Geburtshaus, Frauenarzt- und Hebammenpraxis Bühlau

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Leitliniensammlung
Leitlinie 17
Geburtshaus, Frauenarzt- und
Hebammenpraxis Bühlau
in Zusammenarbeit mit
Dresdner Akademie für individuelle Geburtsbegleitung
Grundstraße 174, 01324 Dresden, Tel. +49351269980, Fax +493512699820
QM-Handbuch
Kapitel 2.2.
B-Streptokokken
Vorbemerkung
Bei den so genannten „Early-Onset-Infektionen“ handelt es sich um relativ seltene, gelegentlich jedoch
septisch verlaufende Infektionen der Perinatalzeit, deren Pathomechanismen noch nicht hinreichend
aufgeklärt sind.
Nach dem klinischen Verlauf lassen sich zwei grundsätzlich verschiedene Infektionsszenarien
unterscheiden:
aufsteigende Infektion:
• Keimquelle: Scheide
• auslösende Keime: alle Bakterien einer fakultativ-pathogenen Besiedelung der Scheide. Aufsteigende
Infektionen können also auch durch Enterokokken oder E. coli ausgelöst werden. B-Streptokokken
spielen hierbei nur bezüglich ihrer Häufigkeit, nicht aber wegen einer besonderen Aggressivität eine
Rolle. Insbesondere der Typ II der B-Streptokokken scheint in der Scheide gute Lebensbedingungen
vorzufinden, weil Vaginalsekret die Antikörperreaktion gegen die Bakterien hemmt (Gray 1988).
Andererseits ist der Typ II nur sehr selten mit schweren Verläufen assoziiert (Lin 1998).
• Pathomechanismus: Bis zum Blasensprung lebt das Kind in einer Art „immunologischem Kokon“, dessen
Grenzen die Eihäute und der periplazentare Raum bilden. Im Moment des Blasensprungs ist diese
Immunbarriere aufgehoben. Fakultativ-pathogene Keime können nun den periplazentaren Raum
besiedeln und so auf das Kind übertreten. Die Besiedelung erfolgt kontinuierlich durch aufsteigende
Infektion von der Scheide aus. In den ersten 12 Stunden nach Blasensprung ist ein solches Szenario
unwahrscheinlich, binnen 18 Stunden selten, zwischen 18 und 24 Stunden steigt die Wahrscheinlichkeit
logarithmisch an. 24 Stunden nach Blasensprung ist die Wahrscheinlichkeit einer intrauterinen Infektion
hoch. Begünstigende Faktoren sind: Jede (insbesondere die erste) vaginale Untersuchung, langfristige
Zervixeröffnung.
• Immunreaktion: Sowohl mütterliches als auch kindliches Immunsystem erkennen die Fremdantigene und
reagieren (Fieber, Tachykardie, Leukozytose, CRP- und IL-6 bzw. -8-Anstieg)
• Verlauf: Durch die Immunreaktion sind die Verläufe meist leichter und in der Regel durch Antibiose gut
beherrschbar.
intrauterine Infektion:
• Keimquelle Darm
• auslösende Keime: Möglicherweise handelt es sich um Bakterien des menschlichen Mikrobioms
(Bakterien, die „ausgelagerte Funktionen“ des menschlichen Biosystems übernommen haben (Prince
2014) – wie z.B. die Iso-Agglutinin-Bildung gegen Blutgruppenantigene. Diese Bakterien werden von den
Monozyten der Darm-Mukosa aufgenommen und aktiv zur Plazenta (Douvier 1999, Bearfield 2002) und
zur mütterlichen Brust (Fernandez 2013) transportiert und dort angereichert. Das menschliche
Mikrobiom ist ein physiologischer Mechanismus des Biosystems der Schwangerschaft (Jäger 2014).)
Streptococcus agalacticae aus der Lancfield-Gruppe B scheint bei diesem Infektionsszenario eine
besonders herausragende Rolle zu spielen – und hier insbesondere die Serotypen Ia, III und V
(Adderson 2000, Lin 1998).
• Pathomechanismus: Intrauterine Infektion unabhängig vom Blasensprung. Der genaue
Pathomechanismus ist noch weitgehend unklar - möglicherweise Dysbiose in Folge einer gestörten
Kommunikation zwischen (physiologisch) im Plazentarraum eingelagerten Bakterien des menschlichen
Mikrobioms und dem sie supprimierend-kontrollierenden Immunsystem (Jäger 2014, Prince 2014,
LaTunga 2014). Möglicherweise spielt ein kindlicher Immundefekt der für die Weiterleitung des
Immunsignals zuständigen IkB-2-Kinase eine Schlüsselrolle bei der Pathogenese (Pannike 2013).
• Immunreaktion: fehlt. Mutter und Kind scheinen die Bakterien des Mikrobioms zu tolerieren.
