Merkblatt: 820 Falscher Rebenmehltau Plasmopara viticola (Berk. & Curt.) Berl. & de Toni Autoren: W. Siegfried und 0. Viret Der Falsche Mehltau wurde 1878 von Nordamerika nach Südfrankreich eingeschleppt und verbreitete sich in der Folge sehr schnell über alle europäischen Weinbaugebiete. Die wirtschaftliche Bedeutung ist auch heute noch sehr gross. Schadbild Alle grünen Rebteile können vom Pilz befallen werden. Eine Ansteckung macht sich an den Blättern zunächst durch gelbliche, runde Aufhellungen, den so genannten Ölflecken bemerkbar. Bei feuchtwarmem Wetter erscheint auf der Unterseite der Blätter ein weisser Pilzrasen. Stärker befallene Blätter werden braun, trocknen ein und fallen vorzeitig ab, Die Gescheine sind besonders empfindlich auf Falschen Mehltaubefall. Angesteckte Gescheine verfärben sich zuerst gelblich, krümmen sich auffallend, werden braun und verdorren. Junge Beeren können nach der Blüte mit dem typisch weisslichen Pilzbelag überzogen werden. Wenn die Beeren Erbsengrösse erreicht haben, wird der Pilzbefall äusserlich nicht mehr sichtbar. Die Beeren verfärben sich zuerst bläulich, später werden sie braun und trocknen schliesslich zu den typischen Lederbeeren ein, die nicht mehr geniessbar sind. Gegen Ende des Sommers, wenn die Temperaturen zurückgehen und genügend Feuchtigkeit durch Niederschläge oder starke Taubildung vorhanden ist, kommt es an den Geizen zu Spätbefall des Falschen Mehltaus. Überwinterung und Reifung der Oosporen, Bedingungen für Primärinfektionen In den befallenen Rebenblättern entwickeln sich im Laufe des Herbstes die Oosporen (Wintersporen). Diese widerstandsfähigen Sporen überdauern den Winter in den abgefallenen Blättern am Boden. Die Reife im Frühjahr wird durch den Temperaturverlauf und die Niederschläge beeinflusst. Die Temperatursummenmethode nach Gehmann wird in der Ostschweiz seit 1990 mit gutem Erfolg angewandt. Die Temperaturmessungen erfolgen mit Warngeräten wie HP-100 oder Biomat direkt im Rebberg auf ca. 2 m Höhe ab Boden. Ab Januar werden von den jeweiligen Tagesdurchschnittstemperaturen 8°C abgezählt. Die positiven Werte werden aufsummiert. Ab einer Temparatursumme von 160170°C ist mit ersten reifen Oosporen zu rechnen. Bei ausreichender Durchfeuchtung der am Boden liegenden Rebenblätter keimt aus den Oosporen ein Primärsporangium. Dieser Sporenbehälter gelangt bei intensiven Niederschlägen durch Regenspritzer auf Blätter und Gescheine und entlässt dort bis zu 60 Zoosporen (Schwärmsporen). Die Schwärmsporen bewegen sich mit ihren Geisseln aktiv im Wasserfilm auf Spaltöffnungen zu. Sobald sie eine solche erreicht haben, stossen sie ihre Geisseln ab und dringen innerhalb von wenigen Stunden (vergl. Sekundärinfektionen) mit einem Keimschlauch durch die Spaltöffnung ins Blattinnere vor. Mit diesem Vorgang ist die Primärinfektion abgeschlossen. Primärinfektionen sind vom Mai bis anfangs Juli möglich. Von Bedeutung sind allerdings nur die Oospore (Winterspore) in einem befallenen Blatt (Lichtmikroskop 400x). (Foto O.Viret) Ölflecken auf der Blattoberseite (rechts) und weisslicher Pilzrasen (Sporangienträger) auf der Blattunterseite (links). (Foto O. Viret) ersten Primärinfektionen. Sobald Sekundärinfektionen angegangen sind, hat das geringere Potential der Wintersporen im Vergleich zum sehr viel grösseren Angebot an Sommersporangien keine praktische Bedeutung mehr. Inkubationszeit und Sporulationsbedingungen (= Ausbruch) Nach erfolgter Infektion über die Spaltöffnungen breitet sich der