SALZBURGER FESTSPIELE 22. Juli – 31. August 2016 Reinhard von der Thannen im Gespräch über Faust von Charles Gounod © Mats Bäcker SALZBURGER FESTSPIELE 22. Juli – 31. August 2016 Reinhard von der Thannen im Gespräch Sie haben schon mehrfach bei den Salzburger Festspielen gearbeitet. Ist dabei eine besondere Beziehung zu Salzburg entstanden, und wenn ja, wie würden Sie sie beschreiben? In den frühen 80er Jahren – während meines Studiums in Wien an der Universität für Angewandte Kunst – habe ich schon unzählige Produktionen der Salzburger Festspiele besucht und mich unsterblich in die Schönheit und den Flair dieser einzigartigen Stadt verliebt. 20 Jahre später wurde dann ein leidenschaftlicher Wunschtraum Wirklichkeit: Ich durfte als Bühnen- und Kostümbildner für die Festspiele tätig sein. Es war eine großartige Erfahrung für mich als Österreicher, und Salzburg bekam einen festen Platz in meinem Herzen. Bisher haben Sie bei den Festspielen als Bühnen- und Kostümbildner gewirkt. Nun geben Sie Ihr Debüt als Regisseur. Wie kamen Sie zum Regieführen? Meine erste Opernregie war 1994 die Uraufführung von Salieris Catilina am Staatstheater Darmstadt. In den vielen Jahren meiner Auseinandersetzung mit Theater habe ich mich selbst immer – inspiriert durch Thomas Bernhard – als „Theatermacher“ bezeichnet. In meinen inzwischen unzähligen künstlerischen Projekten habe ich als Schauspieler, Performancekünstler, Zeichner und Maler, Bühnen- und Kostümbildner, Produzent und Mäzen gearbeitet. In aller Bescheidenheit und Demut der Kunst gegenüber habe ich mich neben intensiver Beschäftigung mit Kunsträumen und Kostümen leidenschaftlich für dramaturgisches Denken und szenische Umsetzung von Theaterstoffen und Literatur interessiert. Die inzwischen mehr als 30 Jahre andauernde Zusammenarbeit und Freundschaft mit dem Regisseur und Schriftsteller Hans Neuenfels hat dieses Anliegen sehr gefördert. Bei Gounods Faust sind Sie in drei Disziplinen gefordert, als Regisseur sowie Bühnen- und Kostümbildner. Wer von den dreien hat da das erste oder das letzte Wort? Klassisch, hierarchisch: Der Regisseur. Er muss dieses Feuerwerk aus Ideen, Inspirationskaskaden und kreativen Eruptionen zu einem großen Ganzen zusammenfügen. 2 SALZBURGER FESTSPIELE 22. Juli – 31. August 2016 Gounods Faust wird zum ersten Mal bei den Festspielen zu sehen sein. Was ist für Sie der größte Reiz an diesem Stück? Die Faust-Thematik generell, die seit Jahrhunderten in der Literatur, der Musik, im Film und in der bildenden Kunst die Menschen beschäftigt hat. Trotz aller Kritik an Gounod, dass er in seiner Oper nicht Goethes philosophische Tiefe erreicht, ist Gounods Faust sicherlich zu Recht die erfolgreichste musikalische Umsetzung des Themas. Gounods Stärke liegt in der musikalischen Evokation dramatischer Stimmungen. Als einer der Wegbereiter der Opéra Lyrique setzte Gounod den Schwerpunkt auf die weibliche Psyche. Für mich eine Art Vorstufe der Psychoanalyse. Wie würden Sie die Beziehungen zwischen den Protagonisten Faust, Méphistophélès und Marguerite charakterisieren? Méphistophélès entspringt für mich der Seele Fausts und könnte als sein „Alter Ego“ bezeichnet werden. Sie sind Weggefährten, und im Verlauf der Oper gibt es eine Dramaturgie der gegenseitigen Annäherung. Marguerite taucht zunächst als Projektionsfläche männlicher Phantasie auf: oszillierend zwischen den Polen Heilige und Hure. Faust und Marguerite sind Polarität, die sich anzieht; Marguerite und Méphistophélès sind Gegensätze, die sich fliehen. Marguerite gewinnt die nötige Autarkie, die sie befähigt, Méphistophélès die Stirn zu bieten und wendet sich am Ende des Stückes von Faust ab, da sie erkennt, dass Faust und Méphistophélès Kontrahenten sind. Der Chor spielt in Gounods Faust eine wichtige Rolle. Können Sie uns darüber schon etwas erzählen? Der Chor ist für mich die Spiegelung der Gesellschaft: Sie trägt in ihrer ästhetischen Ausrichtung karnevaleske Züge und soll wie eine Allegorie auf eine Welt wirken, die sich selbst unheimlich geworden ist. Die im ersten Eindruck vermeintlich harmlose Gesellschaft ist Projektionsfläche für den Spaß am Leid der anderen und verweist auf die Grenzen und Repressionen der Normalität. Der Chor als