toshiya_Meditation Nepal_4 _2008

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Tibetischer Buddhismus
Reisewege in Nepal
Auf Reisewege in Nepal begibt man sich nicht ohne weiteres.
Etliche Bergsteiger, die sich in die Höhen des Himalayas vorwagen, verbringen Wochen und Monate mit der Vorbereitung ihrer Reise. Sie planen ihre Routen sorgfältig und
beziehen Alternativrouten mit ein. Sie haben einen großzügigen Zeitplan, organisieren Proviant und packen das sorgfältig ausgesuchte und geprüfte Material zusammen. Zu
guter Letzt bereiten sie sich körperlich gründlich auf die
bevorstehende Expedition vor. Dann brechen sie auf, beginnen mit Trägern und Yaks ihre beschwerliche Reise bis zum
Basislager. Dort werden Zelte errichtet und die Expeditions-
teilnehmer warten auf den besten Zeitpunkt für den Aufstieg
in die unwirtlichen Höhen der 8000er. Manchmal lässt das
Wetter eine Gipfelbesteigung wochenlang nicht zu, oder die
Expedition ist bereits aufgebrochen und wird unterwegs zum
Umkehren gezwungen. Dann verbringen die Bergsteiger ihre
Wartezeit bis zum nächsten Gipfelsturm mit Trainingsbesteigungen und Überprüfung der lebensnotwendigen
Ausrüstung. Für einige Bergsteiger wird der Aufbruch zum
Gipfel ein voller Erfolg. Sie kehren zurück und sind an Einsichten und Erfahrungen weiser geworden. Andere bleiben
am Berg - sie kehren niemals zurück.
Eine Reise in den Himalaya stand schon seit
sehr vielen Jahren auf meiner "Lebens - to
do - Liste". Auf dieser Nepalreise hatte ich
weniger die geographische Hochgebirgsregion des Himalaya im Sinn, als das Kloster
Kopan in Boudha/Kathmandu. Dort wollte
ich eine einmonatige Schulung über tibetischen Buddhismus hören mit anschließendem einwöchigen Meditationsretreat. Mein
Aufenthalt in Nepal sollte den Erlebnissen
einer Expedition in nichts nachstehen - selbst
wenn es keine 8000er Besteigung war. Im
Januar 2008 kam ich von meiner 2monatigen Reise aus Nepal zurück - reicher an
Erfahrungen und Abenteuern. Von allen
Seiten wurde ich bestürmt, Bilder zu zeigen
und zu berichten. Die immer wiederkehrende Fragen "Was hast du dort die ganze Zeit
gemacht?", "Warum tibetischer Buddhismus in Nepal?", "Wie hat dich diese Reise
geprägt?" verdienen Antworten. In dieser
toshiya-Ausgabe und den kommende beiden Magazinen findet ihr meinen
Reisebericht.
Der historische Buddhismus
Der Begriff "Buddhismus" wurde erst im 19.
Jh. von westlichen Forschern geprägt. In
den traditionellen buddhistischen Ländern
wird vom Pfad oder der Lehre Buddhas
gesprochen. Die Lehre des Buddha entstand vor etwa 2500 Jahren in Indien mit dem
Erwachen des historischen Prinzen Siddharta
Gautama zu Buddha Shakyamuni und breitete sich über mehrere Wege nach Asien
aus. Auf einer Südroute erreichte sie ab
dem 3. Jh. v. Chr. vom Kerngebiet ausge22
hend zunächst fast ganz Indien und Sri
Lanka, danach Teile Südostasiens (Malaysia,
Indonesien). Als Kerngebiet wird die
Gegend um Lumbini (im Südosten des heutigen Nepal) genannt, dem Geburtsort des
Prinzen Siddharta Gautama. Prinz Siddharta Gautama lebte - so die Überlieferung - bis zu seinem 29 Lebensjahr sorglos
am Königshof seines Vaters. Während der
"Vier Ausfahrten" wurde er mit den Leiden
der Menschen konfrontiert
(Alter, Krankheit, Tod) und
begegnete einem Asketen.
Er beschloss dem Leben im
Überfluss am väterlichen
Hof den Rücken zu kehren,
lebte fortan in Askese, um
die Leiden zu überwinden
und Erlösung zu finden.
