Aus der Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie

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Aus der Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie
der Universität zu Köln
Leiter: Privatdozent Dr. med. C. Albus
Klinische Charakteristika, Diagnostik, Therapie und Prognose der
psychogenen Bewegungsstörungen – eine systematische Literaturübersicht
Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde
Der Hohen Medizinischen Fakultät
der Universität zu Köln
vorgelegt von
David Geronimo Hoffmann
aus Bergisch Gladbach
Promoviert am 22. Februar 2012
Gedruckt mit der Genehmigung der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln
2012
Druck: DCC Competence Center GmbH, Köln
Dekan: Universitätsprofessor Dr. med. Dr. h. c. Th. Krieg
1. Berichterstatter: Privatdozent Dr. med. C. Albus
2. Berichterstatter: Universitätsprofessor Dr. med. L. Timmermann
Erklärung
Ich erkläre hiermit, dass ich die vorliegende Dissertationsschrift ohne unzulässige Hilfe
Dritter und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe; die
aus fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken sind als solche
kenntlich gemacht.
Bei der Auswahl und Auswertung des Materials sowie bei der Herstellung des Manuskriptes
habe ich Unterstützungsleistungen von folgenden Personen erhalten:
Dr. med. Frank Vitinius
Weitere Personen waren an der geistigen Herstellung der vorliegenden Arbeit nicht beteiligt.
Insbesondere habe ich nicht die Hilfe einer Promotionsberaterin/eines Promotionsberaters
in Anspruch genommen. Dritte haben von mir weder unmittelbar noch mittelbar geldwerte
Leistungen für Arbeiten erhalten, die im Zusammenhang mit dem Inhalt der vorgelegten
Dissertationsschrift stehen.
Die Dissertationsschrift wurde von mir bisher weder im Inland noch im Ausland in gleicher
oder ähnlicher Form einer anderen Prüfungsbehörde vorgelegt.
Köln, den 14. 07. 2011
David Geronimo Hoffmann
Die Erarbeitung des Konzeptes dieser Dissertation erfolgte unter Anleitung von Dr. med. F. Vitinius,
Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Universität zu Köln. Die dieser Arbeit
zugrunde liegende systematische Literaturrecherche wurde von mir selbst durchgeführt und
ausgewertet.
Danksagung
An erster Stelle möchte ich mich bei meinen Eltern für ihre Unterstützung und Hilfe
bedanken, die mich während des gesamten Studiums, wie auch zuvor, begleitet haben und
ohne die mir weder ein Studium der Medizin noch diese Dissertation möglich gewesen wäre.
Ich danke meinem Doktorvater, Privatdozent Dr. med. C. Albus, für die Überlassung des
Themas und Dr. med. F. Vitinius für die gute und zuverlässige Betreuung sowie kompetenten
Anregungen und Hilfestellungen bei fachspezifischen Fragen. Danken möchte ich auch D.
Hasan für Tipps und Tricks bei der grafischen Gestaltung der Arbeit, die wesentlich zum
Gelingen dieser beigetragen haben. Abschließend gilt mein besonderer Dank meinen
ehemaligen Kommilitonen, jetzigen Kollegen, aber vor allem Freunden T. Petrat, F. Ullmann
und D. Hasan, ohne die das Studium sicherlich nicht das gleiche gewesen wäre.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
4
1
Einleitung
5
1.1
Gegenstand der Untersuchung
5
1.2
Ziel und Aufbau der Untersuchung
5
2
Methodik
7
2.1
Datenbanken und Literaturrecherche
7
2.1.1 Datenbanken via MedPilot
10
2.1.2 Suchergebnisse via MedPilot
11
2.2
Suchergebnisse in MEDLINE via Pubmed
19
3
Studienauswertung
22
3.1
Auswahl und qualitative Beurteilung der Studien
22
3.2
Flussdiagramm zum Suchprozess der eingeschlossenen Studien
24
4
Ergebnisse der Studienauswertung
25
4.1
Zur Pathophysiologie der psychogenen Bewegungsstörungen:
neurophysiologische Phänomene
4.2
26
Zur Diagnostik von psychogenen Bewegungsstörungen:
unterschiedliche Ansätze und Verfahren
31
4.2.1 Bildgebende Verfahren
36
4.2.2 Psychogener Parkinsonismus
37
4.2.3 Psychogener Tremor
40
4.2.4 Evaluation klinischer Diagnosekriterien von psychogenen
Bewegungsstörungen
4.3
43
Grundlagen, Symptomatik und klinisches Erscheinungsbild der
psychogenen Bewegungsstörungen
44
4.3.1 Studien, die unterschiedliche psychogene Bewegungsstörungen erfassen
1
44
4.3.2 Psychogener Myoklonus
52
4.3.3 Psychogene Gangstörungen
53
4.3.4 Psychogener Tremor
55
4.3.5 Psychogene Dystonie
57
4.3.6 Psychogener Parkinsonismus
59
4.3.7 Motorische Konversionsstörung vs. psychogene nichtepileptische Anfälle
60
4.3.8 Psychogene Bewegungsstörungen und Affekt
62
4.3.9 Psychogene Bewegungsstörungen und intellektuelle Fähigkeiten
63
4.3.10 Psychogene Bewegungsstörungen im interkulturellen Vergleich
64
4.3.11 Psychogene Bewegungsstörungen im Kindes- und Jugendalter
66
4.3.12 Psychogene Bewegungsstörungen und Lebensqualität
69
4.4
70
Therapie und Behandlungsansätze bei psychogenen Bewegungsstörungen
4.4.1 Psychogenene Bewegungsstörungen und Psychotherapie
70
4.4.2 Psychogenene Bewegungsstörungen und Hypnose
71
4.4.3 Psychogene Bewegungsstörungen und Biofeedback
73
4.4.4 Psychogene Bewegungsstörungen und Pharmakotherapie
74
4.4.5 Multimodale therapeutische Ansätze
75
4.4.6 Qualität der medizinischen Versorgung
78
4.5
79
Outcome/Prognose der psychogenen Bewegungsstörungen
4.5.1 Psychogener Tremor
79
4.5.2 Psychogene Dystonie
80
4.5.3 Psychogene Bewegungsstörungen allgemein
81
5
Diskussion
84
5.1
Inhalt und Methodik
84
5.2
Definition und Klassifikation
84
5.2.1 Epidemiologie
85
5.2.1.1 Prävalenz
85
5.2.1.2 Geschlechterverteilung
86
5.2.1.3 Prädisponierende und auslösende Faktoren
87
5.2.1.4 Prädominante Symptome
87
2
5.2.1.5 Interkulturelle Aspekte
88
5.2.2 Ätiologie und Genese
88
5.2.2.1 Koexistierende psychische Krankheitsbilder
88
5.2.2.2 Die komorbiden Krankheitsbilder im Einzelnen
89
5.3
Diagnostik
92
5.4
Spezifische Störungsbilder bei psychogenen Bewegungsstörungen
98
5.4.1 Psychogener Tremor
98
5.4.2 Psychogene Dystonie
100
5.4.3 Psychogener Myoklonus
103
5.4.4 Psychogene Gangstörungen
104
5.4.5 Psychogener Parkinsonismus
105
5.4.6 Psychogene Bewegungsstörungen im Kindes- und Jugendalter
107
5.5
109
Therapie
5.5.1 Interaktion zwischen Arzt und Patient
109
5.5.2 Psychopharmakotherapie
110
5.5.3 Multimodale Ansätze
111
5.5.4 Zusammenfassung
112
5.6
Outcome und Prognose
113
6
Konklusion und Ausblick
116
7
Zusammenfassung
119
8
Literaturverzeichnis
120
9
Anhang
10
Oxford Centre for Evidence-based Medicine – Levels of Evidence
132
Lebenslauf
134
3
Abkürzungsverzeichnis
[123I] ß-CIT = [123I] ß-carboxymethyoxy-3-ß-(4-iodophenyl)
CET = Computer-Emissions-Tomografie
DSM = Diagnostic and Statistical Manual for Mental Disorders
EEG = Elektroenzephalografie
EMG = Elektromyografie
EOG = Elektrookulografie
fMRIT = Functional Magnetic Resonance Imaging
ICD-10 = International Statistical Classification of Diseases and Related Disorders, Version 10
LFU = Loss to follow up
MRT = Magnetresonanztomografie
PET = Positronen-Emissions-Tomografie
SPECT = Single Photon Emission Computed Tomographie
TMS = Transkranielle Magnetstimulation
4
1 Einleitung
1.1 Gegenstand der Untersuchung
Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich mit psychogenen Bewegungsstörungen. Als
psychogene Bewegungsstörungen werden verschiedene funktionelle motorische Störungen
bezeichnet, denen keine medizinisch erklärbare organische Ursache zugrunde liegt, sondern
deren Genese hauptsächlich in intrapsychischen Prozessen zu suchen ist. Sie werden dem
Formenkreis der somatoformen bzw. dissoziativen Störungen zugerechnet und umfassen ein
breites Spektrum von Symptomen, unter denen Tremor, Dystonie, Gangstörungen, Myoklonie
und parkinsonsche Krankheitsbilder die häufigsten sind [40, 44, 159].
Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen leiden häufig unter psychischen CoErkrankungen wie Depression oder Angststörungen und stellen den diagnostizierenden und
behandelnden Arzt vor eine schwierige Aufgabe. Trotz ihrer hohen Prävalenz, die sich je nach
Studie zwischen 3,5% [84] und 11% [21] unter allen Patienten mit Bewegungsstörungen bewegt, und Schätzungen [21], nach denen bis zu einem Drittel aller neurologischen Patienten
medizinisch nicht erklärbare Symptome aufweisen, sind sowohl neurophysiologische Ursachen und Phänomene als auch spezifische diagnostische und therapeutische Ansätze unzureichend erforscht. Die Heterogenität und Komplexität der Symptome sowie häufige CoErkrankungen organischer oder nichtorganischer Ursache erschweren eine allgemeine Erfassung und Erforschung der psychogenen Bewegungsstörungen und machen viele spezifische
Studien notwendig, um die Grundlagen der Krankheitsgenese zu verstehen und die diagnostische Genauigkeit sowie den therapeutischen Erfolg zu erhöhen.
1.2 Ziel und Aufbau der Untersuchung
Ziel dieser Dissertation ist es, eine methodisch transparente und systematische
Literaturübersicht zu erstellen, die die aktuelle Studienlage zum Thema psychogene Bewegungsstörungen vollständig erfasst und in der nachfolgenden Diskussion (Kapitel 5) die wichtigsten Ergebnisse aus Kapitel 4 im Gesamtkontext zueinander in Bezug bringt.
5
Hierzu wurde zunächst eine umfassende und dokumentierte Literaturrecherche in medizinischen und psychologischen Datenbanken durchgeführt und die Abstracts der verfügbaren
Studien auf ihre thematische Relevanz hin gesichtet. Im Anschluss wurde die methodische
Qualität der ausgewählten Studien mittels einer Checkliste [152] überprüft und anhand der
Oxford Centre for Evidence-based Medicine Levels of Evidence [114] bewertet. Aufbau, Methodik, Resultate und Bewertung der einzelnen Studien wurden in Kapitel 4 „Ergebnisse der
Studienauswertung“ in einem kurzen, deskriptiven Text zusammengefasst und am Ende des
jeweiligen Abschnitts in tabellarischer Form übersichtlich dargestellt. Jeder Studie wurde ein
Kommentar des Verfassers angefügt, der auf Besonderheiten, interessante Fakten oder qualitative Stärken bzw. Mängel der jeweiligen Studie hinweist.
Die abschließende Diskussion der Studienauswertung in Kapitel 5 beschäftigt sich mit Epidemiologie, Diagnostik, klinischem Erscheinungsbild, Therapie und Prognose der psychogenen
Bewegungsstörungen im Allgemeinen und ihren verschiedenen Unterformen im Speziellen.
Hierbei werden die Ergebnisse der ausgewerteten Studien sowie Expertenmeinungen und der
aktuelle Wissensstand aus Sekundärliteratur aufgegriffen und kritisch reflektiert, sodass ein
differenzierter Überblick über den Themenkomplex psychogene Bewegungsstörungen gegeben wird.
6
2 Methodik
2.1 Datenbanken und Literaturrecherche
Die Auswahl der für die Literaturrecherche relevanten Datenbanken wurde in Absprache mit
dem betreuenden Experten für das Dissertationsthema „Psychogene Bewegungsstörungen/Konversionsstörungen“ getroffen. Des Weiteren wurden Datenbankinformationen des
Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) [31] berücksichtigt. Die Recherche in den Datenbanken erfolgte ebenso ohne zeitliche Limitierung wie
ohne Einschränkung der Publikationssprache. Suchende war der 30.12.2009. Bei der Auswahl
der Dokumente wurden nur in Deutsch und Englisch abgefasste Texte berücksichtigt; bei anderssprachigen Dokumenten erfolgte eine Auswertung der Abstracts, sofern diese in englischer Sprache vorlagen.
Tab. 2.1 Suchtermini „Freie Suche“ (FS)
Suchtermini
psychogene Bewegungsstörungen
psychogenic movement disorders
psychogener Tremor
psychogenic tremor
psych*
psychia*
psychoso*
Die Literatursuche erfolgte über die Suchmaschinen MedPilot (http://www.medpilot.de) [99]
und PubMed (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/) [149], wobei in MedPilot zunächst die
Suchfunktion „Freie Suche“ mit den themenrelevanten Suchtermini (Bsp.: FS= „psychogenic
movement disorders“; s. Tabelle 2.1, S. 7) verwendet wurde. Um die Suche weiter einzugrenzen und die Suchergebnisse zu spezifizieren, wurden die Sucheinschränkungen „Titelsuche“
(TI; s. Tabelle 2.2, S. 8), Trunkierungen (Bsp.: FS= „psych*“; s. Tabelle 2.3, S. 8) und Boole´sche
Operatoren (Bsp.: „movement disorders“ AND „psychiatry“) verwendet.
7
Tab. 2.2 Suchtermini „Titelsuche“ (TI)
Suchtermini
psychogenic movement disorders
psychogene Bewegungsstörungen
psych*
psychia*
psychoso*
Nach Durchsicht der Abstracts der für die Arbeit relevanten Publikationen wurde zusätzlich
die Suchfunktion „Related articles“ verwandt sowie die Literaturangaben der gesichteten
Quellen auf weitere themenrelevante Literatur hin kontrolliert.
Tab. 2.3 Trunkierungen
Trunkierungen
psych*
psychia*
psychoso*
Tab. 2.4 Boole´sche Operatoren
Boole´sche Operatoren
AND
OR
Bei der Suche mit PubMed wurde zuerst mit den gleichen Begriffen wie bei der Suche mit
MedPilot gearbeitet (s. Tabelle 2.1, S. 7). Des Weiteren wurden MeSH Terms (Medical Subject
Headings) der U.S. National Library of Medicine verwendet (Bsp.: „psychomotor disorders“; s.
Tabelle 2.5, S. 9), die mittels diverser Subheadings (Bsp.: „diagnosis“; s. Tabelle 2.6, S. 9) eingegrenzt wurden.
8
Tab. 2.5 Verwendete MeSH Terms
MeSH Terms
psychomotor disorders
conversion disorders
psychophysiological disorders
Tab. 2.6 Verwendete Subheadings
MeSH Terms
diagnosis
epidemiology
ethnology
etiology
pathology
therapy
Eine weitere Einschränkung und Spezifizierung der Suche, um relevante klinische Studien zu
finden, wurde zusätzlich über die Suchfunktion „Limits“ erreicht, bei der die Auswahl der Dokumente nach diversen Einschlusskriterien eingegrenzt wurde (Bsp.: „Randomisierte und kontrollierte Studie“; s. Tabelle 2.7, S. 9).
Tab. 2.7 Sucheinschränkungen („Limits“) in PubMed
MeSH Terms
randomized controlled trial
case reports
clinical trial
clinical trial phase I
clinical trial phase II
clinical trial phase III
clinical trial phase IV
comparative study
controlled clinical trial
multicenter study
twin study
validation studies
9
2.1.1 Datenbanken via MedPilot
Folgende Datenbanken dienten als Ausgangspunkt für die Literaturrecherche mithilfe der
Suchmaschine MedPilot (www.medpilot.de) [99], wobei Publikationen ohne Einschränkung
der Publikationssprache und zeitliche Begrenzung des Publikationsdatums bis Dezember 2009
gesucht wurden*:
 BIOSIS Previews als Nachweise der internationalen Literatur aus Biologie (Zoologie, Botanik, Mikrobiologie), Human- und Veterinärmedizin, Biochemie, Pharmakologie, Toxikologie und Umweltforschung mit Schwerpunkt Nordamerika und Europa
 CCMed (Current Contents Medicine) mit Literaturnachweisen aus deutschsprachigen
Zeitschriften zu Medizin und Gesundheitswesen
 Cochrane Library – Central (Central Register of Controlled Trials) als Bibliografie kontrollierter klinischer Studien
 Cochrane Library – CDSR (Cochrane Database of Systematic Reviews) als Datenbank für
formal und strukturell standardisierte Übersichtsarbeiten
 DARE (Database of Abstracts of Reviews of Effects) als Datenbank mit strukturierten
Zusammenfassungen weltweiter systematischer Übersichtsarbeiten
 EMBASE (Excepta Medica Database) als Datenbank mit Nachweisen internationaler Literatur und dem Schwerpunkt Europa
 ISTPB + ISTP/ISSHP (Index to Scientific and Technical Proceedings) und ISSHP (Index to
Social Sciences and Humanities Proceedings) als Datenbank mit Informationen über internationale Konferenzen zu Natur-/Biowissenschaften und Sozialwissenschaften
 PsycINFO
mit
Nachweisen
internationaler
Literatur
zur
Psychologie
und
psychologierelevanten Gebieten
 PSYNDEX mit Angaben zu deutsch- und englischsprachigen Publikationen aus deutschsprachigen Ländern und dem Bereich Psychologie
 SciSearch mit Nachweisen der weltweit veröffentlichten Literatur aus den gesamten
reinen und angewandten Naturwissenschaften, der Technik und Medizin
 XTOXLINE mit Datenbeständen („Subunits“) unterschiedlicher Größe und Spezifität von
verschiedenen Herstellern
* Nach www.dimdi.de [32].
10
In den Tabellen 2.8 bis 2.29 im Abschnitt 2.1.2 sind Gesamttrefferzahl und Aufteilung der Gesamttreffer auf die verschiedenen Datenbanken dargestellt. Hierbei ist zu beachten, dass es zu
gemeinsamen Schnittmengen der Gesamttreffer kommen kann, da in den verschiedenen Datenbanken oftmals identische Artikel aufgelistet sind. Datenbanken, bei denen die Suchanfrage nicht zu einem Treffer führte, werden in der entsprechenden Tabelle nicht aufgeführt. Bei
einer Trefferzahl < 200 pro Suchbefehl wurden die Abstracts aller Treffer gesichtet; lag die
Trefferzahl über 200 wurden lediglich die Titel der Treffer gesichtet und versucht, die Suche
mit weiteren Suchfunktionen einzugrenzen und zu spezifizieren.
3.1.2 Suchergebnisse via MedPilot
Die „Freie Suche“ mit psychogene Bewegungsstörungen (Suchbefehl: FS= „psychogene“ +FS=
„bewegungsstörungen“) für deutschsprachige Literatur zum Thema ergab 11 Treffer (s. Tabelle 2.8, S. 11).
Tab. 2.8 (FS= „psychogene“ +FS= „bewegungsstörungen“)
Datenbank
Treffer
CCMed
EMBASE
2
1
PSYNDEX
8
Die „Titelsuche“ für deutschsprachige Literatur mit dem Suchbegriff psychogene Bewegungsstörungen (Suchbefehl: TI= „psychogene“ +TI= „bewegungsstörungen“) brachte lediglich 2
Treffer (s. Tabelle 2.9, S. 11).
Tab. 2.9 (TI= „psychogene“ +TI= „bewegungsstörungen“)
Datenbank
Treffer
CCMed
2
Die Ausweitung der Recherche auf englischsprachige Dokumente erfolgte in der „Freien Suche“ mit psychogenic movement disorders (Suchbefehl: FS= „psychogenic“ +FS= „movement“
+FS= „disorders“) und brachte 2266 Treffer (s. Tabelle 2.10, S. 12).
11
Tab. 2.10 (FS= „psychogenic“ +FS= „movement“ +FS= „disorders“)
Datenbank
Treffer
BIOSIS
CCMed
Cochrane Central
EMBASE
ISTPB + ISTP/ISSHP
PsycINFO
133
1
2
130
103
1461
PSYNDEX
SciSearch
XTOXLINE
229
190
17
Um die Suchergebnisse weiter einzugrenzen, wurde auch hier die „Titelsuche“ (Suchbefehl:
„TI= „psychogenic“ +TI= „movement“ +TI= „disorders“) verwendet, was zu 201 Treffern (s.
Tabelle 2.11, S. 12) führte.
Tab. 2.11 (TI= „psychogenic“ +TI= „movement“ +TI= „disorders“)
Datenbank
Treffer
BIOSIS
CCMed
EMBASE
ISTPB + ISTP/ISSHP
PsycINFO
PSYNDEX
SciSearch
21
1
36
45
26
8
64
Um weitere themenrelevante Dokumente zu finden, wurden nun wiederum in der Funktion
„Freie Suche“ die Suchbegriffe mit den Trunkierungen (s. Tabelle 2.3, S. 8) kombiniert. Die
Suche mit psych* bewegungsstörungen (Suchbefehl: FS= „psych*“ +FS= „bewegungsstörungen“) erbrachte 148 Treffer (s. Tabelle 2.12, S. 12).
Tab. 2.12 (FS= „psych*“ +FS= „bewegungsstörungen“)
Datenbank
Treffer
CCMed
EMBASE
PsycINFO
PSYNDEX
20
7
10
111
12
Die Suche mit psychia* bewegungsstörungen (Suchbefehl: FS= „psychia*” +FS= „bewegungsstörungen“) ergab 56 Treffer (s. Tabelle 2.13, S. 13).
Tab. 2.13 (FS= „psychia*“ +FS= „bewegungsstörungen“)
Datenbank
Treffer
CCMed
EMBASE
PsycINFO
PSYNDEX
11
6
2
37
Auf die Suchanfrage psychoso* bewegungsstörungen (Suchbefehl: FS= „psychoso*” +FS= „bewegungsstörungen“) gab es 34 Treffer (s. Tabelle 2.14, S. 13).
Tab. 2.14 (FS= „psychoso*“ +FS= „bewegungsstörungen“)
Datenbank
Treffer
PSYNDEX
34
Um eine größere Abdeckung des Suchraums bei der Recherche nach englischsprachigen Dokumenten vorzunehmen, wurden auch die englischen Suchbegriffe mit den jeweiligen
Trunkierungen in der Suchfunktion „Freie Suche“ kombiniert. Die Suche mit psych* movement
disorders (Suchbefehl: FS= „psych*“ +FS= „movement“ +FS= „disorders“) führte zu 24755 Treffern (s. Tabelle 2.15, S. 13).
Tab. 2.15 (FS= „psych*“ +FS= „movement“ +FS= „disorders“)
Datenbank
Treffer
BIOSIS
CCMed
Cochrane Central
10849
1
313
CDSR
DARE
EMBASE
ISTPB + ISTP/ISSHP
PsycINFO
PSYNDEX
SciSearch
XTOXLINE
48
22
2662
458
6225
1231
1584
1362
13
Die Trefferzahl bei der Suche mit psychia* movement disorders (Suchbefehl: FS= „psychia*“
+FS= „movement“ +FS= „disorders“) für Literatur aus dem Themengebiet der Psychiatrie
ergab 15591 Treffer (s. Tabelle 2.16, S. 14), während die Suche nach Literatur aus dem psychosozialen, psychosomatischen und psychologischen Themenbereich mit psychoso* movement disorders (Suchbefehl: FS= „psychoso*“ +FS= „movement“ +FS= „disorders“) insgesamt
1202 Treffer (s. Tabelle 2.17, S. 14) ergab.
Tab. 2.16 (FS= „psychia*“ +FS= „movement“ +FS= „disorders“)
Datenbank
Treffer
BIOSIS
Cochrane Central
CDSR
DARE
EMBASE
ISTPB + ISTP/ISSHP
10206
118
3
11
2222
230
PsycINFO
PSYNDEX
1335
196
SciSearch
XTOXLINE
828
442
Tab. 2.17 (FS= „psychoso*“ +FS= „movement“ +FS= „disorders“)
Datenbank
Treffer
BIOSIS
Cochrane Central
DARE
224
8
5
EMBASE
ISTPB + ISTP/ISSHP
135
17
PsycINFO
PSYNDEX
SciSearch
XTOXLINE
264
406
96
47
Aufgrund der hohen Trefferzahlen wurde auch hier die Sucheinschränkung „Titelsuche“ verwendet, was bei psych* movement disorders (Suchbefehl: TI= „psych*“ +TI= „movement“ +TI=
„disorders“) zu einer Eingrenzung auf 405 Treffer (s. Tabelle 2.18, S. 15) führte. Die Titelsuche
mit psychia* movement disorders (Suchbefehl: TI= „psychia*“ +TI= „movement“ +TI=
„disorders“) brachte 83 Treffer (s. Tabelle 2.19, S. 15), während psychoso* movement
14
disorders (Suchbefehl: TI= „psychoso*“ +TI= „movement“ +TI= „disorders“) zu 11 Treffern
führte (s. Tabelle 2.20, S. 15).
Tab. 2.18 (TI= „psych*“ +TI= „movement“ +TI= „disorders“)
Datenbank
Treffer
BIOSIS
51
Cochrane Central
EMBASE
ISTPB + ISTP/ISSHP
PsycINFO
PSYNDEX
SciSearch
3
81
57
63
17
109
XTOXLINE
24
Tab. 2.19 (TI= „psychia*“ +TI= „movement“ +TI= „disorders“)
Datenbank
Treffer
BIOSIS
15
Cochrane Central
EMBASE
1
19
ISTPB + ISTP/ISSHP
PsycINFO
6
13
PSYNDEX
SciSearch
XTOXLINE
1
22
6
Tab. 2.20 (TI= „psychoso*“ +TI= „movement“ +TI= disorders“)
Datenbank
Treffer
BIOSIS
1
EMBASE
ISTPB + ISTP/ISSHP
2
1
PsycINFO
PSYNDEX
SciSearch
XTOXLINE
2
2
2
1
Die weitere Suche nach Literatur zum Dissertationsthema „Psychogene Bewegungsstörungen“
konzentrierte sich nun auf einen wichtigen Aspekt des Themenkomplexes, den „psychogenen
Tremor“. Vorgehensweise und Datenbanken waren hierbei identisch.
15
Tab. 2.21 (FS= „psychogene“ +FS= „bewegungsstörungen“)
Datenbank
Treffer
BIOSIS
EMBASE
PsycINFO
PSYNDEX
1
1
1
1
Die Recherche nach deutschsprachiger Literatur in der „Freien Suche“ mit dem Suchbegriff
psychogener Tremor (Suchbefehl: FS= „psychogener“ +FS= „tremor“) erbrachte lediglich 4
Treffer (s. Tabelle 2.21, S. 16).
Tab. 2.22 (FS= „psychogenic“ +FS= „tremor“)
Datenbank
Treffer
BIOSIS
Cochrane Central
EMBASE
ISTPB + ISTP/ISSHP
PsycINFO
PSYNDEX
SciSearch
XTOXLINE
68
1
133
30
189
5
113
14
Auf eine Spezifizierung der Suche mittels der Funktion „Titelsuche“ wurde aufgrund der geringen Trefferzahl verzichtet und die Suche nach englischsprachiger Literatur mit psychogenic
tremor (Suchbefehl: FS= „psychogenic“ +FS= „tremor“) begonnen. Dieser Suchbefehl führte zu
553 Treffern (s. Tabelle 2.22, S. 16) und wurde anschließend mit der „Titelsuche“ (Suchbefehl:
TI= „psychogenic“ +TI= „tremor“) eingegrenzt, was zu 113 Treffern führte (s. Tabelle 2.23, S.
16).
Tab. 2.23 (TI= „psychogenic“ +TI= „tremor“)
Datenbank
Treffer
BIOSIS
EMBASE
ISTPB + ISTP/ISSHP
PsycINFO
PSYNDEX
SciSearch
XTOXLINE
20
25
17
11
2
37
1
16
Zur größeren Abdeckung des Suchraums wurde nun zunächst in der „Freien Suche“ mit psych*
tremor gesucht (Suchbefehl: FS= „psych*“ +FS= „tremor“), was zu einer Trefferanzahl von
12737 führte (s. Tabelle 2.24, S. 17).
Tab. 2.24 (FS= „psych*“ +FS= „tremor“)
Datenbank
Treffer
BIOSIS
CCMed
Cochrane Central
CDSR
DARE
EMBASE
ISTPB + ISTP/ISSHP
PsycINFO
PSYNDEX
SciSearch
XTOXLINE
2525
18
258
11
15
6667
112
1426
52
682
8
Die „Freie Suche“ mit psychia* tremor (Suchbefehl: FS= „psychia*“ +FS= „tremor“) ergab 8319
Treffer (s. Tabelle 2.25, S. 17).
Tab. 2.25 (FS= „psychia*“ +FS= „tremor“)
Datenbank
Treffer
BIOSIS
CCMed
2226
17
Cochrane Central
CDSR
103
1
DARE
EMBASE
ISTPB + ISTP/ISSHP
PsycINFO
12
5232
35
204
PSYNDEX
SciSearch
9
241
XTOXLINE
239
Die „Freie Suche“ mit psychoso* tremor (Suchbefehl: FS= „psychoso*“ +FS= „tremor“) ergab
314 Treffer (s. Tabelle 2.26, S. 18).
17
Tab. 2.26 (FS= „psychoso*“ +FS= „tremor“)
Datenbank
Treffer
BIOSIS
Cochrane Central
DARE
EMBASE
ISTPB + ISTP/ISSHP
PsycINFO
23
4
2
211
6
23
PSYNDEX
SciSearch
XTOXLINE
9
28
8
Um die hohen Trefferzahlen einzugrenzen, wurden nun die Suchbefehle auch in der „Titelsuche“ verwendet. Psych* tremor (Suchbefehl: TI= „psych*“ +TI= „tremor“) ergab dabei 180
Treffer (s. Tabelle 2.27, S. 18).
Tab. 2.27 (TI= „psych*“ +TI= „tremor“)
Datenbank
Treffer
BIOSIS
Cochrane Central
EMBASE
26
1
45
ISTPB + ISTP/ISSHP
PsycINFO
PSYNDEX
SciSearch
XTOXLINE
21
24
3
52
8
Die „Titelsuche“ mit psychia* tremor (Suchbefehl: TI= „psychia*“+TI= „tremor“) reduzierte die
Trefferzahl auf 15 (s. Tabelle 2.28, S. 18).
Tab. 2.28 (TI= „psychia*“ +TI= „tremor“)
Datenbank
Treffer
CCMed
EMBASE
ISTPB + ISTP/ISSHP
PsycINFO
SciSearch
XTOXLINE
2
5
1
3
3
1
18
Die „Titelsuche“ mit psychoso* tremor (Suchbefehl: TI= „psychoso*“ +TI= „tremor“) erbrachte
18 Treffer (s. Tabelle 2.29, S. 19).
Tab. 2.29 (TI= „psychoso*“ +TI= „tremor“)
Datenbank
Treffer
BIOSIS
EMBASE
1
3
ISTPB + ISTP/ISSHP
PsycINFO
PSYNDEX
SciSearch
XTOXLINE
1
1
9
3
8
3.2 Suchergebnisse in MEDLINE via Pubmed
Zur weiteren Suche von Literatur zum Dissertationsthema „Psychogene Bewegungsstörungen“
wurde nun die Datenbank MEDLINE (MEDical Literature Analysis and Retrieval System OnLINE) [98] benutzt, wozu die englischsprachige Meta-Datenbank der „U.S. National Library of
Medicine“ PubMed (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/) [149] verwendet wurde. Die
Suchergebnisse sind in Tabelle 2.30 (s. S. 20) zusammengefasst.
Im ersten Schritt wurde zunächst mit dem Suchbegriff psychogenic movement disorders begonnen, der zu 283 Treffern führte, von denen wiederum 72 Reviews waren. Die Suche mit
psychogenic tremor erbrachte 96 Treffer (12 Reviews) Die Inhalte der Reviews, die sich mit
psychogenen Bewegungsstörungen befassten, wurden bei der Diskussion (Kapitel 5) berücksichtigt, wegen mangelnder Evidenz jedoch nicht in die Studienauswertung (Kapitel 4) aufgenommen. Nun wurde explizit nach Studien zum Dissertationsthema gesucht. Hierzu wurde die
Sucheinschränkung „Limits“ (s. Tabelle 2.7, S. 9) mit dem Suchbegriff psychogenic movement
disorders verwendet. Diese Suche ergab 123 Treffer, davon 11 Reviews. Die Suche nach
psychogenic tremor ergab bei identischer Limitierung 37 Treffer (5 Reviews). Metaanalysen
zum Thema psychogene Bewegungsstörungen konnten nicht gefunden werden.
Zur weiteren Spezifizierung wurde im nächsten Schritt nun der Thesaurus MeSH (Medical Subject Headings) verwendet. Als MeSH Term wurde zunächst psychomotor disorders (Suchbefehl: „psychomotor disorders“ [Mesh]) verwendet, was zu 8952 Treffern (1001 Reviews) führ19
te. Um die Suche zu präzisieren, wurden nun die verschiedenen MeSH Terms kombiniert. Psychomotor disorders AND movement disorders (Suchbefehl: „psychomotor disorders“ [Mesh]
AND „movement disorders“ [Mesh]) ergab 788 Treffer, davon 100 Reviews. Psychomotor
disorders AND conversion disorders (Suchbefehl: „psychomotor disorders“ [Mesh] AND
„conversion disorders“ [Mesh]) ergab 20 Treffer, davon 3 Reviews. Psychomotor disorders
AND psychophysiological disorders (Suchbefehl: „psychomotor disorders“ [Mesh] AND
„psychophisiological disorders“ [Mesh]) führte zu 64 Treffern, davon 5 Reviews.
Im weiteren Verlauf wurde psychomotor disorders durch die Kombination mit verschiedenen
Subheadings spezifiziert und so explizit nach Literaturthemen gesucht, die in der Dissertation
wichtige Schwerpunkte bilden. Als Erstes erbrachte psychomotor disorders AND diagnosis
Tab. 2.30 Suchergebnisse in MEDLINE via PubMed
Einschränkungen
Suchtermini
Treffer (Reviews in
Klammern)
psychogenic movement disorders
283 (72)
psychogenic tremor
96 (12)
*
psychogenic movement disorders
123 (11)
*
psychogenic tremor
37 (5)
psychomotor disorders
8952 (1001)
psychomotor disorders AND movement disorders
788 (100)
psychomotor disorders AND conversion disorders
20 (3)
psychomotor disorders AND psychophysiological disorders
64 (5)
psychomotor disorders AND diagnosis
2777 (274)
psychomotor disorders AND epidemiology
622 (63)
psychomotor disorders AND drug therapy
1184 (200)
psychomotor disorders AND ethnology
17
psychomotor disorders AND etiology
4177 (461)
psychomotor disorders AND pathology
302 (46)
psychomotor disorders AND psychology
1256 (115)
psychomotor disorders AND therapy
2265 (383)
* Sucheinschränkung: Clinical Trial, Meta-Analysis, Randomized Controlled Trial, Case Reports, Clinical Trial, Clinical Trial Phase II, Clinical Trial
Phase III, Clinical Trial Phase IV, Comparative Study, Controlled Clinical Trial, Multicenter Study, Twin Study, Validation Studies.
20
(Suchbefehl: „psychomotor disorders/diagnosis“ [Mesh]) 2777 Treffer, davon waren 274 Reviews. Psychomotor disorders AND epidemiology ergab 622 Treffer, bei 63 Reviews.Psychomotor disorders AND drug therapy (Suchbefehl: „Psychomotor disorders/drug
therapy“ [Mesh]) ergab 1184 Treffer, bei 200 Reviews. Die Suche nach kulturellen Aspekten
wurde
mit
psychomotor
disorders
AND
ethnology
(Suchbefehl:
„psychomotor
disorders/ethnology“ [Mesh]) ausgeführt und ergab 17 Treffer. Um Informationen und Studien zur Ätiologie der psychogenen Bewegungsstörungen zu finden, wurde psychomotor
disorders AND etiology (Suchbefehl: „psychomotor disorders/etiology“ [Mesh]) verwendet.
Die Trefferzahl lag hier bei 4177, 461 Reviews. Weiterhin wurde mit psychomotor disorders
AND pathology gesucht (Suchbefehl: „psychomotor disorders/pathology“ [Mesh]), was zu 302
Treffern, davon 46 Reviews führte. Für Literatur aus dem Bereich der Psychologie wurde mit
psychomotor disorders AND psychology (Suchbefehl: „psychomotor disorders/psychology“
[Mesh]) 1256 Treffer erzielt, davon 115 Reviews. Schließlich brachte die Suche zu Therapien
psychomotorischer Störungen mit psychomotor disorders AND therapy 2265 Treffer, davon
383 Reviews (Suchbefehl: „psychomotor disorders/therapy“ [Mesh]).
21
3 Studienauswertung
3.1 Auswahl und qualitative Beurteilung der Studien
Um dem Anspruch einer hochwertigen, exakten und gleichzeitig transparenten und nachvollziehbaren Literaturübersicht gerecht zu werden, wurden die ausgewählten Studien anhand
einer Checkliste von van Tulder et al. [152] (s. Tabelle 3.1, S. 22) auf ihre methodische Qualität
hin überprüft, deren Auswahl sich auf die Empfehlung von Juni et al. [72] gründet. Basis dieser
Checkliste sind die Kriterien der Cochrane Collaboration [22] zur Anfertigung einer systematischen Literaturübersicht. Hoher methodischer Qualität entsprechen hierbei zum Beispiel kontrollierte randomisierte Studien oder prospektive Kohortenstudien.
