Lars Hartmann / Marcus Zunker Pharmazie TU-Braunschweig 05.07.2002 Pflanzliche Gallentherapeutika 0. Die vier wichtigsten Verdauungserkrankungen - Dyspepsie Reizdarm funktionelle Störungen des ableitenden Gallensystems andere unspezifische Formen von Verdauungsstörungen 1. Funktionelle Dyspepsie 1.1 Definition Dyspepsie Störungen im oberen Gastrointestinaltrakt unter Einschluss der Leber, der Gallenwege und des Pankreas 1.2 Allgemeines - ca. 15-25% der Bevölkerung in den westlichen Industrieländern haben dyspeptische Beschwerden 50% davon leidet an funktioneller Dyspepsie bei der Selbstmedikation nehmen Magen-Darm-Mittel den dritten Rang ein abgrenzen von dyspeptischen Beschwerden: o Stress und ernährungsbedingte Belastung 1.3 Beschwerdetypen und Symptome 1.3.1 2 Beschwerdetypen 1. Säuretyp 2. Dysmotilitätstyp - • Oberbauchschmerzen, Nüchternschmerz und Intervallsymptomatik, sowie Nahrungsabhängigkeit, auch Nachtschmerzen und Schlafstörungen • rasches Sättigungsgefühl, postprandiales Völlegefühl, Übelkeit, Aufstoßen, Erbrechen und Blähungen (Obstipation oder Diarrhöe gelten als Subtypen) Æ hoher Leidensdruck Überlappungen mit anderen Magen-Darmerkrankungen – nicht eindeutig abzugrenzen z.B.: gastro-ösophagalen Refluxerkrankungen und Reizdarm 1.3.2 Symptome - Sodbrennen (saures Aufstoßen) aber auch nicht saures Aufstoßen Druck- und Völlegefühl frühes Sättigungsgefühl Blähungen Schmerzen im Oberbauch (Non-Ulcer-Dyspepsie=NUD) Übelkeit und Erbrechen Unverträglichkeit von fettreichen Speisen teilweise Verstopfung wenn sie häufig und verstärkt auftreten und länger als 12 Wochen dauern oder sich wiederholen: • ist eine multifaktorielle, eigenständige Krankheit • mit Verlust an Lebensqualität • zum Teil durch psychosomatische Beschwerden verursacht, aber nicht allein, sondern auch noch andere Ursachen • durch Angst und depressive Störungen begünstigt • evtl. Ursache im Neurotransmitterstoffwechsel 1.4 Pathogenese - noch immer unklar fehlende morphologische Abnormitäten 1.4.1 mögliche pathogenetische Ursachen - - Motalitätsstörungen z.B. Hypomotalität mit Magenstase, selten Hypermotalität Perzeptionsstörungen z.B. Wahrnehmungsschwelle gegenüber mechanischem Stimuli (gestörte zentrale Verarbeitung nervaler afferenter Signale, man nimmt an, dass Dehnungsreize oder andere Signale aus der Magenwand oder dem Dünndarm oder im Hirnstamm falsch verarbeitet werden) erhöhte periphere Nozirezeption über Neurotransmitterstörungen ausgelöst bzw. verstärkt Säureinduzierte Störungen Helicobacter pylori (positive chronische B-Gastritis) (Bedeutung bei der Entstehung aber noch völlig unklar) 1.5 Therapie - - Rationale Therapie ist schwierig, da objektive Diagnosekriterien und gesicherte pathogentische Vorgänge fehlen Æ Therapiemaßnahmen lassen sich nicht pathophysiologisch begründen säurereduzierende Arzneimittel – Antacida 1.5.1 Anforderungen an moderne Antacida • • • • sollten Magensäure und Gallensäure neutralisieren bzw. binden Pepsin inaktivieren sollten Mukosa-Barriere stärken, indem sie Bicarbonat speichern und Prostaglandine stimulieren rascher Wirkungseintritt Æ unerwünscht sind Rebound-Phänomene und Bindung an Eiweiße (Wirkungsverlust) 1.5.2 Gruppen von Antacida - Carbonate Aluminium- oder Magnesiumhydroxide Schichtgitterantacida Æ bestes Mittel Simethicon – wirkt rein physikalisch (bei gasbedingter funktioneller Dyspepsie) Æ Hydrotalzid (Talcid®) Æ Prostaglandinsynthese im Magen wird stimuliert, somit Mukosaschutz (Steigerung