Fortgeschrittenen-Praktikum Versuch Photometrie und Spektroskopie Cornelia Heinitz Kepler Center for Astro and Particle Physics Institut für Astronomie und Astrophysik Sand 1 72076 Tübingen Stand: 14. Juli 2016 http://www.uni-tuebingen.de/de/4203 Inhaltsverzeichnis 1 Vorbemerkung 3 2 Einführung 2.1 Koordinatensysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Teleskope . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Öffnungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Das Auflösungsvermögen . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Refraktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Reflektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.5 Teleskopmontierungen . . . . . . . . . . . . . . 2.2.6 Aktive und adaptive Optiken . . . . . . . . . . . 2.3 Bilddetektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Grundlagen des CCD . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 CCDs in der Astronomie . . . . . . . . . . . . . 2.4 Spektroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Beugungstheorie am Gitter . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Die Dispersion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Das Auflösungsvermögen . . . . . . . . . . . . 2.5 Strahlungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Strahlungsintensität und Strahlungsfluss . . . . . . . . . 2.6.1 Strahlung im thermodynamischen Gleichgewicht 2.6.2 Effektivtemperatur und Leuchtkraft . . . . . . . 2.6.3 Helligkeiten und Farben . . . . . . . . . . . . . 2.7 Farben-Helligkeits-Diagramm . . . . . . . . . . . . . . 2.8 Spektralklassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 4 6 6 7 9 10 13 16 19 19 22 23 24 26 27 27 27 28 29 30 30 31 3 Versuchsaufbau 3.1 Spiegelteleskop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Der 10 C-Gitterspektrograph . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 CCD-Kameras STL-1001E und HX916 . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 34 35 38 4 Versuchsdurchführung 4.1 Vorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Sternspektroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Photometrie eines Sternhaufens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 39 40 46 5 Literatur 49 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A Mögliche Beobachtungsobjekte 50 B Wellenlängenkalibration 51 C Starke Linien in Sternspektren. 52 D Aufbau des Versuchsprotokolls 56 2 1 Vorbemerkung Der Versuch “Photometrie und Spektroskopie” soll grundlegende Methoden zur Aufnahme und Auswertung astronomischer Daten verständlich machen. Dabei soll insbesondere auf die auch sonst in der Physik anwendbaren technologischen Grundlagen eingegangen werden. Neben einem Verständnis für die Funktionsweise der Instrumente sind die praktische Anwendung, die wissenschaftliche Motivation und die zugrunde liegende Physik der Anwendungsbeispiele das Entscheidende. Astronomische Kenntnisse auf dem Niveau der Einführungsvorlesung sind für die Durchführung des Versuchs zwinged erforderlich, Erfahrung im Umgang mit Computern ist vorteilhaft, aber keineswegs notwendig. Wir haben versucht, in dieser Anleitung die für die Durchführung des Versuchs notwendigen Informationen zusammenzustellen. Darüber hinausgehende Informationen finden Sie in der zitierten Literatur. Die Programmbefehle zur Steuerung der Kamera und der verwendeten Software sind alle aufgeführt, es wird aber nicht erwartet, dass Sie damit ohne weitere Einweisung vor Ort zurechtkommen. In der Astronomie ist es immer noch gebräuchlich, Einheiten, die nicht dem SI-System entstammen, zu verwenden. Prominente Beispiele sind das Ångström als Wellenlängeneinheit oder der Tag als Zeiteinheit. Diese Anleitung folgt dieser Gepflogenheit, lassen Sie sich bitte nicht von etwas ungewohnten Einheiten abschrecken. . . Um Ihnen die Vorbereitung des Versuchs zu vereinfachen, haben wir in diese Einleitung einfache Aufgaben eingestreut. Sie sollten diese Aufgaben vor dem Praktikum gelöst haben, die Lösung ist Teil Ihres Praktikumsprotokolls. Im Ausgleich für diese Vorarbeit kann die Nachbereitung des Versuches wesentlich kürzer ausfallen. 2 Einführung Im Gegensatz zu allen anderen Naturwissenschaften ist die Astronomie eine rein empirische Wissenschaft. Es ist den Astronomen unmöglich, die Gegenstände ihrer Untersuchungen unter kontrollierten Bedingungen zu manipulieren oder Experimente mit ihnen anzustellen. Die alleinige Information, die zur Wissensgewinnung dient, liegt in der Form der von astrophysikalischen Quellen beobachteten Strahlung vor. Die Kunst der Astronomie als Wissenschaft liegt darin, die in der Strahlung steckende Information auszuwerten. Die von astronomischen Quellen beobachtete Strahlung ist meist sehr schwach, Strahlungsflüsse von 10−29 W cm−2 s−1 (=1 mJy [milli Jansky], astronomische Einheit für Strahlungsflüsse) im optischen oder einigen wenigen Photonen pro cm2 und Sekunde im Röntgenbereich sind üblich1 . Zusätzlich ist unser Beobachtungsstandort auf der Erde ein äußerst ungünstiger – die detektierte Strahlung muss vor der Beobachtung die Erdatmosphäre passieren, die Erde ist keine ruhende Plattform, sondern dreht sich usw. . . Der Drang zur Untersuchung immer schwächerer Objekte führte im 20. Jahrhundert zur Entwicklung immer größerer Teleskope und zur Entwicklung sehr lichtempfindlicher Detektoren. In dieser Einführung möchten wir Sie mit den Grundlagen 1 Eine in der Astrophysik der kosmischen Strahlung gebräuchliche Einheit ist die der detektierten Teil- chen, die pro Quadratkilometer und Jahr gemessen werden – die Detektionsgrenze für den Teilchenfluss liegt hier im Bereich von ungefähr 10−2 Teilchen km−2 a−1 . . . 3 dieser Detektoren, soweit sie für das Praktikum von Bedeutung sind, vertraut machen. Wir werden uns dabei zunächst mit astronomischen Teleskopen beschäftigen und dann auf die Detektoren für elektromagnetische Strahlung eingehen. 2.1 Koordinatensysteme Das Aufsuchen von astronomischen Objekten erfordert die Festlegung eines Koordinatensystems. Es ist dabei sinnvoll, ein System zu definieren, das vom Beobachtungsort und der Zeit unabhängig ist. Da wir es in der Astronomie, abgesehen von Objekten innerhalb unseres Sonnensystems, mit sehr großen Entfernungen zu tun haben, können wir ein Koordinatensystem auf einer unendlich großen Himmelskugel festlegen und so auf zwei Koordinaten einschränken. Die Änderung der Koordinaten aufgrund der täglichen bzw. jährlichen Erddrehung ist sehr klein, da die Entfernung der Objekte viel größer als der Erdbahnradius ist (der nächste Stern, Proxima Centauri, hat eine Entfernung von etwa 270000 Erdbahnradien). Abbildung 1: Himmelskugel mit Himmelskoordinaten (Quelle: Unsöld & Baschek, 1988, Abb. 2.2.3). Da die Ausrichtung der Rotationsachse der Erde im Raum (nahezu) fest ist, ist eine Projektion des äquatorialen Systems auf die Himmelskugel ein geeignetes orts- und zeitunabhängiges Bezugssystem. Die Schnittlinie zwischen der Himmelskugel und der Äquatorebene ist ein Großkreis, der als Himmelsäquator bezeichnet wird. Die Verlängerung der Erdachse definiert die Himmelspole (siehe Abb. 1). Der Winkelabstand eines Sterns von der Äquatorebene wird durch die Erdrotation nicht beeinflusst. Dieser Winkel wird auf einem Großkreis, der durch beide Himmelspole und den Stern verläuft, dem sog. Stundenkreis, abgetragen und als Deklination δ bezeichnet. Gemessen wird von der Äquatorebene aus, positive Winkel bezeichnen Objekte auf der Nordhalbkugel, negative solche auf der Südhalbkugel. Dies ist die erste Koordinate. Die zweite Koordinate wird 4 auf dem Äquator gegen den Uhrzeigersinn gemessen. Wir benötigen aber noch einen Bezugspunkt, der von der Erdrotation unabhängig ist. Die Wahl dieses Punktes ist im Prinzip beliebig, es macht aber Sinn, einen Punkt mit besonderen Eigenschaften auszuwählen. Die projizierte Bahn der Sonne, die Ekliptik, schneidet den Himmelsäquator an den Punkten der Tagundnachtgleichen. Einer dieser beiden Schnittpunkte, nämlich der Frühlingspunkt, wird als Bezugspunkt gewählt. Früher befand sich dieser im Sternbild Widder und wird daher auch Widderpunkt (ϒ) genannt. Der Winkel zwischen Objekt und Frühlingspunkt auf dem Äquator wird in Stunden angegeben. Damit haben wir die zweite Koordinate, die Rektaszension α (oder auch R.A.). Die Präzession der Erdachse bewirkt eine Änderung der Koordinaten, für eine präzise Katalogisierung benötigen wir also noch die Angabe desjenigen Zeitpunktes, die sog. Epoche, an dem der Frühlingspunkt definiert wurde, z.B. 1950 oder 2000. Es gibt noch weitere Effekte, die die Koordinaten beeinflussen, auf die hier aber nicht weiter eingegangen werden soll. Aufgabe 1: Verschaffen Sie sich die Koordinaten der Objekte aus der Objektliste (Tab. 7), z.B. unter Zuhilfenahme der Datenbank SIMBAD (http://simbad. u-strasbg.fr/Simbad). 5 O du vielwissendes Rohr, kostbarer als jedes Szepter! Wer dich in seiner Rechten hält, ist er nicht zum König, nicht zum Herrn über die Werke Gottes gesetzt! Johannes Kepler Dioptrice, 1611 2.2 Teleskope Von den in der Einleitung dargestellten Gegebenheiten lassen sich die folgenden Anforderungen an astronomische Teleskope ableiten: Teleskope müssen über • eine möglichst hohe Lichtausbeute, • ein gutes Auflösungsvermögen • und natürlich eine sehr gute Bildqualität verfügen. Es gibt zwei verschiedene Klassen von Teleskopen, mit denen diese Anforderungen erreicht werden können. Zum einen sind dies die Refraktoren, bei denen mit Hilfe von Linsensystemen eine Abbildung erreicht wird, zum anderen die Reflektoren, bei denen das Gleiche mit Hilfe der Kombination von sphärisch oder parabolisch geschliffenen Spiegeln erreicht wird. 2.2.1 Öffnungsverhältnis Abbildung 2: Herleitung des Abbildungsmaßstabs. Beiden Arten von Teleskopen ist gemein, dass sie das sich im Unendlichen befindliche astronomische Objekt mit einem Objektiv oder Hohlspiegel des Durchmessers D und der Brennweite f in eine Fokalebene projizieren, in der das Bild des Objekts untersucht wird. Abbildung 2 zeigt als Beispiel den Strahlengang eines einfachen Reflektors. Das Verhältnis D/ f bezeichnet das Öffnungsverhältnis des optischen Systems, beim Photoapparat ist das Inverse des Öffnungsverhältnisses, f /D, als die Blendenzahl bekannt. Aus Abbildung 2 kann die Bildausdehnung a eines im Unendlichen unter dem Winkel ω erscheinenden Objekts abgelesen werden: a = 0.0175 ω f (1) wobei ω im Gradmaß gemessen wird. Ein Teleskop mit einer Auffangfläche ∼ D2 konzentriert also die aufgefangene Energie eines flächenhaften Objekts auf einer Fläche 6 ∼ f 2 . Das Verhältnis dieser Größen definiert daher die Lichtstärke: 2 D Lichtstärke ∝ f (2) Die Lichtstärke bei flächenhaften Objekten ist also nur vom Öffnungsverhältnis abhängig (also von der “Blendenzahl”, wie beim Photoapparat). Für ein punktförmiges Objekt wie z.B. einen Stern gilt hingegen Lichtstärke ∝ D2 (3) Die meisten astronomischen Objekte sind sehr weit entfernt, also punktförmig, so dass astronomische Teleskope große Durchmesser haben sollten, um möglichst viel Licht aufzusammeln. 2.2.2 Das Auflösungsvermögen Die Auflösung astronomischer Teleskope ist durch die Beugung des von den Sternen ausgesandten kohärenten Lichts begrenzt. Aus der Beugungstheorie erhält man für die Intensitätsverteilung I(θ) einer kreisförmigen Blende mit Radius r im Winkelabstand θ (z.B. Born & Wolf, 1980; Kitchin, 1984) Iθ ∝ π2 r4 (J1 (2m))2 2 m (4) wobei πr sin θ (5) λ und durch J1 (2m) die Besselfunktion erster Art der Ordnung eins bezeichnet wird. In Abbildung 3 ist J1 (2m)/m dargestellt. Die Intensität ist also Null in konzentrischen Ringen mit Radius m= θ≈ 1.220 λ , d 2.233 λ , d 3.238 λ ,... d (6) wobei d = 2r der Durchmesser des Beugungsscheibchens ist. Die innerste Beugungszone bezeichnet man als Airy-Scheibchen, nach dem englischen Royal Astronomer George B. Airy, der als erster Gleichung 4 hergeleitet hat. Abbildung 4 stellt die AiryScheibchen für zwei gleich helle Punktquellen im Abstand 4.46 λ/d dar. Die Abbildung eines Sterns mit einem astronomischen Teleskop führt also zu einer ausgedehnten Scheibe mit Radius 1.22 λ/d, die von Beugungsringen umgeben ist. Zur Charakterisierung der Auflösung eines Teleskops wird meist das von Lord Rayleigh eingeführte Kriterium verwendet. Das Rayleigh-Kriterium besagt, dass zwei gleich helle Objekte gerade dann noch auflösbar sind, wenn das Intensitätsmaximum der Beugungsfigur des einen Objekts genau in das erste Intensitätsminimum der Beugungsfigur des zweiten Objekts fällt. Damit ist die Auflösung α gerade α[rad] = 1.220 λ . d 7 (7) 1.0 J1(2m)/m 0.8 0.6 0.4 0.2 0.0 -0.2 0 2 4 6 m Abbildung 3: Graph der Funktion J1 (2m)/m, deren Quadrat die Intensitätsverteilung an einer kreisförmigen Blende beschreibt (Glg. 4). Abbildung 4: Beugungsbild zweier gleich heller Punktquellen im Abstand 4.46 λ/d an einer kreisförmigen Blende, wie in der Astronomie üblich als Negativ dargestellt (schwärzer entspricht also heller). 8 Aufgabe 2: Berechnen Sie die Auflösung in Bogensekunden eines Teleskops mit einem Teleskopdurchmesser von d = 0.8 m bei einer Wellenlänge von 5700 Å. Wie diese Herleitung zeigt, ist das Rayleigh-Kriterium nur eine grobe Näherung für das tatsächliche Auflösungsvermögen eines Instruments. Die tatsächlich erreichbare beugungsbegrenzte Auflösung hängt sehr vom Intensitätsverhältnis der beobachteten Objekte ab (eine sehr schwache Quelle ist in der Umgebung eines sehr hellen Objekts natürlich schwerer zu detektieren als ein vergleichsweise helles Objekt). Zusätzlich ist bei erdgebundener Beobachtung die Erdatmosphäre der eigentlich die Auflösung begrenzende Faktor (siehe Abschnitt 2.2.6). Daher ist für praktisches Arbeiten α ≈ λ/d eine ausreichende Näherung. 2.2.3 Refraktoren Mit der Demonstration des Fernrohrs zum “Näherholen” entfernter Gegenstände auf dem Campanile von San Marco in Venedig am 21. August 1609 durch Galileo Galilei begann die naturwissenschaftliche Nutzung der Teleskope. Galilei hatte Gerüchte über die Entdeckung eines holländischen Glasmachers, Hans Lippershey, vernommen und sich ein eigenes kleines Fernrohr durch die Kombination einer Sammel- und einer Streulinse gebaut. In Verneinung der eigentlichen Urheberschaft dieses Instrumentes wird die Kombination einer Sammel- und einer Streulinse ein “galileisches Fernrohr” genannt; seinem geschickten Marketing hatte Galilei eine Gehaltsverdoppelung zu verdanken. Als Alternative zum Galileischen Fernrohr schlug Johannes Kepler in seiner Dioptrice, 1611, die Kombination zweier Sammellinsen vor, das “keplersche Fernrohr”. Im Gegensatz zum galileischen Fernrohr besitzt das keplersche eine echte Fokalebene, d.h. es kann für quantitative astronomische Messungen und nicht nur zur Beobachtung benutzt werden. Obwohl sich Refraktoren in einigen Bereichen, zum Beispiel als Feldstecher, durchgesetzt haben, werden Refraktoren in der Astronomie als Instrumente heute nicht mehr eingesetzt. Der Hauptgrund dafür ist, dass der Maximaldurchmesser eines Refraktors bei ∼ 1 m liegt, also bei einer vergleichsweise kleinen Lichtsammelfläche. Die Begründung für diesen kleinen Maximaldurchmesser ist, dass größere Linsen nur sehr schwer herstellbar und im Gebrauch aufgrund ihres hohen Eigengewichtes nur sehr schwer stabilisierbar sind. Bei der Änderung der Pointierungsrichtung eines Teleskops verformen sich Linsen sehr stark, da sie im Gegensatz zu einem Spiegelsystem nicht unterstützt werden können – etwas weniger akademisch ausgedrückt bedeutet hier “sehr starke Verformung” nichts anderes als “zerbrechen”. Ferner muss zur Herstellung einer Linse großen Durchmessers ein Glasblock entsprechenden Durchmessers ohne Lufteinschlüsse hergestellt werden, was große Kosten verursacht. Desweiteren entspricht die Baulänge eines Refraktors seiner Brennweite, was zu großen, unhandlichen und instabilen (Durchbiegung!) Instrumenten führt. Schließlich muss auch noch berücksichtigt werden, dass der Brechungsindex von Glas wellenlängenabhängig ist, was zu Bildfehlern führt (chromatische Aberration). Aus diesen Gründen haben sich in der Astronomie seit Mitte des 20. Jahrhunderts Reflektoren auf breiter Linie durchgesetzt. Die in manchen Sternwarten, so auch der Tübinger Sternwarte, noch vorhandenen Refraktoren haben nur noch Museumswert und werden für die aktive Forschung nicht eingesetzt2 . Die einzige Ausnahme bildet hierbei 2 Der Tübinger Refraktor wird in der Öffentlichkeitsarbeit für Sternführungen eingesetzt. 9 die Spezialanwendung der Astrometrie, also der Vermessung von Sternpositionen, bei der Refraktoren mit typischen Durchmessern < 30 cm als sogenannte Meridiankreise eine Nische gefunden haben. Auch diese Instrumente wurden seit 1985 mehr und mehr von satellitengestützten Instrumenten, so zum Beispiel dem europäischen HipparcosSatelliten, ersetzt. Einen sehr schönen Überblick über den historischen Wettstreit um den weltgrößten Refraktor gibt der Artikel aus Sterne und Weltraum (August 2011) im Anhang dieser Anleitung auf Seite 55. 2.2.4 Reflektoren Wie bereits oben dargestellt, bestehen Reflektoren aus der Kombination eines konischen, fokussierenden Hauptspiegels mit weiteren Spiegeln zur Bestimmung der Lage des Fokus. Abbildung 5: Strahlengang des newtonschen Teleskops (Newton, 1730, Fig. 29). Weit verbreitet in der Amateurastronomie sind Reflektoren mit dem Strahlengang, der 1671 von Isaac Newton erfunden wurde (Abb. 5). Hier wird das Licht mit einem parabolischen Hauptspiegel fokussiert. Die vom Hauptspiegel kommenden Strahlen werden durch einen zweiten, plan geschliffenen Fangspiegel aus dem Teleskoptubus reflektiert. Der Brennpunkt befindet sich also am Ende des Tubus, weit entfernt vom Hauptspiegel. Dies hat den Nachteil, dass die Baulänge des Teleskops in der Größenordnung der Brennweite liegt. Ferner müssen die Detektoren weit vom Schwerpunkt des Teleskops entfernt angebracht werden, was mechanisch wenig sinnvoll ist. Bei neueren Teleskopen haben sich – auch im Amateurbereich – daher andere Strahlengänge durchgesetzt, bei denen das vom Hauptspiegel ausgehende konvergente Strahlenbündel durch einen Fangspiegel auf ein zentrisch im Hauptspiegel angebrachtes Loch zurückreflektiert wird. Der Fokus befindet sich dann nahe des Hauptspiegels, das heißt nahe am Schwerpunkt des Teleskops. Ferner ist die Baulänge des Teleskops nur noch ∼ f /2. Eine solche Anordnung bezeichnet man als Cassegrain-Strahlengang. Allerdings hat auch der Cassegrain-Strahlengang noch den Nachteil, dass der Fokus nicht ortsfest ist. Mit anderen Worten muss die Instrumentierung am Teleskop selbst angebracht werden, was für schwere Detektoren nicht verwirklichbar ist. In einem solchen Fall gibt es weitere Teleskopkonstruktionen, bei denen mit verschiedenen Spiegelanordnungen tatsächlich ein raumfester Fokus erreicht werden kann. Daher werden Großteleskope meist mit mehreren möglichen Strahlengängen konzipiert, die je nach Anforde10 Abbildung 6: Spiegelkonfigurationen eines 8 m-VLT-Units. Der “Nasmyth-Fokus” bezeichnet die Lage des raumfesten Brennpunkts bei azimutaler Montierung des Teleskops (siehe Abb. 2.2.5; Quelle: ESO). rung des Instruments ausgewählt werden können. Abbildung 6 zeigt beispielhaft die bei den 8 m-Teleskopen des “Very Large Telescope” des Europäischen Süd-Observatoriums (ESO) verfügbaren Strahlengänge. Da der Spiegel bei Reflektoren auf der Rückseite unterstützt werden kann, sind seiner maximalen Größe nur technologische, nicht aber prinzipielle Grenzen gesetzt. Diese Grenzen werden durch das zur Herstellung vorgesehene Material und die bei der Spiegelherstellung eingesetzten Verfahren bestimmt. Das für den Hauptspiegel verwendete Material ist im Prinzip frei wählbar, da die Reflektivität des Spiegels durch eine auf die Spiegeloberfläche aufgedampfte Schicht (meist aus Aluminium) gewährleistet werden kann. Dieses Material sollte möglichst einfach schleifbar und sehr gut polierbar sein sowie einen kleinen thermischen Ausdehnungskoeffizienten besitzen, um eine stabile Oberflächenform auch während der Temperaturschwankungen der Beobachtungsnacht zu gewährleisten. Aus diesen Gründen kommen in der Praxis für Teleskopspiegel heute ausschließlich glasartige Substanzen in Frage3 . Normales (Kron-)Glas wird wegen seines großen thermischen Ausdehnungskoeffizienten dabei nur für Kleinteleskope benutzt, für Teleskope größerer Bauart werden Quarzglas und Glaskeramiken benutzt. Eine klassische in der Astronomie beliebte Glaskeramik ist Zerodur, das einen fast vernachlässigbaren Ausdehnungskoeffizienten hat. Unter verschiedenen Markennamen werden solche Glaskeramiken außerhalb der Astronomie zum Beispiel zur Herstellung von Küchenherden verwendet, die ja auch 3 Einige Spezialteleskope verwenden als Hauptspiegel ein rotierendes Quecksilberbad. Diese können natürlich nur für Beobachtungen im Zenit verwendet werden, sind aber um Größenordnungen billiger als konventionelle Teleskope (zumindest in Ländern mit geringen Umweltauflagen. . . ). 