Zerrspiegel von Gesellschaft ist für mich omnipräsent in dieser Arbeit. Hinter der trügerischen Maske der fröhlichen Grimasse verbirgt sich der Tod. 3 SALZBURGER FESTSPIELE 22. Juli – 31. August 2016 Ist das Große Festspielhaus mit seinen riesigen Ausmaßen eine besondere Herausforderung für Regisseur und Ausstatter? Im Unterschied zum Festspielhaus der Bayreuther Festspiele, wo mir beim ersten Betreten ein kalter Schauer voller Angst und Schrecken den Rücken entlanglief, ich in Ehrfurcht erstarrte, stürzte und mir das Nasenbein brach, umfing mich trotz der enormen Cinemascopemaße des Großen Festspielhauses in Salzburg ein Gefühl der intimen Vertrautheit. Jeder Theaterraum – und dieses hängt nicht von Größe, Berühmtheitsgrad und Opulenz ab – ist eine enorme Herausforderung an den „Theatermacher“. Sie sind Professor für Kostümdesign an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Beeinflusst Ihre Lehrtätigkeit Ihre Arbeit als Künstler? Der Beruf eines Lehrenden – vielmehr die Passion zur Lehre – ist vielleicht die größte Herausforderung, die mir je im Leben begegnet ist. Die Arbeit mit jungen begabten Studierenden auf Augenhöhe erfordert hochsensible Aufmerksamkeit und enormes Einfühlungsvermögen. Dieser spezifische Umgang zwischen Forderung und Förderung erinnert an Schmetterlinge: Fasst man zu kräftig an, können sie nicht mehr fliegen, ist man zu zaghaft, entfliehen sie dir. Es war mir immer immens wichtig, aus der Praxis bezogen die Lehre zu gestalten, was zu einem zeitaufwändigen „Doppelleben“ führt und mir alles abverlangt. Dieser stetige Austausch über Kreativität und Leben mit meinen Nachfolgegenerationen ist eine unversiegbare Quelle der Inspiration. Meine Freude ist groß, wenn ich fühle, zum Reifungsprozess junger künstlerischer Persönlichkeiten Wesentliches beigetragen zu haben. 4 SALZBURGER FESTSPIELE 22. Juli – 31. August 2016 CHARLES GOUNOD • FAUST Opéra in fünf Akten von Charles Gounod (1818–1893) Libretto von Jules Barbier (1825–1901) und Michel Carré (1821–1872) nach Faust I von Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) Neuinszenierung Mit deutschen und englischen Übertiteln Alejo Pérez, Musikalische Leitung Reinhard von der Thannen, Regie, Bühne und Kostüme Giorgio Madia, Choreografie und Regiemitarbeit Frank Evin, Licht Birgit von der Thannen, Dramaturgie Walter Zeh, Choreinstudierung Piotr Beczala, Faust Ildar Abdrazakov, Méphistophélès Maria Agresta, Marguerite Alexey Markov, Valentin Tara Erraught, Siébel Paolo Rumetz, Wagner Marie-Ange Todorovitch, Marthe Mitglieder der Angelika-Prokopp-Sommerakademie der Wiener Philharmoniker, Bühnenmusik Philharmonia Chor Wien Wiener Philharmoniker Premiere: 10. August 2016 6 weitere Aufführungen: 14., 17., 20., 23., 26., 29. August 2016 5 SALZBURGER FESTSPIELE 22. Juli – 31. August 2016 Biographie Reinhard von der Thannen, Bühnen- und Kostümbildner sowie Regisseur, wurde 1957 in Österreich geboren und studierte an der Universität für angewandte Kunst in Wien bei Erich Wonder. Bereits während des Studiums schuf er erste Arbeiten am Schauspielhaus Hamburg, der Oper Köln und dem Residenztheater in München. Von 1987 bis 1992 war er künstlerischer Ausstattungsleiter der Freien Volksbühne Berlin unter der Intendanz von Hans Neuenfels, mit dem er seit mehr als drei Jahrzehnten zusammenarbeitet. Engagements als Bühnen- und Kostümbildner führten ihn u.a. an die Schauspiel- und Opernhäuser in Zürich, Basel, Hamburg, Düsseldorf, Essen, Stuttgart, München, Paris, Stockholm, Malmö, Las Palmas, Wien und Berlin sowie zu den Salzburger Festspielen (wo er im Jahr 2000 mit Così fan tutte debütierte), den Bayreuther Festspielen und den Wiener Festwochen. In der Kritikerumfrage der Zeitschrift Opernwelt wurde er mehrmals zum Kostümbilder des Jahres gewählt. Seine Entwürfe wurden von zahlreichen Museen und Sammlungen angekauft. Seine erste Regiearbeit legte Reinhard von der Thannen 1994 mit Antonio Salieris Catilina in Darmstadt vor. Seit 2006 ist er Professor für Kostümdesign an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Kartenbüro der Salzburger Festspiele: [email protected] www.salzburgerfestspiele.at Rückfragen: Pressebüro der Salzburger Festspiele [email protected] [email protected] 6