Nach sechs asketischen Jahren war er seinem Ziel
nicht näher gekommen. So
beschloss er, den "mittleren" Weg (zwischen Askese
und Überfluss) zu beschreiten. Nach weiteren Jahren
intensiver Meditationsübungen erreichte Siddharta
unter einem Bodhi-Baum
die Erkenntnis seiner wahren Natur. Er erfuhr einen
Zustand der Vollkommenheit des Geistes, der Weisheit und des Mitgefühls mit
allen Lebewesen. Damit
hatte er Samsara (unfreiwilliger Kreislauf von Leben
und Tod) überwunden. Bald entwickelte
Buddha Shakyamuni (wie er fortan genannt
wurde) eine Lehre, deren Kern die Vier
Edlen Wahrheiten darstellen. Er gründete
einen Bettelorden und stimmte der Gründung eines Frauenordens zu. Den in Indien
weit verbreiteten Hinduismus konnte die
neue Religion nicht verdrängen. In Indien
selbst verlor der Buddhismus ab dem 11. Jh.
zunehmend an Bedeutung und spielt dort
heute nur noch eine unbedeutende Rolle.
In Indien und Südostasien hat sich die
Theravada-Tradition erhalten.
In einer zweiten Verbreitungsphase gelangten die Lehren Buddhas im 1. Jh. n. Chr. über
eine Nordroute bis nach Zentralasien. Kaufleute brachten sie über die Seidenstrasse
mit nach Hause. Besonders in Ostasien
erfuhr der Pfad Buddhas eine ganz eigene
Prägung und entwickelte mit der Chan/Zen-
Tradition ein gänzlich auf Meditation beruhendes System. Sie wurde die wichtigste
buddhistische Schule Chinas, die in ihrer
heute bekannten Form bis ins 6. Jh. auf den
buddhistischen Mönch und Meditationsmeister Bodhidharma zurückreicht. Er
brachte die Lehre des Ch´an von Indien
nach China und etablierte sie dort. Später
entwickelte sich daraus der Zen. Bodhidharma wird heute als der Erste Patriarch
des Zen verehrt. Red
Pine schreibt in seiner
Übersetzung "Bodhidharmas Lehre des Zen" über
den Patriarch folgendes:
"Während andere Meditation als eine Reinigung
des Geistes betrachteten
oder als Schritt auf
einem Weg zur Buddhaschaft, setzte Bodhidharma Zen mit Buddhaschaft gleich - und Buddhaschaft mit Geist, mit
dem alltäglichen Geist,
der sich somit nicht vom
Buddha-Geist unterscheidet. Statt seine Schüler
anzuhalten, ihren Geist
zu reinigen, wies er auf
Felswände, die Bewegungen von Tigern und
Kranichen, ein Schilfblatt
auf dem Yangtze oder
eine einzelne Schale. Für
Bodhidharma war Zen
nicht Meditation. Zen
war das Schwert der Weisheit."
Zen begann sich in Japan im 12. Jh. unter
Esai Zenji und 13. Jh. unter Dogen zu etablieren. Bekannt sind heute vor allem die
Rinzai-Schule, die die Beschäftigung mit
Koans und die Ausübung der "Zen-Künste"
in den Vordergrund stellt, und die SotoSchule, die Betonung auf das absichtslose
Sitzen in Meditation legt.
Ab dem 7. Jh. n. Chr. gelangen die Lehren
Buddhas in der Mahayana-Tradition in das
Tibetische Hochland, nach Buthan und ab dem
13. Jh. n. Chr. in die Mongolei und nach
Russland. Die Verbreitung des Buddhismus
in Tibet begann im 7. Jh., fand ihren Höhepunkt im 8. Jh. mit Padmasambhava und
erfuhr ihr zweite Blüte im 11. Jh. mit Atisha.
Von da an bildeten sich die heute noch
bekannten vier großen Schulen des tibetischen Buddhismus (Gelug, Kagyü, Nyingma, Sakya) heraus. Charakteristisch für den
tibetischen Buddhismus ist die Betonung
der Madyamaka-Philosophie und des
Tantrayana.
Ankunft in Nepal - Der erste Eindruck
Nach meiner Landung auf dem Flughafen
Tribhuvan in Kathmandu, dem einzigen
internationalen Flughafen Nepals, umschäumten mich alsbald die Geräusche,
Gerüche und Menschen, die mich bis heute
nicht wieder los lassen sollten.
