Prof. Dr.- Ing. Herzig Vorlesung "Grundlagen der Elektrotechnik 1" 111 1etv3-4 3.6 3.6.1 Spezielle Berechnungsverfahren linearer Netzwerke Überlagerungsverfahren Der Lernende kann den Überlagerungssatz und das darauf beruhende Berechnungsprinzip linearer Netzwerke erklären den Innenwiderstand einer idealen Spannungsquelle und den Innenleitwert einer idealen Stromquelle angeben ein lineares Netzwerk mit n Quellen in n lineare Netzwerke mit jeweils einer Quelle skizzieren die vorzeichenbehaftete Addition der Teilwirkungen zur Gesamtwirkung durchführen die Berechnungsschritte des Überlagerungsverfahrens angeben Der Überlagerungssatz lautet: In linearer System überlagern sich die durch Teilursachen entstehenden Teilwirkungen linear zur Gesamtwirkung In der Anwendung auf lineare Netzwerke bedeutet das: Die Gesamtwirkung ist beispielsweise der Zweigstrom in einem ausgewählten Zweig. Ursache für den Zweigstrom ist die Gesamtheit aller n Quellen des Netzwerkes, Teilursachen sind also die n Quellen. Jede Quelle des Netzwerkes liefert einen Beitrag (Teilwirkung) zum Zweigstrom. Diese Teilwirkung lässt sich bestimmen, indem nacheinander die n Quellen in ihrer Wirkung einzeln betrachtet werden. Alle anderen n-1 Quellen treten im Netzwerk nur mit ihrem Innenwiderstand oder Innenleitwert auf, ihre Quellenwirkung wird mit Null angesetzt (Uq = 0; Iq = 0). Der Innenwiderstand einer ideale Spannungsquelle ist Ri = 0 (Kurzschluss), der Innenleitwert einer ideale Stromquelle ist Gi = 0 (Ri = ∞) Leitungsunterbrechung. Durch die Eliminierung aller Quellen bis auf eine entstehen Widerstandsnetzwerk mit nur einer Quelle, die mit Stromteiler- und Spannungsteilerregel einfach berechnet werden kann. Diese Methode kann wegen des Überlagerungsprinzips nur für lineare Systeme verwendet werden. Sie ist also nicht allgemein anwendbar. In der Anwendung auf Widerstandsnetzwerk mit mehreren Quellen ergeben sich die nachstehend angeführten Berechnungsschritte: 1. 2. 3. 4. Festlegung des Zählpfeils des zu berechnen Zweigstromes Berechnung des 1. Teilzweigstroms als Einzelwirkung der 1. Quelle des Netzwerkes. Alle Quellen bis auf die 1. werden in ihrer Quellenwirkung unwirksam gemacht. Spannungsquellen werden überbrückt, Stromquellen herausgelöst. Berechnung des 2. bis n-ten Teilzweigstroms als Einzelwirkung der 2. bis n-ten Quelle des Netzwerkes. Addition der n Teilzweigströme zum Gesamtzweigstrom. Dabei wird ein Teilstrom mit positivem Vorzeichen bei der Addition erfasst, wenn seine Stromrichtung mit der in 1. festgelegten Zählrichtung des Zweigstromes übereinstimmt. Prof. Dr.- Ing. Herzig Vorlesung "Grundlagen der Elektrotechnik 1" 112 1etv3-4 Beispiel 3.6.01 IK = 1A Uq = 6V R1 = 1Ω R2 = 2Ω R3 = 50Ω R1 R2 IK Uq Berechnung des Stromes I3 1. I3 R3 Eintragung des Zählpfeils des Stromes I3 Abb. 3.6.1 Beispielaufgabe Da im Netzwerk 2 Quellen vorhanden sind, müssen die zwei Teilströme I31 und I32 berechnet werden. 