„Denn das Geschick der Menschen ist gleich dem Geschick des Viehs“ (Koh 3,19). Tiere im Kontext einer christlich-biblischen Identität Vortrag von Prof. Dr. Silvia Schroer am Forum der Katholischen Akademie Bayern in Eichstätt zum Thema „Das Tier entdecken“ (29. Mai 2008)1 »Der Christ liebt die Tiere nicht mehr« Bertolt Brecht lässt in einer Dorfschenkenszene seines frühen Stücks »Baal« (1919) den Titelhelden ein imposantes Fest für dessen Freund Ekart planen. Aus sieben Dörfern sollen die Bauern die besten Stiere zusammentreiben, nur damit sie beide sich an diesem Anblick weiden können. Baals Pläne werden jedoch durch den Pfarrer des Ortes rasch vereitelt. Enttäuscht sagt Baal zu Ekart: »Er begreift es nicht. Er hat die Geschichte verdorben. Der Christ liebt die Tiere nicht mehr.« Treffsicher lässt Brecht die Konfrontation zwischen Baal, der seinen Namen und die Nähe zum Stier vom kanaanäischen Wetter- und Fruchtbarkeitsgott geerbt hat, und dem Vertreter der christlichen Religion auf diesen Satz zulaufen. Tatsächlich hat die christliche Tradition in ihrer anthropozentrischen Weltsicht und ihrem Misstrauen gegenüber allem »Animalischen« die Tierwelt häufig gering geachtet. Aus der Sphäre des Göttlichen musste sie fast gänzlich weichen. Die geflügelten Schlangen (Serafim), die nach Jesaja 6 den thronenden JHWH umgeben, oder die Sphingen (Kerubim), die mit ihren Flügeln seinen Thronsitz bilden (1Könige 6,23-27), konnten nur als Engelwesen, nicht als Tiergenien, ihre Stellung im himmlischen Hofstaat behalten. Aus dem biblischen Fundus fand in unser Gottesbild gerade noch das Bild von den Adlersfittichen – eigentlich Geiersfittichen - Eingang (»Lobe den Herren«), in die Christologie das Lamm Gottes und in die Pneumatologie die Taube des 1 Silvia Schroer ist Kuratoriumsmitglied der Gesellschaft für theologische Zoologie, die im Dezember 2009 unter der Schirmherrschaft von Dr.Dr. Jane Goodall in Münster/Westf. gegründet wird. Heiligen Geistes. Da sie theologisch somit kaum eingebunden waren und die Isolierung des Unterwerfungsbefehls in Genesis 1,28 vom übrigen biblischen Kontext die gesamte Fauna buchstäblich zum Freiwild der Menschheit werden ließ, konnten die Tiere in der abendländisch-christlichen Kultur einerseits zu reinen Objekten menschlicher Herrschaft, Ausbeutung und Ausrottung werden und andererseits der Romantisierung, Verhätschelung und Vermenschlichung anheimfallen. Die Aufarbeitung dieser unheilvollen Entwicklungen steht weitgehend noch aus. Beginnen kann sie mit der Erinnerung an biblische Traditionen, vor allem jene des Ersten (Alten) Testaments, das fast Seite um Seite von Tieren spricht. Tiere sind nicht Akzidentien der Schöpfung Nach beiden biblischen Schöpfungserzählungen erschafft Gott mit der Tierwelt einen Teil des bewohnbaren Kosmos, in den hinein Adam, der Erdling, gesetzt wird. Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier wird nicht idealisiert. Von allem Anfang an spielen darin Bedrohung und Herrschaft, Mangelhaftigkeit (die Tiere vermögen die Einsamkeit des Erdlings nicht wirklich zu beenden) und sogar Konkurrenz und Feindschaft eine Rolle. Nach der gemeinsamen Rettung aus der Sintflut verlaufen die Entwicklungen nicht zugunsten der Tiere, denn den Menschen wird nun Fleischgenuss – unter gewissen Einschränkungen zugestanden, und von da an (Genesis 9,2) herrscht im Tierreich Furcht vor den Menschen. Paradiesischere Zustände sind vorstellbar. Wichtig aber ist die biblische Grundeinsicht: Tiere sind nicht Akzidentien der Schöpfung, sondern wesentlicher Teil des Kosmos. Und deshalb gehören sie auch zu den biblischen Utopien: Und Jesus sprach: Wie sollen wir das Reich Gottes abbilden oder unter welchem Gleichnis sollen wir es darstellen? Es gleicht einem Senfkorn, das, wenn es in die Erde gesät wird, kleiner ist als alle Samenarten auf Erden, und wenn es gesät wird, geht es auf und wird größer als alle Gartengewächse und treibt große Zweige, sodass die Vögel des Himmels unter seinem Schatten nisten können. (Markus 4,30ff) Ein Reich Gottes ohne Tiere wird es nicht geben. Der Weltenbaum des Senfkorngleichnisses verkörpert in Anlehnung an altorientalische Tradition die lebensstiftende Ordnung Gottes, an der die Tiere teilhaben. In der damaligen Lebenswelt waren Tiere allgegenwärtig, als Freunde und als Feinde. Schaf- und Ziegenherden bildeten die Hauptlebensgrundlage der agrarischen Gesellschaft Palästinas/Israels. Mit den domestizierten Tieren teilten die Menschen den engen, geschützten Lebensraum der Dörfer und Städte. Ebenso präsent war aber die Bedrohung durch wilde Tiere. Das Tier war nicht nur der schwächere, oft ausgenützte Gefährte, sondern auch der gefürchtete, manchmal überlegene Feind. Doch wurden die übermenschlichen Fähigkeiten eines Löwen, eines Pferdes, einer Schlange oder eines Geiers, ihre Schnelligkeit, ihre Kraft, ihre Schönheit, zugleich voll Anerkennung bewundert. Ein und dasselbe Geschick - Mensch und Tier sind im höchsten Grad verwandt Die griechisch-abendländische Tradition hat den Wesensunterschied zwischen Mensch und Tier hervorgehoben, ja das Menschsein als Nicht-Tiersein definiert. Von solchen Ansichten ist die biblische Tradition weit entfernt. Ihr gilt das Tier vorrangig als Geschöpf Gottes und zwar als das Lebewesen, das den Menschen am nächsten steht (Genesis 2,18ff). Landtiere und Menschen werden am selben, dem 6. Schöpfungstag erschaffen. Mensch und Tier sind aus demselben Erdboden gebildet, und sie teilen das Geschick des Todes: Denn das Geschick der Menschen ist gleich dem Geschick des Viehs; ein Geschick haben sie beide. Wie dieses stirbt, so sterben auch jene, und einen Lebensgeist haben sie alle. Der Mensch hat vor dem Vieh keinen Vorzug. Denn alle gehen an einen Ort. Alle sind sie aus Staub geworden, und alle werden sie wieder zu Staub. Wer weiß, ob der Lebensgeist der Menschen emporsteigt, der Lebensgeist des Viehs aber hinabfährt zur Erde? (Koh 3,19-21) In der Sintflut gehen Mensch und Tier zugrunde, miteinander werden sie in der Arche gerettet. Die ersehnte Heilszeit bringt Mensch und Tier endgültige Versöhnung und den Frieden (Jesaja 11,4-9). Wie stark die IsraelitInnen sich den Tieren verbunden fühlten, lassen ihre zahlreichen Tiernamen erahnen. Eltern konnten ihren Sohn mit Stolz »Schlange« (Nahasch) oder »Taube« (Jona) und ihre Tochter »Mutterschaf« (Rahel), »Vogel« (Zippora) oder »Biene« (Debora) nennen, während wir Tiernamen heute als Schimpfwörter (Ziege, Kuh, Esel, Affe, Gans usw.) benutzen. Der