Gewalt out! Spannendes Lernen am Tier / Vortrag an der Natur 2007 Christine Rüedi / Leiterin der Ethikschule / Stiftung Mensch und Tier Ich begrüsse Sie herzlich im Namen der Stiftung Mensch und Tier und ihrer Ethikschule Kind und Tier und danke Ihnen für Ihr Interesse. Ich freue mich, Ihnen die Ethikschule Kind und Tier vorstellen zu dürfen. Die Schule liegt in Allschwil, gut erreichbar, am Stadtrand von Basel, nahe der Endstation Tram Nr. 8, beim Allschwilerweiher. Mit dieser Lage ist sie wie eine Nahtstelle zwischen Stadt und Natur, idyllisch gelegen, inmitten alter Eichen und einer grossartigen Trauerweide. Hier besuchen, an jeweils 4 Vormittagen, Kindergärten und Schulklassen die Kurse. An den Nachmittagen sowie am Samstagmorgen finden Kurse für private Kinder statt. Auch Geburtstage kann man bei uns feiern. An unserem Stand finden Sie Informationen über unser Angebot. Gearbeitet wird in kleinen Gruppen. Ich erwähne es, da es entscheidend ist für das Lernen. So entsteht kein Gedränge und jedes Kind fühlt sich wohl, ebenso die Tiere. Rituale sind bei uns wichtig, die Begrüssung im Kreis, das singen von Liedern, damit sich die Kinder schnell einleben und sich sicher fühlen. Die Ethikschule will Kinder Achtsamkeit und Mitweltgefühl lehren, und sie in ihrer altruistischen, durch Rücksicht auf andere gekennzeichneten, Denk- und Handlungsweise stärken. Wichtigste Voraussetzung hierfür ist, dass das Kind selbst sich in seiner Einzigartigkeit, Grossartigkeit und Wichtigkeit erkennt. So erzählen uns die Kinder erst einmal von ihren Stärken. Alle sind wir da, um unsere Aufgaben in diesem Leben zu erfüllen, es braucht ein Jedes. Und wir sind verschieden, damit auch die vielfältigen Aufgaben gelöst werden können. - Durch diese Wertschätzung fühlt sich das Kind wahrgenommen und wichtig für die Welt. Bereits kleine Kinder wollen das wissen! Gelingt es uns, dem Kind dieses Bild von sich selbst zu vermitteln, ist ein erster, entscheidender Schritt getan. Zudem hören das Dominieren aber auch das sich zu sehr Zurücknehmen auf – und das Lernen kann beginnen. Kinder wollen entdecken, nach Wahrheit suchen. Das entscheidende Lernen beginnt früh! Alles, was das Kind in seinen ersten Lebensjahren, in der Prägungsphase, erlebt, wird zum Ureigensten in seinem Wesen angelegt. Bei diesem Streben und Staunen über die Welt dürfen wir, die Lehrkräfte der Ethikschule, Kinder begleiten. Eine geniale Aufgabe! Mit allen Sinnen erleben die Kinder unsere Bäume, die Blumen, die Schweine, Esel, Ponys, Ziegen, Hühner, Hunde und Katzen, sowie zahlreiche Wildtiere, die sich bei uns einfinden. Durch das noch ganzheitliche Erleben verbinden sich die Kinder mit ihrer Mitwelt, die Tiere und die Pflanzen werden zu einem Teil ihrer selbst. Dies ist wohl nicht zufällig so, denn im „Weltenplan“ ist die gegenseitige Abhängigkeit und Fürsorge bereits angelegt. Wertvolle Kontakte zu andersartigen Lebewesen sind für Kinder von heute rar geworden. Sie aber sind entscheidend für die Entwicklung der sozialen Kompetenz, in Einbezug der gesamten Mitwelt. Kommen Kinder nur spärlich zu Berührungen mit Pflanzen und Tieren, verarmen sie mangels emotionaler Erlebnisse und sie können vereinsamen. Bei späteren Begegnungen mit den Mitgeschöpfen fehlt dann das tief empfundene „Anklingen“, und die Bedürfnisse anderer Lebewesen können emotional kaum nachempfunden werden. Die Emotion aber ist „Antrieb“, fehlt sie, kommt es schwerlich zu echtem Engagement für die Mitwelt. Wir alle, die wir Kindern begegnen, können sie in ihrer Entwicklung zu einem selbstbewussten, verantwortungsvollen Menschen unterstützen. Zeigen wir Ihnen, dass wir uns über Ihr Sein freuen und teilen wir ihre Freude an allem Lebendigen - und leben wir selbst Achtsamkeit, Mitgefühl und Fürsorglichkeit! Denn wir sind ihre Vorbilder und somit wichtigste Orientierungshilfe! Staunen wir