11 bei extremen Temperaturunterschieden nicht durch innere Spannungen zerstört werden sollen. Bis in die 1970er Jahre hinein wurden auch große Teleskopspiegel mit konventionellen Methoden hergestellt. Dazu wurde zunächst ein möglichst luftblasenfreier Glasblock als Ausgangspunkt genommen. Dieser wurde dann mit immer feinerem Schleifpulver (Korund und -derivate) in die endgültige Spiegelform geschliffen. Den Abschluss dieses sehr zeitaufwendigen Verfahrens bildete eine Endpolierung auf die notwendige mittlere Oberflächenrauhigkeit der Endoberfläche von wenigen nm (kleiner als die mittlere Wellenlänge von sichtbarem Licht). “Zeitaufwendig” bedeutet hier einige Jahre. Ein großer Nachteil dieses klassischen Verfahrens ist, dass der Spiegelrohling beim Schleifen großen internen Belastungen ausgesetzt ist und daher sowie aus Stabilitätsgründen beim späteren Einsatz eine vergleichsweise große Dicke haben muß. Die dadurch bedingte hohe Masse des Teleskopspiegels führt dazu, dass sich der Spiegel im Einsatz nur langsam an die Außentemperatur anpasst, und stellt hohe Anforderungen an die Teleskopmontierung. Bohrungen in der Spiegelrückseite können diese Nachteile zum Teil ausgleichen und zudem die Stabilität des Spiegels gegenüber plastischen Verformungen erhöhen. Ferner kann beim Spiegelschleifen eine kurze Brennweite nur schwer erreicht werden, da dafür sehr viel Material vom Spiegelrohling entfernt werden muss. Aus diesen Gründen war der maximale Teleskopdurchmesser von den 1930er Jahren bis in die 1980er Jahre hinein auf kleiner als 6 m begrenzt, mit nur zwei Instrumenten mit Durchmessern größer als 4.50 m: dem berühmten 5 m (200 in) Teleskop auf dem Mt. Palomar bei Los Angeles und dem russischen 6 m-Teleskop im Kaukasus. Aufgrund großer thermischer Probleme ist letzteres nur zur Spektroskopie verwendbar. Mit der Entwicklung neuartiger Techniken zur Spiegelherstellung konnte seither der maximale Spiegeldurchmesser auf ∼10 m vergrößert werden, das heißt, es wurde eine Vervierfachung der Sammelfläche erreicht. Eine dieser Techniken besteht darin, den Hauptspiegel aus mehreren kleinen Segmenten zusammenzusetzen. Ein Beispiel hierfür sind die zwei Keck-Teleskope auf dem Mauna Kea in Hawaii mit einem effektiven Teleskopdurchmesser von 10 m (Abb. 7). Alternative Techniken, bei denen Spiegel großen Durchmessers am Stück hergestellt werden, basieren im Wesentlichen auf der Tatsache, dass die Oberfläche einer rotierenden Flüssigkeit näherungsweise ein Paraboloid ist, dessen Oberfläche in Zylinderkoordinaten durch r2 ω2 (8) z − z0 = 2g gegeben ist, wobei g die Oberflächenbeschleunigung, ω die Umdrehungsfrequenz und z0 die z-Koordinate des Scheitelpunktes des Paraboloids ist. Die Oberfläche der rotierenden Flüssigkeit entspricht also schon der angestrebten Teleskopoberfläche. Am MirrorLab der University of Arizona in Tucson unter Roger Angel wurde daher die Methode des sogenannten “Spin Casting” entwickelt. Hier wird das später den Spiegel bildende Material in einem rotierenden Ofen geschmolzen. Die Rotationsgeschwindigkeit des Ofens bestimmt hierbei die spätere Brennweite des Spiegels, die vergleichsweise klein sein kann. Durch kontrolliertes Abkühlen des Spiegels bei weiterhin rotierendem Ofen kann erreicht werden, dass der dabei entstehende Spiegelrohling eine Form hat, die schon sehr nahe an der endgültigen Spiegelform liegt. Zudem ist der Spiegelrohling weitestgehend frei von inneren Spannungen, so dass wesentlich dünnere und damit 12 Abbildung 7: Der aus Segmenten zusammengesetzte Hauptspiegel des 10 m-Keck I-Teleskops auf Hawaii (Quelle: W.M. Keck Observatory). leichtere Spiegel kleiner Wärmekapazität hergestellt werden können. Beispiele für mit der Technik des Spin Casting hergestellte Spiegel finden sich in den 8 m-Teleskopen des Very Large Telescope des Europäischen Südobservatoriums. Aufgabe 3: Mit welcher Winkelgeschwindigkeit (in Einheiten ◦ /s oder sinnvoller) muss ein Ofen rotieren, um bei einem Spiegel mit 10 m Durchmesser ein Öffnungsverhältnis von D/ f = 1/5 zu erreichen? Tip: Die Normalform der Parabel kann in einer Form geschrieben werden, die die Brennweite enthält (Bronstein & Semendjajew (1987)): y= 2.2.5 1 2 x 4f (9) Teleskopmontierungen Nach der Teleskopoptik selbst ist die Montierung eines Teleskops von besonderer Bedeutung. Die Teleskopmontierung hat die Aufgabe, das Teleskop sicher und genau an jede beobachtbare Stelle des Himmels zu pointieren und dann der Himmelsdrehung nachzuführen. Genau bedeutet hier, dass jeder sichtbare Himmelsausschnitt mit einer Genauigkeit im Bereich weniger Bogensekunden wiederholbar erreicht wird. Die Katalogisierung von Sternen mit Hilfe des in Abschnitt 2.1 beschriebenen äquatorialen Systems ist der erste Schritt. Der zweite besteht darin, die Objekte an einem Teleskop einzustellen. Traditionell wurden Teleskopmontierungen mit zwei beweglichen Achsen ausgestattet, von denen die eine, die Pol- oder Stundenachse, parallel zur Erdachse aufgehängt wird und die andere, die Deklinationsachse, senkrecht zur Stundenachse. Eine solche Teleskopmontierung heißt parallaktische Montierung (Abb. 8, links), wie dies technisch verwirklicht werden kann zeigt Abbildung 9. Da sich der Himmel scheinbar um die Erdachse dreht, hat ein solcher Aufbau den Vorteil, dass nach 13 Abbildung 8: Parallaktische (links) und azimutale Montierungen (Quelle: Karttunen et al., 1990, Abb. 3.16). Abbildung 9: Technische Realisierungen der parallaktischen Montierung: a deutsche Montierung, b Kniemontierung, c englische Achsenmontierung, d englische Rahmenmontierung und e Gabelmontierung. S bezeichnet die Stundenachse, D die Deklinationsachse, F ist das Fernrohr und G ein eventuell notwendiges Gegengewicht (Quelle: Weigert & Zimmermann, 1976, S. 109). 14 Abbildung 10: Links: Die azimutale Montierung eines der 8 m-Teleskope der Europäischen Südsternwarte. Rechts: Das fertig aufgebaute 8 m-Teleskop in Chile. Beachten Sie die Größe der Struktur! (Quelle: ESO). der Pointierung des Teleskops dieses nur noch mit konstanter Winkelgeschwindigkeit um die Stundenachse gedreht werden muss. Da wir uns mit dem Teleskop nicht in einem raumfesten Bezugssytem befinden, benötigen wir für die Einstellung eines Himmelsobjektes nun doch eine Zeitangabe, die die Drehung des zeitunabhängigen Himmelssystems relativ zum Bezugssystem der Teleskopmontierung beschreibt. Bei der parallaktischen Montierung kann die Deklination direkt an der Deklinationsachse eingestellt werden. Für den Winkel in der Äquatorebene definieren wir uns den Stundenwinkel (siehe auch Abb. 1). Dieser ist der Winkel im Uhrzeigersinn, gemessen in Stunden, zwischen dem Meridian (Großkreis von Süden durch beide Himmelspole) und dem Objekt auf dem Äquator. Der Stundenwinkel für ein Objekt ist also sowohl orts- als auch zeitabhängig. Der Stundenwinkel des Frühlingspunktes wird als Sternzeit bezeichnet. Diese beschreibt die wahre Rotation der Erde. Nach einem siderischen Tag hat die gesamte Himmelskugel mit allen Sternen wieder die gleiche Stellung erreicht. Da die Erde während eines Tages auch ein Stück auf ihrer Bahn um die Sonne zurücklegt, ist ein siderischer Tag etwas kürzer als ein synodischer Tag, der Zeit zwischen zwei Meridiandurchgängen der Sonne. Zur Frühlings-Tagundnachtgleiche entspricht Mitternacht 12:00 Uhr Sternzeit, zur Herbst-Tagundnachtgleiche 0:00 Uhr. Aufgabe 4: Mit welcher Winkelgeschwindigkeit muss ein Teleskop dem Sternhimmel nachgeführt werden, um die Erdrotation auszugleichen? Gehen Sie von einer Jahreslänge von 365.25 Tagen aus. . . Wie lang ist ein Sterntag? Überlegen Sie sich mit Hilfe der Koordinaten der Objektliste (Tab. 7) einen Beobachtungsplan für die Praktikumsnacht, d.h. welche Objekte können wann beobachtet werden? Der Nachteil der auf die Pole ausgerichteten Montierungen ist, dass diese sehr schwer zu bauen sind, da das Gewicht des Teleskops auf einer unter einem Winkel zur Erdgra15 vitation stehenden Achse lastet. Daher werden moderne Großteleskope heute meist mit einer sogenannten azimutalen Montierung ausgestattet, bei denen das Teleskop auf einer in der Senkrechten beweglichen Achse auf einem Drehtisch lagert (Abb. 8, rechts). Der Name “azimutale Montierung” kommt daher, dass die Teleskopachsen das Instrument in der Höhe über dem Horizont (engl. “Altitude”) und im Azimut, dem von der NordSüd-Richtung ausgehend am Horizont gemessenen Winkel, bewegen. Der Übergang auf azimutale Montierungen war aufgrund der Entwicklung sehr gut steuerbarer Schrittmotoren und schneller Computer möglich, da es heute keine Probleme mehr bereitet, ein Teleskop auch bei gleichzeitiger Drehung um zwei Achsen sicher nachzuführen. Ein Beispiel für die technische Realisierung einer azimutalen Montierung ist in Abbildung 10 zu sehen. 2.2.6 Aktive und adaptive Optiken In diesem Abschnitt soll noch kurz auf technologische Entwicklungen, die hauptsächlich seit den 1980er Jahren Einzug in die optische Astronomie gehalten haben, eingegangen werden. Diese Entwicklungen zielen darauf, den Einfluss von Störquellen auf astronomische Optiken weitestgehend auszugleichen. Solche Störquellen sind insbesondere das durch die Erdatmosphäre verursachte “Zwinkern” der Sterne, das astronomische “Seeing” und die Verformung der Teleskopoptik unter ihrem Eigengewicht. Seeing und adaptive Optiken Ein großer Nachteil der erdgebundenen Astronomie ist, dass astronomische Objekte durch die Erdatmosphäre hindurch beobachtet werden müssen. Kleinste Schwankungen in Temperatur und Druck, normalerweise in Luftzellen von ∼50 cm Durchmesser, führen zu kleinen Änderungen im Brechungsindex der Luft. Diese Änderungen führen dazu, dass von einem Stern ausgehende Lichtstrahlen geringfügig andere Wege durch die Erdatmosphäre nehmen – damit ist das Bild eines Sterns auf dem Erdboden nicht mehr punktförmig, sondern verwaschen. Dieser Effekt, das astronomische “Seeing”, ist das bekannte Flackern von Sternen, das besonders bei horizontnahen Objekten gut zu beobachten ist. Es führt dazu, dass die effektive Auflösung großer Teleskope durch die Erdatmosphäre und nicht etwa durch den Teleskopdurchmesser bestimmt ist. Aufgabe 5: Ab welchem Durchmesser ist dies der Fall, ab welchem Teleskopdurchmesser wird also die nutzbare Auflösung des Teleskops vom Seeing bestimmt? Nehmen Sie für diese Abschätzung einen Wert von 0.1 Bogensekunden für das Seeing an. Der in der Aufgabe genannte Wert von 0.1 Bogensekunden wird nur an den besten astronomischen Beobachtungsstandorten, zum Beispiel auf Hawaii oder in den chilenischen Anden (Abb. 11) erreicht, wo aufgrund lokaler meteorologischer Bedingungen eine sehr geringe Luftunruhe herrscht. Zur Erforschung kleinster Strukturen in astronomischen Aufnahmen ist eine effektive Auflösung im Bogensekundenbereich allerdings zu grob, und, wie Sie gerade gezeigt haben, weit von der beugungsbegrenzten Auflösung der Großteleskope entfernt. Mit konventionellen Teleskopen kann diese nur im Weltraum erreicht werden (zum Beispiel mit dem Hubble Space Telescope), auf dem Erdboden muss versucht werden, das Seeing durch direkten Eingriff in die Teleskopoptik zu korrigieren. Diese Korrekturen fasst man unter dem Stichwort “Adaptive Optik” zusammen. 16 Abbildung 11: Standort des “Very Large Telescope” auf dem Paranal nahe Antofagasta in Chile (Quelle: ESO). Die oben angesprochenen Schwankungen des Brechungsindex in der Luft führen dazu, dass eine außerhalb der Erdatmosphäre ursprünglich parallele Wellenfront in der Atmosphäre verformt wird (Abb. 12, unten). Diese Verformung führt dann zum beobachteten “Flackern” des Sterns. Wäre es möglich, die Verformung der Wellenfront auszugleichen, dann wäre eine wesentlich bessere Abbildungsqualität gewährleistet. Mit der Entwicklung schneller Elektroniken rückt eine solche Korrektur zunehmend in den Bereich des technisch Machbaren. Zur Zeit eingesetzte adaptive Optiken analysieren das Bild einer Testpunktquelle mit Hilfe eines Wellenfrontsensors. Durch kleine Verformungen des Fangspiegels wird dann die Wellenfront wieder “parallelisiert”. Solche Korrekturen müssen sehr schnell erfolgen und eine Genauigkeit von ∼ λ/2 haben, wo λ die Wellenlänge des beobachteten Lichts ist. Daher funktionieren sie zur Zeit hauptsächlich im langwelligen Bereich, zum Beispiel bei Beobachtungen im nahen Infraroten. Da die Testpunktquelle hell genug sein muss, um die Verformung der Wellenfront zu messen, kommt häufig ein “künstlicher Stern” als Testquelle zum Einsatz, der durch Resonanzübergänge in einer ∼50 km hohen Natriumschicht in der Erdatmosphäre mit einem auf die NaD-Linie eingestellten Laser erzeugt wird. In Deutschland wird an der Entwicklung adaptiver Optiken insbesondere am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg und an der Europäischen Südsternwarte in Garching bei München geforscht. Erste Systeme sind am Very Large Telescope des ESO und am 10 m Keck Observatory auf Hawaii in Einsatz. Aktive Optiken Die Möglichkeit, dünne Spiegel herzustellen, reduziert nicht nur die Masse des Teleskopspiegels, sondern erlaubt es auch, Ungenauigkeiten in der Teleskopoptik auszugleichen. Diese Ungenauigkeiten entstehen zum Beispiel durch die schon in Abschnitt 2.2.4 angesprochene Verformung des Teleskopspiegels bei Temperaturänderungen und durch die plastische Verformung des Teleskops und insbesondere des 17 Abbildung 12: Prinzipien der aktiven und adaptiven Optik (Quelle: ESO). Abbildung 13: Die Spiegelhalterung eines der 8 m-Teleskope des “Very Large Telescope” mit den aktiven Elementen zur Verformung des Hauptspiegels (Quelle: ESO). 18 Hauptspiegels während der astronomischen Beobachtungen (Abb. 12, oben). Die Methode der aktiven Optik macht sich die leichte Verformung der dünnen Spiegel zu Nutze, indem sie den Spiegel durch gezielte Verformungen in seiner Idealform hält. Eine große Zahl (∼ 80–100) sogenannter Aktuatoren auf der Rückseite des Spiegels zieht und drückt dabei den Spiegel auf die Idealform. Durch ständige Überwachung einer Referenzpunktquelle, z.B. eines hellen Sterns, kann dadurch die Qualität der Gesamtoptik nahezu ideal gehalten werden. Abbildung 13 zeigt als Beispiel die Spiegelhalterung eines der Teleskope des VLT. 2.3 Bilddetektoren Ist das Licht eines astronomischen Objekts einmal mit dem Teleskop gesammelt worden, muss es physikalisch analysiert werden. Auch mit dem Auge sind quantitative astronomische Messungen möglich, zum Beispiel basiert die in der Astronomie heute noch verwendete Skala für die Lichtintensität auf der (grob) logarithmischen Empfindlichkeit des Auges. Für genaue Messungen ist das Auge allerdings nicht geeignet. Mit der Erfindung der Photographie Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts gelang es, einen Detektor zu entwickeln, der unabhängig vom individuellen Beobachter ist und der fähig ist, Licht über einen längeren Zeitraum aufzuintegrieren. Außerdem war es mit der Photographie erstmals möglich, Messungen aufzuzeichnen und später auszuwerten. Aus diesen Gründen waren photographischer Film und Photoplatten bis Ende der 1970er Jahre der vorherrschende astronomische Bilddetektor, bevor sie nach der Entwicklung elektronischer Detektoren, insbesondere des Charge Coupled Device (CCD), mehr und mehr verdrängt wurden. Nur noch für einige sehr spezielle Bereiche war die Photographie bis vor wenigen Jahren noch unentbehrlich, insbesondere weil es möglich war, sehr große lichtempfindliche Flächen (Photoplatten bis 36 cm×36 cm) herzustellen. Hersteller wie Kodak sind heute jedoch nicht mehr bereit, für wenige Platten pro Jahr die Produktion noch aufrecht zu erhalten. In den letzten Jahren wurden Arrays von CCD-Detektoren entwickelt, die so auch die letzte Anwendung der Photoplatte übernehmen können. Das CCD ist daher für optische Anwendungen in der Astronomie der Bilddetektor schlechthin. 2.3.1 Grundlagen des CCD Das Charge Coupled Device wurde 1969 von W.S. Boyle und G.E. Smith von den Bell Laboratories erfunden, das Patent für das CCD wurde 1974 erteilt. Einen Überblick über die Entwicklungsgeschichte des CCD gibt McLean (1997). Das CCD ist ein Halbleiterdetektor, der aus einer zweidimensionalen Anordnung von Siliziumdioden besteht. Die einfallenden Photonen erzeugen innerhalb des Festkörpers Elektron-Loch-Paare, wenn ihre Energie ausreicht, um die Elektronen vom Valenz- in das Leitungsband des Halbleiters anzuheben (innerer Photoeffekt), wenn die Photonenenergie also größer als die Bandlücke des Halbleiters ist. Für einen SiliziumHalbleiter beträgt die Bandlücke 1.12 eV (Tab. 1). Die freigesetzten Ladungen können an der Grenzschicht zwischen p- und n-dotiertem Silizium durch äußere Spannungen in Potentialmulden gesammelt werden, um somit ein Ladungsbild über längere Belichtungszeiten aufzubauen. Die erzeugte Ladungsmenge ist dem einfallenden Lichtfluss auf das betrachtete Bildelement (Pixel) proportional. 19 Tabelle 1: Bandlücken für verschiedene Halbleitermaterialien (nach McLean, 1997, Tab. 6.2). Material CdS CdSe GaAs Si Ge PbS InSb Temperatur [K] 295 295 295 295 295 295 295 77 Bandlücke [eV] 2.4 1.8 1.35 1.12 0.67 0.42 0.18 0.23 Abbildung 14: Schematischer Aufbau und Prinzip des Ausleseverfahrens bei einem dreiphasigen CCD. Die unter den Elektroden angesammelten Ladungen werden durch stufenweise Änderung der an den Pixeln anliegenden Potentiale verschoben (McLean, 1997, Fig. 6.9) 20 Abbildung 15: Vergleich der Effektivität von Detektoren in der Astrophysik. Die als Signal auswertbare Lichtmenge in Prozent des einfallenden Lichtes (logarithmische Skala) ist gegen die Wellenlänge aufgetragen. Aufgabe 6: Schätzen Sie ab, wie viele Elektronen pro Photon bei Licht der Wellenlänge λ = 4686Å in einem Si-Halbleiter entstehen. Warum ist es nicht möglich, einen solchen Halbleiter als CCD für Infrarot-Strahlung im K-Band bei λ = 2.2 µm zu verwenden? Welches Material würden Sie wählen? Nach Beendigung der Belichtung werden durch geeignetes Verändern der Potentiale die Ladungsverteilungen der Pixel Zeile für Zeile an den Bildrand geschoben und über einen Verstärker hintereinander ausgelesen (Abb. 14). Dabei werden die angesammelten Ladungen in Spannungen umgewandelt, die durch einen Analog-Digital-Wandler digitalisiert und vom Computer als Daten übernommen werden. Für die Astronomie sind CCD-Chips insbesondere wegen der im folgenden aufgelisteten Eigenschaften interessant: Effizienz: Der Quantenwirkungsgrad (quantum efficiency) guter CCDs beträgt bis zu ∼100%, das heißt, nahezu 100% aller auf das CCD auftreffenden Photonen werden registriert. Das bedeutet eine etwa hundertfach höhere Empfindlichkeit gegenüber den konventionellen Photoplatten. Abbildung 15 zeigt den Wirkungsgrad verschiedenartiger Detektoren in Abhängigkeit von der Wellenlänge. Linearität: Außer der höheren Empfindlichkeit bietet das CCD gegenüber der “normalen” Photographie den Vorteil der Linearität: Die gemessene Ladungsmenge ist proportional zur Strahlungsintensität. Es ist also nicht nötig, eine Schwärzungskurve zu erstellen (die eine zusätzliche Ungenauigkeit einführt). Die Gewinnung qualitativ hochwertiger Aufnahmen mit Photoplatten erfordert viel Übung und Erfahrung. CCDs dagegen sind sehr einfach zu handhaben. Ein weiterer Vorteil der CCDs liegt darin, dass die Aufnahmen sofort in digitaler Form für die weitere Bearbeitung (Bildverarbeitung) am Computer vorliegen. Photoplatten müssen entwickelt und für eine Weiterverarbeitung digitalisiert werden. Spektrale Empfindlichkeit: Gewöhnliche CCD-Chips haben ihre Maximalempfindlichkeit im roten Wellenlängenbereich. (600 nm–700 nm, siehe Abb. 15). Mit speziellen Beschichtungen und durch Verwendung von “back illuminated” CCDs ist es möglich, den Empfindlichkeitsbereich zu kürzeren Wellenlängen hin auszudehnen. Heute gibt es CCDs, die bis in den Röntgenbereich empfindlich sind. Geringer Untergrund: Auch ohne Lichteinfall tritt ein sogenannter Dunkelstrom auf, da eine gewisse Zahl von Elektronen allein aufgrund ihrer thermischen Energie 21 ins Leitungsband gelangt und sich im Bild als Rauschen bemerkbar macht. Der Dunkelstrom ist daher temperaturabhängig. In der Praxis wird der Dunkelstrom durch Kühlung des CCD-Chips reduziert. Dies geschieht mit Flüssig-Stickstoff oder bei einfacheren Kameras mit Hilfe eines Peltier-Elements. Bei modernen CCDs ist der Dunkelstrom inzwischen so weit reduziert, dass auch sehr lange Aufnahmen ohne wesentliche Störung möglich sind. CCDs registrieren auch einfallende hochenergetische Teilchen kosmischen Ursprungs oder von umgebender Radioaktivität. Ein solches Ereignis hinterlässt eine sehr große Ladungsmenge auf dem getroffenen Pixel, so dass dieses für die laufende Aufnahme nicht mehr verwendbar ist. Diese sogenannten Cosmics sind die eigentliche Begrenzung bei Langzeitbelichtungen. Belichtungszeiten über eine Stunde sind meist nicht sinnvoll. Längere Aufnahmen müssen in Einzelaufnahmen aufgeteilt werden. Dynamik: Die minimale messbare Intensität ergibt sich aus dem Dunkelstrom, die maximale messbare Intensität aus dem maximalen Speichervermögen des einem Pixel zugeordneten Potentialtopfs. Für in der Astronomie verwendete CCDs beträgt dieser dynamische Bereich ungefähr 1000:1, bei einer normalen Photoplatte lediglich 30:1, das heißt, es können auf einer Aufnahme helle (z.B. Sterne oder helle Nebel) wie auch dunkle Gebiete (z.B. Filamente) quantitativ untersucht werden. Die Bildtiefe des im Rechner repräsentierten Bildes hängt vom verwendeten Analog-Digital-Wandler ab, dessen Dynamik größer sein sollte als die Dynamik des CCD. Sie beträgt meist zwischen 16 und 32 bit. Auslesezeit: Beim Auslesen des Chips muss darauf geachtet werden, dass das registrierte Ladungsmuster nicht verwischt wird. Die Auslesegeschwindigkeit kann daher nicht beliebig gesteigert werden. Die Auslesezeit der hier verwendeten Kamera beträgt etwa 2–3 s. Für einen großen Chip benötigt man leicht einige Minuten. Zur Registrierung schnellerer Prozesse sind Standard-CCDs daher nicht geeignet. Für schnelle Photometrie werden daher immer noch fast ausschließlich Photomultiplier verwendet. Die Entwicklung rauscharmer und schneller Ausleseelektronik ist zur Zeit ein aktuelles Thema. Am Institut für Astronomie und Astrophysik sind wir z.B. an der Entwicklung der schnellen Ausleseelektronik für Röntgen-CCDs für Satelliten beteiligt. 