Blutegel – Heiler mit Biss 12/2008 Foto: Liebig Blutegel – Heiler mit Biss 12/2008 Blutegel - Heiler mit Biss F ünf Augenpaare, drei Kieferleisten mit 240 Zähnen, Lieblingsspeise Blut – wir befinden uns hier nicht in einem Horrorfilm, sondern sprechen vom Süßwasseregel „Hirudo medicinalis“, dem medizinischen Blutegel. Bei der Heilung welcher Krankheiten von Pferden er eingesetzt werden kann und wie er hilft, erklärt FR-Autorin Petra Herrmann. Allein beim Wort „Egel“ empfinden manche Menschen Ekel. Das aber völlig zu unrecht. Das Wort „Egel“ hat von der Wortherkunft mit dem Wort „Ekel“ nichts gemein. „Egel“ leitet sich vielmehr vom griechischen Wort „echis“ ab, was so viel bedeutet wie „kleine Schlange“. Der Hirudo medicinalis gehört zur Familie der Ringelwürmer. Er ist also ein naher Verwandter des Regenwurms. Blutegel sind etwa zwölf bis 15 Zentimeter lang und ein bis zwei Zentimeter breit. Ein mit Blut voll gesogener Blutegel verfünffacht seine Größe. Dann ist seine schlangenartige Zeichnung auf dem dunkelolivgrünen Rücken gut erkennbar. Die Bauchfläche des Blutegels ist grüngelb. Der Hirudo medicinalis ernährt sich ausschließlich von Blut. Seine Lebenserwartung beträgt etwa 30 Jahre. ne Karthaus in Dülmen hat besonders gute Erfahrungen mit Blutegeln im Bereich der Sehnenverletzungen gemacht. „Die Behandlungsdauer war deutlich kürzer als ohne Behandlung mit Blutegeln“, ist er sicher. „Auch Ödeme verschwinden deutlich schneller“, weiß er. Christoph Waterhues, staatlich anerkannter Physiotherapeut und Dipl. Osteopath für Pferde aus Südkirchen, bezieht immer wieder Blutegel in seine Therapien mit ein. „Blutegel ersetzen in vielen Fällen nicht die Der Biss Der Biss eines Blutegels ist nahezu schmerzfrei, vergleichbar mit einem Pieks mit einer Nadel. Die meisten Pferde bleiben bei der Blutegelbehandlung völlig ruhig. Sie versuchen den „kleinen Beißer“ lediglich wie eine Fliege zu verscheuchen. Direkt nach dem Biss sondert der Hirudo medicinalis einen wahren Medizincocktail ab. Über 40 Inhaltsstoffe konnten Forscher im Speichel der Tiere bisher feststellen. Über ihr Zusammenspiel und ihre Wirkungsweise wird weiter geforscht. Zu den Inhaltsstoffen Einsatzgebiete In der Humanmedizin wird der Blutegel seit der Antike eingesetzt. Im 19. Jahrhundert herrschte ein wahrer Blutegelkult. Jede Krankheit – egal ob Schwindsucht oder Verstopfung – versuchte man mit Hilfe der Blutsauger zu kurieren. Die unerfreuliche Folge dieser „Mode“ war das Aussterben der Egel; den Ärzten ging der Nachschub aus. Seit den 60-er Jahren findet die Egeltherapie aber wieder Einzug in bestimmte Behandlungsgebiete. Und das nicht nur in der Humanmedizin. Auch bei Pferden kann der Hirudo medicinalis bei vielfältigen Krankheiten eingesetzt werden. Die Einsatzgebiete sind groß: Arthritis, Arthrose, Ödeme, Bisswunden, Hypertonie, Abzesse, Entzündungen (z. B.: Fesselträgerentzündungen oder Sehnenentzündungen), schlecht heilende (Operations-) Wunden, Satteldruck, akute Rehe, Gelenkgallen. Tierarzt Dr. Niels Kjaergaard aus der Tierärztlichen Klinik Domä- Behandlung durch einen Tierarzt, aber sie unterstützen Therapien und verkürzen die Behandlungsdauer“, betont er. „Mit keiner anderen Medizin komme ich so gezielt an die Stelle, an der sie auch wirken soll und keine andere Medizin ist so frei von Nebenwirkungen.