Marburger UniJournal - 20

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UniForschung
Neurogenese und Parkinson
Marburger Neurologen gelingt die Verknüpfung von Krankheit und wissenschaftlicher Grundlagenforschung
So entwickelte sich die Erforschung der „adulten Neurogenese“,
der Neubildung von Nervenzellen
im erwachsenen Gehirn, über lange
Zeit nicht weiter. Bis heute wird daher an vielen Universitäten gelehrt,
dass das Gehirn keine Fähigkeit zur
Neubildung von untergegangenen
Nervenzellen besitzt. Dies erscheint
zunächst auch logisch, da neugebildete Nervenzellen schon bestehende neurale Schaltkreise stören,
sozusagen kurzschließen könnten.
Mittlerweile wissen wir es
besser: Seit Beginn der 1990er
Jahre ist allgemein akzeptiert, dass
die adulte Neurogenese sogar bei
Säugetieren stattfindet. Unsere
Forschungsgruppe „Experimentelle
Neurologie“ an der Philipps-Universität konnte nun eine Arbeit veröffentlichen (Nature Neuroscience
2004;7:726-735), die im Tierversuch
die Stimulation der Neurogenese
durch den Botenstoff Dopamin
nachweist.
Darüber hinaus wurde gezeigt,
dass bei der weit verbreiteten
Parkinson-Krankheit – die stets mit
einem Dopaminmangel einhergeht –
die Neurogenese deutlich reduziert
ist. Dieser Zusammenhang zwischen
Dopaminproduktion und Neurogenese zeigt die große Chance auf,
verletztes Hirngewebe durch pharmakologische Stimulation künftig
auf effektive Weise zu erneuern.
Entdeckung der Neurogenese
In den 1980er Jahren waren es
interessanterweise Studien an
Singvögeln, die eine Erforschung
der Neurogenese auch im zentralen
Nervensystem von Säugetieren
inspirierten. 1983 demonstrierten
Nooteboom et al., dass im Gehirn
von erwachsenen Singvögeln entge32
„In adult centres the nerve paths are something fixed, ended, immutable. Everything may die, nothing may be regenerated. It is for the
science of the future to change, if possible, this harsh decree”
Im erwachsenen zentralen Nervensystem sind die Verschaltungen der
Nerven etwas Feststehendes, Endgültiges, Unveränderliches. Alle
Zellen können sterben, aber keine Zelle kann regeneriert werden. Es ist
Aufgabe der Wissenschaft der Zukunft, dieses harte Urteil, wenn möglich, aufzuheben.
S. Ramón y Cajal,
Degeneration and regeneration of the nervous system, 1928
gen allen Lehrmeinungen neue Nervenzellen produziert werden und
diese auch funktionelle Aufgaben
übernehmen. Sie scheinen dafür
notwendig zu sein, dass die Vögel
mit Hilfe neuer elementarer Liedbestandteile ihre saisonal veränderten
Lieder ausschmücken können.
Obendrein wurde festgestellt, dass
diese Neubildung hormonal reguliert und somit an die Paarungszeit
angepasst wird.
Voll akzeptiert wurde das Konzept der postembryonalen Neurogenese auch bei Säugetieren erst vor
etwas mehr als zehn Jahren. Damals
demonstrierten mehrere Studien
Neurogenese bei erwachsenen
Mäusen, vor allem in zwei Zonen des
Gehirns, der so genannten subventrikulären Zone (SVZ) und der subgranulären Schicht (subgranular layer,
SGL) im Gyrus dentatus des Hippocampus. Heute weiß man, dass SVZ
und SGL mit ähnlichem zellulären
Aufbau auch beim Menschen existieren und ebenfalls neuronale Stammzellen beherbergen.
