Nie wieder Vollbeschäftigung! Wir haben Besseres zu tun (brand eins 2005, 7.Jg., H. 7) Der Titel meines Beitrages verweist auf die unzeitgemäße Definition von Arbeit. Der vorherrschende Arbeitsbegriff ist immer noch eine verkürzte Auffassung als „Erwerbsarbeit“ und führt in der gesellschaftlichen Realität zu einigen paradoxen Phänomenen; z.B. dass die selbe Tätigkeit einmal als Arbeit i.S. einer marktförmigen Ware Dienstleistung und im anderen Fall als privater Liebesdienst gilt – dies betrifft vor allem den derzeit wachsenden Markt der personen- und haushaltsnahen Dienstleistungen (Hausarbeit, Fürsorge etc.). Es stellt sich also die Frage, ob die Arbeitsgesellschaft in der Krise steckt oder lediglich ihre theoretische Grundlage (Mertens 2000). Hier soll versucht werden, den Arbeitsbegriff ganzheitlicher zu fassen und Überlegungen für ein zukunftsfähiges Konzept vorzustellen; Schwerpunkt wird in der Integration des Arbeitsfeldes der Reproduktion sein. Beck schlägt in seinem Konzept der Bürgergesellschaft die Erweiterung des Arbeitsbegriffs vor. Er setzt auf eine Umverteilung der ganzen gesellschaftlich notwendigen Arbeit; wie es auch im Sinne einer neuen Geschlechtergerechtigkeit Gisela Notz, Adelheid Biesecker, das GendA Netzwerk Arbeitsforschung u.a. Forscherinnen fordern. Der Reproduktionsbereich ist auch im Konzept von Beck in besonderem Maße zu berücksichtigen, denn er spielt in der Arbeitsgesellschaft eine besondere Rolle. Bezugnehmend auf Beck-Gernsheim sieht Beck Erwerbsarbeit als einen „anderthalb-Personen-Beruf“: Das „Normalarbeitsverhältnis war auf den Mann zugeschnitten, der im Hintergrund eine Ehefrau hatte, die sich um das Übrige – Haushalt, Kinder, Essen, Waschen, Putzen, emotionale Balance, Alltagstherapie etc. kümmerte.“ (63) Allerdings bleibt im Konzept Bürgerarbeit dieser Bereich indirekt ausgeklammert, wenn es um dessen Charakterisierung geht. Bürgerarbeit netz NRW Dr. Felizitas Pokora 1 im Beckschen Sinn (im Szenario „Europa der Bürgerarbeit“) soll freiwillig, selbstbestimmt im Sinne politischen und sozialen Engagements und projektgebunden sein (132). Diese Kriterien erfüllt Versorgungsarbeit (Haus-, Sorge- und Familienarbeit) nicht. Gleichwohl nimmt er Notz´ Forderungen nach - Gleichberechtigung von Haus- und Sorgearbeit mit künstlerischen und politischen Betätigungen - Radikale Arbeitszeitverkürzung der Vollerwerbsarbeit - Existenzsichernde, sinnvolle Arbeit für alle, die das wollen - Gleiche Verteilung der bisher bezahlten und unbezahlten Arbeit auf Männer und Frauen (145) auf. Im Konzept selbst bleiben also Widersprüchlichkeiten, wenn es um die Kernfrage „im Übergang von der Arbeitsgesellschaft zur Gesellschaft der pluralen Tätigkeiten (geht): Arbeit – was ist das?“ (63) Wenn man davon ausgeht, dass Arbeit gleichermaßen dem ökonomischen System wie auch der persönlichen Lebensführung zuzurechnen ist – wie es SOFI/IAB/ISF/INIFES in der Berichterstattung von 2005 vorschlagen – würden wir uns von grundlegenden Denkmodellen und Dichotomien verabschieden müssen. Das fordistische Produktionsmodell mit seinem Pendant des Sozialmodells „Ernährer + Hausfrau“ greift für die Beschreibung von Arbeitsrealitäten nicht mehr. Ein zukunftsfähiges Arbeitskonzept müßte sich auch von den in diesen Modellen enthaltenen Antagonismen von „Produktion - Reproduktion“, „Arbeit – Freizeit“ verabschieden. Dieses Denkmodell, das Arbeit ausschließlich als Erwerbsarbeit jenseits der privaten Sphäre begreift und die übrige Zeit als Freizeit kategorisiert, bietet nur sehr eingeschränkt eine Ausgangsbasis, wenn es um die Frage nach dem Wandel der Arbeitsgesellschaft bzw. um die hiesige Frage der Ausgestaltung einer Bürgergesellschaft geht. Der Bereich der Versorgungsarbeit fällt allein schon in volkswirtschaftlicher Hinsicht ins Gewicht. Die Bedeutung dieses netz NRW Dr. Felizitas Pokora 2 Arbeitsfeldes (was bereits bei Marianne Weber 1912 nachzulesen ist) wurde in der feministischen Forschung seit den 1980er Jahren belegt; Beck selbst verweist darauf. Elisabeth Beck-Gernsheim prägte den Begriff der 1,5 