• Verlauf: typischerweise oft schnelle Geburten ohne Anzeichen einer Infektion, Kind zunächst meist
stabil, oft erst wenige Stunden nach der Geburt Verschlechterung des Zustands (Verfallen des Kindes,
Trinkstörung, Akrozyanose, Atemstörungen) und Einlaufen einer schweren septischen Infektion.
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17_2 B-Streptokokken.doc
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Leitlinien:2200 Vorlagen:17_2 B-Streptokokken.doc
Erstellt von
SHi
04.11.2008
Revision
03
revidiert von
SHi
27.5.2014
Freigabe
DB
27.5.2014
aktuelle Leitlinien
Für den deutschsprachigen Raum gibt es derzeit keine Leitlinie. Die frühere AWMF-Leitlinie 24/20 (generelle
Antibiose bei B-Streptokokken-positiven Frauen mit Geburtsbeginn) ist nicht mehr gültig. Grund für die
Zurücknahme der Leitlinie könnte die Kritik an der Qualität der Studien sein, die der Empfehlung zur
intrapartalen Antibiose zu Grunde liegen (Ohlsson 2013).
praktisches Vorgehen
Schritt 1: Aufklärung der Schwangeren zum B-Streptokokken-Problem, Entscheidung pro/kontra
Abstrich
Verantwortlichkeiten:
Aufklärung beim Geburtsgespräch durch die Hebamme, Abstrich beim Geburtsgespräch Arzt (ggf.
umgekehrt, wenn Gespräche in anderer Reihenfolge stattfinden; Ausnahme: klare Entscheidung der
Schwangeren, dann Abstrich sofort)
Für den Abstrich spricht:
• 85-90% negative Befunde – Entlastung
• bei positivem Befund sind wir streng genommen am gleichen Punkt wie bei unbekanntem Status –
unbekannt=positiv
• Abwägung Antibiose erst bei positivem Befund, die Abwägung bezieht sich ausschließlich auf u.U.
unnötige Vorstellung des Kindes bei Anpassungsstörungen
Schritt 2: bei positivem Befund: Abwägung Antibiose
Verantwortlich: Arzt/Ärztin; Moderation: Hebamme
Für die Antibiose spricht:
• seltener leichtere Verläufe
Gegen die Antibiose spricht:
• in den meisten Fällen eindeutige Übertherapie mit Gefahr Resistenzentwicklung – mögliche
Einschränkung der Therapiefreiheit bei späteren Infektionen
• schwere Verläufe oft untertherapiert, da intrauteriner Infekionsweg nicht erfasst
• Bedeutung der Antibiose für die biologische Homöostase noch nicht abschließend geklärt. Insbesondere
könnte die Funktion des menschlichen Mikrobioms gestört werden – mit bisher noch nicht absehbaren
Folgen für das kindliche Immunsystem (Jäger 2014a).
Entscheidet sich das Paar für die Antibiose:
• Kassenrezept auf Patientenname: Penicillin G 5 Mega I.E. Inj.-Fl. Nr. 10 (N3) (oder ggf.
Alternativpräparat)à Rezeption
• Vermerk in Geburtspapiere durch Arzt/Ärztin: „Anweisung einer intrapartalen Antibiose mit … laut
Leitlinie 17. Mit der Applikation wird die geburtsbegleitende Hebamme beauftragt.““
Entscheidet sich das Paar gegen die Antibiose:
• Dokumentation der Aufklärung und der Entscheidung, keine Unterschrift
Schritt 3: ggf. intrapartale Antibiose
•
•
•
•
Mittel der Wahl: parenterale Verabreichung von Penicillin G (initial 5 Mio. IE i.V., dann alle 4 Stunden
2,5 Mio. IE i.V.),
Alternative (cave: schlechtere Resistenzlage beim Neugeborenen): Ampicillin (initial 2 g i.V., dann alle
4 Stunden 1 g i.V.),
bei Penicillinallergie: Cefoloxin (initial 2 g i.V., dann alle 8 Stunden 1 g i.V.), Clindamycin (900 mg i.V.
alle 8 Stunden) oder Erythromycin (600 mg i.V. alle 6 Stunden)
orale Antibiose: Eine Alternative zur parenteralen Antibiose stellt die orale Gabe von Penicillin V dar.
Diese ist weniger effektiv und sollte nur dann angewendet werden, wenn eine intravenöse Applikation
(z.B. in der außerklinischen Geburtshilfe) nicht erfolgen kann. Dabei muss die ungünstigere
Pharmakokinetik beachtet werden: früher beginnen: bereits bei Geburtsbeginn, spätestens 12 Stunden
nach Blasensprung; höhere Einzeldosis: initial 6 Tabl., dann 3 Tabl. Penicillin V 1,5 Mio. Einheiten;
kürzere Intervalle: alle 3 Stunden.
