EKG EK Elektrokardiographie GK 3.1 3.1.4 3.2 3.4 Vorbereitung: Physik-Praktikum: Versuch 41: „Elektrische Leitung/Ionentransport“, Elektrophysiologie des Herzens Elektrokradiographie (EKG) Mechanik des Herzens Steuerung der Herzfunktion Versuch 42: „Elektrische Potentiale / EKG“ Schmidt/Lang/Thews (29. Aufl.), Kapitel 25 Herzerregung Klinke/Silbernagl (5. Aufl.), Kapitel 7 Das Herz Deetjen/Speckmann/Hescheler (4. Aufl.), Kapitel 8 Herz-Kreislauf-Funktion Golenhofen (3. Aufl.), Kapitel 4 Membranpotenzial und elektrische Erregung Kapitel 6 Bewegungsprozesse Kapitel 8 Herz Vorbereitung online: Medizinisches –Lernsystem http://www.khk.uni-duesseldorf.de • In das Lernsystem Theoretische Medizin einloggen – Bitte dazu die ausführliche Beschreibung auf Seite 1 dieses Skriptes durchlesen. • Im Lernsystem auf Vordefinierte Modulsequenzen (Kurse) klicken • Stichwort: PhysioP eingeben • folgende Kurse bearbeiten: * Erregungsbildung und -leitung * Grundlagen EKG (1) * Analyse und Aussagemöglichkeiten des EKG (2) Links: Elektrokardiogrammspiel (Englisch) http://www.nobel.se/medicine/educational/ecg/index.html Herzanimation: Druckkurven, EKG und Herztöne (Englisch) http://www-medlib.med.utah.edu/kw/pharm/hyper_heart1.html Befundete Beispiel EKGs (Englisch) http://www.ecglibrary.com/ecghome.html EKG-World Encyclopedia (Englisch) http://sprojects.mmi.mcgill.ca/heart/egcyhome.html Vektorkardiogramm und Ableitung des EKG (Englisch) http://medstat.med.utah.edu/kw/ecg/animations/ecg.html Lernziele: Entstehung und Ableitformen des EKG, Erregungsbildung und Erregungsausbreitung im Herzen, diagnostische Aussagen, zeitliche Beziehung zwischen EKG und Herzmechanik. Weitere Voraussetzung: Bleistift, Lineal, Winkelmesser ! (Geometriedreieck) EK 1 EKG Hausaufgaben Zur Vorbereitung auf den Praktikumstag arbeiten Sie bitte die angegebenen Kapitel in den Lehrbüchern und die Vorlesungsmaterialien durch, und beantworten sie folgende Fragen: 1. Welche intra- und extrazellulären Konzentrationen findet man im Herzen für Na+, K+, Ca2+, Cl und HCO3 ? Wie berechnet man daraus das entsprechende Gleichgewichtspotential für eine Ionensorte? 2. Das Ruhepotential des Ventrikelmyokards beträgt ca. -85 mV. Wie kommt es zustande? 3. Welche Aufgabe hat die Na/K-ATPase in der Herzmuskelzelle? 4. Welche Ionenkanäle bzw. -pumpen lassen sich mit Hilfe welcher Substanzen spezifisch blockieren? 5. Beschreiben Sie den Mechanismus für die Noradrenalin-modulierte Erhöhung der intrazellulären Ca2+-Konzentration. 6. Stellen Sie die wesentlichen Unterschiede zwischen den Aktionspotentialen einer Myokard- bzw. einer Schrittmacherzelle heraus. 7. Welche Arten von AV-Blöcken gibt es? 8. Versuchen Sie mit wenigen Worten zu beschreiben, was eine Vektorschleife (Vektorkardiogramm) darstellt. Welche EKG-Ableitungen werden für eine 3D-Vektorschleife verwendet? 9. Wie kann man aus dem Abstand (Länge!) zweier aufeinanderfolgender R-Zacken auf die Herzfrequenz schließen? Warum ist diese Methode ungenau? 10. Ein verwirrter Student vertauscht die EKG-Elektroden an den Armen. Welche Auswirkungen hat dies auf die drei Einthoven-Ableitungen? 11. Mit Hilfe des Einthoven-Dreiecks bestimmen Sie Ihren aktuellen Herzlagetypen und kommen zu einem anderen Ergebnis als noch vor einigen Jahren. Welche Gründe kann es dafür geben? 12. Vergleichen Sie EKG und Aortendruckkurve auf derselben Zeitachse, um sich den zeitlichen Ablauf der elektrophysiologischen und mechanischen Aktionen zu vergegenwärtigen. 