Bachelorarbeit Universität Bern, Institut für Geologie Die Glarner Hauptüberschiebung Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli Gatina 22 9478 Azmoos 05-108-535 Betreuung Prof. O.A. Pfiffner Eingereicht am 26.5.2008 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli Inhaltsverzeichnis Einleitung ............................................................................................................... 4 1 Geologische Übersicht .......................................................................................... 5 1.1 Geographische Lage................................................................................................ 5 1.2 Geologische Situation ............................................................................................. 5 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4 Lithologien .............................................................................................................. 6 Eozäner Flysch ........................................................................................................ 6 Lochsiten-Kalk ........................................................................................................ 6 Verrucano ................................................................................................................ 7 Mesozoische Sedimete ............................................................................................ 7 1.4 Geologische Karte vom Gebiet der Glarner Hauptüberschiebung ......................... 8 2 Zeitliche Abfolge der Deformationsphasen ........................................................ 9 2.1 2.1.1 2.1.2 Pizol Phase .............................................................................................................. 9 Tektonische Entwicklung........................................................................................ 9 Strukturen .............................................................................................................. 10 2.2 3.2.1 3.2.2 Cavistrau Phase ..................................................................................................... 10 Tektonische Entwicklung...................................................................................... 10 Strukturen .............................................................................................................. 10 2.3 2.3.1 2.3.2 Calanda Phase ....................................................................................................... 10 Tektonische Entwicklung...................................................................................... 10 Strukturen .............................................................................................................. 11 2.4 2.4.1 2.4.2 Ruchi Phase........................................................................................................... 12 Tektonische Entwicklung...................................................................................... 12 Strukturen .............................................................................................................. 12 3 Deformationsmechanismen ................................................................................ 15 3.1 Statik und Kinetik an der Glarner Hauptüberschiebung ....................................... 15 3.2 Feldbeobachtungen am Überschiebungskontakt im Zusammenhang mit Mechanik und Deformation an der Glarner Hauptüberschiebung ........................ 16 Der Überschiebungskontakt .................................................................................. 16 Strukturen im Mylonit........................................................................................... 18 Lithologie des Lochsiten Kalkmylonits ................................................................ 19 Topographie der Überschiebungsfläche ............................................................... 21 Bruchbildung vs Faltenbildung ............................................................................. 22 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 Bachelorarbeit 2 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli 3.3 Mikroskopische Beobachtungen und Rückschlüsse im Bezug auf Deformationsmechanismen und Fliessregime im Lochsiten-Kalk ....................... 22 4 Fluid flow an der Überschiebung ...................................................................... 24 4.1 Fluid flow pathways along the Glarus overthrust derived from stable and Sr Isotope Patterns (BADERTSCHER, ABART, BURKHARD, AND MCCAIG 2002) ..................................................................................................................... 24 4.2 Oxigen, carbon and strontium istope systematics in two profiles across the Glarus thrust: implications for fluid flow (ABART, BADERTSCHER, BURKHARD, POVODEN) .......................................................................................................... 26 5 Fazit ...................................................................................................................... 28 Vorlage für einen Prospekt ................................................................................ 29 6 Dank ..................................................................................................................... 32 7 Literaturverzeichnis ........................................................................................... 33 Abbildung auf der Titelseite: Am Foostock fällt die Glarner Hauptüberschiebung leicht nach Norden ein: Am linken Rand liegt eine mächtige subhelvetische Kalkscherbe zwischen dem Flysch und der Überschiebungsfläche. Bil: David Imper Bachelorarbeit 3 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli Einleitung Die in den Glarneralpen gelegene Überschiebung ist bereits seit 200 Jahren Gegenstand geologischer Untersuchungen und hat viel zum Verständnis wichtiger Prozesse der Gebirgsbildung beigetragen. Dem entsprechend umfangreich ist auch die Literatur über die Glarner Hauptüberschiebung. Führende Geologen aus dem In- und Ausland haben sich für dieses einmalige Phänomen interessiert und geforscht im Bereich der regionalen Geologie, Strukturgeologie, Mechanik, Statik und Kinematik der Überschiebung, Deformationsmechanismen, Metamorphosegrad und dem Einfluss von Fluiden Phasen. Bereits seid einigen Jahren laufen in der Schweiz die Vorberitungen für die Kandidatur, um das Gebiet der Glarner Hauptüberschiebung mit all seinen tektonischen und geologischen Besonderheiten unter dem Namen Swiss Tectonic Arena Sardona in die Liste der UNESCO Weltnaturerbe aufzunehmen. Der Piz Sardona liegt auf der Glarner Hauptüberschiebung und ist Grenzstein der Kantone Graubünden, Glarus und St.Gallen. Das Ziel dieser Literaturarbeit ist es, die wichtigsten Erkenntnisse der letzten 30 Jahre aus den verschiedenen Fachgebieten in wissenschaftlicher Sprache zusammen zu fassen und anhand aussagekräftiger Grafiken zu illustrieren. Ebenfalls wird eine Kurzfassung erstellt, die den geologischen Hintergrund der Glarner Hauptüberschiebung für den interessierten Laien verständlich macht. Diese Kurzfassung dient als Vorlage für einen Prospekt, der im Zusammenhang mit der Kandidatur der Swiss Tectonic Arena Sardona als UNESCO- Weltnaturerbe für Informationszwecke verwendet werden soll. Bachelorarbeit 4 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse 1 Rahel Egli Geologische Übersicht An der