Verwandtschaft von Mensch und Tier wurde im Alltag Rechnung getragen. So war die Sabbatruhe auch zugunsten der Haustiere geboten (Exodus 20,10; 23,12; Deuteronomium 5,14). Es war verboten, dem Rind beim Dreschen einen Maulkorb umzubinden (Deuteronomium 25,4), und geboten, sogar dem Esel des Erzfeindes in der Not erste Hilfe zu leisten (Exodus 23,5). Regulierung des Fleischgenusses durch den Kult Gemäß Psalm 8,7-9 hat Gott den Menschen die Haustiere und die Tiere des Feldes unter die Füße gelegt. Dieses Bild eines herrscherlichen Verhältnisses drückt einen Anspruch aus, der jedoch die Verteidigung des schwächeren Lebewesens gegen das stärkere einschließt. Das Recht, Tiere willkürlich zu töten, wird daraus auch in den Schöpfungserzählungen nicht abgeleitet, zumal die Menschen zunächst als VegetarierInnen geplant sind (Genesis 1,29). Der Genuss von Fleisch war im alten Israel wie im ganzen Orient weitgehend an kultische Opferhandlungen gebunden. Am Heiligtum wurde geschlachtet und das Opfertier dann von der Familie, die es gebracht hatte, verzehrt (vgl. 1Samuel 1,4ff). Im Opfer des Tieres steckt die Ehrfurcht vor dem Leben, das die Gottheit schenkt, und dessen Tötung die Beziehung zwischen Mensch und Gott belasten würde, wenn der Kult sie nicht in Ordnung brächte. So wird das Tier vor der und für die Gottheit getötet, dann darf es in Gemeinschaft gegessen werden, dann ist dies Mahl ein fröhliches Fest. Das Recht der Tiere auf eine nutzlose Existenz In der Weisheits- und Liedtradition Israels wird - anders als in den Schöpfungserzählungen - die Einsicht entwickelt, dass die Tierwelt von Gott eine eigene, von den Menschen unabhängige Existenzberechtigung erhalten habe. Nach Psalm 104 gehört der Acker dem Erdling, die hohen Berge aber den Wildeseln, Steinböcken und Klippdachsen. Auch in den Gottesreden des Buches Ijob vertritt Gott das Recht der wilden Tiere auf ein unverzwecktes, nicht am Profit der Menschen orientiertes Leben, ja er stellt sich selbst als Herrn und Hirten dieser Tierwelt dar. Das Bild einer Gottheit, die sich um die Tiere sorgt, die nicht arbeiten, produzieren und etwas leisten, greift Jesus von Nazareth auf, um bei seinen JüngerInnen Vertrauen in die Fürsorge Gottes zu wecken: Achtet auf die Raben: Sie säen nicht noch ernten sie, sie haben weder Vorratskammer noch Scheune, und Gott ernährt sie. (Lukas 12,24 in Anlehnung an Ijob 38,41) Die Numinosität der Tierwelt Im Alten Ägypten und im Vorderen Orient galten Tiere als Repräsentanten oder Begleiter göttlicher Mächte. Auch die IsraelitInnen haben in vielen Tieren heilige Mächte, Tremendum et Fascinosum, erkannt. Wohl erst im 6. Jh.v.Chr. haben die einflussreichen Deuteronomisten die Darstellung göttlicher Macht in Tiergestalt prinzipiell verurteilt (Deuteronomium 4,12.16-18) - ohne durchschlagenden Erfolg. Auf Schritt und Tritt blieb die Nähe der Tiere zum Göttlichen in Israel bewusst. Die Gazellen und Hinden, bei denen im Hohenlied (2,7; 3,5) geschworen wird, sind die Attributtiere der Liebesgöttin. In der Beziehung von Mutter- und Jungtier wurde eine Art göttlicher Mütterlichkeit erkannt, weshalb beide nicht gleich nach der Geburt getrennt und das Böcklein nicht in der Milch seiner eigenen Mutter gekocht werden durfte (Exodus 23,19 u.