13. Welche Arten von Extrasystolen gibt es und welche Charakteristika weisen sie auf? 14. Wie kann es zu einer sogenannten „kreisenden Erregung“ kommen? 15. Welche Bedeutung haben PQ- bzw. ST-Strecke? Was passiert (im intakten Herzen) während dieser Phasen in der Vektorschleife? 16. Welche Herzlagetypen lassen sich aus einem EKG ermitteln? EK 2 EKG Zusammenfassung Die Pumpwirkung des Herzens beruht auf einer rhythmischen Abfolge von Kontraktion (Systole) und Entspannung (Diastole). Elektrische Signale koordinieren dabei die gleichzeitige Kontraktion der Herzmuskelzellen. Im Sinusknoten, dem primären Schrittmacher des Herzens, entstehen die Erregungen, die über das Reizleitungssystem des Herzens (Vorhof, AV-Knoten, His-Bündel) das Kammermyokard erreichen. Bei Überschreitung der Erregungsschwelle der Herzmuskelzellmembran führt die Erregung zu einem Aktionspotential. Durch das Aktionspotential ausgelöste Ionenströme (Na+, Ca2+, K+) bewirken dann eine Aktivierung des kontraktilen Apparates. Grundlage der Elektrokardiographie sind Potentialdifferenzen, die zwischen erregtem und unerregtem Muskelgewebe entstehen und sich über den ganzen Körper ausbreiten. Diese im Herzmuskel auftretenden Potentialschwankungen können an der Körperoberfläche mit der Elektrokardiographie nachgewiesen werden. Fallbeispiel Ein 44-jähriger Fernfahrer, der einen ausgeprägten Nikotinabusus betreibt (40 Zigaretten täglich), verspürt seit drei Jahren mit zunehmender Häufigkeit belastungsabhängige Engegefühle in der Brust (Angina pectoris). Einen Arzt hat er bisher nicht aufgesucht, zumal alle seine Freunde die Beschwerden auf den drei Jahre zurückliegenden Tod seines Vaters in der Folge eines Herzinfarktes zurückführen. Morgens um vier Uhr wird er durch heftigste Schmerzen geweckt, die in den linken Arm und Unterkiefer ausstrahlen und ihm das Gefühl geben, durch eine tonnenschwere Last auf seiner Brust vernichtet zu werden. Der herbeigerufene Notarzt leitet ein EKG ab und begleitet den Patienten ins Krankenhaus. Verdachtdiagnose Als Sofortmaßnahmen verabreicht der Notarzt ein Opiat sowie aufgrund häufiger werdender Extrasystolen Lidocain. Beide Medikamente werden intravenös verabreicht, da bei der Verdachtsdiagnose Myokardinfarkt intramuskuläre Injektionen streng kontraindiziert sind (sie würden das Enzymbild verfälschen und vor allem eine unter Umständen lebensrettende Lyse unmöglich machen). Im Rettungswagen wird dem Patienten zusätzlich eine Nasensonde mit Sauerstoff angelegt. Bei der Ankunft in der Notaufnahme werden im EKG massive Hebungen über der Hinterwand gesehen und der Patient daher unmittelbar ins Herzkatheterlabor verlegt, wo mittels eines Ballon-Katheters (PTCA = perkutane transluminale koronare Angioplastie) die proximal verschlossene kräftige rechte Koronararterie wieder eröffnet und aufgedehnt wird. Unmittelbar nach der Aufdehnung ist der Patient beschwerdefrei und drängt auf die baldige Entlassung. Der behandelnde Arzt klärt den Patienten jedoch über das erhebliche Risiko eines frühzeitigen Wiederverschlusses des Herzkranzgefäß sowie über die vom Randsaum des geschädigten Myokards häufig ausgehenden malignen Rhythmusstörungen auf, so daß der Patient einer weiteren Behandlung zustimmt. Zunächst wird der Patient zwei bis drei Tage intensivmedizinisch überwacht. Hierauf wird er auf Normalstation