Tibetischer Buddhismus Reisewege in Nepal Auf Reisewege in Nepal begibt man sich nicht ohne weiteres. Etliche Bergsteiger, die sich in die Höhen des Himalayas vorwagen, verbringen Wochen und Monate mit der Vorbereitung ihrer Reise. Sie planen ihre Routen sorgfältig und beziehen Alternativrouten mit ein. Sie haben einen großzügigen Zeitplan, organisieren Proviant und packen das sorgfältig ausgesuchte und geprüfte Material zusammen. Zu guter Letzt bereiten sie sich körperlich gründlich auf die bevorstehende Expedition vor. Dann brechen sie auf, beginnen mit Trägern und Yaks ihre beschwerliche Reise bis zum Basislager. Dort werden Zelte errichtet und die Expeditions- teilnehmer warten auf den besten Zeitpunkt für den Aufstieg in die unwirtlichen Höhen der 8000er. Manchmal lässt das Wetter eine Gipfelbesteigung wochenlang nicht zu, oder die Expedition ist bereits aufgebrochen und wird unterwegs zum Umkehren gezwungen. Dann verbringen die Bergsteiger ihre Wartezeit bis zum nächsten Gipfelsturm mit Trainingsbesteigungen und Überprüfung der lebensnotwendigen Ausrüstung. Für einige Bergsteiger wird der Aufbruch zum Gipfel ein voller Erfolg. Sie kehren zurück und sind an Einsichten und Erfahrungen weiser geworden. Andere bleiben am Berg - sie kehren niemals zurück. Eine Reise in den Himalaya stand schon seit sehr vielen Jahren auf meiner "Lebens - to do - Liste". Auf dieser Nepalreise hatte ich weniger die geographische Hochgebirgsregion des Himalaya im Sinn, als das Kloster Kopan in Boudha/Kathmandu. Dort wollte ich eine einmonatige Schulung über tibetischen Buddhismus hören mit anschließendem einwöchigen Meditationsretreat. Mein Aufenthalt in Nepal sollte den Erlebnissen einer Expedition in nichts nachstehen - selbst wenn es keine 8000er Besteigung war. Im Januar 2008 kam ich von meiner 2monatigen Reise aus Nepal zurück - reicher an Erfahrungen und Abenteuern. Von allen Seiten wurde ich bestürmt, Bilder zu zeigen und zu berichten. Die immer wiederkehrende Fragen "Was hast du dort die ganze Zeit gemacht?", "Warum tibetischer Buddhismus in Nepal?", "Wie hat dich diese Reise geprägt?" verdienen Antworten. In dieser toshiya-Ausgabe und den kommende beiden Magazinen findet ihr meinen Reisebericht. Der historische Buddhismus Der Begriff "Buddhismus" wurde erst im 19. Jh. von westlichen Forschern geprägt. In den traditionellen buddhistischen Ländern wird vom Pfad oder der Lehre Buddhas gesprochen. Die Lehre des Buddha entstand vor etwa 2500 Jahren in Indien mit dem Erwachen des historischen Prinzen Siddharta Gautama zu Buddha Shakyamuni und breitete sich über mehrere Wege nach Asien aus. Auf einer Südroute erreichte sie ab dem 3. Jh. v. Chr. vom Kerngebiet ausge22 hend zunächst fast ganz Indien und Sri Lanka, danach Teile Südostasiens (Malaysia, Indonesien). Als Kerngebiet wird die Gegend um Lumbini (im Südosten des heutigen Nepal) genannt, dem Geburtsort des Prinzen Siddharta Gautama. Prinz Siddharta Gautama lebte - so die Überlieferung - bis zu seinem 29 Lebensjahr sorglos am Königshof seines Vaters. Während der "Vier Ausfahrten" wurde er mit den Leiden der Menschen konfrontiert (Alter, Krankheit, Tod) und begegnete einem Asketen. Er beschloss dem Leben im Überfluss am väterlichen Hof den Rücken zu kehren, lebte fortan in Askese, um die Leiden zu überwinden und Erlösung zu finden. Nach sechs asketischen Jahren war er seinem Ziel nicht näher gekommen. So