DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 5 vom 4. Februar 1983 Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Die Bedeutung von Lektinen für den Adhäsionsmechanismus von Bakterien Gerhard Uhlenbruck, Rudolf Gross, Olaf M. Koch und Chun-Kyung Lee Aus der Abteilung für Experimentelle Innere Medizin (Leiter: Professor Dr. med. Gerhard Uhlenbruck) der Universität zu Köln und der Medizinischen Universitätsklinik Köln (Direktor: Professor Dr. med. Rudolf Gross) Ein bislang noch nicht hinreichend gewürdigter Pathogenitätsfaktor von Bakterien ist die Gegenwart von Lektinen an deren Zelloberflächen. Diese Eiweißkörper, die man auf einer ganzen Anzahl von Bakterien gefunden hat, sind in der Lage, sich mit hoher Affinität an Kohlenhydratrezeptoren des Wirtsgewebes, zum Beispiel an die kohlenhydratreichen Oberflächen der Urothelien oder des Bronchialtraktes, zu binden. Lektine ermöglichen die intrazelluläre Aufnahme von metabolisierbaren Mono- und Oligosacchariden als Energieträger, und sie bedingen in einem entscheidenden Maße die Organotropie der Infektion, wie sie bei vielen Infektionserkrankungen zu finden ist. Trotz Entdeckung der „Bakteriohämagglutinine" vor genau 80 Jahren sind erst jüngst hochgereinigte Lektine beschrieben worden. Daß Bakterien rote Blutkörperchen agglutinieren können, ist seit 30 Jahren bekannt. Ausgabe A (Formel 2) Definition der Lektine L + 2 (Z)-, (Z)-L-(Z) Lektine (L) sind Zucker-(Z-)bindende Makromoleküle von Protein- oder Glykoproteincharakter, welche mit bestimmten Kohlenhydratstrukturen in spezifischer Weise nach Art einer Antigen-Antikörper-Reaktion reagieren, obwohl keinerlei Verwandtschaft zu den Immunglobulinen besteht: L+2 Wenn Lektine aber selbst integrierte Membranbestandteile sind ((L)), so kann durch Zugabe von (Z) eine Art Mischzellagglutination entstehen oder eine Rosettenbildung entsprechend Formel 4: L + Z LZ 2 (L) + 2 (Z) ----> (L)-(Z)-(L)-(Z) (Formel 3) (Formel 4) bzw. L + 4 Z ± LZ 4 (Formel 1) Sie kommen bei Viren, Bakteriophagen und anderen Mikroorganismen vor, aber auch bei Pflanzen (inklusive Schwämmen und Algen), Avertebraten und bei Vertebraten, und zwar sowohl in löslicher Form als auch in Form fest integrierter Membranbestandteile (Formel 1). Lektine binden (sich an) alle Glykokonjugate, welche den für sie spezifischen Zuckeranteil tragen, ob das nun Kohlenhydratstrukturen zellulärer Partikel ((Z)) sind (Agglutination, Formel 2) oder lösliche Glykoproteine, Glykolipide oder Polysaccharide (=Z=), was zur Präzipitation führt (Formel 3): Benutzt man aber in diesem System =Z=, dann entsteht eine Rezeptor-Agglutination gemäß Formel 5: 2 (L) + (L)=Z=(L) (Formel 5) Alle diese Vorgänge sind durch die spezifischen Zucker hemmbar. Ist dies nicht der Fall, dann handelt es sich meist um mehrere Lektine (L 1 , L2, L3) und mehrere Rezeptoren (Z 1 , Z2, Z3, usw.). Gerade im Rahmen der Lektinforschung, die sich mit der Struktur Die in Klammern stehenden Ziffern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis des Sonderdrucks. DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 5 vom 4. Februar 1983 27 ur Fortbildung , Aktuelle Medizin Bakterielle Lektine und Wirkungsweise sowie mit der Funktion und Bedeutung der Lektine beschäftigt, ist zunächst eine Auseinandersetzung