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17_2 B-Streptokokken.doc
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Leitlinien:2200 Vorlagen:17_2 B-Streptokokken.doc
Erstellt von
SHi
04.11.2008
Revision
03
revidiert von
SHi
27.5.2014
Freigabe
DB
27.5.2014
Indikation zur Antibiose:
• Temperaturerhöhung (≥ 38°C)
• mütterliche Tachykardie (≥ 100/min), fetale Tachykardie (≥ 150/min)
• druckschmerzhafter Uterus, zunehmende, destruktive Wehentätigkeit
• übel riechendes Fruchtwasser
• Leukozytose (≥ 17.000/µl), CRP-Erhöhung (serieller Anstieg)
• 24 Stunden nach Blasensprung
• ggf. positiver B-Streptokokken-Status
Sorgfältige Dokumentation der Indikation, die i.d.R. auch Verlegungsgrund ist. Bei Antibiose wegen pos. BStreptokokken-Befund Indikationsvermerk z.B.: “Ordo Dr. Hildebrandt wegen pos. B.Streptokokken-Status“
Beachte:
Eine intrapartale Antibiose ausschließlich wegen Vorliegen eines positiven B-Streptokokken-Status
ist derzeit nicht durch Leitlinien forensisch abgedeckt. Die Schwangere muss diese explizit
wünschen. Der Wunsch muss genau dokumentiert werden. Nach der derzeitigen Datenlage stellt eine
intrapartale Antibiose zwar keinen Verstoß gegen die „guten Sitten“ dar, ist aber nicht eindeutig
indiziert!
Schritt 4: Nachbetreuung:
Unabhängig vom B-Streptokokken-Status sollten alle Eltern ausführlich über bestimmte
Beobachtungsmaßnahmen beim Kind aufgeklärt und geschult werden. Wir halten es für möglich und
sinnvoll, die Eltern in den Status des „Fachpersonals“ im Sinne der gültigen Leitlinien zu erheben. Wir
glauben, dass die Kinder durch die Eltern u.U. besser „überwacht“ werden können als durch Klinikpersonal.
Die Eltern sollten insbesondere während der ersten 48 Stunden bei jedem Wickeln auf folgende
Warnzeichen achten und ggf. sofort ihre Hebamme/Arzt/Ärztin informieren oder besser sofort eine
neonatologische Einrichtung aufsuchen:
• HF > 150/min, auffällige Atmung, Apnoen, KKT > 37,5°C / < 36,5 °C
• schlaffer Muskeltonus, Lethargie, marmorierte, kalte Extremitäten, blass-graues Hautkolorit
• Trinkstörung, Exsikkose, Berührungsempfindlichkeit, geblähtes Abdomen, keine Darmgeräusche,
Erbrechen
Literatur:
Bearfield, C. et al.: Possible association between amniotic fluid micro-organism infection and microflora in the mouth.
BJOG. 109(5):527–533 (2002)
Douvier, S. et al.: Chorioamnionitis with intakt membranes caused by Capnoytophaga sputigena. Eur J Obst Gyn Reprod
Biol. 83(1):109–112) (1999)
Fernández, l. et al.: The human milk microbiota: origin and potential role in health and disease. Pharmacological
Research. 69: 1–10 (2013)
GRAY, B. M., DILLON Jr., H. C., und PRITCHARD, D. G., 1988: Specificity of monoclonal antibodies against group B
Streptococcus type II and inhibition of their binding by human secretions. Ped. Res. 24: 68-72
Human Microbiom Project Consortium: Structure function and diversity of the healthy microbiom. Nature. 2012, 486
(7402): 207–214A, http://commonfund.nih.gov/hmp/index, www.nature.com/nature/focus/humanmicrobiota (2012)
Jäger, H.: Mütterliche Mikroflora – Zwiesprache der Bakterien, DHZ. (2): 67–71 (2014)
Jäger, H.: Streptokokken B und Antibiotika-Prophylaxe, DHZ – erscheint 2014 (2014a)
LaTunga, M.S. et al.: A Review of the Source and Function of Microbiota in Breast Milk. Semin Reprod Med. 32: 68–78
(2014)
LIN, F. Y. C., CLEMENS, J. D., AZIMI, P. H., REGAN, J. A., WEISMAN, L.E., PHILIPS, J. B. 3rd, RHOADS, G. G.,
CLARK, P., BRENNER, R. A., und FERRIERI, P., 1998: Capsular polysaccharide types of group B streptococcal isolates
from neonates with early-onset systemic infection. J. Infect. Dis. 177: 790-792
Ohlsson, A. et al.: Intrapartum antibiotics for known maternal Group B streptococcal colonization. Cochrane Database
Syst Rev. Jul 8;(3):CD007467.
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/14651858.CD007467.pub2/abstract;jsessionid=BF6736C
7EA74DBFEB089DB8342EA5C1E.f02t04 (2009)
Prince, A. L. et al.: The Microbiome and Development: a mothers perspective. Semin Reprod Med. 32: 14–22 (2014)
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