beschloss er, den "mittleren" Weg (zwischen Askese und Überfluss) zu beschreiten. Nach weiteren Jahren intensiver Meditationsübungen erreichte Siddharta unter einem Bodhi-Baum die Erkenntnis seiner wahren Natur. Er erfuhr einen Zustand der Vollkommenheit des Geistes, der Weisheit und des Mitgefühls mit allen Lebewesen. Damit hatte er Samsara (unfreiwilliger Kreislauf von Leben und Tod) überwunden. Bald entwickelte Buddha Shakyamuni (wie er fortan genannt wurde) eine Lehre, deren Kern die Vier Edlen Wahrheiten darstellen. Er gründete einen Bettelorden und stimmte der Gründung eines Frauenordens zu. Den in Indien weit verbreiteten Hinduismus konnte die neue Religion nicht verdrängen. In Indien selbst verlor der Buddhismus ab dem 11. Jh. zunehmend an Bedeutung und spielt dort heute nur noch eine unbedeutende Rolle. In Indien und Südostasien hat sich die Theravada-Tradition erhalten. In einer zweiten Verbreitungsphase gelangten die Lehren Buddhas im 1. Jh. n. Chr. über eine Nordroute bis nach Zentralasien. Kaufleute brachten sie über die Seidenstrasse mit nach Hause. Besonders in Ostasien erfuhr der Pfad Buddhas eine ganz eigene Prägung und entwickelte mit der Chan/Zen- Tradition ein gänzlich auf Meditation beruhendes System. Sie wurde die wichtigste buddhistische Schule Chinas, die in ihrer heute bekannten Form bis ins 6. Jh. auf den buddhistischen Mönch und Meditationsmeister Bodhidharma zurückreicht. Er brachte die Lehre des Ch´an von Indien nach China und etablierte sie dort. Später entwickelte sich daraus der Zen. Bodhidharma wird heute als der Erste Patriarch des Zen verehrt. Red Pine schreibt in seiner Übersetzung "Bodhidharmas Lehre des Zen" über den Patriarch folgendes: "Während andere Meditation als eine Reinigung des Geistes betrachteten oder als Schritt auf einem Weg zur Buddhaschaft, setzte Bodhidharma Zen mit Buddhaschaft gleich - und Buddhaschaft mit Geist, mit dem alltäglichen Geist, der sich somit nicht vom Buddha-Geist unterscheidet. Statt seine Schüler anzuhalten, ihren Geist zu reinigen, wies er auf Felswände, die Bewegungen von Tigern und Kranichen, ein Schilfblatt auf dem Yangtze oder eine einzelne Schale. Für Bodhidharma war Zen nicht Meditation. Zen war das Schwert der Weisheit." Zen begann sich in Japan im 12. Jh. unter Esai Zenji und 13. Jh. unter Dogen zu etablieren. Bekannt sind heute vor allem die Rinzai-Schule, die die Beschäftigung mit Koans und die Ausübung der "Zen-Künste" in den Vordergrund stellt, und die SotoSchule, die Betonung auf das absichtslose Sitzen in Meditation legt. Ab dem 7. Jh. n. Chr. gelangen die Lehren Buddhas in der Mahayana-Tradition in das Tibetische Hochland, nach Buthan und ab dem 13. Jh. n. Chr. in die Mongolei und nach Russland. Die Verbreitung des Buddhismus in Tibet begann im 7. Jh., fand ihren Höhepunkt im 8. Jh. mit Padmasambhava und erfuhr ihr zweite Blüte im 11. Jh. mit Atisha. Von da an bildeten sich die heute noch bekannten vier großen Schulen des tibetischen Buddhismus (Gelug, Kagyü, Nyingma, Sakya) heraus. Charakteristisch für den tibetischen Buddhismus ist die Betonung der Madyamaka-Philosophie und des Tantrayana. Ankunft in Nepal - Der erste Eindruck Nach meiner Landung auf dem Flughafen Tribhuvan in Kathmandu, dem einzigen internationalen Flughafen Nepals, umschäumten mich alsbald die Geräusche, Gerüche und Menschen, die mich bis heute nicht wieder los lassen sollten. Während