verlegt und darf nach einigen Tagen Frühmobilisation das Bett verlassen. Für etwa eine weitere Woche erholt sich der Patient stationär und wird weiter krankengymnastisch mobilisiert. Beschwerden treten während des Behandlungszeitraums nicht mehr auf. Nach seiner Entlassung stellt der Patient das Rauchen ein und schließt sich einer Koronarsportgruppe an. Er bleibt unter regelmäßiger kardiologischer Kontrolle. Ein Termin für eine Kontroll-Koronarangiographie wird in sechs Monaten vereinbart. EK 3 EKG Physiologisches Kernwissen Bei der Ausbreitung und Rückbildung der Erregung im Herzen entsteht ein elektrisches Feld, das bis zur Körperoberfläche ausgreift. Die dabei entstehenden Potentialdifferenzen zwischen zwei Punkten auf der Körperoberfläche lassen sich als Elektrokardiogramm registrieren. Grundlage der Potentialschwankungen stellen diejenigen Potentialveränderungen dar, die bei der Erregung der einzelnen Herzmuskelfaser als monophasisches Aktionspotential (intrazelluläre Mikroelektroden-Ableitung) gemessen werden können. Bei extrazellulärer Ableitung entsteht ein Potential nur zwischen erregten und ruhenden Muskelfasern. Folglich liefern vollständig erregte oder ruhende Muskelmassen mit dieser Ableittechnik kein Potential. Größe und Lage der Potentialdifferenz ändern sich kontinuierlich entsprechend der Erregungsausbreitung am Herzen. Formaler Ausdruck einer Potentialdifferenz ist ein Vektor, dessen zeichnerisches Symbol ein Pfeil ist. Die Größe des Pfeils stellt ein Maß für die Höhe der Potentialdifferenz dar, wobei die Pfeilspitze immer auf den positiven Pol gerichtet ist. Die bei der Erregungsausbreitung am Herzen an jeder Muskelfaser entstehenden Einzelvektoren lassen sich nach den Gesetzen der Vektoraddition als Summationsvektor (Integralvektor) darstellen. Die Verbindungslinie der Spitzen aller Integralvektoren für eine volle Herzaktion ergibt das räumliche Bild des Vektorkardiogrammes. Hier stellt sich die Vorhoferregung als P-Schleife, die Kammerdepolarisation als QRS-Schleife und die Kammerrepolarisation als T-Schleife dar. In Abb. 1 ist die Zuordnung zwischen EKG-Zacke (a), Ableitung II nach EINTHOVEN (b), Vektorkardiogramm (c) und Herzerregung (d) schematisch zusammengefaßt. EK 4 EKG Abb. 1: Entstehung des EKG (aus Deetjen/Speckmann, Physiologie, Urban & Schwarzenberg) In der Klinik werden im Regelfall keine räumlichen (sprich: 2- oder 3-dimensionalen) Vektorkardiogramme analysiert, sondern 1-dimensionale Ableitungen, da sie leichter aufzuzeichnen und vor allem zu interpretieren sind. Eine typische EKG-Ableitung zeigt Abbildung 2: P-Welle, Q-, R-, S-Zacke und EK 5 EKG T-Welle sind eindeutig zu erkennen. Die Dauer des PQ-Intervalls geht von Anfang der P-Welle bis zum Anfang der Q-Zacke; die Dauer des QRS-Komplexes vom Anfang der Q- bis zum Ende der SZacke und das QT-Intervall vom Anfang der Q-Zacke bis zum Ende der T-Welle. Abb. 2: Elektrokardiogramm Das EKG als Ausdruck der elektrischen Erregung des Herzens und der Erregungsleitung ist eng gekoppelt an die mechanische Herzaktion. Die gemessenen Potentialdifferenzen beruhen letztlich auf der Bildung und Fortleitung von Aktionspotentialen. Dem Beginn eines kardialen Aktionspotentials folgt nach wenigen Millisekunden ein Ca2+-Einstrom, der in kurzer Zeit, noch während der Plateau-Phase des Aktionspotentials, zu einer hohen zytosolischen Ca2+-Konzentration führt. Diese wiederum aktiviert