectable stage III non-small-cell lung cancer in the phase III
START study: updated overall survival and biomarker analyses.
Annals of oncology : official journal of the European Society for
Medical Oncology / ESMO 2015; 26: 1134–42.
2. Donker M, van Tienhoven G, Straver ME, et al.: Radiotherapy or
surgery of the axilla after a positive sentinel node in breast
cancer (EORTC 10981–22023 AMAROS): a randomised, multicentre, open-label, phase 3 non-inferiority trial. The Lancet
Oncology 2014; 15: 1303–10.
3. Whelan TJ, Olivotto IA, Parulekar WR, et al.: Regional Nodal
Irradiation in Early-Stage Breast Cancer. N Engl J Med 2015;
373: 307–16.
4. Chang JY, Senan S, Paul MA, et al.: Stereotactic ablative radiotherapy versus lobectomy for operable stage I non-small-cell
lung cancer: a pooled analysis of two randomised trials. The
Lancet Oncology 2015; 16: 630–7.
5. Postow MA, Callahan MK, Barker CA, et al.: Immunologic correlates of the abscopal effect in a patient with melanoma. N Engl J
Med 2012; 366: 925–31.
6. Golden EB, Demaria S, Schiff PB, Chachoua A, Formenti SC: An
abscopal response to radiation and ipilimumab in a patient with
metastatic non-small cell lung cancer. Cancer immunology
research 2013; 1: 365–72.
7. Golden EB, Chhabra A, Chachoua A, et al.: Local radiotherapy
and granulocyte-macrophage colony-stimulating factor to generate abscopal responses in patients with metastatic solid tumours: a proof-of-principle trial. The Lancet Oncology 2015; 16:
795–803.
8. Lee Y, Auh SL, Wang Y, et al.: Therapeutic effects of ablative
radiation on local tumor require CD8+ T cells: changing strategies for cancer treatment. Blood 2009; 114: 589–95.
9. Stone HB, Peters LJ, Milas L: Effect of host immune capability on
radiocurability and subsequent transplantability of a murine
fibrosarcoma. Journal of the National Cancer Institute 1979; 63:
1229–35.
10. Reits EA, Hodge JW, Herberts CA, et al.: Radiation modulates the
peptide repertoire, enhances MHC class I expression, and
induces successful antitumor immunotherapy. The Journal of
experimental medicine 2006; 203: 1259–71.
11. Gameiro SR, Jammeh ML, Wattenberg MM, Tsang KY, Ferrone S,
Hodge JW: Radiation-induced immunogenic modulation of tumor
enhances antigen processing and calreticulin exposure, resulting
in enhanced T-cell killing. Oncotarget 2014; 5: 403–16.
12. Kim JY, Son YO, Park SW, et al.: Increase of NKG2D ligands and
sensitivity to NK cell-mediated cytotoxicity of tumor cells by heat
shock and ionizing radiation. Experimental & molecular medicine
2006; 38: 474–84.
13. Rubner Y, Muth C, Strnad A, et al.: Fractionated radiotherapy is
the main stimulus for the induction of cell death and of Hsp70
release of p53 mutated glioblastoma cell lines. Radiation
oncology 2014; 9: 89.
14. Schildkopf P, Frey B, Mantel F, et al.: Application of hyperthermia
in addition to ionizing irradiation fosters necrotic cell death and
HMGB1 release of colorectal tumor cells. Biochemical and biophysical research communications 2010; 391: 1014–20.
3
15. Apetoh L, Ghiringhelli F, Tesniere A, et al.: Toll-like receptor 4dependent contribution of the immune system to anticancer
chemotherapy and radiotherapy. Nature medicine 2007; 13:
1050–9.
16. Yoshino H, Saitoh T, Kozakai M, Kashiwakura I: Effects of ionizing
radiation on retinoic acid-inducible gene-I-like receptors. Biomedical reports 2015; 3: 59–62.
17. Gallo PM, Gallucci S: The dendritic cell response to classic,
emerging, and homeostatic danger signals. Implications for
autoimmunity. Frontiers in immunology 2013; 4: 138.
18. Twyman-Saint Victor C, Rech AJ, Maity A, et al.: Radiation and
dual checkpoint blockade activate non-redundant immune
mechanisms in cancer. Nature 2015; 520: 373–7.
19. Wu L, Wu MO, De la Maza L, et al.: Targeting the inhibitory
receptor CTLA-4 on T cells increased abscopal effects in murine
mesothelioma model. Oncotarget 2015; 6: 12468–80.
20. Grimaldi AM, Simeone E, Giannarelli D, et al.: Abscopal effects of
radiotherapy on advanced melanoma patients who progressed
after ipilimumab immunotherapy. Oncoimmunology 2014; 3:
e28780.
21. Kwon ED, Drake CG, Scher HI, et al.: Ipilimumab versus placebo
after radiotherapy in patients with metastatic castration-resistant
prostate cancer that had progressed after docetaxel chemotherapy (CA184–043): a multicentre, randomised, double-blind,
phase 3 trial. The Lancet Oncology 2014; 15: 700–12.
22. Dovedi SJ, Adlard AL, Lipowska-Bhalla G, et al.: Acquired
resistance to fractionated radiotherapy can be overcome by
concurrent PD-L1 blockade. Cancer research 2014; 74:
5458–68.
23. Guckenberger M, Allgauer M, Appold S, et al.: Safety and
efficacy of stereotactic body radiotherapy for stage 1 non-smallcell lung cancer in routine clinical practice: a patterns-of-care
and outcome analysis. Journal of thoracic oncology: official
publication of the International Association for the Study of Lung
Cancer 2013; 8: 1050–8.
24. Lugade AA, Moran JP, Gerber SA, Rose RC, Frelinger JG, Lord
EM: Local radiation therapy of B16 melanoma tumors increases
the generation of tumor antigen-specific effector cells that traffic
to the tumor. Journal of immunology 2005; 174: 7516–23.
25. Dewan MZ, Galloway AE, Kawashima N, et al.: Fractionated but
not single-dose radiotherapy induces an immune-mediated
abscopal effect when combined with anti-CTLA-4 antibody.
Clinical cancer research: an official journal of the American
Association for Cancer Research 2009; 15: 5379–88.
26. Hoos A, Wolchok JD, Humphrey RW, Hodi FS: CCR 20th Anniversary Commentary: Immune-Related Response Criteria-Capturing
Clinical Activity in Immuno-Oncology. Clinical cancer research :
an official journal of the American Association for Cancer Research 2015; 21: 4989–91.
27. Teply BA, Lipson EJ: Identification and management of toxicities
from immune checkpoint-blocking drugs. Oncology 2014; 28
Suppl 3: 30–8.
28. Kiess AP, Wolchok JD, Barker CA, et al.: Stereotactic radiosurgery for melanoma brain metastases in patients receiving
ipilimumab: safety profile and efficacy of combined treatment.
International journal of radiation oncology, biology, physics 2015;
92: 368–75.
Perspektiven der Onkologie 1/2016 | Deutsches Ärzteblatt
Herunterladen