deshalb, zusammen mit unseren Kindern, über Fliegenflügel, so schön wie Kirchenfenster, verstehen wir, was das Pony Odin uns mit seiner Ohren-Sprache mitteilt, freuen wir uns über das Schwein Oski, das nicht zum Schlachter musste und streicheln wir die langen Äste der Weide – es sind dies die Seelenbilder für unsere Kinder, wichtiger Teil ihrer Bildung! An ihnen wird der heranwachsende Mensch das später Erlebte messen und prüfen. Er wird den sorgfältigen Umgang mit allem Lebendigen ins Zentrum stellen und sich für den Erhalt des grossartigen Ökosystems, mit seinen genialen und wunderbaren Lebensformen, engagieren. Denn er wird den wahren Reichtum dieser Welt erkennen. Und nun erzähle ich Ihnen an einem Beispiel, wie wir mit den Kindern das Thema Gewalt angehen, und wie sie von den Tieren lernen können. Beobachten die Kinder das Verhalten unserer Pferde, stellen sie Faszinierendes fest. Unsere älteste und zudem kleinste Ponystute, 37 Jahre alt, ist die Chefin. Doch, wie macht sie das bloss, dass die jüngeren, grösseren und stärkeren Tiere in der Herde sie als Leittier wahrnehmen und ihr folgen? Die Kinder rätseln über Wochen. Ah, es zählt nicht die Kraft, es ist das Wissen, die Weisheit dieses Ponys, das die Gruppe nutzt und sie beliebt macht. Die Kinder sind beeindruckt, wenn sie erfahren, dass Tibby, so heisst die „kleine Königin“, bevor es zu schneien beginnt, die Pferde zurück in die Ställe treibt, damit sie nicht im Schnee stecken bleiben, wo sie verhungern könnten. Das ist Engagement für die Gruppe, gibt Sicherheit, Geborgenheit und Ruhe, die besten Voraussetzungen für ein gutes Leben. - Die Kinder begreifen schnell, wenn ich ein Führer / eine Führerin werden will, muss ich einen Beitrag für die Gruppe leisten.- Im Vergleich zu Tibby sehen die Kinder an Odin, dem grössten der Pferdegruppe, zwar ein physisch starkes, jedoch mental unsicheres Pferd, das in der Herde eine Bereitschaft zum Schlagen erkennen lässt. Die Kinder verstehen schnell, nur der Schwache schlägt. Und die Konsequenz für dieses Pferd ist, dass es ausgeschlossen und durch die Gruppe in die Ecke gestellt wird! Und das kehrt ihre bisherige Sichtweise auf den Kopf! Durch dieses Beobachten und Reflektieren ausserhalb der eigenen Situation wird ein Erkennen, was Gewalt ist, für das Kind möglich und es lernt, Schlagen ist ein Zeichen der Schwäche. Und das will kein Kind für sich in Anspruch nehmen! Es ist spannend zu beobachten, wie die Kinder, welche das begriffen haben, beginnen, ihr Verhalten und das der andern zu beobachten, und wie sie sich gegenseitig darauf aufmerksam machen. So hat kürzlich ein Knabe während eines Kurses bei uns, als er von einem andern Knaben gestossen wurde, zu diesem gesagt: Denk an Tibby! Und beide Knaben sind ihren Weg weiter gegangen. Dieses Lernen am Tier, das möglich ist weil die Tiere uns so ähnlich sind, hinterlässt im Kind ein Gefühl tiefen Glücks und eine Verbundenheit mit der Mitwelt. Das Gelernte ist nicht übernommen sondern selbst erfahren und hat damit einen bleibenden Wert. Jahre nach erfolgter Kursbesuche werde ich immer wieder von Kindern angesprochen, die sich nach den Tieren erkundigen und ihre Namen noch ganz genau wissen und sich begeistert an diese Momente in der Ethikschule erinnern. Die Ethikschule vermittelt keine Ideologien, sie lässt die Kinder mit allen Sinnen die Mitwelt erleben und erforschen und sie nach Wahrheit, ihrer Wahrheit, suchen. Und da sind sie Weltmeister. Mit diesem Streben und Suchen bauen sie sich ihre soziale Kompetenz auf. Es ist heute entscheidend, dass diese soziale Kompetenz sich nicht nur bis hin zu unserem Gartenhag bewegt, nein, der verletzliche Planet Erde ist zu unserem Garten geworden und es gilt, diese neue Wahrnehmung einzubeziehen in unsere Verantwortung. Zum Schluss noch einige Worte an Sie bezüglich der Gewalt. Die Ethikschule leistet einen wichtigen