2.3.2 CCDs in der Astronomie Derzeit bestehen astronomische CCDs aus ungefähr 320×512 bis zu 8k×8k Pixeln. Die typischen Pixelgrößen betragen zwischen 7µm und 20µm. Die Gesamtdetektorfläche ist also im Vergleich zu konventionellen Photoplatten (Größe bis zu 32 cm×32 cm) sehr klein, das heißt, der abgebildete Himmelsbereich beträgt (an astronomischen Teleskopen) nur bis zu einigen Bogenminuten. Für viele astronomische (Einzel-)Objekte ist dies jedoch keine Einschränkung, da deren Winkelausdehnung sehr gering ist. Lediglich großflächige Himmelsdurchmusterungen – wie z.B. die Palomar Sky Survey, die mit Hilfe von Schmidt-Kameras (Bildfeld 6◦ × 6◦ ) gemacht wurde – sind bisher nur mit erheblichem Aufwand möglich (CCD Arrays). Das räumliche Auflösungsvermögen wird von der Pixelgröße und vom Abbildungsmaßstab der Optik bestimmt. Um das 22 Auflösungsvermögen des Instruments bei guten atmosphärischen Bedingungen auszunutzen, sollten die einzelnen Pixel weniger als 100 des Himmels abbilden. Typische Anwendungsgebiete des CCD in der modernen Astronomie sind die Bildgewinnung und die Messung von Sternhelligkeiten (Photometrie). Ferner werden CCDs als Strahlungsdetektoren in der Spektroskopie eingesetzt: Bilder werden meist mit Filtern aufgenommen. Im Licht einer einzelnen Emissionslinie aufgenommene Bilder werden beispielsweise dazu benutzt, den Ionisationszustand verschiedener Objekte zu untersuchen. Spektroskopie: Das CCD dient als hochempfindlicher linearer Detektor, bei dem das vom Spektrographen erzeugte Spektrum des Objekts auf das CCD abgebildet wird. Lichtkurven (CCD-Photometrie): Quantitative Flussbestimmungen aus einer Folge von CCD-Aufnahmen werden zu einer Lichtkurve zusammengesetzt. Positionsmessung (Astrometrie) dient zur Messung von Winkelabständen von Himmelskörpern anhand von Bildern. In diesem Versuch werden wir exemplarisch die ersten beiden oben aufgelisteten Punkte behandeln. 2.4 Spektroskopie Die Aufgabe eines Spektrographen besteht darin, die Intensitätsverteilung des Lichts als Funktion der Wellenlänge darzustellen. Während beim Prismenspektrographen das Spektrum durch Lichtbrechung entsteht, erfolgt dies beim Gitterspektrographen durch Lichtbeugung. Dabei muss der Spektrograph so effizient wie möglich sein, da die Lichtquellen sehr schwach sein können. Moderne Spektrographen werden heutzutage fast ausschließlich mit einem Gitter anstatt eines Prismas als dispergierendem Element gebaut, da ein Prismenspektrograph eine ungleichförmige Dispersion zeigt, während sie beim Gitterspektrographen in guter Näherung linear ist. Darüberhinaus werden anstelle von lichtdurchlässigen Gittern meist Reflexionsgitter verwendet, mit welchen die Interferenzen des reflektierten anstatt des transmittierten Lichtes beobachtet werden. Es gibt mehrere Vorteile der Reflexionsgitter gegenüber Transmissionsgittern: Zum einen wird bei einem Reflexionsgitter verhindert, dass Licht ein von Luft verschiedenes Medium passieren muss und dadurch Störungen des Spektrums durch chromatische Aberration auftreten. Desweiteren sind Reflexionsgitter einfacher und damit billiger herzustellen. Der Hauptvorteil der Reflexionsgitter liegt aber vor allem darin, dass sie “geblazed” werden können, das heißt, dass ein großer Teil des zur Verfügung stehenden Lichts in eine Ordnung gebeugt werden kann. Dieses Verfahren ermöglicht daher eine beachtliche Verringerung von Lichtverlusten am Beugungsgitter. Für die Qualität eines Spektrographen sind vor allem die folgenden zwei Kriterien ausschlaggebend: Zum einen sorgt eine hohe Winkeldispersion für ein möglichst weit auseinander gezogenes Spektrum. Zum anderen bestimmt das Auf lösungsvermögen eines Gitters, ob zwei eng benachbarte Spektrallinien gerade noch trennbar sind. Im Folgenden wird die Beugungstheorie des Gitters besprochen, um danach auf die beiden 23 Abbildung 16: Geometrie der Beugung am Doppelspalt: benachbarte Ordnungen liegen um λ/a = sin β − sin ε auseinander; a ist der Abstand der parallelen Gitterstriche, ε der Einfallswinkel und β der Ausfallswinkel (Schmidt, 1995) Qualitätspunkte Dispersion und Auflösungsvermögen näher einzugehen. Als weiterführende Literatur sei auf Schmidt (1995) und Staudt (1993) verwiesen. 2.4.1 Beugungstheorie am Gitter Die Beugungstheorie eines Reflexionsgitter entspricht der eines Transmissionsgitters. Zur besseren Veranschaulichung wird im Folgenden die Beugungstheorie anhand eines Transmissionsgitters beschrieben. Entsprechend Abbildung 16 ergeben sich am Beugungsgitter Intensitätsmaxima, wenn der Gangunterschied ∆ = a (sin β − sin ε) benachbarter Strahlen einem ganzzahligen Vielfachen n der Wellenlänge λ entspricht: sin β − sin ε = nλ a (10) Benachbarte Ordnungen liegen um sin β − sin ε = λa auseinander. Somit ist die Lage der jeweiligen Hauptmaxima bei der Interferenz monochromatischen Lichtes der Wellenlänge λ an einem Gitter unabhängig von der Anzahl der Gitterspalte N, wohl aber abhängig von der jeweiligen Wellenlänge des verwendeten Lichtes. Das Maximum erster Ordnung für langwelliges Licht entsteht somit unter größerem Winkel als jenes für kurzwelliges Licht. Zwischen den Hauptmaxima erhält man entsprechend Abbildung 17 jeweils N − 2 kleine Nebenmaxima, die mit zunehmender Spaltenzahl N schwächer werden, was gleichzeitig zur Folge hat, dass sich die Linienschärfe der Hauptmaxima erhöht. Bei den bisherigen Überlegungen wurde davon ausgegangen, dass die einzelnen Gitterspalte beliebig schmal seien und daher nur eine Elementarwelle von ihnen ausginge. Dies ist in der Praxis jedoch nicht der Fall: die Kugelwellen, welche von einem Gitterspalt ausgehen, interferieren zusätzlich miteinander. Dadurch wird das Interferenzbild eines Gitters durch das eines Einzelspaltes moduliert. Die Funktion des Interferenzbildes am Einzelspalt wird dann zur Einhüllenden des Gitterinterferenzbildes, so dass die Hauptmaxima des Gitters unterschiedliche Intensitäten haben. Zum Beispiel können Gittermaxima an der Stelle eines Minimums vom Einzelspalt völlig ausgelöscht werden. Vor allem aber enthält das Maximum nullter Ordnung, welches keine Beugungsinformation enthält, die größte Lichtmenge. 24 Abbildung 17: Beugung am Gitter; n = ±1, ±2, ±3, . . .: Ordnung des Spektrums ; g: Abstand der parallelen Gitterstriche; α: Ausfallswinkel, ∆: Gangunterschied (Staudt, 1993) Bei einem Reflexionsgitter kann man dies umgehen, indem die einzelnen Spalte entsprechend Abbildung 18 als keilförmige Stufen mit dem Blazewinkel Θ ausgeführt werden, so dass die auf die unterschiedlichen Stufen eintreffenden Strahlen mit einem Gangunterschied ∆ = na sin(Θ + δ) reflektiert werden. Maxima n-ter Ordnung entstehen, analog zum normalen Gitter, wenn der Gangunterschied ein ganzzahliges Vielfaches der Wellenlänge beträgt. Somit kann die Hauptmenge des Lichtes, welche ursprünglich keine Information enthielt, als Informationsträger genutzt werden. Zur Bestimmung des mit einem Blazegitter beobachtbaren Spektralbereichs betrachten wir zunächst den Fall einer monochromatischen Lichtquelle. Fällt Licht mit der Wellenlänge λB unter dem Einfalls- bzw. Ausfallswinkel δ auf die Blaze-Spiegelflächen, so gilt ε = δ−Θ und β = Θ+δ (11) und daher ∆ nλB = = sin(Θ + δ) = sin(2Θ + ε) (12) a a Damit stehen die Wellenlänge λB , der Reflexionswinkel δ und der Blazewinkel Θ in enger Beziehung zueinander. Durch minimale Änderung des Reflexionswinkels δ verschiebt sich die Lage der Spektrallinie innerhalb einer Ordnung entsprechend. Durch eine Änderung des Einfallswinkels durch Drehen des Gitters im Strahlengang ist es also möglich, abschnittweise einen sehr breiten Wellenlängenbereich zu detektieren. Für nicht-monochromatisches Licht ist die Intensitätsverteilung des Spektrums durch die Beugung am Gesamtgitter bestimmt. Diese Verteilung bezeichnet man als die Blazefunktion des Blazegitters. Ihre Breite bei halber Intensität ist als sogenannter nutzbarer Wellenlängenbereich λ/b definiert (Abb. 19). Es gilt ∆λ = λB n (13) wobei n die Beugungsordnung und die Blazewellenlänge λB die zentrale Wellenlänge ist. Ein maximal großer nutzbarer Wellenlängenbereich ergibt sich daher bei n = 1. 25 einfallender Strahl G G N N N ε reflektierter Strahl β −δ δ Θ δ Θ . ∆ . Θ+δ . . Θ a . a Abbildung 18: Strahlengang am Blazegitter: eintreffende Strahlen werden mit einem Gangunterschied ∆ = na sin(Θ + δ) reflektiert, G: Gitternormale, N: Spiegelflächennormale, Θ: Blazewinkel, δ: Ein- bzw. Ausfallswinkel Abbildung 19: In “erster Ordnung geblazedes” Gitter (Schmidt, 1995). 26 2.4.2 Die Dispersion Die Dispersion ist ein Maß dafür, um welchen Wellenlängenanteil sich das Spektrum einer Ordnung mit zunehmendem Winkel ändert. In der folgenden Herleitung sei der Einfachheit halber der Einfallswinkel gleich Null. Beugungsmaxima entstehen nach Gleichung 10 dann für a sin β . (14) λ= n wobei β der Ausfallswinkel, a der Abstand der Gitterstriche und n die Ordnung des Spektrums ist. Damit ist dβ n = (15) dλ a cos β Da β im Allgemeinen klein und damit cos β ≈ 1 ist, bleibt daher die Dispersion innerhalb einer Ordnung praktisch konstant. Dies ist ein entscheidender Vorteil des Dispersionsgitters gegenüber dem Prisma, welches eine nichtlineare Dispersion zeigt. Üblicherweise wird die Dispersion in Å/mm angegeben. 2.4.3 Das Auflösungsvermögen Zur Herleitung der spektralen Auflösung eines Spektrographen geht man von der Annahme aus, dass die Intensitätsverteilungen zweier Linien mit den Wellenlängen λ und λ + ∆λ gerade dann noch getrennt wahrgenommen werden können, wenn das Hauptmaximum der einen Linie mit dem ersten Minimum der anderen Linie zusammenfällt. Das Verhältnis λ (16) A= ∆λ wird als das Auflösungsvermögen des Spektrographen bezeichnet. Für einen Gitterspektrographen erhält man λ = Nn (17) ∆λ wobei N die Zahl der Gitterstriche und n die Beugungsordnung ist. Das spektrale Auflösungsvermögen hängt somit theoretisch nur von der zu analysierenden Ordnung und der Anzahl der Gitterstriche des Beugungsgitters ab. Praktisch wird die spektrale Auflösung eines Spektrographen allerdings zusätzlich von einer Reihe von Faktoren beeinträchtigt. Neben den Eigenschaften des Gitters sind dies insbesondere die Auflösung der optischen Anordnung des Spektrographen und die Breite des Eintrittsspaltes. Auf diese Punkte soll hier jedoch nicht weiter eingegangen werden. 2.5 Strahlungstheorie Die elektromagnetische Strahlung eines astronomischen Objektes ist die wesentliche Informationsquelle, die uns für eine Untersuchung der physikalischen Eigenschaften zur Verfügung steht. Für die folgenden Aufgaben benötigen wir daher eine Beschreibung des Strahlungsfeldes. 27 Abbildung 20: Definition der Intensität (Quelle: Unsöld & Baschek, 1988, Abb. 4.2.1). 2.6 Strahlungsintensität und Strahlungsfluss Betrachten wir eine strahlende Fläche wie z.B. die Oberfläche eines Sterns, dann ist die Intensität Iν die Energie ∆E des Strahlungsfeldes, die im Frequenzintervall [ν, ν + ∆ν], im Zeitintervall [t,t + ∆t] in den Raumwinkel ∆ω um die Flächennormale ~n und durch das Flächenelement senkrecht zu ~n am Ort~r mit der Fläche ∆A verläuft (Abb. 20): Iν (ν,~n,~r,t) := ∆E ∆ν∆t∆ω∆A cos ϑ Der Strahlungsfluss Fν in Richtung ~n ergibt sich aus der Integration über alle Raumwinkel: Z Z 2π π Fν = 0 Iν cos ϑ sin ϑdϑdϕ 0 Für ein isotropes Strahlungsfeld ist der Strahlungsfluss also gleich Null. Auf der Sternoberfläche kommt die Strahlung nur aus einer Hemisphäre (aus dem Sterninneren), Einstrahlung von außen kann abgesehen von sehr engen Doppelsternen vernachlässigt werden. Die Ausstrahlung eines Sternes ist also: Fν+ = Z π/2 Z 2π 0 0 Iν cos ϑ sin ϑdϑdϕ Die mittlere Intensität I¯ν einer projizierten Sternscheibe ist gegeben durch (Abb. 21): 2 πR I¯ν = Z 2π Z π/2 0 0 Iν (ϑ, φ)R2 cos ϑ sin ϑdϑdϕ Kürzt man mit R2 und vergleicht mit der Definition der Ausstrahlung, dann ist πI¯ν = Fν+ , 28 Abbildung 21: Mittlere Intensität einer Sternscheibe (Quelle: Unsöld & Baschek, 1988, Abb. 4.2.3). d.h., die mittlere Intensität der Sternscheibe ist proportional zum Strahlungsfluss an der Sternoberfläche. Befindet sich der Stern (Radius R) in einer großen Entfernung r vom Beobachter, so gilt für den im Detektor registrierten Strahlungsstrom fν : fν = Fν R2 /r2 . Die Intensität der Gesamtstrahlung I sowie der Gesamtstrahlungsfluss F ergeben sich aus der Integration über alle Frequenzen. 2.6.1 Strahlung im thermodynamischen Gleichgewicht Die Intensität eines Gases im thermodynamischen Gleichgewicht lässt sich durch die plancksche Strahlungsformel angeben (Strahlung eines „schwarzen Körpers“, Abb. 22): Bν (T ) = 1 2hν3 . 2 c ehν/kT − 1 Die gesamte Ausstrahlung lässt sich also schreiben als Abbildung 22: Planckfunktion, wiensches Verschiebungsgesetz. F + = πB(T ), und ist nach dem stefan-boltzmannschen Strahlungsgesetz proportional zur vierten Potenz der Temperatur: F + = πB(T ) = σT 4 mit der Strahlungskonstante σ = 5.67 · 10−8W m−2 K −4 = 5.67 · 10−5 erg s−1 cm−2 K−4 . 29 2.6.2 Effektivtemperatur und Leuchtkraft Sterne sind nicht im thermodynamischen Gleichgewicht, die Energieverteilung entspricht daher auch nicht der eines schwarzen Körpers. Die plancksche Strahlungsformel kann aber trotzdem zur groben Beschreibung herangezogen werden. Aus dem Vergleich des Gesamtstrahlungsstroms eines Sternes mit dem eines schwarzen Körpers kann man die Effektivtemperatur definieren: 4 σT 4 = πB(T ) = F = σTeff Die Effektivtemperatur eines Sternes ist also die Temperatur, die ein schwarzer Körper haben müsste, um die gleiche Energie pro Fläche und Zeiteinheit abzustrahlen. Die gesamte Energie pro Zeiteinheit, die von einem Stern emittiert wird, die Leuchtkraft, ergibt sich durch die Multiplikation des Gesamtstrahlungsstroms mit der Sternoberfläche: 4 . L = 4πR2 F = 4πR2 σTeff 2.6.3 Helligkeiten und Farben Die astronomische Helligkeitsdefinition orientiert sich einerseits an der logarithmischen Empfindlichkeit des Auges und andererseits an der antiken Helligkeitseinteilung von Hipparch. Die scheinbare Helligkeit eines Objekts mit dem Strahlungsstrom s1 relativ zu einem Strahlungsstrom s2 ist definiert als: m1 − m2 = −2.5 log(s1 /s2 ). Beispiele sind Wega (α Lyr) mit einer visuellen Helligkeit von 0.m 14, Sirius mit −1.m 6 und die Sonne mit −26.m 8. Neben der spektralen Energieverteilung eines Objektes hängt die Helligkeit auch noch von dem Empfindlichkeitverlauf des Instruments ab. Idealerweise hängt diese wiederum nur von dem verwendeten Filter ab. Helligkeitsangaben in den verschiedenen Filtern werden mit einem entsprechenden Index gekennzeichnet. Wir verwenden ein Filtersystem, das sich an das von Johnson und Morgan definierte anlehnt (Abb. 23). U Ultraviolett: λeff = 3500 Å B Blau: λeff = 4350 Å V Visuell: λeff = 5550 Å R Rot: λeff = 7100 Å I Infrarot: λeff = 9700 Å Die Differenz aus zwei Filterhelligkeiten wird als Farbe bezeichnet, wobei immer mkurzwellig − mlangwellig angegeben wird. Wegen der relativen Definition der Helligkeiten können wir den Nullpunkt wählen. Dieser ist auf Wega bezogen, die in allen Farben den Wert 0 haben soll. 30 Abbildung 23: Filterfunktionen des JohnsonSystems (U, B,V, R, I) (Quelle: Unsöld & Baschek, 1988, Abb. 4.4.1). 2.7 Farben-Helligkeits-Diagramm Das Farben-Helligkeits-Diagramm (FHD, Abb. 24) ist das Fundamentaldiagramm der stellaren Astrophysik. Die Farbe ist ein Maß für die Effektivtemperatur. Aufgabe 7: Erklären Sie mit Hilfe von Schwarzkörper-Sternen den Zusammenhang von Farbe und Temperatur. Warum gibt es bei sehr heißen Sternen keine Farbänderung mit der Temperatur mehr? Die Helligkeit ist ein Maß für die Leuchtkraft, hier geht aber auch die Entfernung ein. Erstellt man ein Farben-Helligkeits-Diagramm eines Sternhaufens, sind die Helligkeitsunterschiede zwischen den Sternen direkt ein Maß für die Leuchtkraftunterschiede, da alle Sterne in erster Näherung gleich weit entfernt sind (die Haufenausdehnung ist viel kleiner als die Haufenentfernung). Abbildung 24: Farben-Helligkeits-Diagramm (Quelle: Unsöld & Baschek, 1988, Abb. 4.5.2). Das Farben-Helligkeits-Diagramm ist äquivalent zum Hertzsprung-Russell-Diagramm (HRD), wo der Spektraltyp (s.u.), der ebenfalls ein Maß für die Effektivtemperatur ist, gegen die Helligkeit aufgetragen ist. Eine weitere Variante stellt das physikalische Hertzsprung-Russell-Diagramm mit Effektivtemperatur und Leuchtkraft als Achsenparametern dar. Sterne nehmen im HRD bzw. FHD charakteristische Positionen ein. Vergleiche von Sternpositionen im HRD mit theoretischen Entwicklungsrechnungen erlauben z.B. die Bestimmung des Entwicklungszustandes eines Sterns. Da Sterne in Sternhaufen alle gleich alt sind, erlaubt der Vergleich des FHDs des Haufens mit theoretischen FHDs (Isochronen) eine Altersbestimmung. An dieser Stelle lohnt es sich, den sehr schönen Artikel über offene Sternhaufen aus Sterne und Weltraum (August 2011) auf Seite 65 im Anhang dieser Anleitung zu lesen. 31 2.8 Spektralklassen Sternspektren spiegeln die physikalischen Bedingungen in der äußeren Hülle wider. Durch Vergleich von beobachteten Spektren mit theoretischen kann man z.B. die Effektivtemperatur, die Oberflächenschwerebeschleunigung und die chemische Zusammensetzung bestimmen. Dies erlaubt, bei bekannter Entfernung, z.B. die Einordnung ins HRD. Um nicht bei jedem neuen Stern eine detaillierte Spektralanalyse durchführen zu müssen, ist eine Klassifikation der Sternspektren sinnvoll. Neue Objekte müssen dann nur in dieses Schema eingeordnet werden, um deren Parameter bestimmen zu können. Abbildung 25: Schematisches HRD mit Leuchtkraftklassen (Quelle: Karttunen et al., 1990, Abb. 9.9). Gebräuchlich ist heute die Spektralklassifikation nach Morgan und Keenan, die eine zwei-parametrige Klassifikation (Abb. 25) nach Spektraltyp und Leuchtkraftklasse definiert haben. Der Spektraltyp wird nach der Havardklassifikation mit den Buchstaben O, B, A, F, G, K und M gekennzeichnet, wobei jede Spektralklasse noch in zehn Unterklassen von 0 bis 9 unterteilt wird. In jüngster Zeit ist die Einführung von zwei weiteren Spektralklassen, L und T, für sehr rötliche Objekte notwendig geworden. Die Einteilung in die Klassen erfolgt über die Vermessung von Linienstärken verschiedener Spektrallinien (Abb. 26). Der Spektraltyp ist ein direktes Maß für die Effektivtemperatur. Aufgabe 8: Welcher Effektivtemperatur entspricht die Spektralklasse B, welcher M? Wieso nimmt die Stärke der Balmerlinien mit zunehmender Effektivtemperatur erst zu und dann wieder ab (Abb. 27)? Der zweite Parameter, die Leuchtkraftklasse (I: Überriesen bis V: Zwerge) orientiert sich an den Linienbreiten. Bei gleichem Spektraltyp nimmt z.B. die Linienbreite der Balmerlinien mit abnehmender Leuchtkraftklasse ab. Aufgabe 9: Welches ist die Spektralklasse der Sonne? 32 Abbildung 26: Spektralklassifikation (Quelle: Seeds, 1997, Abb. 7-16). Abbildung 27: Linienstärken verschiedener Elemente in Abhängigkeit von der Temperatur. 33 3 Versuchsaufbau Die Spektroskopie von Sternen werden wir mit dem 10 C-Reflexionsspektrographen am 0,8 m-Reflektor des Instituts für Astronomie und Astrophysik, Abteilung Astronomie, durchführen. Der Versuchsaufbau besteht aus dem 0,8 m-Reflektor, dem 10 CReflexionsspektrographen und einer CCD-Kamera, die als Detektor für das aufgenommene Spektrum dient. In den nächsten Abschnitten werden Sie diese Komponenten genauer kennenlernen. 