Glarner Hauptüberschiebung wurden ältere Gesteinsschichten auf jüngere überschoben. Die Verrucano Konglomerate aus dem Perm liegen auf eozänem Flysch. Dazwischen befindet sich ein geringmächtiges Band aus Lochsiten-Kalk. 1.1 Geographische Lage Die Glarner Hauptüberschiebung ist im Grenzgebiet der Kantone Glarus, St.Gallen und Graubünden aufgeschlossen. Sie erstreckt sich über eine Distanz von 30 km in Ost-WestRichtung und mehr als 20 km in Nord-Süd Richtung. An den Felswänden ist sie als eine messerscharfe, leicht zurückwitternde, gelbliche Linie erkennbar. An den südlichsten Aufschlüssen, zwischen Ilanz, Flims und Tamins fällt die Überschiebungsfläche steil gegen Süd-Südosten ein. Gegen Norden nimmt der Einfallswinkel sukzessive ab und bildet auf der Höhe von Ringelspitz, Piz Sardona Piz Vorab eine Kulmination. Nordnordwestlich des Scheitels taucht Überschiebungsfläche zunächst nur leicht ab, wird dann steiler und erreicht an nördlichsten Aufschlüssen an der Lochsiten bei Schwanden einen Einfallswinkel und die den von über 15 Grad. 1.2 Geologische Situation Bei der Bildung der Alpen im frühen Miozän wurden die helvetischen Decken über mehr als 35 km in Richtung Nord-Nordwesten überschoben. Zu dieser Zeit war die Überschiebungsfläche leicht nach Süden geneigt. Erst später, durch die Hebung des Aarmassivs, wurde der gesamte Komplex gekippt. Die Überschiebung fand in einer Tiefe von ca. 16 km bei einem Druck von bis zu 5 kbar und Temperaturen um die 320 Grad Celsius statt. Sie dauerte bei einer Geschwindigkeit von einigen Zentimetern pro Jahr mehrere Millionen Jahre. Der helvetische Deckenkomplex hatte eine Mächtigkeit von 3 km und erstreckt sich über eine Breite von 100 km und eine Länge von 50 km. Die unterhalb der Überschiebung liegenden mesozoischen Sedimente und der eozäne Flysch wurden auch verfaltet und zerbrochen, aber nicht über grössere Distanzen transportiert. Stetige Hebung der Kristallinmassive und Erosion der darüber liegenden Decken führten dazu, dass die Überschiebungsfläche heute aufgeschlossen ist. Meistens zerbrechen grosse Überschiebungsdecken wegen des enormen Reibungswiderstands in kleinere Blöcke. Die Glarner Hauptüberschiebung ist in diesem Bachelorarbeit 5 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli Zusammenhang eine Ausnahme. Lange wurde angenommen, dass der Lochsiten-Kalk als Schmiermittel fungierte. Neueste Erkenntnisse weisen darauf hin, dass ein Zusammenspiel aus spröden und duktilen Mechanismen die Überschiebung ermöglichte. 1.3 Lithologien 1.3.1 Eozäner Flysch Während dem Tertiär wurden im alpinen Vorlandbecken Flysche geschüttet. Flysch ist ein Sammelbegriff für die kilometermächtigen Schichtfolgen von bräunlichgrauen bis schwarzgrauen Brekzien, Kalksandsteinen, Kalksteinen, Quarziten, Ton- und Mergelschiefern. Bekannt sind die Engi Dachschiefer, in welchen verschiedene Fossilien wie Skelette von Fischen und Meeresschildkröten und Spuren von wirbellosen Meerestieren gefunden werden. Abgelagert wurden die Flysche im südlichen, tiefen Teil des Beckens. Infolge der sich nach Norden überschiebenden Decken traten Erdbeben auf, welche Turbidite auslösten. Dabei bildeten sich gradierte Abfolgen und wirbelförmige Strukturen aus. Am südlichen Rand des Beckens abgelagert, wurden sie bald von den heranrückenden Gesteinspaketen überfahren und in die Gebirgsbildung mit einbezogen. 1.3.2 Lochsiten-Kalk Der Begriff Lochsiten-Kalk wird generell gebraucht für die Kalksteinschicht, mylonitisiert oder nicht, die an der Glarner Hauptüberschiebung den Verrucano vom Flysch trennt. Die Bezeichnung Lochsiten Kalkmylonit bezieht sich nur auf entsprechende tektonische Situationen mit einer charakteristischen Lamination, entstanden durch dunkles, feinkörniges und helles, gröberes Karbonatmaterial welche gewöhnlich wenige Millimeter dick ist. Weil sie sich auf die tektonische Situation bezieht und nicht zwingend eine duktile Deformation stattfand, wird auch der Begriff Lochsiten Tektonit gebraucht. Solche Mylonite bzw. Tektonite finden sich lokal auch an anderen Überschiebungen in den helvetischen Decken. Der Lochsiten-Kalk zeigt sich als gelblich - beige anwitterndes, weisslich graues, meist 1-2 m mächtiges Kalkband, welches von einer messerscharfen Linie durchzogen wird. Er weist eine stark verfaltete Internstruktur auf, welche von Albert Heim als Knetstruktur bezeichnet wurde. Es wird angenommen, dass im Lochsiten-Kalk die Hauptbewegung der Überschiebung stattfand. Neueste Forschungen deuten darauf hin, dass sowohl spröde wie auch duktile Bachelorarbeit 6 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli Mechanismen beteiligt waren. Die scharfe Linie zeugt von einer oder mehreren, spröden Bewegung/en über eine kurze Distanz in einer letzten Phase. Der genaue Ursprung des Lochsiten-Kalks ist immer noch Gegenstand aktueller Forschung. Eine Hypothese besagt, dass er teilweise erst während der Überschiebung aus kalkreichem Wasser auskristallisierte. Frühere Quellen (SCHMID, 1975) nennen als möglicher Ursprungsort paraautochthone oder subhelvetische Kalksteinvorkommen. 1.3.3 Verrucano Als Glarner Verrucano wird die stellenweise über 1,5 km mächtige Sedimentfolge aus dem späten Karbon und dem Perm bezeichnet. Es handelt sich um Wüstensedimente, welche vor 250 bis 300 Millionen Jahren auf dem erodierten, variszischen Gebirge in tektonischen Gräben abgelagert wurden. Sie sind die ältesten Sedimente in diesem Gebiet und bestehen an der Basis aus grobkörnigen, schlecht sortierten Konglomeraten und enthalten zum Teil auch vulkanisches Material. Gegen oben werden die Lagen feinkörniger. Die Farbe variiert mit der Lokalität: blassgrün bis lauchgrün am Ringelspitz und im Vorderrheintal, violettrot in Mels, blutrot im Murgtal und in den Flumserbergen oder gelblich-rötlich im Pizolgebiet. An der Lochsiten ist der Verrucano violettrot und stellenweise hellgrün – gelblich ausgebleicht und weiss – gelblich angewittert. Er enthält grosse Geröllkomponenten, welche wiederum aus dunkelgrünen und dunkelbraunrotem vulkanischem Material, Quarz, Quarziten und aus rötlichen und grünlichen Quarzporphyren bestehen. Die grobkörnigen Konglomerate im unteren Teil und an den Grabenrändern werden auch als Sernifite bezeichnet. 1.3.4 Mesozoische Sedimete Über dem Verrucano liegen die Sedimente aus Trias, Jura und Kreide. In der Trias wurden die Melsersandsteine, die Rötidolomite und -rauhwacken sowie die Quartenschiefer und -Quarzite abgelagert. Zur Zeit des Juras wurden in Küstennähe Ton und Mergelschiefer, sowie sandige und fossilhaltige Kalke abgelagert. Es entstanden ebenfalls feine, fossilleere Kalke mit Eisenlagerstätten (Gonzen) welche auf ein mehrere hundert Meter tiefes Meer hinweisen. In der Kreidezeit bildeten sich in Küstennähe (nördlicher Ablagerungsraum) Riffkalke, Mergel- und Tonschiefer. Im Süden war das Meer tiefer und es wurden mächtige, mergeligere Formationen gebildet. Bachelorarbeit 7 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli 1.4 Geologische Karte vom Gebiet der Glarner Hauptüberschiebung 10km Sargans Glarus Schwanden Elm Chur Flims Ausbisslinie der Glarner Hauptüberschiebung Abb. 1: Geologische Karte aus dem Atlas der Schweiz 2.0, bearbeitet von Rahel Egli Aufschlussskizze der Lochsiten, Schwanden GL Eozäner Flysch Lochsiten-Kalk planare Linie im Lochsiten-Kalk roter Verrucano grüner Verrucano Abb. 2: Skizze aus R. Trümpy (1980) Bachelorarbeit 8 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli 2 Zeitliche Abfolge der Deformationsphasen Die Gesteine im Gebiet des Infrahelvetikums wurden mehrfach überprägt. Anhand der strukturellen Merkmale lassen sich vier Deformationsphasen unterscheiden. Sie wurden nach Typlokalitäten benannt (MILNES & PFIFFNER 1977; PFIFFNER 1977). 