Tab. 3.1 Checkliste zur Bewertung der methodischen Qualität von Studien (van Tulder et al.
2003 [152])
Nr.
Methodisches Merkmal
1.
Beschreibung der Randomisierung: adäquat – nicht adäquat – unklar
2.
Verdeckte Zuteilung zu den Studienarmen
3.
Intention-to-Treat-Analyse bei randomisierten Studien
4.
Verblindung der Teilnehmer: ja, nein, unklar
5.
Verblindung der Behandler: ja, nein, unklar
6.
Verblindung der Auswertung: ja, nein, unklar
7.
Loss to follow-up: < als 20% Abbrecher und fehlende Daten sind adäquat
8.
Einsatz von validierten Fragebögen und/oder strukturierten Interviews
9.
Informierte Einwilligung
10.
Angabe von Ein- und Ausschlusskriterien
Die Merkmale 1 bis 10 dienten der Beurteilung von kontrollierten randomisierten Studien,
während bei nichtkontrollierten randomisierten Studiendesigns die Merkmale 4 bis 10 zur
Beurteilung der methodischen Qualität herangezogen wurden. Bei anderen Studiendesigns
wurden die unter den Ziffern 8–10 aufgelisteten Qualitätsmerkmale berücksichtigt. Ausgehend von der Zielstellung der vorliegenden Untersuchung, einen Gesamtüberblick über die
22
aktuelle Studienlage zum Thema psychogene Bewegungsstörungen zu geben, stellte sich bei
dem Versuch einer vereinheitlichten Bewertung der methodischen Qualität der Studien das
Problem ihrer Heterogenität in Bezug auf Fragestellung, Methodik und Durchführung. So ist es
z.B. schwer, eine Studie zur Bewertung des Erfolges einer medizinischen Intervention mit einer Studie zu epidemiologischen Charakteristika einer Krankheit bezüglich ihrer Qualität zu
vergleichen, da die Anforderungen, um einer qualitativ hohen Wertigkeit gerecht zu werden,
bei diesen Studientypen völlig unterschiedlich sind.
Nach ausführlicher Sichtung von Literatur zu Bewertungssystemen und Klassifikationen von
Studien wurden die S2e-Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurorehabilitation [116]
verwendet, die sich an den Oxford Centre for Evidence-based Medicine Levels of Evidence
[114] orientieren. Dieses Bewertungssystem wird nach Meinung des Verfassers am ehesten
dem Anspruch einer objektiven und übersichtlichen Evidenzklassifizierung der einzelnen Studien gerecht und ermöglicht es, die methodische Qualität der einzelnen Studien sicher zu erfassen. So wurde jeder besprochenen Studie ein kurzer Kommentar angefügt, der neben inhaltlichen Anmerkungen oder der Meinung des Verfassers auf methodische Stärken und
Schwächen der Studie hinweist. Die jeweilige Level-Klassifizierung wurde vorangestellt. Zu
dieser und der daraus resultierenden Evidenzklassifizierung siehe Tabelle „Oxford Centre for
Evidence-based Medicine – Levels of Evidence” im Anhang (S. 131). Des Weiteren ist zu beachten, dass bei der Auswertung der Studien und der Zusammenfassung ihrer Ergebnisse das
Augenmerk auf der Fragestellung bzw. der primären Zielvariablen der Studie lag und nicht
immer alle Gesichtspunkte einer Studie aufgeführt wurden. So finden sich z.B. auch in Studien
mit sehr kleinen Fallzahlen unter den Ergebnissen Angaben zum durchschnittlichen Alter oder
zur Geschlechterverteilung der Studienteilnehmer; da sie aber aufgrund der kleinen Stichprobe von geringer Relevanz sind, werden sie in der Studienzusammenfassung nicht angegeben.
23
3.2 Flussdiagramm zum Suchprozess der eingeschlossenen Studien
Infrage kommende Studien anhand
der Abstracts der Datenbanken
(n=104)
Ausschlussgründe:
 Qualitativ unzureichende Studie
 Fallkontrollstudie
 Case Report
Ausführliche Prüfung des Originalartikels
(n=89)
Ausschlussgründe:
 Psychogene Bewegungsstörungen nicht Hauptthema
 Artikel nicht in deutscher oder
englischer Sprache verfügbar
Potenziell geeignete Studien
(n=58)
1 Studie zu Bewegungsstörungen und
psychogenen nichtepileptischen Anfällen
wurde ausgeschlossen, da keine klare
Differenzierung der Bewegungsstörungen in organische und psychische Störungen erfolgte
SStörungen
Berücksichtigte Studien
(n=57)
24
4 Ergebnisse der Studienauswertung
Fahn u. Williams [43] veröffentlichten 1988 eine Kriterienliste zur diagnostischen Klassifizierung von Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen (s. Tabelle 4.1, S. 25), die in Fachkreisen internationale Anerkennung genießt und den Bezugsrahmen für viele Studien und
Artikel bildet. Sie wird hier zum besseren Verständnis der einzelnen Studien vorangestellt.
Tab. 4.1 Diagnostische Stufen der psychogenen Bewegungsstörungen (Fahn u. Williams [43])
1. Dokumentierte psychogene Bewegungsstörung
Eines der folgenden Kriterien trifft zu:
- Komplette Remission durch Psychotherapie
- Komplette Remission durch Suggestion (inklusive Physiotherapie)
- Komplette Remission nach Placebogabe
- Beschwerdefreiheit, wenn unbeobachtet
2. Klinisch gesicherte psychogene Bewegungsstörung
Wechselnde Symptomatik im zeitlichen Verlauf
oder
Störungsbild weicht von bekannten Bewegungsstörungen deutlich ab
zusätzlich eines der folgenden Kriterien:
- Sicher psychoreaktive neurologische Symptomatik
- Vielfältige somatoforme Beschwerden
- Deutliche psychiatrische Störung
- Verschwinden der Symptomatik bei Ablenkung
- Exzessive allgemeine Bewegungsverlangsamung
3. Wahrscheinliche psychogene Bewegungsstörung
a. Wechselnde Symptomatik im Verlauf
oder
Störungsbild weicht von bekannten Bewegungsstörungen deutlich ab
b. Konstante organisch wirkende Symptomatik
zusätzlich deutliche Minderung der Beschwerdesymptomatik bei Ablenkung (falls ungewöhnlich bei
organischer Ätiologie)
c. Konstante organisch wirkende Symptomatik
zusätzlich sicher psychoreaktive neurologische Symptomatik
d. Konstante organisch wirkende Symptomatik
zusätzlich vielfältige somatoforme Beschwerden
4. Mögliche psychogene Bewegungsstörung
Konstante organisch wirkende Symptomatik
zusätzlich unspezifische psychische Auffälligkeit
25
4.1 Zur Pathophysiologie der psychogenen Bewegungsstörungen: neurophysiologische Phänomene
Prospektive Studien
(a) → Symptom-Studie Level 3b. Den Zusammenhang von Bereitschaftspotenzial im EEG und
psychogenem Myoklonus untersuchten Terada et al. [143] in ihrer Studie aus dem Jahre 1995
an 6 Patienten, die unter unwillkürlichen, ruckartigen Zuckungen litten (s. Tabelle 4.2, S. 29).
Ihre Merkmale stimmten mit den Kriterien des psychogenen Myoklonus in Anlehnung an
Monday u. Jankovic [103] überein; so hatten sie weder eine positive neurologische (Familien-)
Anamnese noch zeigten sich paroxysmale Anomalitäten im EEG. Sie wurden mittels „jerklocked back averaging“-Methode untersucht, um ein eventuell vorhandenes Bereitschaftspotenzial und damit eine mögliche Willkür der Bewegung auszumachen. Hierzu wurden die Zuckungen („jerks“) sowie willkürliche Imitationen der Zuckungen mittels EEG, EOG und EMG
gemessen. 5 der 6 Patienten zeigten beim myoklonischen Zucken ein langsames und negatives
EEG-Potenzial, das dem EMG-Beginn 0,7 bis 2,1 Sekunden vorausging. Bei dem Patienten, der
kein langsames, dem Jerk vorausgehendes EEG-Shift zeigte, konnte ein Bereitschaftspotenzial
festgestellt werden, wenn er willkürliche Bewegungen ausführte, die den Myoklonus imitieren
sollten.
Kommentar: Die geringe Zahl der untersuchten Patienten und das Fehlen einer Kontrollgruppe
mindern die Aussagekraft der Ergebnisse.
(b) → Symptom-Studie Level 3b. Mit möglichen Unterschieden der pathophysiologischen Ursachen bei der Entstehung von psychogenem Tremor befasste sich eine Studie, die Raehtjen
et al. [125] im Jahre 2004 publizierten (s. Tabelle 4.2, S. 29). Es wurden 15 Patienten mit psychogenem Tremor in beiden Händen untersucht, diagnostiziert in Übereinstimmung mit dem
Consensus Statement of the Movement Disorder Society [29]. Der posturale Tremor der Hände
wurde mit Akzelerometer und EMG im Sitzen gemessen, und die ermittelten EMG-Messwerte
der beiden Körperseiten wurden einer Kohärenzanalyse unterzogen. 7 der 15 Patienten zeigten eine signifikante Kohärenz der Tremoroszillationen beider Hände, bei 8 Patienten waren
die Oszillationen unterschiedlich. Dabei zeigten die beiden Gruppen keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf klinische Merkmale, Tremoramplitude oder Tremorfrequenz.
26
Kommentar: Die Ergebnisse lassen keine gültige Aussage über pathophysiologische Entstehungsmechanismen des psychogenen Tremors zu.
(c) → Differenzialdiagnose-Studie Level 3b. Kumru et al. [81] setzten sich in ihrer 2004 publizierten Studie mit dem Phänomen auseinander, dass Patienten mit psychogenem Tremor eine
vorübergehende Remission bzw. Milderung desselben zeigen, wenn sie willkürliche Bewegungen mit der kontralateralen Hand ausführen (s. Tabelle 4.2, S. 29). 7 Patienten mit psychogenem Tremor, 11 Patienten mit Parkinsonismus und 10 gesunde, einen Tremor imitierende
Probanden wurden gebeten, auf einen visuellen Reiz hin einen Knopf zu drücken, und zwar
einmal in Ruhe und einmal aus einer bestimmten Position heraus. Die Autoren maßen Änderungen in Amplitude und Frequenz der Tremoroszillationen der kontralateralen Hand, die bei
dieser ballistischen Bewegung geschahen. Die Ergebnisse zeigten eine signifikante (p<0,001)
Reduktion der Tremoramplitude oder einen vorübergehenden Stillstand bei den Patienten mit
psychogenem Tremor und den gesunden Probanden, nicht jedoch bei den Patienten mit parkinsonschem oder essentiellem Tremor.
Kommentar: Das Aussetzen des psychogenen Tremors bei kontralateralen ballistischen Bewegungen kann als wichtiges Indiz bei der Unterscheidung zwischen diesem und anderen
Tremorformen dienen. Sie unterstützt auch die Hypothese einer Distraktibilität des psychogenen Tremors.
(d) → Differenzialdiagnose-Studie Level 3b. Espay et al. [38] verglichen 2006 die elektrophysiologischen Unterschiede zwischen Patienten mit diagnostizierter unilateraler psychogener Dystonie (Diagnose nach Fahn u. Williams [43]) und Patienten mit organisch bedingter Dystonie
sowie einer Kontrollgruppe gesunder Patienten (s. Tabelle 4.2, S. 29). Ziel der Untersuchung
war die Überprüfung der Hypothese, dass ein anomaler sensorischer Input, der mit den Haltungsstörungen bei psychogener Dystonie assoziiert ist, zu plastischen kortikalen Veränderungen ähnlich denen bei organisch bedingter Dystonie führt. Bei allen Probanden wurden kortikale und spinale Hemmkreise sowie kortikale, mit willkürlichen Bewegungen assoziierte Aktivität unter TMS gemessen. Zur Bestimmung der intrakortikalen Hemmung und intrakortikalen
Bahnung wurden die mittels TMS evozierten motorischen Potenziale am kontralateralen
Handmuskel gemessen. Weitere Messparameter waren die kortikale Innervationsstille („silent
period“) und die kutane Innervationsstille im EMG sowie die reziproke Hemmung des Nervus
27
medianus (Hoffman-Reflex) durch Stimulierung des Nervus radialis. Um Veränderungen der
kortikalen Aktivität im Zusammenhang mit willkürlichen Bewegungen zu bestimmen, wurde
die Messgröße Bereitschaftspotenzial im EEG ermittelt. Kortikale Hemmung, intrakortikale
Hemmung bei kurzen und langen Stimulusintervallen und kortikale Innervationsstille waren
sowohl bei psychogener als auch bei organisch bedingter Dystonie reduziert. Die kutane
Innervationsstille war sowohl bei organisch bedingter als auch psychogener Dystonie erhöht,
während die reziproke spinale Hemmung des Unterarms ausschließlich bei psychogener Dystonie reduziert war. Die Autoren kommen zum Ergebnis, dass Dystonien psychogenen Ursprungs und organischen Ursprungs ähnliche neurophysiologische Anomalien aufweisen.
Kommentar: Kritisch zu bemerken bleibt, dass eine vergleichende elektrophysiologische Untersuchung der kontralateralen, von der Dystonie nicht betroffenen Seite nicht vorgenommen
wurde.
(e) → Differenzialdiagnose-Studie Level 3b. Eine weitere Studie von Kumru et al. [82] von 2007
beschäftigte sich mit dem Phänomen der „Dual Task Interference“ bei Patienten mit psychogenem Tremor (s. Tabelle 4.2, S. 29). Damit ist der Tatbestand gemeint, dass gesunde Menschen im Allgemeinen Schwierigkeiten haben, Bewegungen unterschiedlicher Rhythmik simultan auszuführen. Die Autoren überprüften die Hypothese, dass Patienten mit psychogenem
Tremor ebenfalls Effekte der „Dual Task Interference“ aufweisen, um so eine diagnostische
Abgrenzbarkeit zu organisch bedingtem Tremor zu ermöglichen. Hierzu wurden 6 Patienten
mit psychogenem Tremor, 9 mit Parkinson-Erkrankung und vorrangig unilateralem Tremor, 11
mit essentiellem Tremor und eine Kontrollgruppe mit 10 Probanden untersucht. Die Teilnehmer der Studie wurden aufgefordert, auf ein visuelles Signal hin möglichst schnell einen Knopf
zu drücken. Dieser Vorgang wurde einmal in Ruheposition und anschließend während einer
angeleiteten Tremorbewegung der kontralateralen Hand durchgeführt. Die Reaktionszeiten
wurden mittels EMG und Akzelerometer bestimmt. Die Studie zeigte, dass die Reaktionszeiten
während kontralateraler Tremorbewegung bei Patienten mit psychogenem Tremor sowie gesunden Probanden signifikant verlängert waren (p<0,01 für beide Gruppen).
28
Tab. 4.2 Studienübersicht: Pathophysiologie der psychogenen Bewegungsstörungen: neurophysiologische Phänomene
Autoren
Stichprobe
Design
Methodik
Ergebnisse/Kernaussage
Prospektive Studien
Terada et
6 Patienten mit
Querschnittsstudie;
Jerk-locked back
5 Patienten zeigten Bereitschaftspotenzial vor
al. 1995
psychogenem
keine Kontrollgruppe;
averaging
myoklonischer Zuckung und nicht vor intentionaler
[150]
Myoklonus
keine Verblindung
Level 3b
Zuckung
angegeben
Raethjen et
15 Patienten mit
Querschnittsstudie;
Messung des posturalen
7 Patienten zeigten signifikante Kohärenz zwischen
al. 2004
psychogenem
keine Kontrollgruppe,
Tremors; Vergleich der
den beiden Händen, 8 Patienten zeigten keine
[125]
Tremor beider
keine Verblindung
beiden Körperhälften
Kohärenz
Level 3b
Hände
angegeben
mittels Kohärenzanalyse
Kumru et
7 Patienten mit
Querschnittsstudie
Messung von Frequenz
Vorübergehendes Sistieren des psychogenen
al. 2004
psychogenem
mit Kontrollgruppe;
und Amplitude des
Tremors bei kontralateralen Bewegungen; kein
[81]
Tremor, 11
Kontrollgruppe ge-
Tremors bei kontralate-
Sistieren bei parkinsonschem oder essentiellem
Level 3b
Patienten mit
sund; nicht adjustiert;
ralen, ballistischen
Tremor
Parkinson und 10
keine Verblindung
Bewegungen
Patienten mit
angegeben
essentiellem
Tremor
Espay et al.
10 Patienten mit
Querschnittsstudie
Messung von kortikaler
Psychogene Dsytonie und organisch bedingte
2006 [38]
diagnostizierter
mit Kontrollgruppe;
Hemmung,
Dystonie zeigten ähnliche neurophysiologische
Level 3b
unilateraler
Kontrollgruppe ge-
intrakortikaler Hem-
Besonderheiten
psychogener
sund, altersadjustiert;
mung bei kurzen und
Dystonie und 8
keine Verblindung
langen
Patienten mit
angegeben
Stimulusintervallen,
organisch beding-
kortikaler „silent
ter Dystonie
period“, reziproker
spinaler Hemmung des
Unterarms; Vergleich
psychogene Dystonie vs.
organisch bedingte
Dystonie
Kumru et
6 Patienten mit
Querschnittsstudie
Messung der Reaktions-
Signifikante Abnahme der Reaktionszeit bei kontra-
al. 2007
psychogenem
mit Kontrollgruppe;
zeit in Ruhe und bei
lateraler Tremorbewegung bei Kontrollgruppe und
[82]
Tremor, 9 mit M.
Kontrollgruppe ge-
Tremorbewegung der
Patienten mit psychogenem Tremor im Vergleich
Level 3b
Parkinson und
sund mit 10 Proban-
kontralateralen Hand
zu Patienten mit essentiellem Tremor oder
unilat. Tremor,
den; nicht adjustiert;
11 mit essentiel-
keine Verblindung
lem Tremor
angegeben
parkinsonschem Tremor
29
Liepert et
4 Patienten mit
Kontrollierte
Messung von motori-
Die Hemmung der kortikospinalen Erregbarkeit bei
al. 2008
funktioneller
Querschnittsstudie;
scher Reizschwelle,
der visuellen Vorführung von Bewegungen ist ein
[94]
Parese der linken
gesunde, altersadjus-
intrakortikaler Hem-
elektrophysiologisches Korrelat zu der Unfähigkeit
Level 3b
oberen Extremi-
tierte Kontrollgruppe;
mung, intrakortikaler
des Patienten, willkürliche Bewegungen auszufüh-
tät
keine Verblindung
Bahnung in Ruhe;
ren
angegeben
Messung der kortikospinalen Erregbarkeit bei
Imagination von Bewegungen
Bei den Patienten mit parkinsonschem Tremor und essentiellem Tremor konnten keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden.
Kommentar: Die Ergebnisse zeigen eine Übereinstimmung mit dem Konzept der „Dual Task
Interference“ und legen nahe, dass der psychogene Tremor Charakteristika von willkürlichen
Bewegungen aufweist. Um diesbezüglich signifikantere Aussagen treffen zu können, bedarf es
jedoch weiterer Studien.
(f) → Symptom-Studie Level 3b. Liepert et al. [94] untersuchten 2008 bei 4 Patienten die möglichen Zusammenhänge von psychogenen Bewegungsstörungen und der physiologischen Erregbarkeit des Motorkortex sowie der kortikospinalen Leitungsbahnen mittels TMS (s. Tabelle
4.2, S. 29). Zum Zeitpunkt der Untersuchung wurde bei den 4 Patienten eine funktionelle Parese der linken oberen Extremität diagnostiziert und die ICD-10-Diagnose „Dissoziative Störung“ bzw. DSM-IV-Diagnose „Konversionsstörung“ gestellt. Somatische Ursachen wurden
durch ein MRT des Schädels und des Rückenmarks, Liquordiagnostik, somatosensorisch evozierte Potenziale, motorisch evozierte Potenziale, Überprüfung der peripheren Sensibilität und
EMG-Untersuchung
ausgeschlossen.
Untersucht
wurden
motorische
Reizschwelle,
intrakortikale Hemmung und intrakortikale Bahnung in Ruhe. Die kortikospinale Erregbarkeit
wurde durch Einfachimpuls-TMS in Ruhe und bei visueller Vorführung von Adduktion des Zeigefingers gemessen. Die gemessenen Werte des betroffenen Muskels wurden mit den Messungen des gesunden Muskels der kontralateralen Extremität sowie den Werten einer Kontrollgruppe verglichen. Es zeigte sich, dass in der Gruppe der gesunden Probanden die visuelle
Vorführung von Bewegungen zu einer Zunahme der kortikospinalen Erregbarkeit führte. Bei
den Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen führte die bildliche Vorführung von
30
Bewegungen des Zeigefingers zu einer signifikanten Abnahme der kortikospinalen Erregbarkeit im Vergleich zur gesunden Seite und zur Kontrollgruppe.
Kommentar: Die These des Autors, dass die Unterdrückung der kortikospinalen Erregbarkeit
bei visueller Vorführung von Bewegungen ein elektrophysiologisches Korrelat seiner Unfähigkeit zu willkürlichen Bewegungen darstellt, muss durch Studien mit größerer Fallzahl überprüft werden.
4.2 Zur Diagnostik von psychogenen Bewegungsstörungen: unterschiedliche
Ansätze und Verfahren
Prospektive Studien
(a) → Diagnose-Studie Level 3b. Ein weiterer Test zur Diagnose von nichtorganischen Bewegungsstörungen war Gegenstand der Studie von Ziv et al. [162] aus dem Jahre 1998 (s. Tabelle
4.3, S. 32). Die Autoren entwickelten einen quantitativen, computerbasierten Test auf Grundlage des Hoover-Tests, der das Ausmaß unwillkürlicher Bewegung der Gliedmaßen bei kontralateralen Bewegungen bestimmt. In der Studie wurde eine 9 Patienten umfassende Gruppe
mit nichtorganischer Mono- oder Hemiparese mit einer siebenköpfigen Patientengruppe mit
organisch bedingter Parese der unteren Extremität sowie einer zehnköpfigen Kontrollgruppe
verglichen. Der Hoover-Test wurde normal durchgeführt; anstatt der subjektiven Bewertung
durch den Untersucher wurde jedoch eine digitale Messung vorgenommen. Die isometrische
Kraft des Arms bzw. des Beins wurde bei maximaler willkürlicher Extension und bei Flexion der
kontralateralen Gliedmaßen gemessen. Aus den beiden Größen „Maximale unwillkürliche
Kraft/Maximale willkürliche Kraft“ wurde ein Quotient IVVR („maximal involuntary/voluntary
force ratio“) gebildet, der zum Vergleich zwischen den Gruppen diente. Die Ergebnisse zeigten, dass der Quotient der Patienten mit nichtorganischen Bewegungsstörungen im Vergleich
zu den beiden anderen Gruppen signifikant erhöht war (p<0,001).
Kommentar: Die geringe Fallzahl schränkt die Aussagequalität der Ergebnisse ein. Insgesamt
aber eine aufgrund der Quantifizierung von vormals subjektiven Daten interessante Studie,
deren elektrophysiologischer Ansatz weitere Beachtung verdient.
31
Tab. 4.3 Studienübersicht: Unterschiedliche diagnostische Ansätze und Verfahren
Autoren
Stichprobe
Design
Methodik
Ergebnisse/Kernaussage
Prospektive Studien
Ziv et al.
9 Patienten mit nicht-
Querschnittsstudie;
Kombination von
Signifikante Unterschiede zwischen Patienten
1998 [162]
organischer Mono-
keine Verblindung
Hoover-Test mit
mit nichtorganischen Bewegungsstörungen und
Level 3b
oder Hemiparese; 7
angegeben
elektromyogra-
organischen Bewegungsstörungen bzw. Kont-
fischer Messung
rollgruppe
Patienten mit organischer Mono- oder
Hemiparese
McAuley et
25 Patienten mit
Querschnittsstudie
Untersuchung und
100%ige Übereinstimmung zwischen klinischer
al. 2004 [96]
neurologischer
mit Kontrollgruppe;
Bestätigung der
Diagnose und Ergebnissen des Coherence
Level 3b
Verdachtsdiagnose
Kontrollgruppe mit
Diagnose nach
Entrainment Test
psychogener Tremor
10 Probanden;
MDS Consensus
oder dystonischer
gesund; nicht adjus-
Statement und
Tremor
tiert; keine Verblin-
modifizierten
dung angegeben
Diagnosekriterien
in Anlehnung an
Fahn u. Williams;
Durchführung des
Coherence
Entrainment Test
und Vergleich der
Ergebnisse mit
zuvor gestellter
klinischer Diagnose
Piboolnurak
71 Patienten; davon 23
Querschnittsstudie
Messung des
Angaben zur diagnostischen Validität des Tests:
et al. 2005
mit psychogenem
mit Kontrollgruppe;
Tremors mit
- Sensitivität = 0,870
[115]
Tremor, 22 mit M.
Kontrollgruppe mit
Akzerelometer
- Spezifität = 0,982
Level 3b
Parkinson, 11 mit
21 Probanden;
und Oberflächen-
- positiver Vorhersagewert = 0,800
Dystonie und 15 mit
gesund; alters- und
EMG; quantitative
- negativer Vorhersagewert = 0,955
essentiellem Tremor
geschlechtsad-
Tremoranalyse;
justiert; keine Ver-
Entwicklung eines
blindung angegeben
„Tree-Based“Algorithmus zur
Diagnostik des
psychogenen
Tremors anhand
der erhobenen
Daten
32
Hinson et al.
Patienten mit psycho-
Kohortenstudie;
Entwicklung einer
Die PMD-Skala erfasst die komplexen Bewegun-
2005 [62]
genen
Videoanalyse; „Scale
„Rating Scale“ für
gen von PMDs adäquat und kann zur Bewertung
Level 2b
Bewegungsstörungen
Responsiveness“-
psychogene
von PMDs und der Wirksamkeit von Interventi-
Testung durch
Bewegungs-
onsstrategien verwendet werden
verblindeten Unter-
störungen; Analy-
sucher vor und nach
se der Videos und
dreimonatiger
Bewertung nach
Behandlung
der „Rating Scale“
durch 3 voneinander unabhängigen
Untersuchern;
Bestimmung von
Validität und
„Scale
Responsiveness“
Okun et al.
9 Patienten mit ver-
Querschnittsstudie;
Durchführung des
Der Chair Test kann diagnostische Informatio-
2007 [109]
schiedenen Gangstö-
keine Verblindung
Chair Test nach
nen liefern, seine Validität muss aber noch in
Level 5
rungen psychogener
angegeben
Paul Blocq in
prospektiven Studien mit quantitativen Metho-
Genese und 9 Patien-
Patientengruppe
den verifiziert werden
ten mit organisch
und Kontrollgrup-
bedingter Gangstörung
pe; qualitativer
Vergleich und
Bewertung der
Ergebnisse
(b) → Differenzialdiagnose-Studie Level 3b. Eine Studie von McAuley et al. [96] aus dem Jahre
2004 befasste sich mit der Differenzierung von psychogenem und dystonischem Tremor mithilfe des Coherence Entrainment Test (CET) (s. Tabelle 4.3, S. 32). Beim „Entrainment Test“
wird der Patient gebeten, mit einer Hand eine rhythmische Bewegung in einer vom Tremor
leicht unterschiedlichen Frequenz auszuführen, und es wird beobachtet, ob die andere Hand
sich diesem Rhythmus anpasst. Physiologischer Hintergrund ist, dass gesunde Probanden und
Patienten mit psychogenem Tremor nicht in der Lage sind, über einen längeren Zeitraum
gleichzeitig rhythmische Bewegungen der Extremitäten durchzuführen, deren Oszillationsfrequenzen von der des Tremors abweichen. Personen mit organischem Tremor können dies
jedoch. Der Test wurde bei 25 Patienten mit Verdacht auf psychogenen oder dystonischen
Tremor sowie einer Kontrollgruppe von 10 Personen durchgeführt, deren Mitglieder versuchen sollten, zwei Rhythmen unterschiedlicher Frequenzen durchzuführen. Nach vorangehender klinischer Untersuchung wurde in Übereinstimmung mit den Diagnosekriterien nach
33
Fahn/Williams bei 6 Patienten klinisch gesicherter dystonischer Tremor und bei 5 Patienten
wahrscheinlicher dystonischer Tremor diagnostiziert. 5 Patienten zeigten klinisch gesicherten
psychogenen Tremor, 3 wahrscheinlichen psychogenen Tremor. 2 Fälle wurden als klassischer
essentieller Tremor eingestuft, während man bei 4 anderen Patienten keine gesicherte klinische Diagnose stellen konnte. Die Zuteilung erfolgte in Übereinstimmung mit dem MDS Consensus Statement, einer Kriterienliste, die von Deuschl et al. [29] entwickelt wurde und ähnliche Unterscheidungsmerkmale zur Differenzierung zwischen psychogenem und organisch
bedingtem Tremor enthält wie die Diagnosekriterien von Fahn u. Williams (Variabilität des
psychogenen Tremors in Frequenz, Richtung und Amplitude, Ablenkbarkeit, Entrainment etc.).
Für die Diagnose des psychogenen Tremors wurden weiterhin die Diagnosekriterien nach
Fahn u. Williams [43] zugrunde gelegt und für dystonischen Tremor Diagnosekriterien, die die
Autoren nach Elble [35] und eigenen klinischen Beobachtungen aufgestellt hatten. Die während des „Entrainment Test“ durchgeführten Messungen mittels EMG und Akzelerometer
wurden anschließend einer Kohärenzanalyse unterzogen. Die Studie zeigt eine vollständige
Übereinstimmung der Testergebnisse mit der zuvor gestellten klinischen Diagnose, d.h., es
konnte bei jedem Probanden exakt zwischen organischem und psychogenem Tremor differenziert werden.
Kommentar: Eine Studie, die zeigt, dass der CET ein wichtiges diagnostisches Hilfsmittel bei
der diagnostischen Unterscheidung zwischen psychogenem und organischem Tremor sein
kann.
(c) → Diagnose-Studie Level 3b. Piboolnurak et al. [115] präsentierten in ihrer Studie 2005
einen statistischen „Tree-Based“-Algorithmus zur Unterstützung bei der Diagnosesicherung
„psychogener Tremor“ (s. Tabelle 4.3, S. 32). Die Patienten präsentierten zum Zeitpunkt der
Untersuchung verschiedene Tremorformen, deren Spektrum von psychogenem Tremor nach
Fahn u. Williams [43] über parkinsonschen Tremor und dystonischen Tremor bis hin zum essentiellen Tremor reichte. Die Analyse des Tremors erfolgte zunächst über EMG und
Akzelerometer, woraufhin anhand der erhobenen Messdaten mithilfe des Softwareprogramms S-Plus Statistics ein „Tree-Based“-Algorithmus entwickelt wurde. Dieser wurde nun
als alleiniges Diagnoseinstrument bei der erneuten Untersuchung der Patienten verwendet
und die hierbei erhobenen Daten mit den vorherigen klinischen Diagnosen verglichen. Der
Algorithmus zur Klassifikation des psychogenen Tremors wies dabei eine Sensitivität von
34
0,870, eine Spezifität von 0,982, einen positiven Vorhersagewert von 0,800 und einen negativen Vorhersagewert von 0,955 auf.
Kommentar: Neuartiger statistisch diagnostischer Test, der Hilfe bei einer objektiven Diagnosestellung des psychogenen Tremors leisten könnte. Die Ergebnisse müssen in weiteren Studien validiert werden.
(d) → Diagnose-Studie Level 2b. Hinson et al. [62] entwickelten 2005 eine „Rating Scale“ für
psychogene Bewegungsstörungen (s. Tabelle 4.3, S. 32). Sie wurde anhand einer Videoanalyse
von 88 Patienten mit der Diagnose „Psychogene Bewegungsstörung“ durch 3 unabhängige
Beobachter erstellt. Im ersten Schritt wurden 10 verschiedene Phänomene von Bewegungsstörungen (Ruhetremor, Aktionstremor, Dystonie, Chorea, Bradykinesie, Myoklonus, Tic,
Athetose, Ballismus, Inkoordination), 2 Funktionsstörungen (Gang und Sprache) sowie 14 von
den Störungen möglicherweise betroffene Körperregionen beurteilt und ein Bewertungsspiegel („Total Phenomology Score“) erstellt. Im zweiten Schritt wurden die Störungen von Gang
und Sprache auf Präsenz, Schweregrad, Dauer und Grad der Einschränkung untersucht und
einem weiteren Bewertungsspiegel („Total Function Score“) zugeordnet. Die Summe der beiden Scores bildet schließlich den „Total Psychogenic Movement Disorder [PMD] Score“. Die
Ergebnisse zeigten eine sehr gute Interrater-Reliabilität für die Beurteilung des Vorliegens der
verschiedenen
Erscheinungsformen
(K=0,63
bis
0,86).
Die
Kendall-
Übereinstimmungskoeffizienten für den „Total Phenomology Score“, den „Total Function Score“ und den „Total PMD Score“ lagen bei 0,92, 0,93 und 0,91. Die Spearman-Korrelation zwischen den Beobachtern bewegte sich zwischen Werten von 0,86 bis 0,90. Nach drei Monaten
erfolgte eine verblindete Auswertung der Videoaufnahmen von 9 Patienten, deren Symptome
sich unter nicht näher benannten neuropsychiatrischen Interventionen nach Angaben ihrer
behandelnden Ärzte sowie des Global Assessment of Function Score [18] gebessert hatten. Die
Auswertungsergebnisse wurden wiederum mit den Ergebnissen der „Rating Scale“ verglichen.
Der mittlere „Total PMD Score“ sank von 71,2 vor der Behandlung auf 29 nach der Behandlung (p=0,020). Der mittlere „Total Function Score“ sank von 7,4 auf 2,1 (p=0,014). Dies zeigte
die Reaktionsfähigkeit der Skala auf Veränderungen, die Resultate von neuropsychiatrischen
Interventionen waren.
Kommentar: Die Interrater-Reliabilität der PMD-Skala, einfache Handhabung und gute Reaktionsfähigkeit unterstützen die These der Autoren, dass „die PMD-Skala die komplexen Bewe35
gungen der psychogenen Bewegungsstörungen adäquat erfasst und als Bewertungsinstrument für diese sowie die Beurteilung von Interventionsstrategien verwendet werden kann“
[62].
(e) → Diagnose-Studie Level 5. Okun et al. [109] evaluierten in ihrer Studie von 2007 den Chair
Test zur Diagnose psychogener Gangstörungen, der bereits 1888 von Paul Blocq [17] in einer
Fallbeschreibung von Patienten mit Astasie-Abasie-Syndrom etabliert wurde (s. Tabelle 4.3, S.
32). 9 Patienten mit der Diagnose psychogene Gangstörung nach Hayes et al. [61] wurden
zuerst gebeten, acht bis zehn Meter geradeaus zu gehen, sich dann herumzudrehen und wieder auf den Untersucher zuzugehen. Dieser Gehversuch wurde einmal wiederholt. Dann wurden die Patienten gebeten, sich auf einen Stuhl mit Rollen und Rückenlehne zu setzen und
diesen in zwei Durchgängen jeweils acht bis zehn Meter vorwärts bzw. rückwärts zu bewegen.
Eine Kontrollgruppe von 9 Patienten mit Gangstörungen nichtpsychogener Ursache durchlief
den gleichen Versuch, und die qualitativen Ergebnisse wurden festgehalten und verglichen.
Die Studie zeigte, dass 8 von 9 Patienten mit psychogenen Gangstörungen bei der Fortbewegung des Stuhls im Sitzen deutlich verbesserte motorische Fähigkeiten im Vergleich zur Bewegung im Stehen zeigten, während bei den Patienten der Kontrollgruppe kein qualitativer Unterschied zwischen Gang und Fortbewegung des Stuhls bestand.
Kommentar: Eine Studie, deren qualitativ eindeutige Ergebnisse weitere Studien zur objektiven Bestimmung von Sensitivität und Spezifität des Tests rechtfertigen, da dieser im klinischen
Alltag leicht anzuwenden ist und bei entsprechender Verifizierung eine Hilfe für den Untersucher darstellen könnte.
4.2.1 Bildgebende Verfahren
Prospektive Studien
→ Diagnose-Studie Level 3b. Stone et al. [140] verglichen 2007 mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRIT) Muster zerebraler Aktivierung bei 4 Patienten mit einer unilateralen Schwäche des Fußgelenks aufgrund einer motorischen Konversionsstörung und 4 gesunden Kontrollpatienten, die eine unilaterale Schwäche simulierten (s. Tabelle 4.4, S. 37).
36
Beide Gruppen aktivierten den Motorkortex kontralateral zum „schwachen“ Bein weniger
stark als den Motorkortex kontralateral zum „normalen“ Bein. Die Patienten mit Konversionsstörung aktivierten ein Netzwerk von Arealen, das das Putamen und den Gyrus lingualis bilateral sowie den linken inferioren Gyrus frontalis und die linke Insula mit einschloss. Gleichzeitig kam es zu einer Deaktivierung des mittleren und orbitofrontalen Kortex. Die Kontrollpatienten zeigten dagegen eine Aktivierung der supplementären kontralateralen motorischen
Areale.
Kommentar: Die Studienergebnisse zeigen, dass fMRIT einen diagnostisch wertvollen Ansatz
zur Erforschung der neuronalen Grundlagen einer motorischen Konversionsstörung darstellt.
Die geringe Fallzahl erfordert jedoch weitere Studien.
Tab. 4.4 Studienübersicht: Bildgebende Verfahren
Autoren
Stichprobe
Design
Methodik
Ergebnisse/Kernaussage
Prospektive Studien
Stone et al.
