begründen, verstehen, beurteilen – Argumentation, Hermeneutik

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begründen, verstehen, beurteilen – Argumentation, Hermeneutik und Kritik als
Methoden wissenschaftlichen Arbeitens
190882 VO, UE - Grundlagen: philosophische Methoden, 2.2.3 laut Studienplan Pädagogik
2002 (2 Std.) BM8a: Philosophische Methoden in der Bildungswissenschaft , Teil I (5 ECTS)
Lehrveranstaltungsleiter: Mag. Dr. Martin Steger
TutorInnen: Livia Coreth, Claudia Gusenbauer, Angela Janssen, Andreas Koller,
Donnerstag, 10.00 - 12.00, HS D, Campus
11. Termin 19.06.08: Konkretisierung am Text: Modelle des Verstehens
Formalia:
Das folgende Skript nimmt auch bereits letzte Inhalte und Hinweise vorweg, die ich in der
abschließenden Fragestunde am 26. ansprechen will – damit Sie bereits vorinformiert sind
und gezielter nachfragen können, wenn etwas unklar ist.
Inhalt:
Wo stehen wir?
Wir sind bei der Konkretisierung der Vorlesungsinhalte an den Texten – und haben dabei
Modelle des Verstehens am Menuplan.
Zunächst wieder die übliche inhaltliche Anknüpfung an das, was wir vor Weihnachten
besprochen haben.
Was ist Verstehen im hermeneutischen Sinn?
Wir haben mit Dilthey geantwortet:
Verstehen ist das Erkennen von etwas als etwas (Menschliches) und gleichzeitig
das Erfassen seiner Bedeutung.
Das heißt: Wenn ich etwas wahrnehme, erkenne ich es nicht als einen Gegenstand an sich,
sondern bereits in seinem Bezug zu mir: Die Phänomenologie würde sagen: aus meiner
gerichteten Intentionalität heraus, die Hermeneutik sagt: in seiner Bedeutung (zB. einen
Sessel nehme ich nicht als eine Holzkonstruktion wahr, bei der ich mir im zweiten Schritt
überlege, was man damit tun könnte, sondern von vornherein als Sessel.)
Darin liegt auch schon das Spannungsfeld, in dem sich Verstehen bewegt:
1
•
zwischen
subjektiver
Sinnzuschreibung
und
verbindlichem/objektivem
Erfassen
vorgegebenen Sinns.
•
zwischen subjektiv Erlebtem– d.h. einem Verständnishorizont an den man anknüpfen
kann
-
und
faktisch
/
objektiver
Erlebbarkeit
in
einem
gemeinsamen
–
intersubjektiven - Bedeutungsfeld
•
damit sehen wir schon, was beim Verstehen geschieht: Ich verknüpfe ein Äußeres mit
einem Inneren, mit meiner Vorstellung von Welt, um mich darin zu orientieren und
handlungsfähig zu sein.
In unserem Modell – d.h. in seiner erkenntnistheoretischen Dimension - entspricht das in
etwa folgendem Bild:
Hier
sehen
Beschränktheit
wir
auch
der
die
erkenntnistheoretische
Hermeneutik:
Sinn
haben
Gegenstände, soweit sie ein Mensch auf sich bezieht, Sinn
zuweist – d.h. wir sprechen in der Hermeneutik immer
nur von der Welt, soweit sie den Menschen betrifft (also
von der linken Seite der Skizze bis hin zum Kantschen
'Filter' des Erkenntnisvermögens – das entspricht auch
dem phänomenologischen Ansatz, dass wir nicht die Welt
an sich, sondern Phänomene, also bereits subjektive
Repräsentanzen der Welt thematisieren)., im Erfassen
von Sinn sprechen wir nur von menschlichen Handlungen
und Handlungsprodukten. Warum – weil wir hier auf die
Zirkularität des sich selbst bewussten Menschen treffen.
Dem können wir natürlich den dynamischen Aspekt
hinzufügen: Wenn ich jetzt wieder auf diesen Gegenstand
treffe, hat sich dadurch – und durch alles Mögliche, was
ich sonst noch erlebt habe, meine innere Vorstellung von Welt verändert; nachdem ich den
Gegenstand immer bereits in seiner Bedeutung erkenne, ist er für mich auch etwas anderes
und verlangt eine neue Orientierung. Verstehen hat somit keinen Anfang und kein Ende.
Das ist der hermeneutische Zirkel in seiner theoretischen Dimension.
2
Wie kann aber der vorgegebene Sinn eines Anderen verstanden werden – wenn
man dessen subjektive Sinnkontexte nicht erlebt hat?