2. Berechnung des 1. Teilstromes aus der Wirkung der Spannungsquelle. Die Stromquelle wirkt nur mit ihrem Widerstand RiIq = ∞, im Netzwerk entsteht eine Trennstelle. Da nur die Spannungsquelle im Netzwerk wirkt. kann die Stromrichtung I31 auf Grund der Polarität der Spannungsquelle eingetragen werden. R1 R2 I31 R3 Uq I31 G3 = I G1 + G3 Uq I= RR R2 + 1 3 R1 + R3 1/ 50Ω 6V ⋅ 1/1Ω + 1/ 50Ω 2Ω + 1Ω ⋅ 50Ω 1Ω + 50Ω I31 = 0.0395A I31 = Abb. 3.6.2 Berechnung des 1. Teilstromes 3. Berechnung des zweiten Teilstromes aus der Wirkung der Stromquelle. Die Spannungsquelle wirkt dabei mit ihrem Widerstand RiUq = 0, sie wird überbrückt. I32 = IK ⋅ IK R1 R2 R3 I32 G3 G1 + G2 + G3 1/ 50Ω 1/1Ω + 1/ 2Ω + 1/ 50Ω I32 = 0.0132A I32 = 1A ⋅ Abb. 3.6.3 Berechnung des 2. Teilstromes 4. Addition der Teilströme, beide Teilströme fließen in Richtung des Zählpfeils I3 I3 = I31 + I32 = 0.0395 A + 0.0132 A = 0.0527 A (3.6.01) Prof. Dr.- Ing. Herzig Vorlesung "Grundlagen der Elektrotechnik 1" 113 1etv3-4 Beispiel 2: Uq1 = 4.5 V Uq2 = 6.0 V Uq3 = 7.5 V R1 = 3 Ω R2 = 5 Ω R3 = 4 Ω R4 = 20 Ω Uq1 R2 R1 Uq2 R3 I4 = I41 + I42 − I43 I4 = 0.0963A + 0.225A − 0.120A I4 = 0.201A R3 I41 = I11 R 2 + R 3 + R 4 I41 4Ω = = 0.138 I11 5Ω + 4Ω + 20Ω Uq1 I11 = R1 + R3 (R2 + R 4 ) R4 I4 R4 I41 R4 I42 Uq3 I11 Uq1 R2 R1 R3 4.5V = 0.698A 4Ω(5Ω + 20Ω) 3Ω + 4Ω + 5Ω + 20Ω I41 = 0.138 0.698 A = 0.0963 A I11 = I42 = I42 = U q2 R 2 + R 4 + R1 R 3 6V 3 Ω 4Ω 5Ω + 20Ω + 3 Ω + 4Ω R2 R1 = 0.225 A R3 Uq2 I43 R1 = I33 R1 + R2 + R 4 I43 3Ω = = 0.107 I33 3Ω + 5Ω + 20Ω U q3 I33 = R 3 + R1 (R 2 + R 4 ) 7 .5 V = 1.123 A 3Ω(5Ω + 20Ω ) 4Ω + 3Ω + 5Ω + 20Ω = 0.107 ⋅ 1.123 A = 0.120 A I33 = I43 R2 R1 I33 R3 R4 Uq3 I43 Prof. Dr.- Ing. Herzig Vorlesung "Grundlagen der Elektrotechnik 1" 114 1etv3-4 3.6.2 Zweipolverfahren Der Lernende kann den Satz von Helmholtz erklären die Begriffe aktiver und passiver Zweipol erläutern aus jedem Netzwerk Zweipole herauslösen einen aktiven Zweipol durch eine Spannungsquellen- oder Stromquellen-Ersatzschaltung darstellen die Bearbeitungsschritte des Zweipolverfahrens nennen Grundlage des Zweipolverfahrens ist der Satz von Helmholtz und Mayer: Jeder lineare aktive Zweipol, der aus Quellen und linearen Widerständen besteht, kann bezüglich seines Klemmenverhaltens durch eine Spannungsquellen- oder Stromquellen-Ersatzschaltung ersetzt werden. Jeder passive Zweipol, der aus linearen Widerständen besteht, lässt sich zu einem linearen Widerstand zusammenfassen. A IX RX B In einem Netzwerk besteht die Aufgabe, den Zweigstrom Ix, der durch den Zweigwiderstand Rx fließt, zu berechnen. Dazu wird der Widerstand Rx wird an seinen Anschlüssen mit Klemmen versehen (Abb.3.6.4) und der Zählpfeil des Stromes Ix eingetragen. Anschließende wird der Widerstand aus dem Netzwerk herausgelöst. Dadurch entstehen zwei Zweipole: Abb. 3.6.4 Zweipol im Netzwerk Der 1. Zweipol ist der herausgetrennte Widerstand Rx. Es ist ein passiver Zweipol, der in Abb.3.6.6 dargestellt ist. Der 2. Zweipol ist der verbleibender Rest des Netzwerkes. Es ist der in Abb. 3.6.5 gezeigte aktive Zweipol, der Quellen und lineare Widerstände enthält. Nach dem Satz von Helmholtz kann nun dieser Netzwerksrest, , durch eine Spannungsquellen-Ersatzschaltung mit U0 und Ri oder eine Stromquellen-Ersatzschaltung mit IK und Gi (Ri) ersetzt werden. A A RX B B Abb. 3.6.5 aktiver Zweipol Abb. 3.6.6 passiverZweipol Berechnet man die Elemente der Spannungsquellen- oder StromquellenErsatzschaltung und fügt beide Zweipole wieder zusammen, so ergeben sich Grundstromkreise mit Uo ; Ri und Rx (Abb. 3.6.7) oder IK ; Ri und Rx (Abb 3.6.8), in denen der fließende Strom der gesuchte Zweigstrom Ix ist, und auf einfache Weise berechnet werden kann. Prof. Dr.