nächtlicher Taxifahrt zum Hotel erblickte ich am Straßenrand Behausungen aus Zeltplanen, davor Lagerfeuer, um die sich Kinder und Erwachsene scharrten. Das 23 flackernde Feuer beleuchtete die Szenerie schemenhaft und mischte sich mit dem üblen Geruch der Stadt nach Abfall und dem Klappern und Holpern des überalterten Taxis. Nun, das war mein erster Eindruck von Kathmandu: die Armut der Menschen hat einen unverkennbaren Geruch. Der Taxifahrer war eindeutig ein Wissender, er kannte sämtliche Schleichwege und Abkürzungen durch die engen Gassen der Hauptstadt, die im geregelten Deutschland nicht annähernd der Bezeichnung Feldweg würdig gewesen wären. In Nepal sind es indes Hauptverkehrswege. Und hier wollte ich zwei Monate bleiben? Vielleicht war doch alles ein Irrtum oder ein übler Traum, aus dem ich sicherlich gleich erwachen würde. Doch dem war nicht so. Wenn sich mir die Möglichkeit geboten hätte, wäre ich sofort umgekehrt. Eine Freundin hatte mir die BuddhismusSchulung im Kloster Kopan als "intensiv und umfassend" empfohlen. Wir hatten ausführlich über den Klosteraufenthalt gesprochen, auf diese Zeit war ich vorbereitet. Ziel war es, dem tibetischen Buddhismus dort zu begegnen, wo er heute in seiner scholastischen Form gelebt und gelehrt wird. Doch darauf was es bedeutete, ein Entwicklungsland zu erleben, war ich nicht vorbereitet. Es ist ein Unterschied über Kindersterblichkeit und Analphabetenquote zu lesen oder die Umstände zu erleben, die zu eben diesen Konsequenzen führen. Der erste Eindruck Die Nacht im Hotel in Kathmandu verbrachte ich in der Hoffnung, dass die ersten Eindrücke meiner Übermüdung nach einer langen Reise zuzuschreiben wären und sich mir am folgenden Morgen ein strahlender Himmel mit Ausblick auf die Berge eröffnet, die Kathmandu einschließen. Bei Sonnenaufgang empfingen mich Morgennebel, hupendes Getöse, Abgase und Verkehrschaos anstatt der atemberaubende Ausblick auf die Berge, der bei der Onlinebuchung im Internet so schön ausgesehen hatte. Anstatt des geplanten Stadtbummels in Kathmandu beschloss ich, diesem Hexenkessel so schnell als möglich zu entkommen und verhandelte den Taxipreis zum tibetischen Kloster, das etwa 8 km nordöstlich vom Stadtzentrum in einer Höhe von 1450 m an den Berghängen liegt. Ich war eine Woche vor Kursbeginn angereist, um mich im Kloster einzuleben, den Jetlag zu überwinden und Eindrücke von Nepal und seinen Menschen zu bekommen. Die Klosteranlage der Mönche nimmt die gesamte Spitze eines Hügels ein. Dort befinden sich neben der Gompa (Gebäude für Schulungen, rituelle Versammlungen und Praxis), den Gebäuden der Mönche, auch die Unterkünfte für westliche Kursteil24 nehmer, eine Bibliothek, ein Shop, ein Restaurant und eine Klinik. Am Hang liegt das angegliederte Nonnenkloster. Beide Klosteranlagen werden gemeinsam verwaltet, doch Nonnen und Mönche leben getrennt. Theoretisch haben die Ordinierten identische Rechte und Pflichten, de facto war es jedoch so, dass die Nonnen bis vor einigen Jahren die Wäsche der Mönche gewaschen und ihren Unterhalt mit der Herstellung von Räucherwerk bestritten haben. Inzwischen hat sich das geändert. Nonnen und Mönche erhalten die gleiche monastische Ausbildung von den gleichen Lehrern. Die Ausbildung dauert 15 Jahre und schließt mit dem Geshe-Titel (vergleichbar mit einer Promotion) ab. In dieser Zeit werden die Schüler in Tibetisch, Nepalesisch, Englisch und