ö.). Ein anderes Gesetz (Deuteronomium 22,6f) untersagt aus demselben Grund, die Vogelmutter mitsamt Eiern oder Küken zugleich zu behändigen. Auch das Kastrationsverbot (Levitikus 22,24) schützt die Fortpflanzungsfähigkeit der Tiere. Wo in den Bibelübersetzungen von Ochsen die Rede ist, sprechen die Originaltexte von Stieren. Tiere kennen ihren Schöpfer Spuren numinoser Aspekte von Tieren finden sich auch in Erzählungen. Obwohl ihre Kälber zuhause sind, ziehen die Kühe der Philister (1Samuel 6,7-12) den Wagen mit der Lade nach Bet Schemesch, weg von ihrem Stall, so als gehorchten sie einer anderen göttlichen Stimme als der mütterlichen, die ihnen angeboren ist. Auch die hellseherische Eselin Bileams (Numeri 22,22-35) ist unmittelbar empfänglich für den Willen der göttlichen Macht, weit mehr als der auf seine Ideen fixierte Seher. Auf das Tier zu hören bedeutet in beiden Geschichten Lebensrettung. Darüber hinaus setzt das Erste Testament ganz grundsätzlich voraus, dass alle Tiere ihren Schöpfer kennen, dass sie also eine Begabung zur Gotteserkenntnis haben. Ganz anders als in Griechenland (und im griechisch beeinflussten Buch Daniel), wo den Tieren genau diese Fähigkeit abgesprochen wird, hat man in Israel in dieser Hinsicht kein exklusives Privileg der Menschen geltend gemacht: Frage doch das Vieh, dass es dich belehre, die Vögel des Himmels, dass sie dir kundtun, oder die Wildtiere des Feldes, dass sie dich belehren, und dir sollen erzählen die Fische des Meeres. Wer wüsste nicht unter diesen allen, dass die Hand JHWHs dies gemacht hat, in dessen Hand alles Lebendigen Lebenshauch und der Lebensgeist allen menschlichen Fleisches ist. (Ijob 12,7-10) Die Beobachtung der Tiere bietet den Menschen eine Möglichkeit, weise zu werden, den göttlichen (Natur-)Ordnungen und damit Gott selbst näher zu kommen. Anders als die Menschen respektieren Tiere die von Gott verfügten, lebensstiftenden Ordnungen. Sie vergessen nicht, dass Gott sie ernährt (Psalmen 104,21; 147,9; Ijob 38,41; Joel 1,20), dass sie ihm gehören. Dafür preisen sie ihren Schöpfer (Jesaja 43,20; Psalm 148). Philosophen wie Theologen sind heute unerschütterlich der Meinung, dass nur der Mensch Gott erkennen, also religiös sein kann. Wie aber können wir so sicher sein, dass Tiere, Primaten, vielleicht auch andere, Gott nicht erkennen können? Vielleicht erahnen sie auf ihre Weise das Geheimnis der Schöpfung und ihres Schöpfers, vielleicht ist das Zwitschern der Vögel und das Lärmen der Paviane bei Sonnenaufgang tatsächlich auch Gotteslob. In ägyptischen Sonnenheiligtümern wurde mehrfach ein Text über den Jubel der Paviane beim Aufgang des Sonnengottes Re gefunden: Die Paviane, die Re verkünden, (wenn) dieser große Gott geboren wird zur 6.(?) Stunde in der Unterwelt. Sie erscheinen, nachdem er entstanden ist, indem sie zu beiden Seiten dieses Gottes sind bei seinem Aufgang im östlichen Lichtland des Himmels. Sie tanzen für ihn, sie springen für ihn, sie singen für ihn, sie klatschen für ihn, sie kreischen (?) für ihn, (wenn) dieser Große Gott erscheint in den Augen der 'Untertanen' und des 'Himmelsvolkes'. Diese hören dann die 'Jubelrede' Nubiens. (Übersetzung Jan Assmann, Ägyptische Hymnen und Gebete, 2. Auflage 1999, 92). Zum Schluss