1. Pizol Phase Vor 32 Mio J Platznahme der exotischen Einheiten 2. Cavistrau Phase Vor 30 Mio J Frühe Grossfalten und Verschieben der allochthonen Einheiten 3. Calanda Phase Vor 28 Mio J Penetrative, duktile Deformation allochthonen und autochthon Einheiten 4. Ruchi Phase Vor 22 Mio J Bewegung der Glarner Hauptüberschiebung und Ausbildung einer Runzelschieferung der Um die tektonische Entwicklung zu rekonstruieren, müssen die Ergebnisse aus den verschiedensten Forschungsgebieten kombiniert werden (PFIFFNER 1986). Zusätzlich zur Strukturgeologie und der Stratigraphie (TRÜMPY 1969; SCHMID 1975), wurden die Metamorphose und die radiometrische Altersdatierung (FREY et al. 1974), die Geologie der penninischen und ostalpinen Zonen (TRÜMPY 1969; MILNES 1974a) und die Analysen der synorogenen Molasse mit einbezogen. 2.1 Pizol Phase 2.1.1 Tektonische Entwicklung Während im Flyschbecken der Zentralalpen die untere Meeresmolasse abgelagert wurde, schoben sich die penninischen Einheiten Richtung Norden ins Vorland, was auch zu internen Verschiebungen im Helvetikum führte. Benannt nach dem Berg Pizol beschreibt sie die Platznahme der exotischen Einheiten (Sardona und Blattengrad Decken), abgelagert in der oberen Kreide und dem unteren Tertiär, welche von Süden her auf das Aarmassiv überschoben wurden. Dieser Vorgang, bei dem ältere Schichten auf jüngere geschoben wurden, wurde bereits sehr früh als einer der ersten in der Alpenbildung erkannt (ARN. HEIM 1911; LEUPOLD 1937). Stratigraphisch liegen die exotischen Decken, bestehend aus Schichten aus der oberen Kreide, auf der oligozänen Sedimentbedeckung des Aarmassives. Bachelorarbeit 9 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli 2.1.2 Strukturen Die Schichten wurden in späteren Deformationsprozessen (Calanda Phase) stark überprägt, so dass heute keine Strukturen mehr erkennbar sind welche direkt mit der Pizol Phase korelliert werden können (siehe auch SCHMID 1975). Es wird angenommen, dass die chaotischen, internen Verfaltungen in den exotischen Einheiten (z.Bsp. RÜEFLI 1959, Pl II) und die Falten und Überschiebungen in den darunter liegenden tertiären Gesteinen (z.Bsp. SIEGENTHALER 1974, Photo 1) während der Pizol Phase initiiert wurden. 2.2 Cavistrau Phase 3.2.1 Tektonische Entwicklung Die erste Bewegung der allochthonen Einheiten wurde nach dem Berg Cavistrau benannt. Die ehemals auf dem südlichsten Teil des Aarmassiv gelegenen autochthonen Schichten wurden abgeschert und liegen nun weiter nördlich. 3.2.2 Strukturen Die penetrative Deformation, die während dieser Phase entstand tritt nur an wenigen Lokalitäten so ausgeprägt auf und bildet keine regionale Schieferung. Die Cavistrau Kette liegt auf dem Punteglias und Trun Teilmassif und wird vermutlich von einem verkehrt liegenden Schenkel einer nach Norden überkippten Antiklinalen gebildet (vgl. KÄCH 1969). Teile dieses überkippten Schenkels wurden während der Calanda Phase überprägt und zeigen heute antiforme Synklinalen und synforme Antiklinalen. 2.3 Calanda Phase 2.3.1 Tektonische Entwicklung Es entstanden mehrere Überschiebungen in den oberen mesozoischen Schichten, welche die paraautochthone Serie in verschiedene, kleine tektonische Einheiten zerlegte (siehe auch HELBLING 1938, Pl. 22; STYGER1961, Tabelle 1; BÜRGISSER & FELDER 1974, Tabelle 1). Der kristalline Untergrund wurde zu einem frühen Zeitpunkt in die Deformationsprozesse der Calanda Phase mit einbezogen, was vermulich zu der heutigen Bachelorarbeit 10 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli Form der Überschiebung führte. Initiiert wurde sie in der Säntisdecke eventuell bereits während der Zeit, als im Flyschbecken über dem Aarmassiv noch Sedimente abgelagert wurden. Die jüngsten Sedimente, die überprägt wurden, stammen aus dem unteren Oligozän, was bedeutet, dass die Calanda Phase später, d.h. im oberen Oligozän anzusiedeln ist. Im unteren Oligozän kam die Austroalpine Sedimentdecke, welche den ganzen helvetischen Stapel überfährt, über der Säntisdecke zu liegen. Im Übergang vom unteren zum oberen Oligozän stoppte die Schüttung der unteren Meeresmolasse und die untere Süsswassermolasse entstand. An der Grenze Miozän – Oligozän begann sich das Gotthardmassiv über das Tavetscher Zwischenmasiv zu schieben, welches wiederum in Ansätzen über das Aarmassiv überschoben wurde. Die interne Deformation der helvetischen Decken kam zu einem Ende und der ganze Komplex wurde passiv transportiert. 2.3.2 Strukturen Die Hauptdeformation, die penetrativ das ganze Infrahelvetikum erfasst, ist nach dem Calanda benannt. Es gibt keine Indizien, die dafür sprechen, dass es zwischen der Cavistrau und der Calanda Phase ein Intervall ohne Bewegung gab. Allerdings deuten die Schichtung – Schieferung Beziehungen darauf hin, dass sich die Bedingungen der Deformation markant geändert haben. Die Calanda Phase zeichnet sich durch eine sehr penetrative Deformation aus, während der sich die meisten Gesteinstypen duktil verformten. Es entstand eine deutliche Schieferung (25° bis 30° nach SSE einfallend) und ein Streckungslinear (PFIFFNER 1978). Die Foliation ist axial planar zu den Haupt- und Nebenfalten und variiert entsprechend der Lithologie. Die Überschiebungen verlaufen parallel zur Foliation und sind flankiert von einer mehreren Meter mächtigen Zone, die stärker foliiert und verformt ist. Daraus wird geschlossen, dass die Foliation und die Überschiebungen zur gleichen Zeit entstanden. Eine im Süden bis grünschieferfazielle Metamorphose markiert das Ende der Deformationsphase (FREY et al. 1974; PFIFFNER 1977). Die Foliation der Calanda Phase wurde von rosettenartigen Chloritoid Porphyroblasten überwachsen, die noch leicht rotierten, während die Matrix weiter geplättet wurde. Zeitlich liegt diese Metamorphose vermutlich an der Oligozän – Miozän Grenze (18-24 Mia Jahre, nach K/Ar Datierungen an Illiten, siehe FREY et al. 1974). Die Deformation des Gesteins während der Calanda Phase ist abhängig von der Lithologie, sehr heterogen und nimmt nahe der Überschiebung zu. Bachelorarbeit 11 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli 2.4 Ruchi Phase 2.4.1 Tektonische Entwicklung Aufgrund von Untersuchungen von Schuttfächer in der unteren Süsswassermolasse (BÜCHI et al. 1960; BRÜGISSER 1980) im oberen Miozän wird geschlossen, dass der ganze Deckenstapel weiter nach Norden überschoben und Schicht für Schicht erodiert wurde. Die Überschiebungen in geringer Tiefe führten zu erosiven Strukturen in den unterliegenden Schichten. Aufgrund der gegen das Hinterland geneigten Überschiebungsflächen werden die Gesteine im Hangenden erodiert. Durch diverse Überschiebungen (Disentis- und Glarner Überschiebung) wurde das Relief sehr hoch, was zu einer extensiven Erosion der darüber liegenden Austroalpinen Decken führt. Die fortwährende Einengung von Süden her führt im Miozän zu diversen flachen Überschiebungen in den Molassesedimenten. Das Penninikum und die Exotischen Einheiten sind zu einem grossen Teil erodiert. Es fand keine Bewegung entlang der Glarner Hauptüberschiebung mehr statt. Ab dem oberen Pliozän gab es keine Molassesedimentation mehr. Die Hebung von bis zu 1.8 mm/a und stetige Erosion führte bis heute zu einem weiteren Abtrag von mehr als 5000 m Gestein über dem Aarmassiv. 