Auf
der
konkrete
'individuellen'
Vermittlung,
Kommunikation
vor
(aber
Ebene
durch
allem
durch
auch
die
'Selbstdarstellung des Handelns' bei Buck)
– um aber kommunizieren zu können und
um auch dort verstehen zu können, wo ich
nicht mit dem 'Schöpfer' einer Bedeutung
kommunizieren kann, muss ich auf eine
gemeinsame Basis zurückgreifen, in der
Erleben eben nicht bloß individuell, sondern
gemeinsam ist bzw. durch den selben Faktor geformt ist. Eine derartige Basis findet sich in
jedem hermeneutischen Modell, am bekanntesten ist die Vorstellung des 'objektiven
Geistes' bei Dilthey (nach Hegel), eine 'Sphäre der Gemeinsamkeit', die für jeden
verbindlich ist, weil sie vorgegeben ist, weil jeder an ihr Anteil hat, ohne über sie verfügen
zu können. Jeder Gedanke wird in einer bestimmten Sprache gedacht, jede Handlung ist in
gemeinsame Konventionen eingebunden, jede Beziehung stützt sich auf eine gemeinsame
Weltsicht und einen Komplex gemeinsamer Selbstverständlichkeiten. Diese gemeinsame
Sphäre, die das Verstehen sichert, die ein verbindendes, unhintergehbares Drittes zwischen
zwei Subjekten ist, ist kulturell und historisch geformt.
Diese Notwendigkeiten, zwischen Formen des objektiven Geistes zu übersetzen, ist aber
nicht der einzige Grund, dass keine Allgemeingültigkeit der Verbindlichkeit des Verstehens
behauptet werden kann. Ein zweiter ist, dass die Sinnzuschreibungen und Sinndeutungen
jedes Menschen zwar in den objektiven Geist hineinreichen, aber sich nicht darin erschöpfen.
Es bleibt immer eine Individualität des Verständnisses, die dafür verantwortlich
ist, dass eine bedeutungsvolle Äußerung nie ganz und nie genau gleich verstanden
werden kann. Dieser unterschiedliche Anteil im Verstehen wird als hermeneutische
Differenz bezeichnet.
Die hermeneutische Differenz ist nie zur Gänze überwindbar, zugleich ist es Anspruch der
Hermeneutik,
sie
durch
Bezug
auf
einen
übergeordneten,
gemeinsamen
Sinneszusammenhang möglichst aufzuheben –bis hin zur Vorstellung, dass der Interpret den
Text besser versteht als der Autor (Æ Buck). Das ist eines der Grundbilder der Hermeneutik,
das wir mit verschiedenen Bezeichnungen in unterschiedlichen Modellen des Verstehens
vorfinden.
3
In diesem Bild ist auch noch einmal der hermeneutische Zirkel mitgedacht: In seiner zweiten
Form als Methode des wechselseitigen Bezugs von Allgemeinem (Kultur/objektiver Geist)
und Besonderem (individuelle Kommunikation) aufeinander: Ohne Kommunikation ist keine
Kultur, ohne Kultur keine Kommunikation vermittelbar. Im wechselseitigen Bezug entwickelt
sich Verstehen (auf konkreter Ebene der Textinterpretation meint das auch den Bezug von
Gesamttext und Detail aufeinander).
Damit sind wir bereits bei der Hermeneutik als Lehre vom Verstehen: Was wir bis hierher
besprochen haben, ist das Skelett des gemeinsamen Fundaments der Hermeneutik – für
unsere Zwecke haben wir es auf diese zwei Grundbilder - hermeneutischer Zirkel und
hermeneutische Differenz – zugespitzt. Ansonsten ist die Hermeneutik - wie auch wenige
Paradigmen – natürlich auch kein homogenes Dogma. Anhand der beiden Bilder können wir
die Unterschiede zwischen verschiedenen Modellen des Verstehens schön herausarbeiten
und erhalten wir dabei quasi als wesentliches Nebenprodukt die Prioritäten der Autoren – die
Unterschiede in den Modellen folgen dem, was den einzelnen Autoren wichtig ist.
Innerhalb der Hermeneutik haben wir 3 'klassische' Modelle des Verstehens besprochen –
eingebettet in eine historische Herleitung:
Hermeneutik im historischen Kontext
Hermeneutik hat als Methode der Textinterpretation, oder genauer der Auslegung
verbindlicher, vor allem religiöser Texte lange Bedeutung (hermeneuein bedeutet im
Griechischen auslegen, erklären, deuten, dolmetschen, übersetzen – lateinisch:
interpretari): Religion war als zentraler Kulturträger vor der Ausdifferenzierung kultureller
Leistungen Träger von Gesetzesvorschriften, Bewahrer historischer Identität,
Projektionsfläche der Kunst, etc..
Es bedurfte der Auslegung der Texte auf ihren jeweiligen 'Anwendungskontext' – die
Aufgabe der Priester (und oft als Auslegungsmonopol Machtbasis). Von daher hat die
Hermeneutik vor allem zwei Wurzeln – entsprechend den zwei zentralen Wurzeln der
europäischen Kultur:
-
die griechische Tradition, in der Texte als mündliche Erzählungen über Götter
allegorisch
(sinnbildlich,
'Orakel'
)
ausgelegt
wurden,
(griffig,
merkfähig
Æ
für
Analphabeten), schriftlich dementsprechend beginnend mit Dichtung (Illias)
-
und die jüdische mit einer wörtlichen Auslegung der heiligen Schrift als Dokument einer
monotheistischen Offenbarungsreligion, in der nicht nur über, sondern auch von Gott
gesprochen wird (10 Gebote).