mit dem Begriff des „Rezeptors" und dessen Klärung notwendig. Bakterienname Lektin-„Rezeptoren" Die Kohlenhydratgruppen, oft nicht-reduzierend terminal gebundene Mono- bzw. Disaccharide, aber auch Kohlenhydrate inner- Inhibitor Enterobakterien Escherichia coli Salmonella typhi Salmonella typhi murium Citrobacter freundii Citrobacter diversus Klebsiella pneumoniae Serratia marcescens Proteus morganii Laktose, Mannose, Galaktose, Glukose (a-Glykosid.), Maltose, Melibiose, N-Acetyl-Galaktosaminyl-E3-(1-4)Galaktose Mannose Mannose, Galaktose Mannose Mannose Mannose Mannose Mannose Pseudomonas Pseudomonas aeruginosa Aeromonas hydrophilia Mannose, Galaktose, Fukose, Mannose, Galaktose Streptococcus Streptococcus pyogenes Streptococcus mutans Streptococcus sanguis Galaktose Galaktose Laktose Actinomyces Actinomyces viscosus Actinomyces naeslundii Laktose, Galaktose Laktose Verschiedene Staphylococcus aureus (Toxin) Corynebacterium diphtheriae (Toxin) Vibrio cholerae (Toxin) Neisseria gonorrhoeae Chlamydia psittaci Streptomyces Sp Fusobacterium nucleatum Myxococcus xanthus Mycobacterium smegmatis N-Acetyl-Glukosamin, N-Acetyl-Galaktosamin Mannose, N-Acetyl-D-G I u kosam i n Galaktose, Laktose, N-Acetyl-Galaktosamin, Ganglioside (GIV1 1) D-Galaktose N-Acetyl-D-G I u kosam i n L-Fukose, L-Rhamnose, D-Galaktose N-Acetyl-Neuraminyl-(2--,3)-ß-D-Galaktopyranosyl-(1—.3)-N-Acetyl-Galaktosaminyl-Protein Glukose (a-Glykosid.) Tabelle 1: Lektine bei verschiedenen Bakterien 28 halb einer Zuckerkette, mit denen die Lektine reagieren, werden als Lektin-Rezeptoren bezeichnet. Dieser Rezeptorbegriff geht auf Burnet zurück, der ihn zuerst beim Influenzaviruslektin anwandte, einem Hämagglutinin, welches mit terminaler N-Acyl-Neuraminsäure reagierte, die wiederum durch ein „Receptor-destroying-enzyme" abgespalten werden konnte (Neuramin idase). Ähnlich haben auch die bakteriellen Lektine meist ihren Rezeptor an der Oberfläche der Wirtszellmembran. Sie können jedoch durch lösliche Glykokonjugate, z. B. Glykoproteine mit denselben Rezeptoren, neutralisiert bzw. die Bakterien können abgefangen werden, ganz analog der Hämagglutinations-Hemmwirkung von sezernierten Glykoproteinen gegenüber Influenzaviren (2, 3)*). Daneben gibt es den Rezeptorbegriff, wie er im Zusammenhang mit seiner Seitenkettentheorie von Paul Ehrlich geprägt wurde. Diese Vorstellung läßt sich auf die membranintegrierten Lektine anwenden, das heißt auf Lektine, wie sie beim Menschen in der Leber, Niere, Lunge und im gesamten retikuloendothelialen System vorkommen. Sie dienen hauptsächlich der Elimination „fremder" Zellen oder Glykokonjugate, auch bakteriellen Ursprungs. Leberlektine auf Hepatozyten (4) und auf Kupfferschen Sternzellen binden gealterte Erythrozyten und Plasmaproteine und entfernen sie aus der Zirkulation. Lektine im retikulohistiozytären System, auf der Plasmamembran von Makrophagen und als lösliche Proteine im Informationsaustausch zwischen Leukozytenpopulationen (z. B. der „migration inhibition factor") sind wichtige Faktoren für die Phagozytose (5) und unspezifische Immunabwehr. Heft 5 vom 4. Februar 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe A Zur Fortbildüng Aktuelle Medizin Bakterielle Lektine Bakterielle Lektine und ihre praktische Bedeutung