Personen-Jobs. Das bedeutet, dass zur Erbringung der Leistung einer Vollzeitstelle eine weitere Person die Reproduktionsarbeiten erbringen muss, die zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit notwendig sind; dies wird von der Wirtschaft auch vorausgesetzt und spiegelt sich im Gesellschafts- bzw. den sozialen (Sicherungs)Systemen wider. Auf das Ausmass dieser unentgeltlich erbrachten Reproduktionsleistung, oder auch als private Liebesdienste angesehen, weist Andre Brié (2002) hin: Schwarz/Schäfer haben 1992 eine statistische Berechnung anhand des effektiven Durchschnittslohns einer Hauswirtschafterin (14,70 DM/Std.) durchgeführt und errechnet, dass die Nettowertschöpfung der Haushalte im Bereich der Reproduktionsarbeiten sich zu diesem Zeitpunkt auf 3,3 Billionen DM belief. Dies machte 36% der gesamten Wertschöpfung aus; ein höherer Anteil als im produzierenden Gewerbe. Diese statistische Berechnung zeigt die wirtschaftliche Dimension des Arbeitsfeldes auf. Arlie Hochschild hat in ihrer Studie „Keine Zeit“ (2005 in Deutschland erschienen) auch Qualitätsdimensionen der Sorgearbeit aufgezeigt. Ihre Ergebnisse zeigen, dass für berufstätige Eltern und insbesondere für Mütter der häusliche „Arbeitsplatz“ mit den organisatorischen, pädagogischen und psychosozialen Anforderungen oft als stressiger eingeschätzt wird als der Arbeitsplatz im Betrieb. Für die Entwicklung einer zukunftsfähigen Begrifflichkeit könnte von einem Patchworkarbeitsbegriff ausgegangen werden, der auf der Folie der Soziabilität entwickelt wird. Der Begriff „Patchwork“ bedient sich einer Analogie zur Begrifflichkeit der Patchworkbiographie. Es geht hier um die aus den Lebenszusammenhängen entstehenden Arbeitsbereiche, die zu einem kongruenten Ganzen gefügt werden müssen. Der/die jeweilige Akteurin muss gemäß der individuellen, an sie gestellten Anforderungen an netz NRW Dr. Felizitas Pokora 3 Erwerbsarbeit, Sorgearbeit, Gemeinschaftsarbeit, Eigenarbeit ein Arrangement gestalten und immer wieder (neu) produzieren. Die Folie „Soziabilität“ meint einerseits diesen akteurInnenbezogenen gesamten Arbeits- und Lebenszusammenhang dessen einzelne Faktoren von Arbeit und Leben in Einklang gebracht werden müssen. Andererseits kommt mit „Soziabilität“ (entwickelt im Kontext des Projektes GendA Netzwerk Arbeitsforschung, Ingrid Kurz-Scherf) die gesellschaftliche Arbeitsteilung als Element in die Diskussion. Hiermit kann die strukturelle Ebene im Sinne der gesellschaftlichen Relevanz der Tätigkeit eingebracht werden. Der Ausgangspunkt des Patchworkarbeitsbegriffs liegt in der Annahme, dass Arbeit nicht da aufhört, wo sie unentgeltlich geleistet wird (siehe der erwähnte SOFI Bericht); allerdings kann auch nicht jede beliebige Tätigkeit als Arbeit bezeichnet werden. Der Vorschlag schlägt zunächst die Kategorisierung von menschlichen Tätigkeiten in drei Bereiche vor: den der Arbeit, den der Tätigkeit/lebenslanges Lernen und den der Regeneration. Gesellschaftliche Relevanz Arbeit Tätigkeit/lebenslanges Regeneration Lernen Erwerbsarbeit Bildung/Weiterbildung Entspannung Versorgungsarbeit .... Sport/Gesundheit Gemeinschaftsarbeit .... Hobbies Eigenarbeit Arbeit wird hier verstanden wie er von Linne und im Konzept von Biesecker (WZB) vorgeschlagen wird. Erwerbsarbeit gilt für Tätigkeiten, die als Arbeitskraft entlohnt werden. Versorgungsarbeit, Eigenarbeit und Gemeinschaftsarbeit werden als Arbeit im Sinne der Soziabilität auf netz NRW Dr. Felizitas Pokora 4 struktureller Ebene, also der gesellschaftlichen Relevanz als Arbeit kategorisiert. Der Bereich der Regeneration dient der individuellen Erholung und persönlichen Weiterentwicklung; d.h. freie Verfügung von Zeit nach persönlichen Vorlieben ohne Berücksichtigung gesellschaftlicher Relevanz – der Gegenpol zur Arbeit. Der Bereich der Tätigkeiten/Lebenslanges Lernen dient der Kategorisierung von Tätigkeiten im Hinblick auf Arbeit und Erhaltung der Arbeitsfähigkeit. Dies sind Tätigkeiten zum Erwerb von Qualifikationen und persönlicher Kompetenzen, die perspektivisch für gesellschaftlich relevante