4 Patienten mit
Kontrollierte
Funktionelle Magnetresonanz-
Patienten mit unilateraler Schwäche bei
2007 [140]
unilateraler motori-
Querschnittsstudie;
tomografie (fMRIT)
motorischer Konversionsstörung zeigen ein
Level 3b
scher Konversions-
Kontrollgruppe
bestimmtes Muster neuronaler Aktivierung,
störung des Fußge-
nicht adjustiert;
das teilweise mit denen simulierender
lenks; 4 gesunde,
keine Verblindung
Patienten übereinstimmt, teilweise jedoch
die gleiche Störung
angegeben
auch verschieden ist
simulierende
Patienten
4.2.2 Psychogener Parkinsonismus
Prospektive Studien
(a) → Diagnose-Studie Level 1b. Eine weitere Möglichkeit zur diagnostischen Unterscheidung
von idiopathischem und nichtidiopathischem Parkinsonismus untersuchten Müller et al. [106]
2002 in einer Studie zur olfaktorischen Funktion bei 50 Patienten mit Parkinson-Syndrom (s.
Tabelle 4.5, S. 38). Bei 29 Patienten war ein Morbus Parkinson diagnostiziert, während bei 21
die Diagnose zum Testzeitpunkt noch ausstand. Die Patienten wurden zu Beginn der Studie
einer Geruchsschwellenbestimmung sowie Tests zur olfaktorischen Identifikation und Diskrimination unterzogen. Alle Patienten durchliefen intensive neurologische Diagnostik inklusive
PET-Scans, und nach einem Follow-up von 6 bis 12 Monaten wurde die definitive Diagnose
37
durch einen den Ergebnissen der olfaktorischen Tests gegenüber verblindeten Untersucher
gestellt. Die Ergebnisse zeigten, dass 19 Patienten mit idiopathischem Parkinsonismus unter
Anosmie litten, während 18 eine starke bis mittlere Hyposmie aufwiesen. 7 der 8 Patienten
mit diagnostizierter multipler Systematrophie hatten ebenfalls eine Hyposmie. Alle anderen
Patienten mit Parkinson-Syndrom (darunter 1 Patient mit psychogenem Parkinsonismus) zeigten keine olfaktorischen Defizite.
Kommentar: Die Studienergebnisse machen deutlich, dass olfaktorische Tests eine wichtige
Rolle in der Unterscheidung zwischen idiopathischem und nichtidiopathischem Parkinsonismus spielen können. Der geringe Anteil an Patienten mit psychogenem Parkinsonismus in dieser Studie lässt jedoch keine gültige Aussage bezüglich der Unterscheidung idiopathischer
Parkinsonismus vs. psychogener Parkinsonismus zu.
Tab. 4.5 Studienübersicht: Psychogener Parkinsonismus
Autoren
Stichprobe
Design
Methodik
Ergebnisse/Kernaussage
Prospektive Studien
Müller et al.
29 Patienten mit M.
Kohortenstudie;
Klinische Untersu-
37 Patienten mit M. Parkinson und 7 von 8 Patien-
2002 [106]
Parkinson, 21 Patien-
Follow-up nach
chung; umfassende
ten mit multipler Systematrophie zeigten olfakto-
Level 1b
ten mit unklarem
6–12 Monaten;
Parkinson-Diagnostik;
rische Defizite; andere Parkinson-Formen zeigten
Parkinson-Syndrom
Untersucher ver-
olfaktorische Tests
keine olfaktorischen Defizite
bei Untersuchungs-
blindet
Goldstandard-Diagnose vs. klinische Diagnose
beginn
Jennings et
35 Patienten mit
Kohortenstudie;
Klinische Untersu-
al. 2004 [70]
Verdacht auf Parkin-
Follow-up nach 6
chung; [ I] ß-CIT und
zeigt Nichtübereinstimmung in 25,7% der Fälle;
Level 1b
sonismus
Monaten; Untersu-
SPECT; Goldstandard-
Goldstandard-Diagnose vs. bildgebende Diagnose
cher verblindet
Diagnose
zeigt Nichtübereinstimmung in 8,7% der Fälle
123
Benaderette
9 Patienten mit
Querschnittsstudie;
Klinische Untersu-
6 Patienten mit Diagnose psychogener Parkinso-
et al. 2005
Verdacht auf psycho-
verblindete Unter-
chung; elektrophysio-
nismus, 3 Patienten mit Diagnose psychogener
[11]
genen Parkinsonis-
sucher
logische Untersu-
Parkinsonismus und Parkinsonismus; Kombination
Level 2b
mus
123
chung; [ I]-FP-CIT-
der 3 Untersuchungsmethoden erhöht die diag-
SPECT-Untersuchung
nostische Genauigkeit bei der Unterscheidung
zwischen psychogenem Parkinsonismus und
psychogenem Parkinsonismus und Parkinsonismus
(b) → Diagnose-Studie Level 1b. Mit der diagnostischen Genauigkeit von [123I] ß-CIT und SPECT
zur Unterscheidung von organischem Parkinsonismus und anderweitig induziertem Parkinsonismus beschäftigte sich auch eine Studie von Jennings et al. [74] aus dem Jahre 2004 (s. Ta38
belle 4.5, S. 38). Hierzu wurden 35 Patienten mit Verdacht auf Parkinson-Syndrom klinisch
untersucht und die Diagnose „Parkinson-Syndrom positiv“ oder „Parkinson-Syndrom negativ“
gestellt. Anschließend wurden die [123I] ß-CIT- und SPECT-Untersuchungen durchgeführt und
anhand der Resultate dieser bildgebenden Verfahren ebenfalls eine Diagnose gestellt. In einer
Follow-up-Untersuchung nach 6 Monaten wurde eine erneute klinische Diagnose durch einen
den bildgebenden Verfahren gegenüber verblindeten Untersucher gestellt, was dem Goldstandard für die Diagnose des M. Parkinson entspricht. Im Vergleich zwischen GoldstandardDiagnose und erster klinischer Diagnose zeigte sich eine Inkongruenz in 25,7% der Fälle (Sensitivität: 0,92; Spezifität: 0,30), während eine fehlende Übereinstimmung mit der bildgebenden
Diagnose lediglich in 8,7% der Fälle (Sensitivität: 0,92; Spezifität: 1,00) auftrat.
Kommentar: Die Studie zeigt, dass die beschriebene bildgebende Diagnostik mittels [ 123I] ß-CIT
und SPECT ein wichtiges Verfahren zur Unterscheidung von organischem und anderweitig induziertem Parkinsonismus darstellt.
(c) → Diagnose-Studie Level 2b. Benaderette et al. [11] untersuchten in ihrer Studie aus dem
Jahre 2005 die Übereinstimmung von klinischer, elektrophysiologischer und [123I]-FP-CITSPECT-Diagnose bei 9 Patienten, die mit Verdacht auf psychogenen Parkinsonismus überwiesen worden waren (s. Tabelle 4.5, S. 38). Sie gingen der Frage nach, inwieweit die Kombination
dieser drei Methoden die diagnostische Genauigkeit erhöhen kann. Vor der elektrophysiologischen Untersuchung und der SPECT wurden alle Patienten klinisch untersucht und einer der
drei Gruppen, „Parkinson-Erkrankung“, „psychogener Parkinsonismus“ oder der Kombination
aus beidem, zugeordnet. Die klinische Beurteilung des psychogenen Parkinsonismus erfolgte
nach einer modifizierten Kriterienliste in Anlehnung an Fahn et al. [43]. Eine ParkinsonErkrankung wurde nach den Kriterien der „U.K. Parkinson’s Disease Society Brain Bank“ [165]
diagnostiziert. 7 Patienten zeigten Tremor als prädominierendes Symptom, 2 akinetische
Symptomatik. Die Patienten mit prädominierendem Tremor wurden zusätzlich mittels
Akzelerometer und EMG untersucht. Die elektrophysiologischen Untersuchungen zeigten bei
5 Patienten mit Tremor Charakteristika des psychogenen Tremors. Die SPECT-Untersuchung
zeigte bei 5 Patienten Auffälligkeiten, wie z.B. eine verminderte Aufnahme des Kontrastmittels
im linken Putamen. Als Enddiagnose wurde unter Berücksichtigung der Ergebnisse aller 3
Untersuchungsformen bei 6 Patienten psychogener Parkinsonismus und bei 3 Patienten eine
Kombination aus psychogenem Parkinsonismus und Parkinsonismus festgestellt.
39
Kommentar: Die Ergebnisse zeigen, dass die Kombination von klinischer, elektrophysiologischer und [123I]-FP-CIT-SPECT-Untersuchung die Exaktheit in der diagnostischen Unterscheidung von psychogenem Parkinsonismus und der Kombination aus Parkinsonismus und psychogenem Parkinsonismus erhöht. Die geringe Fallzahl schränkt ihre Aussagekraft jedoch ein.
4.2.3 Psychogener Tremor
Prospektive Studien
(a) → Differenzialdiagnose-Studie Level 1b. Deuschl et al. [30] untersuchten in ihrer 1998 publizierten Studie diagnostische und pathophysiologische Aspekte des psychogenen Tremors (s.
Tabelle 4.6, S. 42). Hierzu wurden 25 Patienten mit einbezogen, bei denen nach einer modifizierten Kriterienliste in Anlehnung an Fahn u. Williams [43] psychogener Tremor diagnostiziert
worden war. Die Patienten wurden klinisch untersucht, einem standardisierten Interview unterzogen und durchliefen elektrophysiologische Tests (quantitative Akzelerometrie). Für einige
elektrophysiologische Tests dienten 8 Patienten mit parkinsonschem Tremor und 8 Patienten
mit essentiellem Tremor als Kontrollgruppe. Bei 64% der Patienten wurde ein Follow-up
durchgeführt. Die Ergebnisse zeigten bei 19 Patienten einen prädominierenden Tremor im
rechten Arm. Besonderes Augenmerk galt dem Phänomen der Koaktivierung, die bei allen
untersuchten Patienten festgestellt werden konnte und neben der Abwesenheit von Tremor
der Finger als konsistentestes Merkmal zur Abgrenzung von organischem Tremor diente. Ablenkbarkeit (Abnahme der Symptomatik bei Ablenkung der Aufmerksamkeit des Patienten)
konnte bei 19 von 22 Patienten festgestellt werden, während die Reduktion der
Tremoramplitude oder der Wechsel der Tremorfrequenz bei mentalen oder motorischen Aufgaben bei 22 Patienten präsent war. 19 Patienten wurden psychologisch untersucht, wobei
lediglich bei 3 Patienten eine histrionische Persönlichkeitsstörung vorlag, 6 Patienten unter
Depressionen
litten
und
3
Patienten
die
diagnostischen
Kriterien
für
eine
Somatisierungsstörung erfüllten. 16 Patienten wurden einer quantitativen Tremoranalyse mittels Akzelerometrie unterzogen. Bei Belastung der ausgestreckten Hände mit Gewicht (500 bis
1000 g) kam es bei 11 Patienten zu einer Zunahme der Tremoramplitude.
Kommentar: Die Ergebnisse zu physiologischen Charakteristika des psychogenen Tremors finden auch praktische Anwendbarkeit in mehreren klinisch-diagnostischen Tests [26a].
40
(b) → Differenzialdiagnose-Studie Level 3b. Zeuner et al. [161] beschäftigten sich in ihrer Studie aus dem Jahre 2002 mit der Akzelerometrie als diagnostischem Verfahren zur Unterscheidung von psychogenem und essentiellem bzw. parkinsonschem Tremor (s. Tabelle 4.6, S. 42).
Hierzu wurde der posturale Tremor am Handgelenk von 6 Patienten mit psychogenem, 11 mit
essentiellem und 12 mit parkinsonschem Tremor gemessen. Die Messung erfolgte an einer
Hand in Ruhe und bei Klopfbewegung der kontralateralen Hand zu einem auditiven Reiz von 3
und 4 oder 5 Hz. Patienten mit psychogenem Tremor zeigten signifikant größere Variabilität
der Tremorfrequenz bei Klopfbewegungen bei 3 Hz im Vergleich zu parkinsonschem Tremor
(p=0,003) und essentiellem Tremor (p=0,001).
Kommentar: Die Untersuchung, die sich das Prinzip der Ablenkbarkeit des psychogenen Tremors zunutze macht, zeigt, dass die Akzelerometrie als diagnostisches Instrument zur Unterscheidung verschiedener Tremorformen verwendet werden könnte; die Ergebnisse der Studie
müssen jedoch in weiteren Studien mit größerer Fallzahl bestätigt werden.
(c) → Differenzialdiagnose-Studie Level 3b. Die Unterscheidung zwischen psychogenem und
essentiellem Tremor war 2007 Inhalt einer Studie von Kenney et al. [74] (s. Tabelle 4.6, S. 42).
Von der Hypothese ausgehend, dass sich psychogener Tremor von essentiellem Tremor durch
variable Amplitude und Frequenz, Ablenkbarkeit, „Entrainment“ und Suggerierbarkeit unterscheidet, überprüften die Autoren Sensitivität und Spezifität dieser Parameter. Hierzu wurden
Daten von 45 Patienten in Bezug auf Tremorbeginn, spontane Remission, Familienanamnese
und Arbeitsanamnese erhoben sowie Videoprotokolle der Untersuchung hinsichtlich Ablenkbarkeit, „Entrainment“ und Suggerierbarkeit ausgewertet. 33 Patienten erfüllten die Kriterien
für essentiellen und 12 für psychogenen Tremor. Die Ergebnisse verdeutlichten signifikant,
dass Patienten mit psychogenem Tremor einen plötzlichen Beginn (p=0,03), spontane Remission (p=0,03) und kürzere Tremordauer (p=0,001) aufwiesen, wobei der essentielle Tremor
häufiger in der Familienanamnese (p=0,001) anzutreffen war. Ablenkbarkeit durch alternierendes Klopfen mit den Fingern (p=0,01) und mentale Konzentration (p=0,01) traten häufiger
beim psychogenen Tremor auf.
41
Tab. 4.6 Studienübersicht: Psychogener Tremor
Autoren
Stichprobe
Design
Methodik
Ergebnisse/Kernaussage
Prospektive Studien
Deuschl et
25 Patienten
Kohortenstudie;
Standardisiertes Interview; klinische
„Koaktivierung“, „Ablenkbarkeit“
al. 1998
mit psychoge-
keine Verblindung
Untersuchung; Akzelerometrie
und Abwesenheit von Tremor der
[30]
nem Tremor
angegeben; Follow-
Finger als besondere Merkmale;
up 6 bis 96 Monate;
Abnahme der Tremoramplitude bei
LFU 36%
zusätzlicher Belastung durch Ge-
Level 1b
wicht; Prädominanz des Tremors im
rechten Arm
Zeuner et
6 Patienten mit
Querschnittsstudie;
Messung mit Akzelerometer in Ruhe und
Psychogener Tremor zeigt größere
al.
psychogenem
keine Verblindung
bei Klopfbewegung der kontralateralen
Frequenzwechsel als essentieller
2003
Tremor; Patien-
angegeben
Hand zu akustischem Reiz
Tremor (p=0,001) und parkinson-
[161]
ten mit essenti-
Level 3b
ellem Tremor;
scher Tremor (p=0,003)
12 Patienten
mit parkinsonschem Tremor
Kenney et
33 Patienten
Querschnittsstudie;
Standardisiertes Interview; standardisierte
Plötzlicher Beginn und Spontanre-
al. 2007
mit essentiel-
Videos randomi-
Videoanalyse
mission sowie Ablenkbarkeit und
[74]
lem Tremor und
siert; Auswerter
Suggerierbarkeit sind gute Prädikto-
Level 3b
12 mit psycho-
verblindet
ren des psychogenen Tremors und
genem Tremor
helfen bei diagnostischer Unterscheidung zum essentiellen Tremor
Weiterhin schienen Suggerierbarkeit im Stimmgabeltest (p=0,04) und Verschlimmerung des
Tremors unter Hyperventilation (p=0,06) das Auftreten von psychogenem Tremor zu begünstigen.
Kommentar: Ungleiche Größe der untersuchten Gruppen und geringe Fallzahl der Patienten
mit psychogenem Tremor mindern insgesamt die Aussagekraft der Ergebnisse.
42
4.2.4 Evaluation klinischer Diagnosekriterien von psychogenen Bewegungsstörungen
Retrospektive Studien
→ Diagnose-Studie Level 3b. Shill et al. [135] untersuchten in ihrer Studie 2006 die klinischen
Diagnosekriterien für psychogene Bewegungsstörungen, indem sie die von Fahn u. Williams
1988 [43] erstmalig veröffentlichten Kriterien um einige diagnostische Aspekte (wie z.B. ein
einer Bewegung vorausgehendes Bereitschaftspotenzial im EEG bei psychogenem Myoklonus)
erweiterten und auf ihre Spezifität und Sensitivität überprüften (s. Tabelle 4.7, S. 43). Hierzu
wurden die Patientenakten von 29 Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen gesichtet
und mit 50 Patienten mit organisch bedingten Bewegungsstörungen verglichen. Verglichen
wurden hier sowohl Daten zur Auftretenshäufigkeit als auch spezielle Befunde der klinischen
Untersuchung und der Krankengeschichte. Den Ergebnissen nach lag die Spezifität der angewandten Diagnosekriterien für „klinisch wahrscheinliche“ psychogene Bewegungsstörungen
bei 100% und die Sensitivität bei 83%. Für „mögliche“ psychogene Bewegungsstörungen lag
die Sensitivität bei 97% und die Spezifität bei 96%.
Tab. 4.7 Studienübersicht: Evaluation klinischer Diagnosekriterien
Autoren
Stichprobe
Design
Methodik
Ergebnisse/Kernaussage
Retrospektive Studien
Shill et al.
29 Patienten mit
Kohortenstudie;
Patientenakten;
Die Diagnosekriterien sind einfach anzuwenden
2006 [135]
psychogenen Bewe-
keine Verblin-
Fahn/Williams-Kriterien
und verfügen über eine hohe Spezifität und
Level 3b
gungsstörungen; 50
dung angegeben
um diagnostische As-
Sensitivität zur Diagnostik von psychogenen
pekte erweitert
Bewegungsstörungen
Patienten mit organischen Bewegungsstörungen
Weitere signifikante Ergebnisse der Studie waren der hohe weibliche Anteil (p=0,001) und das
Auftreten von neurologischen Erkrankungen in der Familie (p=0,01) in der psychogenen Gruppe gegenüber der Kontrollgruppe.
Kommentar: Die Studie zeigt, dass die Fahn/Williams-Kriterien bzw. ihre Erweiterung in Abwesenheit eines Goldstandards für die Diagnose „Psychogene Bewegungsstörung“ eine wichtige
diagnostische Grundlage bilden.
43
4.3 Grundlagen, Symptomatik und klinisches Erscheinungsbild der psychogenen Bewegungsstörungen
4.3.1 Studien, die unterschiedliche psychogene Bewegungsstörungen erfassen
Prospektive Studien
(a) → Symptom-Studie Level 4 (im Zusammenhang mit der Follow-up-Studie von 1998 [15] als
Level 1b zu bewerten). Binzer et al. [16] verglichen in ihrer Studie aus dem Jahre 1997 30 Patienten mit motorischen Funktionsstörungen, denen eine Konversionsstörung zugrunde lag, mit
einer dreißigköpfigen Kontrollgruppe mit Bewegungsstörungen organischer Ursache (s. Tabelle 4.8, S. 49). Als Untersuchungsinstrumente für die psychiatrische Diagnose dienten die strukturierten Interviews SCID-I und SCID-II nach DSM-III-R-Kriterien [142, 143]. Die Patienten bewerteten ihr soziales, psychisches und alltägliches Wohlbefinden innerhalb des letzten Jahres
mithilfe der Global Assessment of Functioning Scale (GAF) [18], während die Schwere einer
möglichen depressiven Symptomatik anhand der Hamilton Psychiatric Rating Depression Scale
(HRDS) [58] beurteilt wurde. Das Auftreten von positiven oder negativen Belastungssituationen in Bezug auf Familienleben, Arbeitsleben, finanzielle Situation, Krankheit und Tod wurde
in einem semistrukturierten Interview erfasst. Die Patienten mit Konversionsstörungen zeigten mit 33% einen signifikant höheren Anteil an psychiatrischen Co-Erkrankungen nach DSMIII-R, Achse I, im Vergleich zu 10% in der Kontrollgruppe. 50% erfüllten die diagnostischen Kriterien für Persönlichkeitsstörungen nach Achse II, in der Kontrollgruppe waren es 17%. Auch
die Ergebnisse der HRDS waren im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant erhöht (p=0,001).
Weiterhin zeigte die Studie signifikante Unterschiede im schulischen Bildungsniveau der beiden Gruppen, so konnten lediglich 13% der Patienten mit Konversionsstörungen einen
Highschool-Abschluss vorweisen, während es bei den Patienten mit organisch bedingten Bewegungsstörungen immerhin 67% waren. Bezüglich des allgemeinen Wohlbefindens, bewertet mit dem GAF, zeigten sich signifikant schlechtere Ergebnisse bei den Patienten mit Konversionsstörung als bei der Kontrollgruppe (p<0,01), und auch das Auftreten von Belastungssituationen vor Beginn der Symptomatik war gegenüber der Kontrollgruppe signifikant erhöht. Eine
logistische Regressionsanalyse zeigte, dass niedriges Bildungsniveau, Vorhandensein einer
44
Persönlichkeitsstörung und ein hoher Wert auf der Hamilton-Depressionsskala signifikant mit
motorischen Konversionsstörungen assoziiert sind.
Kommentar: Die Studie bestätigt die Ergebnisse anderer Studien [45, 73] bezüglich prädisponierender und begleitender Faktoren bei Patienten mit motorischer Konversionsstörung.
(b) → Prognose-Studie Level 1b. Im Jahre 1998 veröffentlichten Binzer et al. [15] eine Followup-Studie, die mit der gleichen Patientenkohorte wie in der vorhergehenden Studie [16]
durchgeführt wurde und deren Teilnehmer nach 6 Monaten, 1 Jahr und abschließend nach 2,5
bis 5 Jahren nach Beginn der Symptomatik untersucht wurde (s. Tabelle 4.8, S. 49). Als zusätzliche Messinstrumente zur vorangegangenen Studie wurden der Illness Behaviour
Questionnaire (IBQ) [118], Beck’s Hopelessness Scale (BHS) [10], Karolinska Scale of
Personality (KSP) [126], Locus of Control (LOC) [34] und der Egna Minnen Beträffand
Uppfostran (EMBU) [112] eingesetzt. Bei erneuter Untersuchung nach 2 bis 5 Jahren konnte
bei 19 Patienten eine vollständige Heilung und bei 8 eine deutliche Verbesserung festgestellt
werden, während lediglich 3 Patienten keine Veränderung oder eine Verschlechterung der
Symptomatik aufwiesen. Weitere signifikante Studienergebnisse zeigten einen Zusammenhang zwischen negativer Prognose bezüglich einer Heilung und Persönlichkeitsstörung (v.a.
bei DSM-IV, Achse II, Cluster C) (p<0,05), begleitender somatischer Erkrankung, negativen Erwartungen an die Zukunft (respektive niedrigen Punktwerten auf der BHS) (p<0,05) und niedrigem allgemeinem Wohlbefinden (respektive niedrigen Punktwerten auf DSM-IV, Achse V)
(p<0,01).
Kommentar: Eine Follow-up-Quote von 100% in einem Zeitraum von 2 bis 5 Jahren lässt bei
gemeinsamer Betrachtung der beiden Studien einen aufschlussreichen Einblick hinsichtlich
der Prognose bei motorischen Konversionsstörungen zu. Jedoch bleibt festzustellen, dass die
in der Follow-up-Periode erfolgten therapeutischen Interventionen nicht näher bezeichnet
wurden. Limitierende Faktoren bezüglich der Studienqualität sind die relativ kleine Fallzahl
und der Fakt, dass das Follow-up-Interview telefonisch durchgeführt wurde.
(c) → Prävalenz-Studie Level 1b. Die Studie von Carson et al. [21] aus dem Jahre 2000 beschäftigte sich mit dem proportionalen Anteil von Patienten mit medizinisch nicht erklärbaren
Symptomen in neurologischen Kliniken, dem Grund ihrer Überweisung und zugrunde liegenden emotionalen Störungen (s. Tabelle 4.8, S. 49). Hierzu wurden 300 Patienten einer neuro45
logischen Klinik untersucht und bewertet wurde, bis zu welchem Grad die Symptome organisch erklärbar waren. Die Bewertung, inwieweit die Symptome der Patienten „medizinisch
erklärbar“ waren, erfolgte durch den untersuchenden Neurologen, der seine Einschätzung auf
einer 4-Punkt-Likert-Skala einordnete („nicht erklärbar“, „teilweise erklärbar“, „größtenteils
erklärbar“, „vollständig erklärbar durch organische Ursache“). Gesundheitszustand und Grad
der Einschränkung aus Sicht des Patienten wurde mit dem SF-36 [154] exploriert, das Vorhandensein von Angststörungen oder Depressionen mit der Primary Care Evolution of Mental
Disorders (PRIME-MD) [139]. Nach 6 Monaten wurde eine Follow-up-Untersuchung durchgeführt, bei der die „medizinische Erkärbarkeit“ der Symptome erneut bewertet wurde. Die Ergebnisse zeigten, dass 11% der Patienten Symptome zeigten, die in die Kategorie „nicht durch
organische Ursache zu erklären“ fielen. 19% wurden als „teilweise erklärbar“, 27% als „größtenteils erklärbar“ und 43% als „vollständig erklärbar durch organische Ursache“ eingestuft.
Ein Vergleich zwischen diesen Gruppen zeigte, dass die mittlere Anzahl von physischen Symptomen sowie Schmerz bei Patienten mit „nicht erklärbarer“ Symptomatik höher war
(p<0,0005). Depression und Angststörung waren in diesen Gruppen ebenfalls häufiger anzutreffen. So hatten 70% der Patienten der „nicht erklärbaren“- gegenüber 32% der „vollständig
erklärbaren“-Gruppe eine Angststörung oder Depression (p<0,0005).
Kommentar: Die Studie gibt Aufschluss darüber, wie groß der Anteil medizinisch nicht erklärbarer Symptome bei Patienten in neurologischen Kliniken ist.
(d) → Symptom-Studie Level 3b. 2009 verglichen van Beilen et al. [151] 26 Patienten mit psychogenen (PMD) und 26 Patienten mit neurologisch bedingten Bewegungsstörungen (ND)
sowie eine achtzehnköpfige Kontrollgruppe (HC) hinsichtlich Psychopathologie und Simulation
(s. Tabelle 4.8, S. 49). Als Untersuchungsinstrumente diente die holländische Adaption der
Symptom Checklist 90 (SCL 90) [5], ein 90 Items umfassender Fragebogen zur Exploration körperlicher und psychischer Beschwerden. Zur Erfassung möglicher Simulation wurden der
Amsterdamse Korte Termijn Geheugen Test [125] und das Structured Inventory of Malingered
Symptomatology (SIMS) [136] verwendet. Die Ergebnisse zeigten, dass eine große Anzahl beider Patientengruppen Punktwerte über dem Cut-off für Psychopathologie aufwies. Patienten
mit psychogenen Bewegungsstörungen machten hierbei den signifikant größten Anteil aus
(P=0,000 für PMD: ND + HC; P=0,009 für PMD: ND). Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch der
Test zur Überprüfung von Simulation (SIMS) (P=0,001 für PMD: ND + HC; P=0,012 für PMD:
46
ND). In beiden Patientengruppen korrelierte psychologischer Disstress mit dem Grad der Simulation.
Kommentar: Aus den Ergebnissen der Studie kann abgeleitet werden, dass es keine kausale
Verknüpfung zwischen psychologischem Disstress und psychogenen neurologischen Störungen gibt. Sie legen aber nahe, dass mit großer Wahrscheinlichkeit ein Teil der psychologischen
Beschwerden Folgen einer Erkrankung sind.
Retrospektive Studien
(a) → Prognose-Studie Level 2b. Lempert et al. [90] untersuchten in ihrer 1990 veröffentlichten Studie Auftretenshäufigkeit und klinisches Erscheinungsbild psychogener Störungen bei
stationären Patienten einer neurologischen Klinik (s. Tabelle 4.8, S. 49). Hierzu durchsahen sie
die Akten von 4470 Patienten. Den Ergebnissen zufolge wurde bei 405 (9%) eine psychogene
Ursache festgestellt, wobei bei 82 von 405 (20%) Patienten psychogene Bewegungsstörungen
dominierten, die damit der Häufigkeit nach an zweiter Stelle nach dem psychogenen Schmerz
folgten. Als häufigste Bewegungsstörungen wurde Astasie-Abasie bei 52 von 405 Patienten,
Monoparese (n=31) und Hemiparese (n=20) diagnostiziert. Depression war bei 38% aller Patienten anzutreffen und damit die häufigste psychische Störung, gefolgt von Angststörung
(13%). Im Kurzzeit-Outcome1 (5 bis 10 Tage) konnte bei 11% der Patienten eine vollständige
Remission, bei 32% eine Verbesserung und bei 57% keine Verbesserung der Symptome festgestellt werden. Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen zeigten eine bessere Prognose als die übrigen (19% vollständige Remission, 35% Verbesserung der Symptome, 47% keine Verbesserung). Ein positives Outcome korrelierte signifikant (p<0,001) mit kurzer Dauer
der Symptome.
Kommentar: Bei der Studie ist zu beachten, dass sie sich nicht primär mit psychogenen Bewegungsstörungen, sondern mit allen psychogenen neurologischen Störungen befasst. Therapeutische Interventionen, die das Outcome beeinflusst haben könnten, werden nicht näher
beschrieben.
(b) → Prognose-Studie Level 2b. Die Studie von Factor et al. [40] aus dem Jahre 1995 beschäftigte sich mit Häufigkeit, klinischem Bild und Charakteristika der psychogenen Bewegungsstö-
1
Im int. Sprachgebrauch: „Gesamtergebnis diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen“ [vgl. 78a].
47
rungen (s. Tabelle 4.8, S. 49). Hierzu wurden aus einer Datenbank mit 842 Patienten mit Bewegungsstörungen diejenigen Fälle ausgewählt, bei denen die definitive oder Verdachtsdiagnose „Psychogene Bewegungsstörung“ vorlag. Krankenakten und Videoaufnahmen dieser
Patienten wurden detailliert besprochen und bewertet und die Patienten anschließend gemäß
der Klassifizierung nach Fahn u. Williams verschiedenen Diagnosegruppen zugeteilt. Insgesamt
wurden bei 28 Patienten (3,3%) psychogene Bewegungsstörungen festgestellt, von denen 14
(50%) als psychogener Tremor definiert wurden. Psychogene Dystonie wurde in 5 (18%),
Myoklonus in 4 (14%) und psychogener Parkinsonismus in 2 (7%) der Fälle diagnostiziert. Die 4
übrigen Fälle zeigten Kombinationen der verschiedenen Krankheitsbilder oder waren nicht
klassifizierbar. Häufigste klinische Charakteristika waren Ablenkbarkeit (86%), plötzlicher Beginn (54%), selektive Funktionsstörungen und multiple Somatisierungen (36%). Weitere wichtige diagnostische Hinweise waren Anpassung der Tremorfrequenz an andersfrequente Bewegungen der kontralateralen Gliedmaßen, Ermüdung des Tremors und vorangegangene psychische Erkrankungen. Bei 61% der Patienten lag der Erkrankung ein klar definiertes auslösendes
Ereignis zugrunde, wobei beruflich bedingte Verletzungen am häufigsten waren. 50% hatten
zudem eine psychiatrische Diagnose (meist Depression). 25% präsentierten kombinierte psychogene Bewegungsstörungen und organische Bewegungsstörungen.
Kommentar: Der Anteil von 3,3% von Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen ähnelt
dem von Fahn [42], der aus einer Population von 3700 Patienten einer neurologischen Klinik
2,1% ermittelte.
(c) → Prognose-Studie Level 2b. Williams et al. [159] untersuchten 1995 131 Patienten ihrer
Klinik, bei denen psychische Bewegungsstörungen diagnostiziert worden waren, auf klinische
Charakteristika, psychische Co-Erkrankungen und Outcome nach verschiedenen therapeutischen Interventionen (s. Tabelle 4.8, S. 49). Die am häufigsten beobachteten Störungen waren
Dystonie (59%), Tremor (14%), Gangstörungen (9%) und paroxysmale Dyskinesien (9%); es
folgten andere Störungsbilder wie Myoklonus, Blepharospasmus und Parkinsonismus. 13% der
Patienten zeigten eine neurologische Co-Erkrankung, wie z.B. Parkinson oder vestibuläre Dysfunktion. Die durchschnittliche Zeit zwischen Beginn der Symptomatik und Diagnose einer
psychogenen Erkrankung lag bei 4,9 Jahren. Von 32 Patienten, bei denen die Berichte zurückliegender Arztbesuche vorlagen, waren 75% als neurologisch erkrankt fehldiagnostiziert und
behandelt worden. Nach Erklärung dieser Tatsache durch einen Neurologen akzeptierten 70%
48
der Patienten die Möglichkeit einer psychogenen Ursache und erklärten sich bereit, psychologische Hilfe anzunehmen. 79% aller Patienten litten unter multiplen Symptomen. 45% zeigten
eine persistierende Symptomatik, 55% intermittierende oder anfallartige Symptome. Die
Symptomatik begann bei 60% der Patienten plötzlich und konnte gewöhnlich mit einem auslösenden Ereignis, Stress oder Angst in Verbindung gebracht werden. Klinische Charakteristika, von denen eines oder mehrere bei allen Patienten vorhanden waren, umfassten abrupten
Beginn, multiple Symptome, Fluktuation der Symptome, Zunahme der Symptomatik durch
Fokussierung, Abnahme durch Ablenkung, Ansprechen auf Placebogabe, assoziierte neurologische Erkrankungen, assoziierte psychische Erkrankungen, Besserung der Symptome durch
Psychotherapie und Remission der Symptome, wenn der Patient sich unbeobachtet glaubte.
24 Patienten erklärten sich zu intensiver psychiatrischer Diagnostik und Behandlung bereit.
Tab. 4.8 Studienübersicht: Studien, die unterschiedliche psychogene Bewegungsstörungen erfassen
Autor
Stichprobe
Design
Methodik
Ergebnisse/Kernaussage
Prospektive Studien
Binzer et al.
30 Patienten mit
Kohortenstudie;
Klinische Untersu-
Niedriges Bildungsniveau, Persönlichkeitsstö-
1997 [16]
motorischen Konversi-
keine Verblindung
chung; strukturiertes
rung und Depression sind signifikant mit moto-
Level 1b
onsstörungen; 30
angegeben
Interview (SCID-I;
rischer Konversionsstörung assoziiert
Patienten mit motori-
SCID-II); semistruktu-
schen Störungen
riertes Interview;
organischer Ursache
Fragebogen (GAF;
HRDS )
Binzer et al.
30 Patienten mit
Kohortenstudie;
Klinische Untersu-
Vollständige Remission bei 19 Patienten, 8 mit
1998 [15]
motorischen Konversi-
Follow-up nach 6
chung; strukturiertes
Verbesserung der Symptomatik, 3 ohne Ver-
Level 1b
onsstörungen
Monaten, 1 Jahr,
Interview (SCID-I;
besserung bzw. Verschlechterung; ungünstiges
2,5 bis 5 Jahre; LFU
SCID-II); semistruktu-
Outcome assoziiert mit bestehender Persön-
100%; keine Ver-
riertes Interview;
lichkeitsstörung, negativen Zukunftserwartun-
blindung
Fragebgen (IBQ; BHS;
gen, begleitender somatischer Erkrankung und
angegeben
KSP; LOC; EMBU; GAF;
schlechtem Allgemeinbefinden
HRDS)
Carson et al.
300 Patienten mit
Kohortenstudie;
Klinische Untersu-
Bei 11% der Patienten keine nachweisbare
2000 [21]
neurologischen Symp-
Follow-up nach 6
chung;
organische Ursache für die Symptome; von
Level 1b
tomen
Monaten; LFU 18%;
strukturiertes Inter-
diesen haben 70% eine Angststörung oder
keine Verblindung
view (PRIME-MD);
Depression
angegeben
Fragebogen (SF 36)
49
van Beilen et
26 Patienten mit
Querschnittsstudie;
Fragebogen (SIMS;
Patienten mit psychogenen Bewegungsstörun-
al. 2009
psychogenen Bewe-
Vergleichsgruppe
AKGT; SCL-90)
gen zeigen signifikant mehr psychologische
[151]
gungsstörungen; 26
alters- und
Level 3b
Patienten mit organi-
geschlechtsadjust-
schen Bewegungsstö-
iert; keine Verblin-
rungen
dung angegeben
Beschwerden und höheren Grad an Simulation
Retrospektive Studien
Lempert et
405 Patienten mit
Kohortenstudie;
al. 1990 [90]
psychogenen neurolo-
Kurzzeit-Outcome
Patientenakte
Häufigste psychogene Bewegungsstörung:
Astasie-Abasie; Outcome von psychogenen
Level 2b
gischen Störungen
(5 bis 10 Tage)
Bewegungsstörungen signifikant besser als bei
anderen psychogenen neurologischen Störungen
Factor et al.
842 Patienten, davon
Kohortenstudie;
Datenbank; Patien-
Häufigkeit psychogener Bewegungsstörung:
1995 [40]
28 mit psychogenen
keine Verblindung
tenakte; Videoauf-
3%; häufigste Bewegungsstörung Tremor,
Level 2b
Bewegungsstörungen
angegeben; LFU
nahmen
gefolgt von Dystonie, Myoklonus, psychogenem
28%
Parkinsonismus; 50% der Patienten mit psychiatrischer Diagnose
Williams et
131 Patienten mit
Kohortenstudie;
Patientenakte; klini-
Häufigste Bewegungsstörung: Dystonie (59%);
al. 1995
psychogenen Bewe-
Follow-up bei 24
sche Untersuchung
häufigste psychische Störung: Konversionsstö-
[159]
gungsstörungen
Patienten (6 Wo-
DSM-IV, Achse I–V
rung (75%); multimodale Therapie mit Psycho-
Level 2b
chen bis 7 Jahre; Ø
pharmaka, Psychotherapie, Physiotherapie,
1,8 Jahre)
Hypnose, Familientherapie und Placebogabe
führte zu vollständiger Remission der Symptome bei 25%, deutlicher Besserung bei 21%,
leichter Besserung bei 8%; 33% der Patienten
zeigten keine langfristige Besserung
Crimlisk et al.