die Aktin-Myosin-ATPasen und bewirkt damit die Spannungsentwicklung der einzelnen Herzmuskelfaser. Die maximale Spannung wird während der absoluten Refraktärzeit erreicht. Damit geht in der elektromechanischen Kopplung die elektrische Erregung jeweils der mechanischen Herzaktion um sehr kurze Zeit voraus. Ein Ausdruck der mechanischen Herzaktion sind die „Herztöne“. Der 1. Herzton entsteht als dumpfes Geräusch während der Anspannungsphase (Anspannungston). Der 2. Herzton ist heller und fällt mit dem Schluß der Aorten- und Pulmonalklappe zusammen (Klappenschlußton) (s. HZV-Praktikum). EK 6 EKG Aufgabe 1: Registrierung von EKG, Phonokardiogramm und Carotispuls (Demonstrationsversuch) Als Ausdruck der mechanischen Herzaktion sollen nun die „Herztöne“ mit Hilfe eines Mikrofons aufgenommen und simultan mit dem EKG aufgezeichnet werden. Parallel wird der Carotispuls mit einem Druckaufnehmer erfaßt und ebenfalls dargestellt. Die Erfassung des zeitlichen Ablaufs von EKG, Phonokardiogramm und Carotispuls-Kurven gibt einen nicht-invasiven Einblick in die Kopplung von elektrischer Erregung und mechanischer Funktion des Herzens. Zusätzlich soll mit Hilfe der 6 Frontalableitungen (Einthoven, Goldberger) eine Abschätzung des Herzlagetyps erfolgen. Dazu legt sich ein freiwilliger Proband ruhig auf einen Untersuchungstisch. Um die Potentialdifferenzen zwischen zwei Extremitäten registrieren zu können, werden an beiden Hand- und Fußgelenken Elektroden befestigt (eine Verlagerung der Elektroden nach proximal verändert die Registrierung nicht). Zur Verbesserung des Kontaktes zwischen Haut und Elektrode wird etwas Gel oder Spray benutzt. Die Stecker des Kabels, das von den Elektroden zum Registriergerät führt, werden folgendermaßen an die Elektroden gesteckt („Ampelregel“): roter gelber grüner schwarzer Stecker Stecker Stecker Stecker R L F N rechter linker linkes rechtes Arm Arm Bein Bein Die Potentialdifferenzen werden durch Vorverstärker verstärkt und nach Wandlung der analogen Signale des Probanden als digitale Daten auf einen PC gegeben. Aufgabe 2: Vektorkardiogramm (Demonstrationsversuch) Um deutlich zu machen, daß die zuvor gezeigte eindimensionale Ableitung aus dem räumlichen Ablauf der elektrischen Erregung im Herzen resultiert, wird eine zweidimensionale Darstellung des Vektorkardiogramms, die Vektorschleife in der Frontalebene, dargestellt. Dazu werden folgende Ableitungen verwendet: 1) Die durch das vom Herzen ausgehende elektrische Feld bewirkten Potentialdifferenzen in transversaler Richtung, also z.B. zwischen beiden Armen. 2) Die Potentialdifferenzen in einer zu 1) vertikalen Ableitung. EK 7 EKG Aufgabe 3: Standard-Extremitätenableitungen nach EINTHOVEN Prinzip Das Ruhe-EKG aller Studierenden soll aufgezeichnet und ausgewertet werden. Hierzu werden die bipolaren Extremitätenableitungen nach EINTHOVEN eingesetzt: Ableitung I Ableitung II Ableitung III linker Arm - rechter Arm linkes Bein - rechter Arm linkes Bein - linker Arm Wichtiger Hinweis: Wenn die Versuchperson nicht absolut ruhig liegt, werden statt eines Elektrokardiogrammes Muskelpotentiale erfaßt! Durchführung 1. Die Versuchsperson legt sich ruhig auf den Untersuchungstisch. An Hand- und Fußgelenken werden die Elektroden befestigt. Gel oder Spray nicht vergessen! 2. Die Stecker des Elektrodenkabels werden nach der Ampelregel am Probanden befestigt. 