Großes, zystisches, papilläres Schilddrüsenkarzinom bei einem

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Großes, zystisches, papilläres
Schilddrüsenkarzinom bei einem jungen Mann
Einführung
Histologisch erfolgt eine Einteilung in differenzierte Karzinome (50 – 60 % papillärer
Typ und 20 – 30 % follikulärer Typ), undifferenzierte (anaplastische, 5 – 10 %) und medulläre (C-Zell-) Karzinome (5 %) sowie seltene Entartungsformen der Schilddrüse
(malignes Lymphom, Sarkom u. a.) und
Metastasen extrathyroidealer Tumore.
Fallbeschreibung
Ein 30-jähriger Patient wurde mit seit etwa
3 Wochen bestehenden Halsschmerzen, in
der Nacht intermittierend aufgetretenen
Atembeschwerden, mäßiger Odynophagie
und deutlicher Weichteilschwellung des
Halses von einem niedergelassenen HNOKollegen zur weiteren Abklärung in die hiesige Hals-Nasen-Ohren-Klinik überwiesen.
Die weiteren klinischen Symptome bestanden aus in- und exspiratorischem Stridor
sowie Temperaturerhöhung (bis 38,5 8C)
und Ohrenschmerzen rechts; laborchemisch war eine mäßiggradige Leukozytose
und eine leichtgradige Erhöhung des C-reaktiven Proteines nachzuweisen.
Die Anamnese ergab neben gelegentlichen,
nicht behandlungsbedürftigen Herzrhythmusstörungen eine Epilepsie, die mit Ergenyl (Valproinsäure) suffizient behandelt
wurde. Des Weiteren bestand ein Z.n.
Adenektomie, Tonsillektomie und Septumplastik vor über 10 Jahren.
Abb. 1 Die Sonographie zeigt die inhomogene Raumforderung (RF) dorsal der Schilddrüse (SD) in unmittelbarer Nachbarschaft
der Arteria carotis communis (ACC) und des
Kehlkopfes (KK).
Die Sonographie zeigte eine vor allem
dorsal der Schilddrüse gelegene primär
echoarme Raumforderung mit dorsaler
Schallverstärkung und glatter Begrenzung, die sich bis zum Unterkiefer ausdehnte. Schilddrüsennah zeigten sich neben den echoarmen Veränderungen auch
echoinhomogene Areale (Abb. 1).
In der kontrastmittelgestützten Computertomographie („Somatom Plus 4 Volume
Zoom“, Siemens Medical Solutions, Erlangen; 2,5 mm Kollimation, 3 mm Schichtdicke, Pitch 1, 120 kV, 150 mAseff; 80 ml
KM) bestätigte sich die auf Höhe des Angulus mandibulae beginnende zystische, medial der rechts zervikalen Gefäßnervenscheide gelegene Raumforderung, die
einen maximalen axialen Querdurchmesser von 3 × 4,7 cm und eine kranio-kaudale
Ausdehnung von 7,5 cm aufwies. In ihren
kaudalen Abschnitten zeigte die Formation
Weichgewebsanteile mit kräftiger KMAufnahme. Der Larynx war durch die
raumfordernde Wirkung dieses zystischen
Tumors deutlich nach links verlagert, eine
kartilaginäre Affektion lag jedoch nicht
vor. Der rechte Schilddrüsenlappen zeigte
einen direkten Tumorkontakt, schien jedoch lediglich nach ventro-kaudal verlagert und von dorsal komprimiert, jedoch
nicht infiltriert. Submental auf der rechten
Seite war ein ovalär konfigurieter, KM-aufnehmender solider Lymphknoten zu erkennen.(Abb. 2, 3, 4).
Am selben Tag erfolgte nach Bildgebung
durch Sonographie und Computertomographie die operative Entlastung und Probeentnahme von rechts latero-zervikal.
Ein Schnitt ventral des Musculus sternocleidomastoideus mit nachfolgender Inzi-
Der interessante Fall
Schilddrüsenmalignome stellen die häufigste endokrine Neoplasie dar. Die Inzidenz beträgt 3/100 000 Erkrankungen
jährlich, 1,1 % aller Krebsneuerkrankungen
entfallen auf das Schilddrüsenkarzinom.
Die Geschlechterverteilung liegt für das
differenzierte Karzinom bei 3:1 (W:M),
ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis findet sich beim C-Zell- und anaplastischen Karzinom. Insgesamt ist das
Schilddrüsenkarzinom eine Erkrankung
des mittleren und höheren Alters, das papilläre Karzinom tritt jedoch auch im
Adoleszentenalter auf.
Bei der klinisch-körperlichen Untersuchung konnte eine weiche Resistenz unterhalb des rechten Musculus sternocleidomastoideus palpiert werden. Der
HNO-ärztliche Spiegelbefund zeigte eine
Vorwölbung der rechten lateralen Pharynxwand, von oro- bis hypopharyngeal
reichend, die den Endolarynx weitestgehend verlegte. Die Glottis war nicht vollständig einsehbar. Die Routinelabordiagnostik erbrachte keine Auffälligkeiten.
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Abb. 2 Computertomographisch stellt sich
die Raumforderung in ihrem cranialen Abschnitt zystisch dar. Die glatte Begrenzung
und der verdrängende Charakter sprechen
gegen einen infiltrativen Prozess.
Abb. 3 In den caudalen Anteilen zeigt die
Raumforderung einen Weichgewebsanteil
mit inhomogener Kontrastmittelaufnahme.
Der interessante Fall … Fortschr Röntgenstr 2006; 178: 723 – 735 · DOI 10.1055/s-2005-859 024
Abb. 4 Schwierige Abgrenzbarkeit der caudalsten Tumoranteile gegenüber dem rechten Schilddrüsenlappen, der verdrängt aber
nicht infiltriert scheint.