73 Patienten mit
Kohortenstudie;
Semistrukturiertes
75% der Patienten zeigten psychiatrische
1998 [23]
medizinisch nicht
Follow-up nach 6
Interview (SADS)
Störung, 45% Persönlichkeitsstörung; positives
Level 2b
erklärbaren motori-
Jahren; keine
Outcome assoziiert mit kurzer Dauer der Symp-
schen Störungen
Verblindung ange-
tomatik, psychiatrischer Co-Erkrankung und
geben; LFU 12%
Veränderung des Partnerschaftsstatus während
der Follow-up-Periode
Hiervon wiesen 75% eine Konversionsstörung, 12,5% eine Somatisierungsstörung und 12,5%
eine artifizielle Störung auf. Alle Patienten wiesen mindestens eine DSM-IV-Achse-I-Diagnose
auf, wobei affektive Störungen mit 71% am häufigsten waren. Bei 67% konnte eine Persönlichkeitsstörung nach Achse II diagnostiziert werden. Die Therapie bestand bei allen Patienten
aus Psychotherapie und zusätzlichen Therapien wie Familientherapie (58%), Hypnose (21%),
Physiotherapie (42%) und Placebogabe (3%). 78% erhielten Psychopharmaka. Nach einem
50
durchschnittlichen Follow-up von 1,8 Jahren konnte bei 25% eine vollständige Remission, bei
21% eine starke Verbesserung der Symptome, bei 8% eine leichte Verbesserung festgestellt
werden. 21% zeigten zu Beginn eine Verbesserung, dann jedoch eine Rückkehr der Symptome,
und 12% zeigten keine Verbesserung.
Kommentar: Die Studie enthält umfangreiche Daten zu Alters- und Geschlechterverteilung,
klinischen Charakteristika und Prognose von psychogenen Bewegungsstörungen.
(d) → Prognose-Studie Level 2b. Eine Follow-up-Studie von Crimlisk et al. [23] aus dem Jahre
1998 beschäftigt sich mit psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen sowie Stabilität
der Diagnose und Prognoseindikatoren von Patienten mit „medizinisch nicht erklärbaren“ motorischen Störungen (s. Tabelle 4.8, S. 49). Hierzu wurden 73 Patienten, von denen 48% fehlende motorische Funktionen (z.B. Hemiplegie) und 52% gesteigerte motorische Aktivität (z.B.
Tremor, Dystonie) aufwiesen, nach 6 Jahren einer Follow-up-Untersuchung unterzogen. Die
neurologische Diagnose wurde anhand einer Untersuchung durch einen Neurologen gestellt,
während die psychiatrische Diagnose mithilfe eines standardisierten Interviews, des Schedule
for Affective Disorders and Schizophrenia (SADS) [36], gestellt wurde. Den Ergebnissen zufolge
wiesen lediglich 3 Patienten neurologische Neuerkrankungen auf, die die vorangegangene
Symptomatik erklärten. 75% der Patienten zeigten psychiatrische Störungen, wobei bei 33%
die Diagnose zeitlich mit den motorischen Störungen zusammenfiel. Bei 45% der Patienten
wurde eine Persönlichkeitsstörung festgestellt. Signifikante Faktoren für ein positives Outcome waren: Symptomdauer < 1 Jahr bei Vorstellung im Krankenhaus (p=0,018), psychiatrische
Diagnose nach SADS in zeitlichem Zusammenhang mit Auftreten der Symptomatik (p=0,025),
Veränderung des Partnerschaftsstatus während der Follow-up-Periode (p=0,0075). Ein ungünstiges Outcome wurde mit finanziellen Unterstützungsleistungen zum Zeitpunkt der Aufnahme ins Krankenhaus (p=0,03) und bevorstehenden Gerichtsverfahren (p=0,066) assoziiert.
Kommentar: Ein im Vergleich zu anderen Studien [45, 166] niedriges LFU erhöht die Relevanz
der Ergebnisse.
51
4.3.2 Psychogener Myoklonus
Prospektive Studien
→ Symptom-Studie Level 2b. Monday et al. [103] versuchten in ihrer 1992 publizierten Studie
klinische Charakteristika des psychogenen Myoklonus herauszufinden und Positivkriterien zu
beschreiben, die zur Etablierung der Diagnose dienlich sind (s. Tabelle 4.9, S. 53). Hierzu wurden aus einer Gruppe von 212 Patienten mit Myoklonus 18 ausgewählt, bei denen die Diagnose psychogener Myoklonus gestellt wurde. 9 Patienten wurde in einem einfach verblindeten
Versuch eine saline Placebolösung injiziert. Zuvor war ihnen erklärt worden, dass diese den
Myoklonus eventuell verstärken würde und, falls dies der Fall wäre, eine zweite Injektion zur
Verbesserung notwendig wäre. Die Placeboversuche wurden gefilmt und ausgewertet. Um die
Diagnose psychogener Myoklonus zu etablieren, mussten bei den Patienten myoklonische
Bewegungen vorhanden sein, die inkonsistent oder inkongruent mit somatischem Myoklonus
waren und mindestens zwei der folgenden Charakteristika aufwiesen: verminderte Bewegung
bei Ablenkung, Vorhandensein anderer psychogener Symptome, Perioden spontaner Remission, plötzliche Verbesserung der Symptomatik, Ansprechen auf Placebo und Hinweise auf
psychopathologische Genese durch vorangegangene Tests oder psychiatrische Krankengeschichte. 13 Patienten wurden stationär und 5 ambulant untersucht. Bei allen Patienten war
in umfangreichen Voruntersuchungen organischer Myoklonus ausgeschlossen worden. Die
Patienten waren im Durchschnitt seit 36 Monaten erkrankt. Der Myoklonus war bei 10 von
ihnen segmental, bei 7 generalisiert und bei einem Patienten fokal vorhanden. Bei 14 Patienten wurde eine Abnahme der Myoklonusamplitude bei Ablenkung beobachtet, 5 zeigten zusätzlich psychogenen Verlust der Sinneswahrnehmung oder Pseudoschwäche („false
weakness“). Die Zunahme der myoklonischen Bewegungen unter Stress war bei 15 Patienten
zu beobachten. Bei weiteren 6 Patienten kam es zu spontanen Remissionen, die bis zu 10
Stunden dauerten. 14 Patienten wiesen Anzeichen für psychiatrische Co-Erkrankungen, 10
eine dem Beginn des Myoklonus vorausgehende psychiatrische Diagnose auf. Über die Hälfte
der Patienten mit adäquatem Follow-up zeigte einen Rückgang der Symptomatik, nachdem sie
durch psychoedukative Maßnahmen Einblicke in die psychogenen Mechanismen ihrer Bewegungsstörungen gewonnen hatten.
52
Kommentar: Die geringe Fallzahl und 33% LFU limitieren die Qualität der Studie, deren Ergebnisse jedoch aufgrund fehlender Vergleichsstudien zu psychogenem Myoklonus von Wichtigkeit in Hinblick auf Diagnose und Therapie sind.
Tab. 4.9 Studienübersicht: Psychogener Myoklonus
Autoren
Stichprobe
Design
Methodik
Ergebnisse/Kernaussage
Prospektive Studien
Monday et
18 Patienten
Kohortenstudie;
Injektion saliner
Klinische Kennzeichen des psychogenen Myoklonus:
al. 1992
mit psychoge-
einfach verblindeter
Placebolösung; Untersu-
- Spontanremission
[103]
nem Myoklo-
Placeboversuch; LFU
chung und Festlegung von
- Ansprechen auf Placebo
Level 2b
nus
33%
Diagnosekriterien
- neurologische Co-Erkrankung
- psychiatrische Co-Erkrankung
Weitere Ergebnisse: 7 von 12 Patienten mit Followup zeigten Verbesserung nach Verstehen der psychischen Genese
4.3.3 Psychogene Gangstörungen
Prospektive Studien
→ Symptom-Studie Level 3b. Lempert et al. [89] untersuchten in ihrer Studie aus dem Jahre
1990 22 Patienten per Videoaufnahme eines standardisierten diagnostischen Programms, das
Laufen und Stehen mit geschlossenen und geöffneten Augen, „tandem walking“ (Gehen mit
Hilfestellung), Laufen auf Hacken und Zehenspitzen, eine Kniebeuge und den Romberg-Test
beinhaltete (s. Tabelle 4.10, S. 54). Zusätzlich wurden 15 Patienten, die die diagnostischen
Standards erfüllten, retrospektiv bewertet und in die Studie mit einbezogen. Die Ergebnisse
zeigten 6 Charakteristika, die sich alleine oder kombiniert bei 97% der Patienten ausfindig
machen ließen: (1) Schwankungen beim Gehen und Stehen, (2) exzessive Verlangsamung der
Bewegungen, (3) „psychogener“ Romberg-Test mit Verbesserung bei Ablenkung, (4) unökonomische Haltung mit Verschwendung von Muskelenergie, (5) „Laufen auf Eis“Bewegungsmuster, gekennzeichnet durch kleine, vorsichtige Schritte mit versteiften Gelenken, und (6) plötzliches Einknicken der Knie („buckling of the knee“). Fluktuationen und exzessive Verlangsamung machten hierbei mit 51% bzw. 35% den größten Anteil aus. 10% der Patienten zeigten ein Astasie-Abasie-Syndrom als klinisches Störungsbild. Bei 73% der Patienten
konnten verschiedene andere psychogene Symptome festgestellt werden, die von den Autoren als suggestive Charakteristika einer psychogenen Gangstörung klassifiziert wurden.
53
Tab. 4.10 Studienübersicht: Psychogene Gangstörungen
Autoren
Stichprobe
Design
Methodik
Ergebnisse/Kernaussage
Prospektive Studien
Lempert et
37 Patienten mit
Querschnittsstudie
Standardisiertes Unter-
Verschiedene Charakteristika typisch für psycho-
al. 1990
psychogenen Störun-
bei 22 Patienten;
suchungsprotokoll mit
gene Bewegungsstörungen: Schwankungen beim
[89]
gen von Stand oder
retrospektive
Videoaufnahme
Gehen und Stehen; exzessive Verlangsamung der
Level 3b
Gang
Studie bei 15
Bewegungen; „psychogener“ Romberg-Test mit
Patienten; keine
Verbesserung bei Ablenkung; unökonomische
Verblindung ange-
Haltung mit Verschwendung von Muskelenergie;
geben
„Laufen auf Eis“-Bewegungsmuster; plötzliches
Einknicken der Knie („buckling of the knee“)
Retrospektive Studien
Baik et al.
279 Patienten mit
Querschnittsstudie;
Patientenakte; Video-
Häufigste psychogene Bewegungsstörung: Tre-
2007 [7]
psychogenen Bewe-
keine Verblindung
analyse
mor (32,6%), gefolgt von Dystonie (31,9%) und
Level 3b
gungsstörungen,
angegeben
Myoklonus (18,3%); bei Patienten mit psychoge-
davon 118 mit isolier-
nen Gangstörungen sind die häufigsten Sympto-
ten oder kombinier-
me starke Verlangsamung des Ganges (18,6%),
ten psychogenen
dystonischer Gang (17,8%) und Astasie-Abasie
Gangstörungen
(11,9%)
Sie wurden in motorische Symptome („motor symptoms“) und Verhaltensauffälligkeiten („expressive behaviour“) unterteilt. Tremor und Pseudotaxie waren mit jeweils 24% die am häufigsten vertretenen motorischen Symptome, während ein leidender oder gequälter Gesichtsausdruck (40%) und Wehklagen („moaning“ [22%]) die häufigsten Verhaltensauffälligkeiten
waren.
Kommentar: Die Studie formuliert diagnostisch wichtige Charakteristika der psychogenen
Gangstörungen.
Retrospektive Studien
→ Symptom-Studie Level 3b. Die Studie von Baik et al. [7] aus dem Jahre 2007 beschäftigte
sich mit psychogenen Gangstörungen und ihren Charakteristika bei Patienten mit unterschiedlichen Formen von psychogenen Bewegungsstörungen (s. Tabelle 4.10, S. 54). Hierzu wurden
die Krankenakten und/oder Videoaufnahmen von 279 Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen erneut gesichtet und beurteilt. Es wurden alle Patienten in die Studie eingeschlossen, die die Kriterien für diagnostizierte, klinisch bekannte, wahrscheinliche oder mögliche psychogene Bewegungsstörungen nach Fahn u. Williams [43] erfüllten. Die Patienten
54
wurden in zwei Gruppen unterteilt: In der Gruppe I waren Patienten mit normalem Gang, in
der Gruppe II Patienten mit Gangstörungen. Die beiden Gruppen wurden in Subgruppen unterteilt: Gruppe I-1 umfasste Patienten mit normalem Gang und keiner Verschlimmerung anderer psychogener Bewegungsstörungen beim Gehen; Patienten der Gruppe I-2 zeigten Veränderungen der Bewegungsstörungen, die jedoch nicht den Gang betrafen. In Gruppe II-1
waren die Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen und verändertem Gang, während
solche mit reinen psychogenen Gangstörungen der Gruppe II-2 zugeteilt wurden. Zwischen
Gruppe I und II wurden nun umfangreiche klinische und demografische Daten erhoben und
verglichen. Die Ergebnisse machten deutlich, dass Patienten der Gruppe II (psychogene Gangstörung) im Vergleich zu denen der Gruppe I (keine Gangstörung) signifikant häufiger extreme
Verlangsamung von Bewegungen, wie z.B. beim Finger-Nase-Versuch oder Auftreten mit dem
Fuß (p=0,022), zeigten. Langsamkeit des Ganges war das häufigste Symptom der Patienten aus
Gruppe II-1 (psychogene Bewegungsstörung und psychogene Gangstörung), während bei
Gruppe II-2 (reine psychogene Gangstörung) starkes Beugen des Knies und Astasie-Abasie
dominierten.
Kommentar: Die Studie enthält neben den oben beschriebenen Ergebnissen umfangreiche
demografische Daten zu Alters- und Geschlechterverteilung sowie klinische Daten zu psychogenen Bewegungsstörungen. Die Retrospektivität der Studie ist als qualitätslimitierender Faktor zu bewerten.
4.3.4 Psychogener Tremor
Prospektive Studien
→ Symptom-Studie Level 3b. Koller et al. [78] diagnostizierten in ihrer Studie 1989 24 Patienten mit psychogenem Tremor und versuchten, einen Überblick über demografische und klinische Charakteristika der Erkrankung zu geben (s. Tabelle 4.11, S. 56). Die Ergebnisse zeigten
eine weibliche Prädominanz von 15 weiblichen gegenüber 9 männlichen Patienten. Der Tremor zeigte einen plötzlichen Beginn bei 21 Patienten und fluktuierte bei 4 Patienten. Die mittlere Dauer betrug 3,3 Jahre bei einer Spannweite von 1 Woche bis zu 10 Jahren. Als auslösende Faktoren konnten Kopfverletzungen (n=2), Autounfälle (n=3), virale Infektionen (n=4), Vergiftung mit „Agent Orange“, Rückenverletzung, Einnahme von Neuroleptika und ein abdomi55
naler chirurgischer Eingriff ausgemacht werden. 8 Patienten litten unter einer Konversionsstörung, 8 unter einer Depression, 4 unter einer Angststörung und 2 Patienten simulierten. Bei
allen Patienten konnte eine variable Tremoramplitude und Frequenz beobachtet werden,
während 91,6% der Patienten weitere variable Charakteristika, wie z.B. Wechsel der Tremorrichtung, zeigten. Klassifiziert nach den Fahn/Williams-Kriterien [43] wurde bei 16 Patienten
ein klinisch etablierter und bei 8 Patienten ein klinisch dokumentierter Tremor festgestellt.
Kommentar: Als eine der ersten Studien zu psychogenem Tremor konnte sie viele Charakteristika des psychogenen Tremors definieren, die nach wie vor gültig sind.
Retrospektive Studien
→ Symptom-Studie Level 3b. Kim et al. [75] untersuchten in einer Studie aus dem Jahre 1999
klinische Charakteristika und Merkmale des psychogenen Tremors (s. Tabelle 4.11, S. 56).
Hierzu werteten sie die Patientenakten von 70 Patienten und zusätzlich Videoaufnahmen von
51 dieser Patienten mit klinisch gesichertem psychogenem Tremor nach Fahn u. Williams [43]
aus. Den Ergebnissen zufolge kam es bei 73% der Patienten zu einem plötzlichen Beginn des
Tremors, wobei bei 46% mit Beginn bereits die maximale Funktionseinschränkung der betroffenen Körperpartie verbunden war. Der Verlauf war bei 46% der Patienten als gleich bleibend
und bei 17% als variabel zu bezeichnen. Spontanes Ende und rekurrierendes Auftreten sowie
Ablenkbarkeit, „Entrainment“ und Reaktion auf Suggestion waren weitere charakteristische
Merkmale. 39% der Patienten litten unter zusätzlichen psychogenen Bewegungsstörungen,
und bei 79% der Patienten konnten zusätzliche funktionelle Störungen wie Schmerz, Insomnie
oder Erschöpftheit ohne definierbare organische Ursache diagnostiziert werden.
Kommentar: Die sehr hohe LFU-Quote in der Nachbeobachtungsphase von 86% ist ein qualitativ limitierender Faktor.
Tab. 4.11 Studienübersicht: Psychogener Tremor
Autoren
Stichprobe
Design
Methodik
Ergebnisse/Kernaussage
Prospektive Studien
Koller et al.
24 Patienten
Querschnittsstudie;
Klinische Untersuchung;
Charakteristika: plötzlicher Beginn, auslösendes
1989 [78]
mit psychoge-
keine Verblindung
Patientenakte
Ereignis; Konversionsstörung und Depression häu-
Level 3b
nem Tremor
angegeben
figste begleitende Erkrankungen
56
Retrospektive Studien
Kim et al.
70 Patienten
Kohortenstudie;
Patientenakte; Videoana-
Charakteristika: fokaler Beginn, ausgehend von
1999 [75]
mit psychoge-
Follow-up Ø 19,4
lyse
einer Extremität; spontanes Ende und rekurrieren-
Level 3b
nem Tremor
Monate; LFU 86%;
des Auftreten; Ablenkbarkeit, Entrainment und
keine Verblindung
Ansprechen auf Suggestion; meistens kombiniert
angegeben
mit anderen psychogenen Bewegungsstörungen
4.3.5 Psychogene Dystonie
Prospektive Studien
→ Interventionsstudie Level 3b. Fahn u. Williams [43] formulierten 1988 ein Stufenschema (s.
auch tabellarische Darstellung S. 25) der diagnostischen Sicherheit bei psychogener Dystonie
(s. Tabelle 4.12, S. 58). In ihrer Studie stellten sie 21 Patienten vor, die die Kriterien für dokumentierte (n=17) oder klinisch etablierte (n=4) psychogene Dystonie erfüllten. 7 dieser Patienten litten unter paroxysmaler Dystonie. Die epidemiologischen Ergebnisse zeigten eine weibliche Prädominanz im Verhältnis von 19 zu 2. Es ließen sich verschiedene Indikatoren für eine
Psychogenität der Dystonie ausmachen. Am häufigsten zu beobachten war die Inkonstanz der
Symptome über einen längeren Zeitraum bzw. untypische Bewegungen und Körperhaltung
(n=18), gefolgt von Pseudoschwäche („false weakness“) (n=14) und Beginn der Symptomatik
in Ruhe (n=11). Schmerz (n=9), der spontan auftrat oder durch passive Bewegungen erzeugt
wurde, sowie multiple Somatisierungen (n=8) waren weitere wichtige Charakteristika. Außerdem konnten die Autoren bei den Patienten bizarre Bewegungen (n=7), sensorische Ausfälle
(n=5), plötzliche Anfälle (n=5), exzessive Verlangsamung der Bewegungen (n=5) und Abwehrspannung bei leichten Berührungen (n=4) feststellen. Der Beginn der Symptomatik erfolgte
meist in den unteren Extremitäten (n=14), wobei der rechte Fuß (n=8) die häufigste Lokalisation darstellte. Bei 13 Patienten breitete sich die Symptomatik auf andere Bereiche des Körpers aus, wobei die zeitliche Dauer hier zwischen wenigen Tagen und 13 Jahren lag. Die Patienten wurden mit verschiedenen bzw. kombinierten Therapiekonzepten behandelt, die Suggestion, Psychotherapie, Physiotherapie, Placebo und medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva einschlossen. Es zeigte sich hierbei, dass vor allem die Suggestion, die Stärkung des
Patientenbewusstseins für die Psychogenität seiner Erkrankung und die guten Heilungschancen durch Physio- und Psychotherapie gute Heilungsergebnisse lieferten. So konnte bei 11 von
57
15 Patienten, bei denen Suggestion Teil der Therapie war, eine komplette Remission oder
starke Verbesserung der Symptome erzielt werden.
Kommentar: Trotz niedriger Fallzahl ist diese Studie wegweisend für Verständnis und Diagnostik der psychogenen Bewegungsstörungen. Die hier erstmalig publizierten diagnostischen Kriterien besitzen bis heute als „Fahn-und-Williams-Kriterien“ Gültigkeit.
Retrospektive Studien
→ Symptom-Studie Level 2b. Mit den klinischen Charakteristika und verschiedenen Formen
der psychogenen Dystonie beschäftigten sich Lang et al. [85] in ihrer Studie aus dem Jahre
1995 (s. Tabelle 4.12, S. 58). Hierzu sichteten sie alle Krankenakten von Patienten der vergangenen 10 Jahre, bei denen sie psychogene Bewegungsstörungen diagnostiziert hatten.
Tab. 4.12 Studienübersicht: Psychogene Dystonie
Autoren
Stichprobe
Design
Methodik
Ergebnisse/Kernaussage
Prospektive Studien
Fahn und
21 Patienten mit
Interventionsstudie; Follow-up-
Klinische Unter-
Weibliche Prädominanz; Inkongruenz der
Williams
psychogenen Bewe-
Dauer nicht adäquat angegeben
suchung; Be-
Symptome; Suggestion erfolgreiche Be-
1988
gungsstörungen
handlung mit
handlungsmethode
[43]
verschiedenen
Level 3b
therapeutischen
Ansätzen
Retrospektive Studien
Lang et
18 Patienten mit
Kohortenstudie; Follow-up-Dauer
al. 1995
psychogener Dysto-
nicht adäquat angegeben; LFU 55%
[85]
nie
Krankenakte
Meist vorangehendes traumatisches Erlebnis; Beginn plötzlich und Verlauf progressiv;
Beteiligung der unteren Extremitäten
Level 2b
häufig
18 Patienten erfüllten die Fahn/Williams-Kriterien [43] für klinisch dokumentierte oder klinisch etablierte psychogene Dystonie und wurden in die Studie mit einbezogen. 14 dieser Patienten gaben ein auslösendes Ereignis im Zusammenhang mit der Erkrankung an, wie z.B.
eine lokale
Verletzung (n=6) oder einen Autounfall (n=5). Der Beginn war meist plötzlich und der Verlauf
rasch progressiv. Im Gegensatz zur idiopathischen Dystonie war eine Beteiligung der unteren
Extremitäten häufig (n=12). Es erfolgte bei lediglich 8 Patienten ein Langzeit-Follow-up; die
58
Spannweite reichte hier von kompletter Remission bis vollständiger Persistenz der Symptome
Kommentar: Die geringe Fallzahl mindert die Aussagekraft der Ergebnisse.
4.3.6 Psychogener Parkinsonismus
Retrospektive Studien
→ Symptom-Studie Level 3b. Lang et al. [86] veröffentlichten 1995 eine Studie, in der erstmals
klinische Charakteristika des psychogenen Parkinsonismus beschrieben und differenzialdiagnostische Aspekte zu organischem Parkinsonismus formuliert wurden (s. Tabelle 4.13, S. 60).
Hierzu sichteten sie die Krankenakten dreier medizinischer Versorgungszentren für Bewegungsstörungen. Insgesamt konnten sie bei 7 Männern und 7 Frauen dokumentierten oder
klinisch etablierten psychogenen Parkinsonismus diagnostizieren. Bei 12 Patienten konnte ein
Ruhetremor festgestellt werden, der sowohl beim Verharren in einer bestimmten Position als
auch bei Bewegung die gleiche Amplitude zeigte.
Oft variierte er auch in Frequenz und Rhythmus, passte sich der Frequenz anderer Rhythmen
an oder nahm bei Ablenkung ab. Eine Rigidität, deren Muskelwiderstand sich bei Ablenkung
oder Ausführung synkinetischer Bewegungen abnahm, konnte bei 6 Patienten nachgewiesen
werden. Eine Verlangsamung der Bewegungen war bei allen Patienten präsent, zeigte aber
ebenso wie die posturale Instabilität (n=12) bizarre und inkonsistente Merkmale.
Sensomotorischer Verlust („functional give-way weakness“) und nichtorganische sensorische
Störungen waren häufig (n=10). Bei 5 Patienten konnten spontane Remissionen und Remission mit Placebo beobachtet werden. 3 Patienten zeigten eine normale striatale FluordopaAufnahme im PET, und bei einem Patienten, dessen Symptome sich unter Psychotherapie und
Haloperidol-Therapie verbessert hatten, konnte eine verminderte Fluordopa-Aufnahme festgestellt werden.
Kommentar: Die Tatsache einer Besserung unter Psycho- und Pharmakotherapie bei gleichzeitig verminderter Fluordopa-Aufnahme weist auf eine bestehende Koexistenz von psychogenem und organischem Parkinson hin.
59
Tab. 4.13 Studienübersicht: Psychogener Parkinsonismus
Autoren
Stichprobe
Design
Methodik
Ergebnisse/Kernaussage
Krankenakte
Psychogener Parkinsonismus ist eine seltene Bewe-
Retrospektive Studien
Lang et al.
14 Patienten
Querschnittsstudie;
1995 [86]
mit psychoge-
keine Verblindung
gungsstörung; Ruhetremor, Rigidität und posturale
Level 3b
nem Parkinso-
angegeben
Instabilität sind charakteristisch; bei 35% Besserung
nismus
durch Placebo
4.3.7 Motorische Konversionsstörung vs. psychogene nichtepileptische Anfälle
Prospektive Studien
→ Symptom-Studie Level 3b. Im Jahre 2004 publizierten Stone et al. [148] eine Studie, deren
Ziel die Überprüfung verschiedener Hypothesen bezüglich charakteristischer Unterschiede
zwischen Patienten mit psychogenen nichtepileptischen Anfällen (20) und solchen mit motorischen Konversionsstörungen (20) war (s. Tabelle 4.14, S. 61). Die Annahmen waren, dass Patienten mit psychogenen nichtepileptischen Anfällen im Vergleich eher weiblichen Geschlechts
und jüngeren Alters sind, eher eine Borderline-Störung aufweisen, eher sexuellen Missbrauch
oder Probleme in der Kindheit erlitten hatten und in jüngerer Zeit häufiger Belastungssituationen („life events“) ausgesetzt waren. Zum Zeitpunkt der Untersuchung lag der Beginn der
Symptomatik in der Gruppe der Patienten mit motorischer Konversionsstörung nicht länger
als 3 Monate zurück. Informationen zu bisherigen Erkrankungen psychiatrischer oder somatischer Natur sowie Familienanamnese wurden in einem standardisierten Interview erhoben.
Die psychiatrische Diagnostik erfolgte mit dem Structured Clinical Interview (SCID) [48] des
DSM-IV [2]. Hierbei wurde das SCID-I für klinische Symptomatik und das SCID-II für die Diagnose von Persönlichkeitsstörungen verwendet. Psychologisches, soziales und berufliches „Funktionieren“ der Patienten in den letzten zwei Jahren wurde mithilfe der Global Assessment of
Function Scale bewertet (GAF) [18]. Durch die Eltern erfahrene, potenziell traumatische Kindheitserlebnisse wurden anhand des Egna Minnen Beträffande Uppfostran self-rating inventory
[112] bestimmt. Das Auftreten von Belastungssituationen 12 bis 4 Monate bzw. 3 Monate vor
Beginn der Symptomatik wurde unter Hinzuziehung eines 56-item Life Inventory im Rahmen
eines semistrukturierten Interviews [9, 119] bestimmt. Belastungssituationen wurden in den 4
60
Kategorien Arbeit, Familienleben, gesundheitliche Probleme und sonstige Ereignisse mit Bezug
zum Wohlbefinden des Patienten erfasst. Die Studie zeigte, dass Patienten mit psychogenen
nichtepileptischen Anfällen im Vergleich zu solchen mit motorischer Konversionsstörung im
Durchschnitt jünger waren, eher eine Borderline-Störung aufwiesen, weniger elterliche Zuneigung und vermehrt sexuellen Missbrauch in der Familie („incest“) erfahren hatten sowie ein
erhöhtes Auftreten von Belastungssituationen in einem 12-Monats-Zeitraum vor Beginn der
Symptome erlebt hatten.
Tab. 4.14 Studienübersicht: Motorische Konversionsstörung vs. psychogene nichtepileptische Anfälle
Autoren
Stichprobe
Design
Methodik
Ergebnisse/Kernaussage
Prospektive Studien
Stone et
20 Patienten mit
Querschnittsstudie;
Interview (SCID-I; SCID-
Patienten mit psychogenen nichtepileptischen
al. 2004
psychogenen
Auswertung der
II); semistrukturiertes
Anfällen im Vergleich zu Patienten mit motori-
[148]
nichtepileptischen
Fragebögen ver-
Interview;
schen Konversionsstörungen signifikant:
Level 3b
Anfällen, 20 mit
blindet
Fragebogen (GAF; EMBU-
- jünger (p<0,005)
self-rating inventory)
- eher Borderline-Störung (p<0,05)
motorischer Konversionsstörung
- weniger elterliche Fürsorge
- vermehrt sexueller Missbrauch (p<0,01)
- mehr Belastungssituationen in 12 Monaten vor
Symptombeginn (p=0,0001)
Kommentar: Die Studienergebnisse führen die Autoren zur Diskussion der Frage, ob es sinnvoll ist, psychogene nichtepileptische Anfälle und motorische Konversionsstörungen gemeinsam in die diagnostische Kategorie der Konversionsstörung (nach DSM-IV) einzuordnen, da
sich deutliche Unterschiede im psychosozialen Profil der Patienten zeigen bzw. Patienten mit
psychogenen nichtepileptischen Anfällen vermehrt andere Symptome, wie z.B. Schmerz, aufweisen.
61
4.3.8 Psychogene Bewegungsstörungen und Affekt
Prospektive Studien
→ Symptom-Studie Level 3b. Seignourel et al. [139] befassten sich 2007 mit der emotionalen
Ansprechbarkeit von Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen (s. Tabelle 4.15, S. 62).
Hierzu wurden 12 Patienten mit klinisch etablierten psychogenen Bewegungsstörungen nach
Tab. 4.15 Studienübersicht: Psychogene Bewegungsstörungen und Affekt
Autoren
Stichprobe
Design
Methodik
Ergebnisse/Kernaussage
Prospektive Studien
Seignourel
12 Patienten mit
Querschnittsstudie mit
Messung des Wim-
Patienten mit psychogenen Bewegungsstörun-
et al. 2007
PMD; Kontrollgruppe
Kontrollgruppe; alters-
pernschlagreflexes per
gen zeigten erhöhte Schreckreaktion auf positi-
[139]
(n=12)
und geschlechtsadjus-
EMG bei Vorführung
ve und negative Bilder
tiert; keine Verblin-
von emotional
dung angegeben
behafteten Bildern
Level 3b
Fahn u. Williams und einer zwölfköpfigen Kontrollgruppe jeweils 12 positive, neutrale und
negative Bilder aus dem International Affective Picture System [87] in randomisierter Folge
gezeigt. Parallel dazu wurde der Wimpernschlagreflex der Probanden auf weiße Lichtsignale
per EMG gemessen, um die ausgelöste Schreckreaktion zu verifizieren. Die Patienten bewerteten anschließend jedes Bild mithilfe der Self-Assessment Manikin Rating Scale [19] auf emotionale Wertigkeit (von „unangenehm“, 1, bis „angenehm“, 2) und Erregbarkeit (von „ruhig“, 1,
bis „aufgeregt“, 2). Die Kontrollgruppe zeigte das erwartete Reflexmuster mit signifikanter
Potenzierung des Reflexes bei negativen und leichter Reflexabnahme bei positiven Bildern. In
der Gruppe der psychogenen Bewegungsstörungen führten jedoch sowohl positive als auch
negative Bilder zu signifikant größerer Schreckreaktion, wobei die anschließende Bewertung
der Bilder sich nicht von der Kontrollgruppe unterschied.
Kommentar: Interessantes Ergebnis bezüglich des Zusammenhangs zwischen emotionaler
Ansprechbarkeit und psychogenen Bewegungsstörungen. Die Rolle von Emotionen bei psychogenen Bewegungsstörungen sollte in zukünftigen Studien mit größerer Fallzahl weiter erforscht werden.
62
4.3.9 Psychogene Bewegungsstörungen und intellektuelle Fähigkeiten
Prospektive Studien
→ Symptom-Studie Level 3b. In ihrer Studie aus dem Jahre 2009 gingen van Beilen et al. [150]
der Frage nach, inwiefern die Intelligenz eine Rolle bei der Entwicklung von Strategien zur Bewältigung von Stress („coping strategies“) bei Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen spielt (s. Tabelle 4.16, S. 63). Hierzu wurden 26 Patienten mit diagnostizierten psychogenen Bewegungsstörungen im Hinblick auf Coping-Fähigkeiten und Intelligenz getestet und die
Werte mit denen von 26 Patienten mit neurologischen Bewegungsstörungen sowie einer 18
Patienten umfassenden Kontrollgruppe verglichen. Zur Bestimmung der Intelligenz der Patienten wurde die niederländische Version des National Adult Reading Test (NLV) [127] verwendet. Die Coping-Fähigkeiten wurden anhand der 47 Items umfassenden Utrechtse Coping List
(UCL) [130] untersucht, die die Entwicklungsfähigkeit von persönlichen Bewältigungsstrategien bei der Konfrontation mit Problemen bewertet.
Tab. 4.16 Studienübersicht: Psychogene Bewegungsstörungen und intellektuelle Fähigkeiten
Autoren
Stichprobe
Design
Methodik
Ergebnisse/Kernaussage
Prospektive Studien
van Beilen
26 Patienten mit
Kontrollierte
Intelligenztest
Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen
et al. 2009
psychogenen
Querschnittsstudie;
(Nederlandse Leestes
zeigten leicht erniedrigte IQ-Werte und vermin-
[150]
Bewegungsstörun-
keine Verblindung
vor Volwassenen [NLV]);
derte Coping-Fähigkeiten im Vergleich zu gesun-
Level 3b
gen; 26 Patienten
der Auswerter ange-
Fragebogen (Utrechtse
den Probanden
mit neurologi-
geben; Kontrollgrup-
Coping Lijst [UCL])
schen Bewegungs-
pe alters- und ge-
störungen; Kont-
schlechtsadjustiert
rollgruppe aus 18
Personen
Die Ergebnisse zeigten hinsichtlich des Intelligenzquotienten (IQ) signifikante Unterschiede
zwischen den drei Gruppen (F=4,5; P=0,015).
Demnach wiesen Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen gegenüber der Kontrollgruppe einen leicht erniedrigten IQ sowie verminderte Coping-Fähigkeiten auf, nicht aber gegenüber der anderen Patientengruppe. Die Fähigkeiten zum aktiven Lösen von Problemen
waren in der Kontrollgruppe im Vergleich zur Gruppe der Patienten mit psychogenen Bewe63
gungsstörungen signifikant erhöht (t=2,3; P=0,024), im Vergleich zur Gruppe der neurologisch
erkrankten Patienten jedoch nicht. Es konnte kein signifikanter Zusammenhang zwischen
niedrigerem IQ und niedrigeren Coping-Fähigkeiten nachgewiesen werden.
Kommentar: Die Ergebnisse der Studie weichen von denen früherer Untersuchungen [54, 113]
ab, die gering entwickelte Coping-Fähigkeiten als Vulnerabilitätsfaktor für die Entwicklung von
psychogenen Symptomen ansehen.
4.3.10 Psychogene Bewegungsstörungen im interkulturellen Vergleich
Prospektive Studien
(a) → Symptom-Studie Level 3b. Cubo et al. [25] untersuchten in ihrer Studie aus dem Jahre
2005 Unterschiede der psychogenen Bewegungsstörungen bei 88 Patienten aus den USA
(mittleres Alter 40,3 Jahre) und 48 aus Spanien (mittleres Alter 48 Jahre) hinsichtlich Symptomatik, anatomischer Verteilung und funktioneller Einschränkung, mit dem Ziel der Überprüfung eventueller kultureller Unterschiede (s. Tabelle 4.17, S. 65). Alle Patienten erfüllten die
diagnostischen Kriterien für psychogene Bewegungsstörungen nach Fahn u. Williams. Sie
wurden per Videoaufnahme sowohl in Ruhe als auch beim Gehen und Sprechen gefilmt. Die
Videoaufnahmen wurden daraufhin nach dem Schema der PMD-Scala ausgewertet (s. auch
Hinson et al. [62]; Tabelle 4.2, S. 29). Die Ergebnisse zeigten, dass generell eine deutliche
Übereinstimmung zwischen den beiden Gruppen vorhanden war. Frauen waren häufiger betroffen als Männer (USA = 72%; Spanien = 73%). Aktionstremor war mit 48% sowohl in der
spanischen als auch der amerikanischen Gruppe die am häufigsten beobachtete Bewegungsstörung. US-Patienten zeigten signifikant häufiger multiple Störungen (p=0,02). Die am häufigsten betroffene Körperregion in beiden Gruppen waren die oberen Extremitäten (USA =
74%; Spanien = 58%), gefolgt von den unteren Extremitäten und dem Nacken.