Trotz Entdeckung der „Bakteriohämagglutinine" vor genau 80 Jahren sind erst in jüngster Zeit hochgereinigte Lektine bei einer ganzen Anzahl von Bakterien beschrieben worden: Eine Auswahl ist in Tabelle 1 wiedergegeben. Der Tabelle sind die Spezifitäten zu entnehmen, die in den meisten Fällen in einem Hämagglutinationstest bestimmbar sind. Es war nämlich schon seit den fünfziger Jahren bekannt, daß Bakterien rote Blutkörperchen agglutinieren können, und zwar mit Hilfe sogenannter Fimbriae oder Pili, wie sie heute auch genannt werden. Diese Pili bzw. Fimbrien sind dicht besetzt mit bakteriellen Lektinen, welche die Agglutination oder Adhäsion vermitteln und die deshalb auch als Adhäsine bezeichnet werden (Darstellung 1). Es ist daher nicht verwunderlich, daß man heute sogar blutgruppenspezifische Adhäsine kennt, die für die Epidemiologie Bedeutung haben können. In noch unveröffentlichten Versuchen haben wir festgestellt, daß sich die Diagnostik von Bakterien mit Adhäsinen und die Feststellung ihrer Spezifität durch zusätzliche Hämagglutinationsteste beträchtlich erweitern lassen: 1. durch Benutzung Neuraminidase-behandelter Erythrozyten, 2. durch eine Proteasebehandlung von Erythrozyten, wodurch zusätzliche Rezeptoren freigelegt werden und auch die Ladung vermindert wird, und Chemotaxis für Kohlenhydrate (Salmonellen, E.coli) BakteriophagenRezeptoren (E.coli) KohlenhydratAufnahme (Carrier 1 Systeme) (E.coli) Symbiose und Plaquebildung • (orale Actinomyceten und Streptokokken) Adhäsion an Glykokonjugate (Wirtszelle) Toxinwirkung (Vibrio cholerae) Darstellung 1: Verschiedene Wirkungsweisen bakterieller Lektine ceptor-enhancing enzyme" für ihr Lektin bzw. Adhäsin einsetzen können, indem weitere Rezeptoren freigesetzt werden, so daß der Infektionsradius erheblich vergrößert wird. Das gleiche gilt für bakterielle Proteasen, welche Adhäsinrezeptoren (z. B. Glykolipide) auf der Zellmembran freilegen können. Außerdem bedingt die Spezifität bakterieller Lektine eine gewisse Organophilie der infektiösen Mikroorganismen. Umgekehrt kann aber auch eine Schädigung oder Veränderung der Zellmembran im Verlauf anderer (viraler) Infektionen Rezeptoren für Adhäsine zerstören oder neu entstehen lassen, ein Vorgang, der ebenfalls auf Tumorzellmembranen durch eine Alteration des Rezeptorenmosaiks stattfinden kann. 3. durch die Erweiterung des Agglutinationsspektrums durch Verwendung von normalen und Enzym-behandelten tierischen Eryth rozyten. Diese Zusammenhänge haben demnach nicht nur für „Super-Infektionen" eine Bedeutung, sondern könnten sogar dazu führen, daß man Tumorzellen durch Bakterien, die mit spezifischen Antitumorlektinen ausgestattet sind, durch eine Infektion erfolgreich angreifen kann. In diesem Zusammenhang ist es interessant, daß viele Bakterien, welche eine Neuraminidase haben, diese sozusagen als ein „re- Für die bakteriellen Lektine lassen sich eine Reihe von verschiedenen biologischen Funktionen postulieren (Darstellung 1). Lektine sind bei Escherichia coli und auch bei Salmonella typhi murium (6) die chemotaktischen Rezeptoren für Kohlenhydrate, die für das Bakterium wichtige Energieträger sind; sie haben aber auch eine CarrierFunktion, denn sie ermöglichen die intrazelluläre Aufnahme von Zuckern. Es werden nicht nur Monosaccharide