Der interessante Fall
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sion der Raumforderung, die in Verbindung mit der Schilddrüse zu stehen
schien, führte zur Entleerung eines dünnflüssigen bräunlichen Sekretes.
Nach Erhalt der Histologie (papilläres
Schilddrüsenkarzinom) wurde der Patient
in der hiesigen Chirurgie radikal thyreoidektomiert und es erfolgte eine rechtsseitige Neck dissection. Das endgültige pathologische Staging ergab ein papilläres
Schilddrüsenkarzinom mit der Tumorformel pT1 pN1 a pMx. Bis auf eine passagere,
rechtsseitige Recurrensparese war der
postoperative Verlauf komplikationslos,
im Anschluss wurde zweimalig eine Radiojodtherapie durchgeführt. Derzeit ist der
Patient beschwerde- und rezidivfrei.
Diskussion
Aufgrund der unklaren klinischen Situation, bei der differenzialdiagnostisch an
eine zervikale Abszedierung gedacht wurde und primär nicht eindeutigem sonographischen Befund, wurde eine Computertomographie durchgeführt, da angesichts
der Klinik und des Geschlechts des Patienten ein Schilddrüsentumor unwahrscheinlich war.
Um die spezifische nuklearmedizinische
Diagnostik und Therapie eines Schilddrü-
senmalignoms bei hinreichender Verdachtsdiagnose durch die hochdosierte
Jod-Gabe während einer Computertomographie nicht zu gefährden, ist die
KM-gestützte CT kontraindiziert, sodass
typische computertomographische Merkmale von Schilddrüsenkarzinomen aus
diesem Grund nicht systematisch untersucht und beschrieben worden sind. Auch
erfüllte der Tumor nicht die typischen sonographischen Kriterien eines Schilddrüsenkarzinomes, so ist ein fast vollständig
zystisches Erscheinungsbild des Primarius
nur in Einzelfällen beschrieben (Bryan et
al. J Ultrasound Med 2003; 22:
1083 – 1090).
Im vorliegenden Fall musste somit auch
an Differenzialdiagnosen wie Abszess,
zystisches Neurinom des Nervus vagus,
Metastase z. B. eines Pharynxkarzinoms,
Hypernephroms, lymphoepithelialen Tumors oder auch an seltene Entitäten wie
eine zystische Echinokokkose gedacht
werden. Metastatisch oder per continuitatem die Schilddrüse infiltrierende Karzinome sind: Nierenzellkarzinom, Mammakarzinom, Bronchialkarzinom und
malignes Melanom.
Auf Seiten der differenzierten Karzinome
metastasieren papilläre Karzinome vorwiegend lymphogen, follikuläre Karzinome überwiegend hämatogen (Lunge, Knochen). Die Lymphknotenmetastasen des
papillären Karzinomes treten klinisch zum
Teil vor dem eigentlichen Primarius in Erscheinung (Wunderbaldinger et al. Am J
Roentgenol 2002; 178: 693 – 697). Seltenere Metastasenmanifestationen sind Leber,
Gehirn oder die Milz. Darüber hinaus
liegen Einzelberichte von Metastasen in
Niere, Orbita, Sinus cavernosus u. a. vor.
Die wesentliche Aufgabe der bildgebenden
Diagnostik liegt im präoperativen Staging,
sowohl bezüglich der Ausdehnung des Lokalbefundes als auch der Detektion von
Metastasen (Sonographie, Computertomo-
Der interessante Fall … Fortschr Röntgenstr 2006; 178: 723 – 735 · DOI 10.1055/s-2005-859 024
graphie, Kernspintomographie). Die Ultraschalluntersuchung ist der erste Schritt
zur Darstellung des Lokalbefundes (King
et al. Clin Radiol 2000; 55: 222 – 226).
Jedoch ist an dieser Stelle auf die große
Variationsbreite des sonographischen
Erscheinungsbildes des papillären Schilddrüsenkarzinomes hinzuweisen. Häufig
zeigt das papilläre Schilddrüsenkarzinom
eine hypoechogene Textur, Mikrokalzifikationen/keine Kalzifikationen sowie eine
Hypervaskularisation. Selten ist es echoreich, weist zystische Areale und eine unscharfe Berandung auf oder ist minderperfundiert. Im Gegensatz zum seltenen, rein
zystischen Erscheinungsbild des Primärtumors, weisen Metastasen eines papillären
Schilddrüsenkarzinoms durchaus zystische Veränderungen auf (Kessler et al. J
Clin Ultrasound 2003; 31: 21 – 25). Unter
Berücksichtigung des differenten sonogaphischen Erscheinungsbildes und des Alters des Patienten hätte man differenzialdiagnostisch somit auch an ein papilläres
Schilddrüsenkarzinom denken müssen,
was die Diagnostik mittels KM-gestützter
Computertomographie in den Hintergrund
gestellt hätte. Der Versuch einer Vorhersage des histologischen Karzinomtyps mithilfe der MRT ist bislang nicht/wenig erfolgreich (Nakahara et al. Radiology 1997;
202: 765 – 772).
Die Therapie besteht bei den differenzierten Karzinomen aus einer Kombination
aus radikaler Thyreoidektomie, postoperativer ablativer Radiojodtherapie und einer suppressiven Schilddrüsenhormonbehandlung.
In der Nachsorge leistet die bildgebende
Diagnostik den Nachweis von Knochenund/oder Lungenmetastasen in Gefolge
einer positiven nuklearmedizinischen
Untersuchung.
J. Nawatny, M. Cohnen, T. Hoffmann,
Düsseldorf
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