Kommentar: Die Studie zeigt, dass im interkulturellen Vergleich kaum Unterschiede bei psychogenen Bewegungsstörungen festzustellen sind. Mögliche verzerrende Effekte in Bezug auf
kulturelle Muster der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen und Überweisungsverfahren sollten bei der Bewertung der Ergebnisse beachtet werden.
64
(b) → Symptom-Studie Level 3b. Die Studie von Ertan et al. [37] aus dem Jahre 2009 beschäftigte sich mit den klinischen Charakteristika von Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen in der Türkei (s. Tabelle 4.17, S. 65). Insgesamt wurden 1743 Patienten einer Klinik für
Bewegungsstörungen durch einen Spezialisten klinisch untersucht, wobei bei 2,8% (n=49) eine
psychogene Ursache festgestellt wurde. 81% der Patienten entsprachen den Fahn/WilliamsKriterien für klinisch etablierte, 16% für klinisch dokumentierte und 2% für klinisch wahrscheinliche Bewegungsstörungen. Ein Psychiater untersuchte die Patienten nach standardisierten DSM-IV-Kriterien auf psychische Erkrankungen. Den Ergebnissen nach waren 34 Patienten weiblich und 15 männlich, 4 der Patienten waren im Kindesalter. Das mittlere Alter bei
Beginn der Symptome betrug 41 (weibl.) bzw. 36 (männl.) Jahre in der Gruppe der Erwachsenen und 10 (weibl.) bzw. 9 Jahre (männl.) in der Gruppe der Kinder. In der gesamten Patientengruppe war Tremor (44%) das prädominierende Symptom, gefolgt von Dystonie (24%),
Gangstörungen (12%), Parkinsonismus (8%), Chorea (6%) und Tics (4%). Die Symptome entwickelten sich bei 85% akut, und 83% zeigten Verbesserung bei Ablenkung.
Tab. 4.17 Studienübersicht: Psychogene Bewegungsstörungen im interkulturellen Vergleich
Autoren
Stichprobe
Design
Methodik
Ergebnisse/Kernaussage
Prospektive Studien
Cubo et al.
88 Patienten aus
Kontrollierte
Videoanalyse; PMD-
Klinisches Erscheinungsbild zeigt Ähnlichkeit in
2005 [25]
den USA und 48
Querschnittsstudie;
Skala
Bezug auf Art, anatomische Lokalisation und
Level 3b
aus Spanien mit
keine Verblindung
funktionelle Einschränkung der Bewegungsstö-
psychogenen
angegeben
rungen; häufigste Störung: Aktionstremor (48% in
Bewegungsstörun-
beiden Stichproben)
gen
Ertan et al.
49 türkische
Querschnittsstudie;
Klinische Untersuchung;
Klinische Charakteristika und Prävalenz ähneln
2009 [37]
Patienten mit
keine Verblindung
standardisiertes Inter-
denen aus anderen Kulturkreisen
Level 3b
psychogenen
angegeben
view nach DSM-IV
Bewegungsstörungen
Die psychiatrische Untersuchung ergab Depression (32,6 %), Angststörung (16,3%) und Schizophrenie (4%) als psychische Co-Erkrankungen.
Kommentar: Die Studie zeigt, dass Prävalenz und klinische Charakteristika der psychogenen
Bewegungsstörungen trotz geografischer und kultureller Unterschiede ähnlich sind.
65
4.3.11 Psychogene Bewegungsstörungen im Kindes- und Jugendalter
Prospektive Studien
→ Interventionsstudie Level 3b. Ahmed et al. [1] befassten sich in ihrer Studie aus dem Jahre
2008 mit organischen und psychogenen Bewegungsstörungen bei Kindern (s. Tabelle 4.18, S.
68). Zu diesem Zweck wurden 34 Kinder mit Bewegungsstörungen in einem Zeitraum von 2
Jahren untersucht. Hierbei konnte bei 11 Kindern die Diagnose psychogene Bewegungsstörung in Übereinstimmung mit den Kriterien nach Fahn u. Williams [43] diagnostiziert werden,
wobei 5 die Kriterien für klinisch etablierten und 6 für wahrscheinliche bzw. mögliche psychogene Bewegungsstörungen erfüllten. Mittleres Alter zum Zeitpunkt der Diagnosestellung war
10,5 Jahre. Bei 6 (40%) der Kinder waren Tics das prädominierende Syndrom, während 4
(27%) unter psychogenem Tremor und 1 (6%) Kind unter Myoklonus litt. Nach Angabe der
Autoren verschwanden bei allen Kindern die Symptome, wenn sie allein gelassen wurden und
sich unbeobachtet fühlten. Weitere beobachtete Charakteristika waren Abnahme der Symptomatik im Schlaf und bei Ablenkung sowie variable Expressivität. Die Patienten erhielten
nicht näher bezeichnete Psychotherapie und ein klinisches Follow-up über 1 bis 3 Jahre. Als
Outcome konnte bei allen Patienten mit dokumentierten und einem Patienten mit wahrscheinlichen psychogenen Bewegungsstörungen vollständige Remission erzielt werden. Die
übrigen Patienten zeigten alle deutliche Besserung bezüglich der Symptomatik.
Kommentar: Die Aussagekraft der Ergebnisse bezüglich spezifischer Eigenheiten und Outcome
der psychogenen Bewegungsstörungen bei Kindern wird trotz des prospektiven Charakters
durch die geringe Fallzahl stark gemindert.
Retrospektive Studien
(a) → Symptom-Studie Level 3b. Fernandez-Alvarez [45] untersuchte in seiner Studie aus dem
Jahre 2005 16 Fälle von psychogenen Bewegungsstörungen bei Kindern (< 18 Jahre), die 2,4%
der Kinder mit Bewegungsstörungen in der Klinik ausmachten (s. Tabelle 4.18, S. 68). 13 Fälle
(81%) waren Mädchen, und bis auf einen Fall begannen die Symptome bei allen nach dem 10.
Lebensjahr. Tremor war mit 68% das dominierende Symptom, gefolgt von Myoklonus.
66
Kommentar: Die Studie lag nur auf Spanisch vor; es wurde lediglich das englischsprachige Abstract ausgewertet.
(b) → Symptom-Studie Level 3b. Eine Studie von Ferrara et al. [46] aus dem Jahre 2008 beschäftigte sich mit Häufigkeit, klinischen Charakteristika und Symptomatik von psychogenen
Bewegungsstörungen bei Kindern (s. Tabelle 4.18, S. 68). Hierzu werteten die Autoren die
Krankenakten und Videoaufnahmen von 54 Kindern (< 18 Jahre) in einer neurologischen Klinik
aus, bei denen psychogene Bewegungsstörungen diagnostiziert worden waren. Die Ergebnisse
zeigten, dass der Anteil der Kinder mit psychogenen Bewegungsstörungen 3,1% der insgesamt
gestellten Diagnosen ausmachte. Das mittlere Alter bei Krankheitsbeginn betrug 14,2 Jahre,
und die mittlere Dauer der Symptome während des Evaluationszeitraums betrug 11 Monate.
Mädchen waren generell häufiger betroffen als Jungen (77%), bei Patienten unter 13 Jahren
zeigte sich allerdings keine geschlechtliche Prädominanz. Psychogener Tremor war mit 65%
häufigstes Symptom, gefolgt von Dystonie (43%) und Myoklonus (37%). Meistens war der Beginn plötzlich, anfallartig und durch ein körperliches oder seelisches Trauma ausgelöst. In 52%
der Fälle berichteten die Kinder oder ihre Eltern über komorbide Angststörungen, Depression
oder persistierende Reizbarkeit. 37% (ausschließlich Mädchen) zeigten Merkmale einer perfektionistischen Persönlichkeit, kombiniert mit hohen schulischen und außerschulischen Leistungen. Bei 91% der Kinder bestanden zusätzliche somatische oder neurologische Beschwerden, wie z.B. Kopfschmerzen (48%) oder chronische Müdigkeit (35%). Es zeigte sich weiterhin,
dass das Auftreten von psychogenen Bewegungsstörungen negative Auswirkungen auf die
schulische Entwicklung hatte. Häufiges Fehlen in der Schule war bei 50% der Kinder festzustellen, während zum Zeitpunkt der Untersuchung 24% der Kinder zu Hause unterrichtet werden
mussten, da die Erkrankung keinen Schulbesuch erlaubte. Ein anderer wichtiger Fakt war die
Anzahl von medizinisch nicht notwendigen Interventionen wie Operationen oder medikamentöse Therapie aufgrund von Fehldiagnosen. 12 Kinder hatten zusammengenommen 17 Operationen aufgrund von Symptomen, die mit ihrer psychogenen Erkrankung zusammenhingen.
Kommentar: Die Studie liefert wichtige Daten zur schulischen Entwicklung und Fehlbehandlung von Kindern mit psychogenen Bewegungsstörungen, denen in weiteren Studien nachgegangen werden sollte.
(c) → Symptom-Studie Level 2b. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Schwingenschuh et al.
[131] in ihrer im Jahre 2008 publizierten Studie (s. Tabelle 4.18, S. 68). Sie werteten die Kran67
kenakten von 15 Patienten (< 18 Jahre) mit klinisch dokumentierten oder etablierten psychogenen Bewegungsstörungen nach Fahn u. Williams aus. Mädchen waren häufiger betroffen als
Jungen (80%), und der Beginn der Symptomatik lag im Mittel bei 12,3 Jahren, wobei nur 13%
der Fälle einen Beginn vor dem 10. Lebensjahr zeigten.
Tab. 4.18 Studienübersicht: Psychogene Bewegungsstörungen im Kindes- und Jugendalter
Autoren
Stichprobe und
Design
Methodik
Ergebnisse/Kernaussage
mittleres Alter
Prospektive Studien
Ahmed et
11Kinder mit
Interventionsstudie;
Klinische Untersuchung;
Patienten zeigen Verbesserung der Symptomatik,
al. 2008 [1]
Bewegungsstörun-
Langzeit-Follow-up 1
umfassende Diagnostik;
wenn sie sich unbeobachtet fühlen; psychogene
Level 3b
gen psychogener
bis 3 Jahre; keine
Psychotherapie wäh-
Bewegungsstörungen bei Kindern zeigen Tendenz
Ursache (Ø 10,1
Verblindung angege-
rend Dauer des Follow-
zur Verbesserung oder Remission bei adäquater
Jahre)
ben
up
Psychotherapie oder Suggestion
Retrospektive Studien
Fernandez-
16 Patienten (Ø
Querschnittsstudie;
Krankenakte; Videoana-
81% weiblich; Beginn der Symptome nach dem
Alvarez
12,9 Jahre)
keine Verblindung
lyse
10. Lebensjahr; Tremor häufigstes prädominie-
2005 [45]
angegeben
rendes Syndrom (68%), gefolgt von Myoklonus
Level 3b
Ferrara et
54 Patienten (Ø
Querschnittsstudie;
al. 2008
14,2 Jahre) mit
keine Verblindung
Krankenakte
77% weiblich; Tremor (65%) häufigstes Symptom,
gefolgt von Dystonie und Myoklonus; meistens
[46]
psychogenen
angegeben
plötzlicher, anfallartiger Beginn und auslösendes
Level 3b
Bewegungsstörun-
Ereignis
gen
Schwingen-
15 Patienten (Ø
Kohortenstudie;
schuh et al.
12,3 Jahre) mit
Follow-up Ø 3,1
Krankenakte
und Gangstörungen; meist plötzlicher anfallarti-
2008 [131]
psychogenen
Jahre; keine Verblin-
ger Beginn und auslösendes Ereignis; höchste
Level 2b
Bewegungsstörun-
dung angegeben
Remission unter Therapie bei psychogenem
gen
80% weiblich; Dystonie (47%), gefolgt von Tremor
Tremor, niedrigste bei Dystonie
Bei allen Patienten war der Beginn der Krankheit als abrupt und anfallartig zu beschreiben,
während auslösende Faktoren wie Verletzungen oder einschneidende Lebensereignisse lediglich bei 8 (53%) ermittelt werden konnten. Dystonie war mit 47% die häufigste Bewegungsstörung, es folgten Tremor (40%) und Gangstörungen (13%). 9 Kinder (60%) zeigten multiple Bewegungsstörungen. Die Hälfte der Kinder war von den Bewegungsstörungen derart beeinträchtigt, dass sie nicht die Schule besuchen konnten. Die Zeitspanne vom Beginn der Symp68
tomatik bis zur Diagnose „Psychogene Bewegungsstörung“ betrug im Durchschnitt 9,4 Monate, wobei auf umfangreiche diagnostische Methoden wie bildgebende Verfahren, elektrophysiologische und genetische Tests, Bestimmung von Kupfer und Coeruloplasmin im Plasma etc.
zurückgegriffen wurde. War die Diagnose gestellt, wurden die Kinder mit einer Kombination
von Physiotherapie und Psychotherapie behandelt, lediglich 3 Kinder erhielten Antidepressiva.
Nach einem Follow-up von durchschnittlich 3,1 Jahren zeigten 6 Kinder eine vollständige Remission, 6 eine offensichtliche Verbesserung und 3 Kinder keine Veränderung der Symptomatik. Remission wurde hierbei als Abwesenheit der Symptome (> 1 Jahr) definiert. Es konnte
weiterhin festgestellt werden, dass sich Tremor (in 5 von 6 Fällen) im Vergleich zu Gangstörungen (in 1 von 2 Fällen) und Dystonie (in 0 von 7 Fällen) am häufigsten zurückbildete. Keines
der Kinder unter antidepressiver Medikamententherapie zeigte vollständige Remission. Die
Behandlung war umso erfolgreicher, je weniger Zeit zwischen Beginn der Symptomatik und
Behandlung vergangen war.
Kommentar: Die niedrige Fallzahl schränkt die Aussagekraft der Ergebnisse ein.
4.3.12 Psychogene Bewegungsstörungen und Lebensqualität
Prospektive Studie
→ Symptom-Studie Level 3b. Anderson et al. [4] untersuchten in ihrer Studie aus dem Jahre
2007 den Einfluss von psychogenen Bewegungsstörungen in Hinblick auf den damit einhergehenden Grad der Behinderung, Lebensqualität und Psychopathologie (s. Tabelle 4.19, S. 70).
Dazu verglichen sie 66 Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen nach Fahn u. Williams [43] mit 704 an Parkinsonismus erkrankten Patienten. Als Untersuchungsinstrumente
dienten ein demografischer Fragebogen, die Older Americans Resources and Services Scale
(OARS) [33], der SF-12v2 Health Survey [155] und der Brief Symptom Inventory (BSI-18) [160].
Die OARS ist ein multidimensionaler, 14 Fragen umfassender Fragebogen und erfasst den
Grad der Behinderung im alltäglichen Leben. Die Ergebnisse zeigten, dass die Patienten bezüglich der Behinderung ähnliche Niveaus (p=0,490) angaben. In Bezug auf die Lebensqualität und
Gesundheit, erfasst mit dem SF-12v2 Health Survey, zeigten Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen ähnliche Werte wie die Parkinson-Patienten hinsichtlich der körperlichen
Gesundheit (p=0,652), jedoch signifikant schlechtere bezüglich der psychischen Gesundheit
69
(p<0,001). Bei der Auswertung des BSI-18, einem aus 18 Items bestehenden Fragebogen zur
Bewertung von Depression, Angststörungen und Somatisierungsstörungen, zeigten die Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen signifikant höhere Werte bezüglich Disstress
(p<0,001), Angststörung (p=0,001), Depression (p<0,001) und Somatisierungsstörungen
(p<0,001).
Kommentar: Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen die starke Beeinflussung der Lebensqualität durch psychogene Bewegungsstörungen.
Tab. 4.19 Studienübersicht: Psychogene Bewegungsstörungen und Lebensqualität
Autoren
Stichprobe
Design
Methodik
Ergebnisse/Kernaussage
Prospektive Studien
Anderson
66 Patienten mit
Querschnittsstudie;
OARS; SF-12v2 Health
Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen
et al. 2007
psychogenen
keine Verblindung
Survey; BSI-18
erlebten signifikant stärkere Einschränkungen in
[4]
Bewegungsstörun-
angegeben
Level 3b
gen; 704 Patienten
Disstress, Angststörung, Depression und
mit Parkinsonis-
Somatisierungsstörungen
Bezug auf das geistige Wohlbefinden sowie
mus
4.4 Therapie und Behandlungsansätze bei psychogenen Bewegungsstörungen
4.4.1 Psychogene Bewegungsstörungen und Psychotherapie
Prospektive Studien
→ Interventionsstudie Level 2b. Eine klinische Studie von Hinson et al. [64] aus dem Jahre
2006 beschäftigte sich mit der therapeutischen Wirksamkeit psychotherapeutischer Behandlung von Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen (s. Tabelle 4.20, S. 76). Die Studie
umfasste 10 Patienten mit Bewegungsstörungen, die die Fahn/Williams-Kriterien [43] für psychogene Ursachen erfüllten. Die Diagnose wurde von einem Spezialisten für Bewegungsstörungen gestellt und durch eine Gruppe von 7 weiteren Ärzten nach Videoansicht bestätigt. Die
neuropsychiatrische Testung erfolgte mit der Hamilton Depression Scale (HAM-D) [59], der
Beck Anxiety Scale (BAI) [9], dem Minnesota Multiphasic Personality Inventory-2 (MMPI-2)
[20], dem Global Assessment of Function (GAF) [18] und einem strukturierten klinischen Interview nach DSM-IV-Kriterien [2]. Die Behandlung bestand aus 12 Wochen psychodynamischer
70
Psychotherapie mit einer einstündigen Sitzung pro Woche. Die Behandlung konnte durch Medikamentengabe von Antidepressiva oder Anxiolytika ergänzt werden, wenn dies nach Ermessen des behandelnden Arztes notwendig schien. Die Bewegungsstörung wurde vor und nach
Behandlung gefilmt und von einem verblindeten unabhängigen Untersucher mithilfe der
PMD-Skala (s. auch Hinson et al. [62]; Tabelle 4.3, S. 32) evaluiert. Primäre Zielvariable war die
Veränderung in der PMD-Skala, sekundäre Zielvariable Veränderungen in GAF, HAM-D und
BAI. Alle Patienten stellten sich mit multiplen Bewegungsstörungen vor, wobei psychogener
Tremor (n=8) am häufigsten vorkam, gefolgt von Myoklonus (n=6), Dystonie (n=5), Ruhetremor (n=4), Bradykinesie (n=4), Chorea (n=1), Tics (n=1), Sprachstörungen (n=4) und Gangstörungen (n=4). 8 Patienten litten ebenfalls unter psychiatrischen Co-Erkrankungen, wie z.B.
Depression oder posttraumatischer Stress-Störung. Die Ergebnisse zeigten eine signifikante
Verbesserung (p=0,0195) bezüglich des PMDRS-Scores, dessen Mittelwert nach Behandlung
von 71,2 Punkten (s=42,5, R=26 bis 162) auf 29,0 (SD 20,6, R=0 bis 58) sank. Der Mittelwert
des PMDRS-Function Score sank signifikant (p=0,0142) von 7,4 (s=6,1, R=0 bis 20) auf 2,1
(s=3,3, R=0 bis 20). Auch die Ergebnisse der Hamilton Depression Score (p=0,009), Beck
Anxiety Score (p=0,002) und GAF (p=0,0083) zeigten signifikante Verbesserungen als Folge der
therapeutischen Intervention.
Kommentar: Ein wesentliches Defizit dieser Studie ist die unzureichende Information über
Umfang und Art der begleitenden Psychopharmakotherapie, da ihr Einfluss auf das Behandlungsergebnis nicht auszuschließen ist.
4.4.2 Psychogene Bewegungsstörungen und Hypnose
Prospektive Studien
(a) → Interventionsstudie Level 1b. Moene et al. [101] beschäftigten sich in einer klinischen
Studie 2002 mit dem additiven Effekt von Hypnose bei umfassender Therapie von 45 Patienten mit motorischen Konversionsstörungen nach DSM-III-R (s. Tabelle 4.20, S. 76). Diese erhielten bereits stationär multidisziplinäre Behandlung wie Psychotherapie, Gruppentherapie,
kreative Therapie und Physiotherapie. Weiterhin wurde der Frage nachgegangen, ob das Maß
der Hypnotisierbarkeit des Patienten einen prädiktiven Wert für das Behandlungsergebnis
darstellt und wie effizient das multidisziplinäre Therapieprogramm insgesamt ist. Die Patien71
ten wurden randomisiert einer Hypnose- und einer Kontrollgruppe zugeteilt. Die zusätzliche
Hypnosetherapie bestand aus 8 wöchentlichen Sitzungen à 1 Stunde. Die Therapeuten folgten
einem Manual, das die zu verwendenden Hypnosetechniken und -strategien vorgab [100a].
Messinstrumente zur Exploration der primären Zielvariable waren die Video Rating Scale for
Motor Conversion Symptoms (VRMC) [101], die Symptom Check List (SCL-90) [5], und die
„disability code items“ der International Classification of Impairments, Disabilities and Handicaps (ICIDH) [71]. Die Hypnotisierbarkeit des Patienten wurde mit der Stanford Hypnotic Clinical Scale (SHCS) [110] bestimmt. Die Studie konnte keinen signifikanten additiven Effekt von
Hypnose auf das Behandlungsergebnis nachweisen. Ebenfalls keine signifikante Korrelation
gab es bei der Hypnotisierbarkeit des Patienten in Bezug zum Ergebnis der Behandlung. In
Übereinstimmung mit dem VRMC konnte jedoch bei 65,1% aller Patienten eine deutliche Verbesserung nach Beendigung der multidisziplinären Therapie festgestellt werden, bei der Follow-up-Untersuchung nach 6 Monaten waren es sogar 83,7%.
Kommentar: Auch wenn kein additiver Effekt von Hypnose nachgewiesen werden konnte,
zeigte sich zumindest die Effektivität eines multidisziplinären Therapieansatzes.
(b) → Interventionsstudie Level 1b. In einer im Jahre 2003 publizierten Studie von Moene et al.
[102] befassten sich die Autoren mit dem therapeutischen Ansatz der Hypnose bei Patienten
mit motorischen Konversionsstörungen (s. Tabelle 4.20, S. 76). Insgesamt wurden 49 Patienten in die Studie mit einbezogen, bei denen eine motorische Konversionsstörung oder eine
Somatisierungsstörung mit motorischen Störungen nach DSM-III-R-Kriterien diagnostiziert
wurde. Die Patienten wurden randomisiert einer Hypnosegruppe oder einer Kontrollgruppe
(Warteliste) zugeteilt. Die therapeutische Intervention bestand aus 10 wöchentlichen Sitzungen à 1 Stunde und wurde von erfahrenen Therapeuten mithilfe eines Manuals durchgeführt
[100a]. Zwei unterschiedliche Hypnosestrategien zielten auf Symptomminderung („direct
symptom alleviation“) und emotionale Einsicht bzw. emotionalen Ausdruck („emotional expression/insight“) ab. Während der Sitzungen wurden die Patienten ebenfalls zum Erlernen
von Selbsthypnose angeleitet. Die Untersuchungen wurden 3 bis 5 Tage vor und 3 bis 5 Tage
nach Ende der Behandlung durchgeführt. Als Messinstrument diente die Video Rating Scale
for Motor Conversion Symptoms (VRMC) [102]. Sie bewertet die Verbesserung der Symptomatik auf einer Punkteskala von 1 bis 7 (< 4 Punkte = keine Verbesserung; > 4 Punkte = Verbesserung). Weitere Messinstrumente waren die International Classification of Impairments, Disa72
bilities and Handicaps (ICIDH) [71], die Symptom Check List (SCL-90) [5] und die Stanford Hypnotic Clinical Scale for Adults (SHCS) [110]. Zudem wurden die Patienten gebeten, ihre Erwartungen an die Behandlung auf einer 10-Punkte-Skala (nach Moene et al.) zu bewerten. Ein
klinisches Follow-up wurde nach 6 Monaten nur bei Patienten der Hypnosegruppe durchgeführt. Die Ergebnisse zeigten signifikante Effekte der hypnosebasierten Behandlung in Bezug
auf Verbesserung der Symptomatik und Einschränkung der Lebensqualität. So lag der durchschnittliche Punktwert der VRMC-Skala bei 5,9 (s=1,3) in der Hypnosegruppe und 3,8 (s=1,4) in
der Kontrollgruppe (p=0,01; t(41)=5,065). Die Auswertung des strukturierten ICIDH-Interviews
zeigte ebenfalls eine signifikante Verbesserung hinsichtlich der gefühlten Einschränkung des
Patienten bei körperlichen, alltäglichen und sozialen Betätigungen. Die Evidenz zeigt sich hier
in der Verbesserung der Hypnosegruppe und der Kontrollgrupe (t(23)=1,074, p=0,29) im Vergleich zu den Baseline-Werten (t(19)=3,63, p< 0,1). Die Effektgröße der Hypnotisierbarkeit als
Prädiktor des Behandlungsergebnisses der beiden Gruppen war nicht signifikant (p=0,88);
Hypnotisierbarkeit war jedoch ein besserer Prädiktor als die Erwartung der Patienten an die
Behandlung.
Kommentar: Die Studie liefert viel versprechende Ergebnisse bezüglich des therapeutischen
Effekts von Hypnose. Die Schwächen der Studie liegen in der relativ kleinen Fallzahl sowie der
Tatsache, dass die Untersucher zur Diagnose nach DSM-III, Achse I, kein strukturiertes Interview verwendeten. Die Studie gibt insgesamt einen guten Überblick zum Einsatz von Hypnose
als therapeutischem Mittel.
4.4.3 Psychogene Bewegungsstörungen und Biofeedback
Prospektive Studien
→ Therapie-Studie Level 4. Levy et al. [92] untersuchten in ihrer Studie aus dem Jahre 2006
die Effektivität von Biofeedback bei der Therapie von psychogenen Bewegungsstörungen vor
dem Hintergrund, dass die Patienten häufig Anomalien in den betroffenen Muskelgruppen
zeigen, die in manchen Fällen als Auslöser für eine Verschlimmerung der Symptomatik infrage
kommen könnten (s. Tabelle 4.20, S. 76). 15 Patienten mit Tremor (n=3), Dystonie (n=6), Stereotypie (n=2), Myoklonus (n=3) und stereotyper Vokalisation (n=1) wurden behandelt. 10
Patienten erhielten eine Kombination aus Biofeedback und pharmakologischer Behandlung,
73
während ein Patient lediglich Biofeedback durchführte. Das Behandlungsergebnis wurde mittels einer Global Clinical Improvement Scale der Autoren bestimmt, die die Verbesserung der
Symptome auf einer Skala von 0 bis 4 angibt (0 = keine Verbesserung, 4 = vollständige Remission der Symptome). Es zeigte sich eine Verbesserung der Symptomatik bei 60% der Patienten
(n=9), während 20% (n=3) keine Verbesserung zeigten und 3 Patienten die Studie nicht beendeten.
Kommentar: Ein Drop-out von 20% bei kleiner Fallzahl mindert die Aussagekraft der Ergebnisse. Diese Studie wurde lediglich als Abstract publiziert.
4.4.4 Psychogene Bewegungsstörungen und Pharmakotherapie
Prospektive Studien
→ Therapie-Studie Level 2b. Die Evaluierung des Behandlungsergebnisses von Patienten mit
psychogenen Bewegungsstörungen mit antidepressiv wirkenden Medikamenten war Zweck
der Studie von Voon et al. [154] aus dem Jahre 2005 (s. Tabelle 4.20, S. 76). Hierzu wurden 15
Patienten, die die Fahn/Williams-Kriterien [43] für psychogene Bewegungsstörungen erfüllten,
initial mit Citalopram (10 mg/d) oder Paroxetin (10 mg/d) behandelt, wobei die Dosis, soweit
nötig, auf 40 mg/d angehoben werden konnte. Patienten, die nach 4 Wochen Medikamenteneinnahme kein Ansprechen auf die Therapie zeigten, wurden auf Venlaxafin umgestellt, das
initial in einer Dosis von 37,5 mg/d verabreicht wurde, die bei Bedarf auf bis zu 300 mg/d erhöht werden konnte. 3 Patienten erhielten zusätzlich Psychotherapie und ein Patient Familientherapie. Die Untersuchungen wurden zu Beginn und im Durchschnitt 3,1 Monate nach
der Behandlung durchgeführt. Die ursprünglich 23 Patienten wurden in eine Behandlungsgruppe (n=15) und Nichtbehandlungsgruppe unterteilt, da 8 Patienten aus verschiedenen
Gründen (zu große Entfernung zum Behandler, Ablehnen von medikamentöser oder psychotherapeutischer Behandlung) nicht an der medikamentösen Therapie teilnehmen konnten.
Die psychiatrischen Diagnosen basierten auf DSM-IV-Kriterien und wurden in einem offenen
und einem semistrukturierten Interview anhand des Mini-International Neuropsychiatric Interview (MINI) [134] gestellt. Depression wurde mithilfe der Montgomery-Asberg Depression
Rating Scale (MADRS) [28] untersucht, während das Vorliegen möglicher Angststörungen mit
dem Beck Anxiety Inventory (BAI) [9] erfasst wurde. Weiterhin wurden die Global Impressions
74
Severity of Illness-Scale (CGI-S) [55] und Change-Scale (CGI-C) [55] verwendet, um eine Veränderung der motorischen Einschränkungen und des allgemeinen Wohlbefindens zu bewerten.
Die Krankheitsprofile der Patienten umfassten Ruhe-, posturalen und Aktionstremor (n=12),
Dystonie (n=3), Gangstörungen (n=2), Tics (n=1), Myoklonus (n=1), Tremor und Gangstörungen (n=2), Tremor und Dystonie sowie Tremor und Myoklonus (n=1). Die Ergebnisse zeigten
keine signifikanten Unterschiede bezüglich der Krankheitsprofile zwischen der behandelten
und der nichtbehandelten Gruppe. Unter den medikamentös behandelten Patienten verbesserten sich die Werte der MADRS signifikant zu den Baseline-Werten (p<0,01). Es konnten
zwei Subgruppen identifiziert werden. Die eine bestand aus 10 Patienten mit motorischen
Konversionsstörungen,
die
andere
aus
5
Patienten
mit
Hypochondrie
oder
Somatisierungsstörung. In der erstgenannten Gruppe zeigten 7 Patienten komplette Remission der Symptome, während sich in der zweiten Gruppe bei keinem Patienten Besserung zeigte.
Kommentar: Die Studie hat methodische Schwächen wie kleine Fallzahl, nicht verblindete Untersucher und einen möglichen verzerrenden Effekt durch die unterstützenden Therapiemaßnahmen (Psychotherapie, Familientherapie) bei insgesamt 4 Patienten, da nicht sicher bestimmt werden kann, inwieweit sie das Behandlungsergebnis beeinflussen.
4.4.5 Multimodale therapeutische Ansätze
Prospektive Studien
→ Interventionsstudie Level 2b. Mit der Entwicklung eines Behandlungsprotokolls für Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen unter Berücksichtigung zugrunde liegender psychiatrischer Erkrankungen befasste sich eine Studie von Thomas et al. [146] aus dem Jahre
2006 (s. Tabelle 4.20, S. 76). 21 Patienten mit klinisch diagnostizierten psychogenen Bewegungsstörungen verschiedener Art wurden von einem Psychiater auf mögliche psychische CoErkrankungen untersucht und anschließend mit verschiedenen Therapieformen behandelt.
Die Behandlungsmethoden variierten von Pharmakotherapie (90,4%) über unterstützende
Psychotherapie (47,6%) und Biofeedbacktherapie (19%) bis hin zu Hypnose und systematischer Desensibilisierung (4,8%). Ein monatliches Follow-up von durchschnittlich 10,5 Monaten wurde durchgeführt und der Behandlungsfortschritt des Patienten bewertet. Bei 19 der 21
75
Patienten (90,4%) konnten psychische Erkrankungen festgestellt werden, wobei 7 (33%) unter
einer nicht näher bezeichneten Angststörung, 4 (19%) unter einer generalisierten Angststörung, 4 (19%) unter einer depressiven Episode („major depression“) und 4 (19%) unter einer
nicht näher bezeichneten Depression litten. Bei jeweils 2 (9,5%) Patienten konnte eine posttraumatische Belastungsstörung, Polysubstanzabusus, Dysthymie und Schmerzstörung festgestellt werden. Weitere Diagnosen waren kognitive Störungen (14,3%) und Panikstörung
Tab. 4.20 Studienübersicht: Therapeutische Interventionen bei psychogenen Bewegungsstörungen
Autoren
Interventions-
Design
gruppe/Kon-
Art/Dosis der Inter-
Zielvariable/
vention
Instrumente
Ergebnisse/Kernaussage
trollgruppe
Moene et
45 Patienten mit
Kontrollierte
Multidisziplinäres
VRMC; ICIDH;
Signifikante Verbesserung der
al. 2002
motorischen
randomisierte
Therapieprogramm
ICIDHP; SCHS;
Lebensqualität von Hypnosegrup-
[101]
Konversionsstö-
klinische Studie;
und 8 wöchentliche
SCL-90
pe im Vergleich zur Kontrollgrup-
Level 1b
rungen; Hypnose-
Auswerter und
Sitzungen Hypnose à 1
pe (VRMC [p= 0,01]); signifikante
gruppe (n=23) und
Probanden
Stunde
Verbesserung bei körperlichen,
Kontrollgruppe
verblindet;
sozialen und alltäglichen Tätigkei-
(n=22)
Follow-up nach
ten im Vergleich zu Baseline-
8 Monaten
Werten (ICIDH [p<0,1])
Moene et
49 Patienten mit
Kontrollierte
10 wöchentliche
VRMC; ICIDH;
Kein signifikanter additiver Effekt
al. 2003
motorischen
randomisierte
Sitzungen Hypnose à 1
SCL-90; SCHS
von Hypnose auf das Behand-
[102]
Konversionsstö-
klinische Studie;
Stunde
Level 1b
rungen; Hypnose-
Auswerter und
gruppe (n=25) und
Probanden
Kontrollgruppe
verblindet;
(n=24)
Follow-up nach
lungsergebnis
6 Monaten
Levy et al.
15 Patienten mit
Interventionsstu
Biofeedback und
Global Clinical
60% der Patienten berichten über
2006 [92]
verschiedenen
die;
Pharmakotherapie
Improvement
eine Verbesserung der Sympto-
Level 4
psychogenen
Follow-up Ø
(n=10); Biofeedback
Scale
matik
Bewegungsstörun-
10,5 Monate
(n=1)
gen; keine Kontrollgruppe
76
Voon et al.
23 Patienten mit
Interventions-
Citalopram oder
MADRS; MINI;
Die Behandlungsgruppe zeigte
2005 [154]
psychogenen
studie; keine
Paroxetin (10 mg/d;
BAI; CGI-S; CGI-C
signifkant verbesserte Werte bei
Level 2b
Bewegungsstörun-
Verblindung
bei Bedarf bis 40
der MADRS im Vergleich zu den
gen; Behandlungs-
angegeben;
mg/d); bei Nichtan-
Baseline-Werten (p<0,001);
gruppe (n=15),
Follow-up für Ø
sprechen nach 4
Remission bei 7 von 10 Patienten
Nichtbehand-
3,1 Monate)
Wochen Umstellung
mit Konversionsstörungen moto-
auf Venlaxafin
rischer Art und keine Remission
(37,5–300 mg/d);
bei 5 Patienten mit
unterstützende Psy-
Somatisierungsstörung oder
chotherapie
Hypochondrie
lungsgruppe (n=8)
Thomas et
21 Patienten mit
Interventions-
Kombination verschie-
Improvement-
57% der Patienten zeigten Ver-
al. 2006
psychogenen
studie; monatli-
dener Behandlungsan-
Skala; Bewertung
besserung der Symptomatik,
[146]
Bewegungsstörun-
ches Follow-up
sätze, darunter Thera-
durch Patienten
23,8% keine Veränderung und
Level 2b
gen und psychi-
10,5 Monate;
pie mit Psychophar-
und Untersucher
4,8% Verschlechterung
schen Co-
keine Verblin-
maka, Psychotherapie,
Erkrankungen;
dung angege-
Biofeedback und
keine Kontroll-
ben
Hypnose
gruppe
Hinson et
10 Patienten mit
Interventions-
Psychodynamische
PMD-Scale;
Alle Tests zeigten signifikante
al. 2006
psychogenen
studie, Follow-
Psychotherapie für 12
HAM-D; BAI;
Verbesserung nach therapeuti-
[64]
Bewegungsstörun-
up 12 Wochen;
Wochen, 1 h/W;
MMPI-2; GAF;
scher Intervention
Level 2b
gen; keine Kont-
Auswerter
Therapie mit
strukturiertes
rollgruppe
verblindet;
Anxiolytika/Anti-
Interview nach
depressiva nach Er-
DSM-IV
messen des Therapeuten
(4,8%). Nach Abschluss der Behandlung konnte bei 57,14% der Patienten eine Verbesserung,
bei 23,8% keine Veränderung und bei 4,8% eine Verschlechterung der Symptomatik festgestellt werden. 14,3% der Patienten beendeten die Studie nicht.
Kommentar: Aufgrund seiner Multimodalität innovativer und seinen Ergebnissen viel versprechender Ansatz, der Studien mit größerer Fallzahl rechtfertigt. Die Studie wurde lediglich als
Abstract publiziert.