4
Beide Traditionen wurden vom frühen Christentum - als ursprünglich jüdischer Sekte,
die sich im griechisch-römischen Kulturkreis zur Weltreligion entwickelte - übernommen.
(Origenes, Augustinus). Für die Kirche - als nicht ursprünglich in die jeweilige Kultur
integriert - wurde das Monopol der Auslegung der Bibel ein wichtiger Machtfaktor, wie etwa
der Konflikt mit Luther um die deutsche, vom Volk lesbare Übersetzung der Bibel zeigt. Der
Reformationsstreit war in Folge (auf kirchlicher Ebene) nicht zuletzt auch ein Streit um die
korrekte
Auslegung
der
Heiligen
Schrift.
Im
Mittelalter
etablieren
sich
neben
der
theologischen weitere fachspezifische Strömungen der Sinnauslegung, v.a. juridisch,
philologisch-historisch – in fliessendem Übergang von 'Kunstlehre' zu Wissenschaft.
Im wissenschaftlichen Kontext finden wir den Begriff erstmals bei Platon und vor allem
bei Aristoteles: 'peri hermeneias' – über die Aussage. Im modernen – methodischen Gebrauch etwa seit dem 17. Jahrhundert (Dannhauser 1629), auch schon als universale
Hermeneutik gedacht.
-
1.
Modell:
Friedrich
Schleiermacher
(1768-1834),
Theologie-
und
Philosophieprofessor, etablierte im 19. Jahrhundert die Hermeneutik als wissenschaftliche
Methode – als Kunstlehre des Verstehens - und gilt als Begründer einer allgemeinen
Hermeneutik, die hinter die speziellen Hermeneutiken zurückgeht. Dabei thematisiert er
Hermeneutik als Textinterpretation. Voraussetzung des Verstehens ist aus dieser Perspektive
eine Sprachgemeinschaft
Dabei kann 'verstehen' sich
•
auf den Text selbst richten - 'grammatisches Verstehen': Was wird darin
ausgedrückt? Welche Bedeutung hat der Text?
•
auf
den
Autor
Lebenszusammenhang
des
der
Textes
Sinn
beziehen,
des
Textes
als
das
erwächst
Subjekt,
-
aus
dessen
'psychologisches
Verstehen': Worauf will der Autor hinaus, was bezweckt er? Warum veröffentlicht er
den Text zu diesem Zeitpunkt, in diesem Medium?
Dies kann komparativ (vergleichend) auf das Allgemeine hin oder divinatorisch
(vorausahnend) auf das Besondere hin erfolgen, indem sich der Interpret möglichst in
den Autor des Textes hineinversetzt, in die Haut des Anderen schlüpft. Dies ist für
Schleiermacher die wesentliche Methode. Er steht damit noch sehr in der Tradition
der Unbestreitbarkeit der Vorlage (Bibel, Recht - Machtaspekte).
Für Schleiermacher stellt 'Verstehen' somit einen Reproduktionsakt dar, ein
Wiederherstellen eines einmal erzeugten Sinns.
5
Verstehen ereignet sich im Zusammenspiel von grammatischem und psychologischem
Verstehen im hermeneutischen Zirkel vom Besonderen zum Allgemeinen und vom
Allgemeinen zum Besonderen.
"Der Sinn eines jeden Wortes an einer gegebenen Stelle muss bestimmt werden nach
seinem Zusammensein mit denen, die es umgeben.“ (ebd. 116) Die Worte, die ein
bestimmtes Wort umgeben, bilden den Text in seiner Ganzheit; das einzelne Wort ist ein Teil
davon. Dieser ist vom Ganzen her zu verstehen; zugleich aber soll dieses aus seinen Teilen
verstanden werden - der sogenannte hermeneutische Zirkel.
2. Modell: Wilhelm Dilthey (1833-1911),
der
Ende
des
19. Jahrhunderts
die
Hermeneutik zur Leitmethode der Geisteswissenschaften aufwertete:
Dilthey fasst – entsprechend seinem erweiterten Interesse an einer gemeinsamen
geisteswissenschaftlichen Methode zur Erfassung kultureller Phänomene - verstehen weiter
als Schleiermacher – dementsprechend betont er zunächst den Aspekt des Verstehens als
bewussten Akt (was bei Textinterpretation implizit ist):
Er unterscheidet zunächst elementares und höheres Verstehen: Zunächst erfolgt 'verstehen'
auf einer elementaren Ebene: Eine hingehaltene Hand wird als Begrüßung verstanden, ein
Lächeln als Freundlichkeit. Erst wenn dieses elementare 'Verstehen' gestört wird, wird man
sich
bewusst
um
'verstehen'
bemühen.