der Durchblutung, Bikarbonat- und SchleimsekretionÆbikarbonatgepufferte Schleimschicht) - verantwortungsvolle Aufgabe der Apothekerin und des Apothekers ist es, die Beratung und Betreuung des Patienten zu sichern Æ keine lebensbedrohliche Erkrankung 1.5.3 Was kann man selbst tun? - - man muss Faktoren suchen und ausschließen, die zur individuellen Verschlimmerung führen • Nahrungsmittel • Genussmittel • Arzneimittel Lokalisierung des Schmerzes Somatische Störungen Konzentrationsschwäche Erschöpfung Ausschluss von Laktose Intoleranz pathologischer Darmbesiedlung - Maßnahmen: • • • • • - Alarmsymtome für organische Erkrankungen: • • • • • • - Stressabbau Ernährungsumstellung Entspannung körperliche Bewegung Verzicht auf Kaffee, Alkohol und Nikotin starke anhaltende Schmerzen Schluckbeschwerden Starkes Erbrechen Heftiger Durchfall Deutliche Gewichtsverluste Andauernde Symptome über 4 bis 6 Wochen medikamentöse Behandlung möglich 1.5.4 Medikamentöse Therapie - Pflanzliche Zubereitungen: • - Antacida, H2-Blocker, Protonenpumpenblocker: • - für leichte Beschwerden z.B.: ätherische Öle von Fenchel, Anis, Kümmel, Pfefferminze, Kamille Æ beruhigend, spasmolytisch, carminativ und blähungstreibend bei säurebedingten Beschwerden, z.B.: Schichtgitterantacidum – Hydrotalzid und H2-Blocker wie Ranitidin und Famotidin (Selbstmedikation) Prokinetika, Polysiloxane, Spasmolytika: • bei gas- bzw. motilitätsbedingten Beschwerden • Prokinetika: Domperidon und Metoclopramid Æ blockieren Dopaminrezeptoren Æ vermehrte Acetylcholinfreisetzung • Polysiloxane: z.B. Simethicon (Lefax®) und Dimeticon Æ physikalisches Wirkungsprinzip: verändern Oberfläche des zähen Schaums, das eingeschlossene Gas kann entweichen • Spasmolytika: Mebeverin bzw. N-Butylscopolaminbromid Æreduzieren den Parasympathikustonus Æerschlaffen die glatte Muskulatur des Magen-Darm-Kanals - Therapie der Obstipation und der Diarrhöe: • mit Mittel für intraluminale Volumenvermehrung (Quellstoffe), dadurch auslösen von peristaltischen Wellen, kein Einsatz von Sennosiden und LactuloseÆ lösen Symptome der funktionellen Dyspepsie aus 2. Curcuma (aus arabischem „Kurkum“ = Safran) 2.1 Stammpflanzen - Curcuma longa – Gelbwurzel, Gelbsuchtwurzel, Kurkumawurzel, turmeric plant-root Curcuma xanthorriza – Javanischer Gelbwurz, Javanischer Gelbwurzelstock, Temoe lawak, Temu lawak, Temu lawas 2.2 Pflanzenfamilie - Zingiberaceae – Ingwergewächsen 2.3 Morphologie und Vorkommen 2.3.1 Vorkommen - in Süd- und Südostasien (Indien 350.000 t im Jahr erzeugt), Indonesien, Thailand, Philippinen …) 2.3.2 Morphologie und Unterscheidung - Ausdauernde Kräuter (Staude) mit dickem fleischigem, stark verzweigten Rhizome 1m hoch C. longa verkleisterte Stärke durch Herstellungsprozess nach Ernte überbrühen um Austreiben bei Trocknung zu verhindern 2.4 Inhaltsstoffe 2.4.1 Ätherische Öle - Sesquiterpenketone (Zingiberen, Curcumen, Zingiberol, Curcumol, Turmerone) Terpene (Campher, Camphen, Pinen, Cineol, Borneol) 2.4.2 Curcuminoide - biogenetisch verwandt mit Scharftstoffen und Zimtsäurederivaten sind phenolische ß-Dicarbonylverbindungen Curcumin I – II - III (Begriffe in Tabelle synonym) 2.5 Verwendung und Wirkungen - Choleretisch Cholekinetisch Cholagog Æ Steigerung der Gallensaftsekretion Æ Förderung der Entleerung der Gallenblase Æ Kombination beider Wirkungen 2.5.1 Verwendung - als Phytopharmakon Kosmetikum als Gewürz (Curry-Pulver) Farbpunkt auf Stirn hat Safran als Farbstoff /Färbemittel ersetzt