77
4.4.6 Qualität der medizinischen Versorgung
Prospektive Studien
→ Prävalenz-Studie Level 1b. Mit der Qualität der ärztlichen Versorgung von Patienten mit
medizinisch nicht erklärbaren motorischen Störungen setzten sich Crimlisk et al. [24] 2000
auseinander (s. Tabelle 4.21, S. 78). Sie untersuchten Gründe und Verfahren, nach denen die
Patienten nach ihrer Aufnahme in einem neurologischen Krankenhaus (National Hospital for
Neurology and Neurosurgery) untersucht und überwiesen wurden. Hierzu wurden die 64 Patienten 6 Jahre nach Erstaufnahme interviewt. Nach den Ergebnissen wurden 75% der Patienten von Psychiatern untersucht, und in 60% wurde von diesen eine psychiatrische Behandlung
begonnen. Im Anschluss an die Entlassung aus dem Krankenhaus wurden 51% der Patienten
zu einem Neurologen überwiesen, während die Quote an Neuüberweisungen zu einem Psychiater bei lediglich 8% lag. Viele Patienten (61%) wechselten ihren Hausarzt während der
Follow-up-Periode, von denen 50% innerhalb von 6 Monaten schon wieder erneut zu einem
anderen Facharzt überwiesen wurden. Lediglich 5% der Patienten glaubten nach 6 Jahren,
dass psychologische Faktoren Ursache der Erkrankung wären, 22% glaubten an eine „Teilschuld“ psychologischer Faktoren, während 73% ihnen keinerlei Relevanz beimaßen.
Kommentar: Die Studie weist auf die bestehende Problematik bei der adäquaten ärztlichen
Versorgung von Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen hin.
Tab. 4.21 Studienübersicht: Qualität der medizinischen Versorgung
Autoren
Stichprobe
Design
Methodik
Ergebnisse/Kernaussage
Interview
Subsequente psychiatrische Behandlung war
Prospektive Studien
Crimlisk et
64 Patienten mit
Kohortenstudie;
al. 2000
medizinisch nicht
Follow-up nach 6
selten, und es gab eine hohe Quote an vermeid-
[24]
erklärbaren moto-
Jahren; keine Ver-
baren Rücküberweisungen
Level 1b
rischen Störungen
blindung angegeben
78
4.5 Outcome/Prognose der psychogenen Bewegungsstörungen
4.5.1 Psychogener Tremor
Retrospektive Studien
(a) → Prognose-Studie Level 4. Im Rahmen einer Studie von Thomas et al. [145] von 2006
wurden von Jankovic et al. [69] zusätzlich das Outcome von Patienten mit psychogenem Tremor untersucht (s. Tabelle 4.22, S. 80). Insgesamt wurde bei 127 Patienten psychogener Tremor nach den Fahn/Williams-Kriterien [43] beobachtet, wovon 64,4% unter einem klinisch
etablierten, 18,1% einem wahrscheinlichen, 11,8% einem dokumentierten und 5,5% einem
möglichen psychogenen Tremor litten. Bezüglich des Outcome konnte gezeigt werden, dass
Unzufriedenheit mit dem behandelnden Arzt (p=0,03), schlechte körperliche Verfassung
(p=0,07), langes Andauern der Symptomatik (p=0,06) und Nikotinabusus (p=0,07) mit einer
ungünstigen Prognose einhergingen, während Wahrnehmung von effektiver medizinischer
Behandlung (p=0,0001), die Gegenwart von Angst (p=0,007), die Beseitigung von Stressoren
(p=0,01), Compliance (p=0,01) und spezifische medikamentöse Therapie (p=0,03) Faktoren für
eine günstige Prognose waren.
Kommentar: Die Studie formuliert wichtige determinierende Faktoren zum Outcome von psychogenem Tremor. Retrospektivität und hohes LFU sind limitierende Faktoren.
(b) → Prognose-Studie Level 4. Mit der Langzeitprognose des psychogenen Tremors beschäftigte sich auch eine Studie von McKeon et al. [97] aus dem Jahre 2008 (s. Tabelle 4.22, S. 80).
Sie schloss 33 Patienten ein, bei denen die Diagnose im Zeitraum von 2003 bis 2004 klinisch
gestellt und elektrophysiologisch mittels EMG bestätigt worden war. Die Patienten wurden
2007 gebeten, einen Follow-up-Fragebogen auszufüllen, der Auftreten und Dauer, anatomische Lokalisation, Einflussnahme auf das tägliche Leben und Verbesserung bzw. Verschlechterung des psychogenen Tremors erfasste. Nach einem Follow-up von durchschnittlich 5,1 Jahren bewerteten 64% der Patienten ihren Tremor als moderat oder stark ausgeprägt, bei 15%
hatte eine spontane Verbesserung stattgefunden, während sich bei 12% eine Verbesserung
nach spezifischer medizinischer Intervention ergeben hatte. 9% gaben milde, aber unveränderte Symptomatik an
79
Tab. 4.22 Studienübersicht: Outcome/Prognose des psychogenen Tremors
Autoren
Stichprobe
Design
Methodik
Ergebnisse/Kernaussage
Telefonisches Interview
Signifikante Faktoren für positives Outcome sind
Retrospektive Studien
Jankovic et
127 Patienten mit
Kohortenstudie (3,2
al. 2006
psychogenem
Jahre); LFU 63,9%;
Zufriedenheit mir der Behandlung, Vorhanden-
[69]
Tremor
keine Verblindung
sein von Angst, Ausschalten von Stressoren,
angegeben
Compliance, spezifische Medikation; signifikante
Level 4
Faktoren für negatives Outcome sind Unzufriedenheit mit behandelndem Arzt, schlechter
körperlicher Zustand, lange Dauer der Symptomatik, Nikotinabusus
McKeon et
33 Patienten mit
Kohortenstudie;
Fragebogen
Verbesserung der Symptomatik bei 27%; mittlere
al. 2008
psychogenem
Follow-up Ø 5,1
Dauer der Symptomatik bei Patienten mit initial
[97]
Tremor
Jahre; LFU 47%
schwach ausgeprägtem Tremor signifikant kürzer
Level 4
Die mittlere Dauer der Symptomatik vor der Diagnosestellung des psychogenen Tremors war
für Patienten mit schwach ausgeprägtem Tremor signifikant kürzer (p=0,0037).
Kommentar: Die Fallzahl ist relativ gering und das LFU mit 47% hoch.
4.5.2 Psychogene Dystonie
Prospektive Studien
→ Prognose-Studie Level 1b. In der Studie von Ibrahim et al. [65] aus dem Jahre 2009 wurde
das Outcome von 41 Patienten mit „fixed dystonia“ untersucht, die sowohl psychogene als
auch CRPS-Dystonie einschließt (s. Tabelle 4.23, S. 81). Untersuchungsinstrumente waren die
Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS-A bzw. HADS-D) [59], ein Fragebogen zur Diagnose von begleitender Depression oder Angststörung und der Somatisation Dissociation
Questionnaire (SDQ-20) [114], der den Grad von bestehender somatoformer Dissoziation bestimmt. Des Weiteren verwendeten die Autoren die Dissociative Experience Scale (DES II) [12]
zur Ermittlung von dissoziativen Erlebnissen und den EQ-5D [39]) zur Bestimmung der Auswirkung auf den allgemeinen Gesundheitsstatus des Patienten. Die Patienten wurden nach einer
durchschnittlichen Follow-up-Zeit von 7,6 Jahren untersucht. Den Ergebnissen nach fand bei
31% der Patienten eine Verschlechterung, bei 46% keine Veränderung und bei 23% eine Ver80
besserung der Symptomatik statt. 41% hatten Punktwerte, die für eine Angststörung sprachen, bei 18% ließ sich eine Depression feststellen.
Tab. 4.23 Studienübersicht: Outcome/Prognose der psychogenen Dystonie
Autoren
Stichprobe
Design
Methodik
Ergebnisse/Kernaussage
Retrospektive Studien
Ibrahim et
41 Patienten mit
Prospektive Kohor-
Fragebogen (HADS-A;
Insgesamt schlechtes Outcome bei lediglich 23%
al. 2009
„fixed dystonia“
tenstudie; Follow-up
HADS-D; SDQ-20; DES II;
Verbesserung, davon nur 6% mit vollständiger
[65]
nach Ø 7,6 Jahren;
EQ-5D); telefonisches
Remission; 46% zeigten keine Verbesserung und
Level 1b
keine Verblindung
Follow-up
31% Verschlechterung
angegeben
In Bezug auf dissoziative/somatoforme Störungen erreichten 19% die erforderlichen Punktwerte auf der DES II und 19% beim SDQ-20. Ein Vergleich zwischen den drei verschiedenen
Outcome-Gruppen zeigte lediglich beim EQ-5D signifikante Unterschiede (p=0,003 für „verschlechtert“ gegenüber „unverändert“ oder „verbessert“ nach Follow-up Periode).
Kommentar: Die Studie bestätigt die schlechten prognostischen Aussichten für Patienten mit
psychogener Dystonie.
4.5.3 Psychogene Bewegungsstörungen allgemein
Prospektive Studien
→ Prognose-Studie Level 4. Feinstein et al. [44] beschäftigten sich in ihrer Follow-up-Studie
aus dem Jahre 2001 mit dem Outcome von Patienten mit gesicherter Diagnose einer hyperkinetischen psychogenen Bewegungsstörung (s. Tabelle 4.24, S. 82). Die insgesamt 88 Patienten
erfüllten die Kriterien nach Fahn u. Williams [43] für eine oder mehrere klinisch dokumentierte oder etablierte psychogene Bewegungsstörungen. An der Follow-up-Untersuchung nahmen
lediglich 42 Patienten teil, sie erfolgte im Durchschnitt nach einem Zeitraum von 3,2 Jahren
und wurde persönlich oder per Telefongespräch durchgeführt. Die neuropsychiatrische Testung umfasste das Clinical Interview for Axis I (SCID-I) [48] und Axis II (SCID-II) [49] nach DSMIV-Kriterien, wobei SCID-I zur Diagnose von psychischen Erkrankungen („mental illness“) und
SCID-II zur Erfassung von Persönlichkeitsstörungen dient. Die Patienten wurden weiterhin gebeten, den General Health Questionnaire (GHQ) [51] auszufüllen, ein 28 Items umfassender
81
Fragebogen, der 4 Subskalen mit jeweils 7 Fragen aufweist, die Angst, Depression, somatische
Beschwerden und soziale Störungen bewerten. Die Punkt- und Lebenszeitprävalenzen für
Achse-I-Diagnosen waren: „Major Depression“ (19,1 und 42,9%), Angststörungen (38,2 und
61,9%) sowie koexistierende Depression und Angststörung (11,9 und 28,6%). Die Ergebnisse
zeigten, dass lediglich 4 (9,5%) Patienten über eine vollständige Remission der Symptomatik
berichteten, während 14 (33,3%) die Symptome als verbessert, 10 (23,8%) als stabil und 14
(33,3%) als verschlechtert empfanden. Es zeigte sich sowohl eine signifikante Korrelation zwischen vorangegangener Dauer der Symptomatik und ihrem Verlauf bei erstmaliger Vorstellung in der Klinik (r=0,38; p=0,01) als auch im Verlauf der Follow-up-Untersuchung (r=0,45;
p=0,03), d.h., je länger die Symptome bereits andauerten, umso schlechter war das Outcome.
Ebenfalls signifikant war die Korrelation zwischen Art des Beginns und Verlauf der Symptomatik, was bedeutet, je plötzlicher der Beginn, desto besser war der Verlauf. Schließlich zeigten
die Abwesenheit psychiatrischer Co-Erkrankungen und der Verlauf der Symptomatik eine signifikante Korrelation (r=0,4; p=0,008). Kein Zusammenhang konnte dagegen bei Vorhandensein einer Persönlichkeitsstörung und Verlauf der Symptomatik nachgewiesen werden.
Kommentar: Vor allem die hohe Lebenszeit- und Punktprävalenz psychischer Erkrankungen
sowie der hohe Anteil an psychischen Co-Erkrankungen bei psychogenen Bewegungsstörungen fallen auf.
Tab. 4.24 Studienübersicht: Psychogene Bewegungsstörungen allgemein
Autoren
Stichprobe
Design
Methodik
Ergebnisse/Kernaussage
Prospektive Studien
Feinstein et
88 Patienten mit
Kohortenstudie;
SCID-I; SCID-II; Health
Schlechtes Outcome assoziiert mit lange andau-
al. 2001
psychogenen
Follow-up-
Questionnaire
ernder Symptomatik, schleichendem Beginn der
[44]
Bewegungsstörun-
Untersuchung nach Ø
Symptomatik und psychiatrischer Co-Erkrankung
Level 4
gen
3,2 Jahren; LFU
nach Achse-I-Diagnose (DSM)
47,5%; keine Verblindung angegeben
Retrospektive Studien
Thomas et
228 Patienten mit
Kohortenstudie;
Telefonisches Interview
Gutes Outcome assoziiert mit gutem körperli-
al. 2006
psychogenen
Follow-up-
mit „Emotional Index“
chem Zustand, positiver sozialer Selbstwahrneh-
[145]
Bewegungsstörun-
Untersuchung Ø 3,4
des McMaster’s Health
mung, Wahrnehmung von effektiver medizini-
Level 4
gen
Jahre; LFU 48%;
Index Questionnaire
scher Behandlung, Beseitigung von Stressoren
keine Verblindung
angegeben
82
Retrospektive Studien
→ Prognose-Studie Level 4. Im Vergleich zu Feinstein et al. [44] kommen Thomas et al. [145] in
ihrer 2006 publizierten Studie zu unterschiedlichen Ergebnissen bezüglich der Langzeitprognose von Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen (s. Tabelle 4.24, S. 82). Die 228 Patienten umfassende telefonische Befragung schloss 136 (59,6%) Patienten ein, die die
Fahn/Williams-Kriterien für klinisch etablierten, 44 (19,3%) für wahrscheinliche, 32 (14%) für
klinisch dokumentierte und 16 (7%) für mögliche psychogene Bewegungsstörungen erfüllten.
Bei 122 Patienten konnte ein komplettes Follow-up durchgeführt werden. Von diesen berichteten 69 (56,6%) über eine Verbesserung der Symptomatik, 27 (22,1%) klagten über eine Verschlechterung und 26 (21,3%) konnten keine Veränderung feststellen. Der Anteil der Patienten mit positivem Outcome zu denen mit negativem Outcome oder keiner Veränderung der
Symptomatik war signifikant größer (p<0,0001). Erhaltene ärztliche Behandlung war ebenso
mit einem positiven Outcome assoziiert (p<0,0001) wie eine kürzere Zeitspanne seit Erkrankungsbeginn (p<0,012). Auch gute gesundheitliche Verfassung und gesunde Lebensführung
korrelierten mit verbessertem Outcome (p<0,018).
Kommentar: Von 228 Patienten, die in die Studie eingeschlossen waren, nahmen lediglich 122
am telefonischen Interview teil. Trotz der hohen LFU-Quote eine wichtige Studie zum Outcome von Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen, da die Fallzahl im Vergleich zu ähnlichen Studien [45, 103] relativ hoch ist.
83
5 Diskussion
5.1 Inhalt und Methodik
Ziel der Diskussion ist eine zusammenfassende Betrachtung des Themenkomplexes psychogene Bewegungsstörungen auf Basis der Auswertungsergebnisse (Kapitel 4) der ausgewählten
Studien. Es werden neue Ansätze, Erkenntnisse und Fortschritte in den Bereichen Epidemiologie, Pathophysiologie, Diagnostik, Therapie und Outcome/Prognose unter kritischer Reflexion
des aktuellen Forschungsstandes erörtert. Die wichtigsten Störungsbilder werden analog zu
Kapitel 5 jeweils noch einmal gesondert hervorgehoben und behandelt, wobei die betreffenden Studienergebnisse hier kontextbezogen aufgegriffen, analysiert und wertend diskutiert
werden.
5.2 Definition und Klassifikation
Das Phänomen Bewegungsstörungen nicht bekannter Ursache ist in der medizinischen Forschung und Praxis bereits auf Mitte des 19. Jahrhunderts zu datieren. Der französische Neurologe Jean-Martin Charcot (1825–1893) nahm sich des Problems körperlicher Probleme ohne
definierbare organische Ursache an und fasste sie unter dem diagnostischen Oberbegriff „Hysterie“ (von griech. ὑστἐρα [hystera]= Gebärmutter, verwandt mit lat. uterus) zusammen. Der
Anteil der Patienten mit Hysterie in seiner Klinik im „Hôpital Salpêtrière“ in Paris lag etwa bei
bei 5–10% [27, 60] und Charcot behandelte die Patienten mit Hypnose und Suggestion, wobei
er beachtliche Erfolge hinsichtlich der Remission der Symptomatik erzielen konnte [88]. Der
Begriff Hysterie wurde auch von Sigmund Freud (1856–1939), einem Schüler Charcots, aufgegriffen und in seinem psychoanalytischen Konzept verarbeitet. So blieb er lange geläufig, wurde in der neueren Forschung aber nicht zuletzt wegen seiner geschlechterbezogenen Konnotation („Frauenkrankheit“) durch die ICD-10-Diagnose „Dissoziative Störung [Konversionsstörung]“ (F44) bzw. „Histrionische Persönlichkeitsstörung“ (F60.4) ersetzt.
In Anbetracht des heutigen Forschungsstandes ist es jedoch nicht möglich, den Komplex der
psychogenen Bewegungsstörungen definierten psychiatrischen Diagnosen wie somatoformen,
dissoziativen oder anderen psychischen Erkrankungen eindeutig zuzuordnen, sondern vielmehr muss die Vielfalt der Symptomatik und der zugrunde liegenden psychischen Prozesse bei
84
jedem einzelnen Patienten berücksichtigt werden. Zur Bezeichnung einer psychogenen Bewegungsstörung etablierten sich im Laufe der Jahre verschiedene Synonyme für psychogene Störungen, die zu einer uneinheitlichen Terminologie in der Literatur geführt haben. Hysterische
Störung, funktionelle Störung, Konversionsstörung, „nichtorganische Erkrankungen“ oder
„medizinisch nicht erklärbare Symptome“ sind alles Begriffe, die ausdrücken, dass keine organische Ursache für die Symptome des Patienten ausgemacht werden kann und diese somit die
wahrscheinliche Folge einer zugrunde liegenden psychiatrischen Erkrankung sind [24, 133].
Der Begriff „psychogen“, der sich in der neueren Literatur weitgehend durchgesetzt hat, bedeutet: „aus seelischen, geistigen oder emotionalen Prozessen entstehend; eher einen psychologischen als einen physiologischen Ursprung habend“ [93].
Da keine allgemein gültige Definition der psychogenen Bewegungsstörungen vorliegt, sind in
der Literatur zum Thema viele verschiedene Beschreibungen zu finden. Thomas u. Jankovic
[144] sprechen z.B. von „hyper- oder hypokinetischen Bewegungsstörungen, deren Ursache
nicht in einer Läsion oder Dysfunktion des nervösen Systems zu finden ist und die in den meisten Fällen psychologische oder psychiatrische Ursachen aufweisen“. Nach Williams et al. [159]
handelt es sich um „Bewegungsstörungen, die nicht vollständig durch eine organische Ursache
zu erklären sind und deren Entstehung signifikante psychologische oder psychiatrische Faktoren zugrunde liegen“. In Studien und Fachliteratur wird eine vielfältige Anzahl von Bewegungsstörungen psychogenen Ursprungs beschrieben, deren Symptome sich im Verlauf der
Krankheit oft verändern und deren Expressivität variabel ist. Sie schließen Tremor, Parkinsonismus, Myoklonus, Gangstörungen und Dystonie ein, auf die wegen ihrer höheren Prävalenz
und, damit zusammenhängend, besseren Studienlage in dieser Diskussion besonders eingegangen wird, aber auch Fälle von Tics, Hemiballismus, Chorea [83], Blepharospasmus [6] und
Dysphonien [91] psychogener Ursache sind dokumentiert.
5.2.1 Epidemiologie
5.2.1.1 Prävalenz
Die Angaben zur Prävalenz von neurologischen Dysfunktionen psychogener Ursache differieren in den diesbezüglichen Studien erheblich und bewegen sich zwischen 1 und 11% bezogen
auf Patienten mit der Diagnose einer neurologischen Bewegungsstörung [21, 90]. Die Gründe
85
hierfür sind vielfältig, wobei die unterschiedlichen Einschlusskriterien der Patienten, die verschiedenen klinischen Definitionen von psychogener Bewegungsstörung und die verzerrenden
Effekte („bias“) bei Auswahl und Überweisung der Studienpatienten sicher eine erhebliche
Rolle spielen dürften. So berichtet etwa Lang [84] von einer Unterrepräsentation akuter oder
transienter Fälle bei einer gleichzeitigen Überrepräsentation von chronischen und refraktären
Patienten in den Studien. Das Fehlen einer Goldstandard-Diagnose und die allgemein übliche
Einordnung der Patienten nach den Fahn/Williams-Kriterien [43] (siehe auch Tab. 4.1, S. 25)
bereitet weitere Probleme, da manche Studien lediglich „klinisch dokumentierte“, andere
aber auch „klinisch etablierte“ oder „klinisch wahrscheinliche“ Fälle einschließen.
Der Anteil der Patienten mit der Diagnose psychogene Bewegungsstörungen in Fachkliniken
für Bewegungsstörungen liegt zwischen 2 und 4%. Factor et al. [40] konnten in ihrer Studie bei
einer Fallzahl von 842 Patienten 3,3% mit klinisch dokumentierten oder etablierten psychogenen Bewegungsstörungen ausmachen, während Fahn u. Williams [43] bei einer Fallzahl von
3700 Patienten bei 2,1% diese Diagnose stellten. Eine Aktualisierung der Zahlen von Factor et
al. [84] aus dem Jahre 2003 zeigte mit 135 von 3826 Patienten (3,5%) fast die gleichen Ergebnisse. Die auf den ersten Blick erhebliche Zahlendifferenz im Vergleich zu den 9% der Studie
von Lempert et al. [90] erklärt sich jedoch insbesondere damit, dass in dieser Studie nicht nur
Patienten mit einer etablierten Diagnose wie „Hysterie“ oder „Konversionsstörung“ erfasst
wurden, sondern auch Patienten, die psychogene Symptome zeigten und in anderen diagnostischen Kategorien wie „larvierte Depression“ („masked depression“) oder „Angstneurose“
geführt wurden.
Insgesamt lässt sich konstatieren, dass keine gültige Aussage zur Prävalenz der psychogenen
Bewegungsstörungen in der Gesamtbevölkerung getroffen werden kann, da alle Studien in
Fachkliniken für Bewegungsstörungen durchgeführt wurden und somit für die Gesamtbevölkerung nicht repräsentativ sind.
5.2.1.2 Geschlechterverteilung
Eindeutige Aussagen lassen sich bezüglich der Geschlechterverteilung der psychogenen Bewegungsstörungen treffen. Hier zeigt sich bei fast allen Studien mit größerer Fallzahl eine Prädominanz von Frauen, wobei ihr prozentualer Anteil bei 61–87% gegenüber Männern liegt
[40, 90, 159]. Lediglich Crimlisk et al. berichten in ihrer Studie, von einer annähernd gleichen
86
Geschlechterverteilung [23], ohne dass dafür eine Begründung gefunden werden konnte. Es
ist unklar, warum Frauen von psychogenen Bewegungsstörungen wie auch von den meisten
anderen somatoformen Störungen häufiger betroffen sind. Von verschiedenen Autoren wird
dazu angeführt, dass ein Grund sexueller und andere Formen von Missbrauch sein könnte, die
insgesamt Risikofaktoren für Konversionsstörungen und psychogene Bewegungsstörungen
sind und Frauen häufiger widerfährt als Männern [123, 124].
5.2.1.3 Prädisponierende und auslösende Faktoren
Es lassen sich zahlreiche und sehr unterschiedliche prädisponierende bzw. auslösende Faktoren für die Entwicklung psychogener Bewegungsstörungen ausmachen. Sie reichen von emotionalem Stress über sexuellen Missbrauch und physische Traumata bis hin zu Operationen
oder Empfindlichkeitsreaktionen auf Medikamente [44, 69, 159].
Der Beginn der Symptomatik liegt im Mittel bei 43,15 Jahren, wobei sich hier auf drei Studien
mit hohen Fallzahlen bezogen wird [90, 145, 159]. Bezieht man die Studien bei Kindern und
Jugendlichen mit ein, liegt die Spannweite bei 3 bis 73 Jahren [1, 44, 90]. Andere Autoren setzen den Altersdurchschnitt etwas niedriger an, so z.B. Ford et al. mit 36 Jahren [50].
Aufgrund vieler unterschiedlicher Studientypen und -designs sowie inhomogener Patientengruppen lässt sich auch die mittlere Dauer der Symptome nicht genau bestimmen; auf der
Grundlage der für diese Untersuchung verwendeten Studien, liegt sie bei ca. 4,8 Jahren, was
sich auch ungefähr mit den Angaben von Ford et al. [50] deckt, die bei der Entwicklung eines
Patientenprofils für psychogene Bewegungsstörungen eine durchschnittliche Symptomdauer
von 5 Jahren angeben.
5.2.1.4 Prädominante Symptome
Zur Prädominanz der verschiedenen Bewegungsstörungen ist die Studienlage inkongruent. So
wurde bei einer Studie im Toronto Western Hospital (Toronto, Kanada), die 340 Patienten
umfasste, Tremor (45%) als häufigstes Symptom angegeben. Es folgten Dystonie (27%), Myoklonus (19%), Parkinsonismus (5%) und Gangstörungen (2%). Dagegen wurde im Columbia
Presbyterian Medical Center in New York bei 152 Patienten Dystonie (54%) als häufigstes
Symptom vor Tremor (14%), Gangstörungen (13%), Myoklonus (7%), Parkinsonismus (2%) und
87
Tics (1%) diagnostiziert [84]. Eine Gegenüberstellung von acht Studien, die insgesamt 1245
Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen einschlossen, ergab eine Prädominanz des
psychogenen Tremors (40%) gegenüber Dystonie (31%), Myoklonus (13%), Gangstörungen
(10%), Parkinsonismus (5%), anderen Bewegungsstörungen (5%) und Tics (2%) [84]. Die Gültigkeit der Ergebnisse ist jedoch insofern kritisch zu beurteilen, da die Studien durch viele
mögliche Störfaktoren beeinflusst werden. So ist einerseits der Forschungsschwerpunkt der
Kliniken und die damit verbundene Mehraufnahme von Patienten mit entsprechender Symptomatik zu berücksichtigen, andererseits aber auch methodische Unterschiede in der Erfassung der Patienten. Zum Beispiel weisen manche Studien lediglich das prädominierende
Symptom [41) aus, während andere die Koexistenz mehrerer Symptome berücksichtigen und
statistisch verwerten [25].
5.2.1.5 Interkulturelle Aspekte
Auch wenn es keine gesicherten Daten zu ethnologischer oder geografischer Ausbreitung von
psychogenen Bewegungsstörungen gibt, konnte der interkulturelle Vergleich von spanischen
und US-amerikanischen Patienten wesentliche Übereinstimmungen in Geschlechter- und Altersverteilung und klinischem Erscheinungsbild aufzeigen [25]. In die gleiche Richtung gehen
auch die Ergebnisse von Ertan et al., die in ihrer Untersuchung bei türkischen Patienten ähnliche klinische Charakteristika und Prävalenzen wie andere Studien zeigen [37].
5.2.2 Ätiologie und Genese
5.2.2.1 Koexistierende psychische Krankheitsbilder
Bei der Beurteilung von Theorien zur Erklärung und Entstehung der psychogenen Bewegungsstörungen stellt sich das Problem, dass die Vielfältigkeit der Symptomatik sowie das breite
Spektrum an begleitenden oder zugrunde liegenden psychiatrischen Erkrankungen einen einheitlichen Theorieansatz verunmöglichen. Die dokumentierte Auftretenshäufigkeit von psychiatrischen Co-Erkrankungen ist hoch, und zahlreiche Studien zeigen, dass ihr Spektrum von
somatoformen Störungen über artifizielle Störungen, Depression und Angststörungen bis hin
zu Persönlichkeitsstörungen und bipolaren Störungen reicht [15, 44].
88
Auch die Simulation von Bewegungsstörungen zum Zweck des sekundären Krankheitsgewinns
oder finanzieller Rentenbegehren ist ein nicht zu vernachlässigender Faktor [151].
Eine umfassende Definition und Beschreibung der verschiedenen Krankheitsbilder kann an
dieser Stelle nicht geleistet werden und ist auch nicht Zweck dieser Untersuchung. Im folgenden Abschnitt werden jedoch kurz die prinzipiellen Unterschiede dargestellt, damit weitere
Inhalte wie z.B. spezifische Therapieansätze besser nachvollzogen werden können.
5.2.2.2 Die komorbiden Krankheitsbilder im Einzelnen
Somatoforme Störungen unterscheiden sich von artifiziellen Störungen (MünchhausenSyndrom) und Simulation in erster Linie dadurch, dass ihre Symptome nicht willentlich hervorgerufen oder vorgetäuscht werden. Nach DSM-IV [2] werden unter dieser Oberkategorie 5
Störungsbilder geführt: körperdysmorphe Störung, Konversionsstörung, Hypochondrie,
Somatisierungsstörung (auch „Hysterie“ oder Briquet-Syndrom) und somatoforme Schmerzstörung.
Unter Konversionsstörung versteht man den Verlust willkürlicher motorischer oder sensorischer Funktionen, die nicht ausreichend durch einen neurologischen Befund erklärt werden
können und denen ein psychischer Konflikt oder psychosozialer Stressor zugrunde liegt.
Hypochondrie bezeichnet eine psychische Störung, bei der die Betroffenen unter ausgeprägten Ängsten leiden, eine ernsthafte Erkrankung zu haben, ohne dass sich dafür ein objektiver
Befund finden lässt. Die meisten Patienten haben eine lange und komplizierte Patientenkarriere mit wahrscheinlich vielen „negativen“ Untersuchungen und ergebnislosen Operationen
hinter sich.
Charakteristisch für die Somatisierungsstörung sind multiple, wiederholt auftretende und häufig wechselnde körperliche Symptome, die wenigstens zwei Jahre bestehen. Sowohl artifizielle
Störungen (Münchhausen-Syndrom) als auch Simulation beinhalten das Vortäuschen von
Symptomen, wobei den artifiziellen Störungen ein psychologisches Bedürfnis nach Zuwendung (z.B. durch Pflegepersonal) oder auch selbstverletzendes Verhalten (z.B. durch unnötige
Operationen) zugrunde liegt, während die Simulation nicht als psychische Erkrankung eingestuft wird und ihr zumeist ein externaler Krankheitsgewinn wie Renten- oder Urlaubsbegehren
vorausgeht.
89
Auch Persönlichkeitsstörungen sind häufig beobachtete Phänomene im Zusammenhang mit
psychogenen Bewegungsstörungen. Unter ihnen ist vor allem die histrionische Persönlichkeitsstörung zu nennen, deren Merkmale Übertreibung, theatralisches Verhalten, Oberflächlichkeit, labile Stimmungslage, gesteigerte Beeinflussbarkeit, dauerndes Verlangen nach Anerkennung und der Wunsch, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, erhöhte
Kränkbarkeit sowie ein übermäßiges Interesse an körperlicher Attraktivität sind.
Neben diesen Störungsbildern gibt es weitere psychische Erkrankungen, die klassischerweise
bei Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen auftreten, vor allem Angststörungen
und Depression, wobei Letztere die am häufigsten dokumentierte Co-Erkrankung ist. Hier zeigen zahlreiche Studien eindeutige Ergebnisse, wobei der prozentuale Anteil der erkrankten
Patienten jedoch stark variiert. Factor et al. [40] berichten von 28% depressiver Erkrankungen
in ihrer Stichprobe, während es bei Feinstein et al. [44] 19,1% mit akuter Depression und
42,9% mit Lebenszeitprävalenz einer Depression waren. Bei Stone et al. [140] erfüllten 27%
der Patienten die Kriterien für eine Depression. Lempert et al. [94] diagnostizierten bei 38%
der Patienten Depression, während es bei Ford et al. [50] 71% waren.
Auch wenn einige der vorgenannten Studien keine Kontrollgruppen beinhalteten, wurden
Vergleiche mit den Daten der National Psychiatric Co-Morbidity, einer epidemiologischen Studie mit über 8000 Patienten in den USA, vorgenommen; diese Erhebung zeigte eine Lebenszeitprävalenz für Depression in der Gesamtbevölkerung von 17,1%. Die hohe Prävalenz der
Depression bei psychogenen Bewegungsstörungen gleicht der aus Studien zu anderen Formen
von Konversionsstörungen [153].
In der Studie von Feinstein et al. [45] zeigten 45% der Patienten Persönlichkeitsstörungen,
und lediglich 2 der 42 Patienten erfüllten kein Kriterium für eine psychiatrische Diagnose in
Übereinstimmung mit den DSM-IV-Kriterien. Crimlisk et al. berichten in ihrer Studie von Persönlichkeitsstörungen bei 53% der Patienten [23]. Während die Ergebnisse dieser beiden Studien aus Follow-up-Studien stammen, konnten Binzer et al. [16] in einem Vergleich von 30
Patienten mit motorischen Konversionsstörungen bei Erstvorstellung und 30 Patienten mit
organischen Bewegungsstörungen zeigen, dass der Anteil an psychiatrischen Syndromen
(nach DSM-III, Achse I) bei den Konversionspatienten um 23% und der Persönlichkeitsstörungen um 33% Prozent gegenüber der Kontrollgruppe erhöht war. Insgesamt konnte bei 33%
der Patienten eine Achse-I-Diagnose und bei 50% eine Achse-II-Diagnose (Persönlichkeitsstörung) gestellt werden.
90
Angststörungen sind ein weiteres häufiges Merkmal bei Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen [78, 90, 103]. Die Angaben variieren auch hier von Studie zu Studie erheblich
und reichen von 11% [103] über 13% [90] und 38,1% [45] bis hin zu 56,7% [69] beschreiben in
ihrer Stichprobe von 127 Patienten mit psychogenem Tremor sogar bei 56,7% der Patienten
eine Angststörung. Ford et al. entwickelten ein Profil eines typischen Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen, dem sie folgende Attribute zuordnen: mittleres Alter (36 Jahre),
weiblich, mit einer mittleren Dauer der Symptome von 5 Jahren, arbeitsunfähig und stark eingeschränkt im Alltag. Die psychiatrischen Diagnosen dieses Patienten sind Konversionsstörung
(75%), Somatisierungsstörung (12,5%), artifizielle Störung (8%) und Simulation (4%) [50].
In Anbetracht der zahlreichen Co-Erkrankungen gilt es auch, einen möglichen UrsacheWirkungs-Zusammenhang mit psychogenen Bewegungsstörungen zu diskutieren. Dazu lassen
sich drei hypothetische Fragen formulieren, um die möglichen Beziehungen deutlich zu machen:
1. Ist die psychische Co-Erkrankung Folge der Bewegungsstörung?
2. Führt die Co-Erkrankung durch pathophysiologische Ähnlichkeiten zur simultanen Ausprägung der psychischen und motorischen Symptomatik?
3. Erzeugt die Co-Erkrankung eine Vulnerabilität des Patienten für psychogene Bewegungsstörungen? [153]
Vor allem Depression als häufigste psychische Begleiterkrankung soll hier näher betrachtet
werden, da es viele pathophysiologische und klinische Ähnlichkeiten zu psychogenen Bewegungsstörungen gibt, wie die Assoziation mit multiplen Symptomen, Missbrauchserfahrungen
in der Kindheit, Stressoren, weibliche Prädominanz und persönliche Wesenszüge. Voon u. Hallet formulieren diese Beobachtung weiter aus und ziehen Parallelen in Bezug auf genetische
Prädisposition, frühe und chronische Stressoren, funktionelle Veränderungen der neuroanatomischen Vernetzung, Anomalitäten der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenachse und
mögliche Neurotransmitter-Anomalitäten [153]. Feinstein et al. [44] dagegen behaupten, dass
aufgrund von eindeutigen Unterschieden zwischen psychogenen Bewegungen und ihren organischen „Gegenstücken“ die zerebrale Lokalisation der für die Bewegungen verantwortlichen Strukturen nicht die gleiche ist, auch wenn sich die Phänomenologie oberflächlich betrachtet ähnelt. Sie gehen nicht davon aus, dass die den psychischen Störungen zugrunde liegenden pathophysiologischen Mechanismen eine Dysfunktion in den Basalganglien, dem Cerebellum oder anderen Arealen hervorrufen, die typischerweise bei psychogenen Bewegungs91
störungen befallen sind. Die Studienlage lässt keine eindeutige Aussage zu; es konnte jedoch
nachgewiesen werden, dass eine Kombination von Psychotherapie und antidepressiver Medikation bei einigen Patienten zu einer vollständigen Remission der Symptome führte [43, 154].
6.3 Diagnostik
Die Diagnostik der psychogenen Bewegungsstörungen stellt Neurologen, Psychiater und
Psychosomatiker gleichermaßen vor eine große Herausforderung, da sich die beiden Fachgebiete hier überschneiden und die Grenzen oft fließend sind. Die Symptome sind oft schwer
oder gar nicht von organisch bedingten Symptomen zu differenzieren. Zur korrekten Diagnose
einer psychogenen Bewegungsstörung sind somit eine sorgfältige störungsbezogene Anamnese sowie umfassende neurologische Untersuchungen inklusive diagnostischer Tests (Serumkupfer; Coeruloplasminspiegel; Schilddrüsenfunktion; Liquordiagnostik) und bildgebender
Verfahren (MRT des Schädels/der Wirbelsäule) unerlässlich, um eine mögliche organische
Ursache auszuschließen [95]. Die Diagnose sollte weiterhin möglichst schnell gestellt werden,
um den Patienten vor einer Chronifizierung des Leidens zu schützen und ihn vor vielen belastenden Zusatzuntersuchungen zu bewahren. Studien zeigen, dass eine kurze Dauer der Symptome einer der wichtigsten Faktoren für ein positives Behandlungsergebnis bei psychogenen
Bewegungsstörungen ist [44, 145]. Die Problematik hierin liegt in der Tatsache, dass es – im
Gegensatz zu anderen psychogenen Erkrankungen – keine standardisierten diagnostischen
Tests gibt. Kann man z.B. bei Patienten mit psychogenen nichtepileptischen Anfällen mithilfe
von Video-EEG eine organische Ursache besser ausschließen, so existiert kein derartiges Diagnoseverfahren bei psychogenen Bewegungsstörungen. Der untersuchende Arzt muss sich
vielmehr auf eigene klinische Erfahrung und diagnostische Leitlinien verlassen, deren Evidenz
noch nicht ausreichend verifiziert wurde.