“ Er macht in seiner Praxis auch immer wieder gute Erfahrungen mit Pferden, die an Arthrose leiden. Nach einer Blutegelbehandlung haben die Pferde für einen gewissen Zeitraum deutlich weniger Schmerzen – und das ohne die Nebenwirkungen, die Schmerzmittel haben. „Blutegel können Arthrose oder Spat nicht heilen“, stellt Christoph Waterhues klar. „Sie können die Symptome aber lindern.“ Foto: Liebig gehören gerinnungshemmende Substanzen wie Hirudin und Calin, gefäßerweiternde histaminähnliche Substanzen, entkrampfende, entzündungshemmende Stoffe wie Hyaluronidase und schmerzlindernde Substanzen. So wirkt der Hirudo medicinalis blutgerinnungshemmend, lymphstrombeschleunigend, immunisierend und lokal gefäßerweiternd. dennoch zur Vorsicht. „Man muss genau wissen, wo man die Egel ansetzen muss. Dazu ist eine genaue Diagnose der Beschwerden wichtig. Hier darf es keine Ungenauigkeiten geben. Werden Blutegel an wichtige Akupunkturpunkte gesetzt, so verstärkt das die Wirkung der Therapie. Diese Punkte muss man aber genau kennen.“ Bei bestimmten Pferden ist eine Blutegeltherapie tabu. Dazu gehören Pferde, die an Blutgerinnungsstörungen leiden oder blutverdünnende Medikamente bekommen. Außerdem dürfen die Tiere keine Hirudin-Allergie haben oder an Herzinsuffizinez leiden. Nach dem „Egeln“ sollte man den Pferden eine Regeneration gönnen. „Bis zu 48 Stunden nach dem Blutegeln würde ich von dem Pferd keine Höchstleistungen verlangen“, ist die Meinung von Christoph Waterhues. Pferde sind nach der Blutegelbehandlung sehr entspannt. Sobald der Egel zu Boden fällt, gähnen die meisten Pferde herzhaft, beobachtet der Physiotherapeut. „Ein Kunde hat uns schon gefragt, ob wir sein Pferd nicht vor jedem Transport egeln könnten. Das Pferd ist sonst im Hänger immer total unruhig und nur nach der Blutegeltherapie steht es wie eine Eins“, lacht Christoph Waterhues. „Aus solchen Gründen egeln wir selbstverständlich nicht“, versichert er aber. Angst vor Dopingkontrollen braucht man nach dem Biss des Hirudo medicinalis übrigens nicht zu haben. Immer mit der Ruhe Das Ansetzen eines Blutegels ist keine Hexerei. Man benötigt – Und so geht’s neben dem genauen Wissen der Die Praktizierung der Blutegelthe- Ansatzstelle – vor allem eines: rapie ist nicht sonderlich kompli- Ruhe! Blutegel sind sehr sensible ziert. Dr. Niels Kjaergaard warnt Tiere. Stress und Unruhe können Blutegel – Heiler mit Biss ihnen „auf den Magen schlagen“, sie beißen dann nicht. Man sollte also nicht versuchen, mal eben zwischen „Tür und Angel“ zu egeln. Wenn man selber Angst oder Ekel empfindet, ist es besser, Fachleute ans Werk zu lassen. Nervosität überträgt sich auf die Tiere – das Pferd und die Egel. Mit zitternden Händen wird man wahrscheinlich keinen Erfolg haben. Stressig empfinden die kleinen Vampire auch Gewitter, heftige Temperaturschwankungen oder Wasserbewegungen. Das Ehepaar Waterhues kommt deshalb nur in Ausnahmefällen zum Egeln raus. „Lieber ist