Arbeit eingesetzt wird/werden kann. Ein Patchworkarbeitsbegriff sollte zum einen gesellschaftliche Teilhabe im Sinne von Anerkennung und Existenzsicherung gewährleisten, zum anderen sollte er Relevanz im Sinne gesellschaftlicher Arbeitsteilung haben. Insgesamt zielt Patchwork im Sinne der Erweiterung des Arbeitsbegriffes auf drei Dimensionen ab. Entlohnung und gesellschaftliche Anerkennung/Relevanz wurden bisher in den Entwürfen verschiedener Forscherinnen bereits eingeführt; bei Beck wird es als Bürgergeld bezeichnet. Als dritte Dimension möchte ich die Qualifikation bzw. Kompetenz hinzufügen. Wenn davon ausgegangen wird, dass nicht jede beliebige Tätigkeit als Arbeit bezeichnet werden sollte, sollte neben der Entlohnung und der strukturellen Dimension „gesellschaftliche Anerkennung/Relevanz“ auch eine akteurInnenbezogene Dimension zur Kategorisierung von Tätigkeiten als Arbeit herangezogen werden. „Qualifizierung/Kompetenz“ erscheint hier als erkenntnisfördernde Dimension, weil zur (möglichst) erfolgreichen Bewältigung einer Aufgabe Kompetenz notwendig ist. Der Diskurs über diese Dimension erscheint in einigen Forschungsbeiträgen in Form der Forderung nach Professionalisierung – vor allem in den Arbeitsbereichen der Sozialen Arbeit oder personen- und haushaltsnahen Dienstleitungen (zuletzt Thiessen 2004, Nadai u.a.2005). netz NRW Dr. Felizitas Pokora 5 Die Frage der Professionalisierung beinhaltet eine (Neu)Festlegung von Kriterien und Kompetenzen für verschiedenste Arbeiten und deren Nachweismodalitäten; ggf. könnte dies nach dem Vorbild/in Anlehnung an die Berufskataloge, wie das BIBB sie festlegt, geschehen oder Ergebnisse von Modellprojekten zur Kompetenzfeststellung anknüpfen. Abschließend noch ein kurzer Verweis auf die Frage der Existenzsicherung im Kontext des Diskussion über einen neuen/erweiterten Arbeitsbegriff. In der derzeitigen Kopplung von Erwerbsarbeit und Existenzsicherung zeigt sich auch eine Abwertung der Versorgungsarbeit (Familien-, Haus- und Sorgearbeit) als private Liebesdienste. Diese Kopplung wird auch von Beck in Frage gestellt: „Soziales Ansehen und soziale Sicherheit (müssen) von Erwerbsarbeit abgekoppelt werden“, es muss ein System der Grundsicherung geschaffen werden (67). Diese Kopplung erzeugt ein Abhängigkeitsverhältnis für die Personen, die diese Nicht-Arbeit leisten – immer noch meist die Frauen. Erwerbsarbeit sollte im Konzept der Bürgerarbeit als eine Tätigkeit neben anderen „Familienarbeit, Elternarbeit, Selbstarbeit, ehrenamtliche Tätigkeiten, politisches Handeln.“ (67) gelten. Die anderen Tätigkeiten werden nicht wie Erwerbsarbeit bezahlt, „aber belohnt und damit anerkannt und aufgewertet“ Die Höhe des Bürgergeldes bleibt auszuhandeln, sollte aber mindestens auf Arbeitslosen- und Sozialhilfeniveau liegen. Die Anerkennung des Reproduktionsbereichs als Arbeitsfeld ermöglicht die gesellschaftliche Teilhabe in Form immaterieller und materieller Anerkennung und hebt private Abhängigkeitsverhältnisse auf, die durch gesellschaftlich relevante Arbeiten entstehen. Für die Entwicklung eines alternativen Konzeptes der Arbeitsgesellschaft, wie auch das der Bürgergesellschaft, ist die Entwicklung eines neuen/erweiterten Arbeitsbegriffes grundlegend. Denn ohne die NeuDefinition von Arbeit wird nicht nur die Kopplung von Arbeit und netz NRW Dr. Felizitas Pokora 6 Existenzsicherung verabschiedet, sondern auch ein demokratischer Diskurs über eine Form der gesellschaftlichen Teilhabe. Der Patchworkarbeitsbegriff versucht eine Integration verschiedener Arbeitsfelder, grenzt sich durch die Einführung der gesellschaftlichen Relevanz als zweiter und der Qualifikation/Kompetenz als dritter Dimension aber von beliebiger Erweiterung ab. Wenn davon auszugehen ist, dass Arbeit unendlich, wie es Fridjoff Bergmann postuliert und Arbeit eine grundlegende Kategorie menschlichen Daseins ist (Frambach 2002), ist es im Sinne eines demokratischen Zusammenlebens umso wichtiger, im gesellschaftlichen Kontext eine Verständigung darüber zu finden, was Arbeit ist. netz NRW Dr. Felizitas Pokora 7