Sanskrit unterrichtet. Sie studieren die überlieferten Schriften und üben sich im Debattieren. Eine überaus laute und unterhaltsame Kunst. Hierbei werden Argumente zu einem vorgegebenen Sachverhalt ausgetauscht, selbstverständlich unter Hinweis auf die Stelle, Autor und Schrift. Wer zuerst einen Fehler im Zitieren macht oder in eine argumentative Sackgasse gerät, hat unter dem Jubel der übrigen des Debattierzirkels verloren. Das Ganze geschieht unter den wachsamen Augen und Ohren der Lehrer, die ebenso viel Spaß haben wie die Studenten. Der Tagesablauf der "Westerners", also aller Teilnehmer, die zur Lamrim-Schulung aus der gesamten Welt angereist waren, war weniger streng als der der Mönche und Nonnen. Wir mussten erst um 5.30 Uhr zur Praxis erscheinen. Die Sangha (Gemeinschaft aller Mönche und Nonnen, die im Kloster leben) fand sich bereits ab 4 Uhr morgens in der Gompa ein. Doch zum Kursprogramm später mehr. Erste Kontakte In den Tagen vor Kursbeginn trafen allmählich die übrigen Teilnehmer ein. Es gibt kein Land, das nicht vertreten war: Japan, Russland, Korea, Australien, Südafrika, Europa, Israel, Alaska, USA, Kolumbien, Mexiko u.v.a. Die Länder die nicht durch einen Repräsentanten per se vertreten waren, wurden indirekt repräsentiert, dadurch dass jemand bereits dort gearbeitet hatte. Ein Engländer hatte zwei Jahre lang Autos an Hilfsorganisationen in Afghanistan verkauft. Die Kolumbianerin arbeitete seit zwölf Monaten in der Mongolei und der deutsche Arzt war als Entwicklungshelfer mehrmals in Indien gewesen. Ein japanisch-schweizerisches Ehepaar war seit zwei Jahren auf Weltreise und der Trekking-Reiseleiter eines bekannten deutschen Reiseveranstalters kannte sämtliche Touren der Himalayaregion wie seine Westentasche. Eine kunterbunte und prickelnde Mischung Menschen aller Couleur. Alle brachten ihre Geschichten und Erfahrungen mit. Es versprach spannend zu werden. Wie spannend stellte sich im Laufe des Kurses heraus. Die Klosterregion Bevor wir uns dem strengen Tagesablauf unseres Lamrim-Kurses beugten, hatten wir Zeit erste gemeinsame Erkundungen zu unternehmen. Zwei Ziele standen ganz oben auf der Hitliste. Zum einen war es einer der größten Stupa Nepals: Bodnath-Stupa (von Einheimischen auch Boudha-Stupa genannt). Zum anderen der älteste Stupa Nepals: Swayambunath-Stupa aus dem 5. Jh. Beide Bauwerke sind UNESCO-Weltkulturerbe. Von Kloster Kopan liegt der Boudha-Stupa in Sicht- und Laufdistanz. In einer guten halben Stunde kann man den Stupa erreichen. Der Weg führte den Berg hinab, durch ein Armenviertel bis in den Stadtteil Boudha, der auch "Klein Tibet" genannt wird. Sobald man den Stupa erreicht, sieht man viele Tibeter und Tibeterinnen, die den fast 40 m hohen Stupa umkreisen, der einen Durchmesser von über 100 m hat. Während der Umkreisung murmeln sie ständig das Mantra "Om mani padme hum" und drehen dabei die Gebetmühlen, die im Sockel des Baus eingelassen sind. Um den Stupa herum bieten Souvenirläden und Touristencafes alles an, was das Herz des westlichen Reisenden höher schlagen lässt. In den Strassen hinter dem Stupa sind viele Klöster entstanden, die von den Tibetern gegründet wurden, die aufgrund der chinesischen Invasion 1959 aus Tibet fliehen mussten. Sie haben sich hier niedergelassen und leben ihren Glauben unbehelligt inmitten des Hinduismus. Interessanterweise sind in die buddhistischen Bauwerke meistens