wie Glukose oder Galaktose internalisiert, sondern auch längerkettige Kohlenhydrate, Disaccharide wie Melibiose, Maltose oder Oligosaccharide aus aglykosidisch gebundener Glukose. Diese Mechanismen sind am besten für Escherichia coli untersucht, wobei hier das Lektin, das die Metabolisierung von Maltodextranen erlaubt, dem Bakterium auch zum Verhängnis Werden kann, da es ebenfalls den lytisch wirkenden Lambda-Phagen in die Zelle einschleust (7). Lektine als pathogenetische Faktoren Die Bedeutung der Lektine als pathogenetisch wichtige Faktoren wurde bisher unterschätzt. Es ist wahrscheinlich, daß bei Fehlen von Lektinen eine Anheftung von Bakterien an das Wirtsgewebe sehr erschwert ist, wobei die Adhäsion zumeist die Voraussetzung für eine Infektion ist. Ferner konnte gezeigt werden, daß Chlamydia Ausgabe A DEUTSCHES ARZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 5 vom 4. Februar 1983 29 Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Bakterielle Lektine psittaci, der Erreger von atypischen Pneumonien beim Menschen, mit seinem Lektin mit einem N-acetyl-D-Glukosamin-haltigen Rezeptor auf dem Fibroblasten reagiert. Blockiert man den Fibroblastenrezeptor mit einem pflanzlichen Lektin, so kann die Chlamydie sich nicht mehr anheften oder aber es können bereits adhärierte Bakterien wieder durch Zugabe von N-acetyl-D-Glukosamin aus der Bindung mit der Zelle verdrängt werden. Aus den Urothelien des Nierenbeckens und der Harnleiter wurde ein Galaktose-haltiges Glykoprotein isoliert, das den eigentlichen Rezeptor für die Reaktion von Escherichia coli mit dem Gewebe darstellt (8). Die Oligosaccharidketten erwiesen sich als immunogene Bestandteile des Blutgruppensystems P. P1-Individuen, die in ihren Urothelien den Disaccharidrezeptor 07D-Galaktopyranosyl(1-4)(3-D-Galaktopyranose haben, scheinen dabei wesentlich emp- Abbildung la: Reaktion des fluoreszenzmarkierten Lektins aus Pseudomonas aeruginosa mit einem Gewebeschnitt der Rattenlunge fänglicher für eine Infektion mit Escherichia coli zu sein als Individuen des Systems p, das diesen Rezeptor nicht aufweist. Auch bei P1 -Urothelien gelang es in vitro, die Anheftung des Bakteriums durch Zugabe des synthetisierten Disaccharids der genannten Struktur zu unterdrücken. Ebenso wie Escherichia coli, das für die meisten Pyelonephritiden der Erreger ist, verfügt Pseudomonas aeruginosa über ein Mannose(9) und Galaktose-spezifisches Lektin. Aus unseren eigenen Untersuchungen sieht man in den Abbildungen la und 1 b die Reaktion des galaktophilen Lektins aus Pseudomonas aeruginosa mit einem Gewebeschnitt aus Rattenlunge bzw. Rattenniere. Die Bindung des gereinigten bakteriellen Lektins an das Gewebe läßt sich durch Zugabe von Galaktoselösungen vollständig inhibieren. Schematisch sind diese Verhältnisse in Darstellung 2 verdeutlicht: In A dienen Lektine der Wirtszellen zur Anheftung, in C solche der Bakterien, während in B ein Mischtyp der Bindung vorliegen kann. Der Vorgang kann durch „inkomplette" Lektine oder Zukker () gehemmt werden, während die Bakterien selbst durch analoge Lektine (E) bzw. lösliche Glykokonjugate (F) agglutiniert werden können, wie das schon in den Formeln (2) und (5) zum Ausdruck gebracht worden ist. Bei Fehlen oder (enzymatischer) Zerstörung des