Das Los als politisches Entscheidungsinstrument im antiken Athen

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Das Los als politisches Entscheidungsinstrument in der athenischen Demokratie
1.
Oligarchie – Tyrannis - Demokratie
Das antike Athen gilt bis heute als der Ursprungsort der Demokratie auf europäischem
Boden. Nach der oligarchischen Regierungsform (Herrschaft einiger weniger Familien,
der sog. Eupatriden) in den Jahrhunderten zuvor und der Tyrannis (Alleinherrschaft) der
Peisistratiden in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts geht ab dem 5. Jahrhundert
v.Chr., beginnend mit der Reform des Kleisthenes (508/507 v.Chr.), die politische Macht
auf alle männlichen Athener ab 18 Jahren, den Demos (gr. démos), über.
2.
Institutionen des demokratischen Systems im Athen des 5. Jahrhunderts
Areopag
EINTRITT
A
r
c
h
o
n
t
a
t
Archon eponymos
Archon basileus
10 Strategen
Archon polemarchos
WAHL
OS
6 Thesmotheten
Heliaia
Boule
LOS
LOS
LOS
Ekklesia
Volksversammlung (gr. ekklesía)
Kleisthenes teilte das Staatsgebiet Attikas (Athen und Umland) in drei große Teile
(Demen; gr. démoi) ein: das Stadtgebiet, die Küstenstriche und das Binnenland. Jeder
Demos wurde seineseits in zehn sich selbst verwaltende Demosbezirke geteilt. Durch
Los wurden dann je ein Demosbezirk aus jedem Demos zusammen zu einer Phyle (gr.
phýle) zusammengeschlossen. Dadurch wurden systematisch Bürger unterschiedlicher
Herkunft und Alltagserfahrung zu einem politischen (und militärischen) Großverband
zusammengebunden und die bis dahin dominierenden Adelsgeschlechter in ihren
Einflussmöglichkeiten geschwächt. Die zehn Phylen, die jetzt neu entstanden, bildeten
die Basis für die Volksversammlung (gr. ekklesía).
Jeder männliche Bürger durfte ab dem 18. Lebensjahr an den Volks-versammlungen
teilnehmen, hatte jedoch weder aktive noch passive Wahlrecht. Erst nach Ableistung
des zweijährigen Militärdienstes war er ab dem 20. Lebens-jahr vollberechtigtes Mitglied
der Ekklesia. Von der Mitgliedschaft ausgeschlossen waren von vornhinein Frauen,
Sklaven sowie männliche Bürger mit geistiger Behinderung
2
Rat der Fünfhundert (gr. boulé)
Die Volksversammlung bestimmte durch Los für jede der Phylen fünfzig Abgesandte in
die athenische Regierung, den Rat der Fünfhundert (gr. boulé).
Archontat
Das Archontat ist ein Kollegium aus zuletzt neun Mitgliedern mit verschiedenen
Zuständigkeitsbereichen: Dem árchon epónymos oblag die allgemeine Leitung, nach
ihm wurde außerdem das Jahr benannt. Daneben traten der árchon basileús als
oberster Beamter für kultische Angelegenheiten, der árchon polémarchos) als oberster
Feldherr sowie sechs Thesmotheten (gr. thesmothétai), deren Aufgabe sowohl die
Rechtssetzung als auch die Auslegung des Rechts war. Nach Ablauf ihres Amtsjahres
wurden die Archonten auf Lebenszeit Mitglieder des inzwischen nur mehr auf die
Funktion der Rechtssprechung bei Kapitalverbrechen beschränkten, zur Zeit der
Adelsherrschaft jedoch allmächtigen Adelsrates (Areopag). Ab dem Jahr 487 v.Chr.
werden die Archonten durch Los bestimmt.
Heliaia (gr. heliaía)
Das Gericht bestand aus 6.000 Richtern, die jährlich aus den über 30 Jahre alten
männlichen Bürgern durch Los bestimmt wurden. Die 6.000 wurde aus den 10 Phylen
ausgelost, wobei jede Phyle 600 Heliasten stellte, und dann in Geschworenengruppen
mit jeweils 600 Mitgliedern aufgeteilt, von denen 500 oder 501 ständige Mitglieder
waren, die übrigen Ersatzleute.
Nach der Auslosung hatten die Heliasten einmal jährlich den Heliasteneid zu schwören.
Nach der Vereidigung erhielten sie einen Ausweis aus Buchsbaumholz mit ihren
Namen, dem ihres Vaters und ihrer Deme und einem der zehn ersten Buchstaben des
Alphabets (Alpha bis Kappa). In einem detailliert geregelten Verfahren an den einzelnen
Sitzungstagen die Zusammensetzung der Spruchkörper ausgelost und ihnen die zu
verhandelnden Fälle zugelost. Je nach der zu behandelnden Angelegenheit tagten die
Geschworenengruppen mit 201 bis 501 bzw. 1001 bis 1501 Heliasten. In besonderen
Angelegenheiten tagte das Gericht als Plenum.
