1 Logik © Wolfgang Hebold Aussagenlogik Einleitung Die Aussagenlogik befasst sich mit dem Erhalt von Wahrheitswerten beim Bilden von zusammengesetzten Sätzen, die entweder wahr oder falsch sein können. Der aus der Zusammensetzung resultierende Satz kann dabei wiederum nur entweder wahr oder falsch sein. Ob ein einzelner, noch nicht zusammengesetzter Satz – ein Basissatz − wahr ist oder nicht, ist für die Aussagenlogik ohne Interesse. Es geht ihr also nur um die Verknüpfung von wahren oder falschen Sätzen zu einem Satz, der dann wiederum entweder wahr oder falsch ist – weswegen es Aussagenlogik, ausdrücklich Plural, heißt. Sachverhalt und Aussagen Aussagen beschreiben Sachverhalte der Dinge oder des Denkens. Eine Aussage ist wahr, wenn der Sachverhalt vorliegt oder falsch, wenn er nicht vorliegt. Die Bedeutung einer Aussage ist deren Wahrheit oder Falschheit. Wir können auch sagen: Die Bedeutung ist »wahr« oder »falsch«. Damit meinen alle wahren Sätze logisch dasselbe: Den Wahrheitswert wahr. Ebenso meinen alle falschen Sätze logisch dasselbe: Den Wahrheitswert falsch. Einen dritten Wert gibt es nicht. Das besagt das Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten (tertium non datur). Also muss eine eindeutige Bewertung möglich sein, d.h. der Satz muss sich auf ein konkretes Objekt beziehen, über das er etwas sagt, und es muss prinzipiell möglich sein zu entscheiden, ob er wahr oder falsch ist. Anmerkung Diese beiden Prinzipien: Die Beschränkung auf die beiden Wahrheitswerte und die Offenheit, welcher Wahrheitswert es nun ist, den ein Satz hat, sind für die Satzlogik grundlegend. Durch die Beschränkung wird der Bereich der Betrachtung eingegrenzt. 2 Durch die Offenheit werden Aussagen über Sätze, deren Geltung nicht geklärt wird, überhaupt möglich. Anmerkung Aussagen sind also ausdrücklich Sätze, dh. es handelt sich um ein linguistisches Konzept. Die Verwendung des Begriffs weicht in der Literatur von dieser Lesart ab. Aussage steht mitunter für den Sachverhalt und Satz für das sprachliche Konstrukt, das den Sachverhalt bezeichnet. In diesem Fall wird dann auch von »Satzlogik« statt »Aussagenlogik« gesprochen werden. In der angelsächsischen Literatur steht proposition auch für den Sachverhalt, propositional logic für Aussagenlogik und sentence allgemein für einen Satz; allerdings wird in älterer Literatur von sentential logic an Stelle von propositional logic gesprochen. Dabei betont sentential die syntaktische Abgeschlossenheit des Satzes, lässt aber – anders als proposition und näher an der Aussagenlogik – die tatsächlich Gültigkeit eines Satzes offen. Anmerkung In einem radikal anderen Ansatz beschrieb Gottlob Frege die Bedeutung einer Aussage nicht als den Sachverhalt, sondern als ihren Wahrheitswert, dh. als wahr oder falsch. Damit werden etliche philosophische Probleme unterlaufen. Beispiel Der Satz »Die Sonne scheint.« ist ein Satz, der entweder wahr oder falsch ist, denn der Satz kann durch einen Blick zum Himmel überprüft werden; also handelt es sich um eine Aussage. Diese Aussage ist wahr, wenn die Sonne scheint. Sonst ist sie falsch. Beispiel Der Satz »Die Sonne ist schön.« ist keine Aussage, weil nicht entschieden werden kann, ob er wahr oder falsch ist. Ebensowenig ist der Satz »Ein Baum ist grün.« eine Aussage, jedenfalls nicht, solange nicht spezifiziert ist, welcher Baum gemeint ist. Der Satz »Dieser Baum dort ist grün.« wäre damit eine Aussage, denn nun hat man einen konkreten Baum vor Augen. Nun lässt sich ein einzelner Sachverhalt durch verschiedene Sätze beschreiben. In einem Satz steckt also u.U. mehr, als der Sachverhalt, den er beschreibt. Dieses Mehr heißt der Sinn eines Satzes bzw. einer Aussage. Allerdings ist dieser Sinn für die Logik ohne Bedeutung; es interessiert – das besagt das Extensionalitätsprinzip der Logik – allein die Bedeutung von Sätzen bzw. von Aussagen. 3 Anmerkung Sinn und Bedeutung eines Satzes sind also deutlich zu trennen. Die Bedeutung ist das, worauf ein Satz referiert; der Sinn entspricht dem besonderen sprachlichen Ausdruck des Satzes. Den Unterschied macht das folgende, von Gottlob Frege stammende Beispiel deutlich: Die beiden Worte »Abendstern« und »Morgenstern« haben dieselbe Bedeutung – die Venus – aber einen unterschiedlichen Sinn – die Venus einmal am Morgenhimmel und einmal am Abendhimmel. Frege beschreibt den Sinn als den Zugang zu dem Gegenstand, was bei seinem Beispiel buchstäblich offensichtlich ist: Man sieht ihn am Morgen bzw. am Abend. Ganz ähnlich haben die beiden Ausdrücke »10« und »7 + 3« dieselbe Bedeutung aber einen unterschiedlichen Sinn. In beiden Fällen wird auf die Zahl 10 referiert, aber »7 + 3« beschreibt den Zugang über die Summe von zwei anderen Zahlen. Anmerkung Dass der Sinn der Aussagen in der Aussagenlogik ohne Belang ist, mag zunächst irritieren. Aber über den Sinn kommt ein Moment der Interpretation in die Logik: Ich kann entscheiden, welchen zum referierten ich für mich wähle. Dieses allein am sprachlichen Ausdruck orientierte interpretationsbedürftige Mehr an Information soll aber durch den Übergang zur reinen Logik aus den logischen Schlussregeln verbannt werden. Damit geht natürlich ein wichtiges Moment von Sprachen verloren: Ihr interpretatorischer Spielraum. Dies aber nun, wie es gelegentlich gemacht wird, der Logik vorzuwerfen, geht an der Sache vorbei. Sprachebenen: Objektsprache, Metasprache Mitunter sind Aussagen so gemeint, dass ihr Wahrheitswert unter der Hand festgelegt ist. Wir sagen »Die Sonne scheint.«, meinen damit aber nicht die Aussage, die überhaupt erst überprüft werden soll, sondern stellen fest, dass es so ist. Diese Aussage, die eigentlich eine Feststellung ist, unterscheidet sich aber sprachlich nicht von jener. Und wir haben auch keine Möglichkeit, diesen Unterschied allein im Rahmen der Aussage abschließend deutlich zu machen. Denn der Versuch, mit dem Satz » ›Die Sonne scheint.‹ ist wahr.«, die Sache zu klären, endet nur in eben diesem weiteren Satz, der lediglich wiederum eine Aussage ist, die wiederum wahr oder falsch ist. Und jedem weiteren Versuch in der Art eines »wirklich, wirklich« ergeht es nicht besser. Wir bewegen uns in einem unendlichen Regress. 4 Wir stehen hier vor einem Phänomen, dem man in der Logik immer wieder begegnet: Wir machen Aussagen über Aussagen und bewegen uns dabei in einer erweiterten Ebene, dh. in einer weiteren Sprache, in der wir über eine andere Sprache reden. In der gesprochenen Sprache ändern wir in aller Regel den Tonfall, um eine Aussage über eine Aussage zu formulieren. In der geschriebene Sprache sind wir gezwungen, Sätze, die Aussagen zu sein scheinen, tatsächlich aber Feststellungen sind, jeweils von außen als solche zu kennzeichnen, etwa graphisch durch die zusätzlichen Anführungszeichen » ›Die Sonne scheint.‹ ist wahr«, ohne jedoch diesen Satz wieder als Aussage, die wahr oder falsch ist, zu verstehen. Wir sprechen dann speziell von einer Feststellung über eine Aussage und nicht mehr von einer Aussage. Feststellungen und die Symbole, um die Aussage als Aussage zu kennzeichnen, sind aber Teil einer anderen Sprache, einer Sprache in der wir über zB. die Geltung von Aussagen sprechen. Die untersuchte Sprache, in der die Aussagen formuliert sind, wird Objektsprache bezeichnet, ist sie doch das Objekt der Untersuchung. Entsprechend sprechen wir von der Sprache, in der die Untersuchung durchgeführt wird, als Metasprache. Diese beiden Sprachebenen müssen jeweils deutlich unterschieden werden. Was mitunter schwierig wird, da auch die Metasprache untersucht werden kann und sich das Spiel dann auf einer neuen Ebene wiederholt. Beispiel Der Unterschied in der Interpretation eines Satzes - einmal als Feststellung und einmal als zu prüfende Behauptung - ist vergleichbar mit der Gleichung f ( 4 ) = 0, die Feststellung verstanden werden kann oder als Aufforderung, zu prüfen, ob 4 eine Nullstelle von f ist. Anmerkung Die Umgangssprache geht den umgekehrten Weg: Hier behauptet jede Aussage implizit, wahr zu sein: Der Satz »Die Sonne scheint.