Ein weiteres, nicht zu vernachlässigendes Problem bei der korrekten Diagnostik und Bestimmung von psychogenen Bewegungsstörungen ist die mögliche Koexistenz organisch bedingter
Bewegungsstörungen. Wie Studien von vier Fachkliniken für Bewegungsstörungen zeigen,
liegt der prozentuale Anteil der Patienten mit organischen Erkrankungen unter denen mit diagnostizierter „Hysterie“ zwischen 50 bis 75%, was eine hohe Fehldiagnoserate unter diesen
Patienten bedeutet [144]. Ranawaya et al. beschrieben 6 Fälle von psychogenen Dyskinesien,
die eine bereits bestehende organische Bewegungsstörung verkomplizierten, und gelangten
92
zu der Schätzung, dass 10 bis 15% aller Patienten mit psychogenen Dyskinesien eine zusätzliche organische Bewegungsstörung haben [120]. Diese Schätzung deckt sich in etwa mit denen
aus Daten zu psychogenen nichtepileptischen Anfällen, bei denen 10 bis 37% der Patienten
mit psychogenen nichtepileptischen Anfällen auch organisch bedingte Anfälle zeigten [80, 83].
Monday u. Jankovic [103] konnten in ihrer Studie bei 3 Patienten mit psychogenem Myoklonus ebenfalls essentiellen Tremor zeigen. Factor et al. [40] diagnostizierten 7 Patienten mit
psychogenen Bewegungsstörungen und organischen Bewegungsstörungen, was einen Anteil
von 25% bedeutete, während Thomas et al. in ihrer Studie bei 16,2% der Patienten koexistierende organische Bewegungsstörungen feststellten [145].
Auffallend ist auch das Auftreten von multiplen somatischen Symptomen und psychogenen
Bewegungsstörungen. Crimlisk et al. [23] zeigten, dass fast die Hälfte ihrer Patienten mit hyper- oder hypokinetischen psychogenen Bewegungsstörungen zwei oder mehr nicht geklärte
neurologische Symptome aufwiesen. Diese schlossen Parästhesien (65%), Blasen- oder Darmstörungen (25%), psychogene nichtepileptische Anfälle und visuelle Störungen (14%) ein. Diese Daten decken sich mit den Angaben von Feinstein et al., in deren Studie 38% der Patienten
zum Zeitpunkt der Follow-up-Untersuchung zusätzliche psychogene Symptome ähnlicher Art
entwickelt hatten [44].
Die häufige Assoziation von Konversionsstörungen und organischen Erkrankungen wurde
schon in mehreren Studien nachgewiesen [16, 56] und betrifft auch die motorischen Konversionsstörungen respektive psychogenen Bewegungsstörungen. Obwohl Binzer et al. [16] in
ihrer Studie Patienten mit neurologischen Erkrankungen ausschlossen, zeigten 33% eine somatische Störung und 50% klagten über „benignen“ Schmerz. Crimlisk et al. [23] konnten bei
31 ihrer 73 Patienten mit medizinisch nicht erklärbaren Symptomen ebenfalls neurologische
Erkrankungen diagnostizieren.
Im Laufe der Zeit wurde durch die Anerkennung der besprochenen Problematik und in der
Folge intensiveren Auseinandersetzung mit dem Krankheitsbild der psychogenen Bewegungsstörungen bei einer größeren Anzahl von Studien [43, 44, 78, 97, 159] eine Reihe von klinischen, sozialen und demografischen sowie alters- und geschlechterspezifischen Charakteristika formuliert, die einen Hinweis auf das Vorhandensein von psychogenen Bewegungsstörungen liefern (siehe Tab. 5.1, S. 94).
93
Tab. 5.1 Indikatoren für eine mögliche psychogene Bewegungsstörung [43, 44, 78, 97, 159]
Symptomatik
- Plötzlicher Beginn
- „Statischer Verlauf“
- Spontanremission
- Zunahme der Symptome bei Aufmerksamkeit durch andere Person
- Abnahme der Symptome bei fehlender Aufmerksamkeit durch andere Person
- Inkonsistenz der Bewegungen in Bezug auf Frequenz, Amplitude, anatomische Lokalisation
- Kein Ansprechen auf medikamentöse Therapie
- Remission durch Psychotherapie
- Remission durch Placebo
- Möglichkeit von Verstärken oder Abschwächen der Bewegung durch nichtphysiologische Interventionen (z.B. Stimmgabel)
Zusätzliche neurologische Befunde
- Vorübergehende Schwäche
- Kopfschmerz
- Sehstörungen
- Amnesie
- Insomnie
- Sensorische Ausfälle
Psychische Erkrankungen
- Depression
- Angststörung
- Somatisierungsstörung
- Simulation
- Artifizielle Störungen
Auslösende Ereignisse
- Trauma
- Operation
- Einschneidendes Erlebnis (Hochzeit, Tod eines nahestehenden Menschen etc.)
Soziale Faktoren
- Probleme in der Partnerschaft
- Berufliche Probleme
- Emotionaler Missbrauch
- Sexueller Missbrauch
- Sekundärgewinn (sozialer oder finanzieller Art)
- Drogen-, Medikamentenabusus
- Drohendes Gerichtsverfahren
Demografische Faktoren
- Weiblich
- Mittleres Alter (35–40) bei Beginn der Symptomatik
94
Ein weiteres diagnostisches Instrument sind die Fahn/Williams-Kriterien [43], die vier Stufen
für die Diagnose von psychogener Dystonie definieren („dokumentiert“, „klinisch etabliert“,
„wahrscheinlich“ und „möglich“) und die auf andere Störungsbilder der psychogenen Bewegungsstörungen anwendbar sind (siehe Tab. 4.1, S. 25). In Abwesenheit eines diagnostischen
Goldstandards sind sie international allgemein anerkannt, werden jedoch kontrovers diskutiert. So weist Krem [79] darauf hin, dass nach der Beurteilung der diagnostischen Validität
mithilfe des Schemas von Robins u. Guze [122] deutliche Schwächen der Kriterienliste von
Fahn u. Williams deutlich würden. Sie lägen vor allem in der mangelnden Abgrenzung von anderen Störungen, besonders von Simulation und Somatisierungsstörungen, sowie der hohen
Subjektivität der Kriterien.
In einer Studie von Shill et al. [135] wurden Sensitivität und Spezifität der Fahn/WilliamsKriterien getestet, die sie leicht modifiziert und um einige diagnostische Kriterien wie das Auftreten von neurologischen Erkrankungen in der Familienanamnese und starkem Schmerz oder
Müdigkeit erweitert hatten. Die Autoren kamen hierbei zu dem Ergebnis, dass die Kriterien
sowohl über eine hohe Spezifität als auch Sensitivität verfügen und in der Praxis leicht anzuwenden seien.
Angesichts des subsequenten Fortschritts in der Etablierung klinischer Charakteristika und
Untersuchungsmethoden ist es angezeigt, die diagnostischen Klassifikationen zu ändern bzw.
die elektrophysiologischen Untersuchungen verstärkt in den diagnostischen Prozess mit einzubeziehen. In diesem Zusammenhang wurden in den letzten Jahren neue Ansätze und Methoden sowohl im klinischen als auch im Bereich elektrophysiologischer und bildgebender
Verfahren entwickelt, die im Folgenden erläutert werden.
Einer klinischen Methode zur objektivierten Beurteilung von psychogenen Bewegungsstörungen gingen Hinson et al. bei der Entwicklung ihrer Rating Scale for Psychogenic Movement
Disorders nach [62] (Aufbau und Funktion der Skala wurden bereits in Abschnitt 4.2 ausführlich beschrieben). Die guten Ergebnisse hinsichtlich Interrater-Reliabilität und Validität sowie
der Fakt, dass die Skala signifikant auf Veränderungen reagiert, die durch therapeutische Interventionen herbeigeführt wurden, könnten dieses Instrument bei Validierung durch weitere
Studien zu einer viel versprechenden diagnostischen Hilfe für die Zukunft machen, zumal diese Rating Scale rein klinischer Natur ist und schnell durchgeführt werden kann. So findet sie
auch schon Anwendung in neueren Studien [25].
95
Stone et al. [140] konnten mittels funktioneller Magnetresonanztomografie zeigen, dass zwischen Patienten mit motorischen Konversionsstörungen und, eine solche Störung simulierende, Kontrollpatienten unterschiedliche Muster neuronaler Aktivierung bestehen. Die Fallzahl
der Studie war jedoch zu klein, um gültige Aussagen dahin gehend treffen zu können, dass die
zerebrale Aktivität bei motorischer Konversionsstörung stets verändert ist; weitere Studien
könnten hier Aufschluss bringen.
Radiologische bildgebende Verfahren wie FDOPA-PET, SPECT und [123I-Isoflupane SPECT] haben sich als nützliche Instrumente bei der Unterscheidung von Parkinsonismus und psychogenem Parkinsonismus etabliert [11, 70]. Der Einsatz dieser Verfahren, die das Vorhandensein
funktionsfähiger Neuronen in der Substantia nigra (PET) oder ihrer synaptischen Endungen im
Striatum (SPECT) bestimmen, zeigt unauffällige Ergebnisse bei psychogenem Parkinsonismus
und verminderte Signale der Neuronen bei Morbus Parkinson [129]. Die Studie von Jennings
[70] zeigt eindrucksvoll, wie vor allem die Spezifität der Diagnostik mithilfe von [123I] ß-CIT und
SPECT erhöht werden kann und dass es in vielen Fällen zu Fehldiagnosen dahin gehend
kommt, dass psychogener oder anderweitig induzierter Parkinsonismus als Morbus Parkinson
klassifiziert wird [70]. Unterstützt wird diese These auch von Benaderette et al. [11], die
nachweisen konnten, dass die Kombination von klinischer, elektrophysiologischer und [123 I]FP-CIT-SPECT-Untersuchung die Exaktheit in der diagnostischen Unterscheidung von psychogenem Parkinsonismus und der Kombination aus Parkinsonismus und psychogenem Parkinsonismus erhöht.
Das Augenmerk der Forschung zur Diagnostik von psychogenen Bewegungsstörungen richtet
sich seit einigen Jahren vor allem auf elektrophysiologische Methoden. Eine Reihe von Studien
beschäftigt sich mit elektrophysiologischen Korrelaten der psychogenen Bewegungsstörungen, um insbesondere pathophysiologische Unterschiede des psychogenen Tremors und der
psychogenen Dystonie zu identifizieren. So konnten Liepert et al. [94] in ihrer Studie mittels
TMS nachweisen, dass motorische Reizschwelle, intrakortikale Bahnung und intrakortikale
Hemmung bei Messung in Ruhe denen einer Kontrollgruppe ähneln. Wurden den Patienten
jedoch während der Messung Bilder von Bewegungen gezeigt, so führte dies bei den Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen zu einer verminderten kortikalen Erregung, während es bei den Kontrollpersonen zu einer Erhöhung kam. Eine Bestätigung dieser Ergebnisse
durch Studien mit größerer Fallzahl bzw. die Erforschung des zugrunde liegenden Mechanismus könnte diesem Ansatz zu diagnostischer Wichtigkeit verhelfen.
96
Auch die elektrophysiologische Bestätigung des Konzepts der „Dual Task Interference“ (s. Abschnitt 4.1, e, S. 28) bei psychogenem Tremor durch Kumru et al. [82] fördert das Verständnis
für pathophysiologische Mechanismen insoweit, dass Charakteristika von willkürlichen Bewegungen bei psychogenem Tremor nachgewiesen werden können.
Auch der Einsatz von TMS zeigt einen wertvollen diagnostischen und therapeutischen Nutzen,
wie eine Pilotstudie [26, 108a] der Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie
und Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universität zu Köln in Zusammenarbeit mit dem
Institut für Neurowissenschaften und Biophysik des Forschungszentrums Jülich zeigt. Hierbei
wurden 11 Patienten mit einem nach den Fahn/Williams-Kriterien [43] klinisch dokumentierten Tremor mit TMS behandelt. Vor der Behandlung war den Patienten weder die psychogene
Ursache ihres Tremors mitgeteilt worden, noch zogen sie eine solche in Betracht. Als Ergebnis
der Untersuchung konnte bei 7 Patienten eine vorübergehende Reduktion des Tremors erreicht werden, bei 4 Patienten kam es zu einer langfristigen Reduktion über einen Zeitraum
von 7 bis 12 Monaten. Dies bestätigte sowohl die Verwendbarkeit von TMS zur Etablierung
der Diagnose eines psychogenen Tremors als auch ihren therapeutischen Effekt. Alle Patienten zogen nach der Behandlung eine psychogene Ursache ihres Tremorleidens in Betracht.
Die erhöhte emotionale Ansprechbarkeit von Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, gemessen am Wimpernschlagreflex bei der Vorführung von emotional bewegenden Bildern, ist ebenfalls ein interessantes Studienergebnis, das
näherer Prüfung bedarf [132]. Hier ist aber auch kritisch anzumerken, ob und inwieweit sich
eventuell zugrunde liegende Psychopathologien der Patienten sich auf das Testergebnis auswirken.
Einigen Studien gelang es jedoch auch nicht, signifikante Unterschiede zwischen organischen
und nichtorganischen Bewegungsstörungen festzustellen. So gelangten z.B. Espay et al. [38] zu
der Schlussfolgerung, dass psychogene und organische Dystonie gleiche physiologische Anomalitäten aufweisen und vorherige Studienergebnisse bezüglich vorhandener abnormaler
kortikaler und spinaler Erregung bei organischer Dystonie eher als Folge denn als Ursache dieser zu verstehen seien. Eine Alternativerklärung der Autoren war, dass ein bestimmter
Endophenotypus sowohl zu organischer als auch psychogener Dystonie führt.
Zusammenfassung: Zu konstatieren ist, dass psychogene Bewegungsstörungen trotz einiger
viel versprechender neuer Ansätze v.a. im Bereich der elektrophysiologischen Diagnostik weiterhin schwer zu diagnostizieren sind und beim Untersucher ein hohes Maß an klinischer Er97
fahrung erfordern. Weitere Studien zum Verständnis pathophysiologischer Ursachen und Charakteristika sind vonnöten, um dem Ziel einer möglichst objektiven Diagnostik näher zu kommen. Auch im Hinblick auf die spätere Behandlung sollte die Diagnosestellung in enger Abstimmung zwischen Neurologe und Psychosomatiker bzw. Psychiater unter Einbeziehung aller
möglichen somatischen und psychischen Beschwerden erfolgen.
5.4 Spezifische Störungsbilder bei psychogenen Bewegungsstörungen
5.4.1 Psychogener Tremor
Tremor ist als eine rhythmische, bidirektional oszillierende Bewegung definiert, verursacht
durch die Kontraktion antagonistischer Muskeln, die in Ruhe, Bewegung oder haltender Position erfolgen kann [157]. Tremor kann physiologisch sein, eine neurologische (z.B. Morbus
Parkinson, multiple Sklerose), toxische (z.B. Blei, Arsen), medikamentöse (z.B. Lithium,
Theophyllin) oder eben psychogene Ursache haben. Während der psychogene Tremor in der
ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, speziell zur Zeit des Ersten und Zweiten Weltkriegs, ein bekanntes Krankheitsbild war, ist seine Prävalenz seitdem kontinuierlich gesunken
[30]. Nichtsdestotrotz ist er der Studienlage nach mit die häufigste unter den psychogenen
Bewegungsstörungen, wobei die Angaben hier zwischen 25 und 55,7% schwanken. Wie bei
anderen psychogenen Bewegungsstörungen prädominiert das weibliche Geschlecht; das mittlere Alter bei Symptombeginn liegt zwischen 40 und 50 Jahren [30, 69, 78, 97]. Jankovic et al.
[69] konnten in ihrer Studie 2004 bei 76% der Patienten ein auslösendes Ereignis ausmachen,
wovon „personal life stress“ mit 76,4% am häufigsten war, gefolgt von nicht näher bezeichneten Traumata mit 33,9%. Auch der sekundäre Krankheitsgewinn scheint in der Pathogenese
eine wichtige Rolle zu spielen. So wurde bei 32,2% ein solcher festgestellt, wobei die Aufrechterhaltung des Behindertenstatus mit 21,3% an erster Stelle lag [69]. Kim et al. [75] teilen
den psychogenen Tremor in drei Klassen ein:
– lang andauernder Tremor (persistierend oder intermittierend),
– kurz andauernder bzw. paroxysmaler Tremor (Dauer < 30 s) und
– anhaltender Tremor mit kurzen überlagerten paroxysmalen Episoden.
Klinisch sind in der Literatur viele Charakteristika beschrieben, die ihn von organischem Tremor unterscheiden. Bevorzugte Lokalisation ist die rechte Hand, meist ist aber auch die kont98
ralaterale Seite betroffen; der Tremor ist dort dann jedoch weniger ausgeprägt [30]. Weitere
Merkmale sind Ablenkbarkeit, plötzlicher Beginn und Spontanremission, Koaktivierung,
Stimulussensitivität, schwaches Ansprechen auf Medikamente, Variabilität des psychogenen
Tremors in Frequenz, Richtung und Amplitude, Koaktivierung, Somatisierungsstörung in der
Krankengeschichte, Auftreten zusätzlicher neurologischer Symptome mit unterschiedlichem
Fokus und „Entrainment“ (mangelnde Fähigkeit, über einen längeren Zeitraum mit einer Hand
eine von der Tremorfrequenz unterschiedliche, rhythmische Bewegung auszuführen; die Frequenzen der Bewegungen gleichen sich an) [30, 75, 78, 145]. Kenney et al. [74] testeten diese
und andere Parameter auf Spezifität und Sensitivität im Hinblick auf Abgrenzung von psychogenem zu essentiellem Tremor. Psychogener Tremor wies im Gegensatz zu essentiellem Tremor eine negative Familienanamnese, plötzlichen Beginn, Spontanremission, kürzere Tremordauer, Ablenkbarkeit und Suggerierbarkeit auf. Interessant ist, dass „Entrainment“ bei beiden
Tremorformen kein hervorstechendes Merkmal war.
Aus diesen Charakteristika ergeben sich sowohl im klinischen als auch im apparativen Bereich
verschiedene diagnostische Möglichkeiten und Forschungsansätze. Ablenkbarkeit, definiert
durch Veränderung von Frequenz und Amplitude bei der Beschäftigung mit kognitiven Aufgaben, konnten von Koller et al. [78] bei allen Patienten nachgewiesen werden, während sie bei
Deuschl et al. [30] bei 19 von 22 Patienten auftrat. Dies verleiht dem Distraktionstest (kognitive Aufgaben wie z.B. Rückwärtsrechnen), der sich dieses Phänomen zunutze macht, eine hohe
Wertigkeit [26a]. Die Koaktivierung bezeichnet die erhöhte Muskelspannung der vom Tremor
betroffenen Körperpartie. Durch passive Bewegung in einem Gelenk kann diese variiert und
palpiert werden. Verschwindet beim psychogenen Tremor die erhöhte Muskelspannung durch
die passive Bewegung, so lässt auch der Tremor nach und kann nicht mehr palpiert werden
[26a].
Der Entrainment-Test macht sich das Phänomen der rhythmischen Anpassung des Tremors an
einen mit der kontralateralen Gliedmaße mitgeklopften Takt zunutze. Seine diagnostische
Bedeutung wurde in der Studie von Auley et al. bestätigt, die zu einer 100%-Übereinstimmung
zwischen bestehender klinischer Diagnose und Testergebnis kam [96].
Kumru et al. [82] untersuchten, ob eine Unterscheidung von psychogenem und essentiellem
oder parkinsonschem Tremor über das Konzept der „Dual Task Interference“ möglich ist. Patienten mit psychogenem Tremor zeigten eine signifikante Verzögerung der Reaktionszeit mit
der nicht zitternden Hand, wenn der Tremor in der kontralateralen Hand präsent war. Führten
99
die Patienten den Reaktionstest aus, wenn der psychogene Tremor nicht präsent war, so war
ihre Reaktionszeit nicht verkürzt. Die Ergebnisse unterstützen die These, dass die repetitiven
Bewegungen von Patienten mit psychogenem Tremor einen willkürlichen Charakter haben,
jedoch müssen Sensitivität und Spezifität dieses Tests noch verifiziert werden. Ein weiterer
Nachteil ist, dass mit dieser Methode ein persistierender Tremor nicht untersucht werden
kann, da keine vergleichende Messung zwischen „tremorfreier Reaktionszeit“ und „Reaktionszeit bei präsentem Tremor“ durchgeführt werden kann.
Eine quantitative Tremoranalyse mittels EMG ergab bei Deuschl et al. [30] eine Amplitudensteigerung bei 11 Patienten unter zusätzlicher Gewichtsbelastung des Arms, während es bei
Formen des organischen Tremors zu einer Abnahme derselben kam. Die Autoren erklären
dieses Phänomen mit der gesteigerten Koaktivierung, um die Oszillationen aufrechtzuerhalten.
Der entwickelte Algorithmus zur Diagnose des psychogenen Tremors anhand computerbasierter Daten von Piboolnurak et al. [115] ist ebenfalls ein aufgrund seiner statistischen Vorgehensweise interessanter Ansatz, von dem abzuwarten bleibt, ob er sich im klinischen Alltag
durchsetzen kann.
Zusammenfassung: Schlussfolgernd kann man feststellen, dass die Fortschritte im Bereich der
elektrophysiologischen Diagnostik dazu beigetragen haben, einen positiven Nachweis für einen Tremor psychogener Ursache zu erleichtern. Klinische Fertigkeiten und apparative Diagnostik müssen kombiniert eingesetzt werden, um nach Möglichkeit eine positive Diagnose zu
stellen bzw. alle denkbaren zugrunde liegenden organischen Erkrankungen konsequent auszuschließen. Im Anschluss sollte eine psychosomatische bzw. psychologische und psychiatrische
Diagnostik mit dem Ziel einer weiteren Differenzierung der möglichen psychogenen Störung
erfolgen.
5.4.2 Psychogene Dystonie
Dystonie ist eine mit überschießender Tonuserhöhung der Muskulatur einhergehende willkürliche und unwillkürliche Bewegung mit teilweise bizarrer Gliedmaßenstellung. Dystonie wurde
viele Jahre lang fälschlicherweise als psychogene Krankheit eingestuft, was zu einer inadäquaten Behandlung vieler Patienten führte [43]. Mehrere Studien belegen diese Tatsache und
zeigen auf, dass 25 bis 52% der Patienten, bei denen ursprünglich psychogene Dystonie diag100
nostiziert wurde, an idiopathischer Dystonie litten [144]. Als Ergebnis dieser häufigen Fehldiagnosen ist es unter Neurologen und Psychiatern zu einer Abneigung gegenüber dieser Diagnose gekommen, die dazu führt, dass psychogene Dystonie heutzutage wahrscheinlich zu selten diagnostiziert wird [128].
Fahn u. Williams konnten aus einer Stichprobe von 1186 Patienten 2,6% mit dokumentierter
und klinisch etablierter psychogener Dystonie ausmachen [44], ein Richtwert, der in Anbetracht der Prävalenz von psychogenen Bewegungsstörungen unter neurologischen Patienten
realistisch erscheint und auch dem einer weiteren Studie entspricht, in der der Anteil psychogener Dystonie bei 2,2% lag [47]. Ist die Gesamtprävalenz der Krankheit auch viel geringer als
vormals angenommen, macht sie doch einen großen Anteil unter den psychogenen Bewegungsstörungen aus. So wird sie in einem statistischen Vergleich von acht Fachkliniken für
Bewegungsstörungen mit einer Gesamthäufigkeit von 31% unter den psychogenen Bewegungsstörungen angegeben [84].
In Studien von Lang [85] und Fahn u. Williams [43] werden eine Reihe von Patienten mit psychogener Dystonie beschrieben, die die klinischen Charakteristika verdeutlichen. Die Symptomatik begann meist plötzlich und in Ruhe. Die Beine waren im Gegensatz zur idiopathischen
Dystonie häufiger betroffen, wobei bei 8 von 21 Patienten der rechte Fuß als Ausgangsstelle
der Symptomatik auszumachen war. Bei den meisten Patienten erfolgte eine Ausbreitung auf
andere Körperregionen wie Kopf, Nacken und obere Extremität [43]. Die Autoren der Studie
formulierten eine Reihe von Kriterien, die für die Psychogenität einer dystonischen Symptomatik sprechen, darunter Inkonsistenz der Symptome, Pseudoschwäche („false weakness“),
plötzliche Schwäche, exzessive Verlangsamung der Bewegung, multiple Somatisierungen, Widerstand gegen passive Bewegungen und Schmerz (siehe hierzu auch Tab. 5.1, S. 94). Diese
Charakteristika sind jedoch nicht spezifisch für die Unterscheidung von psychogener Dystonie
und idiopathischer Dystonie, da bei idiopathischer Dystonie die Bewegungen ebenfalls oft
bizarr sind und inkonsistent erscheinen können. Die Symptome sind manchmal in Ruhe unauffällig oder zeigen bzw. verschlimmern sich nur bei spezifischen Handlungen, obwohl die gleichen Muskelgruppen verwendet werden (z.B. vorwärtslaufen und rückwärtslaufen, eine Gabel
oder ein Messer benutzen) [128]. Wichtigste Positivkriterien sind vor allem der plötzliche Beginn, die rasche Ausbreitung in andere Körperregionen sowie Fluktuationen zwischen Verschlimmerung und Besserung der Symptomatik, die bei organischer Dystonie selten sind. Weitere Indikatoren für einen psychogenen Ursprung sind begleitende psychische Erkrankungen.
101
So konnten Ibrahim et al. [65] bei 41% der Patienten mit psychogener oder CRPS-Dystonie
(„complex regional pain syndrom“-Dystonie) eine Angststörung und bei 18% eine begleitende
Depression diagnostizieren. 19% der Patienten zeigten im Fragebogen-Screening ebenfalls
Anzeichen für eine somatoforme/dissoziative Störung. Da die verwendeten Fragebogen aber
reine Screening-Instrumente waren und kein persönliches Interview durchgeführt wurde,
kann die Prävalenz dieser Erkrankungen hier nicht belegt werden.
Andere Faktoren wie vorangehende Episoden einer psychischen Erkrankung, Verhaltensstörungen, Selbstverletzung oder traumatische Erlebnisse können die Diagnose einer psychogenen Dystonie zwar stützen, es muss aber berücksichtigt werden, dass keiner dieser Faktoren
spezifisch für die psychogene Dystonie ist und ebenso zufällig mit der Erkrankung an einer
organischen Dystonie zusammenfallen könnte.
Eine weitere kontrovers diskutierte Frage ist, ob und inwiefern periphere Traumata und psychogene Dystonien in Verbindung miteinander stehen. Auch wenn posttraumatische und peripher induzierte Haltungsstörungen dokumentiert und akzeptiert sind, entwickelten manche
Patienten Charakteristika psychogener Bewegungsstörungen [128]. Bhatia et al. [13] prägten
dafür in ihrer Studie den Begriff „Causalgia dystonia“. Sie beschrieben 18 vorwiegend weibliche Patienten in jungem Alter (durchschnittlich 28,5 Jahre), die unter häufigen oberflächlichen
peripheren Verletzungen (z.B. arbeitsbedingte Schnittverletzungen) litten. Sie entwickelten
einen bleibenden Spasmus, der mit Charakteristika wie frühem und schnellem Beginn, starkem Schmerz sowie vasomotorischen, sudomotorischen und trophischen Veränderungen einherging. Die Dystonie begann vorwiegend an Fuß und Hand und trat simultan mit Schmerz
und Muskelkrämpfen auf. Diese Studie zeigt erneut die Schwierigkeit der diagnostischen Klassifizierung und Einordnung dystonischer Symptome.
Zusammenfassung: In Abwesenheit von diagnostischen Testverfahren, sowohl für psychogene
als auch für idiopathische Formen der Dystonie, basiert die Diagnosestellung auf klinischen
Kriterien, deren Anwendung oftmals Schwierigkeiten bereitet, da sie für keine der beiden
Formen obligat sind. Die hohe Anzahl der in der Vergangenheit fehldiagnostizierten Patienten
mit idiopathischer Dystonie trägt zusätzlich zur Verunsicherung beim Untersucher bei. Die
unzureichende Studienlage fordert weitere Untersuchungen zu einer objektivierbaren Entscheidungsfindung.
102
5.4.3 Psychogener Myoklonus
Myoklonus ist als eine plötzliche, kurze, schockartige und unwillkürliche Bewegung definiert,
die durch Muskelkontraktionen (positiver Myoklonus) oder Inhibition aufsteigender Fasern
des Zentralnervensystems entsteht (negativer Myoklonus) [103]. Myoklonien können einen
oder mehrere Muskeln betreffen, symmetrisch oder asymmetrisch verteilt sein und rhythmisch oder irregulär auftreten. Es lassen sich Ruhe- und Aktionsmyoklonien unterscheiden.
Die Ursachen für einen Myoklonus sind vielfältig, er kann z.B. durch Epilepsien, Meningitis,
Intoxikationen oder degenerative Erkrankungen entstehen. Monday u. Jankovic [103] etablierten den Begriff des psychogenen Myoklonus in der Literatur, als sie 212 Patienten mit diagnostiziertem Myoklonus auf Psychogenität der Erkrankung untersuchten und bei 18 Patienten
einen psychogenen Myoklonus diagnostizierten. Die diagnostischen Positivkriterien waren
Inkonsistenz in Amplitude, Frequenz und Lokalisation, assoziierte psychische Erkrankung, Abnahme der Symptomatik bei Ablenkung, Verschlechterung oder Besserung der Symptomatik
bei Einsatz von Placebo oder Suggestion, Perioden spontaner Remission, akuter Beginn und
plötzliches Ende. Sie sind ähnlich denen, die Koller et al. [78] in ihrer Studie zu psychogenem
Tremor verwenden. Da eine ausschließlich klinische Diagnose jedoch sehr schwer zu stellen
ist, sollte eine EMG-Untersuchung in den diagnostischen Prozess mit einbezogen werden.
Vergleichende EMG-Studien an Patienten mit stimulussensitiven Zuckungen und solchen mit
Hyperekplexie („pathologic startle syndroms“) zeigten, dass Erstgenannte eine lange Latenz
und Variabilität in Bezug auf Beginn der Zuckung nach Stimulation haben. Die
stimulusinduzierten Zuckungen zeigten auch eine schnellere Gewöhnung bei wiederholtem
Setzen des Stimulusreizes [148]. Zuckungen, die im EMG eine mittlere Dauer von < 70 ms zeigen, sind erfahrungsgemäß organisch, vor allem wenn eine Kokontraktion von agonistischen
und antagonistischen Muskelpaaren stattfindet; Zuckungen mit längeren EMG-Signalen sind
eher psychogen [144].
Ein weiterer Indikator für die Psychogenität eines Myoklonus ist die An- bzw. Abwesenheit
eines Bereitschaftspotenzials. Die Studie von Terada et al. [143] zeigte ein den myoklonischen
Zuckungen vorausgehendes Bereitschaftspotenzial im EEG bei Patienten mit klinisch diagnostiziertem psychogenem Myoklonus. Diese Untersuchung unterstützt die These, dass die psychogenen myoklonischen Zuckungen der Willkürmotorik der Patienten zuzurechnen sind. Bei
der Beurteilung des diagnostischen Nutzens der Bestimmung des Bereitschaftspotenzials ist
103
jedoch zu berücksichtigen, dass diese Methode nicht angewandt werden kann, wenn die Zuckungen zu schwach sind, um vom Oberflächen-EEG aufgenommen zu werden, oder zu häufig
erfolgen (öfter als alle 2 Sekunden).
Zusammenfassung: Mittels elektrophysiologischer Methoden ist es gelungen, einige diagnostische Merkmale für einen Myoklonus psychogener Ursache zu ermitteln. Allerdings muss kritisch angemerkt werden, dass diese Indikatoren auf einer sehr kleinen Anzahl von Studien
beruhen und es weiterer Untersuchungen bedarf, um die Ergebnisse zu verifizieren.
5.4.4 Psychogene Gangstörungen
Psychogene Gangstörungen machen etwa 10% der psychogenen Bewegungsstörungen aus
und sind eines der am frühesten beschriebenen Symptome in der medizinischen Auseinandersetzung mit diesen. Bereits 1860 beschrieb Jaquod (1830–1913) Patienten mit einer paradoxen Unfähigkeit, die Beine zu benutzen, außer wenn sie standen oder liefen, mit dem Begriff
der „Ataxie“ [76]. Paul Oscar Blocq (1860–1896) verwandte 1888 dafür den Begriff der „hysterischen Gangstörung“ und beschrieb Methoden zur diagnostischen Sicherung einer möglichen
Psychogenität [109]. Charcot beobachtete, dass sich in vielen Fällen „die Symptome kurz nach
einem Gefühlsausbruch oder Trauma entwickeln“ [111]. 1891 führte schließlich Knapp den
Begriff „astasia-abasia“ ein, der aus dem Griechischen kommt und mit „Unfähigkeit, zu gehen
und zu stehen“ übersetzbar ist [76].
In neuerer Zeit wurden eine Reihe von Charakteristika formuliert, die auf eine Psychogenität
der Gangstörung hinweisen: kontinuierliche Langsamkeit des Ganges, dystonischer Gang (inklusive Retropulsion), bizarre Gangformen, Astasie-Abasie-Syndrom, konvulsives Zittern mit
Abknicken des Knies, Seiltänzergang, Scherengang, ataxischer Gang und Watschelgang [7].
Lempert et al. [89] konnten exzessive Verlangsamung bei 35% und einen positiven „psychogenen“ Romberg-Test (zunehmendes Schwanken nach vorausgehender, unauffälliger Standphase oder Übergang in stabilen Stand nach anfänglichem Schwanken durch Ablenkung) in 32%
der Fälle feststellen. Baik et al. [7] unterschieden bei den Patienten ihrer Studie zwischen solchen mit ausschließlich psychogenen Gangstörungen (5,1%) und jenen, die neben den Gangstörungen noch andere psychogene Bewegungsstörungen aufwiesen. Die klinischen Charakteristika der Gangstörungen variierten dabei, je nachdem, ob die Gangstörung isoliert oder
kombiniert mit anderen psychogenen Bewegungsstörungen vorlag. So war exzessive Verlang104
samung des Ganges (18,6%) das häufigste Symptom bei der kombinierten Form und Abknicken der Knie (31,3%) bei der isolierten Form. Weitere typische Charakteristika waren plötzlicher Beginn und Inkonsistenz der Symptomatik, multiple Symptome und eine vorangegangene
Verletzung (hier durch einen Autounfall und einen chirurgischen Eingriff). Die in dieser Studie
vorgenommene Unterteilung der Patienten in Subpopulationen („isolierte“ oder „kombinierte“ Gangstörung) ist ein neuer Ansatz und die unterschiedlichen Phänomene der Subgruppen
ein interessantes Ergebnis. Weitere Studien sollten Aufschluss darüber geben, ob die klinischen Unterschiede zwischen alleinigen und kombinierten psychogenen Gangstörungen auch
auf pathophysiologischen Unterschieden beruhen bzw. ob sich hieraus neue diagnostische
oder therapeutische Möglichkeiten ergeben. Auch die Koexistenz anderer neurologischer Erkrankungen ist ein diagnostisches Signal für eine psychogene Bewegungsstörung. Studien
zeigten, dass die meisten Patienten andere Symptome aufweisen, darunter vor allem neuroophthalmologische Symptome, Schwäche und sensorische Ausfallerscheinungen. So berichteten Kean et al. [73] bei 26 von 60 Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen von
ophthalmologischen Befunden, darunter Gesichtsfeldausfälle, verminderte Sehschärfe und
eingeschränkte Beweglichkeit der Augen. Bei der Bewertung dieser Ergebnisse sollte man jedoch nicht außer Acht lassen, dass ihre Gültigkeit durch den Umstand verzerrt wird, dass die
Studie in einer neurologischen Klinik mit Schwerpunkt auf ophthalmologischen Erkrankungen
durchgeführt wurde.
Zusammenfassung: Insgesamt lässt sich feststellen, dass psychogene Störungen des Ganges
durch ein relativ eindeutiges Erscheinungsbild und eine Anzahl von leicht erkennbaren Charakteristika von einem erfahrenen Untersucher sicherer diagnostiziert werden können als andere psychogene Bewegungsstörungen. Die phänomenologische Diagnostik sollte jedoch stets
mit psychologischer Diagnostik kombiniert werden, um mögliche emotionale Konflikte oder
psychische Co-Erkrankungen zu identifizieren.
5.4.5 Psychogener Parkinsonismus
Die Parkinson-Erkrankung (Syn.: Parkinsonismus) beschreibt einen Symptomkomplex, der aus
einer Kombination von a) Ruhetremor, b) Rigidität, c) Bradykinesie und d) posturaler Instabilität besteht. Zur Diagnose eines Parkinsonismus müssen mindestens zwei dieser so genannten
Kardinalsymptome vorhanden sein [77]. Unterschieden wird zwischen primärem, idiopathi105
schem Parkinsonismus und sekundärem Parkinsonismus, der vielerlei Ursachen wie Infektionen (z.B. Enzephalitis), Traumata, Intoxikationen (z.B. Zyanid) oder Medikamente (z.B. Lithium) haben kann. Viele neurodegenerative Erkrankungen (z.B. Multisystematrophie, Morbus
Alzheimer) zeigen ebenfalls parkinsonsche Charakteristika. Unter den psychogenen Bewegungsstörungen ist der psychogene Parkinsonismus mit 2 bis 6% eine eher seltene Störung. In
Prävalenzstudien macht sein Anteil unter allen sonstigen Parkinsonformen lediglich 0,17 bis
0,5% aus [105].