uns, wenn die Patienten zu uns in die Praxis kommen. Der Transport ist für die Egel manchmal so stressig, dass sie nicht beißen mögen oder sogar sterben“, weiß Ute Waterhues aus Erfahrung. Außerdem verderben intensive Gerüche Blutegeln den Appetit. Deshalb sollte man sich vor dem Blutegeln die Hände nicht mit parfümierter Seife waschen oder eincremen. Raucherhände nehmen den kleinen Vampiren auch häufig die Lust auf Blut. Auch das Pferd sollte „naturbelassen“ bleiben. Salbenrückstände, Desinfektions- oder Mähnenspray können dazu führen, dass Blutegel nicht zubeißen. Zu Beginn wird die Bissstelle ein wenig rasiert. „Eventuell kann die Stelle auch ein wenig angeritzt werden, um dem Egel das Ansaugen zu erleichtern. Das steigert den Appetit“, rät Christoph Waterhues. Hat sich der Egel erst einmal festgesaugt, ist er für die nächsten 30 Minuten damit beschäftigt, Blut zu saugen. Dabei kann man das rhythmische Pulsieren wunderbar beobachten. „Es ist wichtig, zu warten, bis der Blutegel sich von alleine fallen lässt. Versucht man, den Blutegel vor- 12/2008 auf keinen Fall in heimische Gewässer gesetzt werden. Ihr Überleben wäre zum einen mehr als ungewiss, zum anderen würde so fremdes Genmaterial in die heimische Natur gelangen. Das ist per Gesetz verboten. Medizinische Blutegel werden in Deutschland auf speziellen Zuchtfarmen selbst erzeugt und von dort per Express verschickt. Man kann sie in jeder Apotheke bestellen. Infos: Praxis PhysioPferde Waterhues Tel.: 02596/939396 www.physiopferde-waterhues.de Biebertaler Blutegelzucht www.blutegel.de Tierärztliche Domäne Karthaus Tel.: 0 25 94/91 200 www.tierklinik-karthaus.de * Blutegel – „Kurzportrait“ Blutegel sind etwa zwölf bis fünfzehn Zentimeter lang und ein bis zwei Zentimeter breit. Ein mit Blut voll gesogener Blutegel verfünffacht seine Größe allerdings. Foto: Liebig her mit Gewalt zu entfernen, kann es passieren, dass kleine Reste des Egels in der Wunde verbleiben“, warnt Dr. Niels Kjaergaard. „Der Blutegel selbst setzt fast sterile Wunden.“ Nachdem der Blutegel losgelassen hat, blutet die Wunde nach. Dieses Nachbluten kann bis zu zwölf Stunden dauern und dient der natürlichen Wundreini- gung. Das Pferd verliert durch Blutegel nicht mehr als 40 bis 50 Milliliter Blut. Medizinische Blutegel dürfen aus hygienischen Gründen nur einmal beißen. Deshalb müssen sie nach ihrem Job abgetötet werden. Dies geschieht am besten, indem man sie einfriert. Hirudo medicinalis dürfen Blutegel leben nur in sehr sauberem Wasser und ernähren sich ausschließlich von Blut – in der Regel von Fröschen und Fischen. Sie haben drei Kiefer mit je 80 Zähnchen, die sie bei der medizinischen Anwendung in die Haut des Patienten bohren. Während des Saugens geben sie ein Sekret ab, das etwa 20 verschiedene heilende Substanzen enthält. Wichtigste Stoffe, die dabei abgesondert werden, sind die Blutgerinnungshemmer Hirudin und Calin. Aus diesen Stoffen ergibt sich auch eine der wichtigsten medizinischen Heilwirkungen des Blutegels, in Verbindung mit der enzündungshemmenden Wirkung von Eglin. Nach Erreichen der Sättigung fällt der Blutegel von selbst von seinem Opfer ab.