« besagt also meistens » ›Die Sonne scheint.‹ ist wahr«. Nur lassen wir den Zusatz zumeist weg. Denn wir wissen, dass wir ihn weglassen müssen, wollen wir nicht eine unendliche Kette von Zusicherungen erzeugen. Dieses implizite Mitmeinen des Wahrheitsanspruchs ist ebenfalls eine Art Metaebene, die zur gesprochenen Sprache gehört, denn wir artikulieren das Implizite. In der Arithmetik ergibt sich das Problem nicht, weil das Ergebnis einer Gleichung zu viele Varianten offen lässt und wir erst gar nicht auf die Idee kommen, die spezifische Lösung zu unterschlagen. 5 Anmerkung Das wahr tritt also tatsächlich in drei Formen auf: Als das Wort »wahr« im beschreibenden Satz, als »wahr« innerhalb einer Aussage und als der Wahrheitswert im Sinne eines Gegenstand. Dabei haben »wahr« und »wahr« die Funktion eines Namens für den letztgenannten Wahrheitswert; zum einen innerhalb eines normalen Satzes, zum anderen innerhalb einer Aussage. Die beiden Wörter »wahr« und »wahr« meinen also dasselbe. Für »falsch« gilt entsprechendes. Verknüpfungen Wie zu Beginn gesagt: Die Aussagenlogik beschäftigt sich mit der Frage, wie Aussagen verbunden werden können und was mit den Wahrheitswerten geschieht. Die Verknüpfungen sind die sogenannten Junktoren - auch logische Partikel oder Wahrheitsfunktionen genannt. Es handelt sich um Negation, Konjunktion, Adjunktion und Konditional. Sie werden auf Aussagen angewendet und liefern neue Aussagen, die wiederum wahr oder falsch sind. Damit erhalten wir zwei Arten von Aussagen: DEFINITION elementare, zusammengesetzte Aussage Eine Aussage heißt elementar, wenn sie nicht weiter zerlegt werden kann. Eine Aussage heißt zusammengesetzt, wenn sie zerlegt werden kann. Die Negation einer Aussage ist die verneinte Aussage. Ist eine Aussage wahr, dann ist die verneinte Aussage falsch. Ist eine Aussage falsch, dann ist die verneinte Aussage wahr. Soll eine Aussage verneint werden, dann wird ihr das NICHT vorangestellt. Anmerkung Die Verwendung von Kapitälchen soll die Junktoren vom restlichen Text und von den Aussagen abheben. Beispiel Die Negation der Aussage »Die Sonne scheint.« ist die Aussage »Die Sonne scheint nicht.« bzw. »nicht Die Sonne scheint.«. Dass die zweite Variante etwas holprig klingt, soll uns nicht weiter stören. Es werden beide verwendet. 6 Die Konjunktion von zwei Aussagen ist eine durch Verknüpfung der beiden Aussagen mit Hilfe von UND entstandene Aussage. Ist eine der beiden Aussagen falsch, dann ist die Verknüpfung falsch. Andernfalls ist die Verknüpfung wahr. Beispiel Der Satz »Die Sonne scheint.« ist eine Aussage, der Satz »Müller ist gesund.« eine andere. Der Satz »Die Sonne scheint und Müller ist gesund.« ist die durch Konjunktion der beiden einzelnen Aussagen entstandene Aussage. Die Adjunktion - auch Disjunktion - von zwei Aussagen ist eine durch Verknüpfung der beiden Aussagen mit Hilfe von ODER entstandene Aussage. Ist eine der beiden Aussagen wahr, dann ist die Verknüpfung wahr. Andernfalls ist die Verknüpfung falsch. Beispiel Der Satz »Die Sonne scheint.« ist eine Aussage, der Satz »Müller ist gesund.« eine andere. Der Satz »Die Sonne scheint oder Müller ist gesund.« ist die durch Adjunktion der beiden einzelnen Aussagen entstandene Aussage. Das Konditional - auch Subjunktion - von zwei Aussagen ist eine durch Verknüpfung der beiden Aussagen mit Hilfe von FOLGT entstandene Aussage. Ist die erste Aussage wahr und die zweite Aussage falsch, dann ist die Verknüpfung falsch. Andernfalls ist die Verknüpfung wahr. Beispiel Der Satz »Die Sonne scheint.« ist eine Aussage, der Satz »Müller ist gesund.« eine andere. Der Satz »Die Sonne scheint folgt Müller ist gesund.« ist die durchs Konditional der beiden einzelnen Aussagen entstandene Aussage. Anmerkung Dieses sogenannte materiale Konditional ist ausdrücklich kein Bedingungssatz, sondern lediglich eine von mehreren Möglichkeiten, zwei Aussagen zu verknüpfen. Es handelt sich also nicht um eine sprachliche Konstruktion, mit der über zwei Sätze ausgesagt wird, dass sie auseinander hervorgehen. Es ist lediglich eine Verknüpfung innerhalb der Objektsprache, vergleichbar einer Summenbildung 3 + 4, die ebenfalls ein Resultat liefert. Auf der Basis der Verknüpfung von zwei Aussagen, kann man auch die Verknüpfung von mehr als zwei Aussagen erklären. Die weiteren Aussagen werden durch die Junktoren mit 7 dem Ausgangssatz zusammengefügt. Daraus ergeben sich komplexe Aussagen. Sie sind, ebenso wie die einfachen Aussagen, wahr oder falsch. Welchen Wert komplexe Aussagen haben, hängt allein von den Wahrheitswerten der Teilsätze ab. Um den Wert eines komplexen Satz zu bestimmen, müssen also nur die Teilsätze ausgewertet und dann die entsprechenden Junktoren angewendet werden. Das besagt das sogenannte Kompositionalitätsprinzip. Das bedeutet umgekehrt, dass jeder Satz, der aus der Zusammensetzung von Aussagen mit Hilfe sogenannter Junktoren entsteht, nur die Werte wahr oder falsch haben kann. Modellierung Dieser bisher beschriebene rein sprachlichen Bereich der Kombinationen von Aussagen zu neuen Aussagen, hat den Nachteil aller natürlichen Sprachen: Er lässt sich nicht formalisieren. Um aber einem mathematischen Formalismus zugänglich zu sein, wird genau das benötigt: Eine Formalisierung. Diese wird nun schrittweise entwickelt. Wir beginnen mit dem Übergang von konkreten Aussagen zu abstrakten Symbolen für solche Aussagen und definieren anschließend auf dieser Basis eine Sprache mit Variablen und Regeln für die Kombinationsmöglichkeiten von Symbolen für Aussagen und Variablen zu sogenannten Aussageschemata. Aussageschemata Die Aussagenlogik betrachtet allein die Form der Aussagenverknüpfungen, nicht die Aussagen selber. Damit ist der Sinn der Aussagen ohne Bedeutung fürs ganze und es interessieren allein die Wahrheitswerte, die die Aussagen meinen. Daher können konkrete elementare oder zusammengesetzte Aussagen durch Symbole für diese Aussagen ersetzt werden. Die Symbole müssen allerdings eineindeutig sein, dh. unterschiedliche Symbole meinen in ein und demselben Kontext unterschiedliche Aussage. Diese Symbole werden als Literale bezeichnet, da sie die elementaren oder zusammmengesetzten Aussagen buchstäblich bzw. wortwörtlich vertreten. 8 Beispiel Die Aussage »Die Sonne scheint.