hinduistische Schreine integriert. Gläubige beider Religionen gehen ihren Praktiken nach ohne aneinander Anstoß zu nehmen. Boudha ist ein wichtiger Wallfahrtsort im Leben der Buddhisten. Früher kamen die Handelsreisenden von der gefährlichen Gebirgsüberquerung gesund in die niedrigen Gefilde um Kathmandu und dankten in Boudha für die glückliche Reise; umgekehrt beteten sie für eine erfolgreiche Tour, bevor sie sich wider auf den Weg in den Himalaya machten. Heute pilgern Buddhisten aus dem Hochgebirge von Nepal, Tibet, Ladakh, Bhutan und Sikkim zum Boudha-Stupa. Sogar Expeditionen umrunden vor Beginn der Reise den Stupa und bitten um gutes Wetter, Gelingen und um die Rückkehr aller Expeditionsteilnehmer. Für uns "Buddhismus-Touristen" wurde der Stupa und seine Peripherie neben seiner Bedeutung als religiöses Bauwerk zum Anlaufpunkt für Pizza, Bohnenkaffee, Kuchen und andere Konsumgüter. So kam es häufig vor, dass wir in einem der Dachrestaurants saßen, uns den kulinarische Genüsse hingaben, den Menschen in den Strassen bei ihren StupaUmrundungen und Niederwerfungen zusahen und neueste buddhistische Erkenntnisse diskutierten. Am Westrand Kathmandus liegt auf einem 1407 m hohen Hügel der SwayambunathStupa. Als ältester Stupa Nepals hat er unter den Buddhisten den gleichen Stellenwert wie Pashupatinath für die Hindus. Wie in Boudha umrunden Gläubige auch hier ständig den Stupa am Fuß des Hügels und rezitieren währenddessen unablässig Gebete. Einige ummessen den Hügel mit ihrer Körperlänge, indem sie sich auf dem Bauch ausgestreckt auf den Boden niederlegen, aufstehen, einige Schritte bis zu dem entferntesten Punkte gehen, den die Fingerspitzen zuvor erreichen konnten und sich dann erneut auf den Boden niederwerfen. Die Gläubigen drücken durch diese Praxis ihre Verehrung für die Drei Juwelen (Buddha, Dharma und Sangha) aus und nehmen Zuflucht zu ihnen. Um auf den Stupaberg zu gelangen, steigt man die 231 steilen Stufen hinauf, begleitet von aggressiven Rhesusaffen, Bettlern, Touristen und Pilgern. Wir besuchten Swayambunath im Morgengrauen. Die Sonne tauchte die gesamte Anlage in ein fahles Licht und kämpfte mit dem Morgennebel. Es war bitter kalt. Erstaunlich viele Gläubige umrundeten den Hügel in einem enormen Tempo. Entweder weil ihnen ebenso kalt war wie uns oder weil sie keine Zeit verlieren, sondern stattdessen in diesem Leben so viele Umrundungen wie möglich durchführen wollten, um im kommenden Leben eine gute Wiedergeburt zu erlangen. Oder sie hatten es - ganz menschlich - eilig auf dem Weg zur Arbeit. Am Wegrand standen Kinder in Slippers und verkauften Butterlampen für umgerechnet 0,2 Eurocent das Stück. Ist man oben auf dem Stupahügel angelangt wird man von einer Horde streitender Affen und Schwärmen von Tauben empfangen. Buddhisten und Hindusisten verrichten nebeneinander ihre Morgenrituale. Buddhisten beten für eine glückliche Wiedergeburt aller Lebewesen als Menschen und etwas weiter werden Opfertiere zu Ehren der blutrünstigen Hindugöttin Kali getötet. Dazwischen bieten Souvenirläden alles, was das Touristenherz begehrt und sobald die Sonne aufgegangen ist, kann man hier auch Frühstücken. Wir waren vorgewarnt, dass das untrainierte westliche Verdauungssystem mit den angebotenen Speisen und Getränken Probleme bekommen könnte. Nur die Mutigesten unter uns wagten sich an ein Sandwich und Tee, manche bereuten es, andere überlebten. Alles in