3.1 Spiegelteleskop Abbildung 28: Der Tübinger 0,8m Reflektor. Das Tübinger 0,8 m-Spiegelteleskop (Tab. 2) wurde 2003 von der Firma Astro Optik Philipp Keller hergestellt und montiert, es befindet sich in einer 5 m durchmessenden Kuppel der Firma Baader (Abb. 28). Das Teleskop ist parallaktisch in einer Gabel montiert, besitzt einen Friktionsantrieb und ist vollständig computergesteuert. Die Nachführung wird zusätzlich durch hochauflösende Encoder in Echtzeit korrigiert. Allerdings liegt aufgrund der extrem präzisen Mechanik auch ohne Encoder der RMSNachführfehler bereits weit unter einer Bogensekunde pro Minute. Nähere Informationen finden sich unter http://www.astrooptik.com. 34 Tabelle 2: Technische Daten des Tübinger 0,8 m-Reflektors. Öffnung D Brennweite f Öffnungsverhältnis f /D Hauptfernrohr 800 mm 6400 mm 8 Abbildung 29: Aufbau des 10 C Spektrographen Quelle: (Optomechanics Research, 1997). 3.2 Der 10 C-Gitterspektrograph Bei dem in Tübingen verwendeten Spektrographen handelt es sich um einen 10 CReflexionsgitterspektrographen der Firma Optomechanics Research, Inc., Vail, Arizona (Abb. 29, Tab. 3). Die Eintrittsspaltanordnung des Spektrographen besteht aus drei Einzelspalten. Durch den mittleren, etwas längeren Spalt tritt das Licht, welches von dem zu untersuchenden Objekt (z.B. Sonne, Stern, Flatfield) ausgesandt wird, ein. Zu beiden Seiten des Zentralspaltes ist jeweils ein kürzerer Spalt mit derselben Breite wie der Hauptspalt angebracht. Es stehen zwei Spaltanordnungen unterschiedlicher Breite (50 µm und 100 µm) zur Verfügung. Das Licht der Vergleichslampen tritt mittels einer optischen Anordnung, bestehend aus Linse, Umlenkspiegel und Lichtleitern, auf die beiden Nebenspalte. Damit kann simultan zum Spektrum des astronomischen Objekts das Spektrum einer bekannten Quelle aufgenommen werden. Dieses Spektrum kann dann zur Wellenlängenkalibration des astronomischen Spektrums verwendet werden. Am Tübinger Spektrograph werden als Vergleichslampen eine Quecksilber- und eine Neon-Lampe verwendet. Abbildung 30 zeigt das Emissionslinienspektrum dieser Lampen. Tabelle 8 auf S. 51 im Anhang listet die genaue Lage der Emissionslinien der Kalibrationslampen auf. Astronomischer Konvention entsprechend werden dabei die Ionen mit römischen Zahlen numeriert: Hg I entspricht also neutralem Quecksilber, Hg II entspricht Hg+ und so weiter. Hinter der Spaltanordnung befindet sich ein Blaufilter, welcher durch einen Filterschieber wahlweise aus dem Strahlengang genommen werden kann. Er ist im Wellen35 Tabelle 3: Technische Daten des 10 C-Gitterspektrographen. Gewicht Kamera Brennweite Öffnungsverhältnis Kollimator Brennweite Hauptspalt Abmessungen ∼ 4.5 kg f = 135 mm f /D = 2.8 f = 225 mm 50 µm × 1.5 mm 100 µm × 1.5 mm Neigung gegenüber der opt. Achse 35◦ Projektion auf Kamera 40 µm bzw. 80 µm 900 µm = 100 pixel Nebenspalte Abmessungen Breite wie Hauptspalt ×0.75 mm Projektion auf Kamera 455 µm ∼ 50 pixel Gitter 1 Abmessung 25 mm × 25mm Linienzahl g1 = 600/mm Maximum 1. Ordnung 5000 Å Dispersion 1.04 Å/pixel ¯ ∆λ 5.97 Å λ/∆λ 840 bei 5000 Å Überlappung 300 Å Gitter 2 Abmessung 25 mm × 25mm Linienzahl g2 = 1200/mm Maximum 1. Ordnung 5000 Å Dispersion 0.54 Å/pixel ¯ ∆λ 2.85 Å λ/∆λ 1754 bei 5000 Å Überlappung 160 Å Hg Vergleichslampe Typ Osram Hg 100 Brennspannung 45 V Betriebsstrom 1A Leistung 22. . . 44 W Ne Vergleichslampe Typ Osram Ne/10 Brennspannung 30 V Betriebsstrom 1A Leistung 30 W Blaufilter Opazität 5100 Å–5500 Å Linienfreiheit in 1. Ordnung < 7500 Å Abmessungen 12.5 mm× 16.5 mm × 3 mm 36 log relativer Fluß 2 1 0 4000 Hg 4078 Hg 4047 Hg 4358 4500 5000 5500 o Wellenlänge/A Hg 4916 Ne 5330/41 Ne 5400 Hg 5461 Hg 5770 Hg 5791 Ne 5852 Ne 5881 6000 Abbildung 30: Hg/Ne-Kalibrationsspektrum, aufgenommen mit dem 1200er Gitter. Ne 4314 Ne 5944 Ne 5975 Ne 6029 Ne 6074 Ne 6096 Ne 6143 Ne 6164 Ne 6217 Ne 6266 Ne 6305 Ne 6334 Ne 6383 Ne 6402 6500 Ne 6506 Ne 6532 Ne 6599 Ne 6678 Ne 6717 37 Tabelle 4: Technische Daten der STL-1001E Kamera. Format 1024 × 1024 pixel Pixelgröße 24 µm × 24 µm Chipgröße 24,5 mm × 24,5 mm Kühlung ∆T = 40◦ C Tabelle 5: Technische Daten der HX916 Kamera. Format Pixelgröße Chipgröße 1300 × 1030 pixel 6,7 µm × 6,7 µm 8,7 mm × 6,9 mm längenbereich unterhalb von 5100 Å opak, also lichtundurchlässig, während er 90 % der Strahlung oberhalb von 5500 Å transmittiert. Mit dem Blaufilter wird bei einer Wellenlänge oberhalb von 7500 Å eine Kontamination der Linien erster Ordnung durch jene zweiter Ordnung vermieden. Der 10 C-Gitterspektrograph ist mit zwei Blazegittern ausgestattet, welche Gitterkonstanten von g1 = 600/mm und g2 = 1200/mm haben. Das von diesen Gittern erzeugte Spektrum wird schließlich mit einer Kameralinse auf den zur Detektion des Spektrums verwendeten CCD-Detektor der Kamera HX916 gelenkt. 3.3 CCD-Kameras STL-1001E und HX916 Die am 0,8 m-Teleskop als abbildendes Instrument und Detektor für den Spektrographen eingesetzten CCD-Kameras sind handelsübliche Kameras vom Typ STL-1001E (Tab. 4) der kalifornischen Santa Barbara Instrument Group (SBIG) bzw. HX916 (Tab. 5) von Starlight XPress. Die CCD wird mit einem Peltier-Element gekühlt. Am CCD-Chip lassen sich so ca. 30-40◦ C unter der Umgebungstemperatur erreichen. Die Belichtungszeit lässt sich von 0.01 s bis 3600 s mit einer Genauigkeit von 0.01 s einstellen und wird durch einen mechanischen Shutter realisiert. Die Bedienung der Kamera erfolgt über MaximDL. 38 “My dear Watson, try a little analysis yourself”, said he, with a touch of impatience. “You know my methods. Apply them, and it will be instructive to compare results”. Conan Doyle The Sign of the Four 4 4.1 Versuchsdurchführung Vorbereitung Diskutieren Sie die in den vorherigen Abschnitten beschriebenen Grundlagen: • Koordinatensysteme • Aufbau astronomischer Teleskope • Eigenschaften und Vergleich verschiedener Bilddetektoren • Prinzip des CCD • Prinzip des Gitterspektrographen • Farben-Helligkeits-Diagramm • Spektralklassifikation Um es noch einmal zu wiederholen: Lösen Sie die in die vorherigen Abschnitte eingestreuten Aufgaben vor dem Versuch und bringen Sie ihre Lösungen am Tag der Versuchsdurchführung mit! Das Praktikum besteht aus zwei Teilen. Der erste Praktikumstag bzw. -abend ist der Datenaufnahme gewidmet. Zu diesem Termin sollten Sie bereits Kenntnis über den allgemeinen Inhalt des Versuchs sowie das verwendete Teleskop haben. Da wir nicht viele brauchbare Beobachtungsnächte zur Verfügung haben, müssen wir jede zur Verfügung stehende Nacht nutzen. Das erfordert von Ihnen und von uns ein hohes Maß an Flexibilität. Denken Sie bitte - insbesondere im Winter - auch an ausreichend warme Kleidung. Am zweiten Tag beschäftigen wir uns nach einem Testat, bei dem wir auch die von Ihnen mitgebrachten Aufgaben und eventuell noch ungeklärte Fragen besprechen, mit der Datenauswertung: Wir werten die Spektren und die Photometrie aus. Gleich zu Beginn schon der Hinweis, dass Sie sich Mehrarbeit ersparen, wenn Sie bei der Auswertung die folgenden Punkte berücksichtigen: • Ziehen Sie die sich öffnenden Plotfenster nicht mit der Maus größer/kleiner. • Schließen Sie diese Fenster nicht einfach. • Denken Sie daran, Dezimalzahlen mit Punkten, nicht Kommas, zu trennen. • Kein close_print ohne vorigen open_print-Befehl; ansonsten müssen Variablen eventuell neu gesetzt werden. • Die für die Photometrie verwendete Routine kennt kein Zurück. Sorgfältiges Arbeiten hilft, nicht von vorne beginnen zu müssen. 39 Im Folgenden stellen wir die einzelnen Arbeitsschritte dar. Sie sollten diesen Abschnitt gelesen haben, so dass Sie die Reihenfolge der Arbeitsschritte verstehen. Die aufgelisteten Programmbefehle dienen als Referenz für die Versuchsausführung, Sie müssen sie jetzt noch nicht verstehen oder gar auswendig lernen! 4.2 Sternspektroskopie Zur Aufnahme der Sternspektren wird der in 3.1 beschriebene 0,8 m-Reflektor mit dem 10 C-Spektrographen und der Kamera HX916 verwendet. Dieses Teleskop befindet sich in der Beobachtungskuppel auf dem Gelände des Instituts. Die Vorbereitung der Beobachtung wird an Ort und Stelle erklärt, dazu gehören: 1. Vorbereitung des Teleskops und Spektrographen 2. Vorbereitung der Kuppel 3. Vorbereitung der Rechner Das Programm MaximDL dient einerseits zur Steuerung der Kamera (Belichtung, Kühlung, usw.), andererseits sind damit auch einige Datenreduktionen machbar. Im Praktikum werden mit diesem Programm die Belichtungen durchgeführt, während die Auswertungen der aufgenommenen Bilder mit einem speziellen Bildverarbeitungsprogramm (IDL) erfolgen. Zum Hochfahren des CCD sind die folgenden Schritte durchzuführen: 1. Das Programm MaximDL starten. Es kann einige Sekunden dauern, bis die Verbindung zum CCD hergestellt ist. 2. Im Kamera-Setup die Temperaturregelung einstellen, Setpoint −30◦ C einstellen. Dieser Wert wird u.U. nicht erreicht, eine Messung ist nur dann sinnvoll, wenn Temperaturen unter 0◦ C erreicht werden können. Sollte dies im Sommer nicht der Fall sein, werden Ihnen die prinzipiellen Schritte der Aufnahme erklärt. Die nachfolgende Datenauswertung muss dann leider “aus der Konserve” erfolgen. Warten Sie einige Minuten, bis sich die Temperatur des CCD stabilisiert hat. Um eine CCD-Aufnahme zu erhalten, wird wie folgt vorgegangen: 1. Settings 2. Autodark aktivieren 3. Expose 4. In der Dialogbox ist die Belichtungszeit (in sec) einzugeben Während der ersten ∼ 10 s der Belichtung muss außerdem das Licht der Vergleichslampen aufgenommen werden. Nach der Belichtung wird das Bild automatisch ausgelesen, in den PC übertragen und dann dargestellt. Anschließend ist das Bild zu speichern mit File-Save Filename (mit Extension FIT angeben!), um die Daten auf einen anderen Rechner transferieren zu können. Das FITS-Format (Flexible Image Transport System) ist ein Datenformat, das sich für CCD-Bilder in der Astronomie allgemein durchgesetzt hat. Im Vergleich zu anderen 40 Bildformaten (z.B. GIF oder Jpeg) verzichtet es auf Datenkompression und anderen Platz sparenden “Schnickschnack”. Daher können FITS-Dateien sehr groß werden. Ein Vorteil des FITS-Formates ist, dass es maschinenunabhängig ist und außer den reinen Bilddaten weitere Informationen wie zum Beispiel die Beobachternamen, eine Identifikation des beobachteten Objektes, des Teleskops usw. enthält. Für den Versuch sind die folgenden Aufnahmen zu machen: • Eine oder mehrere Aufnahmen von Sternspektren mit gleichzeitigem Vergleichsspektrum. Die jeweilige Belichtungsdauer ist abhängig von der Himmelshelligkeit, Richtwert sind 60 bis 600 s. • Mehrere Dunkelstromaufnahmen (“Dark Frames”). Diese sind mit gleicher Belichtungszeit wie die vorher ausgewählte Spektralaufnahme zu machen. Flatfield-Aufnahmen entfallen an dieser Stelle, da diese bereits in der Dämmerung von einem sternenfreien Gebiet des Himmels gemacht werden müssten, wofür im Rahmen des Praktikums ein zu kurzes Zeitfenster zur Verfügung steht. Auswertung Die folgenden Auswerteschritte führen Sie an einem LINUX-Rechner durch. Ihre Aufgabe ist es, anhand der Wellenlängenliste (Tab. 8) und des in Abbildung 30 auf Seite 37 gezeigten Kalibrationsspektrums die sichtbaren Kalibrationslinien zu identifizieren und diese in Ihrem Ausdruck zu markieren. Da der Spektrograph in guter Näherung eine lineare Dispersion hat, können Sie anschließend mit Hilfe einer linearen Regression den Spektrographen eichen. Die Auswertung der Aufnahmen erfolgt mit der Interpretersprache IDL (Interactive Data Language) der Firma Research Systems, Boulder, CO, die seit September 2000 zu Kodak gehört. IDL kann sowohl in einem interaktiven Modus betrieben werden als auch komplette Programme ausführen. Der große Vorteil von IDL liegt in der einfachen Behandlung von Datenfeldern (Arrays), wodurch es besonders für die Bildverarbeitung prädestiniert ist. Starten Sie zunächst IDL durch den Befehl idl. Das Programm meldet sich mit dem Prompt IDL> Laden Sie das CCD-Bild des Sternspektrums in ein Array namens image und zeigen Sie es in einem Fenster an: IDL> image=readfits(’filename.fits’,header) IDL> ccd_tv,image IDL> shade_surf,image 41 Starten Sie nun die Routine show_xy, mit der Sie sich die x/y-Koordinate der aktuellen Cursorposition im Bildfenster anzeigen lassen können. Notieren Sie sich jeweils eine y-Position für die Eichspektren und für die Ober- und Unterkante des Sternspektrums: IDL> ccd_tv,image IDL> show_xy Sie verlassen die Routine show_xy durch einen Klick mit der rechten Maustaste in das Bildfenster. Speichern Sie die notierten Werte in Variablen. Achten Sie bei den Variablen für das Sternspektrum darauf, welche Variable den kleineren, welche den höheren Wert enthält - dies spielt beim nächsten Schritt eine Rolle. Hier ein Beispiel mit den Variablen yeich und yspek: IDL> IDL> IDL> IDL> yeich1 yeich2 yspek1 yspek2 = = = = 396 112 230 250 Kopieren Sie jeweils eine Zeile aus dem Bild, um den Intensitätsverlauf im Eichspektrum und im Sternspektrum in einem Array zu speichern. Erläuterung: Sie greifen auf das zweidimensionale Array image zu mit dem x-Index * = alle Elemente und dem zuvor gespeicherten y-Index. Die Arrays eicharr und spekarr enthalten nun den jeweiligen Intensitätsverlauf: IDL> IDL> IDL> IDL> eicharr1 = image[*,yeich1] eicharr2 = image[*,yeich2] spekarr = image[*,yspek1]*1.0 for k=1,yspek2-yspek1+1 do spekarr = spekarr + image[*,yspek1+k]*1.0 IDL> spekarr = spekarr / (yspek2-yspek1+1) Plotten Sie den Inhalt der Arrays in einem Bildschirmfenster. Hinweis: Mit /ylog wählen Sie eine logarithmische Darstellung, mit ystyle=1 weisen Sie IDL an, die y-Grenzen der Grafik auf die tatsächlichen Minimum- und Maximum-Werte zu setzen. IDL> plot,eicharr1,/ylog,ystyle=1 IDL> oplot,eicharr2 IDL> plot,spekarr,ystyle=1 Erzeugen Sie nun einen Ausdruck von diesen Plots. Auf den Ausdrucken sollten die Achsen beschriftet sein und der Plot einen Titel haben. Der Ausdruck wird auf Postscript-Druckern erfolgen. Dazu ist der Plot in eine Datei (hier eichplot.ps) zu schreiben, welche anschließend auf dem Drucker ausgegeben wird (lange Zeilen geben Sie über den Rand hinaus ein, es erfolgt automatisch ein Umbruch in die nächste Zeile): 42 IDL> open_print,’eichplot.ps’,/postscript IDL> plot,eicharr1,/ylog,ystyle=1,title="Eichspektrum", ytitle="Intensitaet",xtitle="Pixelnummer" IDL> close_print,/ghost Nach dem letzten Befehl erscheint das Programm Ghostview, welches die Datei eichplot.ps auf dem Bildschirm darstellt. Über den Menüpunkt “File/Print...” kann die Datei auf dem angegebenen Drucker ausgedruckt werden, eventuell ist der Druckername zuvor zu ändern. Plotten Sie nun das Eichspektrum noch einmal auf dem Bildschirm (mit den Pfeiltasten lassen sich vorherige Befehle nochmals aufrufen), und rufen Sie die Routine show_xy auf, um die x-Positionen der Spektrallinien der Eichlampen zu bestimmen. Notieren Sie diese auf Ihrem Ausdruck. IDL> plot,eicharr1,/ylog,ystyle=1,title="Eichspektrum", ytitle="Intensitaet",xtitle="Pixelnummer" IDL> show_xy Bestimmen sie mit Hilfe einer Cross-Correlation (c_correlate) die Verschiebung zwischen den beiden Eichspektren. Wie groß ist die Verschiebung, die Sie für das Sternspektrum berücksichtigen müssen? indgen(41)-20 erzeugt dabei ein Feld, belegt mit Integerwerten von -20 bis +20. Der x-Wert des Peaks gibt die Verschiebung an. Falls Sie das Gefühl haben, die Verschiebung ist mehr als nur 20 Pixel, ändern sie die Grenzen des indgen(41)-20-Befehls entsprechend ab. IDL> shift = indgen(41)-20 IDL> fit = c_correlate(eicharr1,eicharr2,shift) IDL> plot,shift,fit Anschließend versuchen Sie, diese Linien durch Vergleich mit dem Eichspektrum (Abb. 30) zu identifizieren. Beachten Sie, dass die Linienintensitäten nicht unbedingt im gleichen Verhältnis zu stehen brauchen wie in der Vorlage, wichtig ist das Verhältnis der Linienabstände! Notieren Sie sich zu jeder identifizierten Linie die Wellenlänge. Tragen Sie Ihre gemessenen Pixelnummern und die Wellenlängen der identifizierten Linien in jeweils ein Array ein. Addieren sie die Verschiebung des Sternspektrums bzgl. der Eichspektren auf pixarr auf. Beispiel: Pixelwerte in pixarr und Wellenlängenwerte in wvlarr: IDL> pixarr=[7,26,76,122,186,231,249,345,371,432,506,542] IDL> pixarr = pixarr + Verschiebung IDL> wvlarr=[6143,6164,6217,6266,6334,6383,6402,6506,6532, 6599,6678,6717] Plotten Sie Pixel gegen Wellenlänge. Wenn Ihre Identifizierung richtig war, sollte sich eine Gerade ergeben: 43 IDL> plot,pixarr,wvlarr,ystyle=1,psym=2 Sollte sich keine Gerade ergeben, so überprüfen Sie zunächst, ob Sie in beide Arrays gleich viele Werte eingetragen haben. Sie können die Einträge korrigieren, indem Sie den betreffenden Befehl mit den Pfeiltasten wieder aufrufen, und dann editieren. Wenn kein Tippfehler vorliegt, ist vermutlich die Identifizierung falsch. Versuchen Sie, eine bessere Identifizierung zu finden und korrigieren Sie Ihre Werte, bis sich eine Gerade ergibt. Drucken Sie Ihre Eichkurve zur Dokumentation wieder aus: IDL> open_print,"eichgerade.ps",/postscript IDL> plot,pixarr,wvlarr,ystyle=1,title="Eichgerade", ytitle="Wellenlaenge (A)",xtitle="Pixelnummer",psym=2 IDL> close_print,/ghost Zur Bestimmung der Geradengleichung führen Sie eine lineare Regression durch. Dies erledigt die IDL-Funktion poly_fit. Sie führt eine Polynom-Anpassung an die Wertepaare durch, der Grad des Polynoms ist als Parameter zu übergeben. Für eine Gerade ist der Grad 1. Rückgabewert der Funktion ist ein Array (hier a) mit den PolynomParametern: IDL> a=poly_fit(pixarr,wvlarr,1) Lassen Sie sich die Parameter anzeigen: IDL> print,a Die erste angezeigte Zahl ist der y-Achsen-Abschnitt der Eichgeraden, also die Wellenlänge für Pixel 0. Die zweite Zahl ist die Steigung der Geraden, also der Eichfaktor in Å/Pixel. Nun ist das Sternspektrum mit einer Wellenlängeneichung zu versehen. Dazu müssen Sie zunächst die Größe des Arrays mit dem Sternspektrum wissen: IDL> help,spekarr SPEKARR FLOAT = Array[765] Die zweite Zeile ist die Ausgabe des help-Befehls. In diesem Fall handelt es sich also um ein Array mit 765 Werten. Erzeugen Sie nun ein Array mit den Pixelwerten von 0 bis 764 (findgen(765)) und wenden Sie darauf die Geradengleichung mit den gefundenen Eichparametern an: IDL> lambda=a[0]+a[1]*findgen(765) Das Ergebnis ist ein Array mit den Wellenlängenwerten (hier lambda) zu jedem Pixelwert des Sternspektrums. 44 IDL> open_print,"eichgerade.ps",/postscript IDL> plot,pixarr,wvlarr,ystyle=1,title="Eichgerade", ytitle="Wellenlaenge (A)",xtitle="Pixelnummer",psym=2 IDL> oplot,findgen(765),lambda IDL> close_print,/ghost Plotten Sie Ihr Sternspektrum mit Wellenlängenskala zunächst auf dem Bildschirm und drucken Sie es anschließend aus. Drucken Sie auch das Eichlampenspektrum mit Wellenlängeneichung aus: IDL> open_print,"sternspektrum.ps",/postscript IDL> plot,lambda,spekarr,ystyle=1,title="Sternspektrum", ytitle="Intensitaet",xtitle="Wellenlaenge (A)" IDL> close_print,/ghost IDL> open_print,"eichspektrum.ps",/postscript IDL> plot,lambda,eicharr1,ystyle=1,/ylog,title="Eichspektrum", ytitle="Intensitaet",xtitle="Wellenlaenge (A)" IDL> close_print,/ghost Rufen Sie wieder die Routine show_xy auf und bestimmen Sie die Wellenlängen der Absorptionslinien: IDL> plot,lambda,spekarr,ystyle=1,title="Sternspektrum", ytitle="Intensitaet",xtitle="Wellenlaenge (A)" IDL> show_xy Identifizieren Sie die wichtigsten Linien anhand Anhang C. Zusätzlich können Sie die NIST Atomic Spectral Database zu Hilfe nehmen (http://physics.nist. gov/PhysRefData/ASD/lines_form.html). Sollte show_xy keine Koordinaten anzeigen, identifizieren Sie sie von Hand mit Hilfe der Ausdrucke. Vergleichen Sie die gemessene Wellenlänge mit der tabellierten Wellenlänge. Falls dort eine Differenz von mehr als 1 Å auftritt, kann es sein, daß die CCD-Kamera nicht völlig parallel zum Spektrum ausgerichtet war. Sie werden dann im CCD-Bild eine Differenz der Pixelpositionen für einzelne Spektrallinien im oberen und unteren Eichspektrum feststellen. Etwa die Hälfte dieser Differenz ergibt sich damit als Abweichung zwischen Eichspektrum und Sternspektrum. Berücksichtigen Sie diesen Offset bei der Identifizierung der übrigen Linien. Tip: Sie können auch mit dem Cursor alle in der Tabelle angegebenen Linienpositionen anfahren und nachsehen, ob sich dort im Sternspektrum eine Absorption befindet. Aufgabe 10: Stellen Sie anhand Ihrer Ausdrucke dar, wie die Aufnahmen reduziert und wellenlängenkalibriert wurden. Welcher ist der Spektraltyp des aufgenommenen Sterns? Aufgabe 11: Was ist physikalisch der qualitative Unterschied des Spektrums der Vergleichslampen und dem der Sterne? Warum sehen Sie also im Spektrum der Sterne Absorptionslinien, in dem der Vergleichslampen Emissionslinien? Was für Informationen können aus den aufgenommenen Sternspektren gewonnen werden? 