Strategenamt (gr. strategós)
Voraussetzung, um in das Zehnerkollegium der Strategen durch Wahl zu kommen, war
die Befähigung zum Amt, d. h. das Wissen um die Kriegskunst und Strategie. Die
Amtszeit der Strategen betrug offiziell ein Jahr, tatsächlich dauerte sie wegen der
Aufgabenverteilung länger, die Wiederwahl war zulässig, im Gegensatz zu allen
anderen wichtigen Archonten, deren Amtszeit auf ein Jahr beschränkt war (siehe oben).
Erste Aufgabe der Strategen war die Führung des Heeres in Kriegszeiten, ab dem 5.
Jahrhundert linear zum Niedergang des Polemarchen-Amtes (siehe oben) die
permanente Führung und Befehlsgewalt über Heer und Flotte. Im Laufe der Zeit
bildeten sich im Kollegium Geschäftsbereiche aus: Feldzüge, Landesverteidigung,
Hafen, Bestimmung der Kapitäne für die Kriegsschiffe und Sorge um die Schiffshäuser.
Fünf Strategen blieben zur freien Verfügung, also in erster Linie für militärische
Operationen.
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3.
Das Kleroterion
Aus einem Reservoir von etwa 20000 Bürgern wurden in jedem Jahr an die 7000 Ämter
im Rat der Fünfhundert, in den Beamtenkollegien und in den Gerichten per Los ermittelt.
Daher kam einem reibungslosen und schnellen Losverfahren große Bedeutung zu.
Jeder männliche athenische Bürger bekam ein Brozetäfelchen (11 cm lang, 2 cm breit,
2mm dick), das mit seinem Namen, dem Namen seines Vaters und dem Namen des
Demos (siehe oben) beschriftet war. Außerdem war es mit einer Eule als offiziellem
Stempel versehen. Dieses Täfelchen behielt der Bürger zeit seines Lebens und wurde
bei allen Losungen eingesetzt. Viele solcher Bronzetäfelchen wurden unter
Grabbeigaben gefunden, was noch einmal die Bedeutung einer aktiven Teilnahme am
politischen Geschehen für einen Bürger aus Athen unterstreicht.
Losvorgang
1. Schritt: Wahl der Wahlleitung
Vor Beginn der Losung müssen alle
Kandidaten der Phyle ihre Täfelchen bei
einem Staatssklaven abgeben, der sie in
denjenigen der zehn Kästen wirft, der
ihrer Phyle (siehe oben) entspricht. Die
zehn Kästen werden kräftig geschüttelt
und anschließend zieht ein Archon aus
jedem der Kästen eine Bronzetafel
heraus. Die so Erlosten sind dann
automatisch für das Amt gewählt und
leiten das weitere Losverfahren.
2. Schritt: Auffüllen der Schlitzreihen
Jeder der zehn Wahlleiter bekommt den
Kasten seiner Phyle ausgehändigt und
greift blind hinein, um die jeweilige
Bildquelle: http://arachne.uni-koeln.de
Schlitzreihe seiner Phyle mit den
Bronzetäfelchen von oben nach unten
zuzustecken. Für zehn Phylen benötigt man daher zwei Kleroteria mit insgesamt zehn
Schlitzreihen. Jede Schlitzreihe hat als Kürzel für die Phylen einen der ersten zehn
Buchstaben des griechischen Alphabets.
3. Schritt: Einfüllen der Kugeln
Seitlich des Kleroterion ist oben ein senkrechter Trichter mit Röhre eingemeißelt, in die
schwarze und weiße Kugeln geworfen werden. Die Anzahl der weißen Kugeln beträgt
genau die Zahl der aus den zehn Phylen für das Amt zu wählenden Bürger.
4. Schritt: Losung
Die Kugeln werden eine nach der anderen am unteren Ende der Röhre aus den beiden
Losmaschinen herausgelassen. Mit jeder Kugel wird von oben beginnend eine ganze
Plättchenreihe von links nach rechts – je ein Plättchen aus jeder Phyle - herausgezogen.
Handelt es sich um eine schwarze Kugel, so erhalten diejenigen, deren Täfelchen in
dieser Reihe gesteckt sind, ihre Täfelchen zurück und waren somit nicht ausgelost. Wenn
die Kugel hingegen weiß ist, werden die Täfelchen wieder hineingesteckt und die Inhaber
der Täfelchen gelten als gewählt. Die Kugeln werden solange aus der Röhre
herausgelassen, bis alle weißen Kugeln herausgekommen und somit die notwendige
Anzahl gewählt ist.
Quellen:
Buchstein, Hubertus. Demokratie und Lotterie. Frankfurt 2009
Bengtson, Hermann. Griechische Geschichte. München 1965
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