- Ing. Herzig Vorlesung "Grundlagen der Elektrotechnik 1" 115 1etv3-4 IX IX Ri U0 RX UX IK Abb. 3.6.8 Stromquellenersatzschaltung Abb. 3.6.7 Spannungsquellenersatzschaltung IX = RX UX Ri Uo Ri + R x IX = Ri ⋅ IK Ri + R x (3.6.02) Das Zweipolverfahren lässt sich nicht formal nach einem Algorithmus anwenden, sondern erfordert auf jeden Fall gedankliche Vorarbeit. Es ist zu entscheiden, in welche Zweipole das Netzwerk für die Berechnung eines Stromes aufzuteilen ist und ob es zweckmäßig ist, die Spannungsquellen- oder die StromquellenErsatzschaltung zu verwenden. Auf jeden Fall gibt es mehrere Lösungsmöglichkeiten unterschiedlichen Aufwandes. Die Schwierigkeit besteht in der Berechnung der Parameter der Quellen-Ersatzschaltungen, und nur durch das Bearbeiten einer möglichst großen Zahl von Aufgaben werden Sie sich die notwendigen Fertigkeiten erwerben können. Beispiel 3.6.02 A Uq = 6V Iq = 1A R1 = 1Ω R2 = 2Ω R3 = 50Ω R2 R1 Iq R3 Uq B Berechnung des Stromes I3! Abb. 3.6.9 Beispiel 1 Aufteilungsvorschlag in die zwei Zweipole: A A R2 Iq I3 R3 R1 Uq B Abb. 3.6.10 Beispiel 1, a) aktiver Zweipol B b) aktiver Zweipol Prof. Dr.- Ing. Herzig Vorlesung "Grundlagen der Elektrotechnik 1" 116 1etv3-4 Berechnung der Parameter der Ersatzspannungsquelle: Der Innenwiderstand Ri der Ersatzspannungsquelle ist der zwischen den Klemmen A und B messbare Widerstand. Um ihn zu berechnen, werden die Quellenspannungen und Quellenströme der Quellen Null gesetzt. Die Quellen wirken dann nur mit ihren Widerständen: Spannungsquelle: Stromquelle: RiUq = 0 GiIq = 0; RiIq = ∞ In Abb. 3.6.11 ist die Widerstandsschaltung zur Bestimmung des Innenwiderstandes gezeigt. Der Widerstand Ri zwischen den Klemmen A und B wird durch zusammenfassen der Widerstände der Schaltung berechnet. A R i = RAB = R1IIR2 R2 Ri = R1 R1R2 1Ω ⋅ 2Ω = = 0.667Ω R1 + R2 1Ω + 2Ω Abb. 3.6.11 Beispiel 1, Bestimmung des Innenwiderstandes B Die Leerlaufspannung Uo ist die Spannung zwischen den offenen Klemmen des Zweipols, der das verbleibende Netzwerk beschreibt. Zur Berechnung der Spannung U0 wenden wir zunächst den Maschensatz in der Masche M des Netzwerks der Abb. 3.6.12 an. A U2 Iq R2 M R1 Masche M: U0 − Uq − U2 U0 = Uq + U2 U0 Uq B Abb. 3.6.12 Beispiel 1, Bestimmung der Leerlaufspannung Da im verbleibenden Netzwerk zwei Quellen vorhanden sind, muss die Berechnung von U2 mit dem Überlagerungsverfahren durchgeführt werden. In Abb. 3.6.13 sind die Netzwerke zur Bestimmung der Teilspannungen U21 und U22 dargestellt. Die Berechnung der Teilspannungen erfolgt mit der Spannungs- und der Stromteilerregel. Prof. Dr.