Rezeptors (D) kann keine Infektion eintreten. Neue Impulse in der Kariesforschung Abbildung 1 b: Reaktion des fluoreszenzmarkierten Lektins aus Pseudomonas aeruginosa mit dem Tubulusapparat der Rattenniere 30 Obwohl viele Einzelfaktoren in der Pathogenese der Kariesentstehung noch unklar sind oder nicht in eine einzelne Kausalkette eingeordnet werden können, ist die kohlenhydratreiche Nahrung als Hauptursache der Zahnkaries weitgehend akzeptiert. Bekanntermaßen spielen dabei nicht nur Monosaccharide wie Glukose (Tra Heft 5 vom 4. Februar 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Bakterielle Lektine benzucker) oder Disaccharide wie Saccharose (Raffineriezucker, z. B. in Bonbons), sondern auch höherkettige Kohlenhydrate eine Rolle. Ebenso als allgemein akzeptiert gilt, daß die Zahnplaquebildung eine wichtige Vorstufe der Erkrankung ist. Man hat herausgefunden, daß die Lektine der bakteriellen Plaqueflora Belagbildung wahrscheinlich einleiten. Kurzoder längerkettige Kohlenhydrate sind dabei Kofaktoren, über die brückenartig eine Aggregation mehrerer Lektin-tragender Bakterien stattfindet (10). Es ist interessant, daß Streptococcus sanguis, der in Dentalplaques zu finden ist, ohne Gegenwart von Saccharose nur sehr beschränkt die Fähigkeit besitzt, sich an glatte Oberflächen (Glas, Zähne) anzuheften. Daß bei diesem Phänomen Lektine involviert sind, darf mit großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden (11). Kohlenhydratreicher Nahrung dürfte somit eine dreifache Bedeutung bei der Entstehung der Zahnfäule zukommen: als metabolische Vorstufen der Säurebildung durch die Mundflora, als Faktoren für die Koaggregation von Bakterien in der Mischbesiedlung der Zahnplaques und bei der Adhäsion pathogener Bakterien an physiologisch glatte Oberflächen (Zahnschmelz). Auch die „Muzine" des Speichels bzw. seine Glykoproteine spielen eine entscheidende Rolle bei der Bindung von Bakterien über deren Bakterienlektine. Toxische Lektine In manchen Fällen sind bakterielle Lektine mit deren Toxinen identisch. Bekannte Beispiele sind das durch Bakteriophagen vermittelte Diphtherietoxin und das Enterotoxin aus Vibrio cholerae (12). Die intrazelluläre Aufnahme des Diphtherietoxins wird über einen N-acetyl-D-Glukosamin-haltigen Rezeptor vermittelt. Die für die Bindung an das Kohlenhydrat der Wirtszelle zuständige Lektinkomponente liegt dabei auf dem FragAusgabe A Y B F < = reaktiver Bereich des Lektins = Kohlenhydrat-Rezeptor Darstellung 2: Verschiedene Adhäsionsmechanismen von Bakterien durch Lektine und Möglichkeiten ihrer Hemmbarkeit ment B des Toxins, wogegen Fragment A nach Einschleusung in die Zelle durch Aufnahme von ADPRibose in die Peptidyltransferase II die lebensnotwendige Proteinsynthese blockiert. Das ungiftige Lektin Con A, das mit demselben Zukker wie das Diphtherietoxin reagiert, ist in der Lage, die Eukaryontenzelle durch Absättigung des Rezeptors vor der Aufnahme des Toxins zu bewahren (13). Das Toxin der Choleravibrionen ist ein komplettes, agglutinierendes Lektin, das spezifisch mit dem Kohlenhydratanteil des Gangliosids GM1 in der Darmschleimhaut reagiert (12). Auch beim Choleratoxin ist das Prinzip verwirklicht, daß die für die Bindung notwendige Lektinkomponente nicht mit dem für die Toxizität zuständigen