« kann durch das Literal A vertreten in dem Satz »A UND Es ist warm«. A darf daber nicht wieder für eine andere Aussage verwendet werden und es darf auch kein zweites Literal für diese Aussage geben. Weil die Aussagenlogik nur an Aussageverknüpfungen interessiert ist, kann man sagen, sie versuche, Aussagen über Aussageverknüpfungen zu machen. Damit wechselt sie auf die Ebene über den konkreten Aussagen, dh. in die Metasprache, die über die Aussagen, dh. die Objektsprache, etwas sagt. Auf dieser höheren Ebene werden Sätze über Aussagen gebildet, dh. Sätze, die nicht auf eine einzelne Aussage, sondern auf Gesamtheiten von Aussagen referieren. In diesen Sätzen werden konkrete Aussagen, auf die der Satz referiert, durch Kürzel vertreten. Diese sogenannten Platzhalter vertreten innerhalb eines gleichsam höheren Satzes eine bestimmte Aussage, die elementar ist oder zusammengesetzt. Doch im Unterschied zu Literalen, die ja ebenfalls für Aussagen stehen, ist es egal, um welche konkrete Aussage es sich handelt. Insbesondere können verschiedene Platzhalter für dieselben Aussagen stehen. Das unterscheidet Platzhalter von den zuvor erklärten atomaren Ausdrücken: Platzhalter sind eindeutig, Literale dagegen eineindeutig. Anmerkung Um Literale und Platzhalter voneinander zu unterscheiden, werden für Literale die Großbuchstaben A, B, … vom Anfang und für Platzhalter die Großbuchstaben vom Ende des Alphabets genommen, beginnend bei X, Y, … Die verwendeten Zeichenfolgen für Aussagen sind deren Bezeichner. An Stelle von A, B, C, … schreiben wir auch A1, A2, A3, bzw. X1, X2, X3, … wenn der Vorrat an Bezeichnern unbegrenzt sein soll. Anmerkung Bei Literalen und Platzhaltern handelt es sich nicht um Variablen im eigentlichen Sinne des Wortes, denn diese beziehen sich auf eine Menge, deren Elemente sie vertreten. Literale und Platzhalter sind lediglich Symbole, für die andere Symbole eingesetzt werden können. Sie werden daher gelegentlich auch als Schemavariablen bezeichnet. Elementare Aussagen, Literale und Platzhalter haben eines gemeinsam: Sie lassen sich nicht weiter zerlegen. Sie werden daher als Atome oder atomare Ausdrücke bezeichnet, da sie die kleinsten Elemente bilden, die in einer Aussage für sich stehen können und aus denen die Sprache der Aussagenlogik aufgebaut ist. 9 Anmerkung Die Bezeichnung atomare Formel statt atomarer Ausdruck ist irreführend, denn sie suggeriert, es handele sich, wie in der mathematischen Sprache, um eine Formel mit Variablen. Atomare Ausdrücke enthalten, wie schon gesagt, ausdrücklich keine Variablen. Beginnend mit den Atomen werden unter Verwendung von Junktoren und den Klammern als Hilfszeichen zusammengesetzte Sätze, sogenannte Moleküle gebildet. Es wird also im Grunde das gleiche gemacht, was wir oben mit Aussagen machten, nur dass jetzt Literale und Platzhalter auftreten können. Ein Satz mit wenigstens einem Platzhalter wird Aussageschema, kurz Schema; auch aussagenlogische Formel oder Aussageform genannt. Ein Aussageschema hat keinen logischen Wert. Es ist also weder wahr noch falsch. Es ist, weil Platzhalter keinen konkreten Wert haben, offen. Insbesondere ist ein Aussageschema keine Aussage. Anmerkung Hier wird der Begriff Aussageschema bzw. Schema vorgezogen, weil Aussageform zu sehr nach Formel und Variablen klingt, die man quantifizieren kann. Ausdrücke wir, »für alle X, Y, etc« sind aber ausdrücklich nicht zugelassen. Anmerkung Die Offenheit eines Aussageschemas darf nicht mit der Offenheit einer Aussage verwechselt werden. Eine Aussage ist konkret, aber es kann nicht gesagt werden, ob sie wahr oder falsch ist. In einem Schema sind dagegen die Aussagen, die für die Platzhalter eingesetzt werden, unbekannt. Aussageschema und Aussagen stammen aus anderen Kategorie: Schemata sind abstrakt, Aussagen dagegen konkret. Anmerkung Sätze, in denen nur atomare Ausdrücke auftreten, sind weiterhin zugleich auch Aussagen. Anmerkung Im weiteren werden immer wieder Aussagen über Aussageschemata gemacht. In diesen Sätzen über Schemata wird dann generell auf Aussageschemata referiert, dh. auch für Aussageschemata werden auf einer höheren Ebene Referenzen gebraucht. Hier greifen wir auf das griechische Alphabet zurück. Insgesamt haben wir somit drei Klassen von Namen: atomare Ausdrücke, Platzhalter und Zeichen für Aussageschemata. Die 10 griechischen Buchstaben sind nicht Teil der aussagenlogischen Sätze, sondern Teil von Sätzen über aussagenlogische Sätze. Sie sind Teil der Metasprache. Beispiel Der Satz »Helena hat einen Ball UND X.« ist ein Aussageschema, das die Aussage »Helena hat einen Ball.« und den Platzhalter X durch die Konjunktion verbindet. Für X kann irgendeine Aussage stehen. Der Satz sagt also nicht, »Helena hat einen Ball UND X«, im Sinne von X zusätzlich zum Ball haben. Der Satz ist nur das Schema für eine Aussage, die durch das Einsetzen einer Aussage für X erst entsteht. Die Aussage könnte zB. der Satz »Die Sonne scheint.« sein. Damit würde aus dem Aussageschema die Aussage »Helena hat einen Ball UND Die Sonne scheint.« Dieser Satz ist dann wahr oder falsch. An Stelle von X kann aber zB. auch ein zusammengesetzter Satz oder ein anderes Aussageschema stehen. Dann würde aus dem einen Schema eine anderes. Ebenso kann der Satz »Helena hat einen Ball« durch die atomare Formel A vertreten werden, dann lautet das Aussageschema »A UND X.«. Aussageschemata werden durch die Kombination von atomaren Ausdrücken und Platzhaltern gebildet. Es entstehen sprachliche Ausdrücke, die in den Aussagen Elemente der Umgangssprache verwenden und diese um spezielle Zeichen für die Verknüpfungen erweitern. Grammatikalische Regeln insbesondere für die umgangssprachlichen Satzteile wurden nicht definiert. Für eine systematische Betrachtung der Aussagenlogik in ein solches Regelwerk aber nötig und wird daher jetzt definiert. Dabei werden in einem ersten Schritt die umgangsprachlichen Elemente von Aussagen und Aussageschemata eliminiert. Die zu entwickelnde Sprache enthält also nurmehr Literale, Platzhalter, Junktoren und als Hilfszeichen Klammern. Dabei übernehmen Literale und Platzhalter in etwa die Rolle der umgangssprachlich formulierten Aussagen. Anmerkung Dass Aussagen durch Platzhalter ersetzt werden können, hat einen einfachen Grund: Sowohl die Aussagen als auch die Platzhalter stehen jeweils nur für die Wahrheitswerte wahr oder falsch. Und da der Sachverhalt, auf den sich eine Aussage bezieht, nicht von Interesse ist, kann man bei der Betrachtung der Satzbildung auf konkrete Aussagen überhaupt verzichten und sich auf die Kombination der möglichen Wahrheitswerte bzw. der Platzhalter beschränken. Sprachlich sind Aussagen und Platzhalter natürlich nach wie vor voneinander verschieden. Doch logisch sind sie ununterscheidbar. 11 Anschließend werden die Regeln für Anordnung von Literalen, Platzhaltern, Junktoren und Klammern beschrieben. Wir verlassen die Ebene der natürlichen Sprachen und begeben uns in den Bereich der formalen Sprachen. Dabei fallen die konkreten Aussagen gleichsam unter den Tisch und es entsteht eine formale Sprache zur Formulierung abstrakter Aussagen und Aussageschemata. Syntax Um die eingepeilte formale Sprache zu definieren, konzentrieren wir uns zunächst auf die formale Struktur ihrer Sätze. Wir erklären die Syntax aussagenlogischer Sätze, wobei, wie bereits mehrfach angedeutet, konkrete Aussagen entfallen. In den Sätzen dieser Sprache können folgende Zeichen auftreten: DEFINITION Zeichensatz A der Aussagenlogik Der Zeichensatz der Aussagenlogik besteht aus einer abzählbaren Menge von atomaren Ausdrücke, einer abzählbaren Menge von Platzhaltern, den Junktoren ¬, &, ∨, → und den Klammern ( und ) als Hilfszeichen. Anmerkung Die Menge der atomaren Ausdrücke bzw. Platzhalter kann unendlich sein, bleibt aber in jedem Ausdruck endlich, da nur Ausdrücke endlicher Länge gebildet werden. Allerdings kann die Zahl der Atome und Platzhalter nicht überabzählbar werden. Anmerkung Die Junktoren ¬, &, ∨ und → vertreten ihre ausformulierten Gegenüber ODER NICHT, UND, und FOLGT. Sie werden in der Literatur oftmals als Konstanten bezeichnet, weil sich ihre Bedeutung nicht ändert. Die Sprechweise klingt zunächst vielleicht ungewöhnlich, weil man die Junktoren wohl mit Funktionen vergleicht und die scheinen nicht konstant. Tatsächlich aber geht es hier nur um die Zuordnung eines Symbols und ob es sich um eine konstante oder variable Zuordnung handelt und zB. dem Symbol & wird eine feste Bedeutung zugeordnet. Auf der Basis dieses Zeichensatzes wird nun die Syntax der Sprache der Aussagenlogik