2.4.2 Strukturen An einzelnen, unregelmässig verteilten Stellen ist die Calanda Phasen Foliation überprägt von einer feinen Krenulation und oft begleitet von einer Runzelschieferung (PFIFFNER 1977; 1978; MILNES & PFIFFER 1977). Es gibt keine Hinweise die darauf hin deuten, dass es zwischen der Calanda und der Ruchi Phase ein Intervall ohne Deformation gab. Die Ruchi Phase tritt vermehrt, aber nicht ausschliesslich, in der Gegend der Glarner Hauptüberschiebung auf. Dieselben Strukturen finden sich auch in den penninischen Bündnerschiefern bis 800m unterhalb der Überschiebungsfläche. Der Schersinn ist derselbe wie der, der von der Überschiebung induziert wird, nämlich Gegenuhrzeigersinn bei Blick Richtung Osten. Dies deutet auf eine Beziehung zwischen der Runzelschieferung und der Glarner Hauptüberschiebung hin (SCHMID Phase 3). Im Süden ist die Überschiebungsfläche parallel zur Foliation der Calanda Phase im Hangenden und im Liegenden bis auf die letzten zwei Meter, die direkt von der Überschiebung beeinflusst wurden. Gegen Norden hin bilden Schieferung und Schichtung einen zunehmend grösseren Winkel. Im Gegensatz dazu bildet die Ruchi Phasen Krenulation immer einen grossen Winkel zur Überschiebungsfläche. Das deutet darauf hin, dass sich die Glarner Hauptüberschiebung aus einer Struktur heraus gebildet hat, die sich während der Calanda Phase entwickelte. Bachelorarbeit 12 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli Runzelschieferung tritt vor allem auf in Schiefern und Gesteinen mit vielen Schichtsilikaten. Abb.3 Verschiedene Faltentypen in Gesteinen mit Lithologischen anisotropien (Skizze Schmid 1975, Fig 6) In relativ massigen Gesteinen sind makroskopisch keine Deformationsstrukturen sichtbar. Es bildete sich lokal auch in der Calanda Phase eine Runzelschieferung aus, die strukturelle Korrelation ist jedoch rein zufällig. Abb. 4: Nachfolgende Seite Struktureller Querschnitt durch das Infrahelvetikum nach Pfiffner 1977, bearbeitet von Rahel Egli 2008 Um die Grafik übersichtlich zu gestalten wurden Deckengrenzen und andere Überschiebungen weggelassen. Bachelorarbeit 13 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Bachelorarbeit Rahel Egli 14 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli 3 Deformationsmechanismen 3.1 Statik und Kinetik an der Glarner Hauptüberschiebung Wenn Decken übereinander geschoben werden, brechen sie in der Regel in kleinere Einheiten. Dass die Glarner Decke mit einer Länge von 50 km und einer Breite von 100 km als Ganzes überschoben wurde, scheint unmöglich. K. Jinghwa Hsü hat als erster eine umfassende Analyse erstellt (A preliminary Analysis of the Statics and Kinematics of the Glarus Overthrust 1969). Aufgrund von Beobachtungen an der Lochsiten wurde geschlossen, dass während der Hauptbewegungsphase die Überschiebung durch Fliessen des Lochsiten-Kalks ermöglicht wurde. In einer späteren Phase kam es zu sprödem Verhalten (frictional sliding) und an unregelmässigen Bruchflächen entstand Gesteinsmehl zwischen dem Lochsiten-Kalk. Um die Spannungsverhältnisse zu berechnen benützte Hsü die folgenden Faktoren: Länge und Dicke der Überschiebungsmasse, Neigung der Überschiebungsfläche, Verhältnis Porendruck zu Überlastungsdruck und den kritischen Winkel der Schweregleitung. Die ersten drei Variabeln sind aus diversen Untersuchungen bereits bekannt. Dadurch konnten andere Faktoren wie Druckzustand und Schwerkraftgleiten abgeschätzt werden. Hsü kommt in seiner Arbeit von 1969 zu folgenden vorläufigen Schlussfolgerungen: 1. Während der ersten Hauptphase wurde die Glarner Hauptüberschiebung auf einer subhorizontalen Überschiebungsfläche durch einen Stoss von hinten (Süden) in Bewegung gesetzt, als der Porendruck ungefähr gleich dem Überlastungsdruck war. 2. Die spätere Bewegung, die mit einem Gefälle von 10 – 12 Grad gegen Norden erfolgte, kann durch die Wirkung der Schwerkraft entstanden sein, falls der Porendruck abnormal hoch blieb, andernfalls musste die Überschiebungsmasse immer noch gestossen werden. Zur Analyse der Kinetik werden neben der Überschiebungsmasse folgende Variabeln berücksichtigt: Schubgeschwindigkeit, Schubspannung, scheinbare Zähigkeit, Dehnungsgeschwindigkeit, Temperatur, und die Wärmeerzeugung durch mechanische Arbeit. Daraus wurden bei einer Temperatur von 300 – 400 Grad Celsius an der Basis (in 6 km Tiefe) eine Mindestgeschwindigkeit für die Überschiebung von 0.2 cm/a und ein Maximalwert von 10 cm/a berechnet. Bachelorarbeit 15 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli 3.2 Feldbeobachtungen am Überschiebungskontakt im Zusammenhang mit Mechanik und Deformation an der Glarner Hauptüberschiebung 3.2.1 Der Überschiebungskontakt Der Überschiebungskontakt ist nicht homogen. Es werden drei Haupttypen unterschieden (SCHMID 1975, The Glarus Overthrust: Field Evidence and Mechanical Model) Typ 1 Analog der Lochsiten bei Schwanden. Ein 1-2 m mächtiges Band von Lochsiten Kalkmylonit liegt zwischen den Flyscheinheiten im Liegenden und dem Verrucano im Hangenden. Typ 2 Eine bis zu mehrere Meter mächtige Schicht von mesozoischem Kalkstein (entspricht dem Lochsiten Kalkmylonit) liegt zwischen Flysch und Verrucano. Nur die obersten 1-2 m sind mylonitisiert. Typ 3 An den südlichsten Aufschlüssen werden die mesozoischen Tonsteine vom Verrucano getrennt durch eine mylonitische Schicht die aus dem Verrucano heraus entstanden ist. Mit wenigen Ausnahmen ist an allen Kontakten Kalkmylonit vorhanden. Selbst wenn mehr Kalkstein vorhanden ist, werden nur die obersten 2 m mylonitisiert. Die Theorie, dass der Kalkstein an der Überschiebung mitgezogen und ausgeschmiert wurde, lässt sich an den Typ 1 Kontakten sehr gut nachvollziehen. Die anderen Kontakte jedoch deuten darauf hin, dass der Überschiebungsblock bereits vor der Glarner Hauptüberschiebung vorhandene Kalkschichten überfuhr. An zwei Lokalitäten findet sich überhaupt kein Kalkmylonit am Überschiebungskontakt. Im Chrauchtal (zwischen dem Gulderstock und dem Foostock) fehlt er auf einer längeren Distanz. Extreme Kataklasis führte zu einer vollständigen Durchmischung von Flysch und Verrucano über mehrere zehn Meter Dicke entlang des Kontakts. An Stellen, wo Kalkmylonit vorhanden ist, wurde in den umgebenden Gesteinen nirgends Brekzienbildung und Kohäsionsverlust beobachtet. Es gibt jedoch lokal Stellen (nördlich von Foostock) an denen sekundär kleinräumig Imbrikation von Kalkmylonit und Flysch und/oder Verrucano beobachtet werden kann. Im oberen Teil der mylonitisierten Schicht, wo die Lamination subparallel zum Kontakt liegt, wird oft eine messerscharfe Linie beobachtet, manchmal gefüllt mit „fault gouge“. Das Zerbrechen von Kalkmylonit zu kohäsionslosem Kakirit, wie es an rezenten tektonischen Diskontinuitäten unter spröden Bedingungen häufig entsteht, wurde an der Glarner Hauptüberschiebung nirgends beobachtet. Bachelorarbeit 16 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli Es fehlen gewichtige Evidenzen für postmylonitische Bewegung unter spröden Bedingungen über signifikante Distanzen. Abb. 5: Loben und Kuspen, sogenannte Mullion Struktur im Lochsiten Kalkmylonit (Skizze Schmid, S 263) Die Untergrenze des Typ 1 Kalkmylonit zeigt häufig, speziell wenn der Mylonit mächtiger ist als einen Meter, eine lobate Grenze mit dem Flysch mit ausgequetschten Keilen, die jedoch nie bis hinauf zum Verrucano reichen. Die sogenannte Mullion Struktur entsteht an der Grenze zwischen zwei Schichten mit stark unterschiedlicher Viskosität. Wobei jedoch hier der Mylonit die höherviskose Phase wäre. Oft werden auch Boudins von Mylonit in den Flyschsedimenten gefunden, was ebenfalls auf eine höhere Viskosität des Mylonits deutet. Dieser Schluss steht aber im Widerspruch mit all den Evidenzen, die darauf hindeuten, dass der Kalkmylonit ein grosser Teil der Deformation aufgenommen hat, indem er die beiden rigiden Blöcken trennt und eine niedrige Viskosität aufweist. Im Exkursionsbericht von Herwegh et al. (2006) sind verschiedene Erklärungen für die Strukturen am Überschiebungskontakt aufgeführt: 1. Die grossen Anisotropien im schiefrigen Flysch könnten zu einer Verfaltung der Schichtgrenze geführt haben. In diesem Fall würden die Mullions nicht zwingend auf eine geringere Festigkeit des Flyschs im Bezug auf die Scherspannung parallel zur Überschiebung hinweisen. 