Abhängigkeit der Spontaneität einer Reaktion von der Reaktions-Enthalpie und Reaktions-Entropie BIOCHEMIE des Stoffwechsels (772.113) 3. Einheit Thermodynamische Konzepte für biologische Systeme (2) Thermodynamische Parameter einfacher Prozesse Reaktion Hr(kJ/mol) Sr(kJ/mol.K) Gr(kJ/.mol) Hydratation von Ionen (25°C) Na+(g) + Cl-(g) Na+(aq) + Cl-(aq) -760 -0,185 -705,0 Dissoziation von Ionen in Lösung H2O(l) + CH3COOH(aq) H3O+(aq) + CH3COO-(aq) -10,3 -0,126 27,26 -0,071 22,7 Transfer von Toluol in Wasser + 1,72 Ist die Freie Reaktionsenthalpie, Gr, bei einer bestimmten Zusammensetzung null, dann hat das System weder die Tendenz zur Bildung von Produkten noch zur Bildung von Edukten, es befindet sich im Gleichgewicht. Das Kriterium für chemisches Gleichgewicht bei konstantem Druck und konstanter Temperatur ist daher (Sges = 0): Gr = 0 Beispiel: N2(g) + 3 H2(g) 2 NH3(g) Der Ausdruck für die Gleichgewichtskonstante Keq einer bestimmten Reaktion ergibt sich bekanntlich aus der Zusammensetzung der Reaktionsmischung im Gleichgewicht. Am Weg zum Gleichgewicht wird die Zusammensetzung der Reaktionsmischung durch den Reaktionsquotienten Q beschrieben. Hr Sr Gr = Hr - TSr - + Reaktion bei allen Temperaturen spontan (exergonisch) - - Reaktion durch Enthalpie begünstigt, aber durch die Entropie gehindert. Sie läuft nur unterhalb T = Hr /Sr freiwillig ab. + + Reaktion von der Enthalpie her ungünstig (endotherm), aber durch die Entropie begünstigt. Sie ist spontan oberhalb T = Hr /Sr + - Reaktion in allen Temperaturbereichen endergonisch Freie Reaktions-Enthalpien bei beliebigen Konzentrationen Die Freie Standard-Reaktions-Enthalpie, Gr, ist mit einem sehr speziellen Reaktionstyp verknüpft, nämlich mit dem Übergang von reinen, unvermischten Reaktanten in ihren Standardzuständen zu den reinen, unvermischten Produkten in ihren Standardzuständen. In der Biochemie sind natürlich die zellulären StoffmengenKonzentrationen relevant. Viel interessanter als die Gr-Werte ist die Frage, ob eine bestimmte Mischung von Reaktanten und Produkten die Tendenz zur Bildung weiterer Produkte hat. Die Freie Reaktionsenthalpie, Gr, gibt nun die Änderung der Freien Enthalpie bei einer Reaktion an. Der Prozess tendiert in jene Richtung, die mit einer Abnahme der Freien Enthalpie einhergeht. Wenn Gr für ein vorliegendes Mischungsverhältnis negativ ist, haben die Edukte (Reaktanten) die Neigung zur Bildung weiterer Produkte. N2(g) + 3 H2(g) 2 NH3(g) Der Reaktionsquotient Q ist Q = (PNH3/P)2 / [(PN2/P) (PH2/P)3] Px ist der Partialdruck der Spezies X und P ist der Standardzustand (1 bar) Wenn das System seine Gleichgewichtszusammensetzung erreicht, entspricht der Reaktionsquotient der Gleichgewichtskonstante Keq (Q = Keq). Es hat sich ein dynamisches Gleichgewicht (Geschwindigkeit der Hin- und Rückreaktion ist ident!) etabliert: N2(g) + 3 H2(g) 2 NH3(g) Keq Der Reaktionsquotient bzw. die Gleichgewichtskonstante wird üblicherweise mit Hilfe der Aktivitäten, a, ausgedrückt: Q = (aNH3)2 / [(aN2) (aH2)3] 1 Q = (aNH3)2 / [(aN2) (aH2)3] Die Aktivität, a, ist eine dimensionslose Größe. In der Regel ist es ausreichend, die folgenden Werte für a zu verwenden: Keq >> 1 In der Gleichgewichts-Reaktionsmischung dominieren die Produkte In der