45 Abschließend vergleichen Sie die beobachteten Spektren mit einem Sonnenspektrum vom NOAO. Erstellen Sie in gewohnter Weise einen Ausdruck mit Achsbeschriftung, markieren und identifizieren Sie die signifikantesten Spektrallinien. Hierzu ist es von Vorteil, den dargestellten Plotbereich mittels xrange=[3500,4500] schrittweise abzutasten. IDL> .r read_solspec Das Sonnenspektrum können sie mit einer Gaussfunktion glätten: IDL> smoothed_flux=gaussfold(WAVE_SOL,FLUX_SOL,6) IDL> plot,WAVE_SOL,smoothed_flux 4.3 Photometrie eines Sternhaufens Die Photometrie wird ebenfalls mit unserem 0,8 m-Reflektor durchgeführt. Die Inbetriebnahme wird an Ort und Stelle erklärt. Zur Datenaufnahme verwenden wir eine STL-1001E-Kamera, deren Bedienung nahezu identisch zu der bei der Spektroskopie verwendeten ist. Ein Unterschied ist ein Filterrad (Tab. 6), in dem verschiedene Filter untergebracht sind. Die Ansteuerung des Filterrads geschieht über das Steuerprogramm MaximDL. Tabelle 6: Filterbestückung der STL-1001E Kamera. Filter Bandbreite [Å] Rot (R) 5800 - 6800 Grün (V) 4500 - 5800 Blau (B) 3900 - 5000 Luminance (L) 4000 - 6800 Clear (C) 3000 - 10000 Eine Verbesserung des Ergebnisses der Photometrie würden Flatfield-Aufnahmen ermöglichen, die für alle verwendeten Filter in der Dämmerung aufgenommen werden. Wie auch bei der Spektroskopie, entfällt dieser Schritt in der Beobachtungsnacht aus zeitlichen Gründen. Das Teleskop wird nun auf einen offenen Sternhaufen ausgerichtet und dieser photometriert. Aufgabe 12: Nehmen Sie den Sternhaufen in den Filtern B und V auf. Mehrere kürzere Aufnahmen sind besser als eine lange. Aktivieren Sie bei den Aufnahmen die AutodarkFunktion, um eine automatische Darkkorrektur vorzunehmen. Notieren Sie sich am besten auch gleich die Belichtungsdauer. 46 Auswertung Zur Auswertung werden wir wieder IDL verwenden. Mit Hilfe des Programms MakeFHD erfolgt die Auswertung automatisch. Folgen Sie den vom Programm vorgegebenen Schritten, achten Sie also auf Bildschirmmeldungen. IDL> .r MakeFHD Zuerst werden die mit verschiedenen Filtern aufgenommenen Bilder eingelesen und Flatfield-korrigiert. Nun müssen die Helligkeiten in den verschiedenen Filtern an die Helligkeiten der Standartfilter angepasst werden. Dazu markiert man mehrere Sterne, die man in der Literatur (z.B. SIMBAD, Webda) identifizieren kann und vergleicht die Helligkeitsangaben in B und V aus der Literatur mit denen der Aufnahmen. Anschließend gibt man fuer B und V Korrekturwerte an. Sternkataloge: • SIMBAD (http://simbad.u-strasbg.fr/Simbad) • Webda (http://www.univie.ac.at/webda/navigation.html) Hier eine kleine Anleitung für den Umgang mit Webda: 1. Display the Page of the Cluster: Name des Clusters eintragen 2. cluster chart 3. chart form 4. Achsen anpassen (eventuell auch die maximale Helligkeit) 5. Sterne auswählen, B und V notieren 6. Grafik für das Protokoll ausdrucken Der nächste Schritt besteht darin, die einzelnen Aufnahmen exakt aufeinander auszurichten. Hierzu ist es notwendig, auf den einzelnen Bildern jeweils denselben Referenzstern zu markieren. Jetzt werden die Haufen-Sterne auf einem Bild von Hand identifiziert und ihre Helligkeiten auf allen Bildern automatisch bestimmt. Sterne nahe am Rand werden dabei von der Software ignoriert. Die (B-V)-Helligkeiten der Sterne werden berechnet und ein Farben-Helligkeits-Diagramm erzeugt. Die interstellare Extinktion muss der Literatur entnommen und angegeben werden. Um den Abstand des Sternhaufens von der Erde zu berechnen, muss der Entfernungsmodul V −Mv bestimmt werden. Aus den erzeugten Postscript-Plots des FHD und 47 der ZAMS (Alter-Null-Hauptreihe) bestimmt man per Augenmaß einen ersten Schätzwert für V − Mv , gibt ihn an und optimiert ihn iterativ derart, dass sich das FHD der Sterne an die ZAMS anschmiegt. Um das Alter des Sternhaufens zu berechnen, bestimmt man die absolute Helligkeit der hellsten Sterne des FHD, die sich gerade noch auf der Hauptreihe befinden. Die zweite Methode besteht darin, wiederum iterativ das FHD des Sternhaufens mit berechneten Isochronen in Übereinstimmung zu bringen. Aufgabe 13: Was erkennt man im Plot des FHD ? Wie groß sind Entfernung und Alter des Sternhaufens ? Vergleichen Sie Ihre Ergebnisse mit Literaturwerten und diskutieren Sie eventuelle Abweichungen. Damit sind wir mit der Photometrie fertig. 48 5 Literatur Born M., Wolf E., 1980, Principles of Optics, Pergamon, Oxford, New York, 6th edition Bronstein I.N., Semendjajew K.A., 1987, Taschenbuch der Mathematik, Harri Deutsch Karttunen H., Kröger P., Oja H., et al., 1990, Astronomie, Springer, Berlin, Heidelberg Kitchin C.R., 1984, Astrophysical Techniques, Adam Hilger, Bristol, Philadelphia, 1st edition McLean I.S., 1997, Electronic Imaging in Astronomy, Wiley-Praxis, Chichester, New York Newton I., 1730, Opticks, Vol. 4th, William Innys, London reprint: Dover Publications, 1952 Optomechanics Research 1997, Model 10 C Cassegrain Spectrograph, Tucson Schmidt W., 1995, Optische Spektroskopie, VCH, Weinheim Seeds M., 1997, Foundations of Astronomy, Wadsworth Publishing Company, 4. edition Staudt G., 1993, Experimentalphysik II, Attempto, Tübingen 2. Auflage Unsöld A., Baschek B., 1988, Der Neue Kosmos, Springer Verlag, 4. edition Weigert A., Zimmermann H., 1976, Brockhaus ABC der Astronomie, VEB F.A. Brockhaus, 7. edition 49 A Mögliche Beobachtungsobjekte Tabelle 7: Verzeichnis von Beobachtungsobjekten. Name M11 M29 M35 M36 M37 M38 M52 NGC 6819 α Aql α Aur α Cyg β Cyg β Gem α Lyr α Ori η UMa Typ offener Haufen offener Haufen offener Haufen offener Haufen offener Haufen offener Haufen offener Haufen offener Haufen Stern Stern Stern Stern Stern Stern Stern Stern 50 B Wellenlängenkalibration Tabelle 8: Laborwellenlängen der Hg- und Ne-Kalibrationslampen nach Kurucz (http://cfa-www.harvard.edu/amdata/ampdata/kurucz23/sekur. html). Ion Hg I Hg I Ne I Hg I Hg I Ne I Ne I Ne I Ne I Hg I Hg I λ [Å] 4046.559 4077.827 4314.252 4358.323 4916.062 5116.503 5330.777 5341.094 5400.562 5460.731 5769.593 Ion Hg I Ne I Ne I Ne I Ne I Ne I Ne I Ne I Ne I Ne I Ne I λ [Å] 5790.660 5852.488 5881.895 5944.834 5975.534 6029.997 6074.338 6096.163 6143.062 6163.594 6217.281 51 Ion Ne I Ne I Ne I Ne I Ne I Ne I Ne I Ne I Ne I Ne I λ [Å] 6266.495 6304.789 6334.428 6382.991 6402.246 6506.528 6532.882 6598.953 6678.331 6717.043 C Starke Linien in Sternspektren. Wasserstoff Hα Hβ Hγ Hδ Hε Hζ Hη Hθ 6563 Å 4861 Å 4340 Å 4102 Å 3970 Å 3889 Å 3835 Å 3798 Å Hι Hκ H13 H14 H15 H16 H17 H18 3771 Å 3750 Å 3734 Å 3722 Å 3712 Å 3704 Å 3697 Å 3692 Å Helium He I He I He II He II 3820 Å 4387 Å 3923 Å 4686 Å 3965 Å 4471 Å 4100 Å 4861 Å 4009 Å 4026 Å 4144 Å 5876 Å 4199 Å 4340 Å 4542 Å 5411 Å 6678 Å Kohlenstoff C II 4267 Å C III 4069 Å 4123 Å 4187 Å 4340 Å 4375 Å 4515 Å 4650 Å C IV 4441 Å 4650 Å 4786 Å Stickstoff N II 3995 Å 5005 Å 5679 Å N III 4100 Å 4640 Å N IV 4057 Å 52 Sauerstoff OI 6158 Å O II 3749 Å 4119 Å 4317 Å 4320 Å 4349 Å 4415 Å 4417 Å 4649 Å O III 3444 Å 3760 Å 4069 Å O IV 4786 Å O V 4123 Å 4157 Å 4187 Å Natrium Na I 5890 Å 5896 Å Silizium Si II 4128 Å 4130 Å Si III 4552 Å Si IV 4089 Å Calcium Ca I 4227 Å 4289 Å 4303 Å 4435 Å 4455 Å 5016 Å 5262 Å Ca I 5270 Å 5589 Å 5857 Å 6122 Å 6439 Å 6718 Å Ca II 3934 Å 3968 Å 53 Eisen Fe I 3930 Å 4005 Å 4045 Å 4064 Å 4144 Å 4250 Å 4260 Å 4272 Å Fe I 4325 Å 4384 Å 4405 Å 4528 Å 4668 Å 4891 Å 4958 Å 5255 Å Fe I 5269 Å 5616 Å 6609 Å 6663 Å 6678 Å Fe II 3914 Å 3938 Å 3945 Å 4179 Å 4233 Å 4385 Å verschiedene Metalle Mg I Mg II Sc II Ti I Ti I Ti II 3838 Å 4481 Å 4247 Å 4523 Å 4640 Å 4164 Å 5167 Å 5173 Å 5184 Å Cr I Cr II Mn I Sr II Sr III Eu II 4254 Å 4646 Å 4651 Å 4242 Å 3807 Å 4031 Å 4033 Å 4034 Å 4041 Å 4077 Å 4215 Å 4305 Å 4335 Å 4205 Å 4527 Å 4533 Å 4545 Å 4617 Å 4982 Å 5036 Å 6258 Å 4300 Å 4395 Å 4400 Å 4408 Å 4444 Å 4468 Å 54 Moleküle CH CN CN 4300 Å 3883 Å 4216 Å TiO TiO TiO TiO TiO TiO 4585 Å 4761 Å 4954 Å 5000 Å 5167 Å 6159 Å Emissionslinien in Gasnebeln [O I] [O I] [O I] [O I] [O II] 5007 Å 5577 Å 6300 Å 6363 Å 3727 Å [O III] [O III] [O III] [O III] 4363 Å 4391 Å 4959 Å 5007 Å [Ne III] [S II] [Fe III] [N I] [Cl III] [Cl III] [N II] [S II] 3868 Å 4069 Å 4658 Å 5200 Å 5517 Å 5537 Å 5754 Å 6723 Å Erdatmosphäre O2 O2 O2 O2 O2 H2 O 6280 Å 6867 Å 6875 Å 6906 Å 7594 Å 7165 Å 55 D Aufbau des Versuchsprotokolls 1. Ziel und Inhalt des Experiments • Was soll gezeigt bzw. herausgefunden werden ? • Was ist der größere Kontext ? 2. Material, Methoden, Durchführung • verwendetes Material (Teleskop, Kamera, Spektrograph) genau erläutern • genaue, detaillierte Experimentbeschreibung • Skizzen des Aufbaus und Ablaufs, falls erforderlich • evtl. Probleme und ihre Lösungen schildern 3. Darstellung der Ergebnisse • Messwertetabelle (z.B. Helligkeiten der Referenzsterne) mit genauer Erläuterung • graphische Darstellungen mit Beschriftung • durchgeführte Berechnungen, verwendete Gleichungen (z.B. Entfernungsmodul) • Aufgaben aus der Anleitung mit Aufgabenstellung und detaillierter Lösung inkl. Lösungsweg 4. Interpretation und Diskussion • Wurde das gesetzte Ziel erreicht ? • Was sagt uns das Ergebnis, was kann man daraus lernen ? • Muss das Experiment verändert werden, um das Ziel zu erreichen ? • gegebenenfalls Abweichung des Ergebnisses von Literaturwerten diskutieren 56 57 Welt der Wissenschaft: GroSSteleskope Eine Frage der Ehre Der Wettstreit um den weltgrößten Refraktor Im 19. Jahrhundert entbrannte ein Wettstreit um das größte Linsenfernrohr der Welt. Zwar gab es gute wissenschaftliche Gründe für leistungsstarke Teleskope, aber in vielen Fällen ging es hauptsächlich um die nationale Ehre. Oft entschieden nur Millimeter über den mehr oder weniger ruhmreichen Rekordhalter. Von Wolfgang Steinicke und Stefan Binnewies ó Nachdem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Herstellung von Linsen und Objektiven S Refraktoren berichtet von Erfolgen, aber Epoche der Astronomie: die gro­ auch von Fehlschlägen und Katastrophen. ßen Refraktoren. Heute meist nur Der Startpunkt ist 1824, das Jahr, in dem noch Museumsstücke, gehörten Joseph von Fraunhofer neue Maßstäbe im sie im 19. Jahrhundert zur Standardaus­ stattung jeder bedeutenden Sternwarte. Fernrohrbau setzte. perfektioniert wurde, setzte ein Zunächst für visuelle Beobachtungen Präzision gegen Öffnung Wettstreit um den weltgrößten genutzt, wurden sie später auch für foto­ Ende 1824 erhielt Wilhelm Struve, der Di­ Refraktor ein. grafische und spektroskopische Zwecke rektor der Sternwarte Dorpat (heute Tartu eingesetzt. in Estland), 22 schwere Kisten aus Deutsch­ ó Neben staatlich finanzierten Sternwarten in Europa und den Ein großer Refraktor diente aber noch land. Sie enthielten Fraunhofers Meister­ USA beteiligten sich auch private einem anderen Zweck: Er sollte Ruhm und stück: einen 24,4-Zentimeter-Refraktor Sponsoren und Amateurastro- Ehre bringen. So gab es einen andauernden mit 4,1 Meter Brennweite – den größten nomen am Bau immer größerer Wettstreit der Nationen, Sternwarten und der Welt. Nachdem Struve die Einzelteile Linsenfernrohre. Sponsoren um das weltweit größte Lin­ sorgsam zusammengefügt hatte, war das senfernrohr. Wie im Sport entschieden oft imposante Gerät an Heiligabend betriebs­ nur wenige Millimeter über den Sieg, und bereit: ein edler Mahagonitubus auf einer so mancher Rekordhalter verschwand bald uhrwerkgetriebenen Montierung mit ge­ wieder in der Bedeutungslosigkeit. schwungenem Holzstativ (siehe Bild auf die S. 46 links). Sein englischer Kollege John Grenzen des technisch Möglichen – und Herschel pries es als »probably the very überschritten sie teilweise. Einige Exem­ best refracting telescope ever made«. Die Konstrukteure erreichten Zu diesem Beitrag stehen didaktische plare erinnern eher an Kanonenrohre als Sogleich begann Struve mit dem Ver­ Materialien auf unserer Internetseite an Teleskope. Ihre Länge und das enorme messen von Doppelsternen; im Jahr 1827 www.wissenschaft-schulen.de/ Gewicht von Objektiv, Tubus und Montie­ erschien ein erster Katalog. Zwischen 1835 artikel/1114673 zur Verfügung. rung erforderten gewaltige Kuppelbauten. und 1838 versuchte er mit dem Präzisions­ Die folgende kurze Geschichte der großen instrument die Parallaxe des Sterns Wega 44 August 2011 Sterne und Weltraum Stefan Binnewies In Kürze ie sind Zeugen einer bedeutenden 58 Der 27-Zoll-GrubbRefraktor der Wiener Universitätssternwarte holte 1883 den Titel des weltgrößten Linsenteleskops von den USA nach Europa zurück. www.astronomie-heute.de August 2011 45 59 35,5-Zentimeter-Objektiv mit 7,6 Meter Brennweite erstanden. Zwischen Coopers Refraktor und den Instrumenten von Fraunhofer und Merz liegen allerdings Welten. Zunächst erhielt das Teleskop ei­ nen einfachen Holztubus auf azimutaler Herschel-Montierung, drei Jahre später versah der irische Optiker und Teleskop­ bauer Thomas Grubb das Gerät mit einem Eisentubus und setzte es auf eine paral­ laktische Montierung, die auf einer vier Meter hohen Steinpyramide ruhte (siehe Bilder rechts oben und Mitte). Archiv Wolfgang Steinicke Der Refraktor stand nicht in einer Kuppel. Vielmehr schützte ein vier Meter hoher Mauerring das Instrument notdürf­ tig vor Wind und Wetter. Coopers größte Leistung war die Erstellung des »Markree Catalogue«, der über 60 000 Sterne entlang der Ekliptik enthält. Er erschien zwischen Der von Joseph von Fraunhofer gebaute 1851 und 1856 in vier Bänden; der zuge­ Dorpat-Refraktor ist heute ein Museums- hörige Atlas blieb unveröffentlicht und stück. lagert heute im englischen Cambridge. Das Schicksal des Markree-Refraktors ist so seltsam wie sein Aussehen. Nach zu ermitteln. Der erhaltene Wert war je­ Jahren des Zerfalls kam er 1902 nach doch noch sehr ungenau. Da zur gleichen Hongkong – und stand dort wieder im Zeit Friedrich Wilhelm Bessel – auch mit Regen. Im Jahr 1941 wurde das Fernrohr einem Refraktor aus der Fraunhofer’schen bei einem Luftangriff stark beschädigt, Werkstatt – einen zuverlässigen Wert für das Objektiv tat aber bis 1989 im Littrow- die Parallaxe des Sterns 61 Cygni ermit­ Spektrografen der Sternwarte Manila sei­ telte, gilt Bessel als derjenige, der als Erster nen Dienst. Bereits kurz nach der Errichtung des Transatlantische Rivalen Dorpat-Refraktors bestellte die Münchner Die Firma Merz, mittlerweile durch Joseph Sternwarte bei Fraunhofer ein Gerät mit Mahler verstärkt, konterte im Jahr 1839. einem Objektivdurchmesser von 35,6 Zen­ Auf Anweisung von Zar Nikolaus I. hatte timetern. Bedingt durch Fraunhofers Tod Wilhelm Struve in Dorpat mit der Planung im Jahr 1826 konnte der Nachfolger Georg für ein russisches Nationalobservatorium Merz aber nur einen 28,5-Zentimeter-Re­ in Pulkowo bei St. Petersburg begonnen. fraktor liefern, der 1835 in Bogenhausen Merz & Mahler lieferte dafür einen Re­ aufgestellt wurde. Im gleichen Jahr erhielt fraktor mit 38 Zentimeter Öffnung und die Berliner Sternwarte ein Duplikat des 6,9 Meter Brennweite (siehe Bild auf S. 48 Dorpat-Refraktors. entdeckten oben links). Die Sternwarte wurde im Au­ Gottfried Galle und Heinrich d’Arrest am gust 1839 eingeweiht, Struve wurde ihr 23. September 1846 den Planeten Neptun. ers­ter Direktor. Zentrales Arbeitsgebiet Das historische Instrument ist heute im war die Beobachtung von Doppelsternen, Deutschen Museum in München zu se­ wobei sich besonders Otto Struve her­ hen. Der 28,5-Zentimeter-Merz-Refraktor vortat, der 1862, zwei Jahre vor dem Tod steht nach wie vor in Bogenhausen. Stru­ seines Vaters, die Leitung von Pulkowo ves »Fraunhofer« wurde 1993 in Tartu re­ übernahm. Damit stauriert und kann in der alten Sternwarte besichtigt werden. Archiv Wolfgang Steinicke die Entfernung eines Sterns bestimmte. Der russische Refraktor rief einen neu­ en Konkurrenten auf den Plan: die USA. Den Titel des weltgrößten Refrak­ Selbstbewusst wollten Astronomen der tors übernahm derweil ein Unikum im Neuen Welt der europäischen Übermacht Drei Gesichter des Markree-Refraktors: auf irischen Markree Castle. Im Jahr 1831 hat­ in der Astronomie endlich etwas entge­ einer hölzernen Herschel-Montierung te der Schlossherr und begeisterte Ama­ gensetzen. Eine erste Antwort war der (oben), parallaktisch montiert mit volumi- teurastronom Edward Cooper von dem 1845 in Cincinnati aufgestellte 30,5-Zenti­ nösem Steinsockel (Mitte) und in neuem Pariser Optiker Robert-Aglae Cauchoix ein meter-Refraktor von Merz & Mahler. Als Gewand in Hongkong (unten) 46 August 2011 Sterne und Weltraum 60 Die wichtigsten Refraktoren, geordnet nach dem Jahr der Inbetriebnahme Standort Sternwarte / Instrument Dorpat Sternwarte Dorpat Land Jahr Konstruktion Durchmesser D Brennweite f in Zentimetern in Metern f/D Höhe in Metern 67 EST 1824* Fraunhofer 24,4 4,1 16,8 Markree Castle Privatsternwarte Cooper IRL 1831* Cauchoix/Grubb 35,5 7,6 21,5 45 Berlin D 1835 Merz 24,4 4,3 17,6 47 Berliner Sternwarte München Sternwarte Bogenhausen D 1835 Merz 28,5 4,9 17,2 500 St. Petersburg Sternwarte Pulkowo RUS 1839* Merz & Mahler 38,0 6,9 18,2 75 Cincinnati University Observatory USA 1845 Merz & Mahler 30,5 5,3 17,4 247 Cambridge Harvard College Obs. USA 1847* Merz & Söhne 38,1 6,8 17,9 24 Wandsworth Craig-Refraktor UK 1852* Chance/Gravatt 61,0 23,2 38,0 10 Paris Porro-Refraktor F 1856 Porro 52,0 15,0 28,8 60 Walworth Buckingham-Refraktor UK 1862 Buckingham/Wray 54,0 8,7 16,1 10 Chicago Dearborn Observatory USA 1863 Clark 47,0 8,2 17,4 175 Dunsink South Equatorial IRL 1868 Cauchoix/Grubb 29,8 5,8 19,5 91 Gateshead Privatsternwarte Newall UK 1868* Cooke 62,5 9,1 14,6 20 Bothkamp Privatsternwarte v. Bülow D 1870 Schröder 29,3 4,9 16,7 32 Washington U.S. Naval Observatory USA 1873* Clark 65,5 9,9 15,1 38 Potsdam Astrophysikalisches Obs. D 1878 Schröder 29,8 5,2 17,4 100 Dresden Privatsternwarte v. Engelhardt D 1879 Grubb 30,6 3,9 12,6 124 Straßburg Universitätssternwarte D (F) 1880 Merz & Söhne / Repsold 48,7 6,9 14,2 144 Princeton Halsted Observatory USA 1882 Clark 58,0 9,8 16,9 75 Wien Universitätssternwarte Ö 1883* Grubb 68,6 10,5 15,3 240 St. Petersburg Sternwarte Pulkowo RUS 1884* Clark/Repsold 76,2 13,7 18,0 75 Charlottesville Leander McCormick Obs. USA 1885 Clark 66,8 9,9 14,9 259 Nizza (Mont Gros) Sternwarte Bischoffsheim F 1887* Henry/Gautier 76,9 17,9 23,3 376 USA Mt. Hamilton Lick Observatory 1888* Clark 91,4 17,4 19,0 1283 Meudon Observatoire de Paris-Meudon F 1891 Henry/Gautier 83,0 16,2 19,5 162 Greenwich Royal Observatory UK 1893 Grubb 71,1 8,5 12,0 47 Berlin-Treptow Archenhold-Sternwarte D 1896 Steinheil/Hoppe 68,0 21,0 30,9 41 William Bay Yerkes Observatory USA 1897* Clark / Warner & Swasey 102,0 19,4 19,0 334 Potsdam Astrophysikalisches Obs. D 1899 Steinheil/Repsold 80,0 12,2 15,3 95 Paris Teleskop der Weltausstellung F 1900* Mantois/Gautier 125,0 57,0 45,6 65 Hamburg Sternwarte Bergedorf D 1912 Steinheil/Repsold 60,0 9,0 15,0 50 Pittsburgh Allegheny Observatory USA 1914 Brashear 76,2 14,4 18,9 370 Potsdam Sternwarte Babelsberg D 1915 Zeiss 65,0 10,1 15,5 35 Johannesburg Yale Observatory SA 1925 Grubb 66,0 10,6 16,1 1760 Llano del Hato Obs. Astronómico Nacional VEN 1972 Zeiss 65,0 10,5 16,2 3600 Hida Hida Observatory J 1972 Zeiss 65,0 10,5 16,2 1275 La Palma Swedish Solar Telescope (SST) S (SP) 2002 Svenska Bearing 97,0 20,6 21,2 2400 * bedeutet neuer Öffnungsrekord Nächstes wollte man Pulkowo übertref­ meten Donati 1858 sowie des Orion- und fen. William Bond, der Direktor des Har­ Andromedanebels erregten Aufsehen. Schon zwölf Jahre später übertrumpfte der schottische Ingenieur und Astronom vard College Observatory in Cambridge, Im August 1852 stellte John Craig in Robert Newall Craigs Refraktor. In Gates­ Massachusetts, bestellte also in München Wandsworth bei London einen neuen head bei Newcastle errichtete er 1868 einen bei Merz & Söhne einen Refraktor mit Rekord auf. Gegenüber Pulkowo und Har­ neuen Rekordhalter (siehe Bild auf S. 48 38,1 Zentimeter Öffnung – ein Millimeter vard steigerte er die Öffnung um 60 Pro­ unten Mitte). Das parallaktisch montierte mehr als in Dorpat! zent. Der Glashersteller Robert Chance in Gerät, gebaut von Thomas Cooke & Sons Das Gerät, das heute noch in Harvard Birmingham fertigte das 61-Zentimeter- in York, besitzt ein 62,5-Zentimeter-Ob­ zu sehen ist, leistete große Dienste bei Objektiv; der zigarrenförmige Metalltubus jektiv mit 9,1 Meter Brennweite. Das neun der Beobachtung von Kometen, Planeten, und die bizarre Turmmontierung sind das Tonnen schwere Instrument war auf einer Sternen und Nebelflecken (siehe Bild auf Werk des Ingenieurs William Gravatt (sie­ 5,8 Meter hohen Säule montiert. Wegen S. 48 oben rechts). Besonderen Ruhm ern­ he Bild auf S. 48 unten links). Mechanische der großen Luftverschmutzung und dem teten William Bond und sein Sohn George Probleme und fehlerhaft korrigierte Lin­ miserablen Wetter gelangen Newall nur für die Entdeckung des Saturnmonds