Die erste Studie zu psychogenem Parkinsonismus wurde 1995 von Lang et al. [86] veröffentlicht. Sie umfasste 14 Patienten und formulierte klinische Charakteristika sowie differenzialdiagnostische Aspekte des psychogenen Parkinsonismus. Aus den Ergebnissen geht hervor, dass
im Unterschied zu anderen psychogenen Bewegungsstörungen beim psychogenen Parkinsonismus eine gleichmäßige Geschlechterverteilung vorliegt. So waren Männer und Frauen sowohl bei Lang et al. [86] als auch bei Factor et al. [40] jeweils zur Hälfte betroffen. Zu diskutieren sind hier die geringen Fallzahlen, bei größeren Stichproben wäre eine Abweichung in die
eine oder andere Richtung möglich. Die Altersspannweite der in den vorliegenden Studien
dokumentierten Fälle lag zwischen 21 und 63 Jahren, wobei die Dauer der Symptome vor Diagnosestellung von 4 Monaten bis zu 13 Jahren breit gestreut war.
Klinisch präsentiert sich der psychogene Parkinsonismus, wie andere psychogene Bewegungsstörungen auch, mit einem plötzlichen Beginn, wobei der Grad der maximalen Einschränkung
des Patienten frühzeitig erreicht und die dominante Hemisphäre stärker betroffen ist. Während der Tremor beim organischen Parkinsonismus klassischerweise ein Ruhetremor von 4 bis
6 Hz mit konstanter Frequenz ist, der gewöhnlich abnimmt, wenn der Patient seine Körperhaltung verändert, sind für den psychogenen Parkinsonismus Schwankungen in Amplitude und
Frequenz typisch [105]. Der Tremor nimmt bei kognitiver Beanspruchung und Ablenkung ab,
während er bei Fokussierung auf den Tremor zunimmt. Die Rigidität hat einen willkürlichen
Charakter, vermindert sich mit Ablenkung oder synkinetischen Bewegungen der kontralateralen Extremität und weist nicht das so genannte „Zahnradphänomen“ (ruckartiges Nachgeben
einer passiv bewegten Gliedmaße) auf, was einen weiteren, differenzialdiagnostisch wichtigen
Aspekt darstellt, da sich die Symptomatik beim organischen Parkinsonismus zumeist gegenteilig verhält [40]. Die Patienten zeigen oft einen steifen Gang mit einer ungewöhnlichen Positionierung des betroffenen Arms. Beim Überprüfen der posturalen Instabilität zeigt sich schon
bei minimalem Druck oder Zug durch den Untersucher am stehenden Patienten eine extreme
106
Reaktion, die sich in Schleudern der Arme und Rückwärtslaufen äußern kann, wobei der Patient aber nicht fällt.
Die Tatsache, dass 1 Patient auf eine psychotherapeutische Therapie in Kombination mit
Haloperidol ansprach, im PET aber eine verminderte striatale Aufnahme von Fluordopa zeigte,
ist insoweit bemerkenswert, da dies deutlich macht, dass psychogener Parkinsonismus mit
organischem Parkinsonismus koexistieren kann [86]. Dies bestätigte sich auch in der Studie
von Benaderette et al. [11], die durch die Kombination von klinischer, elektrophysiologischer
und SPECT-Untersuchung bei 3 Patienten eine Kombination aus idiopathischem Parkinsonismus und psychogenem Parkinsonismus diagnostizieren konnte. Zur weiteren Erforschung dieser Koexistenz bedarf es jedoch Studien mit größerer Fallzahl.
Zusammenfassung: Der psychogene Parkinsonismus unterscheidet sich in einigen Charakteristika deutlich vom idiopathischen Parkinsonismus. Trotzdem sollte auf eine bildgebende und
elektrophysiologische Untersuchung großen Wert gelegt werden, da sie die Genauigkeit der
Diagnose erhöht und eine mögliche Koexistenz der beiden Parkinsonformen nachweisen kann
[12, 74].
5.4.6 Psychogene Bewegungsstörungen im Kindes- und Jugendalter
Psychogene Bewegungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen sind unter den psychogenen
Bewegungsstörungen das am wenigsten erforschte Gebiet. Zwar berichten viele Studien und
Fallberichte von Fällen psychogener Bewegungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen [1,
62, 90, 95], eine differenzierte Auseinandersetzung mit den klinischen Charakteristika, psychischen Co-Erkrankungen und möglichen Unterschieden zu dem Krankheitsbild bei Erwachsenen hat aber erst in den letzten Jahren begonnen. So lassen sich auch kaum gesicherte Aussagen zur Prävalenz der psychogenen Bewegungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen treffen; Ferrara et al. beziffern ihren Anteil mit 3,1% unter allen Kindern in ihrer Klinik für Bewegungsstörungen (Parkinson’s Disease Center and Movement Disorders Clinic, Houston, Texas)
[46].
Bezieht man sich auf die vier in Abschnitt 4.3.11 (S. 66) aufgeführten Studien [1, 45, 46, 131]
aus den Jahren 2005–2008, so wird deutlich, dass ebenso wie bei erwachsenen Patienten eine
weibliche Prädominanz vorliegt. Lediglich bei Ahmed et al. [1] waren 7 der insgesamt 11 Patienten männlichen Geschlechts.
107
Generell lässt sich feststellen, dass das mittlere Alter bei Symptombeginn zwischen 12,3 und
14,2 Jahren liegt und ein Beginn der Symptomatik vor dem 10. Lebensjahr ungewöhnlich ist.
Der bislang jüngste Patient, bei dem psychogene Bewegungsstörungen festgestellt werden
konnten, findet sich bei Ahmed et al. [1] mit 3 Jahren und 6 Monaten.
Typisch sind bei Kindern und Jugendlichen multiple psychogene Bewegungsstörungen, wobei,
je nachdem welche der Studien berücksichtigt wird, Tremor [1] oder Dystonie [131] dominieren. Dies entspricht dem klinischen Erscheinungsbild, wie es auch von erwachsenen Patienten
bekannt ist. Die Symptomatik setzt plötzlich und anfallartig ein, wobei in den meisten Fällen
ein im direkten Zusammenhang stehender Auslöser auszumachen ist. Ferrara et al. [46] konnten bei 37 (69%) der 54 Kinder einen solchen finden, wobei kleinere Verletzungen oder Unfälle bei 17 (35%) am häufigsten waren. Dies entspricht auch den Ergebnissen von
Schwingenschuh et al. [131], die in ihrer Studie bei 40% der Kinder mit Bewegungsstörungen
eine leichte Verletzung (z.B. Sturz beim Eislaufen) als auslösendes Ereignis feststellen konnten.
Als zugrunde liegende bzw. begleitende psychische Erkrankung sind sowohl Depression als
auch Angststörungen die vorherrschenden Krankheitsbilder; sie liegen bei mehr als der Hälfte
der Patienten vor.
Betrachtet man die in den Studien beschriebenen epidemiologischen und klinischen Charakteristika, so lässt sich feststellen, dass sie denen der psychogenen Bewegungsstörungen bei Erwachsenen ähneln, jedoch gibt es auch Unterschiede, deren Herkunft noch nicht ausreichend
erforscht und verstanden wurde. So manifestieren sich die Symptome bei Kindern häufiger in
der dominanten Körperhälfte, während bei Erwachsenen eher die nichtdominante Körperhälfte charakteristisch zu sein scheint [117a]. Ein möglicher Erklärungsansatz ist die unvollständige Lateralisierung der Gehirnhälften im Kindesalter [120a].
In Bezug auf organische Co-Erkrankungen lässt sich feststellen, dass sie unter Kindern und
Jugendlichen mit psychogenen Bewegungsstörungen ebenfalls verbreitet sind, koexistierende
neurologische Bewegungsstörungen sind jedoch selten [131].
Zusammenfassung: Psychogene Bewegungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen sind ein
wenig erforschtes Phänomen, obwohl die Prävalenz der bei Erwachsenen gleicht. Klinisches
Erscheinungsbild und begleitende psychische Erkrankungen ähneln sich in einigen Punkten,
unterscheiden sich aber auch in einigen. In Anbetracht des generellen Zusammenhangs einer
möglichst raschen Diagnosestellung mit einer günstigen Prognose (siehe hierzu auch Abschnitt
5.6) sind gerade weitere Studien bei Kindern und Jugendlichen unbedingt erforderlich.
108
5.5 Therapie
5.5.1 Interaktion zwischen Arzt und Patient
Die Förderung des Krankheitsverständnisses des Patienten ist von großer Wichtigkeit, da dieses maßgeblich seine Compliance und damit letztendlich auch den Behandlungserfolg bedingt.
Aus diesem Grund kommt schon der adäquaten Mitteilung der Diagnose eine Schlüsselrolle im
Behandlungsprozess zu. Nach Marjam et al. [95] beginnt dieser mit der Sensibilisierung des
Patienten für mögliche zugrunde liegende psychische Faktoren und sollte durch einen Psychologen, Psychosomatiker oder Psychiater erfolgen. Hierbei ist darauf zu achten, dass behutsam
und abwartend vorgegangen wird. Die unmittelbare Konfrontation des Patienten mit der
„Vermutung“, dass seine Beschwerden Ausdruck von unbewussten Konflikten, Impulsen und
Gefühlen bzw. unverarbeiteten Erlebnissen sind, kann eine Abwehrhaltung des Patienten erzeugen bzw. verstärken und gegebenenfalls das Vertrauensverhältnis zum behandelnden Arzt
zerstören [53]. Als Gründe hierfür können z.B. die Angst des Patienten vor einer möglichen
gesellschaftlichen Stigmatisierung („verrückt“, „geisteskrank“) oder vermeintlichen Bagatellisierung seiner Probleme angeführt werden. Stattdessen soll dem Patienten nach Ford et al.
eine neurobiologische Erklärung für seine Symptome unterbreitet werden, um Vertrauen zum
Arzt sowie Akzeptanz und Verständnis bezüglich der Diagnose zu schaffen und so Compliance
und Heilungsprozess zu fördern [50].
Dazu formulieren Williams et al. in ihrer Studie [159] das Konzept des „Diagnostic Debriefing“
zur Förderung des Verständnisses der psychogenen Ursachen der Erkrankung. Dem Patienten
soll bei einem ersten Treffen, idealerweise in Gegenwart des Psychosomatikers und des Neurologen, eine spezifische, symptombasierte Diagnose (z.B. Dystonie, Tremor, Myoklonus) mitgeteilt werden. Hierbei ist es wichtig, dass beide, Psychiater und Neurologe, den unbekannten
Ursprung der Symptome, nicht aber ihre Psychogenität betonen. Die Interaktion zwischen
Körper und Geist bzw. psychischem Wohlergehen und Gesundheit sollte im Gespräch jedoch
ebenso hervorgehoben werden wie der Verweis auf ein deutlich besseres Behandlungsergebnis psychogener Bewegungsstörungen im Vergleich zu Bewegungsstörungen organischer Ursache.
Um das Vertrauen des Patienten in den Behandlungsplan zu erlangen, sind Konsens und
Kommunikation
bezüglich
Diagnose
und
109
therapeutischem
Vorgehen
zwischen
Psychosomatiker und Neurologe von großer Wichtigkeit. Die Mitteilung der neurologischen
Diagnose an den behandelnden Psychosomatiker oder Psychologen verhindert die Fehlinterpretation von Bewegungsstörungen und Zweifel an der Richtigkeit der Diagnose [67].
5.5.2 Psychopharmakotherapie
Es gibt viele verschiedene Fallberichte, die sich mit der medikamentösen Behandlung psychogener Bewegungsstörungen befassen, klinische Studien sind jedoch rar. Voon et al. [154]
konnten in ihrer 15 Patienten umfassenden „open-label“-Studie (sowohl Proband als auch
Organisator der Studie kennen den verabreichten Wirkstoff) einen Behandlungserfolg mit Antidepressiva (z.B. Citalopram oder Paroxetin bzw. Venlaxafin) nachweisen. Bei 7 von 10 Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen, bei denen eine Konversionsstörung nach DSM-IV
[2] diagnostiziert worden war, konnte eine vollständige Remission erzielt werden, während
keiner der 5 Patienten mit einer Somatisierungsstörung auf die Medikation ansprach. Die kleine Fallzahl und das „open-label“-Design mindern die Aussagekraft der Ergebnisse jedoch erheblich; so könnte die Besserung der Symptomatik z.B. auf den Umstand zurückgeführt werden, dass alleine die erfahrene medizinische Aufmerksamkeit und Zuwendung den Patienten
im Heilungsprozess helfen. Auch fehlen Langzeit-Follow-up-Daten, die die Stabilität der Remission dokumentieren.
Es existieren keine weiteren Studien zur Effektivität medikamentöser Behandlung psychogener Bewegungsstörungen, aber verschiedene klinische Studien dokumentieren den Nutzen bei
anderen somatoformen Störungen oder Konversionsstörungen. So untersuchten z.B. Menza
et al. [100] die Wirksamkeit von Nefazodon bei Patienten mit Somatisierungsstörungen, mit
oder ohne koexistierende Depression, und konnten eine Verbesserung bezüglich „Clinical Global Impression and Functioning“ (Skala zur allgemeinen und diagnoseübergreifenden Bestimmung des aktuellen Schweregrads und der Veränderung einer psychischen Erkrankung) bei
73% der Patienten nachweisen. Trotz erwiesener Erfolge bleibt jedoch festzuhalten, dass „Antidepressiva weder direkt die molekularen Entstehungsmechanismen der Symptome beeinflussen noch das ‚Bedürfnis, krank zu sein‘, das häufig mit der Somatisierung einhergeht, behandeln“ [64] (Ü.d.V.).
110
5.5.3 Multimodale Ansätze
Vor diesem Hintergrund ist der kombinierte Ansatz von psychodynamischer Psychotherapie
und antidepressiver medikamentöser Therapie von Hinson et al. [64] zu beachten. Mit dieser
Kombinationstherapie konnte bei allen behandelten Patienten, die sich mit multiplen Bewegungsstörungen vorgestellt hatten und bei denen eine Konversionsstörung diagnostiziert
worden war, ein Behandlungserfolg nachgewiesen werden. Dies galt nicht nur für die Bewegungsstörungen, sondern auch für die verschiedenen psychischen Co-Erkrankungen (Depression, Angststörung, Persönlichkeitsstörung, posttraumatische Belastungsstörung).
Auch die zwei randomisierten kontrollierten klinischen Studien von Moene et al. [101, 102],
die sich mit dem alleinigen bzw. additiven Behandlungseffekt von Hypnose beschäftigen, sind
von Wichtigkeit, da die Ergebnisse einen deutlichen Heilungserfolg durch Hypnose bei Monotherapie zeigen.
Der ausbleibende additive Effekt [101] von Hypnose bei Patienten, die bereits stationär eine
multidisziplinäre Behandlung erhielten, wirft jedoch wiederum die Frage auf, inwieweit nicht
die medizinische Zuwendung und Umsorgung des Patienten alleine bereits zu einer Verbesserung der Symptomatik führt.
Auch eine Kombination von verschiedenen Therapieformen, wie Psychopharmaka, Psychotherapie, Biofeedback und Hypnose, führte lediglich bei 57,4% der Patienten zu einer nachweislichen Besserung [146].
In den Fachveröffentlichungen kontrovers diskutiert wird der Einsatz von Placebomedikation
zur Diagnostik und Therapie von psychogenen Bewegungsstörungen. Die Debatte wird sowohl
unter ethischen als auch medizinischen Aspekten geführt. Viele behandelnde Ärzte sehen in
der Anwendung von Placebo ein „Hintergehen“ des Patienten und eine Abkehr vom Vertrauensverhältnis Arzt–Patient. Der medizinische Nutzen ist zudem umstritten. In Studien zu psychogenen nichtepileptischen Anfällen [13a] konnte Placebo diagnostisch effektiv eingesetzt
werden, während eine Metaanalyse von Studien mit Placebobehandlung signifikant nachweisen konnte, dass Placebogabe vom Erfolg her mit einer Nichtbehandlung gleichzusetzen ist
[32]. Die gegenwärtige Meinung der PMD-Experten zur Verwendung von Placebo zielt auf den
Einsatz bei unklarer Diagnose [67]. Hier kann Placebo helfen, die Bewegungsstörung besser zu
charakterisieren und beispielsweise durch die Auslösung derselben durch eine Placebogabe
ihr volles Ausmaß zu verstehen. Auch kann es unter Umständen dazu beitragen, dem Patien111
ten eine bessere Einsicht in die Psychogenität seiner Erkrankung zu ermöglichen und somit
letztendlich den Heilungsprozess zu fördern.
5.5.4 Zusammenfassung
Aufgrund der geringen Anzahl und der überwiegend mangelhaften Qualität klinischer Studien
sowie des heterogenen Erscheinungsbildes der psychogenen Bewegungsstörungen gibt es
derzeit kein standardisiertes, evidenzbasiertes Behandlungskonzept für betroffene Patienten.
In den letzten Jahren wurden viele verschiedene therapeutische Ansätze wie Psychotherapie,
medikamentöse Therapie mit Antidepressiva, kognitive Verhaltenstherapie, Hypnose und
Akupunktur mit unterschiedlichem Erfolg eingesetzt, der Mangel an kontrollierten, randomisierten Interventionsstudien lässt jedoch keine objektivierbaren Erkenntnisse zu. Konsens unter den behandelnden Experten für psychogene Bewegungsstörungen herrscht lediglich in
Bezug auf die Notwendigkeit eines multimodalen, interdisziplinären und auf die individuellen
Symptome des Patienten abgestimmten Therapiekonzepts, das die oben genannten Behandlungsmethoden (Psychotherapie, medikamentöse Therapie etc.) mit einbezieht [3, 67, 95]. Die
Daten zum Outcome [44, 65, 69, 145, 159] von Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen machen deutlich, dass die Therapie jedoch in jedem Fall schnellstmöglich erfolgen sollte,
da der Grad der Remission erheblich von der Dauer der Symptomatik abhängt.
Abschließend lässt sich sagen, dass der Forschungsstand bisher keine Entwicklung von Leitlinien zur Behandlung von psychogenen Bewegungsstörungen erlaubte, ein Zusammenschluss
von PMD-Experten jedoch 2006 zu einer Veröffentlichung von Behandlungsstrategien führte,
die auf den persönlichen klinischen Erfahrungen der Autoren beruhen [67]. Hiernach soll nach
der Diagnose möglicher psychischer Erkrankungen durch einen Psychiater ein Behandlungsplan erstellt werden, der sowohl Psychotherapie (psychodynamische Therapie oder Verhaltenstherapie) als auch Stressmanagement (Yoga, Entspannungstechniken) enthält. Zusätzlich
sollen Depressionen oder Angststörungen pharmakologisch behandelt werden und dem Patienten Physio- und Bewegungstherapie als Hilfe zur Wiedergewinnung motorischer Funktionen
angeboten werden. Am Ende des Behandlungsprozesses soll der Patient zur Aufgabe der
„Krankenrolle“ bewegt und schnellstmöglich wieder in das Alltagsleben eingegliedert werden.
112
5.6 Outcome und Prognose
Die verschiedenen Studiendaten zum Outcome von psychogenen Bewegungsstörungen differieren einerseits bezüglich des Anteils an Patienten mit partieller oder vollständiger Remission, zeigen andererseits aber eine deutliche Übereinstimmung bezüglich der Faktoren, die mit
einem positiven bzw. negativen Outcome assoziiert sind. Ersteres lässt sich vor allem durch
die unterschiedlichen therapeutischen Interventionen erklären, die die Patienten während des
Follow-ups erfuhren. Beachtet werden müssen aber auch andere verzerrende Faktoren, wie
die Auswahl der Studienpatienten und der Anteil an Bewegungsstörungen, die im Vergleich zu
anderen ein schlechteres Outcome zeigen (z.B. Dystonie vs. Tremor). Generell ist zu bemerken, dass die Drop-out-Quoten bei den Langzeit-Follow-up-Studien sehr hoch sind, und es
stellt sich die Frage, ob Patienten, bei denen der Heilungsprozess unbefriedigend verläuft,
nicht eher dazu neigen, die Behandlung abzubrechen bzw. die Follow-up-Untersuchungen
nicht wahrzunehmen. Wenn ja, würde dies bedeuten, dass die Ergebnisse hinsichtlich eines
positiven Outcomes in der Realität noch zurückhaltender zu bewerten sind als in den Studien.
Williams et al. [159] konnten bei 52% der Patienten (n=131) eine permanente Verbesserung
der Symptome feststellen, mit vollständiger Remission in 25%, deutlicher Verbesserung in
21% und leichter Verbesserung in 8% der Fälle. Der Anteil der Patienten, die ihre vorher ausgeübte Arbeit vollständig wieder aufnehmen konnten, lag bei 25%, während 10% zumindest
halbtags und 15% von zu Hause aus einer Beschäftigung nachgehen konnten. Die Behandlungsansätze umfassten Psychotherapie bei allen Patienten, Pharmakotherapie mit Antidepressiva in 71% der Fälle, zusätzliche psychotherapeutische Interventionen wie Familientherapie (58%) der Fälle, Hypnose (42%) und Placebotherapie (13%).
Die Ergebnisse von Feinstein et al. [44] sind dagegen wesentlich ernüchternder. Nach einem
Langzeit-Follow-up von durchschnittlich 3,2 Jahren konnte lediglich bei 4 von 42 Patienten
eine vollständige Remission der Symptome festgestellt werden. Jedoch ist hier ausdrücklich zu
betonen, dass die Patienten größtenteils unter schweren psychischen Erkrankungen (Depression, Angststörungen, somatoforme Störungen) litten und kein multidisziplinärer Behandlungsansatz gewährleistet werden konnte. Zudem muss in Erwägung gezogen werden, dass
die relativ kurze Follow-up-Periode evtl. nicht ausreichend war, um ein Outcome bei diesen
komplexen Krankheitsbildern zu untersuchen. Thomas et al. [145] berichten in einer Längsschnitt-Follow-up-Studie bei 127 Patienten mit psychogenem Tremor über einen Zeitraum von
113
mindestens 3 Jahren von einer Besserung des Tremors bei 56,6% der Patienten, während
21,3% keine Veränderung und 22,1% eine Verschlechterung zeigten. Die Patienten führten die
Verbesserung ihrer Symptome auf die vom Arzt verschriebene Medikation (31,9%), die Elimination von Stressoren (9,7%), spezielle Behandlungsverfahren (6,2%), Stressmanagement,
Biofeedback (2,7%) und Psychotherapie (2,7%) zurück.
Die aktuellste Studie zum Outcome des psychogenen Tremors von McKeon et al. [97] zeigt
lediglich eine Verbesserung bei 36% der Patienten, bei 15% von ihnen erfolgte eine spontane
Remission, und bei jeweils 6% konnte die Verbesserung auf stationäre psychologische Behandlung und Rehabilitation bzw. ambulante Psychotherapie zurückgeführt werden. Dieses
deutlich schlechtere Outcome lässt sich jedoch vor allem dadurch erklären, dass als primäre
Zielvariable zu seiner Bestimmung die Beeinträchtigung des Patienten im Alltag und nicht ein
objektivierbarer Grad der Verbesserung (z.B. PMD-Skala) verwendet wurde.
Als prognostisch signifikante Faktoren für ein positives Outcome konnten in mehreren Studien
verschiedene Merkmale ausgemacht werden. Nach Thomas et al. [145] sind Dauer der Symptome, guter körperlicher Allgemeinzustand, positive soziale Selbstwahrnehmung, ein Gefühl
von effektiver medizinischer Behandlung und Beseitigung von Stressoren die signifikanten
Variablen für den Genesungsprozess. Vor allem der Zusammenhang zwischen Dauer der Erkrankung und Heilungschancen konnte in anderen Studien bestätigt werden und gilt als wichtigste Determinante für ein positives bzw. negatives Outcome [40, 44, 90, 97]. Lediglich Williams et al. [159] berichten in ihrer Studie, dass die Dauer der Symptome keinen Einfluss auf
das Outcome hat. Als Prädiktoren für ein negatives Outcome konnten Feinstein et al. [44] lange andauernde Symptomatik, langsamen Beginn der Symptome und psychische CoErkrankungen bestimmen, Daten, die auch in anderen Studien [23] bestätigt werden konnten.
Bezüglich der Einschränkung der Lebensqualität verglichen Anderson et al. [4] Patienten mit
psychogenen Bewegungsstörungen mit Parkinson-Patienten. Sie ermittelten erhöhte
Komorbidität, stärkere Einschränkungen in Bezug auf das geistig-seelische Wohlbefinden sowie Disstress, Angststörung, Depression und Somatisierungsstörungen in der Gruppe der psychogenen Bewegungsstörungen. Die Einschränkung im alltäglichen Leben war in beiden Gruppen ähnlich stark ausgeprägt, jedoch ist zu beachten, dass die Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen im Vergleich etwa 20 Jahre jünger waren und eine kürzere Dauer der Erkrankung zeigten (4 vs. 7 Jahre). Die Studie konnte zeigen, dass psychogene Bewegungsstörungen eine massive Einschränkung der Lebensqualität und des emotionalen Wohlbefindens
114
des Patienten bedeuten, die vergleichbar oder gar höher als die Einschränkung durch neurodegenerative Krankheiten zu bewerten ist.
Zusammenfassung: Verlässliche Angaben zum generellen Outcome bzw. zu der Prognose von
psychogenen Bewegungsstörungen sind schwer zu machen, zu unterschiedlich sind die verschiedenen Störungsbilder und zu inkongruent die einzelnen Studien, sowohl was ihre Durchführung als auch ihre Ergebnisse betrifft. Es wurden einige allgemeine Indikatoren, wie z.B.
kurze Dauer der Symptome, für eine positive oder eine psychische Begleiterkrankung für eine
negative Prognose ausgemacht, und die Studien zeigen, dass multimodale, interdisziplinäre
Therapieansätze den größten Behandlungserfolg erzielen.
Dennoch lässt sich abschließend konstatieren, dass die Studien von unbefriedigenden Prognosen bezüglich der vollständigen oder partiellen Remission der Symptome bei Patienten mit
psychogenen Bewegungsstörungen zeugen und eine Erkrankung mit einer hohen Einschränkung der Lebensqualität des Patienten einhergeht.
115
6 Konklusion und Ausblick
a. Zur Studienlage
Eine differenzierte Betrachtung der Studien und Literatur zum Themenkomplex der psychogenen Bewegungsstörungen offenbart, dass – trotz langjähriger medizinischer Auseinandersetzung mit diesen – in essentiellen Punkten immer noch viele Unklarheiten und Unsicherheiten
bestehen. Während Faktoren wie Prävalenz unter den neurologischen Erkrankungen, Dominanz des weiblichen Geschlechts, auslösende Faktoren oder der Anteil psychischer CoErkrankungen relativ zuverlässig bestimmt werden konnten, ist die Informationslage in Bezug
auf pathophysiologische Mechanismen, sichere Diagnosestellung und evidenzbasierte Behandlungsmethoden unbefriedigend. Dies ist nicht zuletzt auf die geringe Anzahl qualitativ
hochwertiger Studien zurückzuführen, was wiederum durch Faktoren verschiedenster Art zu
erklären ist. Die Heterogenität der verschiedenen Störungsbilder in Bezug auf ihr klinisches
Erscheinungsbild erschwert einen allgemeiner gefassten Untersuchungsansatz, d.h., dass jede
Form der Bewegungsstörung für sich betrachtet und das Studiendesign dementsprechend
angepasst werden muss.
Die Rekrutierung der Studienpopulation ist zudem mit großen Schwierigkeiten verbunden, da
die häufige Koexistenz von psychogenen und organischen Störungen zu einem verzerrenden
Effekt der Untersuchungsergebnisse führen können und – in Abwesenheit einer GoldstandardDiagnose – die diagnostische Einstufung nach den Fahn/Williams-Kriterien [43] stets ein subjektives und damit nicht zuverlässiges Element beinhaltet. Da viele Formen von Bewegungsstörungen (idiopathische wie psychogene) keinerlei definierte elektrophysiologische, laboratorische oder bildgebende Besonderheiten aufweisen, wurden die in den Studien beschriebenen anamnestischen Merkmale für eine psychogene Störung meist auf der Basis der Präsenz
dieser Symptome diagnostiziert, was zu dem Problem einer „self-fulfilling prophecy“ führt
[84].
Die Komplexität und Vielzahl der psychischen Erkrankungen wie Depression, Angststörung
und Persönlichkeitsstörungen bei vielen Patienten stellen den Untersucher vor eine weitere
Herausforderung, da sie − vom ausschließlichen Grund der Bewegungsstörung bis hin zur Reaktion auf diese – jede mögliche Rolle in Genese und Prozess der Erkrankung einnehmen können. Zudem leiden die meisten Kohortenstudien mit großer Fallzahl qualitativ an der inadäquaten Attrition; so sind vor allem in vielen Studien zu Outcome und Prognose [44, 69, 145]
116
der psychogenen Bewegungsstörungen LFU-Quoten von über 30% zu verzeichnen, wodurch
die Aussagekraft der Ergebnisse gemindert wird.
b. Pathophysiologie und Diagnose
Neben der oben beschriebenen Problematik zur Studienlage lassen sich bezüglich Pathophysiologie und Diagnose der psychogenen Bewegungsstörungen jedoch auch Fortschritte konstatieren. So haben Weiterentwicklung und Einsatz von elektrophysiologischen und bildgebenden Verfahren in den letzten Jahren zu einer Erforschung verschiedener klinischer Merkmale und diagnostischer Positivkriterien geführt, die – im Kontext einer gründlichen klinischen
Anamnese und unter Berücksichtigung der Krankengeschichte des Patienten – die Diagnosestellung einer psychogenen Bewegungsstörung erleichtern.
Viel versprechende Tests und Ansätze haben ihren Weg in die Forschung gefunden, bedürfen
jedoch weiterer Studien mit größeren Fallzahlen, um ihre Zuverlässigkeit und Eignung für den
klinischen Alltag zu validieren. Diesen Schluss lassen vor allem die Studien zu psychogenem
Tremor und Parkinsonismus zu [11, 70, 96].
c. Therapie
Bezüglich der Therapie der psychogenen Bewegungsstörungen lässt sich zusammenfassend
sagen, dass die mit lediglich zwei kontrollierten, randomisierten klinischen Studien unzureichende Studienlage keinerlei gültige Aussagen über die tatsächliche Wirksamkeit verschiedener Therapieansätze zulässt, in der Fachliteratur zum Thema jedoch ein multimodaler Ansatz
gefordert wird, der je nach Autor aus der Kombination von Psychotherapie, pharmakologischer Therapie, Physiotherapie, Hypnose und Biofeedback besteht. Soweit die Studiendaten
eine Beurteilung zulassen, konnten mit der Kombination dieser Therapiemethoden die besten
Erfolge erzielt werden.
Großer Bedeutung im erfolgreichen Verlauf des Heilungsprozesses ist der Diagnoseübermittlung, einem guten Arzt-Patient-Verhältnis und der Förderung des Krankheitsverständnisses
beim Patienten beizumessen, da eine Einsicht in die Psychogenität der Erkrankung das Vertrauen in den Behandlungsprozess, die Compliance des Patienten und damit die Chancen einer Genesung erhöhen.
117
Des Weiteren ist der Zeitpunkt der Diagnosestellung von großer Wichtigkeit, wie der in vielen
Studien nachgewiesene Zusammenhang zwischen kurzer Dauer der Erkrankung und positivem
Outcome zeigt.
In Anbetracht der ungünstigen Prognosen bei psychogenen Bewegungsstörungen, denen zufolge die vollständige Remission der Symptome je nach Studie zwischen 10 [44] und ca. 25%
[159] variiert, und der drastischen Einschränkung der Lebensqualität [4], die mit diesen Erkrankungen einhergeht, sind weitere prospektive Studien dringend notwendig, um die verschiedenen
Therapiemethoden
zu
evaluieren
und
auf
mittlere
Sicht
zu
einem
evidenzbasierten Behandlungskonzept zu kommen.
d. Ausblick
Abschließend lässt sich sagen, dass psychogene Bewegungsstörungen in den vergangenen 20
bis 25 Jahren stärker in den Fokus der medizinischen Wissenschaft gerückt sind und sich seit
der Formulierung der Fahn/Williams-Kriterien [43] 1988 eine zunehmende Anzahl von Studien
den verschiedenen Störungsbildern widmet. Während sich im Bereich der pathophysiologischen Forschung und apparativen Diagnostik Fortschritte zeigen, die Anlass zur Hoffnung geben, dass in naher Zukunft ein Wechsel von der Ausschluss- hin zur Positivdiagnostik stattfindet, sind die Erfolge bisheriger therapeutischer Konzepte zurückhaltend zu bewerten. Hier
besteht ein dringender Bedarf an qualitativ hochwertigen klinischen Studien, um die prognostischen Aussichten für Patienten mit psychogenen Bewegungsstörungen zu verbessern und
die mit der Erkrankung verbundene Einschränkung der Lebensqualität zu mindern.
118
7 Zusammenfassung
Psychogene Bewegungsstörungen sind „hyper- oder hypokinetische Bewegungsstörungen, deren Ursachen nicht in einer Läsion oder Dysfunktion des nervösen Systems zu finden sind und die in den
meisten Fällen psychologische oder psychiatrische Ursachen aufweisen“ [144]. Die häufigsten Störungsbilder sind Tremor, Dystonien, Myoklonien, Gangstörungen und Parkinson‘sche Krankheitsbilder.
Ihr ungefährer Anteil von 3,5% unter den Patienten mit Bewegungsstörungen haben sie in den vergangenen Jahren stärker in den Fokus der medizinischen Forschung gerückt.
Ziel der Dissertation war die Erstellung einer systematischen Literaturübersicht der aktuellen Studienlage zum Thema psychogene Bewegungsstörungen unter Berücksichtigung der Qualitätsmerkmale der
einzelnen Studien und ihrer damit verbundenen Evidenz. Die anschließende Diskussion fasst die Ergebnisse unter kritischer Reflexion des aktuellen Forschungsstandes kontextbezogen zusammen, wobei der inhaltliche Schwerpunkt auf neue pathophysiologische, diagnostische, therapeutische und
prognostische Erkenntnisse gelegt wird. Eine vom Autor ausgewertete testdiagnostische Pilotstudie
bei 5 Patienten mit psychogenem Tremor untersucht zudem den Zusammenhang zwischen psychogenem Tremor und psychischen Erkrankungen.
Es wurde eine dokumentierte Literaturrecherche mit den Suchmaschinen PubMed und MedPilot (Datenbanken: BIOSIS Previews, CCMed, Cochrane Library, Cochrane Library, DARE, EMBASE, XTOXLINE,
PsycINFO, PSYNDEX, SciSearch, ISTPB + ISTP/ISSHP, Medline) durchgeführt. Studienaufbau und Ergebnisse der nach Prüfung des Originalartikels mittels Checkliste eingeschlossenen Studien wurden deskriptiv zusammengefasst, ihre methodische Qualität nach den Oxford Levels of Evidence bewertet und
mit einem Kommentar des Verfassers versehen.
Es herrscht ein Mangel an qualitativ hochwertigen Studien zum Themenkomplex der psychogenen
Bewegungsstörungen, der in vielen Bereichen keine evidenzbasierten Aussagen zulässt. Während epidemiologische Faktoren weitestgehend sicher bestimmt werden konnten, ist die Informationslage in
Bezug auf pathophysiologische Mechanismen, sichere Diagnosestellung und evidenzbasierte Behandlungsmethoden unbefriedigend. Im Bereich der elektrophysiologischen Diagnostik konnten in den letzten Jahren zwar deutliche Fortschritte in Richtung einer Positivdiagnostik erzielt werden; es ist jedoch
noch nicht gelungen, ein Therapiekonzept zu etablieren, das die ungünstigen Prognosen bei einer Erkrankung deutlich verbessert. Die Ergebnisse der eigenen Datenerhebung stimmen teilweise mit denen anderer Studien überein, unterschieden sich aber auch in anderen Punkten. Insgesamt besteht ein
dringender Bedarf an qualitativ hochwertigen Studien, um die prognostischen Aussichten für Patienten
mit psychogenen Bewegungsstörungen zu verbessern und die mit der Erkrankung verbundene Einschränkung der Lebensqualität zu mindern.
119
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9 Anhang
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133
10 Lebenslauf
Persönliche Daten
Name
David Geronimo Hoffmann
Geburtsdatum
15.05.1983
E-Mail
[email protected]
Nationalität
deutsch
Schulbildung
1989–1993
Besuch der Gemeinschaftsgrundschule
Stenzelbergstraße, Köln
1993–2002
Besuch des Schillergymnasiums, Köln
Mai 2002
Abitur (Abschlussnote 1,1)
Hochschulbildung
April 2004
Aufnahme des Studiums der Humanmedizin an der
Universität zu Köln
Oktober 2007 bis September 2008
Teilnahme am Hochschulaustauschprogramm "Erasmus" an der Medizinischen Fakultät zu Lissabon
Mai 2011
Abschluss des Studiums der Humanmedizin an der
Universität zu Köln (Note: gut)
Publikationen
Vitinius F, Hoffmann DG, Albus C
Psychogene Bewegungsstörungen – ein systematischer Literaturüberblick (Abstract)
Psychother Psych Med 2011; 61: 116
Vitinius F, Hoffmann DG, Albus C
Psychogene Bewegungsstörungen – ein systematischer Literaturüberblick (Poster)
Deutscher Kongress für Psychosomatische Medizin; 23.-26.03.2011
Vitinius F, Hoffmann G, Albus C
Psychogenic movement disorders – a systematic review (Abstract)
Journal of Psychosomatic Research 2011; 70: 620
134
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