erklärt. Sie enthält neben den Aussagen alle syntaktisch korrekten Aussageschemata. Was ein syntaktisch korrektes Schema ist, wird zunächst informell erklärt: 12 DEFINITION Sprache ℱ der Aussagenlogik Geg. ist der Zeichensatz A der Aussagenlogik. Die Menge ℱ aller syntaktisch korrekten Sätze der Aussagenlogik, dh. die Menge der Aussageschemata, ergibt sich rekursiv aus den folgenden Regel. Zunächst gelten die beiden Grundregeln: (1) atomare Ausdrücke sind Aussageschemata. (2) Platzhalter sind Aussageschemata. Zu den Grundregeln kommen die beiden Konstruktionsschemata: (3) Ist α ein Aussageschema, dann sind auch ( α ) und ¬ α eine Aussageschemata. (4) Sind α und β Aussageschemata, dann sind auch α & β, α ∨ β und α → β Aussageschemata. Anmerkung Aussagen, soweit es sich um atomare Ausdrücke handelt, sind in dieser Definition zugleich Aussageschemata. Eine Einbeziehung in die Syntax wäre recht aufwendig bzw. unmöglich, da dann die Grammatik der natürlichen Sprachen vollständig beschrieben werden müsste. Anmerkung Man muss deutlich zwischen den Basiszeichen, die in Regel (1) und (2) fixiert werden, und den Produktionsregeln in (3) und (4) unterscheiden. Die Basiszeichen setzen die Ausgangspunkte, die Regeln beschreiben die Struktur der Aussagen bzw. Aussageschemata. Anmerkung In (3) und (4) werden, wie schon oben angedeutet, griechische Buchstaben als Bezeichner für beliebige Aussageschemata verwendet. Sie gehören zur Metasprache. Damit gehören auch Ausdrück wie α & β zur Metasprache. Atomare Formeln und Platzhalter sind dagegen, wie schon gesagt, Teil der Objektsprache. Der Ausdruck X & Y gehört also zur Objektsprache; ebenso A ∨ B. 13 Anmerkung Die Vorrangsregeln lauten: Vorrang Operator 1 ¬ 2 & 3 ∨ 4 → Halten wir fest. Wir haben es nunmehr mit drei Arten von Sätzen zu tun: Aussagen, Aussageschemata und Sätzen über Aussageschemata. Dabei sind alle Aussagen, soweit es sich um atomare Ausdrücke handelt, zugleich Schemata. Formalisiert wurden Aussageschemata. Semantik Den so syntaktisch formalisierten Aussageschemata wird nun eine Bedeutung verliehen, die oben implizit bereits durch das Extensionalitätsprinzip angedeutet worden ist, als wir vom Wahrheitswert für Aussagen sprachen. Nur dass wir es jetzt mit Aussageschemata zu tun haben und eben nicht mit Aussagen. Allerdings sind die Aussagen bzw. deren Platzhalter der Ausgangspunkt, um die Semantik der Aussageschemata zu definieren. Modell Generell besteht eine Semantik aus zwei Teilen: Den Zeichen, denen ein Bedeutung zugeordnet werden soll und dem Bereich, aus dem die Bedeutung der Zeichen stammt. Betrachten wir zunächst das Modell bzw. den sogenannten semantischen Bereich, also die Menge, auf deren Elemente die Zeichen schließlich verweisen. Weil wir es mit Aussagen zu tun haben, die entweder wahr oder falsch sind, haben wir es mit einem semantischen Bereich zu tun, der letztendlich auf einer zweiwertigen Menge basiert. Vorweg definieren wir daher: 14 DEFINITION Bool, � Die Menge der booleschen Werte heißt Bool; kurz �. Sie enthält die beiden Werte, auch Wahrheitswerte »wahr« und »falsch«, kurz T für »true« und F für »false«. Anmerkung Die Werte aus � dürfen nicht mit den Wahrheitswerten der Aussagen verwechselt werden. Zu diesen beiden Werten kommen nun noch eine Reihe von Abbildungen bzw. Funktionen über �. Ganz allgemein werden sie wie folgt definiert: DEFINITION �→� Geg. sind die Menge � und n ∈ ℕ. Dann ist �n → � die Menge aller n-stelligen Abbildungen von �n auf � und ⋃i∈ℕ �n → � + die Menge aller Abbildungen beliebiger Stelligkeit; geschrieben �* → �. Anmerkung � * → � fasst also alle Funktionen auf � zusammen, unabhängig davon, ob sie null-, ein-, zwei- oder eben n-stellig sind. Konkret ergeben sich für � → � die 4 Funktionen: X f1 f2 f3 f4 T T T F F F T F T F ⊤ I ¬ ⊥ Unter diesen 4 Funktionen befindet sich zunächst die Negation ¬. Dazu kommen mit f 1 und f4 die sogenannte einstellige Tautologie bzw. einstellige Kontradiktion. Bei f 2 handelt es sich schließlich um die einstellige Identität. Für � → � ergeben sich die 16 Funktionen: 15 X Y f1 f2 f3 f4 f5 f6 f7 f8 f9 f10 f11 f12 f13 f14 f15 f16 T T T T T T T T T T F F F F F F F F T F T T T T F F F F T T T T F F F F F T T T F F T T F F T T F F T T F F F F T F T F T F T F T F T F T F T F ⊤ ∨ ← X → Y ↔ & ↑ ⊕ ¬X ↛ ¬Y ↚ ↓ ⊥ Anmerkung Die Funktionen sind hier einfach für jede Stelligkeit durchnummiert. In der jeweils letzten Zeile der Tabellen stehen die gebräuchlichen Namen. Aber Vorsicht: In der Literatur weichen bei der Namensgebungen noch immer voneinander ab. So wird an Stelle von & oftmals ∧ oder auch ⋅ und an Stelle von ∨ nicht selten ein + verwendet. Anmerkung Die booleschen Funktionen werden durch runde Klammern ergänzt, um sie von den Ausdrücken der Sprache der Aussagenlogik syntaktisch zu unterscheiden. Unter diesen 16 Funktionen befinden sich zunächst die oben bereits genannten Konjunktion, Adjunktion und Konditional. Daneben werden die folgenden regelmäßig gebraucht: f 1 bzw. f16 sind die zweistellige Tautologie bzw. Kontradiktion. Sie liefern für alle Wertepaare T bzw. F. f10 ist die exklusive Adjunktion - auch exklusive Disjunktion, ausschließendes ODER oder exklusives ODER. Sie liefert genau dann T, wenn die beiden Werte des Wertespaares verschieden sind und wird mit ⊕ bezeichnet. f7 ist das logische Bikonditional, also ein Konditional in beiden Richtungen. Es ist genau dann T, wenn beide Werte des Wertepaares T oder beide F sind und wird mit ↔ bezeichnet. f9 ist die verneinende Konjunktion - auch verneinendes UND, Sheffer Stroke oder NAND. Sie ist genau dann wahr, wenn die Konjunktion falsch ist. Anmerkung Weniger häufig werden die folgenden Junktoren gebraucht: Die verneinende Adjunktion - auch verneinendes ODER oder Peirce Pfeil - ist genau dann wahr, wenn die Konjunktion falsch ist. Die binäre Negation des ersten Arguments und die binäre Negation des zweiten Arguments. Das umgekehrte Konditional. Das Nichtkonditional und das umgekehrte Nichtkonditional. Die beiden zweistelligen Identitäten, einmal für das erste und das andere Mal für das zweite Argument. 16 Anmerkung Tautologie und Kontradiktion werden oftmals ebenfalls mit F und T bezeichnet. Allerdings führt das zur Verwirrung, weil die Ebenen der Wahrheitswerte und der Funktionen nicht mehr deutlich getrennt sind. Anmerkung Diese zweistelligen Operationen sind zueinander dual, d.h. es gibt zu jeder auf das bezogenen Funktion ein Pendant für das ODER. UND Anders gesagt: Man kann wahr und falsch vertauschen. Was nur eine andere Art ist zu sagen, dass die Aussagenlogik rein formal und eben nicht inhaltlich ist. Für �3 → � findet würden wir schließlich 256 Funktionen finden, doch die werden, wie sich gleich zeigt, hier nicht explizit benötigt. Anmerkung Damit bleibt als Besonderheit �0 → �, die Menge der 0-stelligen Funktionen auf �. 0stellige Funktionen entsprechen einer Relation auf dem einstelligen kartesischen Produkt über �, dh. aus der Menge �. Die Menge der 0-stelligen Funktionen enthält damit gerade die Elemente aus �. Hier noch von einer Zuordnung zu sprechen, klingt seltsam, aber es zeigt sich bald, dass dieser Ausnahmefall sinnvoll ist. Der semantische Bereich von A besteht damit aus den Elementen der Mengen � und �* → �. Mit Hilfe des semantischen Bereichs wird nun sämtlichen Zeichenfolgen der oben definierten Sprache eine Bedeutung zugeordnet. Dabei wird bottom-up vorgegangen, dh. es wird zunächst den Literalen, dann den Platzhaltern und im nächsten Schritt den Junktoren ein Element aus dem semantischen Bereich zugeordnet. Darauf aufbauend erhalten beliebige Zeichenkette eine Semantik. Im einzelnen und verbal beschrieben: Wir beginnen mit den Junktoren. Ihnen werden abhängig von ihrer Stelligkeit jeweils Elemente aus � → � und �2 → � hinzugefügt. Anmerkung Da Junktoren jeweils konkrete Werte zugeordnet werden, die sich nicht ändern, handelt es sich bei ihnen genau betrachtet ebenfalls um Literale, dh. um Zeichen mit einer fixen Bedeutung. Bei den atomaren Formeln A, B, … und den Platzhaltern X, Y, Z, … ist die Sache etwas komplexer, denn mit deren Semantik erhalten die Sätze der Aussagenlogik ihre Dynamik. 