Das
erfolgt,
indem
man
versucht,
das
Unverstandene in einen übergeordneten Sinnzusammenhang zu stellen (das Lächeln
in einem Streit irritiert, es kann Hohn bedeuten, Versöhnung, etc., es ist nicht
'selbstverständlich'). Wilhelm Dilthey spricht von zwei Ebenen des Verstehens und nennt
dieses Herstellen umfassender Sinnzusammenhänge 'höheres Verstehen':
Da er nicht ausschließlich von Textinterpretation spricht (obwohl er sich faktisch darauf
konzentriert), sondern von Sinnobjektivationen im allgemeinen sprich , greift er als
Voraussetzung des Verstehens auf eine allgemeinere Basis als Schleiermacher zurück: den
'objektiven Geist' Hegels (siehe Skript 8.Termin).
In Diltheys Auffassung von 'Verstehen' verschieben sich die Begriffe und ihre Bedeutung.
Sowohl das elementare wie das höhere Verstehen kann in zwei Richtungen hin
erfolgen: als psychologisches Verstehen und als Sinnverstehen.
Psychologisches Verstehen beruht auf einem Sich-Einfühlen, Mitfühlen und schliesst
derart am Begriff der 'Empathie' in der Psychologie an. Es ist emotional und subjektiv
gefärbt. Auf der elementaren Ebene betrifft es etwa das Erkennen einer Emotion in seinem
6
Kontext und seiner Bedeutung, auf höherer Ebene das Verstehen von Motiven einer
Handlung, subjektiven Zwecken eines Produkts.
Das Sinnverstehen beinhaltet hingegen eine sachliche Perspektive auf das zu Verstehende,
es
zielt
nicht
auf
einen
individuellen,
sondern
auf
einen
allgemeinmenschlichen
Sinnzusammenhang hin.
Das Sinnverstehen eines Textes, also das Erkennen seiner Aussage als Aussage in
ihrer verbindlichen, sachlichen Bedeutung, ist die Aufgabe der Hermeneutik als
Methode der Textinterpretation, das psychologische Verstehen interessiert in erster Linie
als Unterstützung beim Auffinden dieses Sinnes (Analogie: referentielle Argumentation).
-
Ähnlich wie Schleiermacher in seinem divinatorischen Verstehen spricht Dilthey von
'Kongenialität' des Interpreten: Verstehen ist möglich als 'ein Wiederfinden des Ich im
Du' (Dilthey nach Danner 1995, S.68), indem (und weil) man sein Leben in jede Art des
Ausdrucks des eigenen Lebens und des Lebens Anderer hineinträgt. Damit ist für Dilthey
'verstehen' nicht mehr bloß Reproduktion, sondern Nachbilden, kreativer Akt: Es wird
mehr und anderes verstanden, als im Bewusstsein des Autors liegt und auch dieser
überschreitet seinen eigenen Verstehenshorizont in dem des Anderen: Er lernt.
Im hermeneutischen Gegenspiel von Allgemeinem und Besonderem betont Dilthey stärker
als Schleiermacher das Allgemeine – wiederum aus seinem methodischen Interesse heraus
verständlich (wissenschaftlicher Anspruch ist stärker auf Allgemeines fokussiert, als
Schleiermachers Balance einer 'allgemeinen' Lehre zum Verständnis je individueller Texte).
3. Modell: Hans Georg Gadamer (1900 – 2002) Vertreter einer philosophischen
Hermeneutik des 20. Jahrhunderts, die er im Anschluss an Martin Heidegger neu fundiert:
Bei Gadamer erhält die Person des Verstehenden eine weitere Stärkung. Er denkt die
Grundidee Heideggers weiter, dass 'Verstehen' ein Modus der Daseins-Bewältigung, des
Lebensvollzugs ist: Dasein ist das sich selbst bewusste Sein des Menschen – es ist
verstehende Selbstauslegung der eigenen Existenz. Verstehen eines vorgegebenen Sinns ist
ihm somit Begegnung mit einem Gegenüber, dass einem in seinem Handeln anspricht.
Aus dieser grundlegend anderen – nicht methodisch orientierten - Herangehensweise an
Verstehen bricht er mit den Vorstellungen Schleiermachers und Diltheys. Verstehen wird bei
ihm nicht dadurch ermöglicht, dass der Interpret sich in welcher Form auch immer in den
Autor hineinversetzt, sondern durch die hermeneutische Situation, in der er steht. Die
hermeneutische Situation ist durch zwei Merkmale gekennzeichnet:
7
-
das wirkungsgeschichtliche Bewusstsein (als individuelle Form der gemeinsamen
kulturellen Sphäre): Das, was verstanden wird, ist nichts gänzlich Fremdes, es ist über seine
Wirkungsgeschichte
in
das
eigene
Vorverständnis
eingegangen,
ist
Teil
des
Verstehenshorizontes. Dieses Fortwirken der historischen Fakten ist dem Verstehenden
bewusst und ermöglicht es, den Zeitabstand zwischen Verstehendem und Verstandenem zu
überbrücken.