allem eingelungener Morgenausflug. Als die organisierten Touristentouren eintrafen, ging es für uns bereits wieder zurück ins Kloster. Es kam uns bereits nach den wenigen Tagen 26 in Kathmandu wie ein Paradies vor. Wir fuhren durch das Getümmel der staubigen Stadt, am Straßenrand fliegende Händler aus den Bergen, die Gemüse und Obst verkaufen. Heilige Kühe wanderten unbehelligt durch das Verkehrschaos, werden sorgsam umfahren (wer eine Kuh tötet oder verletzt, kommt ins Gefängnis!) und suchen in den Abfällen am Straßenrand nach Essbarem. Dazwischen immer wieder die Zelte der Ärmsten, mit Lagerfeuer und Kindern, die nackt im Dreck spielen. Sie wachsen sozusagen im Straßengraben auf. Ohne Chance auf Bildung. Die Menschen haben andere Sorgen als den Umweltschutz Von unserem Kloster konnten wir täglich den Smog über Kathmandu beobachten, der sich wie eine undurchsichtige Glocke über die Stadt legt. Nur an wenigen Tagen und zu besonderen Wetterlagen ist es möglich die Häuser im Tal zu erkennen. Kein Wunder: die Menschen heizen und kochen ausschließlich mit Holz. Zudem verbrennen sie ihren Müll, dort wo er liegt - an der Strasse, im Hof oder auf dem Feld. Der Zivilisationsmüll wie Plastik, Dosen und andere nicht organische Abfälle sind für diese Art der Müllentsorgung nicht geeignet. Was nicht verbrennt, bleibt liegen. Die Menschen haben andere Sorgen, als sich mit dem Restmüll auf der Strasse zu beschäftigen. Sie haben Hunger. Auf den völlig überfüllten Strassen drängeln sich Mofas, Motorräder, Autos, Busse, LKWs und Fußgänger hupend und stinkend aneinander vorbei. Die Abgase sind nur mit Atemschutzmaske (gibt es überall zu kaufen) oder wenigsten einem Tuch vor dem Gesicht zu ertragen. Der Lärmpegel und das Durcheinander übertrifft alle südeuro- päischen Großstädte. Wer hupt wen an und weshalb? Der schwankende Fahrradfahrer mit der geschulterten 5 m langen Holzleiter schafft es am überladenen Bus vorbei, der im gleichen Moment mitten auf der Strasse wendet. Nicht das angesichts eines wendenden Busses irgendein Fahrer anhalten würde. Die Strasse ist bereits in alle Richtungen und mit allen erdenklichen Fahrzeugen verstopft. Jeder fährt etwas langsamer und umfährt den querstehenden Bus geschickt. Das man dabei auf die Gegenfahrbahn kommt auf der gerade auf zwei Fahrspuren vier hupende Autos entgegenkommen ist unwichtig. Derjenige mit den besseren Nervenkostüm ist Sieger und darf zuerst fahren! Also versuchen alle gleich-zeitig um den wendenden Bus herumzufahren. Ein Busfahrer kann natürlich in so einer Situation nicht alleine wenden. Deshalb gibt es immer noch einen "Klopfer". In brenzligen Situationen hängt er sich sofort weit aus der geöffneten Tür und klopft mit der Hand an die Buswand "Stop!", "Weiterfahren!", "Langsam!". In Verkehrssituationen, die sogar in Rom oder Paris als überaus chaotisch beschrieben würden, springt er wagemutig ins Gewühl, stürmt hinter den Bus oder - auf Überlandstrecken - an die Busseite, die dem Tal am nächsten ist und gibt dem Fahrer klopfend und pfeifend Zeichen. Geht meistens gut aus - nur einmal sind wir im Gebirge an einer Stelle vorbei gefahren, an der ein Bus zwei Tage zuvor die Kurve nicht geschafft hatte. Im zweiten Teil beginnt die einmonatige Lamrim-Schulung im Kloster Kopan. Worum es dabei geht und was wir im Kloster erlebt haben, erzähle ich euch im nächsten toshiya-Magazin. Text und Fotos: Anette Christl