3. Ableitung der Potentialdifferenzen der Ableitungen I, II, III nach Einthoven. Dabei dient die Elektrode am rechten Bein zur Erdung. Bemerkung: An klassischen EKG-Geräten ist die Verstärkung der abgeleiteten Potentialdifferenzen so gewählt, daß ein Ausschlag des Schreibers von 1 cm einer Spannung von 1 mV entspricht. Ergebnisse und Auswertung Auswertung des EKGs Die verschiedenen Abschnitte des EKGs werden ausgemessen und in Tabelle 1 eingetragen. Dabei gilt die Linie als Nulllinie, die vom Registriergerät geschrieben wird, wenn keine Potentialdifferenz entlang der entsprechenden Ableitungsrichtung auftritt. Das ist z.B. der Fall zwischen der T-Welle und der P-Welle. Ist in einer Ableitung die genaue Identifizierung einer benötigten Zacke/Welle nicht möglich, so entfällt die entsprechende Zeitbestimmung. P (ms) PQ (ms) QRS (ms) QT (ms) I II III Die gemessene Dauer der verschiedenen Abschnitte des EKGs wird nun verglichen mit den Richtwerten für ein normales Extremitäten-EKG bei Ruhefrequenz: P-Welle Q-Zacke S-Zacke EK 8 50 - 110 ms ≤ 40 ms ≤ 60 ms QRS-Komplex PQ-Intervall QT-Intervall 60 - 110 ms 120 - 210 ms frequenzabhängig EKG Bestimmung der Herzfrequenz Aus dem Abstand zweier R-Zacken läßt sich die Herzfrequenz (Schläge pro Minute) folgendermaßen berechnen: 60 (s/min) H e r z f r e q u e n z (min-1) = -----------------------------R-R -Abstand (s) Es ist zweckmäßig, mehrere Abstände auszumessen, da sich der Abstand in rhythmischem Wechsel als Folge der Atmung verändern kann (respiratorische Arrhythmie); inspiratorisch steigt und exspiratorisch sinkt die Herzfrequenz. Die respiratorische Arrhythmie tritt physiologischerweise bei Jugendlichen, weniger bei Erwachsenen auf; sie ist bei tiefer Atmung ausgeprägter als bei flacher. Sie ist bedingt durch eine zentrale Änderung des Vagustonus' bei der Atmung. Lagetypbestimmung Aus den Standardextremitätenableitungen läßt sich die Lage der anatomischen Herzachse annähernd bestimmen (dies trifft nicht zu, wenn ausgeprägte Myokardnarben vorliegen, z.B. nach Herzinfarkt). EINTHOVEN stellte die vorerst rein theoretische, später zum Teil experimentell bestätigte Hypothese auf, daß die drei Ableitungspunkte der Standard-Extremitätenableitung (linker Arm, rechter Arm, linkes Bein) die Spitzen eines in der Frontalebene liegenden gleichseitigen Dreiecks (EINTHOVENSCHES Dreieck) darstellen, in dessen Mitte sich das Herz als elektrischer Dipol befindet. Dieser Dipol kann als Vektor dargestellt werden. Die Vektorspitze bezeichnet man mit Plus und die Vektorbasis mit Minus. Die Länge des Vektors entspricht der Größe der Potentialdifferenz. Dieser Vektor ändert während einer Herzaktion ständig seine Richtung und seine Größe (→ Vektorkardiogramm). Die Ableitung I erfaßt Potentialdifferenzen längs der Verbindungslinie zwischen linkem und rechtem Arm, also längs der oberen Seite des EINTHOVENSCHEN Dreiecks. Die Ausschlagshöhe in Ableitung I entspricht daher nicht der vollen Größe des Vektors, sondern nur der Projektion des Vektors auf die obere Seite des Dreiecks. Die Ableitung II erfaßt die Projektion des Vektors auf die linke Dreieckseite und die Ableitung III erfaßt die Projektion auf die rechte Dreieckseite (siehe Abbildung 3). Zum Zeitpunkt des Hauptausschlages des QRS-Komplexes weist der Vektor ziemlich genau entlang der anatomischen Herzachse von der Herzbasis zur Herzspitze. Wenn man von den Hauptausschlägen des QRS-Komplexes in den Ableitungen I, II und