Hiermit erscheint die Möglichkeit am Horizont, untergegangenes
Gehirngewebe auf elegante Art an
Ort und Stelle zu ersetzen, indem
solche zellproduzierenden Zonen
beispielsweise durch Medikamente
verstärkt angeregt werden, neue
Nervenzellen zu bilden. Die Realisierung dieses Gedankengangs ist
gegenwärtig noch Zukunftsmusik,
aber die Basis dafür ist vorhanden
und die Möglichkeiten erscheinen
unbegrenzt, sodass sich heutzutage eine große Wissenschaftsgemeinde der Erforschung dieser
Vorgänge widmet.
Bevor die adulte Neurogenese
zu therapeutischen Zwecken moduliert werden kann, müssen wir
mehr über ihre natürlichen Regulations- und Stimulationsmechanismen erfahren: Es muss erforscht
werden, wie und warum sich neue
Nervenzellen unter natürlichen Bedingungen bilden und wie diese über
erstaunlich weite Distanzen wandern, um dann in schon bestehende
Schaltkreise einzuwachsen, ohne
einen „Kurzschluss“ im neuronalen
Informationsfluss zu erzeugen.
Viele der Grundlagen sind
bereits bekannt. Während der
embryonalen Entwicklung bildet
sich das Säugetiergehirn aus einer
Zellschicht, die flüssigkeitsgefüllten
Hohlräumen anliegt, den Ventrikeln.
Diese Schichten sich teilender Zellen, die so genannte ventrikuläre
Zone, generieren Nervenzellen, die in
verschwinden die zellproduzierenden
Zonen weitgehend, bis nur noch eine
dünne Schicht der SVZ direkt an den
Ventrikeln erhalten bleibt, diese aber
bis ins hohe Erwachsenenalter.
Ultrastrukturelle Analysen der
SVZ bei Nagetieren zeigen, dass
darin vier wesentliche Zelltypen
vorherrschen (siehe unten stehende Abbildung): Junge wandernde
Nervenzellen (Typ-A-Zellen) bilden
strangförmige Zellverbände, die von
Astrozyten (Typ-B-Zellen) tunnelartig
umschlossen werden. Eher runde
Zellen mit hoher Teilungsrate wiederum (Typ-C-Zellen) formen Zellhaufen
in der Nähe der A-Zell-Ketten. Die
Typ-E-Zellen schließlich, so genannte
ependymale Zellen, bilden eine einschichtige Lage, welche die anderen
Zellen von den Ventrikeln trennt.
Wo liegt der Ursprung der
neuralen Zelllinie?
Lange Zeit herrschten große Diskussionen, welche dieser Zellen nun die
eigentlichen neuralen Stammzellen
sind, also am Ursprung der neuralen
Zelllinie liegen. Jetzt scheint anhand
von Tierversuchen gesichert, dass
Alle Bilder: Günter U. Höglinger
Nervenzellen des zentralen Nervensystems (ZNS) können sich nicht
erneuern: Dieses Dogma, wie im
nebenstehenden Zitat vom berühmten Neurowissenschaftler Santiago
Ramón y Cajal formuliert, führte
dazu, dass man die Forschung über
offensichtlich vorhandene Zellteilungen im ZNS, die schon Anfang
des 20. Jahrhunderts entdeckt
und auch während der folgenden
Dekaden in der wissenschaftlichen
Literatur beschrieben wurden, weitgehend ignorierte.
Zellarchitektur der subventrikulären Zone (schematische Darstellung), wo
dopaminerge Fasern (DA-Fasern) in Kontakt mit den Rezeptoren (D1-R,
D2-R) der Vorläuferzellen kommen
verschiedene Strukturen des Gehirns
auswandern. Eine zweite Keimzone
neben der ventrikulären Zone, die
SVZ, bildet in der späten embryonalen Entwicklung Nervenzellen und
auch Gliazellen, die Stütz- und Helferzellen des Gehirns. Nach der Geburt
diese der B-Zelllinie angehören.
B-Zellen teilen sich relativ selten
und erzeugen C-Zellen. Die C-Zellen
ihrerseits sind hoch teilungsaktive
Vorläuferzellen, die schließlich
A-Zellen hervorbringen. Letztere
wandern in Zellverbänden durch die
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SVZ und fließen im Rostralen Migratorischen Strom zusammen, der
dann im Riechkolben endet.