Während nächtlicher Taxifahrt zum Hotel
erblickte ich am Straßenrand Behausungen
aus Zeltplanen, davor Lagerfeuer, um die
sich Kinder und Erwachsene scharrten. Das
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flackernde Feuer beleuchtete die Szenerie
schemenhaft und mischte sich mit dem
üblen Geruch der Stadt nach Abfall und
dem Klappern und Holpern des überalterten Taxis. Nun, das war mein erster Eindruck von Kathmandu: die Armut der Menschen hat einen unverkennbaren Geruch.
Der Taxifahrer war eindeutig ein Wissender,
er kannte sämtliche Schleichwege und
Abkürzungen durch die engen Gassen der
Hauptstadt, die im geregelten Deutschland
nicht annähernd der Bezeichnung Feldweg
würdig gewesen wären. In Nepal sind es
indes Hauptverkehrswege.
Und hier wollte ich zwei Monate bleiben?
Vielleicht war doch alles ein Irrtum oder
ein übler Traum, aus dem ich sicherlich
gleich erwachen würde. Doch dem war
nicht so. Wenn sich mir die Möglichkeit
geboten hätte, wäre ich sofort umgekehrt.
Eine Freundin hatte mir die BuddhismusSchulung im Kloster Kopan als "intensiv
und umfassend" empfohlen. Wir hatten
ausführlich über den Klosteraufenthalt
gesprochen, auf diese Zeit war ich vorbereitet. Ziel war es, dem tibetischen Buddhismus dort zu begegnen, wo er heute in seiner scholastischen Form gelebt und gelehrt
wird. Doch darauf was es bedeutete, ein
Entwicklungsland zu erleben, war ich nicht
vorbereitet. Es ist ein Unterschied über
Kindersterblichkeit und Analphabetenquote zu lesen oder die Umstände zu erleben, die zu eben diesen Konsequenzen führen.
Der erste Eindruck
Die Nacht im Hotel in Kathmandu verbrachte ich in der Hoffnung, dass die ersten Eindrücke meiner Übermüdung nach einer
langen Reise zuzuschreiben wären und sich
mir am folgenden Morgen ein strahlender
Himmel mit Ausblick auf die Berge eröffnet,
die Kathmandu einschließen. Bei Sonnenaufgang empfingen mich Morgennebel,
hupendes Getöse, Abgase und Verkehrschaos anstatt der atemberaubende Ausblick auf die Berge, der bei der Onlinebuchung im Internet so schön ausgesehen
hatte. Anstatt des geplanten Stadtbummels
in Kathmandu beschloss ich, diesem
Hexenkessel so schnell als möglich zu entkommen und verhandelte den Taxipreis
zum tibetischen Kloster, das etwa 8 km
nordöstlich vom Stadtzentrum in einer
Höhe von 1450 m an den Berghängen liegt.
Ich war eine Woche vor Kursbeginn angereist, um mich im Kloster einzuleben, den
Jetlag zu überwinden und Eindrücke von
Nepal und seinen Menschen zu bekommen.
Die Klosteranlage der Mönche nimmt die
gesamte Spitze eines Hügels ein. Dort befinden sich neben der Gompa (Gebäude für
Schulungen, rituelle Versammlungen und
Praxis), den Gebäuden der Mönche, auch
die Unterkünfte für westliche Kursteil24
nehmer, eine Bibliothek, ein Shop, ein Restaurant und eine Klinik. Am Hang liegt das
angegliederte Nonnenkloster. Beide Klosteranlagen werden gemeinsam verwaltet,
doch Nonnen und Mönche leben getrennt.
Theoretisch haben die Ordinierten identische Rechte und Pflichten, de facto war es
jedoch so, dass die Nonnen bis vor einigen
Jahren die Wäsche der Mönche gewaschen
und ihren Unterhalt mit der Herstellung
von Räucherwerk bestritten haben. Inzwischen hat sich das geändert. Nonnen
und Mönche erhalten die gleiche monastische Ausbildung von den gleichen Lehrern.