III ausgeht, so kann man mit Hilfe des EINTHOVENSCHEN Dreieckschemas die Lage des Vektors in der Frontalebene konstruieren (siehe Abbildung 3); die Lage dieses Vektors entspricht der Lage der anatomischen Herzachse (gilt nur, wenn die elektrische Herzachse der anatomischen entspricht). Der Winkel, den die Achse mit der Horizontalebene bildet, benennt den Lagetyp des Herzens. Klinische Bedeutung haben vor allem plötzliche Änderungen der Lagetypen, die z. B. bei einem neu auftretenden Rechtstyp auf eine Lungenembolie hinweisen könnten. EK 9 EKG Abb. 3: Ermittlung des EKG-Lagetyps aus den Extremitätenableitungen nach EINTHOVEN Man unterscheidet folgende Lagetypen: 30° 0° 30° 60° 90° EK 10 < bis bis bis bis bis > 30° 0° 30° 60° 90° 120° 120° überdrehter Linkstyp Linkstyp Horizontaltyp Indifferenz- oder Normtyp Steiltyp Rechtstyp überdrehter Rechtstyp EKG Hintergrund Weitere EKG-Ableitungen und Aussagemöglichkeiten des EKGs Unipolare Extremitätenableitungen (GOLDBERGER) Für die unipolaren Extremitätenableitungen nach GOLDBERGER werden die gleichen Elektroden wie für die bipolaren Extremitätenableitungen nach EINTHOVEN verwandt. Es wird jeweils die Potentialdifferenz zwischen einer Extremität und einer Bezugselektrode gemessen, die durch Spannungsteilung zwischen den beiden anderen Extremitäten entsteht, beispielsweise die Spannung zwischen linkem Fuß einerseits und dem gemeinsamen Potential von rechtem und linkem Arm andererseits. Die resultierende Ableitungslinie (aVF) stellt in diesem Fall die Winkelhalbierende zwischen den Ableitungen EINTHOVEN II und III dar und verläuft senkrecht zu Ableitung I (s. auch Vektorkardiogramm). Unipolare Brustwandableitung nach WILSON: Hier werden die Elektroden von drei Extremitäten (beide Arme, linkes Bein) über hochohmige Widerstände miteinander verbunden. Dadurch erhält man einen brauchbaren Nullpunkt, die sogenannte indifferente Wilson-Elektrode. Die differente Elektrode befindet sich auf der Brustwand. Zwischen beide Elektroden ist das Registriergerät geschaltet. Man wählt für diese unipolaren Brustwandableitungen üblicherweise sechs Ableitungspunkte, die mit V1 bis V6 bezeichnet werden. Ihre Lage ist folgende: V1 V2 V3 V4 V5 V6 rechter Sternalrand im 4. Intercostalraum (ICR) linker Sternalrand im 4. ICR Mitte zwischen V2 und V4 linke Medioclavicularlinie im 5. ICR linke vordere Axillarlinie in gleicher Höhe wie V4 linke mittlere Axillarlinie in gleicher Höhe wie V4 In den Ableitungen V1 und V2 fehlt normalerweise eine Q-Zacke, die R-Zacke ist klein und die SZacke groß. In V3 und V4 sind R und S etwa gleich groß. In V5 und V6 finden sich kleine Q- und SZacken, während R groß ist, so daß das Bild den Standardextremitätenableitungen ähnelt. Die P- und T-Wellen sind normalerweise in allen Ableitungen positiv. Während die unipolaren Extremitätenableitungen nach GOLDBERGER ebenso wie die Ableitungen nach EINTHOVEN die Projektion der 3-dimensionalen Vektorschleife auf die Frontalebene erfassen, sind die Brustwandableitungen nach WILSON im Prinzip eine Ableitung in der Transversalebene. Dies spielt z. B. in der Lokalisationsdiagnostik bei Herzinfarkt eine wichtige Rolle. Zusätzliche, klinisch seltener angewandte, Ableitungen sind die Brustwandableitung nach NEHB (leicht geneigte Horizontalebene, eine der drei Elektroden dorsal) sowie das Ösophagus-EKG, welches über Elektroden im Ösophagus Informationen über die Nahpotentiale