Dort integrieren sich die Zellen
in schon vorhandene neuronale Netze und fördern damit den Geruchssinn, vor allem das Memorisieren
von neuen Geruchseindrücken. Beim
Menschen ist die subventrikuläre
Zone ähnlich aufgebaut. Durch die
geringere Zahl an A-Zellen bilden
sich aber keine zusammenhängenden Zellströme, sondern nur isoliert
wandernde kleinere Zellgruppen.
Eine zweite Zone im adulten
Gehirn, in der Neurogenese stattfindet, liegt im Hippocampus, einer an
der Regulation des Gedächtnisses
beteiligten Gehirnzone. Diese ist
übrigens nach einem griechischem
Fabeltier benannt, das Kopf und
Vorderbeine eines Pferdes und einen
Fischschwanz besitzt. Hier liegt die
subgranuläre Zone des Gyrus dentatus. Auch in dieser werden neue
Nervenzellen gebildet, welche dann
aber über nur sehr kurze Distanzen
wandern, um absterbende Neurone
zu ersetzen und am räumlichen
Gedächtnis und der Regulierung der
Stimmungslage mitzuwirken.
Neurogenese und Parkinson
Die Parkinson-Krankheit ist eine der
häufigsten Erkrankungen des Nervensystems, von der in Deutschland
zwischen 200.000 und 250.000
Menschen betroffen sind. Sie ist
C-Zellen (rot) in der subventrikulären Zone sind hoch teilungsaktiv (grün) und befinden sich eingebettet in ein
dichtes Netz von Dopaminfasern (blau).
33
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Stammzellen in Zellkultur (rot) besitzen Rezeptoren für Dopamin (DA-R,
grün). Der Farbstoff HOECHST zeigt die Zellkerne (blau). Die Überlagerung der drei Einzelbilder ist im „Merge“-Bild zu sehen.
eine neurodegenerative Krankheit,
die – aus noch unbekannten Gründen – mit der selektiven Zerstörung
eines speziellen Typs von Nervenzellen einhergeht, den Dopamin
produzierenden Zellen in der Substantia Nigra. Diese Gehirnregion
ist der wichtigste Produktionsort
von Dopamin. Von hier aus wird der
Botenstoff über Nervenfasern im
Gehirn verteilt. Gehen in der Substantia Nigra Nervenzellen zu Grunde, kommt es zum Dopaminmangel
im gesamten Gehirn.
zu nicht-motorischen Symptomen
wie Depression, Gedächtnis- oder
Riechstörungen. Diese treten häufig
schon vor den motorischen Symptomen in Erscheinung, während Letztere erst bei einer Verringerung des
Dopaminniveaus im Gehirn von über
siebzig Prozent sichtbar werden. Die
nicht-motorischen Symptome verbessern sich durch pharmakologischen
Ausgleich des Dopamindefizits nicht
unmittelbar, ihnen scheinen daher
strukturelle Veränderungen des Gehirns zugrunde zu liegen.
Interessanterweise wurde in
Tierexperimenten gezeigt, dass die
genannten nicht-motorischen Symptome auch durch einen Mangel an
Neurogenese entstehen können – ein
erster Hinweis auf eine Verknüpfung
zwischen Neurogenese und Parkinson-Krankheit. In Zellkulturexperimenten und im Tierexperiment konnte
unsere Arbeitsgruppe nun nachweisen, dass Dopamin ein potenter
Stimulator der adulten Neurogenese
ist. Umgekehrt führt Dopaminmangel
zu einer verringerten Neurogenese
im Hippocampus und im Riechkolben.
Wir konnten insbesondere zeigen,
dass die teilungsaktiven C-Zellen von
dopamingefüllten Nervenendigungen
kontaktiert werden und Dopaminrezeptoren – Andockstellen für den
Botenstoff – aufweisen.