Pilz im Blattinnern aus. Auf der Blattoberseite entstehen nach einigen Tagen gelbliche Aufhellungen, die sogenannten Ölflecken. Die Inkubationszeit, d.h. die Zeitspanne von der Infektion bis zum Sichtbar werden der ersten Flecken ist temperaturabhängig und dauert zwischen 4 bis 12 Tagen. Berechnung der Inkubationsdauer Abgeleitet aus der Inkubationskurve nach Müller wird anhand der Tagesdurchschnittstemperatur für jeden Tag der entsprechende Inkubationsfaktor bestimmt. Die Faktoren werden fortlaufend aufsummiert. Wenn der Wert 100 erreicht ist, ist die Inkubationszeit abgeschlossen. Ein Ausbruch mit Sporenbildung auf der Blattunterseite erfolgt, sobald die folgenden Ausbruchsbedingungen erfüllt sind: 1. 2. 3. Links: aus Oosporen entsteht ein Sporangium, dessen Zoosporen die Pflanzenteile infizieren (Lichtmikroskotp400x) Rechts: Sporangienträger auf der Blattunterseite. (Fotos O. Viret) Sporulation ist nur bei Dunkelheit, d.h. im Sommer zwischen 22.00 und 5.00 Uhr möglich, Während der Dunkelphase Blattbenetzung oder Luftfeuchtigkeit > 92% Die Temperatur muss zu Beginn der Blattnasszeit mindestens 11°C betragen. Nur wenn alle diese Bedingungen gegeben sind, kommt es zum Ausbruch und somit zur Bildung des Pilzrasens auf der Blattunterseite Sekundärinfektionen Regen und Wind führen zur Weiterverbreitung der auf der Blattunterseite gebildeten Sporangien (Sporenbehälter). Gelangt ein Sporangium auf die Blattunterseite eines Rebenblattes und ist dieses Blatt benetzt, so werden aus dem Sporangium 6-8 Zoosporen entlassen. Diese bewegen sich aktiv mit zwei Geisseln im Wassertropfen fort, bis sie eine Spaltöffnung gefunden haben. Dort stossen sie ihre Geisseln ab und dringen mit einem Keimschlauch ins Blattinnere ein. Für die Sekundärinfektionen müssen bestimmte Temperatur- und Benetzungsbedingungen erfüllt sein. Die Blattnassdauer multipliziert mit der dazugehörenden Durchschnittstemperatur muss einen Wen von mindestens 50 Gradstunden ergeben. Beispiel: Durchschnittstemperatur 10 °C mal 5 Stunden Benetzungsdauer = 50 Gradstunden. Trocknet das Blatt vorher ab, so gehen die Sporen ein. Bei unseren klimatischen Bedingungen ist die Benetzungsdauer selten ein limitierender Faktor für die Sekundärinfektionen. Inkubationsfaktor in Tagesdurchschnittstemperatur: Abhängigkeit Die befallenen Gescheine vor (links) oder während der Blüte (rechts) sterben ab. (Foto O. Viret) der Tagesdurchschnitts- Inkubations- Tagesdurchschnitts Inkubationstemperatur in °C faktor -temperatur in °C faktor 5 4 16 13 6 4 17 14 7 8 9 10 11 12 13 14 15 5 5 6 6 7 8 9 10 11 18 19 20 21 22 23 24 25 26 16 18 20 21 24 25 25 25 25 Prognose des Falschen Mehltaus Die von Bläser, Gehmann und Hill erarbeiteten Daten über die Lederbeeren auf Riesling x Sylvaner (links) und Blauburgunder Trauben (rechts). (Fotos W. Siegfried) Lebensweise des Falschen Rebenmehltaus bilden die Grundlage der Plasmopara-Prognose. Verschiedene Hersteller von Klimamessstationen haben basierend auf diesen Daten, Plasmopara-Warnprogramme erstellt und in die bewährten Schorfwarngeräte übernommen. In der Ostschweiz werden seit 1993 vor allem die Warngeräte HP-1 00 (Firma Lufft) und Biomat (Firma Berghof) mit Erfolg in der Praxis eingesetzt. Basierend auf den Witterungsdaten berechnen die Warngeräte Temperatursummen, Primärinfektionsbedingungen, Inkubationsverlauf, Sporulationsund Sekundärinfektionsbedingungen. Dank diesen Informationen und den eigenen Beobachtungen im Freiland, kann die PlasmoparaInfektionsgefahr