sen führten jedoch dazu, dass der Refrak­ wenige Beobachtungen. Im Jahr 1891 kam Hyperion. Auch die Zeichnungen des Ko­ tor bereits 1856 wieder abgebaut wurde. der 25-Zöller nach Cambridge und tat dort www.astronomie-heute.de August 2011 47 Alle Bilder dieser Seite: Archiv Wolfgang Steinicke 61 Ein 38-Zentimeter-Refraktor, von Merz & Mahler in München hergestellt, wurde 1839 das Hauptinstrument der neuen russischen Nationalsternwarte in Pulkowo. Mit einem Duplikat des Pulkowo-Refraktors wollten Astronomen am Harvard College Observatory an die Erfolge ihrer europäischen Kollegen anknüpfen. John Craig ließ 1852 in der Nähe von Der 25-Zoll-Refraktor von Robert Newall, Mit dem 26-Zoll-Refraktor des U.S. Naval London ein monströses Turm­teleskop mit 1868 in Gateshead (England) errichtet, Observatory in Washington entdeckte einem 61-Zentimeter-Objektiv erbauen. steht seit 1960 in Penteli, Griechenland. Asaph Hall 1877 die beiden Marsmonde. seinen Dienst bei der Beobachtung von Erst 1893 erhielten die Briten einen grö­ deutsche V 1 beschädigt wurde. Danach Doppelsternen, bis er in den 1950er Jahren ßeren Refraktor: das wiederum von Grubb verlegte man den 28-Zöller nach Herst­ ausgemustert wurde. Der Newall-Refraktor gebaute Instrument im Royal Greenwich monceux Castle, später der Sitz des Royal wurde dann dem Athener Observatorium Observatory mit 71,1 Zentimeter Öffnung Greenwich Observatory. Im Jahr 1971 zog geschenkt und steht seit 1960 in Penteli, und 8,5 Meter Brennweite. Es besaß eine er zusammen mit dem gesamten Obser­ nordöstlich von Athen. Seit 1995 ist das eigenwillige englische Rahmenmontie­ vatorium nach Greenwich um, wo er heu­ betagte Instrument ein Museumsstück, rung und war in einer zwiebelförmigen te eine der Hauptattraktionen des Royal das viele Besucher anlockt. Kuppel untergebracht, die 1944 durch eine Observatory ist. 48 August 2011 Sterne und Weltraum 62 Am Harvard College Observatory in Cambridge war der große Refraktor von Merz & Mahler unterdessen in die Jahre gekommen, und die Amerikaner wollten den Titel unbedingt zurückgewinnen. Mit Alvan Clark hatten sie nun auch selbst ei­ nen hervorragenden Teleskopbauer. Seine Firma in Cambridgeport, Massachusetts, sollte für den Rest des Jahrhunderts den Markt dominieren. Im Jahr 1873 lieferte er dem U. S. Naval Observatory in Washington den neuen Re­ kordhalter: einen Refraktor mit 65,5-Zenti­ Stefan Binnewies meter-Objektiv und 9,9 Meter Brennweite (siehe Bild auf S. 48 unten rechts). Vier Jah­ re später machte dieses Gerät Schlagzei­ len, als Asaph Hall damit die Marsmonde Phobos und Dei­mos entdeckte. Das her­ vorragende Teleskop wurde hauptsächlich Ein schlanker Riese: der 76,9-Zentimeter-Refraktor der Sternwarte Nizza mit zur Positionsbestimmung von Planeten, 17,9 Meter Brennweite. Die Optik stammt von den Brüdern Henry. Monden und Doppelsternen benutzt. Das Gerät ist heute noch intakt. Nicht nur der Neid der Europäer hielt die Entwicklung in Gang, auch die inner­ amerikanische Konkurrenz schlief nicht. Dies führte zum Bau eines weiteren Clark-Refraktors, der den 26-Zöller des U. S. Naval Observatory um 1,3 Zentimeter übertreffen sollte. Bereits 1870 hatte der Chicagoer Industrielle Leander McCor­ mick die Idee, den weltgrößten Refraktor aufzustellen. Doch es vergingen noch einige Jahre, bis er der University of Vir­ ginia in Charlottesville Mittel für eine Sternwarte zur Verfügung stellte. Der Bau verzögerte sich durch allerlei Probleme, so dass schon vor dessen Vollendung ein 58-Zentimeter-Refraktor am Halsted Ob­ servatory, Prince­ton, in Betrieb ging. Doch damit nicht genug: Als McCormicks Gerät auf dem 260 Meter hohen Mt. Jefferson im April 1885 endlich erstes Licht sah, waren in Wien und Pulkowo bereits zwei größere Instrumente in Betrieb gegangen. Der europäische Dreikampf Wien hatte den Titel des weltgrößten Re­ fraktors durch einen von Grubb gebauten 27-Zöller mit 10,5 Meter Brennweite 1883 nach Europa zurückgeholt. Der 68,6-Zen­ timeter-Refraktor thront seitdem in einer Stefan Binnewies 14-Meter-Kuppel auf dem mächtigen Ge­ bäude der Universitätssternwarte an der Türkenschanze (siehe Bild auf S. 45). Die Freude in Wien währte indes nur eineinhalb Jahre, dann gab es einen neu­ en Spitzenreiter. Otto Struve hatte für die Der 36-Zoll-Refraktor des Lick Observatory wurde mit privaten Mitteln Sternwarte in Pulkowo bei Alvan Clark & erbaut. Erst 1888, zwölf Jahre nach dem Tod des Stifters James Lick, wurde Sons einen imposanten 76,2-Zentimeter- der Bau der Sternwarte auf dem Mt. Hamilton in Kalifornien vollendet. www.astronomie-heute.de August 2011 49 63 Nach wie vor der Rekordhalter: der Yerkes-Refraktor mit 1,02 Meter Öffnung. Die Brennweite beträgt 19,8 Meter, die beweglichen Teile wiegen 20 Tonnen. Refraktor mit 13,7 Meter Brennweite in Auftrag gegeben. Im Jahr 1884 ging das Gerät in einem zylinderförmigen Schutz­ bau in Betrieb. Die Montierung stammte von der Hamburger Firma Repsold. Der alte »Merz« musste nun weichen und wur­ de (ohne Objektiv) verkauft. Das Fernrohr stand später im Deutschen Museum in München, bis es dort Ende 1944 durch alli­ ierte Bomber zerstört wurde. Noch schlim­ mer erging es der Sternwarte Pulkowo: Sie wurde 1942/43 während der deutschen Belagerung von Leningrad verwüstet. Im Jahr 1887 machte ein neuer Standort von sich reden: der 360 Meter hohe Mont Gros nahe Nizza. Das Observatorium war ein Geschenk des Industriellen Raphaël Bischoffsheim. Auch er träumte vom welt­ größten Refraktor. Diesmal gelang das Vor­ haben: Mit dem 76,9 Zentimeter-Objektiv Stefan Binnewies der Brüder Paul und Prosper Henry wurde Pulkowo um 7 Millimeter geschlagen (siehe Bild S. 49 oben). Nizza lag auch mit einer Brennweite von 17,9 Metern vorn, und die von Gustave Eiffel konstruierte Kuppel übertraf mit 26 Meter Durchmes­ ser und 95 Tonnen Masse alles bisher da Gewesene. Sie war nicht wie sonst üblich auf Rollen gelagert, sondern schwamm in einer kreisförmigen Wanne. Mittlerweile ist das Instrument mitsamt dem neo­ klassizistischen Gebäude renoviert; die schwimmende Kuppel wurde auf Rollen gesetzt. Denkmäler für die Ewigkeit Während die Messlatte in Europa nun auf 76,9 Zentimeter gelegt worden war, holten die USA zum finalen Gegenschlag aus. Die entscheidende Rolle spielten dabei wiede­ rum finanzkräftige Privatpersonen. Es kam zunehmend in Mode, sich mit einem großen Teleskop ein Denkmal zu setzen. So stiftete der durch Grundbesitz reich gewordene James Lick fast sein ge­ samtes Vermögen, um den weltgrößten Refraktor auf einem möglichst hohen Bernd Brinkmann Der größte Doppelrefraktor steht in Meudon bei Paris. Die beiden Teleskope sind übereinander in einem kastenförmigen Tubus untergebracht. 50 August 2011 Sterne und Weltraum 64 Berg zu errichten. Nach seinem Tod im Jahr 1876 dauerte es aber noch zwölf Jahre, ehe das ehrgeizige Projekt Realität wurde. Dann stand ein 91,4-Zentimeter-Refraktor auf dem 1283 Meter hohen Mt. Hamilton bei San José in Kalifornien (siehe Bild S. 49 unten). Das Lick Observatory war die erste echte Bergsternwarte. Der 36-Zöller mit 17,4 Meter Brennweite ist in einer 18,3-Me­ ter-Kuppel untergebracht. Die zehn Meter hohe Säule, welche die schwere deutsche Montierung trägt, dient zugleich als Grab­ stätte. An ihrem Sockel findet sich die In­ schrift »Here lies the body of James Lick«. Der Standort mit seiner transparenten, ruhigen Luft und fast 300 klaren Näch­ ten im Jahr ließ spektakuläre Ergebnisse erwarten. Und tatsächlich entdeckte im Jahr 1892 Edward E. Barnard den fünften Jupitermond (Amalthea). Zusammen mit Sherbourne W. Burnham beobachtete Bar­ nard Planeten, Doppelsterne und Nebel. Leider kam es zum erbitterten Streit mit dem autoritären Direktor Edward Holden. Burnham und Barnard verließen deshalb schweren Herzens das Lick Obser­ vatory. Sie hatten bereits ein neues Ziel: Williams Bay in Wisconsin, 140 Kilometer nordwestlich von Chicago. Kein besonders Rainer Sparenberg guter Standort, aber offenbar der geeig­ nete Platz für ein neues Denkmal, dieses Mal errichtet zu Ehren von Charles Yerkes. Der schwerreiche Transportunternehmer hatte sich in den Kopf gesetzt, Lick noch zu übertreffen. Es ist das Verdienst von George Ellery Hale, dass mit dem Geld, Die deutsche Antwort auf Meudon: der »Große Refraktor« in Potsdam. Im welches Yerkes der University of Chicago Jahr 1899 errichtet, wurde das Instrument 2005 umfassend renoviert. zur Verfügung stellte, ein monumentales Observatorium errichtet werden konnte. Bereits im Jahr 1893 wurde das Teleskop auf der Chicagoer Weltausstellung präsen­ die Festbeleuchtung bei der Eröffnung der deren Konstruktionen neue Bestmarken Weltausstellung in Chicago ein. zu setzen. Hier ist vor allem der Doppel­ tiert – noch ohne Objektiv. Das lieferten Doch der monströse Yerkes-Refraktor refraktor zu nennen, bestehend aus visuell zwei Jahre später Alvan Clark & Sons. Es war bereits zur Jahrhundertwende ein und fotografisch korrigierten Objektiven übertraf erstmals die Ein-Meter-Marke Auslaufmodell. Sowohl seine Konstruk­ mit unterschiedlichen Öffnungen, aber und wog 500 Kilogramm. Die Daten des tion als auch der Standort in nur 334 Me­ ähnlichen Brennweiten. Der visuelle Teil Instruments sind beeindruckend: 102 Zen­ ter Höhe waren nicht mehr zeitgemäß. dient dabei als Leitrohr zum Nachführen. timeter Öffnung, 19,8 Meter Brennweite, Die neue Astrophysik verlangte nach Im Jahr 1891 schufen die Brüder Henry 20 Tonnen Masse der beweglichen Teile lichtstarken Reflektoren auf hohen Ber­ zusammen mit dem Instrumentenbauer (siehe Bild S. 50 oben). gen – und Hale lieferte sie. Er schuf nach­ Paul Gautier in dieser Gattung das Maß Leider hatte der Yerkes-Refraktor kei­ einander das Mount Wilson Observatory der Dinge: das Teleskop in Meudon bei Pa­ nen guten Start: Kurz nach der Einwei­ mit einem 2,5-Meter-Spiegel (finanziert ris. Die Objektive haben Durchmesser von hung im Jahr 1897 rissen die Halteseile von John Hooker und seit 1917 aktiv) und 83 Zentimeter (visuell) und 62 Zentimeter des Kuppelbodens, der krachend in die das Mount Palomar Observatory mit dem (fotografisch); die Brennweiten betragen Tiefe stürzte. Zum Glück wurde niemand legendären Fünf-Meter-Reflektor, der 1948 16,2 beziehungsweise 15,9 Meter. Die in verletzt. Im Jahr 1933 erregte der 40-Zöl­ in Betrieb ging. Er trägt Hales Namen. einem kastenförmigen Tubus zusam­ ler erneut Aufsehen: Das Licht des Sterns Mit einem Durchmesser von etwa mengefügten Fernrohre werden von einer Arktur wurde auf eine Fotozelle gelenkt, einem Meter war die Obergrenze für Re­ deutschen Montierung getragen (siehe und der dadurch erzeugte Strom schaltete fraktoren erreicht. Nun galt es, mit beson­ Bild S. 50 unten). www.astronomie-heute.de August 2011 51 65 Im Jahr 1899 ging ein vergleichbarer Doppelrefraktor am neuen Astrophy­ sikalischen Observatorium Potsdam in Betrieb. Kaiser Wilhelm II. kam persönlich zur Einweihung. Die Daten sind beein­ druckend: Objektivdurchmesser 80 Zen­ timeter (fotografisch) und 50 Zentimeter (visuell) bei jeweils 12,2 Meter Brennweite (siehe Bild S. 51). Die Optik wurde von Steinheil gefertigt, die deutsche Montie­ rung von Repsold. Seit 2005 ist der »Große Refraktor« vollständig renoviert (siehe SuW 4/2008, S. 52). Leider erfüllte das dunkelgrün lackierte Monstrum nicht die Erwartungen der Astrophysiker. Mehrfach mussten beide Objektive nachgeschliffen werden. Ein weiteres Problem war der Standort auf dem nur 96 Meter hohen Telegrafenberg. Licht- und Luftverschmutzung vereitelten regelmäßige Beobachtungen. Mit den gleichen Problemen hatte auch das nur zehn Kilometer südwestlich von Paris auf 165 Meter Höhe gelegene Observatorium Meudon zu kämpfen. Der Potsdamer Refraktor ist das größte deutsche Linsenfernrohr. Eine in etwa vergleichbare Größe besaß nur noch das Treptower »Kanonenrohr« mit 21 Meter Stefan Binnewies Brennweite (siehe Bild links). Der kup­ pellose Refraktor mit einer Öffnung von 68 Zentimetern war die Hauptattraktion der Berliner Gewerbeausstellung von 1897. Das von Steinheil und Hoppe ge­ Mit 21 Meter Brennweite immer noch der längste Refraktor der Welt: das baute 160 Tonnen schwere Gerät ist heute »Kanonenrohr« der Archenhold-Sternwarte in Berlin-Treptow. Teil der Archenhold-Sternwarte. Nachzügler des 20. Jahrhunderts Die Pariser Weltausstellung im Jahr 1900 sollte zum Ruhm der Grande Nation etwas Besonderes bieten: ein Linsenfernrohr, das alle anderen übertreffen sollte. Schon angesichts des schlechten Standorts war dies ein kühner Plan, doch die Ausmaße ließen das Projekt zu einer teuren Eintags­ fliege ohne wissenschaftlichen Nutzen werden (siehe Bild links und SuW 12/1978, S. 403). Das Objektiv mit 1,25 Meter Durchmes­ ser wog 1,8 Tonnen. Schon beim YerkesArchiv Wolfgang Steinicke Refraktor hatten sich die gewichtsbedingte Deformation des Objektivs und eine da­ mit einhergehende Verschlechterung der optischen Eigenschaften störend bemerk­ bar gemacht. Deshalb entschied man sich in Paris für einen in Nord-Süd-Richtung orientierten Horizontalrefraktor – ange­ Nur zum Anschauen, nicht zum Durchschauen geeignet: der Horizontal­ sichts der Brennweite von 57 Metern blieb refraktor mit 1,25 Meter Öffnung während der Pariser Weltausstellung auch keine andere Wahl! 52 August 2011 Sterne und Weltraum 66 (identisch mit Pulkowo) sowie 14,4 Meter Brennweite und dient heute noch der As­ trometrie. Die letzten großen (klassischen) Refraktoren gingen 1972 in Betrieb. Sie stehen am Hida Observatory in Japan und Wolfgang Steinicke ist auf dem Llano del Hato in Venezuela. Es Physiker, Autor und seit sind Standardgeräte von Zeiss mit 65 Zen­ 40 Jahren Amateurastro- timeter Öffnung und 10,5 Meter Brenn­ nom. Seine Schwerpunkte weite. Das Besondere am venezolanischen sind die Geschichte der Refraktor: Mit 3600 Meter Höhe ist er der Astronomie, insbesondere weltweit Höchstgelegene. Ein trauriges Schicksal erlitt das von die Entdeckungen der Nebel und Sternhaufen im 19. Jahrhundert, sowie die Grubb gebaute Yale-Columbia-Telescope visuelle Deep-Sky-Beobachtung. Er leitet die (66 Zentimeter Öffnung, 10,6 Meter Brenn­ VdS-Fachgruppe »Geschichte« und ist Mitglied weite): 1925 in Johannisburg aufgestellt, der Royal Astronomical Society. Rainer Sparenberg kam es 1952 zum australischen Mount Stromlo Observatory, wo es im Januar 2003 Stefan Binnewies, Inter- zusammen mit fünf weiteren Geräten von nist und Pneumologe, ist in einem Buschfeuer zerstört wurde. freier Arztpraxis tätig. Seit Um ein Haar wäre der Yerkes-Refraktor 30 Jahren ist er begeisterter im Jahr 1928 übertroffen worden. Russ­ Amateur­astronom mit land hatte bei der Firma Grubb einen den Schwerpunkten Astro­ 41-Zöller für die Pulkowo-Außenstelle in fotografie und Finsternisex- Das zweitgrößte Linsenfernrohr der Welt: Simeis auf der Krim bestellt. Nachdem kursionen. Zusätzlich arbeitete er an mehreren das 20 Meter hohe Swedish Solar Telescope bereits Montierung und Kuppel fertigge­ astronomischen Buchprojekten mit. auf La Palma stellt waren (mittlerweile vom Nachfolger Grubb-Parsons), wiesen die Russen die Für Himmelsbeobachtungen beiden Glasrohlinge mit je 105 Zentimeter Literaturhinweise Gussmann, E.-A., Kühn, G.: Der wieder­ erstandene Große Refraktor. Neuer lenkte Durchmesser als mangelhaft zurück. Das ein ebener Spiegel, ein Coelostat, mit zwei Projekt wurde gestoppt, und Yerkes be­ Meter Durchmesser das Sternenlicht in hielt seinen Titel. das waagrecht liegende Teleskop. Selbst Im Jahr 2002 bekam der Yerkes-Refrak­ der Okularauszug war überdimensional tor auf seine alten Tage noch einmal un­ und musste auf Schienen bewegt werden. erwartet Konkurrenz – in Gestalt des Swe­ Beobachtungen waren schwierig und dish Solar Telescope (SST) auf dem über entsprechend selten. Selbst bei der Mi­ 2400 Meter hohen Roque de los Mucha­ nimalvergrößerung von 500-fach betrug chos der Kanareninsel La Palma (siehe Bild das Gesichtsfeld nur drei Bogenminuten. oben). Das Objektiv ist mit 107 Zentimeter Die Projektion des Mars auf eine 400 Qua­ Durchmesser sogar größer; die genutzte dratmeter große Leinwand erwies sich als Öffnung beträgt aber nur 97 Zentimeter – Fehlschlag. Nach Ende der Ausstellung immerhin mehr als beim Lick-Refraktor. fand das Riesenteleskop keinen Käufer Gleichwohl kann von einer Renais­ und wurde demontiert; Objektiv und sance des Refraktors keine Rede sein. Die Planspiegel kamen in die Pariser Stern­ Zukunft gehört azimutalen Reflektoren, warte. Seitdem ist der Yerkes-Refraktor wie dem geplanten European Extremely- wieder die Nummer eins in der Welt. Large Telescope mit einem 39-Meter-Spie­ Obwohl weltweit Reflektoren die Ober­ gel, das Ende dieses Jahrzehnts in Betrieb hand gewannen, wurden auch im 20. Jahr­ gehen soll. Die verbliebenen und zum Teil hundert vereinzelt große Linsenfernrohre noch wissenschaftlich arbeitenden groß­ gebaut. Im Jahr 1912 bekam die neue en Refraktoren haben indes nichts von Sternwarte einen ihrer Faszination verloren. Rund 40 Ge­ 60-Zentimeter-Refraktor von Steinheil / räte haben Öffnungen von 50 Zentimeter Repsold. Nach seiner Renovierung strahlt und mehr, sieben davon übertreffen die das zehn Meter lange Gerät heute wieder 70-Zentimeter-Marke. Der Besucher steht in altem Glanz. vor eindrucksvollen Relikten einer bedeu­ Hamburg-Bergedorf Im Jahr 1914 wurde am Allegheny tenden Epoche der Astronomie. In Pots­ Observatory in Pittsburgh der von John dam, Treptow, Wien, Meudon, Nizza oder Brashear gefertigte Thaw-Refraktor aufge­ am Lick und Yerkes Observatory kann sich stellt. Er besitzt 76,2 Zentimeter Öffnung jeder selbst davon überzeugen. www.astronomie-heute.de Glanz auf dem Potsdamer Telegrafenberg. In: Sterne und Weltraum 4/2008, S. 52 – 55 Hartl, G.: Der Refraktor der Sternwarte Pulkowa. In: Sterne und Weltraum 7–8/1987, S. 397 – 404 King, H.: The History of the Telescope. Dover Publications, New York 1979 Müürsepp, P.: Die alte Sternwarte Tartu. In: Sterne und Weltraum 6/1966, S. 129 – 131 Oberndorfer, H.: Ein Fernrohr-Unikum. In: Sterne und Weltraum 12/1978, S. 403 – 404 Riekher, R.: Fernrohre und ihre Meister. VEB Verlag Technik, Leipzig 1957 Steinicke, W.: Nebel und Sternhaufen. Geschichte ihrer Entdeckung, Beob­ achtung und Katalogisierung – von Herschel bis zu Dreyers »New General Catalogue«. Books on Demand, Norder­ stedt 2009 Steinicke, W., Binnewies, S.: Sternwarten. 95 astronomische Observatorien in aller Welt. Oculum Verlag, Erlangen 2008 www.klima-luft.de/steinicke Kataloge, Geschichte und visuelle Beob­ achtung von Deep-Sky-Objekten August 2011 53 67 Welt der Wissenschaft: Aufbau der Galaxis Die Sterne dieser lockeren Gruppe sind erst kürzlich aus einer dichten Wolke aus Gas und Staub entstanden. Die heißesten unter ihnen haben mit ihrer Strahlung und ihrem Wind die Reste der Wolke aufgelöst. Die gemeinsame Bewegung der Sterne im Raum bezeugt ihren gemeinsamen Ursprung. Das Gebilde ist ein »offener Sternhaufen«, seine offizielle Bezeichnung ist NGC 4755, und sein glitzernder Anblick hat ihm den Namen »Schatzkästlein« eingebracht. Er ist nur zehn Millionen Jahre alt, seine Entfernung beträgt knapp 2000 Parsec oder 6600 Lichtjahre. In Kürze ó Sterne entstehen in Haufen oder Gruppen entlang der Spiralarme unserer Galaxis. Die Haufen sind zunächst in dichte Wolken aus Staub und Gas eingebettet. ó Wenn die heißesten Mitglieder mit ihrer Strahlung und ihren Winden die Umgebung leer gefegt haben, werden die offenen Sternhaufen sichtbar und bieten oft ein herrliches Schauspiel. ó Offene Sternhaufen leben nicht lange – im Mittel etwa 300 Millionen Jahre. Danach werden sie schnell von den Gezeitenkräften der Milchstraße »aufgerieben«, und ihre Mitglieder im weiten Umfeld zerstreut. 