Die animalischen

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Die animalischen
Ebenbilder
des Menschen
Wenn die Menschen auf die Tiere schauen, dann glauben sie schon lange,
Ebenbilder ihrer selbst zu sehen: die läppischen Affen, das ganze Mittelalter über
verachtet, zeigen alle nur möglichen Varianten von Blödheit, Nachäfferei und
Unvernunft. Die tapfere Bärin macht den Menschenmüttern vor, wie vorbehaltlos
der Nachwuchs geliebt und verteidigt werden kann. Die tückische Schlange
bietet eine Art Urbild von Falschheit, Doppelzüngigkeit und Verrat. Grandiose
Beispiele grenzenlosen Mutes bietet der Löwe, ewige Dummheit führt der Esel
vor Augen. Unberechenbar, unzuverlässig und sprunghaft ist die Ziege, die
caprice – und liefert damit auch sprachlich ein Grundmuster menschlicher
Kapriziosität. Man kann wohl unterstellen: Immer schon, seit wir Menschen auf
die Tiere schauen, glauben wir, Eigenschaften und Merkmale unserer selbst in
vereinfachter und verdichteter Form zu sehen. Sie liefern uns Ebenbilder.
Dabei haben wir lange Zeit wenig darüber nachgedacht, was bei dieser
Ebenbildnerei eigentlich mit den Tieren geschieht. Immerhin laufen Tiere auch
ohne unser Zutun auf der Erde herum – sie leben und existieren für sich,
brauchen uns nicht. Wenn wir sie zu Medien unserer Selbstthematisierung
machen, dann tun wir ihnen etwas an, was wir uns selbst keineswegs gefallen
lassen würden. Wir spielen dieses Spiel immer weiter. Zwar wissen wir mehr
über unsere tierischen Nachbarn als jemals Menschen zuvor – aber trotz aller
naturwissenschaftlichen Aufklärung nutzen wir sie immer weiter, um uns ein Bild
von uns selber zu machen: wir dressieren Hunde und nutzen sie als StatusSymbol; wir züchten Papageien, mit denen wir Schein-Dialoge führen können;
wir halten uns exotische Reptilien, um noch der schlichtesten Etagenwohnung
einen Hauch von Wildnis zu verleihen; und auch wenn wir sie schützen und für
sie kämpfen, geht es oft gar nicht um sie: die Tiere, sondern um uns: die
Menschen.
Als Höhlenmalereien zählen Tiere zu den ältesten Themen künstlerischer
Weltdeutung. Heute halten sich Genforscher, Pharmakologen und Mediziner an
die nächsten Verwandten des Menschen, um die Biologie des Menschen zu
entschlüsseln. Der mal zärtlichen, mal schrecklichen Nähe zum Tier sind auch
wir heutigen Menschen nicht entkommen. Immer weiter liefern uns die Tiere
Ebenbilder unserer selbst – im Guten wie im Bösen. Dabei zeigen wir ihnen
gegenüber oft nicht die Vernunft, die uns angeblich von ihnen unterscheidet. Wir
lieben Tiere als Haus- und Wohnungsgenossen und essen Tiere zu Mittag. Sind
die Widersprüche, die Tier und Mensch auch heute miteinander verstricken,
weniger ungeheuerlich als in der Zeit der Schamanen? Welchem Kult dient es
heute, Labormäusen menschliches Ohrgewebe anzuzüchten?
Es ist ein komplexes Spiegel-Verhältnis, das zwischen den Menschen und den
Tieren herrscht – und mit diesem Verhältnis befassen sich die in diesem Katalog
versammelten Essays und Kunstwerke.
Die Essays gehen auf ein Symposium zurück, das am 7. Juli 2001 in der
Kunsthalle Baden-Baden in Kooperation mit dem SWR2 stattgefunden hat. Aus
historischer und kulturtheoretischer, aus erziehungswissenschaftlicher,
soziologischer und biologischer Perspektive ging es darum, das von
Widersprüchen und Projektionen gekennzeichnete Nachbarschaftsverhältnis
zwischen uns und den Tieren etwas genauer in den Blick zu nehmen.
Die künstlerischen Positionen umfassen den Zeitraum der letzten hundert Jahre
und thematisieren das Tier als kreatürlichen Verwandten, Opfer,
Lebensgefährten, vorzivilisatorisches Gegenüber und Spiegel menschlicher
Eigenschaften. Seit der historischen Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts
ist das Tier als symbolische Projektionsfläche im Durchlauf durch massive
Desillusionen bezüglich der utopischen Möglichkeiten der Menschen, seiner
Fähigkeiten zur bestialischen Grausamkeit und seiner weitgehenden
biologischen Tierähnlichkeit ein erstaunlich stabiles Motiv geblieben. Ungleich
deutlicher als Künstler früherer Epochen hinterfragen die Künstler der Moderne
die symbolische Grenze, die bis heute gewohnheitsmäßig zwischen
»menschlich« und »tierisch« gezogen wird, orten sie in Wirklichkeit nicht
zwischen Mensch und Tier, sondern im Menschlichen selbst, als
stillschweigende Unterscheidung zwischen sozial akzeptierten und kulturell
tabuisierten Impulsen und Fantasien menschlicher Individuen. Was nicht zum
menschlichen Selbstbild paßt, wird als tierisch bezeichnet.
Wir danken allen Künstlern und Leihgebern für die großzügige Unterstützung
unserer Ausstellung. Dank gebührt ebenso den Autoren, die ihre Überlegungen
zuerst als Vorträge unserer vorbereitenden Tagung und dann als Essays im
vorliegenden Buch beisteuerten. Tagung und Buch schließlich wären nicht
möglich gewesen ohne die kollegiale Kooperation mit dem SWR2 in BadenBaden, wofür insbesondere dem KoKoordinator aller drei Tagungen, Stephan Krass, herzlich zu danken ist. Fritz
Emslander, Uwe Koch und Andreas Balze danken wir für ihr intensives und
präzises Engagement für Ausstellung und Katalogbuch.
Johannes Bilstein Matthias Winzen
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