2. Während der Mullion Bildung war der aktive und mechanisch weiche Teil des Lochsiten-Kalks näher beim Verrucano gelegen, so dass der untere Teil, welcher früher aktiv war, an der Grenze zum Flysch Kuspen und Loben ausbilden konnte. 3. Im Gegensatz dazu könnten die Mullons auch vor der Überschiebung entstanden sein und von dieser durchschnitten werden. Dies würde bedeuten, dass es zwischen der Verfaltung und der Überschiebung eine Zeitlücke gibt und keine fortschreitende Deformation während einem einzigen Überschiebungs Event. Bachelorarbeit 17 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli 3.2.2 Strukturen im Mylonit Der Mylonit ist vor allem im unteren Teil der Schicht und in den Loben, die sich am Übergang zum Flysch bilden, intern verfaltet. Diese Falten zeigen eine Ähnlichkeit mit den Ruchi Phasen Falten im Flysch mit stark geneigten Faltenachsen und nach Südosten abfallenden Achsenflächen. Auch an Stellen, an denen die Orientierung atypisch ist, zeigt sich eine gute Korrelation zwischen den Strukturen im Flysch und denen im Mylonit. Dies ist ein Argument für die gleichzeitige Entstehung der Glarner Hauptüberschiebung mit den Ruchi Phase Strukturen. Die Achsenflächen der Falten im unteren Teil des Mylonits rotieren sukzessive gegen oben, bis sie subparallel zur Lamination im oberen Teil zu liegen kommen. Dies deutet an, dass die Verformung des Mylonits gleichzeitig stattgefunden hat. Eine ähnliche Beobachtung wurde auch bein Typ 3 Lokalitäten gemacht. Die steil nach Süden einfallenden Achsenflächen von Falten, die vermutlich gleichzeitig mit der Überschiebung entstanden sind, drehen sich plötzlich parallel zur Überschiebungsfläche und bilden progressiv eine mylonitische Lamination aus. Dies alles deutet auf ein extrem inhomogenes Kräftefeld hin. Die Achse der maximalen Verkürzung fällt an der Basis steil ein und rotiert gegen oben bis sie subparallel zur Überschiebung orientiert ist, wo eine einfache Scherung in Richtung parallel zur Überschiebung ohne Faltung auftritt. Offensichtlich lässt sich von dem niederviskosen Verhalten des Mylonits im oberen Teil nicht automatisch auf ein Vorhandensein von niederviskosem Mylonit an der Basis im Übergang zu Flysch schliessen. Die Grenze von Flysch zu Mylonit ist oft absolut planar, speziell an Stellen, an denen die Mächtigkeit des Mylonits nicht mehr als einen Meter beträgt. Gut ausgeprägte und messbare Faltenstrukturen im Mylonit sind selten. Chaotische und unmessbare Schleppfalten mit Achsenflächen die nur über wenige Millimeter verfolgt werden können und geringe Wellungen der Lamination sind bei weitem verbreiteter. In Typ 2 Kontakten finden sich keine Verfaltungen. Dort bildet sich eine Lamination parallel zur Basis des Verrucanos in den obersten 1-2 Meter des Kalkmylonits. Aus diesen widersprüchlichen Strukturen hat Schmid (1975) folgende Schlüsse gezogen: 1. Das Fliessen mit einer starken einfachen Scherungs Komponente und mit Rotation von bereits entstandenen planaren Strukturen ist beschränkt auf eine 1 m mächtige Zone unter dem Verrucano. Selten sind in der basalen Zone des Mylonits und nie in den Strukturen des Flysch Anzeichen eines solchen „simple shear flow field“ zu finden. Da keine Elongation parallel zur Bewegungsrichtung Bachelorarbeit 18 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli beobachtet wurde, könnte eine signifikante Plättung quer zur Lamination auftreten. 2. Die planare Linie im Lochsiten-Kalk stammt nicht von der Horizontalverschiebung über eine Mindestlänge von 35 km und auch nicht von einer letzten signifikanten Bewegung (einige Meter). Wahrscheinlich entstand sie zu Letzt, als die Bedingungen fürs Fliessen ungünstig waren und die Überschiebung stoppte. Die Annahme, dass die gesamte Überschiebung des oberen Blockes über den unteren durch Fliessen in einer ca. 1 m mächtigen Kalkmylonitschicht vonstatten ging, hat sich bestätigt (HSÜ 1969a). 3. Es gibt verschiedene mögliche Quellen für den Ursprung von Kalkmylonit in der Überschiebungszone. Zum einen die paraautochthonen Kalksteine, welche durch den überschiebenden Block über eine Distanz von mehreren Kilometern ausgeschmiert hätte werden müssen, zum anderen subhelvetische Kalksteinvorkommen, welche entweder durch frühere Überschiebungen oder an der Front der vorrückenden Glarnerdecke deplaziert wurden. Das Vorhandensein einer meist 1-2 m mächtigen Kalksteinlage im gesamten Gebiet der Glarner Hauptüberschiebung bedingt, dass der Kalkstein unter den gegebenen Umständen sehr mobil war. 3.2.3 Lithologie des Lochsiten Kalkmylonits Einzelne, leicht gewellte oder gefaltete Laminen können nur über kürzere Distanzen verfolgt werden. Sie werden oft in einem flachen Winkel von anderen Sets von Laminen durchkreuzt oder werden durch Mikrobrüche oder Stylolithe versetzt. Diese Struktur wurde bereits von Heim (HEIM, 1922, p.388) als Knetstruktur bezeichnet. In südlichen Typ 3 Kontakten ist die Lamination weniger stark ausgebildet und besteht aus homogenerem, sehr feinkörnigem, weiss bis gelblichem Kalkstein. Die gelbliche Farbe stammt von unreinen Quarzkörnern. Untersuchungen zeigten, dass der mylonitisierte Kalkstein aus der Öhrlikalk oder der Schrattenkalk Formation stammen. Es wurde nie beobachtet, dass aus dolomitischen, schiefrigen oder quarzreichen Formationen Gesteine wie die der Lochsiten entstehen. 1. Frühe hochtemperatur (HAT) Mylonite: Die ältesten Strukturen befinden sich 0.510m unterhalb des Verrucanos. Dabei handelt es sich um Schichten von mylonitisiertem Schrattenkalk, alterierend mit weissen Kalzitadern. Diese frühen Mylonite sind oft verfaltet und zeigen dynamische Rekristallisation und ausgeprägte „crystallographic preferred orientations“ CPO`s. Das Vorhandensein von deformierten Adern deutet auf eine ausgeprägte, viskose Verformung, Bachelorarbeit 19 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli unterbrochen von Zyklen mit Sprödebrüchen, Kalzitausfällung und Aderbildung. Diese Zyklizität lässt sich am besten mit einem fluktuierenden Porendruck erklären. Die rekristallisierten Körner sind grösser als die im jüngeren Mylonit. Daraus wird auf eine höhere Temperatur während der Ausbildung der älteren Mylonite geschlossen. 