des linken Vorhofs und der linken Kammerhinterwand liefert. Aussagemöglichkeiten des EKG In der kardiologischen Diagnostik spielt das EKG eine große Rolle, um Veränderungen der Erregungsbildung und der Erregungsausbreitung als Ursache oder Folge von Störungen der kardialen Funktion aufzudecken. Das EKG ist primär Ausdruck der Herzerregung, nicht aber der Herzkontrakti- EK 11 EKG on. Die diagnostische Aussagekraft des EKGs steigt bedeutend an, sobald ein früheres VergleichsEKG des Patienten zur Verfügung steht (Veränderung der Herzlage, des Erregungsursprungs, etc.). Grundsätzlich lassen sich aus dem EKG folgende Informationen gewinnen: - - Frequenz: Liegt eine normale Ruhefrequenz (60 - 90 min-1), Tachykardie oder Bradykardie vor? Ursprung der Erregung: Geht die Erregung regelhaft vom Sinusknoten aus? Oder entsteht sie z. B. in den Ventrikeln? Rhythmusstörungen: Unterscheidung nach Art und Ursprung (z.B. Sinusarrhythmie, Vorhofflattern/-flimmern, (supra)ventrikuläre Extrasystolie, Kammerflattern/-flimmern) Leitungsstörungen: Differenzierung nach Grad (Verzögerung oder Leitungsblock) und Lokalisation (z.B. sinu-atrialer Block, AV-Block, Tawara-Schenkel-Block) Herzlage: Hinweis auf die anatomische Herzlage beim Gesunden, Hinweise aber auch z. B. auf eine einseitige Hypertrophie oder auf einen Schenkelblock kardiale Störungen der Erregung: Hinweise z. B. auf eine unzureichende Sauerstoffversorgung bei koronarer Herzkrankheit, Entzündungen oder Herzklappenfehler Myokardinfarkt: Anhaltspunkte hinsichtlich Lokalisation, Ausdehnung, Verlauf und Komplikationen (Rhythmusstörungen, Aneurysma) Extrakardiale Einflüsse: EKG-Veränderungen bei Störungen des Elektrolythaushaltes (z.B. Hyperkaliämie), bei Vergiftungen oder bestimmten Arzneimitteln (Herzglykoside) Klinisches Kernwissen Der Myokardinfarkt − Manifestation der koronaren Herzkrankheit (KHK) Vorkommen und Häufigkeit In Deutschland erleiden jedes Jahr 330 von 100.000 Einwohnern einen Myokardinfarkt. Ein Drittel aller Infarkte verläuft tödlich. 15-20% aller Infarkte verlaufen als sogenannte stumme Infarkte (ohne klinische Symptome). Dies ist besonders bei Diabetikern und alten Patienten der Fall. Zum Myokardinfarkt kommt es praktisch ausschließlich auf dem Boden einer koronaren Herzerkrankung (KHK). In den Industrieländern sind bis zu 20% der Männer im mittleren Lebensalter von der KHK betroffen. Bei Frauen tritt die Erkrankung im Regelfall später auf. Demzufolge ist die KHK die häufigste Todesursache in der westlichen Welt. Die KHK betrifft zu 95% als sogenannte Makroangiopathie die großen epikardialen Koronararterien. Seltener (4%) sind ausschließlich die kleinen, in einer Katheteruntersuchung nicht sichtbaren Arterien, betroffen (Mikroangiopathie, small vessel disease). Letztgenannte Form tritt vor allem bei Diabetikern aber auch bei Patienten mit schwerer chronischer Hypertonie auf. Bei der Entstehung der KHK unterscheidet man Risikofaktoren 1. und 2. Ordnung. Bei Vorliegen von drei Risikofaktoren 1. Ordnung bei einem Patienten ist das Infarktrisiko zehnfach erhöht. Risikofaktoren 1.Ordnung: - Fettstoffwechselstörungen (LDL erhöht, HDL erniedrigt, Triglyceride erhöht) - Nikotinkonsum - Diabetes mellitus - Arterielle Hypertonie - Familiäre Disposition Ursachen Bei der KHK kommt es zur Ausbildung arteriosklerotischer Atherome (Plaques), welche die Koronarstrombahn einengen. Zu regionalen Perfusionsstörungen