-
die Applikation (Anwendung): Die Überbrückung erfolgt in der Anwendung. Da sich
jeder Text an jemand richtet, hat sein Sinn Aufforderungsgehalt, der jeden Leser auch über
die Zeit hinweg anspricht (Betonung des Besonderen im Spannungsfeld von Besonderem
und Allgemeinen). Die Leistung des Verstehenden ist, diesen so auf sich zu beziehen als sei
er – in seiner jetztigen Situation - der ursprünglich Gemeinte.
Seine Interpretation ist nicht beliebig, weil ihm im Aufforderungsgehalt des Textes
sein Standpunkt bereits vorgegeben ist. Verstehen ist damit keine Rekonstruktion der
Perspektive des Autors mehr (Schleiermacher), kein 'Wiederfinden' seiner selbst im Anderen
(Dilthey), sondern eine Vermittlung - eine Art 'Übersetzungsakt' - des vorgegebenen
Sinngehaltes aus der konkreten Situation der Sinnzuschreibung in die Gegenwart des
eigenen Lebens.
In diesen Modellen finden wir somit auch eine zunehmende Stärkung der Leistung
des Interpreten im Verstehensakt.
Schleiermacher
Dilthey
Gadamer
allg. Methode der
Textinterpretation
allgemeine Methode der
Geisteswissenschaften
Daseinsauslegung / Zurückdrängung des TechnischMethodischen
Voraussetzung Sprachgemeinschaft
objektiver Geist
wirkungsgeschichtliches
Bewusstein
Gegenstand
Sinnobjektivationen/
Kulturphänomene
Dasein / Sinnobjektivationen
elementares (automatisiertes) V
höheres (bewusstes) V
nicht wiss.-methodisch orientiert
Interesse
Text
Formen
und grammatisches V (aufs
Perspektiven
Allgemeine der Sprache)
psychologisches V (aufs
Besondere des Autors)
quer dazu:
Sinn-v. (aufs Allgemeine)
im psychologischen V.:
komparativ (aufs Allgemeine) psychologisch (aufs Besondere)
divinatorisch (aufs Besondere)
Betonung
Balance im Zirkel Allgemeines- des Allgemeinen im Zirkel
Besonderes
Allgemeines-Besonderes
des Besonderen im Zirkel
Allgemeines-Besonderes
Modell
V als Reproduktion
V als Wiederfinden
V als Begegnung
Sinngehalt
SinnAutor
SinnAutor
SinnInterpret
SinnInterpret
SinnAutor
SinnInterpret
8
Wie geschieht Verstehen?
Zusammenfassend: Es existieren verschiedene Vorstellungen, auf welche Weise Verstehen
möglich ist:
•
auf allgemeiner Ebene
o
durch Vergleichen (Schleiermacher)
o
allgemeiner gefasst durch Erfassen übergeordneter Sinnkontexte (Dilthey)
o
subjektiver durch wirkungsgeschichtliche Einordnung
•
auf 'besonderer' Ebene
•
dadurch, dass die Perspektive des Anderen eingenommen wird (Schleiermacher)
•
dadurch, dass das eigene Erleben im Anderen wiedergefunden wird (Dilthey)
•
dadurch, dass man sich vom Anderen (und vom Sinngehalt seiner Handlung) ansprechen
lässt und dieses Ansprechen soweit notwendig 'übersetzt' (Gadamer)
Bei unseren drei Autoren der Interpretationstexte finden wir noch weitere Bilder – ich
empfehle, dass sie versuchen, diesen Raster auch auf Ihre Autoren anwenden. Beachten Sie
besonders den Zusammenhang des Modells mit dem Erkenntnisinteresse ( die Unterschiede
unserer drei historischen Modelle lassen sich auch davon ableiten, dass Schleiermacher
Verstehen als Textinterpretation thematisiert, Dilthey als allgemeine wissenschaftliche
Methode, Gadamer als subjektiv-existenzielle Auseinandersetzung mit der Welt.
Ergänzung zur Lv: Ein 'Kochbuch' – dh. ein festes Regelwerk zum Vorgehen beim 'Verstehen'
- existiert nicht. Was ich Ihnen anbieten kann, sind 'hermeneutische Fragen' - Perspektiven
auf und Fragestellungen an den Text, die den Prozess des Verstehens unterstützen können.
Einige wesentliche – aus unserer Diskussion ableitbare Fragestellungen (angelehnt an
Danner 1998, S. 62f.) – habe ich in einem Arbeitsblatt aufgelistet, das Sie auf meiner
Homepage finden. Dieses Fragestellungen sind in Ihrer Arbeit NICHT Punkt für Punkt
abzuarbeiten, sie sollen eher als eine Art 'Controlling-checklist' Ihre Überlegungen begleiten
und vielleicht neue Fragestellungen an den Text inspirieren.
Analog zum Raster klassischer Modelle haben wir einen Raster für die Modelle unserer
Autoren erarbeitet. Dazu zwei Anmerkungen:
•
Dieses Tabelle hat nicht den gleichen Anspruch wie die vorige – Wir haben nur einen
kurzen Text, nicht den Querschnitt aus dem Lebenswerk, als Grundlage zur
Verfügung – wir können daher einiges nicht oder nur als Vermutung eintragen
9
•
Bei allen 3 Texten – vor allem Habermas - sollte man diesen Raster zweimal
ausfüllen, denn sie beziehen sich auf zwei Ebenen:
o
die des Verstehens als Phänomen und
o
auf die der Lehre des Verstehens – v.a. die Hermeneutik – und ihren Status in
der Wissenschaft.