2. Jüngere tieftemperatur (LT) Mylonite: Sie befinden sich 0.1-0.2m unterhalb des Verrucanos und sind weiss bis gelblich, nicht verfaltet und weisen eine gut definierte Foliation parallel zur Überschiebungsfläche auf. Die CPO`s sind schwächer, jedoch zeigen sich die gleichen Zyklen mit Sprödbrüchen, und Kalzitausfällung in Adern. Abb. 6: Aufschluss des Kalkmylonits an der Lochsiten in Sool bei Schwanden. Gut sichtbar ist das Septum welches im Mylonit verläuft. Im Hangenden ist der Verrucano aufgeschlossen und im Liegenden der Flysch. Foto und Bearbeitung Rahel Egli 2008 Bachelorarbeit 20 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli 3.2.4 Topographie der Überschiebungsfläche Es wird angenommen, dass die Krümmung der Überschiebungsfläche primären Ursprungs ist. Nachträgliches Biegen durch die Hebung des Aarmassivs ist aus folgenden Gründen unwahrscheinlich: (SCHMID 1975) 1. Da duktile Extension sehr unwahrscheinlich ist, hätten sich in der Glarnerdecke konjugierte Normalbrüche respektive vertikale Dehnungsbrüche ausbilden müssen. Solche systematischen Bruchsysteme konnten nicht beobachtet werden. Nur die südliche Flanke ist zusätzlich durch solche Versätze versteilt. Entlang der nördlichen Flanke wurden nirgends Normalbrüche gefunden. 2. Die Flyschschichten, welche über dem Aarmassiv extrem dick sind, verjüngen sich gegen Norden. Dies deutet darauf hin, das eventuell bereits vor der Überschiebung eine Klumination über dem Aarmassiv bestanden hat. 3. Ein Verbiegen nach der Überschiebung würde bedeuten, dass auch alle planaren Strukturen und Faltenachsen auf beiden Seiten der Kulmination um 10°-20° rotiert wurden. Somit wäre der anfängliche Einfallswinkel der Calanda Phasen Falten im Flysch ca. 50°-60° und in den paraautochthonen Falten ca. 0°-20°. Diese Diskrepanz des Fallwinkels und der Wechsel nahe der zukünftigen Kulmination ist sehr unwahrscheinlich. 4. Ein letztes, simples Argument für eine nach Süden einfallende Flanke ist die Tatsache, dass der permische Verrucano entlang eines leicht nach Süden einfallenden Bruchs auf die jüngeren Schichten überschoben worden sein muss. Verneint wird eine differenzielle Hebung des Aarmassives, welche nur in der Gegend der Glarner Hauptüberschiebung stattfindet. Belege, dass sich der helvetische Block seit der Überschiebung als Ganzes gehoben hat, sind eindeutig und eine Kippung kann nicht ausgeschlossen werden. Der Faltenbogen, der die Glarner Hauptüberschiebung gegen Norden hin begrenzt, entspricht genau dem Vorhandensein des Verrucanos im unteren Teil der Glarnerdecken (PFIFFNER 1992). Der Verrucano bildet den Kern der antiklinalen Struktur, welche sich um das Zentrum des Faltenbogens ausgebildet hat. Daraus wird geschlossen, dass der Faltenbogen dem ursprünglichen Ablagerungsbecken des Verrucanos entspricht und dass der Verrucano entlang der steil einfallenden östlichen und westlichen Begrenzung des Grabens auf die jüngeren Schichten überschoben wurde. Bachelorarbeit 21 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli 3.2.5 Bruchbildung vs Faltenbildung Die Helvetischen Decken wurden durch die Bildung von Schuppen, Stauchfalten und liegenden Falten verkürzt. Diese verschiedenen Verfaltugstypen stehen im Zusammenhang mit der Mächtigkeit der kompetenten und inkompetenten Schichten. Ein grosses Verhältnis (n) der Mächtigkeiten von inkompetenten zu kompetenten Schichten begünstigt disharmonische oder polyharmonische Verfaltung, ein tiefes n führt zu harmonischen Falten. Die Bruchbildung ist ebenfalls abhängig von n. Eine Studie von Woodward & Rutherford (1989) lässt vermuten, dass für Abscherungen und disharmonische Falten n > 0.5 nötig ist. Für n-Werte kleiner als 0.5 bilden sich entweder harmonische Falten oder die Überschiebung läuft durch die inkompetentere Schicht. Der Übergang von einem Verfaltungsstil zum anderen ist in den unteren Glarner Decken deutlich zu sehen. Asymmetrische Falten nördlich vom Ringelspitz gehen weiter nordwärts in Schuppenbau bei Walenstadt über (PFIFFNER 1992). 3.3 Mikroskopische Beobachtungen und Rückschlüsse im Bezug auf Deformationsmechanismen und Fliessregime im Lochsiten-Kalk Mithilfe von Transmissionselektronenmikroskopie und von Transmissionslicht- mikroskopie wurden verschiedene Kalksteinproben der Glarner Hauptüberschiebung untersucht (PFIFFNER 1982). Spannung hat einen Einfluss auf die Mikrostruktur der Gesteine. Aufgrund von so genannten Paläostress Piezometern können Rückschlüsse bezüglich der ehemaligen Spannungsverhältnisse gemacht werden. Aufgrund der verschiedenen Deformationsmechanismen und der inhomogenen Strukturen im Lochsiten Kalkmylonit ist es extrem schwierig, die aktive Differentialspannung abzuschätzen. Während der duktilen Deformationen welche in der Cavistrau und der Calanda Phase stattfanden, wurde der Kalkstein regional durch „power-law dislocation creep“ mit Differentialspannung, wahrscheinlich nicht über 1 kbar, deformiert. Dynamische Rekristallisation unter Gleiten und Verschieben der Korngrenzen führten dazu, dass die Körner weniger elliptisch sind als die Verformungsellipse. Charakteristisch ist das Vorhandensein von dislokationsfreien Subkörnern. Nahe der Überschiebung tritt mehr und mehr Korngrenzengleiten auf. Bachelorarbeit 22 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli Während und nach der Metamorphose heilen die deformierten Körner nicht mehr aus. Es treten keine dislokationsfreien Subkörner mehr auf. Zwillingsbildung entlang Brüchen lässt auf eine höhere Differenzialspannung am Ende der Deformation schliessen. Es ist nicht möglich, die Deformationsphasen aufgrund der Grösse von Subkörnern zu unterscheiden, da die im Mikroskop beobachten Subkörner alle die gleiche Grösse hatten. Kataklastisch deformierte Kalksteine scheinen entlang von Korngrenzen zerbrochen zu sein. Die Bruchstücke sind sehr klein (0.1-0.3µm) und stark verzwillingt. Im TEM wurden in den alten, grossen Körnern sehr lange, gerade Gleitdislokationen, Schieferung, und falls sie zerbrochen sind sogar Ringmuster (diffraction) beobachtet. Bachelorarbeit 23 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli 4 Fluid flow an der Überschiebung Evidenzen für fluid flow an der Glarner Hauptüberschiebung sind Dissolution und Redisposition von Kalzit und Quarzkörnern, Adern, parallel oder schräg zur Foliation und dünne, albithaltige und dolomitische Zonen im Lochsiten Kalkmylonit. Im Jahr 2002 sind zwei Arbeiten mit verschiedenen Ansätzen erschienen. 4.1 Fluid flow pathways along the Glarus overthrust derived from stable and Sr-Isotope Patterns (BADERTSCHER, ABART, BURKHARD, AND MCCAIG 2002) Abb. 7: Grafik aus Badertscher et al. 2002 Es wurden zwei verschiedene Regionen, entsprechend den unterliegenden Flysch oder Karbonatlagen, mit verschiedenen Flow regimes dokumentiert. Südlich der Karbonat – Flysch Grenze wurden die externen Fluide an der Überschiebung kanalisiert und flossen gegen Norden (BURKHARD et al. 1992; MCCAIG et al. 1995). Die Fluide wurden advektiv und vor allem dispersiv/diffusiv über 0.36 bis 2.3 km transportiert und bildeten eine grossräumige O-Isotopen-Front im Kalkmylonit. Der regionale Trend der 18O Signatur kann auch durch „cross thrust“ Transport massgeblich beeinflusst worden sein (ABART et al. 2002). Die Anreicherung von 18O und 13C in den Bachelorarbeit 24 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli unteren 50 bis 100 cm Verrucano wird zurückgeführt auf die transversale, hydrodynamische Dispersion, begleitet von fluid Flow entlang Brüchen, was auch zur Bildung von sekundärem Calzit in kleinen Adern führte (ABART et al. 2002). Die d18O, d13C und 87Sr/86Sr Gradienten im unterliegenden Karbonatgestein wurden als Isotopenfronten von der Infiltration eines Fluids erkannt, welches mit dem überliegenden Verrucano im Gleichgewicht ist. Der „time integrated fluid flux“ (TIFF) der Infiltration (3.45 – 5.7 m3/m2) ist um drei Grössenordnungen geringer als der, welcher nord – süd entlang der Überschiebungsfläche herrscht (4500 – 9100 m3/m2). In diesem Modell wurde die Infiltration als eine laterale Verdünnung eines dominanten Fluids interpretiert, welches seinen Ursprung in einer weiter entfernten, metamorphen Quelle hat. In den nördlichen Gebieten ist die d18O im Kalkmylonit im Gleichgewicht mit dem unterliegenden Flysch, aber weit entfernt von der Zusammensetzung eines mesozoischen Karbonat Protoliths. Anhand der Isotopensignatur kann dieser Teil der Überschiebung nicht bloss durch ein abwärts fliessendes Fluid interpretiert werden. Vertikale Isotopen Profile im überliegenden Verrucano weisen auf eine bedeutende aufwärts gerichtete Fliesskomponente (ABART et al. 2002). Eine nahe liegende Quelle sind die mit Kalzit gesättigte Fluide, welche sich im Gleichgewicht mit dem entwässernen Flysch befinden. Solche Fluide sind verantworlich für die Ausfällung in den Adern am Überschiebungskontakt. Dies führte zur Bildung des 1m mächtigen Lochsiten-Kalks aus sekundärem Kalzit mit einer regional fast konstanten 18O und 13C Signatur. Die anhaltende spröde und duktile Deformation in dieser Schicht ist verantwortlich für die Bildung der auffälligen `foliated gouge` Textur des Lochsiten-Kalks (BADERTSCHER & BURKHARD 2001). Das Fluid aus dem Flysch infliltriert in den überliegenden Verrucano, welcher von kleinen Kalzitadern durchsetzt ist, was dazu führt, dass die untersten paar Meter der Verrucano Formation alteriert werden. Gegen oben zunehmende d13C Werte werden mit der progressiven Abnahme von XCO2 im infiltrierenden Fluid in Verbindung gebracht. Dieser vertikale Fluid flow verwischt die Isotopen-Signatur des parallel zur Überschiebung fliessenden Fluids, welches im südlichen Teil identifiziert wurde. Während im Süden der Flow parallel zur Überschiebung dominiert, ist es im nördlichen Teil die aufwärts gerichtete Dissipation derselben Fluide in den Verrucano. Bachelorarbeit 25 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli 4.2 Oxigen, carbon and strontium istope systematics in two profiles across the Glarus thrust: implications for fluid flow (ABART, BADERTSCHER, BURKHARD, POVODEN) Abb. 8: Grafik aus Abart et al. 2002 Im Gegensatz zum oben erwähnten Modell, wird hier vermutet, dass die Anreicherung von 18O von Süden gegen Norden und die Front beim Übergang von Karbonat zu Flysch im Untergrund hauptsächlich durch vertikalen Transport erreicht wird. Der horizontale flux wurde anhand der Hydration des Verrucanos als 240 m3/m2 bestimmt, was etwa eine Grössenordnung geringer als die von Badertscher et al. (2002) publizierten Zahl ist. Am südlichen Teil der Überschiebung wird die Isotopen Alteration als laterale Front interpretiert, welche sich durch diffusiven und dispersiven Austausch zwischen den Gesteinen im Liegenden und im Hangenden ausgebildet hat. Und eventuell auch noch durch eine geringe vertikale Fliesskomponente, welche aus dem Verrucano kommend die Fluid Zusammensetzung im wenig permeablen Kalkstein beeinflusste. Der Kalkmylonit stammt zum grossen Teil von den unten liegenden, mesozoischen Sedimenten. Nur ein kleiner Teil entstand durch sekundäre Kalkausscheidungen. Der netto Massentransport durch Fluide fand von oben nach unten statt. Lokale Änderungen der O-Isotopen Verhältnisse lassen auf eine heterogen Permeabilität schliessen. Im nördlichen Teil, wo sich eozäner Flysch unter dem Lochsiten-Kalk befindet, wurde der horizontale Flow entlang der Überschiebung vermutlich von aufsteigenden Fluiden aus dem Flysch abgelenkt. Der Verrucano scheint gegenüber den aufsteigenden Fluiden weniger permeabel zu sein, als die Lithologie im Liegenden. Die aufsteigenden Fluide wurden unterhalb des Verrucanos gestaut. Es baute sich ein Druck auf, der beinahe dem litostatischen Fluid Druck entsprach. Dies führte zu Bachelorarbeit 26 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli Sprödebrüchen, minimalisierte die Normalspannung und erleichterte die Bewegung entlang der Überschiebung (PRICE 1988). An der Lochsiten ist der Kalkmylonit charakterisiert durch eine hohe Dichte von Kalzitadern und die C-, O- und Sr- Istotopenverhältnisse entsprechen denen des unterliegenden Flyschs. Was dafür spricht, dass das Karbonat durch Porenwässer aus dem Flysch aufwärts transportiert und dann ausgefällt wurde. Die Löslichkeit von Kalzit ist abhängig von der CO2 Konzentration in der Lösung und von der Temperatur (z.Bsp. RIMSTIDT 1997). Die Häufung von Kalzitadern an der Überschiebungsfläche stammt vermutlich von syntektonischen Druckalterationen. Ein Bruch, der während einer Episode von hohem Druck stattfand, führte eventuell zu einer kurzzeitigen Reduktion des Porendrucks. Dies führte zu einer Entmischung von CO2 und Porenwasser und dadurch wurde die Lösung übersättigt an Kalzit, welcher in den Adern ausfiel und dem Lochsiten Kalkmylonit sein typisches Erscheinungsbild gab. Bachelorarbeit 27 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli 5 Fazit Die Forschung an der Glarner Hauptüberschiebung verlief episodisch. Immer wenn die analytischen Methoden verbessert wurden oder ein neues Konzept entstand, wurden die Kenntnisse eingesetzt, um den Glarner Deckenkomplex weiter zu studieren. Auch heute gibt es unter den Geologen sehr unterschiedliche Meinungen darüber, wie die Überschiebung entstanden ist (HERWEGH et al. 2006). Die Disskusion reicht von einer sequenzdurchschneidenden Überschiebung als spät orogenetischen Event bis hin zu einem fliessenden Übergang von einer Falte zu einer Überschiebung. Es gibt viskose und kataklastische Deformationsprozesse im Lochsiten-Kalk welche gleichzeitig stattfanden. Es ist allerdings noch nicht klar, welchen Beitrag die verschiedenen Mechanismen zur Gesamtdeformation leisteten und wie sich diese gegebenenfalls mit der Zeit geändert haben. Die Beobachtungen und Interpretationen lassen vermuten, dass der Deformationsmechanismus an der Überschiebung mit der Zeit von „cristal plasticity“ in dominantes, granulares Fliessen (Superplastizität) überging. Während der Überschiebung spielten Fluide eine wichtige Rolle. Die fortschreitende duktile Deformation wurde begleitet von unterbrochenen Zyklen mit Sprödebrüchen, ausgelöst durch Hydrofracturing und Bildung von synkinematischen Adern. Die Überschiebung fand unter prograden bis retrograden, metamorphen Bedingungen statt. Unterschiede in den vorherrschenden Deformationsmechanismen aufgrund des Metamorphosegrades wurden auch in anderen Überschiebungen in den Helvetischen Decken festgestellt. Bachelorarbeit 28 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli Vorlage für einen Prospekt zum Thema der Glarner Hauptüberschiebung Die Glarner Hauptüberschiebung liegt im Grenzgebiet der schweizer Kantone Graubünden, Glarus und St.Gallen und ist als auffällige, gerade Linie an den Felswänden zu erkennen. Bei der Kollision von Europa und Afrika begann die Bildung der Alpen. Dies geschah durch verfalten, stauchen und überschieben von Gesteinsschichten. Vor 22 Mio Jahren wurden, 16 km unterhalb der Erdoberfläche, alte Verrucanogesteine über eine Distanz von über 35 km auf jüngere Flyschgesteine überschoben. Durch stetige Hebung und gleichzeitige Erosion ist die Überschiebungsfläche heute aufgeschlossen. Am Überschiebungskontakt liegt ein meist 1 – 2 m mächtiges Band aus Lochsitenkalk. Speziell an der Glarner Hauptüberschiebung ist, dass die Glarner Decke mit einer Breite