einige Thesen Ich will ganz thesenhaft schließen und damit auch im Hinblick auf die Diskussion gern ein wenig provozieren. Die christlich-theologische Blickerweiterung auf die Tiere hin beinhaltet m.E. ein Umdenken und eine Umkehr in mehrfacher Hinsicht. Dabei ist uns das Alte Testament von besonderem Wert, weil es Perspektiven auf Leben und Normen in einer Gesamtgesellschaft, in einem Staat gibt. Es geht um die Wiedergewinnung von Gottesfurcht, einer Grundhaltung, die mit Gott rechnet. Darüber kann man auch mit Muslimen und Hindus ins Gespräch kommen. Im Proverbienbuch heißt es: Der Gerechte hat Verständnis für das Verlangen seines Viehs, aber das Herz der Gottlosen ist grausam. (Spr 12,10) Unsere Frömmigkeit muss sich auch an unserem Umgang mit den Tieren messen lassen. 1. Menschen und Tiere, zumindest die Landtiere, sind im biblischen Verständnis primär nicht verschieden, sondern primär verwandt. Es wäre gut gewesen, das früher klar und deutlich zu sagen, dann hätten wir die leidigen Pseudostreitigkeiten um die darwinistische Evolutionstheorie versus Schöpfungsgeschichten vielleicht verhindern können. 2. Aufgrund der biblischen Tradition müssten wir neu darüber nachdenken, ob es uns etwas ausmacht, wenn mindestens bestimmte Tierarten auf ihre Weise religiös sind. Es gibt inzwischen Forschungen über pietätvolles Verhalten beispielsweise von Primaten angesichts ihrer Toten. Bedeutet die biblische Rede von der Gottebenbildlichkeit des Menschen, dass Tieren jedes Sensorium für die Transzendenz fehlt? 3. Die Tierwelt ist nach Genesis 1-2 von Gott geschaffen worden, aus Freude an der Vielfalt alles Lebendigen sozusagen, aber auch im Hinblick auf das Wohlergehen der Menschen. Einerseits sind Tiere so ein Teil der bewohnbaren Welt, die den Menschen zugewiesen ist, andererseits haben sie eine von Menschen unabhängige Existenzberechtigung und Würde. Sie gehören zum Weltkulturgut oder mit anderen Worten zum „Gesamtkunstwerk Gottes“. Christliches Engagement für den Schutz der Artenvielfalt von Tieren, Verhinderung der Zerstörung von Biotopen, sollte auch von Kirchgemeinden, nicht nur Einzelnen, gefördert werden. Vor eine Kirche gehört eine Magerwiese und kein Rasen, auf dem kaum eine Ameise überlebt. In Kirchtürmen kann man bestens gefährdeten Vogelarten Unterschlupf anbieten. Kompetente Verbündete sind neben den Noachs der heutigen Welt, den Zoo- und TierparkdirektorInnen, auch der WWF u.a. Inzwischen gibt es schon lange nicht nur eine christliche Organisation, die sich der Tiere besonders annimmt, z.B. die AKUT „Aktion Kirche und Tiere“, die seit 1988 europaweit das sogenannte „Glauberger Schuldbekenntnis“ umzusetzen versucht. Ich selbst jedenfalls würde liebend gern mehr Steuergelder für den zu großen Appetit von wiederangesiedelten Wölfen und Bären in den Schweizer Bergregionen zahlen als für neue Autobahnen. Aber während das kleine Slowenien problemlos mit einigen hundert Bären lebt, wird in der Schweiz jeder einzelne Bär unfreiwillig zum Psychopathen und tragischen Filmhelden. 