Gegen Würmer und Wurmeier 2.5.2 Wirkung - Keine Sofortwirkung (zur Beschwerdefreiheit) – Gabe über Wochen und Monate beide Arten heute gleichberechtigt als Gallentherapeutika wirken als Wirkstoffkomplex – keine Einzelstruktur für Wirkung verantwortlich • • • • • • • • • Stimulation der Cholerese (Reizwirkung) Verdauungsfördernde Wirkung Lipidsenkende Eigenschaften – Senkung von LDL, Steigerung von HDL Cholesterol antiinflammatorisch - entzündungshemmend Antioxidativ – als Radikalfänger – Hemmung der Prostaglandinsynthese H.von Cox I und II, Cyclooxygenase und Lipoxygenase Antitumorwirkung – H. der Proliferation und metabolische Aktivierung detoxifizierenden Stoffen im Körper Leberschutzwirkung Antiviral und immunstimulierend Schutz gegen Alzheimer noch unklar (ähnlich Radikalfängerfunktion) 2.6 Kontraindikation und Nebenwirkungen 2.6.1 Kontraindikation - bei Gallensteine Ædurch vermehrte Bildung von Gallenflüssigkeit einklemmen möglichÆ Abfluss der Galle verhindert Æ Kolik bei Schwangeren und Stillenden Kinder unter 12 Jahren (noch keine ausreichenden Untersuchungen) 2.6.2 Nebenwirkungen - bei längerem Gebrauch Magenbeschwerden mit Übelkeit und Erbrechen auftreten keine Wechselwirkungen bekannt Patienten mit akuten Beschwerden (länger als eine Woche bzw. regelmäßig wiederkehrend) sollten einen Arzt aufsuchen, keine Selbstmedikation fortsetzen! 3. Weiter Pflanzen bzw. Pflanzenteile mit ähnlicher Wirkung - Drogen aus allen Inhaltsstoffklassen Wirkung als ganzes sehen – nicht „dieser Inhaltsstoff wirkt gegen diese Erkrankung“ - Weitere Pflanzen – Tabelle 3 Kombinationen von mehreren Pflanzen - Tabelle 5 4. Tees, Präparate und Therapiebeispiel 4.1 zwei Teemischungen - Tabelle 6 – zwei Tees Fertigpräparate besser als Tee, da Inhaltsstoffe schlecht wasserlöslich Kommission E empfiehlt pro Tag umgerechnet 1-3g DrogeÆ selbst Fertigarzneimittel unterdosiert 4.2 Präparatebeispiel Curcumen® Kapseln Ap <FachInfo-Service> Zus.: 1 Kps. enth.: Trockenextrakt aus Rhiz. Curcumae xanth. (28,6:1) 23,3 mg. Curcu-Truw® Kapseln Ap <FachInfo-Service> Zus.: 1 Kps. enth.: Curcumawurzelstock-Trockenextrakt (13-25:1) 81 mg -Auszugsmittel: 96% (V/V) Ethanol. Weit. Bestandteile: Calciumhydrogenphosphat 2H2O, Lactose 1H2O, hochdisp. Siliciumdioxid, Magnesium(stearat, -palmitat, -oleat), Talkum, Gelatine, Eisenoxidhydrat (E 172), Eisen(III)-oxid (E 172), Eisen(II,III)-oxid (E 172), Titandioxid (E 171), Natriumdodecylsulfat. Anw.: Verdauungsbeschwerden (dyspeptische Beschwerden), besonders bei funktionellen Störungen des ableitenden Gallensystems. Infi-tract® Kapseln Ap Zus.: 1 Kps. enth.: Spissumextrakt aus Javanischer Gelbwurz (9-12:1) 100 mg Auszugsmittel: Aceton. Weit. Bestandteile: Macrogol 400, Gelatine, Glycerol, Sorbitol, Wasser. Anw.: Dyspeptische Beschwerden, besonders bei funktionellen Störungen der ableitenden Gallenwege. - auch ethanolische Tinkturen eingesetzt 4.3 Therapiebeispiele (Daten von 440 Patienten mit dyspeptischen Erkrankungen) Entscheidung zur Therapie erfolgte wegen: 36% Reizdarm 34% Dyspepsie 18% funktionelle Störungen des ableitenden Gallensystems 12% andere unspezifische Formen von Verdauungsstörungen Æ tägliche Einnahme von 1 Kapsel (Curcu-Truw®) mit 81mg Trockenextrakt (aus Cucurmawurzelstock) Æ im Mittel: Rückbildung der initialen dyspepsierelevanten Symptome um 67,8% (Wirkungseintritt nach ca. 6 Tagen, Compliance 82%) zweites Therapiebeispiel als Bild 5. Bilder ©2004 Marcus Zunker [email protected] & Lars Hartmann