Supportivtherapie bei malignen Erkrankungen Prävention und Behandlung von Erkrankungssymptomen und therapiebedingten Nebenwirkungen von Harmut Link, Carstem Bokemeyer, Petra Feyer 1. Auflage Supportivtherapie bei malignen Erkrankungen – Link / Bokemeyer / Feyer schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG Deutscher Ärzte-Verlag Köln 2006 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 7691 0466 0 Inhaltsverzeichnis: Supportivtherapie bei malignen Erkrankungen – Link / Bokemeyer / Feyer Supportivtherapie.qxd 15.11.2005 11:53 Seite 189 Link zum Titel: Link et.alt., Supportivtherapie bei malignen Erkrankungen, Deutscher Ärzte-Verlag 2006 Kapitel 8 8 Prophylaxe und Therapie von Infektionen H. Link 8.1 Risikofaktoren, Definitionen, Ursachen Einleitung Die zytostatische Chemotherapie bösartiger Erkrankungen führt häufig zum Abfall der Konzentration der neutrophilen Granulozyten und zur mehrtägigen Granulozytopenie bzw. Neutropenie. Das Risiko einer Infektion nimmt unterhalb eines Wertes von 1.000 neutrophilen Granulozyten/µl signifikant zu. Ausmaß und Dauer der Neutropenie beeinflussen zudem die Wahrscheinlichkeit von Infektionen. Patienten mit einer länger als 10 Tage anhaltenden schweren Neutropenie (< 100 Neutrophile/µl) entwickeln in mehr als 80% der Fälle Infektionen. Fieber ist bei neutropenischen Patienten oft das einzige Zeichen einer Infektion. Fünfzig Prozent der neutropenischen Patienten mit Fieber haben eine dokumentierte Infektion, während bei den anderen Patienten keine Infektion auszumachen ist. Auch wenn es nicht gelingt, den Infektionsort zu definieren, muss unverzüglich eine antibiotische Therapie eingeleitet werden, um einen lebensbedrohlichen Infektionsverlauf zu vermeiden. Neutropenie als Risikofaktor für eine Infektion: Das Risiko der Infektion wird entscheidend durch Ausmaß und Dauer der Neutropenie bedingt. Risikogruppen: Die Risikozuordnung für den Verlauf einer Infektion nach der erwarteten Gesamtdauer der Neutropenie ist den Tabellen 8.1 und 8.2 zu entnehmen. Die MASCC (Multinational Association for Supportive Care in Cancer) entwickelte einen Risiko-Index an unausgewählten, konsekutiven Patienten mit febriler Neutropenie, nach dem Niedrigrisikopatienten so definiert wurden, dass sie unter antibiotischer Therapie entfieberten, ohne eine der folgenden Komplikationen zu entwickeln [Klastersky J et al. 2000]: D Blutdruckabfall auf < 90 mmHg systolisch oder blutdruckstabilisierende Therapie D Ateminsuffizienz: paO2 von < 60 mmHg bei Raumluft oder Notwendigkeit der mechanischen Beatmung D Verlegung auf eine Intensivstation D disseminierte intravasale Koagulation (DIC) Tab. 8.1: Ausmaß und Dauer der Neutropenie und Kategorien des Infektionsrisikos Neutropenie (Granulozytopenie) Konzentration der neutrophilen Granulozyten (Segment- und Stabkernige) von < 500/µl oder von < 1.000/µl mit erwartetem Abfall auf < 500/µl innerhalb der nächsten 2 Tage Risikozuordnung für den Verlauf der Infektion nach der zu erwartenden Gesamtdauer der Neutropenie Niedrigrisikopatient: Neutropeniedauer von < 5 Tagen ohne einen der in Tab. 8.2 aufgeführten Parameter für eine höhere Risikogruppe Standardrisikopatient: Neutropeniedauer von 6–9 Tagen Hochrisikopatient: Neutropeniedauer von ≥ 10 Tagen 189 Supportivtherapie.qxd 15.11.2005 11:53 Seite 190 8 Prophylaxe und Therapie von Infektionen 190 Tab. 8.2: Niedrigrisikogruppen – Ein-/Ausschlusskriterien für orale und ambulante Therapie Neutropeniedauer insgesamt max. 5 Tage zu erwarten Allgemein keine Hinweise auf ZNS-Infektion, schwere Pneumonie, Katheterinfektion ECOG-Performance-Score: 0, 1, 2 (3) keine Zeichen von Sepsis oder Schock keine der folgenden Kontraindikationen durch Begleiterkrankungen: • ausgeprägte abdominelle Beschwerden (Diarrhöen) • Notwendigkeit der i.v. Supportivtherapie (z.B. Ernährung) • Dehydratation • rezidivierendes Erbrechen • Notwendigkeit der ständigen oder engmaschigen Überwachung (z.B. entgleister Diabetes mellitus, Hyperkalzämie) Orale Antibiotika keine Chinolonprophylaxe/-therapie innerhalb der vorangegangenen 4 (–7) Tage orale Medikation medizinisch vertretbar Compliance mit oraler Medikation zu erwarten D Verwirrtheitszustand oder veränderter Mentalstatus D behandlungsbedürftige Herzinsuffizienz D transfusionsbedürftige Blutungsneigung D behandlungsbedürftige Arrhythmie oder EKG-Veränderungen D diagnose- oder therapiebedürftige Niereninsuffizienz D andere schwerwiegende Komplikation nach Beurteilung des Untersuchers (außer dokumentierter Infektion) Die multivariate Analyse ergab aus sehr vielen untersuchten Faktoren die folgenden Risikofaktoren, die nach einem Punktesystem gewichtet wurden, wobei eine höhere Punktzahl für ein geringes Risiko stand: D Schweregrad der aktuellen Erkrankung einschließlich des Fiebers gering: 5 (Punkte nicht kumulierbar) D keine Hypotonie: 5 D keine chronische obstruktive Lungenerkrankung: 4 D solider Tumor oder keine frühere Pilzinfektion: 4 D keine Dehydratation: 3 D wenige Symptome der aktuellen Erkrankung: 3 (Punkte nicht kumulierbar) D ambulanter Patient: 3 D Alter von < 60 Jahren: 2 Patienten mit 21 und mehr Punkten in diesem MASCC-Index konnten gut der Niedrigrisikogruppe zugeordnet werden. Der positive prädiktive Wert betrug 91%, die Spezifität 68% und die Sensitivität 71%. Die oft als Risikofaktor verwendete verbleibende Dauer der Neutropenie konnte in dem vorliegenden Modell aufgrund schlechter Korrelation zur tatsächlichen Neutropeniedauer nicht verwendet werden. Für den Verlauf der Infektion gelten teilweise andere Risikofaktoren 8.2 Infektionen Die Infektionen in der febrilen Neutropenie lassen sich nach den Empfehlungen der Konsensuskonferenz der International Immunocompromised Host Society, der Infectious Diseases Society of America und der Arbeits-