4. Die altisraelitischen Gesetze zum Schutz der Tiere sind respektabel und brauchen den Vergleich mit modernen Gesetzgebungen nicht zu scheuen. Sie handeln von Tieren nicht nur als „res“, Sachen, sondern, z.B. beim Sabbatgebot, auch als „Lebewesen“, die Empfindungen und Bedürfnisse haben. Juristische Bemühungen darum, die Natur quasi zum rechtsfähigen Subjekt zu erheben, gibt es seit mehr als 10 Jahren, erste Ansätze dazu liegen in der Schweizerischen Bundesverfassung vor. Solche Bestrebungen müssen von den Kirchen unterstützt werden. Zudem ist christliches Engagement für konkreten Tierschutz, z.B. den Verzicht auf Massentierhaltung, Tierversuche etc., vonnöten. Wer in ländlichen Gegenden im Gemeindedienst arbeitet, sollte die Bauern dazu auffordern, Muttertiere und Jungtiere wenigstens ein paar Wochen zusammen aufwachsen zu lassen, weil es brutal und pietätlos ist, es nicht zu tun. Wer im städtischen Milieu lebt, sollte die Haltung von Kleintieren thematisieren, der nicht artgerechten Verhätschelung und dem Missbrauch von Tieren als Menschenersatz entgegentreten. Es ist zynisch, wenn weltweit Kinder an Fehlernährung zugrundegehen und bei uns die Supermärkte von hochwertigen Futtermitteln für Hunde und Katzen überquellen. 5. Das Opfern und Schächten von Tieren ist, im Kontext antiker Kulturen, eine sinnvolle Art der Regulierung von Fleischkonsum und eine schonende, rasche Art der Tötung. Die Fleischproduktion hat heute weltweit ein absolut sinnloses Maß mit ungeheuren Umweltschäden und gefährlichen, neuen Krankheiten erreicht. Christliches Bewusstsein für diese Problematik muss nicht bedeuten, Vegetarier zu werden. Aber es könnte bedeuten, wie das übrigens bis in die letzte Generation noch durchaus üblich war: Fleisch nur an Sonntagen, oder nur zu festlichen Gelegenheiten oder nur in Gemeinschaft essen. Gegen die industrielle Überproduktion von Fleisch und Fleischimporte aus entlegenen Ländern sollten ChristInnen jedenfalls entschieden angehen. Christlich leben muss auch heißen: sich sinnvoll ernähren. 6. Wenn Tiere in den Schöpfungsplan Gottes einbezogen sind, sind sie auch in das Erlösungswerk Christi einbezogen. Leonhard Ragaz, der große religiös-soziale Theologe aus einer bündnerischen Bergbauernfamilie, hat, übrigens gedanklich in mancher Hinsicht gar nicht so weit entfernt von Teilhard de Chardin, in die Hoffnung auf das Reich Gottes sehr dezidiert die Tierwelt mit einbezogen. In einer neuen Schöpfung werden die Tiere von ihrer Not, vom Zwang des Fressens und Gefressenwerdens und dem Tod erlöst werden. In einer neuen Schöpfung wird Frieden zwischen Tier und Tier und Mensch und Tier herrschen: Da wird der Wolf zu Gast sein bei dem Lamm und der Panther bei dem Böcklein lagern, Kalb und Junglöwe weiden beieinander, und ein kleiner Knabe leitet sie. Kuh und Bärin werden sich befreunden, und ihre Jungen werden zusammen lagern; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind. Der Säugling wird spielen am Loch der Otter, und nach der Höhle der Natter streckt das kleine Kind die Hand aus. (Jesaja 11,6-9) Während die Verfasser dieser Vision beim Tierfrieden verständlicherweise vor allem an das Ende der Gefahren dachten, die Löwen, Schlangen und andere Tiere für Menschen darstellen konnten, müssen wir die Perspektive heute umkehren. Gerechtigkeit wird auf Erden erst herrschen, wenn die Tiere sich vor den Menschen, ihrer Profitgier, ihrer Gedankenlosigkeit, ihrer Respektlosigkeit nicht mehr fürchten müssen.