Proteinabschnitt identisch ist. Die beiden funktionellen Zentren liegen auf unterschiedlichen Polypeptidketten. Nach der Reaktion mit den Gangliosiden der Mukosa wird die Adenylatcyclase aktiviert, so daß eine aktive Sekretion von Wasser und Elektrolyten ins Darmlumen bewirkt wird. Die Bindung des Choleratoxins an die Schleim- haut ist durch das GM1 vollständig und durch Galaktose zumindest größtenteils inhibierbar. Ob sich hieraus therapeutische Konsequenzen in der Form ergeben werden, daß die kombinierte Verabreichung von Antibiotika zusammen mit orthograden Darmspülungen mit Galaktose-haltigen Elektrolytlösungen zu einer Dissoziation des Toxins vom Rezeptor und zu einer Abtötung der Vibrionen führt, bleibt zumindest einen klinischen Versuch wert, ebenso wie die Gabe von Erdnüssen, welche auch ein Lektin enthalten, das mit GM1 reagiert und den Rezeptor blockieren kann. Prospektive klinische Konsequenzen Die Bedeutung von Lektinen bei der Pathogenese bakterieller Infektionen stellt einen heute noch nicht in vollem Umfang zu überschauenden Faktor dar. Es ist bemerkenswert, daß den Lektinen bei der Infektion eine Anzahl sehr verschiedenartiger Funktionen zukommt (14). Diese reichen von Chemotaxis-Proteinen, zu finden DEUTSCHES ARZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 5 vom 4. Februar 1983 31 Zur Foitbildung Aktuelle Medizin Bakterielle Lektine FÜR SIE GELESEN bei Salmonella und Escherichia coli, von Carrier-Proteinen für metabolisierbare Kohlenhydrate (wie bei E. coli) über Anheftungsvermittler (orale Aktinomyceten und Streptokokken bei der Kariesentstehung) bis hin zu den hochpotenten bakteriellen Toxinen vom Typ des Cholera- und des Diphtherietoxins. Erhöhtes Leukämierisiko nach Behandlung des Ovarialkarzinoms mit alkylierenden Substanzen Intrauterinpessar führt unter Umständen zu einer Steigerung der Spontanaborthäufigkeit Bei der Beurteilung der leukämogenen Potenz alkylierender Zytostatika ist die Langzeitbeobachtung von Patienten mit Ovarialkarzinomen von besonderer Bedeutung, da hier keine intrinsische Prädisposition zur akuten Leukämie vorliegt. Greene und Mitarbeiter haben Daten von fünf nordamerikanischen Studien zur Behandlung des Ovarialkarzinoms zusammengetragen. Von 1399 Frauen waren 998 in ,verschiedenen Stadien des Ovarialkarzinoms mit alkylierenden Substanzen behandelt worden. Von diesen erkrankten 12 an einer akuten nichtlymphatischen Leukämie (ANLL) bei einer statistisch erwarteten Anzahl von 0,11. Die an ANLL erkrankten Patienten waren über einen längeren Zeitraum mit größeren Dosen Melphalan (10) bzw. Chlorambucil (2) behandelt worden. Die Dauer vom Behandlungsbeginn bis zum Auftreten der ANLL betrug 27 bis 83 Monate. In 10 Fällen ging eine präleukämische Phase voraus. Alleinige oder in Kombination mit der Chemotherapie durchgeführte Radiotherapie beeinflußte das Leukämierisiko nicht erkennbar. Nach Ansicht der Autoren sollte dieses Ergebnis den Einsatz der genannten Substanzen bei der Behandlung des Ovarialkarzinoms nicht verhindern, da ein eventueller, keineswegs sicherer, später Tod an Leukämie einem sicheren frühen Tod am Ovarialkarzinom vorzuziehen sei. Es sollten jedoch Konsequenzen gezogen werden bei der Konzeption von adjuvanten Therapiestudien, bei denen ein größerer Anteil