Die Ausbildung dauert 15 Jahre und schließt
mit dem Geshe-Titel (vergleichbar mit einer
Promotion) ab. In dieser Zeit werden die
Schüler in Tibetisch, Nepalesisch, Englisch
und Sanskrit unterrichtet. Sie studieren die
überlieferten Schriften und üben sich im
Debattieren. Eine überaus laute und unterhaltsame Kunst. Hierbei werden Argumente zu einem vorgegebenen Sachverhalt
ausgetauscht, selbstverständlich unter Hinweis auf die Stelle, Autor und Schrift. Wer
zuerst einen Fehler im Zitieren macht oder
in eine argumentative Sackgasse gerät, hat
unter dem Jubel der übrigen des Debattierzirkels verloren. Das Ganze geschieht
unter den wachsamen Augen und Ohren
der Lehrer, die ebenso viel Spaß haben wie
die Studenten. Der Tagesablauf der
"Westerners", also aller Teilnehmer, die zur
Lamrim-Schulung aus der gesamten Welt
angereist waren, war weniger streng als der
der Mönche und Nonnen. Wir mussten erst
um 5.30 Uhr zur Praxis erscheinen. Die
Sangha (Gemeinschaft aller Mönche und
Nonnen, die im Kloster leben) fand sich
bereits ab 4 Uhr morgens in der Gompa
ein. Doch zum Kursprogramm später mehr.
Erste Kontakte
In den Tagen vor Kursbeginn trafen allmählich die übrigen Teilnehmer ein. Es gibt
kein Land, das nicht vertreten war: Japan,
Russland, Korea, Australien, Südafrika,
Europa, Israel, Alaska, USA, Kolumbien,
Mexiko u.v.a. Die Länder die nicht durch
einen Repräsentanten per se vertreten
waren, wurden indirekt repräsentiert, dadurch dass jemand bereits dort gearbeitet
hatte. Ein Engländer hatte zwei Jahre lang
Autos an Hilfsorganisationen in Afghanistan
verkauft. Die Kolumbianerin arbeitete seit
zwölf Monaten in der Mongolei und der
deutsche Arzt war als Entwicklungshelfer
mehrmals in Indien gewesen. Ein japanisch-schweizerisches Ehepaar war seit zwei
Jahren auf Weltreise und der Trekking-Reiseleiter eines bekannten deutschen Reiseveranstalters kannte sämtliche Touren der
Himalayaregion wie seine Westentasche.
Eine kunterbunte und prickelnde Mischung
Menschen aller Couleur. Alle brachten ihre
Geschichten und Erfahrungen mit. Es versprach spannend zu werden. Wie spannend
stellte sich im Laufe des Kurses heraus.
Die Klosterregion
Bevor wir uns dem strengen Tagesablauf
unseres Lamrim-Kurses beugten, hatten wir
Zeit erste gemeinsame Erkundungen zu unternehmen. Zwei Ziele standen ganz oben auf
der Hitliste. Zum einen war es einer der
größten Stupa Nepals: Bodnath-Stupa (von
Einheimischen auch Boudha-Stupa genannt).
Zum anderen der älteste Stupa Nepals:
Swayambunath-Stupa aus dem 5. Jh. Beide
Bauwerke sind UNESCO-Weltkulturerbe.
Von Kloster Kopan liegt der Boudha-Stupa
in Sicht- und Laufdistanz. In einer guten
halben Stunde kann man den Stupa erreichen. Der Weg führte den Berg hinab,
durch ein Armenviertel bis in den Stadtteil
Boudha, der auch "Klein Tibet" genannt
wird. Sobald man den Stupa erreicht, sieht
man viele Tibeter und Tibeterinnen, die
den fast 40 m hohen Stupa umkreisen, der
einen Durchmesser von über 100 m hat.
Während der Umkreisung murmeln sie
ständig das Mantra "Om mani padme hum"
und drehen dabei die Gebetmühlen, die im
Sockel des Baus eingelassen sind. Um den
Stupa herum bieten Souvenirläden und
Touristencafes alles an, was das Herz des
westlichen Reisenden höher schlagen lässt.
In den Strassen hinter dem Stupa sind viele
Klöster entstanden, die von den Tibetern
gegründet wurden, die aufgrund der chinesischen Invasion 1959 aus Tibet fliehen
mussten. Sie haben sich hier niedergelassen und leben ihren Glauben unbehelligt
inmitten des Hinduismus. Interessanterweise sind in die buddhistischen Bauwerke
meistens hinduistische Schreine integriert.