17 Allerdings unterscheiden sich an diesem Punkt Atome und Platzhalter nicht. Sie vertreten Aussagen und müssen daher auf die Bedeutung der Aussagen referieren, sprich auf T oder F. Nun war es aber das Ziel der Aussagenlogik, von den konkreten Werten der jeweiligen Aussagen unabhängig, Aussagen zu neuen Aussagen zu verknüpfen. Wir können also nicht wissen, ob eine Aussage auf T oder F verweist. Literale und Platzhalter zeigen, wenn man so will, auf beide zugleich. Um trotzdem Aussagen über Aussageschemata machen zu können, werden die Platzhalter X, Y, Z, … sukzessive mit allen möglichen Werten und Wertekombinationen verknüpft. Die Gleichzeitigkeit von entweder T oder F wird somit durch eine Wertefolge aus T und F ersetzt. Die Semantik der Platzhalter ist daher zuerst einmal die Semantik der konkreten Wertebelegung und nicht die der Platzhalter für Aussagen, deren Wert unbekannt sind. Zuletzt müssen diese Elemente der Semantik zu einer Semantik aller möglichen Sätze verschmelzen. Für die fraglichen Sätze heißt das umgekehrt, dass sie schrittweise in ihre Teile zerlegt und diese Teile dann isoliert von den anderen Teilen betrachtet werden. Die Zerlegung endet bei Platzhaltern und Junktoren, deren Semantik bereits festgelegt ist. Rückwärts lässt sich anschließend die Semantik des zuvor zerlegten Aussageschemas bestimmen. Interpretation ℑ Die eben verbal beschriebenen Schritte werden formalisiert, dh. sie erhalten eine mathematische Form. Dabei wird, anders als in der verbalen Beschreibung, top-down vorgegangen, dh. zunächst wird erklärt, was eine Semantik überhaupt ist. Erst danach folgt die Definition der Details. Die Sematik der Aussagenlogik ist im Kern eine Funktion auf der Menge aller Aussageschemata in die Menge [ �* → � ] aller Abbildungen auf �. DEFINITION Semantik, Interpretation Geg. ist der Zeichensatz A, die Menge ℱ der syntaktisch korrekten Aussageschemata, die Menge � und die Menge [ �* → � ] aller Funktionen auf �. Eine Funktion ℑ, die jedem Aussageschema α ∈ ℱ eine Abbildung �n → � zuordnet, heißt Interpretation oder Semantik der Aussagenlogik; geschrieben ℑ : ℱ → ( � → � ) bzw. α ↦ ℑ ⟦ α ⟧. 18 Die einem Aussageschema α über ℑ zugeordnete Abbildung ℑ ⟦ α ⟧ ∈ � → � ist die Semantik von α. Anmerkung Die doppelten eckigen Klammern als Argumentklammern werden genommen, um das Argument von ℑ ausdrücklich als eine Art Anführungszeichen um den Satz α als Satz, dh. als Zeichenfolge zu kennzeichnen. α benennt einen Satz, spielt also im Rahmen der linguistischen Konzepte bzw. Objekte. ℑ ⟦ α ⟧ benennt dagegen eine Funktion. Da ein komplexes Aussageschema aus einer Menge von Aussageschemata besteht, ist die Semantik eines Aussageschemas eigentlich eine umfangreiche Komposition von Abbildungen. Die Definition ist also sehr allgemein. Die explizite Definition von ℑ setzt nun ein Verfahren voraus, mit dem ein komplexes Aussageschema zerlegt werden kann. Das wollen wir hier so einfach wie möglich halten, um nicht zu tief in die Abgründe der Syntaxanalyse zu geraten. Wir gehen daher vereinfachend davon aus, dass ein Aussageschema α orientiert an den zweistelligen Junktoren immer in zwei Teile zerlegt werden kann und vorerst keine Klammern enthält: α = τ ∘ β. Mit dieser Zerlegung des Aussageschemas α in den führenden Ausdruck τ, den Junktor ∘ und den verbleibenden Ausdruck β, wird die Zerlegung zur Berechnung von ℑ ⟦ α ⟧ zu: ℑ ⟦ α ⟧ = ℑ ⟦ τ ∘ β ⟧ = ℑ ⟦ ∘ ⟧ ( ℑ ⟦ τ ⟧, ℑ ⟦ β ⟧ ) Für das führende Aussageschema und den Junktor ist keine weitere Zerlegung möglich. β kann dagegen wiederum aus Teilausdrücken bestehen. Für den einstelligen Junktor, also die Negation, ergibt sich: ℑ⟦¬α⟧=ℑ⟦¬⟧(ℑ⟦α⟧) Hier gibt es für die Negation keine weitere Zerlegung. α kann dagegen wiederum aus Teilausdrücken bestehen. Dieser Zerlegungsprozess wird soweit geführt, bis zuletzt keine Zerlegung mehr möglich ist. Bei den nun nicht weiter zerlegbaren Aussageschemata handelt es sich immer entweder um einen Junktor oder um einen Platzhalter. Andere elementare Elemente sind nicht definiert. 19 Für die Semantik der Junktoren ergibt sich die jeweilige Funktion aus � → � bzw. �2 → �, also etwa ℑ ⟦ & ⟧ = & () wobei auch hier in den doppelten eckigen Klammern das Symbol aus der formale Sprache und auf der rechten Seite der Name der entsprechenden Funktion aus �2 → � gemeint ist. Die runden Klammern bei & deuten an, dass es sich um den Namen für die entsprechende Funktion handelt. Wir finden also einen doppelten rekursiven Prozess, der mit Platzhaltern bzw. Konstanten nach einer endlich Anzahl von Schritten abschließen muss. Zum einen wird das Aussageschema zerlegt, zum anderen werden nach und nach die entsprechenden Funktionen aus �* → � gebildet. Die Klammern haben jetzt nur noch eine steuernde Wirkung. Sie treten als Klammern in den Anordnungen der Funktionsparameter zu Geltung. Wir werden sie hier nicht weiter berücksichtigen. Damit bleibt noch die Semantik der Platzhalter zu klären. Zunächst stehen X, Y, Z, … jeweils für die Wahrheitswerte T und F, ohne dass bekannt wäre, für welchen konkret. Man könnte also versucht sein zu sagen, die Platzhalter stünden für �. Auf der abstrakten Ebene ist das zwar richtig. Nur erhalten auf dieser Ebene die Aussageschemata zunächst keine Semantik, weil die konkrete Funktion, auf die sie verweisen, nicht mehr bestimmt werden kann. Funktionen sind ja nichts weiter als Relationen, also werden die einzelnen Werte, die in Relation zueinander stehen, gebraucht. Will heißen: Es müssen alle Wertekombinationen durchprobiert werden, um die passende Relation zu bestimmen. Während sich die Semantik eines Junktors also direkt über dessen Namen ergibt, ergibt sich die Semantik eines komplexen, aus einer Kombination von Junktoren und Platzhaltern bestehenden Aussageschemas über die Liste aller Ein- und Ausgabetupel. Beispiel Die Semantik von X & Y lässt sich direkt aus dem Junktor & herleiten. Die Auswertung von X und Y ist nicht notwendig. Beim Ausdruck ¬ ( X & Y ) geht das zunächst einmal nicht mehr, hier müssen für X und Y Werte eingesetzt werden. Die tatsächliche Funktion findet man anschließend in der Tabelle durch einen Vergleich der Wertetripel. Den Platzhaltern eines Aussageschemas werden daher sukzessive alle Wertekombinationen zugeordnet und dann jeweils die Aussage, die aus dem transformierten Schema entstanden 20 ist, berechnet. Formal gesprochen: Jedem Aussageschema α wird eine Abbildung v seiner Platzhalternamen auf Werte aus � zugeordnet, die sogenannte Wertebelegung der Platzhalter des Aussageschemas α; kurz die Wertebelegung von α. Jedes v liefert dann mit dem Ausdruck v ⟦ X ⟧ den Wert des Platzhalters X. Die Namen der Platzhalter sind also Argumente der Abbildung v und wir schreiben auch hier v ⟦ X ⟧, um deutlich zu machen, dass es sich um Namen handelt und vα, falls wir uns auf ein bestimmtes Schema α beziehen. Anmerkung Technisch kann man die Wertebelegung v aber auch als Tupel betrachten. Die Namen der Platzhalter sind dann eine Indexmenge oder informationstechnisch gesprochen: v ist ein assoziatives Array. Abstrakt beschrieben steht ( X, Y, Z, … ) für all