Interesse
Voraussetzung
Buck
Habermas
Luhmann
Erweiterung auf
Handlungshermeneutik
Objektivität des Verstehens
Einführung/Neudeutung des
Phänomens in Systemtheorie
Praxis, Lebenswelt
Rationalität,
intersubjektive Lebenswelt
Analogie der Funktionen und
Prozesse von Systemen
Kommunikation
Selbstreferentialität / Sinn (nicht
vorgegeben/überschneidend
Kommunikation für richtiges V
Selbstdarstellung des
Handelns
Wissenschaftlichkeit/
Nützlichkeit der Hermeneutik für
Sozialwissenschaft
Reflexionsfähigkeit
performativer Sprachgebrauch
Gegenstand
Handeln – paradigmatisch:
Sprechen
Bedeutungsobjektivation –
paradigmatisch: Sprechen
Formen
Explikatives V (von implizitem kommunikatives V
Sinn)
kritisches V
beobachtendes V (im Hinblick
auf Selbstreferentialität)
Perspektive
im implizitem Sinn auf beides Teilnahme /Kontextbezug
/Normativität (aufs Besondere)
weil das jeweils Besondere
Rationalität (aufs Allgemeine)
nicht thematisierte im
allgemeinen Komplex
unabschließbar vieler
Bedeutungsbzüge
Analogie (auf Einheit)
Systeme
Beobachtung (auf Differenz)
Betonung
des Individuellen
des Allgemeinen
Modell
V als Reflexion
V als rationale Rekonstruktion
V als Beobachtung
Sinngehalt
SinnAutor
SinnAutor
SinnAutor
theor. Kontext
Phänomenologie
SinnInterpret
Autor/Interpret Subjekt
SinnInterpret
SinnInterpret
Kritische Theorie/komm Handeln Systemtheorie
Subjekte in Kommunikation
System
Intersubjektivität
Verhältnis H
Vertreter – erweiternd zu
Handlungshermeneutik
Erweiterung zu Kritik
erkenntnistheoretisch
Gegenposition
Wir haben schon bei den drei 'klassischen' Autoren eine zunehmende Stärkung des
Interpreten festgestellt (von bloßer Reduktion von Sinn zur Begegnung im Verstehen). Diese
setzt sich in der Position Günther Bucks fort, in dessen Text wir ein 4. Modell des
Verstehensprozesses kennenlernen (wissenschaftshistorisch bei weitem nicht so wesentlich –
aber exemplarisch für einen Entwicklungsstrang in der Nachfolge Gadamers):
10
'Verstehen' vollzieht sich hier als Reflexion des sich in einer Handlung darstellenden Sinnes.
Diese Darstellung geht über den bewussten 'Zweck'/'Grund' zu Handeln, wie er dem
Handelnden bewusst ist, hinaus – verstehen ist Explikation von implizitem Sinn einer
Handlung und ihrer Produkte (das inkludiert auch Sprache und Texte). Der Interpretierende
versteht in diesem Sinne mehr als der Handelnde, der, um handeln zu können, 'Sinnvolles'
zugunsten des Handlungszieles unbewusst lässt (Sprache zugunsten des ausgesprochenen
Inhalts).
d.h. natürlich nicht, dass man das, was explizit gesagt/ getan wird, ignoriert – aber
Interpretation beschränkt sich eben nicht darauf: die eigentlich interpretatorische Leistung ist,
das auszudrücken, was eben nicht schon offensichtlich dasteht/ausgedrückt ist! Das ist der
Grund, warum bei derartigen Lvs (z.B. bei mir) Arbeiten, die sich auf Inhaltsangabe
beschränken, nicht als Interpretation im Sinne einer Verstehensleistung anerkannt werden.
Bei Habermas und Luhmann tritt der Aspekt der Kommunikation in den Vordergrund (der bei
Buck nicht thematisiert wird), beide betonen als Soziologen den sozialen Aspekt des
Verstehens und sind nicht mehr (nur) als Hermeneutiker zu betrachten:
•
Jürgen Habermas versucht entsprechend seiner Herkunft aus der 'Frankfurter Schule'
über den Aspekt rationaler Begründungen eine kritische Perspektive in die Hermeneutik
einzuführen. Die 'Kritiklosigkeit' der Hermeneutik ist ihr altes Problem: Verstehen eines
vorgegebenen Sinns bedeutet natürlich auch, nicht hinter diesen Sinn steigen zu können, als
'Verstehen' über keinen externen Standpunkt zur Kritik zu verfügen. Historisch-faktisch hat
sich die Hermeneutik und ihre Vertreter vor allem im 3. Reich diskreditiert – als überwiegend
kritiklose Ausleger nationalsozialistischen Gedankenguts (bis hin zu Heidegger).