Gläubige beider Religionen gehen ihren
Praktiken nach ohne aneinander Anstoß zu
nehmen. Boudha ist ein wichtiger Wallfahrtsort im Leben der Buddhisten. Früher
kamen die Handelsreisenden von der
gefährlichen Gebirgsüberquerung gesund
in die niedrigen Gefilde um Kathmandu
und dankten in Boudha für die glückliche
Reise; umgekehrt beteten sie für eine
erfolgreiche Tour, bevor sie sich wider auf
den Weg in den Himalaya machten. Heute
pilgern Buddhisten aus dem Hochgebirge
von Nepal, Tibet, Ladakh, Bhutan und
Sikkim zum Boudha-Stupa. Sogar Expeditionen umrunden vor Beginn der Reise
den Stupa und bitten um gutes Wetter,
Gelingen und um die Rückkehr aller
Expeditionsteilnehmer. Für uns "Buddhismus-Touristen" wurde der Stupa und seine
Peripherie neben seiner Bedeutung als religiöses Bauwerk zum Anlaufpunkt für Pizza,
Bohnenkaffee, Kuchen und andere Konsumgüter. So kam es häufig vor, dass wir in
einem der Dachrestaurants saßen, uns den
kulinarische Genüsse hingaben, den
Menschen in den Strassen bei ihren StupaUmrundungen und Niederwerfungen zusahen und neueste buddhistische Erkenntnisse diskutierten.
Am Westrand Kathmandus liegt auf einem
1407 m hohen Hügel der SwayambunathStupa. Als ältester Stupa Nepals hat er unter
den Buddhisten den gleichen Stellenwert
wie Pashupatinath für die Hindus. Wie in
Boudha umrunden Gläubige auch hier
ständig den Stupa am Fuß des Hügels und
rezitieren währenddessen unablässig Gebete. Einige ummessen den Hügel mit ihrer
Körperlänge, indem sie sich auf dem Bauch
ausgestreckt auf den Boden niederlegen,
aufstehen, einige Schritte bis zu dem entferntesten Punkte gehen, den die Fingerspitzen zuvor erreichen konnten und sich
dann erneut auf den Boden niederwerfen.
Die Gläubigen drücken durch
diese Praxis ihre Verehrung für
die Drei Juwelen (Buddha,
Dharma und Sangha) aus und
nehmen Zuflucht zu ihnen.
Um auf den Stupaberg zu gelangen, steigt man die 231 steilen
Stufen hinauf, begleitet von
aggressiven Rhesusaffen, Bettlern, Touristen und Pilgern. Wir
besuchten Swayambunath im
Morgengrauen. Die Sonne tauchte
die gesamte Anlage in ein fahles
Licht und kämpfte mit dem
Morgennebel. Es war bitter kalt.
Erstaunlich viele Gläubige umrundeten den Hügel in einem
enormen Tempo. Entweder weil
ihnen ebenso kalt war wie uns
oder weil sie keine Zeit verlieren,
sondern stattdessen in diesem
Leben so viele Umrundungen wie
möglich durchführen wollten,
um im kommenden Leben eine
gute Wiedergeburt zu erlangen.
Oder sie hatten es - ganz
menschlich - eilig auf dem Weg zur Arbeit.
Am Wegrand standen Kinder in Slippers
und verkauften Butterlampen für umgerechnet 0,2 Eurocent das Stück.
Ist man oben auf dem Stupahügel angelangt wird man von einer Horde streitender
Affen und Schwärmen von Tauben empfangen. Buddhisten und Hindusisten verrichten nebeneinander ihre Morgenrituale.
Buddhisten beten für eine glückliche Wiedergeburt aller Lebewesen als Menschen und
etwas weiter werden Opfertiere zu Ehren
der blutrünstigen Hindugöttin Kali getötet.
Dazwischen bieten Souvenirläden alles,
was das Touristenherz begehrt und sobald
die Sonne aufgegangen ist, kann man hier
auch Frühstücken. Wir waren vorgewarnt,
dass das untrainierte westliche Verdauungssystem mit den angebotenen Speisen und
Getränken Probleme bekommen könnte.