kommt es erst ab einer Einengung von etwa 50%. Bei einer Einengung von >75% ist in Abhängigkeit vom Kollateralisierungsgrad die Koronarreserve (Differenz zwischen maximal möglicher Koronardurchblutung und derjenigen in Ruhe) erschöpft. Es kommt zu belastungsabhängiger Angina Pectoris. EK 12 EKG Rupturiert ein arteriosklerotisches Atherom so kommt es zur Anlagerung eines Thrombus’, wobei die Kombination aus Plaque und Thrombus die Koronararterie schlagartig verschließen kann. Dies kann als der häufigste Pathomechanismus bei der Entstehung eines Myokardinfarktes angesehen werden. Diagnostik Eine zuverlässige Beurteilung von Schweregrad und Prognose ist bei der KHK nur durch Kombination verschiedener Untersuchungsverfahren möglich. Die Diagnose stützt sich daher auf mehrere Methoden, die man in invasive und nicht-invasive Verfahren aufteilt. Nicht-Invasive Verfahren a) Ruhe-EKG Bei Angina pectoris-Patienten ohne vorausgegangenen Infarkt ist das Ruhe-EKG außerhalb des Beschwerde-Intervalls normal bzw. liefert nur uncharakteristische und damit diagnostisch nicht weiter verwertbare Kurvenänderungen. Daher kommt bei der Diagnose der KHK dem b) Belastungs-EKG besondere Bedeutung zu. Dabei bewegt der Patient ein Fahrradergometer unter variabler definierter Belastung. Der Arzt registriert dabei anhand eines parallel abgeleiteten EKGs, ab welcher Belastung die für eine Angina pectoris typischen Kurvenverläufe auftreten. Dabei handelt es sich vor allem um Senkungen im Bereich des ST-Intervalls. Invasive Verfahren c) Koronar-Angiographie Bei dieser Methode wird ein Katheter über ein großes arterielles Gefäß – vorzugsweise die Leistenarterie – in die Aorta und von dort zum Ursprung der Koronargefäße am Herzen vorgeschoben. Dort wird ein Kontrastmittel eingebracht. Anschließend lassen sich mit Hilfe bildgebender Verfahren weite Teile des Gefäßbaums der Koronargefäße darstellen und somit Ort und Ausprägung von Stenosen (Einengungen) der Koronar-Arterien erfassen. d) Nuklearmedizinische Perfusions-Untersuchungen Hierfür wird dem Patienten ein radioaktiver Marker, z. B. Thallium-201, intravenös gegeben. Anschließend registrieren bildgebende Verfahren, wie sich der Marker unter Belastung im Herzmuskelgewebe verteilt. Minderversorgte oder nach einem Infarkt vernarbte Gewebe nehmen den Marker anders auf und liefern daher ein anderes Verteilungsmuster als gesundes Herzmuskelgewebe. Therapie Bei der Therapie der KHK steht die konsequente Einstellung der Risikofaktoren, auch unter Einsatz von Medikamenten (Blutdrucksenkung, Lipidsenkung) im Vordergrund. Alle Patienten sollten zur Prophylaxe einer Koronarthrombose ASS (Acetylsalicylsäure) 100 mg 1x/d erhalten. Stabile AnginaPectoris-Beschwerden werden mit Nitraten symptomatisch behandelt. Bei Fehlen von Kontraindikationen kann zusätzlich ein ß-Blocker zur Senkung des myokardialen Sauerstoffverbrauchs eingesetzt werden. Bei Vorliegen faßbarer relevanter Koronarstenosen sollte eine Revaskularisation angestrebt werden. Es besteht die Möglichkeit, Stenosen (wie im Fallbeispiel) mittels Ballon-Katheter aufzudehnen (PTCA). Kardiochirurgisch können Stenosen mit aufgenähten arteriellen (maximal zwei: linke und rechte A. marmaria interna) und venösen Bypässen (i. d. R. V. saphena magna) überbrückt werden (Bypass-OP). Bei schwerster KHK mit terminaler Herzinsuffizienz verbleibt als ultima ratio die Herztransplantation. EK 13