Jürgen Habermas ist somit nicht in einer Gegenposition zur Hermeneutik, sondern sucht sie
aus einer modifizierten erkenntnistheoretischen Position heraus zu erweitern.
•
Niklas Luhmann steht hingegen sehr wohl in einer Gegenposition: Er beschreibt zwar das
Phänomen
analog
zur
Hermeneutik
(und
eigentlich
analog
beiden
Positionen:
das
grundsätzliche Verstehen als Beobachtung der Handhabung Sinn entspricht in vielem der
verstehenden Reflexion bei Buck (in der der Interpret für Sinnexplikation zuständig ist), der
Übergang vom falschen zum zunehmend richtigen Verstehen vor allem der Position von
Habermas
–
dem
kommunikativen
Herstellen
einer
gemeinsamen
Welt),
auf
erkenntnistheoretischer Ebene lehnt er jedoch grundsätzliche Annahmen der Hermeneutik
ab. Vor allem die Vorstellung des Subjekts ist dem Systemtheoretiker Luhmann suspekt
(siehe zum Begriff des 'System' Skript zum 12. Termin), und er möchte das Monopol des
Menschen (als einzelnes Subjekt) auf Verstehen brechen – bei Luhmann verstehen soziale
11
Systeme (Organisationen, Institutionen, Gesellschaften) ebenso wie psychische Systeme
(Menschen).
Zusammenschau Verstehen
Das Folgende ist im Prinzip eine Wiederholung von bereits Besprochenem mit besonderer
Beachtung der Positionen der von uns besprochenen Autoren zu Kernaspekten des
Phänomens 'Verstehen' in hermeneutischer Deutung.
"Verstehen ist das Erkennen von etwas als etwas (Menschliches) und gleichzeitig das
Erfassen seiner Bedeutung" (Dilthey)
Findet sich dieses 'Bild', diese Annahme auch bei unseren Autoren?
Buck: JA
Habermas: JA
Luhmann: JEIN - Verstehen können selbstreferentielle Systeme: Deren 'Träger' sind zwar
Menschen, aber darauf kommt es nicht an – das System versteht (eine Gesellschaft – nicht
'nur' ihre Mitglieder) Allerdings könnte man eine ganz ähnliche (analoge) Definition finden,
die die Systemtheorie akzeptieren würde: Verstehen ist das Beobachten von etwas als
kontingent (systemrelativ) in Bezug auf seinen Sinn.
Gegensatz: verstehen – erklären
Verstehen zielt auf Sinn, Bedeutung, erklären dagegen ist das Herleiten von Tat-sachen aus
Ur-sachen, das Ableiten einer Gegebenheit von einem Prinzip, Gesetz.
Buck: JA – Verstehen ist Explikation impliziten Sinns
Habermas: JA - explizit im Beispiel der Laute
Luhmann: : JA - explizit im Beispiel der Knöpfe
Gegensatz Sinn 'erzeugen'/'zuschreiben' – Sinn erfassen
subjektiv - objektiv
erlebensorientiert - erlebbar
Inneres - Äußeres
Buck: JA
12
Habermas: JA
Luhmann: : JA – mit einer Einschränkung: der Begriff des Subjektiven findet sich nicht bei
Luhmann (er wird teilweise durch Systemrelativität und die Funktionsbeschreibungen
'autopoietisch' und 'selbstreferentiell' ersetzt). Diese Vermeidung des Subjektiven zeichnet
Luhmann als Gegenpol zur Hermeneutik aus.
2. Wie geschieht Verstehen?
Auslöser bewussten Verstehen ist die Störung eines 'selbstverständlichen' Kontextes
(Dilthey)
Buck: JA – in einer Variation: Verstehen ist Bewusstmachung eines im Handeln
'selbstverständlichen' Sinns – wodurch auch immer ausgelöst
Habermas: JA
Luhmann: JA
Vorgang des Verstehens – Modelle des Verstehens
Es existieren verschiedene Vorstellungen, auf welche Weise Verstehen geschieht:
•
Schleiermacher: dadurch, dass die Perspektive des Anderen eingenommen wird
–
bildlich gesprochen: der verstandene Sinn ist der des Autors:
S
•
S
Dilthey: dadurch, dass das eigene Erleben im Anderen wiedergefunden wird , nachbilden
bildlich gesprochen: der verstandene Sinn ist wieder v.a. der des Autors:
S
•
S
Gadamer: dadurch, dass man sich vom Anderen (und vom Sinngehalt seiner Handlung)
ansprechen lässt, dass man dem Anderen 'begegnet'
bildlich gesprochen: der verstandene Sinn ist eine 'Begegnung zweier Sinnzuschreibungen,
d.h. steht 'zwischen' Autor und Interpreten
S
•
S
Habermas: dadurch, dass man mit dem Anderen kommuniziert (zumindest vorgestellt)
bildlich gesprochen: der verstandene Sinn ist 'Austausch' zweier Sinnzuschreibungen (mit
Gründen in Absicht einer Einigung) , d.h. steht 'zwischen' Autor und Interpreten
13
S
•
S
Luhmann: wieder dadurch, dass man mit dem anderen (System) kommuniziert
bildlich gesprochen: der verstandene Sinn ist 'Austausch' zweier Sinnzuschreibungen, d.h.