von 100 km und einer Länge von 50 km nicht in kleinere Bruchstücke zerbrochen ist. Foto und Grafik: Adrian Pfiffner Übersicht über die Gesteine Name Eozäner Flysch Alter (Mio Jahre) 34 – 53 Mesozoische Sedimente 65 – 250 Verrucano 250 - 300 Lochseitenkalk Gegenstand aktueller Forschung Bachelorarbeit Beschreibung Flysch ist ein Sammelbegriff für Gesteine, welche während Gebirgsbildungen im Vorlandbecken abgelagert werden. Hier sind es kilometermächtige Abfolgen von dunkelgrauen Breckzien, Sand- und Kalksteinen, Quarziten, Ton- und Mergelschiefer Dazu gehören die Sedimente aus Trias, Jura und Kreide: Melsersandstein, Rötidolomit und –Rauhwacken, Quartenschiefer und –Quarzite, Ton- und Mergelschiefer, fossilhaltige Kalke Glarner Verrucano ist z.T. über 1.5 km mächtig. Er wurde in einer Wüste abgelagert und hat je nach Lokalität eine rote, vieloettrote oder grüne Farbe. Lokal enthält er grobkörnige Geröllkomponenten welche u.a. vulkanisch sind. Helles Kalkband mit stark verfalteter Internstruktur (Knetstruktur), welches von einer messerscharfen Linie durchzogen wird. 29 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli Das Gebiet der Glarner Hauptüberschiebung kandidiert zur Zeit unter dem Namen “Swiss Tectonic Arena Sardona” für eine Aufnahme in die Liste der UNESCO Weltnatuerben. In einer Vergleichsstudie, welche die 15 weltweit wichtigsten Gebirgsbildungsprozesse betrachtete, erreichte das Gebiet deutlich den ersten Rang. Die Überschiebungsfläche ist besonders auffällig und gut erkennbar, die Aufschlüsse leicht erreichbar und die geologischen Strukturen einmalig schön ausgebildet. Zudem hat die Forschungsgeschichte des Gebietes ausserordentlich viel zum Verständnis der Gebirgsbildung und Plattentektonik beigetragen. Forschungsgeschichte Aquarell von H. C. Escher (1812) Bereits 1807 erkannte Hans-Conrad Escher von der Linth (1767-1823) eine Anomalie in den Glarner Alpen: Der Alpenkalk (=mesozoische Kalke), welcher nach damaliger Theorie immer auf der Grauwacke (=Verrucano) liegen musste, war hier unterhalb der Grauwacke vorzufinden. Mit dem damaligen Wissensstand konnte sich Escher das Phänomen nicht erklären. Durch Bestimmung des relativen Alters der Schichten anhand deren Fossilieninhalt bewies 1841 Hans-Conrad Eschers Sohn, Arnold Escher (1807-1872), dass in den Glarner Alpen über grosse Distanzen ältere Gesteine auf jüngeren liegen. Er sprach 1841 korrekterweise von einer „colossalen Überschiebung“. Später bekam Escher jedoch Zweifel: Eine Überschiebung dieser Ausmasse war nicht zu vereinbaren mit der damaligen Weltanschauung, in welcher man sich die Entstehung der Gebirge durch eine auskühlende und daher schrumpfende Erdkruste erklärte. So erfand Escher die Legende Hypothese der Glarner Doppelfalte: Zwei Eozäner Flysch liegende Falten, welche eine Munde von jungem Mesozoische Sedimente Gestein (Flysch) einschliessen. Albert Heim Verrucano Lochseite nach GL Hauptüberschiebung (1807-1872) übernahm die Hypothese der Escher (1841). Doppelfalte (siehe Profil). Sie missachtete zwar geometrische und mechanische Gesetze, doch passte sie gut zu der Vorstellung einer Doppelfalte nach Heim (1878, 1891) schrumpfenden Erde und wurde allgemein akzeptiert. Der kleinen Schrift (1884) von Bertrand, in welcher er auf logische Weise zeigte, dass eine einzige von Süden nach Norden Überschiebung nach Heim (1921) überschobene Decke viel plausibler war als eine Doppelfalte, fand vorerst kaum Beachtung. Später erst wurde die Wichtigkeit seiner Schrift erkannt: Oberholzer (1933) Durch die Entdeckung der Decken wurde in den Alpen das Chaos geologischer Strukturen auf einmal verständlicher. Jakob Oberholzer (1862Schmid (1975) 1939), ehemaliger Schüler und Mithelfer Heims, erstellt detaillierte Ansichten und hervorragende Profile des gesamten komplexen Gebietes. Pfiffner (1992) Bachelorarbeit Die sechs Profile (ca. N-S gerichtet) zeigen die Entwicklung der Interpretationen der Geologischen Situation in den Glarner Alpen von 1841 bis heute. 30 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli Neueste Erkenntnisse Das Gebiet der Glarner Hauptüberschiebung wurde während der Gebirgsbildung mehrfach überprägt. Anhand der strukturellen Merkmale wurden vier Deformationsphasen unterschieden. (Milnes & Pfiffner 1977) Pizol Phase Vor 32 Mio J Cavistrau Vor 30 Mio J Phase Calanda Phase Vor 28 Mio J Ruchi Phase Vor 22 Mio J Platznahme der exotischen Einheiten. Aus dieser Zeit sind keine Strukturen mehr erkennbar. Erstes Verschieben von Gesteinsschichten. Es bildeten sich frühe Grossfalten und lokal Schieferung Der kristalline Untergrund wurde verfaltet und es entstanden mehrere Überschiebungen in den mesozoischen Schichten. Es bildete sich im ganzen Gebiet eine Schieferung aus, welche je nach Art der Gesteine unterschiedlich ausgeprägt ist. Bewegung an der Glarner Hauptüberschiebung und Ausbildung einer Runzelschieferung. (die Schieferung aus der Calanda Phase wurde nochmals deformiert) Die Forschung an der Glarner Hauptüberschiebung verlief episodisch. Immer wenn die analytischen Methoden verbessert wurden oder ein neues Konzept entstand, wurden diese Kenntnisse eingesetzt, um den Glarner Deckenkomplex weiter zu studieren. Auch heute gibt es unter den Geologen sehr unterschiedliche Meinungen darüber, wie die Überschiebung genau entstanden ist (Herwegh 2006). Die Disskusion reicht von einer mächtigen Überschiebung gegen Ende der Alpenbildung bis hin zu einem fliessenden Übergang von einer Falte zu einer Überschiebung. Der Überschiebungskontakt Aufgrund der Strukturen im LochsitenKalk (Mitte des Fotos) wird geschlossen, das es während der Überschiebung duktile und spröde Deformationsprozesse gab, welche gleichzeitig stattfanden. Es ist allerdings noch nicht klar, welchen Beitrag die verschiedenen Mechanismen zur Gesammtdeformation leisteten. Die gerade Linie stammt von einer letzten spröden Bewegung an der Überschiebung. Foto: Lochsiten bei Sool, Schwanden GL. Rahel Egli 2008 Der Einfluss der Fluide (Gemisch aus Wasser, Kalk und anderen gelössten Stoffen) Bei der Glarner Hauptüberschiebung spielten Fluide eine wichtige Rolle. Während der duktilen Deformation gab es immer wieder Zyklen in welchen das Gestein durch den hohen Druck der Fluide zerbrochen ist. Die so entstandenen Spalten an der Überschiebungsfläche wurden anschliessend durch Kalkausscheidungen aus den Fluiden wieder gefüllt. Ein Teil des Lochsiten-Kalks ist auf diese Weise entstanden. Die Kalkadern sind stark verfaltet und von Auge gut sichtbar. Bachelorarbeit 31 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli 6 Dank Für die kompetente Unterstützung möchte ich Herrn Prof. Pfiffner ganz herzlich Danken. Ebenfalls danken möchte ich meiner Familie und Freunden, die mir mit Korrekturlesen und vielen guten Tipps sehr geholfen haben. Abb. 9: Lochsiten im Frühjahr 2008, Foto Rahel Egli 2008 Bachelorarbeit 32 Die Glarner Hauptüberschiebung - Stand der heutigen Erkenntnisse Rahel Egli 7 Literaturverzeichnis Hauptquellen ABART, R., BADERTSCHER, N., BURKHARD, M. & POVODEN, E. (2002): Oxigen, carbon and strontium isotope systematics in two profiles across the Glarus thrust: implications for fluid flow. Contrib. Mineral. Petr. 143/2, 192-208. BADERTSCHER, N.P., ABART, R., BURKHARD, M. & MCCAIG, A (2002a): Fluid flow pathways along the glarus overthrust derived from stable and Sr-isotope patterns. American Journal of Science, 302, June, 2002, 517-547. 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