Langzeitüberleber zu erwarten ist. Hrm Sind bei der Diagnose „Schwangerschaft" die Fäden eines Intrauterinpessars (IUP) im Zervikalkanal sichtbar, so ist der IUP zu entfernen. Dafür gibt es zwei Gründe: 1. Die Spontanaborthäufigkeit steigt von 20 Prozent auf 55 Prozent, wenn das IUP belassen wird, und 2. besteht ein erhöhtes Infektionsund Sepsisrisiko. Sind die Fäden nicht mehr sichtbar, so kann der IUP belassen werden; wegen des hohen Risikos für Mutter und Kind ist die Patientin jedoch genau aufzuklären. Besser ist auch hier die Entfernung unter hysteroskopischer Kontrolle. Dabei kann beurteilt werden, ob die Gravidität erhalten werden kann oder nicht. Fieberhafte Verläufe oder Komplikationen wurden nicht beobachtet. In vielen Fällen ist die Schwangerschaft zu erhalten. Eine sorgfältige Überwachung im Sinne einer Risikogravidität ist jedoch erforderlich. See Obwohl ohne diese Lektine in vielen Fällen eine Infektion gar nicht möglich sein dürfte, da das Bakterium sich weder anheften noch einen Metabolismus aufbauen kann, und obwohl ferner, wie bei Vibrio cholerae und Corynebacterium diphtheriae, ohne die Lektin-Toxin-Wirkung der Pathogenitätsfaktor entfällt, ist es bislang noch nicht gelungen, durch eine gezielte pharmakologische Störung dieser Mechanismen eine antiinfektiöse Therapie zu betreiben. Es bleibt aber zu hoffen, daß - künftig eine neue Gruppe antibiotisch wirkender Pharmaka gefunden wird, welche entweder die Bildung oder das Funktionieren der für die Infektion notwendigen Lektine unterbindet. Außerdem spielen bakterielle Lektine bei dem Pilus-induzierten Genaustausch zwischen Bakterien eine entscheidende Rolle. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, daß man auch in umgekehrter Weise mit pflanzlichen, tierischen, aber auch mit bakteriellen Lektinen die verschiedenen Zuckerstrukturen von Bakterienoberflächen „abtasten" kann, was nicht nur zu einer zusätzlichen Klassifizierung dieser Mikroorganismen führt, sondern die Möglichkeit eröffnet, mit Hilfe der Lektin-Affinitätschromatographie einzelne Bestandteile der Bakterienzellmembran zu isolieren. Literatur beim Sonderdruck Anschrift für die Verfasser: Professor Dr. med. Gerhard Uhlenbruck Medizinische Universitätsklinik Kerpener Straße 15 5000 Köln 41 32 Greene, M. H., et al.: Acute Nonlymphocytic Leukemia after Therapy with Alkylating Agents for Ovarian Cancer: A Study of Five Randomized Clinical Trials, N. Engl. J. Med. 307 (1982) 1416-1421, Environmental Epidemiology Branch, National Cancer Institute, Landow 4C-18, Bethesda, MD 20205 Schweppe, K. W.; Wagner, H.; Beller, F. K.: Zur Diagnostik und Therapie okkulter Intrauterinpessare bei eingetretener Schwangerschaft, Gebh. u. Frauenheilk. 42 (1982) 829-832, Univ.-Frauenklinik Münster, Domagkstr. 11, 4000 Münster Ergänzende Mitteilung Aktuelle Fragen der Hygiene Bei der Veröffentlichung des Editorials „Aktuelle Fragen der Hygiene", Heft 48/1982, Ausgaben A, B und C, Seite 38 ff., ist der Name des Zweitautors nicht genannt worden. Autoren der Arbeit sind Professor Dr. med. Hans-Werner Schlipköter und Professor Dr. med. Ludwig Grün, beide Institut für Hygiene der Universität Düsseldorf, Gurlittstraße 53. DÄ Heft 5 vom 4. Februar 1983 80. Jahraanq DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A