30 August 2011 Sterne und Weltraum 68 Offene Sternhaufen Bausteine der Milchstraße ESO Eine Bestandsaufnahme der offenen Sternhaufen in der weiteren Sonnen­umbebung hat gezeigt, dass es heute in der galaktischen Scheibe etwa 100 000 Exemplare gibt, und dass rund 40 Prozent aller Sterne der Scheibe ihre Jugend in solchen Haufen verbringen. Die anderen 60 Prozent bilden sich in »eingebetteten Haufen«, die sich bereits tief im Innern der Molekülwolken auflösen, aus denen sie entstanden sind. www.astronomie-heute.de August 2011 31 69 Von Siegfried Röser und Elena Schilbach mit Fug und Recht als Bausteine unserer D Aussage ergab sich aus der Analyse einer ie offenen Sternhaufen gehö­ umfassenden Stichprobe naher offener ren zu den beliebtesten Beob­ Sternhaufen, die wir im letzten Jahrzehnt achtungsobjekten am Nacht­ durchgeführt haben und von der im Fol­ himmel. Sind sie bloß schöne genden die Rede ist. Episoden im weiten Feld der Galaxis, oder Sternhaufen – wichtige Entfernungsindikatoren Galaxis zu bezeichnen. Diese quantitative D ie Bestimmung von Entfernungen im Weltall ist eine grundlegende Aufgabe, die sich den Astronomen immer wieder stellt. Ohne deren Kenntnis Aufbau und Entwicklung des Milchstra­ Lockere Ansammlungen mit Gruppendynamik ßensystems? Das Band der Milchstraße zieht sich in zu verstehen. Die trigonometrische Aus zwei Gründen ist ihr Studium von einem Großkreis über den Himmel. Es Entfernungsbestimmung ist der erste großer Bedeutung: Da alle ihre Mitglieder ist die Heimat der offenen Sternhaufen, Schritt ins Weltall, aber ihre Reichweite praktisch gleichzeitig entstanden sind die, im Gegensatz zu den Kugelstern­ ist durch den Durchmesser der Erdbahn und die gleiche chemische Zusammenset­ haufen, stark zur Ebene der Galaxis hin um die Sonne und die Genauigkeit der zung haben, sind sie ein natürliches Labor, konzentriert sind. Die Skalenhöhe ihrer Messinstrumente begrenzt. Daher konn- in dem sich Theorien zur Entstehung und Verteilung – das ist die Höhe über der te selbst Hipparcos, der astrometrische Entwicklung der Sterne prüfen lassen; galaktischen Ebene, bei der die Zahl der Satellit der ESA, nur Entfernungen bis und während man früher annahm, dass Haufen im Vergleich zum galaktischen etwa 150 Parsec mit einer Genauigkeit offene Sternhaufen nur weniger als zehn Äquator um den Faktor 1/e ≈ 0,37 gesun­ von besser als zehn Prozent bestimmen. Prozent zur stellaren Population der dün­ ken ist – beträgt nur etwa 50 Parsec. Die Mit einem anderen Verfahren, der nen Scheibe des Milchstraßensystems bei­ Scheibe, in der sich die Population der »Hauptreihenanpassung«, lässt sich die tragen, wissen wir heute, dass die galak­ offenen Sternhaufen befindet, ist somit Entfernungsbestimmung der offenen tische Scheibe zu etwa 40 Prozent aus den als sehr dünn zu bezeichnen, selbst wenn Sternhaufen auf mehrere tausend Parsec Zerfallsprodukten aller jemals gebildeten man ihren Radius nur mit dem Abstand ausdehnen. Die Methode beruht auf offenen Sternhaufen besteht. Sie sind also der Sonne vom Galaktischen Zentrum, theoretischen Entwicklungsmodellen, erfüllen sie eine wichtige Funktion bei wäre zum Beispiel die Energieerzeugung der Sonne und der Sterne nicht die für jeden Stern gegebenen Alters, gegebener Masse und chemischer Zusammensetzung dessen Leuchtkraft und effektive Temperatur liefern. Daraus lassen sich über die Kenntnis des Aufbaus der Sternatmosphären für verschiedene Metallhäufigkeiten die zugehörigen absoluten Helligkeiten und Farben berechnen. Trägt man im Farben-Helligkeits-Diagramm (FHD) eines neugeborenen Haufens die Farben und Helligkeiten seiner Mitglieder unter- A Sonne schiedlicher Masse ein, so kommen sie alle auf der Alter-Null-Hauptreihe zu liegen – die massereichen links oben (hell und heiß), die massearmen rechts unten (lichtschwach und kühl. Später, nach Jahrmillionen der Entwicklung, bilden die Haufenmit- galaktisches Zentrum 1000 Parsec S. Röser, E. Schilbach glieder eine so genannte Isochrone (Linie gleichen Alters, siehe Bild oben). Solche Isochronen wurden für Sternhaufen beliebigen Alters berechnet. Die für Sternhaufen verschiedenen Alters berechneten Isochronen unterscheiden sich in der absoluten Helligkeit und So verteilen sich die 650 offenen Sternhaufen der in diesem Artikel vorgestell- im Farbindex, bei denen sie von der ten Untersuchung auf die galaktische Ebene. Jeder Punkt stellt einen Haufen Alter-Null-Hauptreihe abweichen. Das dar und hat etwa dessen gemessene Farbe. Die jüngsten Haufen, in denen höhere Alter bewirkt ein Abknicken der noch Sterne der Spektralklassen O und B leuchten, sind als blaue Punkte Isochrone bei geringerer Helligkeit (oder dar­gestellt, ihre Verteilung folgt dem Verlauf der galaktischen Spiralarme in geringerer Masse) und größerem Farbin- der weiteren Sonnenumgebung. Der Pfeil weist zum Galaktischen Zentrum dex (oder geringerer Temperatur). hin, die galaktische Rotation um das Zentrum verläuft im Uhrzeigersinn. 32 August 2011 Sterne und Weltraum 70 Alter-Null-Hauptreihe Modelle zuverlässig sind. Die Modellparameter müssen zu Anfang Alter: mit Hilfe naher Sternhaufen kalibriert werden, für die möglichst genaue trigonometrische Parallaxen vorliegen. Wie problematisch 10 Mio. Jahre das sein kann, zeigt der Streit um die Entfernung der Plejaden. Der Streit brach nach den Beobachtungen des Hipparcos-Satelliten der ESA zwischen Astrometern und theoretischen Astrophy- 100 Mio. Jahre 1000 Mio. Jahre 0 5 10 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 Farbe B–V In diesem Farben-Helligkeits-Diagramm sind die Alter-NullHauptreihe (schwarz) sowie die berechneten Isochronen (Linien gleichen Alters) für 10, 100 und 1000 Millionen Jahre alte Sterne dargestellt. Zum Beispiel liegen auf der blauen Kurve (Alter zehn Millionen Jahre) Sterne mit 0,4 Sonnenmassen bei MV = 10 mag, Sterne mit einer Sonnenmasse bei MV = 4,82 mag und Sterne mit 20 Sonnenmassen am oberen Ende der Kurve. Aus fotometrischen Beobachtungen erhalten wir scheinbare Helligkeiten und Farben (zum Beispiel V und B – V) für Haufenmit- sikern aus. Hipparcos hatte die trigonometrischen Parallaxen der Plejaden gemessen, woraus sich deren Entfernung zu 120,2 ± 1,9 Parsec ergab. Andererseits hatte die Anpassung der Hauptreihe The Padua Group / Girardi, Marigo et al. / SuW-Grafik absolute Helligkeit MV in mag -5 an theoretische Isochronen im Farben-Helligkeits-Dia­gramm stets mindestens 131,8 ± 2 Parsec ergeben. Die Differenz von mehr als elf Parsec lässt sich durch die jeweiligen Messfehler nicht erklären. Wir hoffen nun, dass die bevorstehende astrometrische Gaia-Mission der ESA diese Diskrepanz auflösen wird. A. Sandage / SuW-Grafik -8 NGC2362 h + c Persei -4 Plejaden (120) M3 M 41 -2 M 41 M 11 0 M 11 Coma Hyaden (650) Praesepe 2 NGC752 M 67 (2500) NGC188 H+P 752 4 glieder. Die gemessene Sequenz ist gegenüber der für absolute Sonne Helligkeiten berechneten, theoretischen Isochrone um einen festen Betrag senkrecht im FHD verschoben, und zwar um den Entfernungsmodul V – MV (die Differenz der scheinbaren und der h + c Persei (1,2) -6 absolute visuelle Helligkeit MV in mag -10 6 absoluten Helligkeit in Größenklassen). Die Entfernung R ergibt sich daraus im Prinzip einfach, und zwar nach der Beziehung V – MV = 5 log R – 5. 8 -0,4 0 0,4 0,8 1,2 1,6 Die Wirklichkeit ist jedoch komplizierter, da gleichzeitig auch in- Dieses Farben-Helligkeits-Diagramm zeigt die Lage der Sterne terstellare Verfärbung und Extinktion bestimmt werden müssen. verschiedener offener Sternhaufen sowie des Kugelhaufens M 3. Dies verursacht eine waagerechte und zusätzlich eine senkrechte Rechts unten liegen kühle, massearme, links oben heiße, masse- Verschiebung der empirischen Sequenz gegenüber der theore- reiche Sterne. Alle Sterne eines Haufens haben das gleiche Alter tischen Isochrone im FHD. und liegen auf der diesem Alter entsprechenden Isochronen. Aus Es kommt hinzu, dass das Alter eines untersuchten Hau- 2,0 Farbe B–V dem Abknickpunkt ihrer Isochronen von der Alter-Null-Hauptreihe fens zunächst nicht bekannt ist. Deshalb vergleicht man alle weg, besser noch aus der Lage des Knies lässt sich durch den möglichen Isochronen mit den Beobachtungen, bis die beste Vergleich mit theoretischen Isochronen das Alter der Haufen und Übereinstimmung gefunden ist. Die Methode liefert recht gute ihre Entfernung ermitteln. Für einige Haufen ist in Klammern das Abschätzungen für Entfernung, Alter und interstellare Verfärbung so ermittelte Alter (in Millionen Jahren) angegeben: Es variiert der Sternhaufen. Voraussetzung ist jedoch, dass die theoretischen zwischen 1,2 und 2500 Millionen Jahren. www.astronomie-heute.de August 2011 33 71 etwa 8500 Parsec, gleichsetzt. (Ein Parsec ist die Entfernung, aus welcher der mittle­ re Radius der Erdbahn um die Sonne – die Astronomische Einheit – unter dem Win­ kel von einer Bogensekunde erscheint; sie entspricht etwa 3,26 Lichtjahren.) Anders als Kugelsternhaufen erschei­ nen offene Haufen als lockere, unregelmä­ ßige Ansammlungen von Sternen und mit weniger Mitgliedern, so dass es manch­ mal schwierig ist, sie vom allgemeinen Sternfeld zu trennen. Aber alle Mitglieder eines offenen Haufens sind am gleichen Ort und zur gleichen Zeit entstanden und erinnern sich während ihres gesamten Sternenlebens an ihre Geburt: Sie alle ... ó sind gleich weit von der Erde entfernt, ó haben die gleiche chemische Zusam­ mensetzung, ó sind gleich alt und ó bewegen sich mit annähernd gleicher ESO Geschwindigkeit durch den Raum. Das dynamische Verhalten der Haufen­ mitglieder bewirkt, dass sie für einige Zeit zusammenbleiben. Schließlich Der junge offene Sternhaufen NGC 3603 enthält neben mehr als 50 hellen jedoch und massereichen O-Sternen mit insgesamt mindestens 1000 Sonnenmas- wer­den sie von den Gezeitenkräften der Milchstraße auseinandergetrieben. Wir sen auch zahlreiche Sterne, deren Masse geringer ist als diejenige der Sonne. kennen deshalb keine offenen Sternhau­ Alle Mitglieder sind innerhalb der letzten Million Jahre aus einer riesigen fen, die so alt wären wie die galaktische Gas- und Staubwolke entstanden. Das Bild ist ein Komposit aus Aufnahmen in den Wellenlängenbereichen J, H und Ks im nahen Infrarot, das den Staub Scheibe selbst. durchdringt und auch Sterne im Inneren der Wolke sichtbar macht. Betrachten wir die Verteilung der 650 von uns untersuchten offenen Stern­ haufen in der Sonnenumgebung, pro­ jiziert auf die galaktische Ebene (siehe Bild auf S. 32). Ein solches Bild würden Astronomen in der »Black-Eye-Galaxie« M 64 erhalten, sollten sie mit ihrem Weltraumteleskop unser Milchstraßen­ system beobachten. Diese Galaxie steht senkrecht über der Ebene unserer Gala­ xis, und sie ist so weit von uns entfernt, dass das Bild gerade einer Aufnahme des Weltraumteleskops Hubble mit der ACSKamera entsprechen würde. Die Darstel­ lung zeigt, dass die jüngsten und hellsten offenen Sternhaufen die Spiralstruktur des Milchstraßensystems nachzeichnen. Dies hängt damit zusammen, dass Sterne bevorzugt in Spiralarmen entstehen. Auch die jüngsten, massereichen Sterne der Spektralklassen O und B zeich­ nen die Spiralstruktur nach, allerdings nicht in der gleichen Klarheit. Denn ihre Entfernung lässt sich weniger genau be­ haufen. Deshalb haben die offenen Hau­ fen große Bedeutung für die Bestimmung astronomischer Entfernungen Kasten auf S. 32/33). 34 August 2011 (siehe NASA / ESA / HST stimmen als diejenige der offenen Stern­ Sterne und Weltraum 72 Viele eingebettete Sternhaufen lösen sich schon sehr früh auf Charles und Elizabeth Lada haben sich gung steckende Energie der Sterne halb besonders für die Gesamtmassen der so groß ist wie ihre potenzielle, durch die Sterne entstehen in Gruppen oder Hau­ eingebetteten Haufen interessiert. Die Be­ vorhandene Masse und deren Verteilung fen im Innern von dichten, mit Staub stimmung der Massen ganzer Sternhau­ bestimmte Energie. Die erforderlichen angereicherten Molekülwolken. Folglich fen ist kompliziert, und unterschiedliche Beobachtungen sind kompliziert und feh­ sind solche Sternentstehungsgebiete im Methoden führen oft zu widersprüch­ leranfällig. Bei eingebetteten Haufen wird sichtbaren Licht durch die diffuse Materie lichen Ergebnissen. Am einfachsten wäre die Massenbestimmung zusätzlich durch in ihrer Umgebung weit gehend verhüllt. es, alle Mitglieder eines Sternhaufens die Extinktion erschwert. Charles und Eli­ Infrarotes Licht hingegen wird durch zu zählen,und jedem einzelnen entspre­ zabeth Lada haben die vorhandenen Daten das Gas und den Staub weit weniger ge­ chend seiner Helligkeit eine Masse zuzu­ aus der Literatur zusammengestellt, die schwächt, so dass Aufnahmen in diesem ordnen. Die Addition der Einzelmassen Haufenmitglieder gezählt, ihre Massen Wellenlängenbereich den Blick auf gerade ergäbe dann die Gesamtmasse. Allerdings bestimmt, zu kleineren Sternmassen ex­ entstehende Sternhaufen gestatten (siehe lassen sich die Sterne nur bis zu einer be­ trapoliert und damit die in der Grafik auf die Bilder links und unten). stimmten Grenzhelligkeit erkennen, und S. 36 oben dargestellte Massenfunktion Junge Sterne sind zunächst noch in die man muss extrapolieren, wie viele schwä­ der ein­gebetteten Sternhaufen abgeleitet. Gas- und Staubwolken eingebettet, aus de­ chere Sterne es zusätzlich gibt. Die­se Ex­ Sie gibt an, wie viele Haufen der Masse M nen sie kürzlich entstanden sind. Vor eini­ trapolation ist unsicher. Alternativ nutzt in den einzelnen Massenintervallen dM gen Jahren haben die US-amerikanischen man die Tatsache, dass die Sternhaufen vorhanden sind. Astronomen den Charles und Elizabeth Gezeitenkräften der Milchstraße Wie aus dieser Grafik ersichtlich, liegen Lada eine umfassende Sammlung von ausgesetzt sind. Die am Rand eines Hau­ die Massen eingebetteter Sternhaufen im Messungen an solchen »eingebetteten fens liegenden Sterne sind gerade noch Bereich zwischen 10 und 3000 Sonnen­ Sternhaufen« zusammengestellt, als de­ durch Gravitation an ihn gebunden und massen, und die Verteilung folgt in die­ ren Prototyp der unten zweimal gezeigte können nicht entweichen. Deshalb lässt innere Teil des Orionnebels gilt: Während sich aus der Größe des Haufens auf seine sem Bereich einem Potenzgesetz der Form n(M) = Ma dM mit dem Exponenten im Optischen wenig mehr als die vier Masse schließen; die so bestimmten Mas­ a = –1,7. Ein Exponent mit dem Wert a = –2 Trapezsterne sichtbar sind, erscheint im senwerte heißen »Gezeitenmassen«, von würde bedeuten, dass jedes Massenin­ Infraroten ein Sternhaufen mit tausenden ihnen wird noch die Rede sein. tervall gleich viel zur Gesamtmasse aller Mitgliedern, von denen die ältesten we­ Auch aus der gemessenen Geschwin­ eingebetteten Sternhaufen beiträgt. Wäre nige Millionen, die jüngsten nur 500 000 digkeitsverteilung der Mitglieder lässt sich der Exponent kleiner als –2, so trügen die Jahre alt sind. Und sehr wahrscheinlich auf die Masse der Haufen schließen, da im vielen massearmen Haufen den Löwen­ entstehen dort auch heute noch Sterne. Gleichgewicht die kinetische, in der Bewe­ anteil. Der Exponent –1,7 besagt, dass die Der Orionnebel ist uns als farbenprächtiges Gebilde aus leuchtendem Gas und dunklen Staubstrukturen vertraut, denn so erscheint er im sichtbaren Licht. Nur die Trapezsterne in seiner Mitte und wenige andere sind zu erkennen, und früher kam niemand auf die Idee, dass sich in der dichten Wolke noch weitere Sterne verbergen (linkes Bild). Ganz anders als im Sichtbaren sieht die Umgebung der Trapezsterne im nahen Infrarot M. McCaughrean / ESO aus. Das infrarote Licht durchdringt die www.astronomie-heute.de vorgelagerten Staubmassen, und nun zeigt sich, dass das Trapez in Wahrheit aus den fünf hellsten Sternen eines großen Sternhaufens mit mehreren tausend Mitgliedern besteht (rechtes Bild). August 2011 35 73 wenigen massereichen 10 000 eingebetteten massen gefunden. Erst in den letzten Jah­ ren hat man einige wenige entdeckt. Alle eingebetteten Sternhaufen sind ähnlich jung wie NGC 3603 oder der Sternhaufen um das Trapez im Orionnebel, die ältesten sind nur etwa fünf Millionen Jahre alt. Die Auswertung der Sammlung von Charles und Elizabeth Lada hat gezeigt, dass in der galaktischen Scheibe die Ent­ stehungsrate der eingebetteten Sternhau­ fen pro Flächeneinheit und pro Million fen« nach Lada und Lada lässt sich durch ein Potenzgesetz mit dem Exponenten a = -1,7 darstellen. Die 100 dunkle Fläche zeigt die wenigen in den letzten Jahren gefundenen 10 massereichen 1 Sternhaufen, von denen hier die Rede sein 10 wird. Dies führte zu dem Schluss, dass betteten Sternhau- später gefundene massereiche Haufen 1000 Jahre etwa zehnmal so hoch ist wie die Entstehungsrate der klassischen offenen lung der »einge- Lada 2010 / SuW-Grafik mit Massen größer als etwa 3000 Sonnen­ Anzahl der Sternhaufen pro Massenintervall samtmasse beitragen. Interessanterweise werden kaum eingebettete Sternhaufen Die Massenvertei- Massenverteilung der »eingebetteten Sternhaufen« zu kleineren und größeren Massen extrapoliertes Potenzgesetz Sternhaufen den Hauptanteil zur Ge­ 100 1000 10 000 105 eingebetteten Sternhaufen. 106 Masse der Sternhaufen in Sonnenmassen sich etwa 90 Prozent der eingebetteten Sternhaufen schon nach wenigen Milli­ onen Jahren auflösen und somit nicht zu offenen Sternhaufen werden. Dieses Phä­ nomen wird als »Kindersterblichkeit« der eingebetteten Haufen bezeichnet. Mit den überlebenden zehn Prozent wollen wir uns in der Folge beschäftigen. Die­se Haufen haben die sie umgebende Gas- und Staubwolke im Wesentlichen ver­ loren und sind nun im sichtbaren Licht zu beobachten. Unsere Untersuchungen aus den letzten Jahren sprechen dafür, dass aus diesen zehn Prozent der eingebetteten Haufen letztlich die klassischen offenen Sternhaufen hervorgegangen sind. Klassische offene Sternhaufen Statistisch aussagefähige Ergebnisse zur gesamten Population der offenen Stern­ haufen erhält man nur, wenn man eine große Stichprobe gleicher Qualität mit wissenschaftlich überprüfbaren Metho­ den untersucht. Eingehende Untersu­ chungen einzelner Objekte wie der Pleja­ den, der Hyaden, von Praesepe oder M 67 haben ihre Bedeutung, aber das Stu­dium der Gesamtheit der offenen Sternhaufen in der galaktischen Scheibe erfordert eine größere Stichprobe. Vor einigen Jahren haben wir zu­ Die meisten hellen Sterne im Zentralteil und Potsdam mit einer systematischen der Plejaden sind Mitglieder des Untersuchung der offenen Sternhaufen Haufens, aber die beiden durch Pfeile in Sonnenumgebung begonnen. Unsere markierten Sterne stehen im Vorder- Arbeitsgrundlage war eine vollständige grund, denn ihre allzu großen Eigenbe- Himmelsdurchmusterung, bestehend aus dem Tycho-2-Katalog, der die astrome­ trischen und fotometrischen Messungen 36 August 2011 Reinhold Wittich sammen mit Kollegen in Kiew, Moskau wegungen passen nicht zu denen der Plejaden (siehe das Bild auf S. 38).). Sterne und Weltraum 74 ED-Apochromaten: NEU! 1.849,-€* 8x50 Sucher ohne Aufpreis! (nur ED 127) des Hipparcos-Satelliten sowie die Daten der Test in den allermeisten Fällen negativ des Astrographischen Katalogs aus dem aus. Jedoch fanden wir 520 Sternhau­ frühen 20. Jahrhundert enthält. Somit fen, die bereits in einer 1700 Mitglieder standen uns für 2,5 Millionen Sterne Ei­ zählenden Liste möglicher Sternhaufen genbewegungen und Fotometrie im Blau­ aufgeführt waren. Zusätzlich entdeckten en und im Visuellen zur Verfügung. wir im Tycho-2-Katalog 130 neue Stern­ Tycho-2 ist vollständig bis zur schein­ haufen, die zuvor noch nirgends ver­ baren visuellen Helligkeit V = 11,5 mag. zeichnet waren, so dass die Gesamtzahl In diesen Daten haben wir nach der der bestätigten Haufen 650 beträgt. Ihre folgenden objektiven Methode offene Verteilung in der galaktischen Ebene zeigt Sternhaufen gesucht: Am ganzen Him­ das Bild auf S. 32. Die Untersuchung der mel haben wir unseren Rechner für jeden räumlichen Verteilung unserer Stichprobe Stern heller als V = 9,5 mag prüfen lassen, ergab, dass sie bis zu einem Abstand von ob die Sterndichte in seiner Umgebung 850 Parsec von der Sonne vollständig ist. erhöht war, ob es in einer eventuellen In diesem Bereich liegen 250 offene Hau­ Dichteerhöhung weitere Sterne gleicher fen. Daraus können wir auf deren Gesamt­ Eigenbewegung gab und ob diese Sterne zahl schließen, die sich gegenwärtig in der im auf galaktischen Scheibe befinden. Es sind einer einheitlichen Isochronen lagen. Es etwa 100 000 – weitaus mehr als die Zahl gibt insgesamt etwa 250 000 Sterne heller der Kugelsternhaufen, die wohl nur einige als V = 9,5 mag, und erwartungsgemäß fiel hundert Mitglieder beträgt. Farben-Helligkeits-Diagramm Woran erkennt man die echten Haufenmitglieder? Sternhaufen fallen dadurch auf, dass an der betreffenden Stelle des Himmels die Konzentration absolut heller Sterne frühen Spektraltyps höher ist als in der ED 127 Carbon Die Carbonausführung wiegt nur 6,2kg mit Tauschutzkappe und Rohrschellen, gegenüber 9,9kg im Alutubus! Und das ohne Aufpreis! Jetzt nur: 898,-€* 979,-€* ED 80 Art.Nr.: Öffnung: Brennweite: Fotografische Blende: Auflösungsvermögen: Max. Grenzgröße: Max. sinnvolle Vergrößerung: Bildfeld im APS-C Format**: Tubuslänge (inkl. 