Diese unmittelbare synaptische
Kontrolle von Neurogenese ist ein
bislang einzigartiges biologisches
Phänomen. Unseren Untersuchungen
zufolge scheint dieser regulatorische Mechanismus sogar beim Menschen erhalten zu sein. So konnten
wir zum Beispiel ein Neurogenesedefizit im Gehirn von verstorbenen
Parkinson-Patienten nachweisen,
bei denen – wie oben erklärt – ein
Dopamindefizit vorliegt.
Diese Ergebnisse lassen nun
in der Tat vermuten, dass bei der
Parkinson-Krankheit die durch
den chronischen Dopaminmangel
entstandene, chronisch verringer-
Verlangsamte Bewegungen
Dieser führt direkt zu den klassischen Parkinson-Symptomen,
die die Steuerung der Motorik
betreffen: Es resultieren eine Verlangsamung des Bewegungsablaufs
(Bradykinesie), eine erhöhte Grundspannung der Muskeln (Rigor) sowie
ein grobschlägiges Ruhezittern (Tremor). Diese Symptome verbessern
sich unmittelbar, wenn mit Hilfe von
dopaminergen Medikamenten wie
L-DOPA oder Dopamin-Agonisten
der Dopaminmangel im Gehirn ausgeglichen wird. Für die Entwicklung
der Therapie mit L-DOPA wurde
A. Carlsson im Jahr 2000 mit dem
Nobelpreis für Medizin geehrt.
Zusätzlich aber kommt es bei
der Parkinson-Krankheit regelmäßig
34
te Neurogenese zu strukturellen
Veränderungen im Gehirn dieser
Patienten führt, die möglicherweise
verantwortlich sind für eine Reihe
von schwer therapierbaren nichtmotorischen Symptomen.
Defizit frühzeitig behandeln
Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich
solche strukturellen Veränderungen
bereits in den Jahren vor Beginn der
motorischen Symptomatik etablieren, während derer ja bereits ein
deutliches Dopamindefizit im Gehirn
herrscht. Wenn dies so ist, sollte
daraus die Konsequenz gezogen
werden, die Dopaminersatztherapie
bei Parkinson-Patienten so früh wie
möglich zu beginnen, am besten
noch vor Auftreten der motorischen
Symptome, um der Entwicklung von
sekundären strukturellen Gehirnveränderungen vorzubeugen.
Durch unsere Arbeit konnte so
zum ersten Mal ein Hinweis darauf
erhoben werden, dass auch beim
Menschen die adulte Neurogenese
durch Botenstoffe stimuliert werden
kann. Die moderne Pharmakologie
gibt uns potente Medikamente in die
Hand, um Neurotransmittersysteme
zu modulieren. Damit eröffnet sich
die Perspektive, mittelfristig das
Potenzial der körpereigenen neuralen Stammzellen zu verstehen und
steuern zu lernen – vielleicht werden
wir sie künftig nutzen, um verletztes
Hirngewebe, das bis vor kurzem noch
irreparabel und unersetzlich erschien,
auf elegante Weise zu reparieren.
>> Nils Freundlieb,
Günter U. Höglinger,
Wolfgang H. Oertel
Diese Arbeit wurde im Rahmen des
Peter-Hofmann-Forschungsprojekts
durchgeführt, siehe auch
www.peterhofmann.com.
Sterbende (rot) und neugeborene (grün) Neurone in unmittelbarer Nachbarschaft im Hippocampus (blau)
Kontakt
Professor Dr. Wolfgang H. Oertel,
Dr. Günter U. Höglinger,
cand. med. Nils Freundlieb
FB Medizin, Zentrum für Nervenheilkunde/Klinik für Neurologie,
Forschungsgruppe „Experimentelle
Neurologie“
Rudolf-Bultmann-Str. 8
35039 Marburg
Tel.: (06421) 28 65200
Internet: http://neurologie.med.
uni-marburg.de/cms/front_content.
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