steht 'zwischen' Autor und Interpreten (eigentlich analog beiden anderen Positionen: das
grundsätzliche Verstehen als Beobachtung der Handhabung Sinn entspricht in vielem der
verstehenden Reflexion bei Buck (in der der Interpret für Sinnexplikation zuständig ist), der
Übergang vom falschen zum zunehmend richtigen Verstehen vor allem der Position von
Habermas – dem kommunikativen Herstellen einer gemeinsamen Welt)
S
•
S
Buck: dadurch, dass impliziter Sinn reflektiert und damit bewusst gemacht wird
bildlich gesprochen: der verstandene Sinn ist Reflexionsleistung Interpreten – auf Basis des
Erkennens impliziter Sinnzusammenhänge – er ist beim Interpreten lokalisiert
S
S
Bei allen vorgestellten Modellen wird Verstehen als ein prinzipiell nicht abschließbarer
zirkulärer
Prozess
(der
Kommunikation
/
Reflexion
etc.)
beschrieben:
bei
den
Hermeneutikern (Schleiermacher, Dilthey, Gadamer, Buck, Habermas) als hermeneutischer
Zirkel, bei Luhmann als zirkulärer Referenzprozess (nicht als hermeneutischer Zirkel, weil
kein Subjekt daran beteiligt ist!)
Wie ist Verstehen möglich?
• individuell
• allgemein - kulturell
Durch einen gemeinsamen Verständnishorizont – weil wir nicht alles neu erfinden, sondern
auf gemeinsame Kultur und Geschichte (Sprache, Traditionen etc.) zurückgreifen – eine
'Sphäre der Gemeinsamkeit' Æ Hegels Begriff des 'objektiven Geistes'.
• allgemein - funktional
Durch
Vorstellungen
Verstehen
zugrunde
gleicher/gemeinsamer
liegen
Fähigkeiten/'Funktionsweisen',
(Reflexionsfähigkeit
des
die
Subjekts/Selbstreferentialität
dem
des
Systems)
Buck: JA
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Habermas: JA
Luhmann: JA – allerdings ist das Gemeinsame, das Verstehen ermöglicht, bei Luhmann
schlicht die Funktionsgleichheit selbstreferentieller Systeme – ein System versteht ein
anderes, weil es genauso selbstreferentiell agiert wie das beobachtete.
Vollkommenes Verstehen und hermeneutische Differenz
Es bleibt aber immer auch eine Individualität des Verständnisses, die dafür verantwortlich
ist, dass eine bedeutungsvolle Äußerung nie ganz und nie genau gleich verstanden werden
kann. Die hermeneutische Differenz ist nie zur Gänze überwindbar, zugleich ist es Anspruch
der
Hermeneutik,
sie
durch
Bezug
auf
einen
übergeordneten,
gemeinsamen
Sinneszusammenhang möglichst aufzuheben.
Buck: JA – durch die bewusste Reflexion des Impliziten kann der Interpret den Autor
allerdings sogar besser verstehen als dieser sich selbst (solange der Autor nicht
selbstaufklärend auch eigenes Handeln reflektierend interpretiert - d.h. ein Gegenbild der
hermeneutischen Differenz), allerdings versteht er dabei etwas Anderes als der Autor, nie
genau dasselbe.
Habermas: JA
Luhmann: JA – allerdings wieder in nicht-hermeneutischem Vokabular.
Insgesamt sehen wir also weitgehende Gemeinsamkeiten der Autoren in Ihrem Verständnis
von 'Verstehen'. Wichtig sind vor allem folgende Differenzierungen:
o
Buck und Habermas vertreten ein hermeneutisches Verstehensmodell, das
jeder in seine Richtung weiterentwickelt hat. Luhmann hingegen ist kein
Hermeneutiker,
er
erkennt
auf
erkenntnistheoretischer
Ebene
das
gegenständliche und subjektbezogene Denken der Hermeneutiker nicht an wobei die Hermeneutik in Vergleich zu empirischen Wissenschaften ja bereits
auf 'halbem Weg' zur Systemtheorie ist: Sie kennt zumindest als Prozess
(wenn auch nicht in der Logik) zirkuläre Denkprozesse, sie verweist weg vom
Gegenstand auf ein Inneres, Relationierendes (Sinn als Zusammenhang) etc..
Das macht es Luhmann vergleichsweise leicht, den Sinnbegriff als einen
zentralen in die Systemtheorie 'einzubauen'.
o
auf
Ebene
des
Phänomens
'Verstehen'
ist
Luhmann
ganz
nahe
bei
Hermeneutikern, vor allem bei Habermas, der wie er den kommunikativen
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Aspekt in den Mittelpunkt stellt. Hier unterscheidet sich Buck – der verstehen
als Reflexion von Handeln begreift – von den beiden anderen Autoren.
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