besser beurteilt werden. Die Behandlungen sind besser plaziert und unnötige Spritzungen können zum Teil vermieden werden. Nach wie vor bestehen aber Wissenslücken über die Lebensweise des Falschen Mehltaus. Besonders die Überwinterung und die Reifung der Oosporen sind noch zu wenig erforscht, so dass immer wieder Befallssituationen auftreten, die kaum zu erklären sind. Prinzip der gezielten Behandlungen nach Warngerät Ab 1. Januar werden die Tagesdurchschnittstemperaturen über 8 ° C aufsummiert. Ist der Schwellenwert von 160-170°C erreicht, so besteht Infektionsgefahr, sobald heftige Niederschläge von 8-10 mm innerhalb von 24 Stunden fallen. Das Warngerät HP-100 berechnet als einziges Gerät die Primärinfektion und zeigt diese an. Bei den anderen Geräten muss die Interpretation vom Benutzer vorgenommen werden. Nach den bisherigen Erfahrungen können die Behandlungen wie folgt vorgenommen werden: Die Bedingungen für die erste Primärinfektion werden abgewartet. Wenn anschliessend die Inkubationszeit zu 80 bis 90% abgelaufen ist, wird aufgrund der Wettervorhersage entschieden. Wenn präventive Mittel zum Einsatz kommen, muss die erste Behandlung rechtzeitig vor den nächsten Niederschlägen erfolgen. Bei einer nachfolgenden Sporulation und Infektion sind die Reben vorbeugend mit einem schützenden Belag zu versehen. Werden kurativ wirkende Präparate eingesetzt, so kann mit der Behandlung zugewartet werden, bis die Inkubationszeit abgelaufen ist und am Gerät die erste Sekundärinfektion angezeigt wird. Die kurative Wirkung der heute bewilligten Präparate beträgt 2 bis höchstens 3 Tage. Die Behandlung muss somit 2 bis höchstens 3 Tage nach angezeigter Infektion erfolgen. Weitere Behandlungen: Die erste Behandlung gewährleistet je nach Blattzuwachs während zirka 7 bis 8 Tagen einen Schutz vor weiteren Infektionen. Die zweite Behandlung kann je nach Infektionsgefahr entweder vorbeugend oder kurativ durchgeführt werden. Bei erhöhter Gefahr (Ölflecken vorhanden) ist die Behandlung unmittelbar vor den nächsten Niederschlägen vorzunehmen. Bei geringerer Gefahr oder wenn ein höheres Risiko eingegangen wird, kann mit der zweiten Behandlung solange zugewartet werden, bis wiederum Sporulations- und Infektionsbedingungen am Warngerät angezeigt werden. Innerhalb der folgenden 2 bis 3 Tage ist ein kurativ wirkendes Präparat einzusetzen. Für die folgenden Behandlungen wird nach dem gleichen Schema vorgegangen. Wichtig ist die stete Überwachung der Reben (Spritzfenster) und des Warngeräts, so dass rechtzeitig eingegriffen werden kann. Grösste Infektionsgefahr herrscht in der Regel unmittelbar vor, während und nach der Blüte. Zu diesem Zeitpunkt sind die Blätter und Gescheine sehr anfällig. Es ist deshalb empfehlenswert, unmittelbar vor Blühbeginn und beim Abblühen zwei sogenannte Sicherheitsbehandlungen vorzunehmen. Nach der Blüte sind die Behandlungstermine weitgehend durch die anderen Pilzkrankheiten wie Echten Mehltau und Botrytis vorgegeben, so dass in der Regel eine kombinierte Bekämpfung vorgenommen wird. Bei spätem Blattbefall erscheinen Mosaikflecken. (Foto W. Siegfried) Links: Befall an jungen Trauben. (Foto A. Bolay); rechts: Warngeräte ermöglichen gezielte Bekämpfung des Falschen Mehltaus. (Foto W. Siegfried) Bearbeitet von Agroscope FAW Wädenswil und RAC Changins. © Copyright: Weiterverwendung dieses Dokuments, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Einwilligung durch Amtra, FAW oder RAC und mit vollständiger Quellenangabe gestattet.