diese Tupel; geschrieben v = ( vx, vy, vz, …) bzw. v = ( v1, ..., vn ) ∈ �n, um ggf. vom Vorrat an Buchstaben unabhängig zu sein. Bei jedem konkreten Tupel handelt es sich also um ein sogenanntes boolesches Belegungstupel, kurz Belegungstupel aus �n. Die Zuordnung der Platzhalter zu den Positionen im Belegungstupel v muss natürlich eindeutig sein. Um die Werte der Platzhalter zu berücksichtigen und dann die Semantik eines Aussageschemas α bestimmen zu können, wird ℑ ⟦ α ⟧ auf eine Abbildung v bzw. das Belegungstupel v angewendet; abstrakt geschrieben ℑ ⟦ α ⟧ ( v ) mit einer konkreten Abbildung v. Mit dieser Erweiterung ergibt sich die Semantik der Platzhalter jeweils konkret zu: ℑ⟦X⟧(v)=v⟦X⟧ Wird nun die Menge aller Wertebelegungen durchlaufen, ergibt sich bei einem Aussageschema mit n verschiedenen Platzhaltern insgesamt eine Abbildung �n auf � und wir wollen von einem n-stelligen Schema sprechen. Die konkrete Abbildung ist dann die Semantik des Aussageschemas. Beispiel Die Semantik des Aussageschemas ¬ ( X & Y ) ergibt sich aus: ℑ⟦¬(X&Y)⟧(v) =ℑ⟦¬⟧(ℑ⟦(X&Y)⟧(v)) =ℑ⟦¬⟧(ℑ⟦X&Y⟧(v)) 21 = ℑ ⟦ ¬ ⟧ ( ℑ ⟦ & ⟧ ( ℑ ⟦ X ⟧ ( v ), ℑ ⟦ Y ⟧ ( v ) ) ) =¬(&(v(X),v(Y))) und durch Einsetzen der booleschen Werte für X und Y erhält man die konkrete Funktion. Werteverläufe Beim Ersetzen der Platzhalter durch alle Kombinationen der Wahrheitswerte T und F ergeben sich drei unterschiedliche Möglichkeiten: (1) Es gibt wenigstens eine Kombination von Wahrheitswerten, die aus dem Satz eine wahre Aussage macht. (2) Jede Kombination macht den Satz wahr. (3) Es gibt keine Kombination, die aus dem Satz eine wahre Aussage macht. Das ergibt nacheinander: DEFINITION erfüllt Geg. sei die Interpretation ℑ und ein Aussageschema α ∈ ℱ. Eine Wertebelegung v erfüllt ein Aussageschema α ∈ ℱ; geschrieben: ⊨v α wenn die α zugeordnete Abbildung ℑ ⟦ α ⟧ mit der Wertebelegung v wahr wird bzw. T liefert. Gibt es ein Wertebelegung, die α erfüllt, dann heißt α erfüllbar und v ein Modell für α. Anmerkung Bei ⊨ handelt es sich um ein Zeichen aus der Metasprache, mit der über Aussageschemata gesprochen wird. α ist ebenfalls Teil der Metasprache. In diesem Sinne handelt es sich nicht um formalisierte Ausdrücke, sondern um Kurzformen für Sätze der natürlichen Sprache. Wir sprechen auch von halb-formalisierten Sätzen. Anmerkung Der Begriff Modell mag hier zunächst irritieren. Aber damit ist allein angedeutet, dass man die Platzhalter des Aussageschemas auch anders deuten kann. Die Deutung über �, ja sogar die über Aussagen, ist nur ein Modell. 22 Führen alle Wertebelegungen eines Aussageschemas zu wahren Aussagen, dann definieren wir: DEFINITION allgemeingültig Geg. sei die Interpretation ℑ und ein Aussageschema α ∈ ℱ. Ein Aussageschema α ∈ ℱ heißt allgemeingültig, kurz gültig; geschrieben: ⊨α wenn die α zugeordnete Abbildung ℑ ⟦ α ⟧ mit jeder Wertebelegung v wahr wird bzw. T liefert. Beispiel Der Satz »X ∨ ¬ X« ist allgemeingültig. Egal welcher Satz den Platz von X einnimmt, die resultierende Aussage ist immer wahr. Die für X eingesetzte Aussage wird dabei als wahr oder falsch angenommen. Führt dagegen keine Wertebelegung eines Aussageschemas zu einer wahren Aussagen, dann definieren wir: DEFINITION widersprüchlich Geg. sei die Interpretation ℑ und ein Aussageschema α ∈ ℱ. Ein Aussageschema α ∈ ℱ heißt ungültig, auch widersprüchlich; geschrieben: ⊭α wenn α mit keiner Wertebelegung v wahr wird. Anmerkung Man beachte, dass erfüllt sich auf eine Wertebelegung v zusammen mit einem Aussageschema α bezieht und nicht allein auf α. Die beiden Kategorisierungen allgemeingültig und ungültig beziehen sich dagegen im Grunde allein auf das Aussageschema, da die Eingangswerte nicht mehr spezifiziert sind – der Satz gilt ja für alle bzw. für keinen. Anmerkung »Erfüllbar«, »gültig« und »ungültig« sind Feststellungen über ein Aussageschema. In 23 diesem Sinne sind »erfüllbar«, »gültig« und »ungültig« Teil der Metasprache. Zugleich kann man die Feststellung aber auch als Aussage über ein Aussageschema lesen. Dann ist unbekannt, ob es stimmt oder nicht. Untersuchungen über die Allgemeingültigkeit gehören dann in eine weitere Metaebene der Sprache. Wir verstehen alle drei Begriffe als Feststellung, dh. als wahre Aussage. Anmerkung Die Eigenschaft, allgemeingültig zu sein, ist bei einem Satz, der sich auf die Realität bezieht, keine positive Eigenschaft. Ein allgemeingültiger Satz eignet sich nämlich nicht, etwas in der Welt zu beschreiben. Er trifft ja auf alles zu, beschreibt also alles. Ebenso ist die Eigenschaft widersprüchlich zu sein, keine negative Eigenschaft eines Satzes, der sich auf die Realität bezieht. Es gibt eben einfach keine Realität, auf die er sich beziehen könnte. Alle drei Kategorisierungen sind Sätze, die wahr oder falsch sind. Bei einem Satz der Art ⊨να handelt sich also ausdrücklich nicht um eine Aussage, die wie auch immer auf ihren Wahrheitswert hin untersucht werden soll, sondern um die Feststellung, dass α aus v ableitbar ist. Soll die Aussage geprüft werden, wird das ausdrücklich gesagt. Beispiel Der Satz ⊨X X ∨ ¬ X besagt, dass X ∨ ¬ X mit jeder Belegung von X wahr ist. Erst die Aufforderung »Prüfe den Satz ⊨X X ∨ ¬ X auf Wahrheit«, stellt ⊨X X ∨ ¬ X in Frage. Allgemeingültige und widersprüchliche Aussageschemata spielen eine zentrale Rolle in der Logik. Tautologien Die allgemeingültigen Aussageschemata werden als Tautologien bezeichnet. Sie sind in jeder Interpretation wahr ist. In einem tautologischen Satz ergibt sich für jede beliebige Belegung der Platzhalter ein wahrer Satz. Man könnte, genau genommen, die konkrete Interpretation also auch lassen. Dieser operationellen Verkürzung wird nun dadurch entsprochen, dass man für die Menge aller allgemeingültigen Aussageschemata ein spezielles, platzhalterloses Symbol definiert. Es wird ⊤ geschrieben und gleichfalls als 24 Tautologie bezeichnet. Es vertritt in einem Aussageschema die Menge aller Aussageschemata, die allgemeingültig sind. Das alles kann man mit gleichsam umgekehrtem Vorzeichen natürlich auch für die niemals gültigen Sätze sagen. Die entsprechende platzhalterlosen Schemata für den Widerspruch nennen wir Kontradiktion und bezeichnen sie mit ⊥. Es kann in einem Satz für jede beliebige falsche Aussagen stehen. Bei beiden Zeichen handelt es sich um Literale. Nachdem der Zeichensatz A der aussagenlogischen Sprache um die beiden Zeichen ⊤ und ⊥ erweitert ist, muss auch die Interpretation ℑ angepasst werden. Und da ⊤, also die Funktion, bei jeder Wertebelegung T und ⊥, wiederum die Funktion, bei jeder Wertebelegung F liefert, ist die Semantik der beiden Symbole ⊤ und ⊥: ℑ⟦⊤⟧=⊤ bzw. ℑ⟦⊥⟧=⊥ wobei der Ausdruck auf der rechten Seite kein Literal ist, also auch nicht in Fettdruck angezeigt wird. Anmerkung Die Wahrheitswerte T und F und die beiden Literale ⊤ und ⊥ dürfen nicht miteinander verwechselt werden. ⊤ und ⊥ sind Bestandteil des Zeichensatzes von A, T und F sind dagegen Elemente der Menge �. Ebenso dürfen die beiden Zeichen ⊤ und ⊤ bzw. ⊥ und ⊥ nicht verwechselt werden. Bei den Literalen ⊤ und ⊥ handelt es, wie schon gesagt, um Zeichen aus A. Die anderen beiden Zeichen sind Namen für Funktionen aus [ �* → � ]. Anmerkung Im Zusammenhang mit der Semantik wird deutlich, warum die Verwendung von ⊤ und ⊥ als Zeichen, die formal auf einer Stufe mit einem beliebigen Aussageschema α stehen, so naheliegend ist: Ihre Semantik ist tatsächlich dieselbe, nämlich ⊤ bzw. ⊥. Weil wir Aussagen semantisch lesen, ersetzen wir die Menge ⊤ durch den entsprechenden Wert und umgekehrt die Menge der Aussageschemata durch ein einzelne, gleichsam fiktive aussagenlogische Formel. 