Nur die Mutigesten unter uns wagten sich
an ein Sandwich und Tee, manche bereuten
es, andere überlebten. Alles in allem eingelungener Morgenausflug. Als die organisierten Touristentouren eintrafen, ging es
für uns bereits wieder zurück ins Kloster. Es
kam uns bereits nach den wenigen Tagen
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in Kathmandu wie ein Paradies vor. Wir
fuhren durch das Getümmel der staubigen
Stadt, am Straßenrand fliegende Händler
aus den Bergen, die Gemüse und Obst verkaufen. Heilige Kühe wanderten unbehelligt durch das Verkehrschaos, werden sorgsam umfahren (wer eine Kuh tötet oder
verletzt, kommt ins Gefängnis!) und suchen
in den Abfällen am Straßenrand nach
Essbarem. Dazwischen immer wieder die
Zelte der Ärmsten, mit Lagerfeuer und Kindern, die nackt im Dreck spielen. Sie wachsen sozusagen im Straßengraben auf. Ohne
Chance auf Bildung.
Die Menschen haben andere Sorgen als
den Umweltschutz
Von unserem Kloster konnten wir täglich
den Smog über Kathmandu beobachten,
der sich wie eine undurchsichtige Glocke
über die Stadt legt. Nur an wenigen Tagen
und zu besonderen Wetterlagen ist es möglich die Häuser im Tal zu erkennen. Kein
Wunder: die Menschen heizen und kochen
ausschließlich mit Holz. Zudem verbrennen
sie ihren Müll, dort wo er liegt - an der
Strasse, im Hof oder auf dem Feld. Der
Zivilisationsmüll wie Plastik, Dosen und
andere nicht organische Abfälle sind für
diese Art der Müllentsorgung nicht geeignet. Was nicht verbrennt, bleibt liegen. Die
Menschen haben andere Sorgen, als sich
mit dem Restmüll auf der Strasse zu
beschäftigen. Sie haben Hunger. Auf den
völlig überfüllten Strassen drängeln sich
Mofas, Motorräder, Autos, Busse, LKWs
und Fußgänger hupend und stinkend
aneinander vorbei. Die Abgase sind nur mit
Atemschutzmaske (gibt es überall zu kaufen) oder wenigsten einem Tuch vor dem
Gesicht zu ertragen. Der Lärmpegel und
das Durcheinander übertrifft alle südeuro-
päischen Großstädte. Wer hupt wen an und
weshalb? Der schwankende Fahrradfahrer
mit der geschulterten 5 m langen Holzleiter schafft es am überladenen Bus vorbei, der im gleichen Moment mitten auf
der Strasse wendet. Nicht das angesichts
eines wendenden Busses irgendein Fahrer
anhalten würde. Die Strasse ist bereits in
alle Richtungen und mit allen erdenklichen
Fahrzeugen verstopft. Jeder fährt etwas langsamer und umfährt den querstehenden
Bus geschickt. Das man dabei auf die
Gegenfahrbahn kommt auf der gerade auf
zwei Fahrspuren vier hupende Autos entgegenkommen ist unwichtig. Derjenige mit
den besseren Nervenkostüm ist
Sieger und darf zuerst fahren!
Also versuchen alle gleich-zeitig
um den wendenden Bus herumzufahren. Ein Busfahrer kann
natürlich in so einer Situation
nicht alleine wenden. Deshalb
gibt es immer noch einen
"Klopfer". In brenzligen Situationen hängt er sich sofort weit
aus der geöffneten Tür und
klopft mit der Hand an die
Buswand "Stop!", "Weiterfahren!", "Langsam!". In Verkehrssituationen, die sogar in Rom
oder Paris als überaus chaotisch
beschrieben würden, springt er
wagemutig ins Gewühl, stürmt
hinter den Bus oder - auf Überlandstrecken - an die Busseite, die
dem Tal am nächsten ist und gibt
dem Fahrer klopfend und pfeifend Zeichen. Geht meistens gut
aus - nur einmal sind wir im
Gebirge an einer Stelle vorbei
gefahren, an der ein Bus zwei
Tage zuvor die Kurve nicht geschafft hatte.
Im zweiten Teil beginnt die einmonatige
Lamrim-Schulung im Kloster Kopan. Worum
es dabei geht und was wir im Kloster erlebt
haben, erzähle ich euch im nächsten toshiya-Magazin.
Text und Fotos: Anette Christl
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