8 2014 • Hessisches Ärzteblatt Fortbildung Interaktionen mit Cytochrom-P450 Die Wechselwirkungen der urologischen Spasmolytika Holger Petri Abstract: Für die Einschätzung des Interaktionspotentials der urologischen Spasmolytika auf Ebene der Cytochrom-P450-Enzyme (CYP) ist das Verhalten der einzelnen Wirkstoffe zu CYP3A4 von entscheidender Bedeutung (Tab 1). Die in der PRISCUS-Liste emp­ fohlene Substanz Trospiumchlorid weist diesbezüglich das geringste Wechselwirkungsrisiko aus. Einleitung: In der Ausgabe 4/2013 von „Wirkstoff AKTUELL“, einer Information der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) in Zusammenarbeit mit der Arzneimittelkommis­ sion der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), wird die Substanzgruppe der urologischen Spas­ molytika zur Behandlung der überaktiven Blase behandelt. Im Abschnitt Wechselwirkungen steht wie folgt: „ Keine gleichzeitige Anwendung von CYP3A4-Indukto- ren wie Carbamazepin, Rifampicin, Phenobarbital, Phenytoin und Johanniskraut. Gleichzeitige Gabe von starken Hemmern des CYP3A4 (Ketoconazol oder Makrolidantibiotika) führt zum Anstieg des aktiven Metaboliten.“ (link) In diesem Beitrag sollen die zitierten Angaben differenzierter betrachtet werden. Induktion von CYP3A4: Mit Ausnahme von Trospiumchlorid werden die anderen sechs urologischen Spasmolytika über das Cytochrom-P450-Isoenzym CYP3A4 metabolisiert (Tab 1). Durch Gabe von CYP3A4-Induktoren wird die Bildung dieses Enzyms angeregt. In der Folge sinken bei gleich bleibender Dosis die Plasmaspiegel von CYP3A4-Substraten mit der Gefahr des Therapieversagens. Allerdings findet sich allein in der Fachinformation von Fesoterodin explizit der Hinweis, den Wirkstoff nicht mit CYP3A4- Abb. 1: Metabolismus von Tolterodin und Fesoterodin, 5-HMT = 5-Hydroxymethyl-Tolterodin 464 Induktoren zu kombinieren. Andere Fachinformationen verweisen auf mögliche In­­ teraktionen aufgrund reduzierter Plasmaspiegel (Darifenacin und Solifenacin) resp. geben hierzu überhaupt keine Auskunft. Der Abb. 1 ist zu entnehmen, dass aus Tolterodin über das Isoenzym CYP2D6 der Metabolit 5-Hydroxymethyl-Tolterodin (5HMT) entsteht. 5-HMT ist pharmakologisch äquipotent mit seiner Muttersubstanz und der eigentliche Wirkstoff von Fesoterodin, einem Ester-Prodrug, der durch unspezi­ fische Esterasen bioaktiviert wird. Von daher wäre es konsequent, in Analogie zur Fachinformation von Fesoterodin auch Tolterodin nicht mit CYP3A4-Induktoren zu kombinieren, bei den Patienten, deren CYP2D6-Status nicht bekannt ist oder die gleichzeitig potente CYP2D6-Hemmer verordnet bekommen. Hemmung von CYP3A4: Die Konsequenzen der gleichzeitigen Gabe von starken CYP3A4-Hemmern mit den urologischen Spasmolytika muss für jede Substanz im Einzelnen betrachtet werden. Gemäß Fachinformation von Darifenacin sind starke CYP3A4-Hemmer kontraindiziert. Laut Fachinformation von Tolterodin sollte eine Komedikation gemieden werden, während Fesoterodin nur mit maximal 4mg am Tag dosiert werden darf. Ist die Leber-oder Nierenfunktion eingeschränkt, dann sind starke CYP3A4-Hemmer unter Fesoterodin-Therapie kontraindiziert. Eine Dosisbeschränkung auf maximal 5mg am Tag gilt auch für Solifenacin. Bei stark eingeschränkter Nierenfunktion oder mäßig eingeschränkter Leberfunktion gilt wie bei Fesoterodin eine Gegenanzeige. Wechselwirkungen von Oxybutynin mit starken CYP3A4-Hemmern werden nicht ausgeschlossen. Propiverin sollte vorsich- Tab. 1: Übersicht der Cytochrom-P450-assoziierten Interaktionen von urologischen Spasmolytika – in Farbe im Internet unter www.laekh.de (auf den Seiten des Hessischen Ärzteblattes eingestellt) 8 2014 • Hessisches Ärzteblatt Fortbildung 465 8 2014 • Hessisches Ärzteblatt Fortbildung Fazit: In der Publikation „Wirkstoff AKTUELL“, Ausgabe 4/2013, sollen primär die älteren, kostengünstigen Wirkstoffe eingesetzt werden, da sich hinsichtlich der Symptomverbesserung keine wesentlichen Unterschiede zwischen den verschiedenen Wirk­ stoffen zeigen. Für Trospiumchlorid sprechen zwei weitere, klinische relevante Argu­ mente: Zum einen werden keine stoffwechselbedingten Wechselwirkungen erwartet, zum anderen ist Trospiumchlorid im Gegensatz zu den anderen urologischen Spasmolytika eine quartäre Ammoniumverbindung und überwindet nicht nennenswert die Blut-Hirn-Schranke. Zentralnervöse Nebenwirkungen sind unwahr­ scheinlich. Folglich wird die Substanz als medikamentöse Option bei älteren Patien­ ten empfohlen (PRISCUS-Liste). Abb. 2. Auswahl von modulierenden Substanzen (stark wirkende fettgedruckt) mit klinisch relevanter Wirkung auf einzelne CYP450-tsoenzyme (Stand: 05/2013) [Quelle: mediQ·lnteralrtionsprogramm] tig dosiert werden, wenn neben starken CYP3A4-Hemmern noch Inhibitoren flavin­ haltiger Monooxygenasen FMO verordnet werden. Von den verfügbaren Makrolid-Antibiotika sind nicht alle Substanzen potente Hemmer des Cytochroms CYP3A4. Während die angeführten Kautelen in Komedika­tion mit CYP3A4-Hemmern auf die beiden Makrolide Clarithromycin und Erythromycin in der Tat übertragbar sind (Abb. 2), ist Roxithromycin nur ein schwacher Hemmer von CYP3A4 und Azithromycin interagiert mit Cytochro­ men generell ohne klinische Bedeutung. Anschrift des Verfassers: Holger Petri Fachapotheker für Arzneimittelinformation Fachapotheker für Klinische Pharmazie Zentral-Apotheke der Wicker Kliniken Bad Wildungen-Reinhardshausen E-Mail: [email protected] Literatur beim Verfasser Link Wirkstoff AKTUELL: http://www.kbv.de/43835.html Link zur Priscus-Liste: http://www.aerzteblatt.de/callback/ image.asp?id=37099 Die redaktionellen Artikel und ärztlichen Rubrikanzeigen finden Sie ca. 1 Woche vor Erscheinen des Heftes auch im Internet unter www.aerzteblatt-hessen.de! Auch mobil unter http://m.aebhessen.de 466