25 Anmerkung Tautologien und Kontradiktionen sind mit Funktionen vergleichbar, die für jeden Wert den gleichen Funktionswert liefern, dh. mit konstanten Funktionen. Eigentlich bräuchte man nichts auswerten, wenn man wüsste, dass es sich um eine konstante Funktion handelt. f ( X ) = 0 ⋅ X wäre so ein Fall. ⊤ und ⊥ werden daher auch als Konstanten bezeichnet. Anmerkung Die Einführung der Symbole ⊤ und ⊥, die als Abkürzung gemeint ist, stiftet leider nicht selten Verwirrung, weil das Weglassen der Platzhalter suggeriert, ⊤ wäre tatsächlich platzhalterlos oder gar eine atomare Aussage. Atomare Aussagen selber sind aber niemals eine Tautologie. Und umgekehrt refereiert ein Satz der Art A & ⊤ nun auf eine Menge von Sätzen und nicht nur auf einen, obwohl man für ⊤ nicht einmal einen Satz einsetzen muss. Dabei ergeben sich je nach Stelligkeit der Funktion zwar mathematisch betrachtet jeweils andere Funktionen, aber sie alle haben eines gemeinsam: Sie liefern für jedes v ∈ �n immer T bzw. F. Daher tragen sie in jeder Menge [ � n → � ] auch denselben Bezeichner, nämlich ⊤ bzw. ⊥ und werden ebenfalls Tautologien bzw. Kontradiktionen genannt. In diesem Sinne wurde ℑ für ⊤ bzw. ⊥ nicht eindeutig definiert, da nicht deutlich ist, welches ⊤ bzw. ⊥ jeweils gemeint ist. Da man aber, wie bereits angedeutet, die Platzhalter in einem tautologischen Schema im Grunde auch weglassen kann, wird festgelegt, dass es sich um Verweise auf Funktionen handelt, die keinen Definitionsbereich haben. Für n = 2 ergeben sich alle zweistelligen Funktionen usw. Der oben schon angedeutete Fall n = 0 führt nun zu den gewünschten Funktionen ohne Definitionsbereich, dh. [ � 0 → � ] besteht aus Elementen, die den beiden Elementen T und F der Menge � entsprechen. Anders gesagt: Es gibt auf � zwei 0-stellige Funktionen. Diese werden mit ⊤ und ⊥ – ausdrücklich kein Fettdruck – bezeichnet. Und diesen werden bei ℑ die beiden Literale ⊤ und ⊥ zugeordnet. Anmerkung Dass auch die 0-stelligen Funktionen zu �n → � gehören, lässt sich aus dem Umstand erkennen, dass Funktionen letztendlich Teilmengen des kartesischen Produkts beliebiger Mengen sind. Der 0-stellige Fall ergibt sich dann als Sonderfall 1-stelliger Relationen. 26 Anmerkung Weil ein tautologischer Satz ein Aussageschema ist, das durch Einsetzen egal welcher Aussage wahr wird, ist man schnell dabei, jede Tautologie und insbesondere ⊤ selber für wahr zu halten und zu sagen: »Eine Tautologie ist wahr« bzw. »Ein tautologisches Aussageschema ist immer wahr«. Das zu sagen, ist aber nicht etwa falsch, sondern unsinnig. Ein tautologisches Aussageschema ist der Name für eine Menge von zwingend komplexen Aussagen, die allesamt wahr sind. Ein Name ist aber, zumindest in der Logik, prinzipiell nicht wahr oder falsch. Also ist auch ⊤ als Name für die Menge aller allgemeingültigen Aussageschemata nicht wahr oder falsch. Was man indes sagen kann: Eine Aussage gehört in die Menge, die durch ein tautologisches Aussageschema beschrieben wird. Eine Aussage aus dieser Menge ist dann unbedingt wahr. Man kann ebenfalls sagen: Ein Aussageschema gehört in die Menge der Tautologien. Mehr aber auch nicht. Durch die Verwendung der Mengennamen in Aussageschemata bzw. Aussagen wird dieser Unterschied in bedenklicher Weise vermischt. Beispiel Der Satz »Die Sonne scheint oder Die Sonne scheint nicht« ist keine Tautologie. Er ist genaugenommen nicht einmal wahr. Es handelt sich weiterhin um eine Aussage, die wahr oder falsch sein kann. Erst nach einer Analyse des Satzes zeigt sich, dass diese Aussage niemals falsch sein kann. Dafür ist allerdings der Rückgriff auf das Aussageschema nötig, auf dem der Satz basiert. Dieses Schema erweist sich als tautologisch. Trotzdem sagt man in diesem Fall, die Aussage sei immer wahr, obwohl die Formulierung »Die Aussage basiert auf einem tautologischen Aussageschema« den Sachverhalt trifft. Anmerkung Das angedeutete Missverständnis, dass man tautologische Sätze für Aussagen hält, wird auch syntaktisch forciert: Das Fehlen der Platzhalter, eigentlich eine Bequemlichkeit, zwingt beinahe dazu, diese Sätze nicht mehr als Aussageschemata zu lesen. Durch das Fehlen der Platzhalter rutscht ⊤ gleichsam in den Bereich der Aussagen. Dass ⊤ zudem als wahr interpretiert wird, macht die Sache rund. Ein Blick in die Arithmetik verdeutlicht die Problematik, wenn man konstante Funktionen betrachtet. Definiert man zu einer gegebenen Funktionen g eine Funktion f = 3 ⋅ g, dann steht die Konstante auf der rechten Seite nicht die Zahl 3, sondern eine 27 konstante Funktion, die alle Werte des Definitionsbreichs auf 3 abbildet. In diesem Sinn ist ⊤ eine aussagenlogische Formel und eben nicht der Wert wahr. Die Besonderheit von allgemeingültigen und kontradiktorischen Aussageschemata ist, dass sich allein aus dem Schema ergibt, ob die sich jeweils ergebenden Aussagen wahr oder falsch sind. Und darin liegt die Bedeutung von Tautologie und Widerspruch. Zwei zentrale Aufgabe der Logik ergeben sich nun: Einmal will man aus dem Wahrheitswert einer Aussage auf den Wahrheitswert einer anderer Aussagen schließen. Zum anderen will man erkennen, ob und welche Aussageschemata allgemeingültig bzw. widersprüchlich sind. Implikation und Äquivalenz Auf der nächsten Stufe werden Aussageschemata nicht mehr nur auf Allgemeingültigkeit und Widersprüchlichkeit hin untersucht, sondern in Relation zueinander gebracht. Der Werteverlauf von zwei Aussageschemata wird miteinander verglichen. Da überhaupt nur zwei Ergebniswerte möglich sind, ist diese Untersuchung auch bei mehr als zwei oder drei Platzhaltern vollständig durchführbar - was bei arithmetischen Gleichungen auf zB. ℕ ein Ding der Unmöglichkeit ist. Dabei kommen wir auf zwei Arten von Zuordnung: Implikation und Äquivalenz: DEFINITION Implikation, Äquivalenz Geg. sei die Interpretation ℑ und ein Aussageschema α ∈ ℱ. Ist ein Aussageschema β mit einer Wertebelegung v immer dann erfüllt, wenn auch das Aussageschema α mit v erfüllt ist, dann folgt β aus α; geschrieben: α⊨β Der Ausdruck wird als Implikation, auch Folgerung bezeichnet; wir sagen auch, α ist hinreichend für β. α ist die Voraussetzung, auch Hypothese oder Prämisse; β die Konklusion. Gilt die Folgerung in beide Richtungen, dann spricht man von einer Äquivalenz. Anmerkung Bei der Implikation ⊨ handelt es sich um eine Feststellung über Aussageschemata, dh. 28 um ein Zeichen aus der Metasprache. α und β sind ebenfalls Teil der Metasprache. Es handelt sich also um einen reinen Metasatz. Die Implikation ist ein Satz der Metasprache und wird daher auch als metasprachliche Implikation bezeichnet. Anmerkung Die Implikation α ⊨ β ist nur dann erklärt, wenn α für das entsprechende v erfüllt ist. Die Folgerung ist also nur auf einem Teil des Definitionsbereichs anwendbar und zwar auf jenen, auf dem α erfüllt ist. Daher ist sie auch nicht einfach mit dem Konditional vergleichbar, das ja auch dann wahr ist, wenn das Vorderglied falsch ist. Dieser Fall ist hier ausdrücklich nicht mitgemeint. Anmerkung Keineswegs sagt die Folgerung, dass aus der Allgemeingültigkeit von α die Allgemeingültigkeit von β folgt. Die Fälle, in denen α nicht erfüllt ist, werden gar nicht betrachtet und in diesen könnte β nicht erfüllbar sein. Allgemeingültigkeit, Implikation und Äquivalenz sind Sätze der Metasprache. Es handelt sich zB. bei der Folgerung um einen Satz, bei dem die Wahrheit der Hypothese implizit vorausgesetzt wird. Nur ist diese Metaebene unvollständig in dem Sinne, dass es syntaktische korrekte Ausdrücke gibt, die keine Semantik haben. Beispiel Der Ausdruck 3 > 4 ⊨ X ≥ Y hat keine Bedeutung, da die Voraussetzung falsch