Beitrag zur Gewaltprävention. Es ist eine Möglichkeit, Kinder zu stärken. Doch Schulung alleine kann das Problem nicht lösen. Denn die Gewalt der Jungen ist die Gewalt unserer Gesellschaft, unser Spiegelbild. Dies beginnt z.B. beim Kleinkind, wenn wir es der Geborgenheit berauben, indem es zu oft ohne die Eltern sein muss. Die Kinder gehören zu ihren Müttern und Vätern, in die Geborgenheit der Familie. Etwas Wichtigeres als die Familie gibt es nicht für das Kind. Ich erinnere mich an ein 6jähriges Mädchen, welches von der Mutter für den Kursunterricht, samt Rucksack für die Übergabe an den Vater, bei uns abgegeben wurde. Am Abend, als der Vater es holte, war das Kind bei unserem alten Ponystutli im Stall, das Gesicht im Fell vergraben. Der Vater rief die Tochter: Sophie, komm wir gehen jetzt nach Hause. Keine Reaktion. Der Vater: Komm jetzt nach Hause. Darauf dreht sich die Kleine zu ihm hin und sagt ihm ins Gesicht: Ich bin nirgends zu hause – und es vergräbt sein Gesicht erneut wo es Trost findet. Ich könnte Ihnen zahlreiche solcher Beispiele nennen. Diese Schäden sind immens für die Kinder und kaum gut zu machen. Und sie werden sich später z.B. in Gewalt oder Depression manifestieren. Ein weiteres Beispiel der Gewalt ist unser Umgang mit den Tieren. Jedes Tier ist, wie wir Menschen, einzigartig und wertvoll, grosse Persönlichkeiten, mit ihrer Lebensgeschichte und Freude am Leben und dem Recht auf Leben. Wir arbeiten bewusst mit sogenannten Nutztieren. Wir möchten diese aus der Anonymität des kommerziellen Verbrauchtwerdens herausholen. Nutztiere sind eine Kreation des Menschen, welche die Natur so nicht bestimmt hat, und die ermöglicht, mit wenig Aufwand Millionen von Tieren in die Schlachthöfe zu karren. Die meisten sind gesunde, lebenswillige Tierkinder, wenige Wochen oder Monate alt, oft ohne Mütter aufgewachsen, wen erstaunts? Doch wir akzeptieren das, weil wir die Bedeutung, die unser Handeln für diese hoch entwickelten, empfindsamen Lebewesen hat, nicht erkennen oder es uns gleichgültig lässt, oder wir uns vor den wirtschaftlichen Gegebenheiten beugen. Wir akzeptieren, dass aus wirtschaftlichen Gründen 1 400 junge Hühner in Läufelfingen BL, gerade erst erwachsen geworden, vergiftet und vergast werden, anlässlich einer Zivilschutzübung. Tatsächlich werden die jungen Hühner nach kurzem Leben, schon vor der ersten Mauser, umgebracht, nämlich dann, wenn sie aus der angezüchteten Legestörung herauskommen, wo sie nach einem Jahr rund 350 Eier gelegt haben. Dies ist keineswegs natürlich, denn ein Hühnervogel in der Natur legt max. 2 Gelege zu ca 16 Eiern, also rund 32 Eier im Jahr. Zurzeit läuft eine landwirtschaftliche Ausstellung in Paris. Dort zu sehen sind Kühe, die der Fleischproduktion dienen müssen, nein es sind keine Kühe, es sind Fleischkolosse, wie übertrainierte Bodybilder. Ihre Kälber können sie nicht mehr gebären und so werden diese Tiere mit Kaiserschnitt geboren, die Narben an den Müttern sind sichtbar an der Ausstellung, sogar noch die Fäden - und diese Tiere werden prämiert und mit Subventionsgeldern gefördert, statt verboten. Es gibt unzählige weitere Beispiele. Wir manipulieren die Mitgeschöpfe und beuten sie gnadenlos aus. Das ist Gewalt pur, hässliche Gewalt, nicht der Jungen, nein, die unsere, versteckte, die Gewalt der Marktwirtschaft und von uns Konsumenten. Warum reagieren wir nicht? Wo bleibt die Menschlichkeit? Verzichten wir doch auf diese Produkte, verändern wir unsere Gewohnheiten, es gibt ja noch viel Feines für unsere Ernährung! Ich denke, es ist die einzige Chance, diesen Missständen zu begegnen – und es ist ein Weg hin zum Frieden und für die Glaubhaftigkeit gegenüber unseren Kindern. Wir sind ihre Vorbilder. An uns orientieren sie sich. Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. Über Ihren Besuch an unserem Stand würden wir uns sehr freuen!