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Umgebung; dies allein will aber noch nicht viel heißen, denn zunächst sind die Entfernungen der einzelnen Sterne ja un­ bekannt. Ein schönes Beispiel hierfür sind die Plejaden, deren Zentralteil im neben­ stehenden Bild gezeigt wird. Die beiden mit Pfeilen markierten Sterne sechster Größe sind Vordergrundsterne und ge­ stark variable Extinktion kann an einer Stelle eine höhere Sternkonzentration als in der Umgebung vortäuschen. Das erste starke Kriterium dafür, dass ein offener Sternhaufen ein einheitliches Gebilde ist, ist das kinematische – die gemeinsame Bewegung aller seiner Mit­ glieder im Raum. Dies bedeutet, dass die Radialgeschwindigkeiten und Eigenbewe­ gungen aller echten Mitglieder nur we­ nig um ihren gemeinsamen Mittelwert streuen. Über die Eigenbewegungen von Sternen gab es schon immer mehr Infor­ mation, als über deren Radialgeschwin­ digkeiten, deshalb hat man zunächst Ei­ genbewegungen von Sternen verwendet, um damit Mitglieder offener Haufen zu finden. Eigenbewegungen bestimmt man aus 100° Okulare: Brennweite: Art.Nr.: Augenabstand: Scheinb. Gesichtsfeld: Feldblende (virtuell): Optische Elemente: Gewicht: Höhe: Durchmesser: Preis: 82° Okulare: 9mm 0218409 12,5mm 100° 15,7mm 9 680g 120,0mm 59,0mm 399,- €* 14mm 0218414 14.5mm 100° 24.4mm 9 890g 123,5mm 69,0mm 439,- €* 20mm 0218420 14,4mm 100° 34,8mm 9 990g 122,5mm 69,0mm 519,- €* Brennw.: Art.Nr.: Steck Ø: Preis: 4,7mm 0218804 1¼" 159,- €* 6,7mm 0218806 1¼" 159,- €* 8,8mm 0218808 1¼" 179,- €* 11mm 0218811 1¼" 179,- €* Brennw.: Art.Nr.: Steck Ø: Preis: 14mm 0218814 1¼" 179,- €* 18mm 0218818 2" 199,- €* 24mm 0218824 2" 298,- €* 30mm 0218830 2" 329,- €* Features der 100° und 82° Okulare: Wasserdicht und stickstoffgefüllt! 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Dazu haben wir 20 Schmidt-Platten der Thüringer Landessternwarte in Tautenburg vermessen, die über einen Zeitraum von 25 Jahren aufgenommen worden waren. Das Ergebnis ist im nebenstehenden Diagramm dargestellt. Die gemessenen Eigenbewegungen zeigen zwei Konzentra­ tionen. Die allermeisten untersuchten Sterne konzentrieren sich in der Nähe des Nullpunkts – sie befinden sich in großer Entfernung im Hintergrund. Dagegen gibt die kleine Konzentration von nur etwa 750 Sternen bei (+20, -40) Millibogensekunden pro Jahr die gemeinsame Eigenbewegung der echten Plejadenmitglieder wieder. Sterne mit (den Beträgen nach) noch höheren Eigenbewegungen befinden sich im Vordergrund. 60 40 20 0 -20 -40 Schilbach et al. 1995 zur 17. Größe in einem 16 Quadratgrad großen Feld um 80 Eigenbewegung in Deklination in Millibogensekunden pro Jahr W ir haben die Eigenbewegungen von 40 000 Sternen bis -60 -80 -100 -100 -50 0 50 100 Eigenbewegung in Rektaszension in Millibogensekunden pro Jahr der Kasten oben zeigt, haben die allermei­ nen (siehe die Bilder unten rechts und den Stern. Er ist später entstanden und mas­ sten Sterne in der Umgebung der Plejaden Kasten auf Seite 32/33). sereicher, entwickelt sich schneller und nahezu verschwindende Eigenbewe­ Aufgrund der Lage der Isochrone eines erscheint uns dennoch jünger und blauer gungen – sie gehören zum Hintergrund. Haufens im Farben-Helligkeits-Diagramm als die übrigen Haufenmitglieder auf der Nur etwa 2,5 Prozent haben stark abwei­ lässt sich sowohl seine Entfernung als auch Hauptreihe. Solche Sterne werden »Blaue chende, aber einheitliche Eigenbewe­ die Größe der interstellaren Staubextink­ Nachzügler« genannt, sie liegen oberhalb gungen und sind echte Mitglieder der Ple­ tion im Vordergrund bestimmen. Dieje­ des Abknickpunkts auf der Hauptreihe, jaden. Die beiden im Bild auf S. 36/37 mit nige Isochrone, die zur beobachteten Ver­ und ihre Zahl ist im Vergleich zur Gesamt­ Pfeilen markierten Sterne liegen im Bild teilung im Farben-Helligkeits-Diagramm zahl der Haufenmitglieder sehr gering. oben weder in der Konzentration um den am besten passt, liefert das Alter des Alternativ zu dieser Erklärung könnte Nullpunkt noch bei den Plejaden, sondern Sternhaufens. Grob gesagt, ist dieses Al­ in einem engen Doppelstern von der mas­ Weil alle Mitglieder eines Haufens gemeinsam entstanden sind, dienen sie zum Test für unser Verständnis der Sterne. sereicheren, bereits zu einem Riesen ent­ wickelten Komponente Massenübertra­ gung auf die masseärmere stattgefunden haben. Letztere entwickelt sich dann als besitzen große Eigenbewegungen. Also ter durch den Punkt gegeben, an dem die müssen sie weit im Vordergrund stehen. Isochrone von der Alter-Null-Hauptreihe scheinbar jüngerer, massereicherer Stern. Weniger eindeutig als dieses dyna­ abzweigt. Auf der Alter-Null-Hauptreihe mische Kriterium für die Mitgliedschaft gehört zu diesem Punkt eine ganz be­ Die Population der Sternhaufen in unserer Umgebung ist die Forderung, dass die Mitglieder stimmte Sternmasse. Alle Sterne größerer Nachdem wir die Mitglieder der 650 Hau­ eines offenen Sternhaufens alle gleich alt Masse haben die Alter-Null-Hauptreihe fen unserer Stichprobe mit den verfüg­ sein müssen. Es könnten ja im Haufen im­ bereits verlassen, diejenigen geringerer baren Daten so gut wie möglich bestimmt mer wieder neue Sterne entstanden sein, Masse liegen noch auf ihr. Wenn, wie oben haben, wenden wir uns den integralen bis der Vorrat an Gas und Staub durch angenommen, alle Sterne eines Haufens Eigenschaften der offenen Sternhaufen in Sternbildung aufgebraucht ist. Dennoch gleichzeitig entstanden sind, dürfte es der Sonnenumgebung zu. Es geht um die können wir davon ausgehen, dass Sterne keine Mitglieder geben, die oberhalb des Fragen: Wie groß, wie massereich, wie alt in einem Haufen gleichzeitig gebildet Abknickpunkts auf der Alter-Null-Haupt­ und wie hell sind die offenen Sternhaufen werden oder zumindest innerhalb eines reihe liegen. Auf die große Mehrzahl der in der Milchstraße? Wir wollen die »ein­ Zeitraums entstehen, der kurz ist im Ver­ Fälle trifft dies auch zu. gleich zu seiner Lebensdauer. Trägt man Dennoch gibt es in einzelnen Haufen facheren« Fragen zuerst behandeln. Die Bestimmung des Alters wurde be­ nämlich die gemessenen scheinbaren (alle älter als eine Milliarde Jahre) solche reits besprochen, ähnlich unkompliziert Helligkeiten und Farben eines Sternfelds eigentlich verbotenen Mitglieder. Ihre ergibt sich auch die Gesamtleuchtkraft um einen offenen Haufen herum in ein Mitgliedschaft wird durch die Messung ih­ der Sternhaufen. Man beginnt in jedem Farben-Helligkeits-Diagramm ein, so stellt rer Eigenbewegung bestätigt. Wie lässt sich Wellenlängenbereich mit dem jeweils man fest, dass sich die – zum Beispiel aus dies erklären? Im zentralen Bereich eines hellsten Mitglied und schreitet dann Eigenbewegungen bestimmten – echten Sternhaufens kommt es immer wieder zu zu den schwächeren Mitgliedern fort, Mitglieder des Haufens auf einer gemein­ Kollisionen zwischen Sternen. Wenn zwei indem man jeweils die Leuchtkraft, das samen Sequenz anordnen, die seinem Al­ Sterne dabei verschmelzen, bildet sich heißt die pro Zeiteinheit abgestrahlte ter entspricht – der so genannten Isochro­ aus der Summe ihrer Massen ein neuer Energie, aufsummiert. Dabei zeigt sich, 38 August 2011 Sterne und Weltraum 76 dass die Leuchtkraft aller Sternhaufen Anders als beim Palomar Sky Survey Molekülwolke Sterne entstehen, geschieht meist von dem halben Dutzend ihrer ist die Fotometrie des Two-Micron-All- dies zuerst im dichtesten Teil. Hier ist hellsten Sterne bestimmt wird. Wie viele Sky-Survey (2MASS) im nahen Infrarot auch die Wahrscheinlichkeit für enge Be­ weitere Mitglieder ein Haufen auch hat, zwar ausgezeichnet, aber er verzeichnet gegnungen am größten. Dadurch erhalten sie tragen zur Gesamtleuchtkraft kaum keine Eigenbewegungen, ist also auch nur massearme Sterne sehr bald höhere Ge­ noch bei. Der Grund hierfür ist, dass die bedingt hilfreich. Die Grenzgröße der von schwindigkeiten und können sich weiter massereichen Sterne wesentlich mehr En­ uns benutzten Durchmusterung auf der vom Zentrum entfernen, während die ergie pro Masseneinheit erzeugen als die Basis von Tycho-2 beträgt V = 11,5 mag, massereichen langsamer bleiben und sich massearmen. Die Frage nach der Größe der Stern­ wir können also in den Haufen nur die stärker zum Zentrum hin konzentrieren. Verteilung der helleren Sterne bestimmen Hier entwickeln sie auch bald stellare Win­ haufen scheint einfach zu sein: Man muss und den Winkeldurchmesser über die Be­ de, die ihre Umgebung so weit leer fegen, doch nur an den Himmel schauen! Jedoch stimmung der Mitgliedschaft, sowie den dass sich dort keine weiteren Sterne mehr erweist sie sich aus mehreren Gründen linearen Durchmesser über die Bestim­ bilden. als ähnlich schwierig wie diejenigen mung der Entfernung ableiten. Wenn also Massensegregation vorliegt, nach der Leuchtkaft oder dem Alter. Ba­ Es ergab sich dabei auch, dass sich in muss die Durchmusterung so empfindlich nal ist die Tatsache, dass früher das Ge­ den Sternhaufen die massereichsten und sein, dass der wesentliche Teil des Massen­ sichtsfeld eines Teleskops die scheinbare somit hellsten Sterne verstärkt im Zen­ spektrums, bis zu hinreichend massear­ Größe eines Haufens begrenzte. Hatte trum konzentrieren – dies wird als »Mas­ men Sternen, erfasst wird. man seinen dichten Zentralteil erfasst, sensegregation» bezeichnet. Auch Simula­ Wie lässt sich der »Rand« oder der Ra­ so gab man sich zufrieden, und leitete so tionen der Entwicklung von Sternhaufen dius eines Haufens physikalisch sinnvoll einen zu kleinen Haufendurchmesser ab. zeigen, dass massereiche Sterne sich mit bestimmen? Eine Definition lautet: Der Jedoch hat auch eine flächendeckende der Zeit verstärkt im Zentrum der Haufen Rand ist dadurch gegeben, dass sich hier Himmelsdurchmusterung ihre Probleme. ansammeln. Verständlich ist dies, wenn die Gravitationswirkung des Haufens Bei tiefen Durchmusterungen, etwa beim man annimmt, dass sich eine Gleichver­ und diejenige der Milchstraße gerade die Palomar Sky Survey, reicht die fotome­ teilung der kinetischen Energie einstellt. trische Genauigkeit bei weitem nicht Dann besitzen die massereichen Sterne aus, um Mitglieder von Nichtmitgliedern im Mittel geringere Geschwindigkeiten Diese Farben-Helligkeits-Diagramme zu unterscheiden, und auch die Quali­ als die massearmen. Letztere bewegen einiger naher offener Sternhaufen basieren tät der Eigenbewegungen ist zu gering. sich also weiter vom Gravitationszentrum auf den Messungen des Hipparcos-Satel- Denn geht man in einem Sternhaufen des Haufens weg, unterliegen dadurch liten. Aufgetragen ist die absolute Hellig- von den helleren zu den schwächeren verstärkt den Gezeitenkräften der Milch­ keit gegen die Farbe. Die durch Einzelsterne Sternen, so nimmt die Genauigkeit der straße und gehen dem Haufen leichter definierte Hauptreihe ist sehr gut erkenn- Positionsmessungen, und folglich auch verloren. bar. Die darüberliegenden Haufenmitglieder sind Doppelsterne, die nicht in der Eigenbewegungen ab. Das bedeutet: Je Aber auch im Sternhaufen um das lichtschwächer und weiter entfernt die zu Trapez im Orionnebel sind die masse­ vermessenden Sterne sind, desto genauer reichsten Sterne – trotz seiner Jugend – Einzelsterne aufgelöst werden konnten. Die Farbe B2–V1 bezieht sich auf das Genfer muss die Messung sein. Dieses Problem bereits im Zentrum konzentriert. Man fotometrische System, das sich leicht vom lässt sich nicht umgehen. kann dies so verstehen: Wenn in einer Standardsystem unterscheidet. 0 5 Hyaden Praesepe Großer Bär Haar der Berenike NGC7092 0 Nach van Leeuwen 2009 / SuW-Grafik absolute Helligkeit MV in mag absolute Helligkeit MV in mag Plejaden Blanco 1 NGC 2516 5 0 0,5 Farbe B2– V1 www.astronomie-heute.de 0 0,5 Farbe B2– V1 August 2011 39 1,0 Allerdings zeigen Computersimula­ tionen, dass die Lebenserwartung der Siegfried Röser, Elena Schilbach/ SuW-Grafik Anzahl der Sternhaufen pro Million Jahre 77 0,1 0,01 0,001 10 100 1000 Alter der Sternhaufen in Millionen Jahre Haufen stark von ihrer Masse abhängt: Je massereicher ein Haufen ist, umso länger dauert es, bis ihn die Gezeitenkräfte der Milchstraße »zerrieben« haben. Weiter finden wir, dass die Massenverteilung aller Sternhaufen in der Sonnenumgebung von den massearmen Haufen dominiert wird. Die Massenfunktion der jüngsten offenen Sternhaufen ist jener der eingebetteten Haufen ähnlich (siehe Grafik auf S. 36). Ein weiterer Befund: Unter den jüngsten offenen Sternhaufen ist der Anteil derer mit Massen unter 1000 Sonnenmassen Die Altersverteilung der offenen Sternhaufen in Sonnenumgebung zeigt, wesentlich geringer als bei den älteren dass die Zahl der Haufen ab einem Alter von einigen hundert Millionen Haufen. Der flache Verlauf der Massenver­ Jahren dramatisch abnimmt. Die rote Kurve stellt einen exponentiellen teilung bei den jüngsten Haufen bedeutet, Abfall mit einer Zerfallszeit von 330 Millionen Jahren dar. dass hier die massereicheren Haufen am meisten zur Gesamtmasse beitragen. In der Tat zeigt sich, dass die jüngsten Waage halten. Innerhalb dieses »Gezeiten­ Ort des Haufens, so ist auch die Haufen­ Haufen im Mittel 4500 Sonnenmassen radius« gehören die Sterne zum Haufen, masse gegeben. Damit waren die Massen besitzen, die durchschnittliche Masse der außerhalb haben sie ihn verlassen. Wir aller Haufen unserer Liste bestimmt. Haufen in Sonnenumgebung beträgt dage­ finden eine Analogie im Sonne-Erde- gen nur 700 Sonnenmassen. Offenbar ver­ innerhalb des Gezeitenradius des Erde- Die zeitliche Entwicklung offener Sternhaufen Mond-Systems, er ist somit ein Trabant Damit liegen die wichtigsten Informati­ Sternhaufen verlieren ihre Masse zum der Erde und kein Planet. onen vor, um die Entwicklung der offenen Teil durch Entwicklung und Sterben ihrer Vor fast 50 Jahren hat der amerika­ Sternhaufen in der Sonnenumgebung zu massereichsten Mitglieder in den ersten nische Astronom Ivan King eine Theorie beschreiben. Wir kennen die Häufigkeits­ Millionen Jahren. Allerdings kommt der entwickelt, wie man aus der Verteilung verteilung Ihres Alters, ihrer Leuchtkraft hauptsächliche Massenverlust dadurch zu der Sterne eines Haufens am Himmel auf und Masse. Betrachten wir zunächst die Stande, weil den Haufen vor allem mas­ dessen Gezeitenradius schließen kann. Altersverteilung der Haufen in der Grafik searme Sterne durch die Gezeitenwirkung Die Anwendung dieser Theorie auf Ku­ oben: Ihre Interpretation ist aufschluss­ der Milchstraße entrissen werden. gelsternhaufen gelingt einfacher als auf reich. Würden einmal entstandene Haufen offene Sternhaufen, da der Kontrast zum nicht zerfallen, so müsste es Sternhaufen Hintergrund groß und die Mitgliedschaft geben, die so alt sind wie die galaktische Der Beitrag offener Sternhaufen zum Aufbau der Scheibe leichter bestimmbar ist. Bei offenen Scheibe (etwa zehn Milliarden Jahre). Dann Nun schätzen wir ab, wie viele Sterne der Sternhaufen spielt die Bestimmung der ließe sich aus der Altersverteilung die Ent­ galaktischen Scheibe sich jemals in einem Mitgliedschaft die entscheidende Rolle. stehungsrate der Haufen im Laufe der Zeit Sternhaufen aufgehalten haben, bevor er Obwohl der Tycho-2-Katalog keine hohe direkt ablesen. Dies ist offensichtlich nicht aufgelöst wurde. Wie die Grafik oben zeigt, Reichweite besitzt, gelang es uns, die Ge­ so: Ab einem bestimmten Alter nimmt die erreichen nur wenige Haufen ein Alter zeitenradien von 236 Haufen zu bestim­ Anzahl der offenen Sternhaufen drastisch von einer Milliarde Jahren; dagegen kön­ men. Es zeigte sich, dass sie etwa 3,5-mal ab. Ähnlich wie beim radioaktiven Zerfall nen Sterne von einer Sonnenmasse und so groß sind wie die großen Halbachsen gibt es eine typische Lebenszeit, bei der weniger um ein Vielfaches älter sein, ohne der Haufen im Tycho-2-Katalog. Mit die­ die anfängliche Zahl der Haufen um den dass sie sich merklich verändert haben – ser Umrechnungsformel konnten wir die Faktor 1/e = 0,37 abgenommen hat. Unter die Sterne eines Haufens können dessen Gezeitenradien aller 650 Haufen unserer Annahme einer konstanten Bildungsrate Auflösung bei Weitem überleben. Liste ableiten. der Haufen lassen sich aus dem Verlauf Um den Beitrag der offenen Haufen zur Aus den Gezeitenradien lässt sich die der Kurve sowohl diese Bildungsrate als galaktischen Scheibe abzuschätzen, müs­ Masse der Sternhaufen abschätzen. Derart auch die typische Lebenszeit ableiten. Die sen wir das Produkt aus der Bildungsrate bestimmte Massenwerte werden »Gezei­ Rechnung ergibt, dass sich im Bereich bis der Haufen mit ihrer mittleren Anfangs­ tenmassen« genannt. Der Gezeitenradius 1000 Parsec um die Sonne im Mittel 1,25 masse über das Alter der Scheibe aufsum­ ist ja dadurch gegeben, dass sich in diesem Haufen pro Million Jahre bilden, ihre mitt­ mieren. Wie oben beschrieben, beträgt die Abstand vom Zentrum des Haufens die lere Lebensdauer beträgt 330 Millionen Bildungsrate im Umkreis von 1000 Parsec Gravitationskräfte von Haufen und Milch­ Jahre. Bezogen auf das Alter der Scheibe um die Sonne 1,25 Haufen pro Million Jah­ straße gerade aufheben. Kennt man die erleben wir damit heute die 30. bis 40. Ge­ re und ihre mittlere Anfangsmasse 4500 Gravitationswirkung der Milchstraße am neration der offenen Sternhaufen. Sonnenmassen. Da die Milchstraßenschei­ Mond-System: Der Mond befindet sich 40 August 2011 lieren die offenen Sternhaufen während ihres Lebens stark an Masse. Die jüngsten Sterne und Weltraum 78 IHR SKYWATCHER PARTNER IN ÖSTERREICH langlebigen, gravitativ gebundenen of­ gleich zu ihrem Durchmesser sehr dünn fenen Sternhaufen werden. ist, gehen wir die Frage zweidimensional Und warum sind eingebettete Haufen an. Der Wert von 1,25 übersetzt sich damit mit mehr als 3000 Sonnenmassen so sel­ in 0,4 Haufen pro Quadratparsec und Mil­ ten? Diese Frage haben Pavel Kroupa und lion Jahre. Nun benötigen wir nur noch Chris Boily schon 2002 beantwortet: In das Alter der Scheibe. Sie ist die jüngste Sternhaufen mit 3000 Sonnenmassen und Komponente der Galaxis, ihre ältesten mehr bilden sich viele O- und B-Sterne, die Sterne sind etwa zehn Milliarden Jahre ihre Umgebung mit ihren Winden schnell alt. Damit liefert die oben beschriebene von Gas und Staub reinigen. NGC 3603 Rechnung für den Beitrag aller jemals ge­ ist hierfür ein gutes Beispiel. Die Chance, bildeten offenen Sternhaufen zur Massen­ einen massereichen jungen Sternhaufen dichte der Scheibe den Wert von 18 Son- zu entdecken, in dem die O- und B-Sterne nenmassen pro Quadratparsec. ihre Umgebung noch nicht freigefegt ha­ Aus der Analyse der Sternbewegungen ben, ist sehr gering. Wenn andererseits in senkrecht zur galaktischen Scheibe konn­ einem massearmen eingebetteten Haufen ten die Astronomen Johan Holmberg und ein massereicher Stern entsteht, so bläst er Chris Flynn 2004 die gesamte Massendich­ nicht nur Gas und Staub hinweg, sondern te der Scheibe (Gas, Staub und Sterne) am auch gleich den ganzen kleinen Haufen Ort der Sonne bestimmen. Für die Sterne auseinander. Auf diese Weise kommen allein ergaben sich 35 Sonnenmassen die restlichen 60 Prozent der Masse der pro Quadratparsec. Aber die meisten der galaktischen Scheibe zu Stande. So könnte jemals in der Milchstraße gebildeten mas­ es der Sonne also auch ergangen sein. WIEN OPERNGASSE 23. +43 699 1197 0808 [email protected] LINZ GÄRTNERSTR. 16. +43 676 5457 994 [email protected] BERATUNG, SERVICE, VERKAUF. WIR LIEFERN WELTWEIT! 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In: Sterne und Weltraum 11/1997, S. 938-941 Burbidge, G.: Fred Hoyle – Astrophysiker, Kosmologe, Querdenker. In: Sterne und Weltraum 1/2003, S. 26-31 Lada, C., Lada, E.: Embedded Clusters in Molecular Clouds. In: Annual Review of Astronomy and Astrophysics 41, 2003, S. 57-115 Pfau, W.: Streifzüge im HertzsprungRussell-Diagramm. Teil 1 in: Sterne und Weltraum 6/2006, S. 32–40, Teil 2 in: Sterne und Weltraum 11/2006, S. 45-52 Sterne nur selten allein entstehen – dem­ nach stammen diese 60 Prozent aller Sterne vermutlich aus den 90 Prozent aller eingebetteten Sternhaufen, die das Kin­ desalter nicht überleben. So schließt sich der Kreis, der bei den eingebetteten offenen Sternhaufen begann. Die Massenfunktionen der ein­ gebetteten und der jungen offenen Stern­ haufen haben die gleiche Gestalt. Aber während man kaum eingebettete Stern­ haufen mit mehr als 3000 Sonnenmassen findet, gibt es umgekehrt eigentlich zu wenige junge offene Haufen mit weniger als 3000 Sonnenmassen. Daraus folgt, dass massearme eingebettete Haufen schnell Weitere Literatur im Internet: www.astronomie-heute.de/ artikel/1114729 OPTIMIERT FÜR SKYWATCHER Und woher kommen die übrigen 60 3MM, 5MM, 6MM, 9MM, 12MM, 14MM, 18MM Siegfried Röser und Elena Schilbach masse beigetragen. Für die Sonne wie für URSAMINOR STEUERUNG BLUETOOTH AB 99 € USB+DSLR AB 87 € SOFTWARE AB 29 € LACERTA EQHC HANDBOX 89€ Mit Autoguider Eingang FÜR EQ3, EQ5, VIXEN-GP, ASTRO5 UND ANDERE STEUERUNGEN 18/48 oder rund 40 Prozent zur Gesamt­ zerfallen und nicht zu vergleichsweise www.astronomie-heute.de August 2011 41 WWW.TELESKOP–AUSTRIA.COM STEREOSKOPISCHES BILD LACERTA OFF AXIS GUIDER dass in der galaktischen Scheibe insge­ Diese Version der Praktikumsanleitung wurde 2004-2008 von Thorsten Nagel erstellt und wird seit 2016 von Cornelia Heinitz weitergeführt. Grundlage waren die früheren Anleitungen zum Versuch CCD-Kamera aus dem Fortgeschrittenenpraktikum Experimentalphysik von Jörn Wilms, Stefan Dreizler, Ralf Geckeler und Martin Bässgen, Kommentare von Jochen Deetjen, sowie die Staatsexamensarbeit von Margit Haberreiter. Ihnen allen sei für diese Vorarbeiten gedankt.