- Ing. Herzig Vorlesung "Grundlagen der Elektrotechnik 1" 117 1etv3-4 A U21 A U22 R2 Iq R1 R2 R1 I22 Uq B B Abb. 3.6.13 Beispiel 1, Bestimmung von U2'mit der Überlagerungsmethode U21 R2 R2 = U21 = Uq ⋅ Uq R1 + R2 R1 + R2 U21 = 4.00 V I22 R1 RR = U22 = I22 ⋅ R2 = IK ⋅ 1 2 = 0.667V IK R1 + R2 R1 + R 2 Die Vorzeichen der Teilspannungen bei der Addition ergeben sich aus dem Vergleich der Teilspannungsrichtungen mit dem Zählpfeil von U2. U2 = −U21 + U22 = −4.00V + 0.667V = −3.33V U0 = Uq + U2 = 6V − 3.33V = 2.67 V Nachdem die Parameter der Spannungsquellenersatzschaltung bestimmt wurden, kann, wie in Abb. 3.6.14 gezeigt, der Strom I3 berechnet werden Ri U0 U0 2.67V = Ri + Ra 0.667Ω + 50Ω I3 = 0.0526A I3 = A I3 R3 U3 Abb. 3.6.14 Beispiel 1, Berechnung des Stromes I3 mit der Spannungsquellenersatzschaltung B Zur Übung wollen wir im Folgenden die gleiche Berechnung unter Verwendung der Stromquellen-Ersatzschaltung für den aktiven Zweipol durchführen. Der Innenwiderstand der Stromquellen-Ersatzschaltung wird wie bei der Spannungsquellen-Ersatzschaltung bestimmt. 1 1 Der Innenleitwert Gi = = = 1.5S Ri 0.667Ω Der Kurzschlussstrom IK des Zweipols ist der zwischen den widerstandslos überbrückten Klemmen des Zweipols fließende Strom. K I1 Iq I2 A R2 IK R1 Uq B Durch die Kurzschlussverbindung ist UAB = 0 und damit U U 6V I1 = AB = 0 I2 = q = = 3A R1 R2 2Ω Der Widerstand R1 kann herausgenommen werden. Abb. 3.6.15 Beispiel 1, Berechnung von IK Prof. Dr.- Ing. Herzig Vorlesung "Grundlagen der Elektrotechnik 1" 118 1etv3-4 Die Knotengleichung lautet dann: K: −Iq − I2 + IK = 0 IK = Iq + I2 = 1A + 3A = 4 A Zum Vergleich soll daraus die Leerlaufspannung berechnet werden: U0 = IK ⋅ Ri = 4A ⋅ 0.667Ω = 2.67V Mit den Parametern der Stromquelle wird nun der Strom I3 in Abb. 3.6.16 berechnet. I3 IK Ri A Ri ⋅ IK Ri + R 3 0.667Ω I3 = ⋅ 4.00A = 0.0526A 0.667Ω + 50Ω I3 = R3 U3 B Abb. 3.6.16 Beispiel 1, Berechnung des Stromes I3 Vergleicht man den Berechnungsaufwand für den Strom I3 zwischen der Verwendung der Spannungsquellen- und der Stromquellen- Ersatzschaltung, so zeigt es sich, dass mit der Stromquellen-Ersatzschaltung das Ergebnis mit weniger Aufwand erreicht wurde. Beispiel 3.6.03 Uq = 30V; R1 = 10kΩ; R2 = 6.67kΩ; RB = 47kΩ R1 S Uq R2 UB RB Berechnung der Spannung UB bei a) geöffnetem Schalter S UB = UB0 Leerlauf: b) geschlossenem Schalter S Abb. 3.6.17 Beispiel 2 Das Beispiel soll zunächst mit der Spannungsquellen-Ersatzschaltung bearbeitet werden. Die Berechnung der Leerlaufspannung erfolgt mit der Spannungsteilerregel nach Abb. 3.6.18 UB0 = Uq ⋅ R1 Uq R2 UB0 Abb. 3.6.18 Beispiel 2, Berechnung der Leerlaufspannung R2 = 12V R1 + R 2 Prof. Dr.- Ing. Herzig Vorlesung "Grundlagen der Elektrotechnik 1" 119 1etv3-4 Die Berechnung des Innenwiderstandes wird nach der Abb. 3.6.19 durchgeführt. R1 R i = R 2IIR 1 = R1R 2 = 4kΩ R1 + R 2 R2 Abb. 3.6.19 Beispiel 2, Berechnung des Innenwiderstandes Ri U0 UB RB Die Berechnung der Spannung UB erfolgt mit der Spannungsteilerregel nach Abb. 3.6.20 UB RB = U0 R i + R B UB = U0 ⋅ RB 47kΩ = 12 V ⋅ = 11.06 V Ri + RB 4kΩ + 47kΩ Abb. 3.6.20 Beispiel 2, Berechnung der Spannung UB Einfacher ist wiederum die Berechnung der Spannung mit der StromquellenErsatzschaltung. Der Kurzschlussstrom wird nach Abb. 3.6.21 bestimmt. Durch den Kurzschluss der Klemmen wird der Widerstand R2 stromlos und kann herausgelöst werden. IK = R1 Uq R1 = 30 V = 3mA 10kΩ S Uq R2 IK RB Abb. 3.6.21 Beispiel 2, Berechnung des Kurzschlussstromes Mit Kenntnis des Kurzschlussstromes kann die Leerlaufspannung bestimmt werden. UB0 = IK ⋅ Ri = 3mA ⋅ 4kΩ = 12V Die weitere Berechnung erfolgt wie bei der Verwendung der SpannungsquellenErsatzschaltung.