ist. Um solche Lücken ggf. zu vermeiden, muss jede Implikation und Äquivalenz eine Semantik erhalten, dh. die Definition der Implikation muss erweitert werden. Die Allgemeingültigkeit betrifft das Problem nicht, denn sie ist ohnehin für alle v definiert. Konkret: α ⊨ β besagt nun nicht mehr, dass aus der Wahrheit von α die Wahrheit von β folgt und α implizit vorausgesetzt wird, sondern α ⊨ β kann zum einen falsch sein und zum anderen wird die Aussage nicht mehr beschränkt auf die Wertebelegungen v, die α erfüllen. Die Folgerung α ⊨ β wird damit zu einer Art Konditional der Metasprache, dh. sie ist wahr, wenn α entweder falsch oder α wahr und β ebenfalls wahr; in den anderen Fällen ist sie falsch. Der Definitionsbereich des Aussageschemas α wird also um mögliche falsche Sätze erweitert und ist damit total. Für diese totale Implikation benutzen wir die Kurzform: α⇒β Die Gültigkeit dieser totalen Implikation, also metasprachlich gesprochen: 29 ⊨(α⇒β) entspricht dann dem Ausdruck: ⊨α→β Hier kann α also auch nicht erfüllbar sein für einige v. Anmerkung Man sagt wegen ⊨ α → β gelegentlich: Die totale Implikation ist die Allgemeingültigkeit des Konditionals. Damit sagt die totale Implikation etwas über das Konditional und muss daher für alle möglichen Wertebelegungen des Konditionals definiert sein. Anmerkung In der Literatur wird das Konditional oft als materiale Implikation, auch logische oder objektsprachliche Implikation bezeichnet, denn sie ist Teil der Objektsprache, hier der Aussagen. Die Implikation α ⊨ β bzw. ⇒ ist dann die metasprachliche oder auch semantische Implikation, denn sie sagt etwas über einen Satz in Bezug zum semantischen Bereich. Oftmals wird jedoch die totale Implikation als Teil einer höheren Formalisierung betrachtet und dann ihrerseits ebenfalls zu einer Art materialen Implikation. Anmerkung Die Verwechslung von materialer und metasprachlicher Implikation hat in der Philosophie der Logik immer wieder zu heftigen Debatten geführt, da angeblich aus falschen Sätzen etwas Wahres gefolgert werden könnte. Das ist aber Unsinn, denn tatsächlich hat die materiale Implikation nichts mit der Wahrheit im metasprachlichen Sinne zu schaffen und die semantische Implikation betrachtet Folgerungen, die auf falschen Annahmen basieren erst gar nicht. Ist mehr als eine Prämisse vorhanden, dann schreiben wir für: ⊨ α1 & … & αn → β die formalisierte Fassung: α1 & … & αn ⇒ β Diese entspricht dem metasprachlichen Ausdruck: 30 α1, … , αn ⊨ β In der formalisierten Metaebene handelt es sich bei diesen Sätzen um Sätze der Objektsprache. Die Metasprache für diese Sätze ist dann die gewöhnliche Sprache. Andernfalls hätte man es mit Konstruktionen der Art ⊨⊨α→β zu tun. Das ginge rein formal zwar auch, wäre aber verwirrend. Für die metasprachliche Äquivalenz benutzen wir die Kurzform: α⇔β und bezeichnen sie gleichfalls als Äquivalenz. Die Gültigkeit dieser Äquivalenz, also metasprachlich gesprochen: ⊨(α⇒β)&(β⇒α) entspricht dann der Allgemeingültigkeit des Bikonditionals, dh.: ⊨α↔β Ordnung und Klassifizierung Implikation und Äquivalenz definieren auf der Menge der aussagenlogischen Formeln jeweils zweistellige Relationen. Speziell die Implikation führt dabei auf eine für die Logik zentrale Ordnung der Aussageschemata: DEFINITION Geg. sind die Aussageschemata α und β. α heißt logisch stärker oder auch logisch schärfer als β, falls aus ⊨v α immer auch ⊨v β folgt. Anmerkung α ist logisch stärker, wenn α → β allgemeingültig ist, dh. formalisiert α ⇒ β gilt. 31 Anmerkung Die Bezeichnung für die Implikation gibt diesen Sachverhalt wider: ⇒ deutet an, dass die linke Seite größer ist als die rechte. Allerdings ist die Bezeichnung stärker irreführend, weil stärker in aller Regel mit wahrer verbunden wird, hier aber ⊥ stärker ist als ⊤. Strikter bzw. restriktiver bringt den Inhalt besser zur Geltung. Für die Mengenschreibweise gilt im Grunde dasselbe: φ stärker als ψ legt eine Teilmengenrelation der Art { φ } ⊇ { ψ } für die Zustände nahe, während tatsächlich { φ } ⊆ { ψ } gilt, denn φ wird durch weniger Zustände erfüllt als ψ. Die so definierte Ordnung ist reflexiv und transitiv aber nicht antisymmetrisch, dh. es handelt sich um eine Präordnung: SATZ Die Implikation ist eine reflexive, transitive und anti-symmetrische Relation. BEWEIS Reflexivität - zz. ist die Allgemeingültigkeit des Konditionals α → α. Da α ein Aussageschema ist, das nur entweder T oder F liefert, reicht es, die Erfüllbarkeit von X → X für alle Werte des Platzhalters X in einer Wertetabelle zu zeigen. X X→X F T T T Transitivität - zz. ist, dass für jedes Schema α, β, γ gilt: Falls α → β und β → γ jeweils allgemeingültig sind, dann auch α → γ. Für die Allgemeingültigkeit von α → γ muss lediglich gezeigt werden, dass aus der Gültigkeit von α die Gültigkeit von γ folgt. In jedem anderen Falls ist α → γ ohnehin erfüllbar. Sei also α gültig, dann ist auch β gültig. Und aus der Gültigkeit von β folgt die von γ. Wiederum werden in der Tabelle Platzhalter verwendet: 32 X Y Z X→Y Y→Z X→Z F F F T T T F F T T T T F T F T F T F T T T T T T F F F T F T F T F T T T T F T F F T T T T T T Die fehlende Anti-Symmetrie folgt direkt aus der Definition der Anti-Symmetrie: Eine Relation R heißt anti-symmetrisch, falls aus ( α, β ) ∈ R und α ≠ β folgt ( β, α ) ∉ R. Wiederum wird der Beweis über eine Wahrheitstabelle mit Platzhaltern geführt: X Y X→Y Y→X F F T T F T T F T F F T T T T T In zwei Zeilen ergibt sich jeweils für beide Ausdrücke der Wert T, dh. die Umkehrung gilt, was bei Antisymmetrie aber nicht sein dürfte. Anmerkung Man beachte, dass der Satz auf einer Aussage über Mengen von Aussageschemata basiert. Anmerkung Wäre die Implikation antisymmetrisch, hätten wir es mit einer Halbordnung zu tun. Anmerkung Wegen der fehlenden Antisymmetrie wird das Zeichen ≤ für ⇒ in aller Regel vermieden. Mit diesen Formalisierungen lassen sich Behauptungen aufstellen und Berechnungen durchführen. 33 Beispiel Der satzlogische modus ponens besagt: ⊨ ( (α → β) & α ) → β mit α und β als Aussageschemata. Er soll überprüft werden. Die Überprüfung geschieht durch Einsetzen. X Y X → Y X → Y∧X ((X → Y) & Y) → Y T T T T T T F F F T F T T F T F F T F T Der Zusatz satzlogisch soll darauf verweisen, dass die Bezeichnung modus ponens in anderen Bereichen als der Aussagenlogik verwendet wird. So wie die Implikation auf der Menge der Aussagen eine Ordnung erklärt, unterteilt die Äquivalenz die Aussagen in voneinander verschiedene Klassen. Wir sagen: Sie klassifiziert. Dabei sind die einzelnen Klassen ausdrücklich voneinander verschieden. Daher wird die Äquivalenz auch als Abstraktion bezeichnet, denn Verschiedenes wird unter einem bestimmten Aspekt als gleich betrachtet und dann als eines verstanden. In diesem Sinne sind Implikation und Äquivalenz zwei deutlich verschiedene Relationen, auch wenn die eine auf der anderen basiert. Die Klassifizierung mittels Äquivalenz erklärt ein wichtiges Mittel zur Vereinfachung von aussagenlogischen Formulierungen: Die Definition. Als Abstraktionstechnik legt die Äquivalenz es nahe, die äquivalenten Sätze unter einem Namen zusammenzufassen; bei Tautologie und Widerspruch ist das bereits durchgeführt worden. Mit anderen Worten: Wir sagen also nicht nur, ein Satz kann für einen anderen stehen, wenn er äquivalent zu diesem anderen ist. Wir sagen überdies, ein neues Zeichen oder eine neue Formel steht für einen Satz, und meinen damit, dass es überall den gleichen Wertverlauf haben muss, wie die Zeichen und Formeln, für die es steht. 34 Beispiel Das logische UND lässt sich mit Hilfe von Negation und logischem definieren: α&β≔¬(α∨β) ODER wie folgt