Gleichgewichts-Reaktionsmischung dominieren die Edukte Für ideale Gase: ax = Px/P Keq << 1 Für reine Flüssigkeiten und Feststoffe: ax = 1 Für gelöste Stoffe bei geringer Konzentration: ax = [X]/(1 mol/L) Die Werte von Gr und Gr sind über einen einfachen Ausdruck miteinander verknüpft, den man in zwei Schritten herleiten kann: Aktivitäten berücksichtigen die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Spezies, etwa intermolekulare Wechselwirkungen (DipolWechselwirkungen, Wasserstoffbrücken usw.). Gr = Gr + RTlnQ Ableitung: Es ist immer zu beachten, dass das Gleichgewicht dynamisch ist. Für ein ideales Gas hängt die Freie Enthalpie mit seinem Partialdruck p in einer Mischung folgendermaßen zusammen: G = G + nRTln(P/P) mit P = 1 bar G = G + nRTlna mit a = P/P Beispiel: Gleichgewicht zwischen Oxyhämoglobin, HbO2, und Desoxyhämoglobin (Hb): Hb(aq) + O2(g) HbO2(aq) Im Gleichgewicht entspricht die Geschwindigkeit der Sauerstoffanlagerung gleich der Geschwindigkeit der Abdissoziation! G = G + nRTlna dG = VdP mit a = P/P Wenn die Probe nicht kompressibel ist (also V von P unabhängig ist), liefert die Integration Hat das Gas einen Druck von 1 bar, dann ist a = P/P = 1 und G = G G = VP Beweis für G = G + nRTlna Bei einem Gas muss die Gesamtänderung der Freien Enthalpie beim Übergang vom Anfangsdruck PA zum Enddruck PE der Tatsache entsprechen, dass sich V mit dem Druck ändert Ideales Gasgesetz: V = nRT/P Es gilt für Prozeß bei konstanter Temperatur: dG = dH – TdS Mit H = U + PV und dH = dU + PdV + VdP folgt PE dH = dq + dw + PdV + VdP Mit dw = -pdV und dq = TdS (für reversible Änderungen) G = VdP = nRT (1/P)dP = nRTln(PE/PA) PA PA dH = TdS –PdV + PdV + VdP = TdS + VdP PE P dann G = G; Wenn PE = P dann G = G - G; dG = dH – TdS = TdS + VdP - TdS Wenn PA = dG = VdP G = G - G = nRTln(P/P) bzw. G = G + nRTlna Beispiel: Die Freie Enthalpie eines Gases (1 mol), dessen Druck infolge einer Reaktion bei 25°C von 1 bar auf 0,5 bar abnimmt, ändert sich folgendermaßen: Die Freie Reaktions-Enthalpie bei der angegebenen Zusammensetzung ist die Differenz aus Produkten und Edukten: G = G + nRTlna = G + [(1 mol)(8,314 JK-1mol-1)(298 K) (ln0,5)] G = G + (1 mol).RT.{lnaC3 – lnaAaB2} G = G + nRTlna = G - 1717 J = G - 1,7 kJ G = G + (1 mol).RT.ln (aC3 / (aAaB2) G = (3 mol) GC - {(1 mol) GA + (2 mol) GB} Einführen der molaren Reaktions-Enthalpie Gr Allgemeine Reaktion: Gr = G /1 mol A(g) + 2 B(g) 3 C(g) Reaktionsquotient Q = (aC3 / (aAaB2) Die Freie Enthalpie von 3 mol C in einem Reaktionsstadium mit dem Partialdruck PC ist (mit aC = PC/P): GC = (3 mol) {GC + RTlnaC} = (3 mol) GC + (1 mol) RTlnaC GA = (1 mol) GA + (1 mol) RTlnaA GB = (2 mol) GB + (1 mol) RTlnaB2 Gr = Gr + RTlnQ 3 Der Term RTlnQ zählt zum Wert von Gr entweder etwas hinzu (Q > 1 und lnQ > 1) oder zieht etwas ab (Q < 1 und lnQ < 0). Deshalb ändert sich während der Reaktion Gr! 2 Wenn Reaktion das Gleichgewicht erreicht hat, dann gilt: Gr = 0 = Gr + RTlnQ Im Gleichgewicht entspricht Q = Keq und es folgt: Gr = -RTlnKeq Dies ist eine der wichtigsten Gleichungen der chemischen Thermodynamik, da sie die Angabe der Gleichgewichtskonstante für jede Reaktion aus Tabellenwerken mit thermodynamischen Daten erlaubt. Umgekehrt kann bei Kenntnis der GleichgewichtsKonzentrationen die Freie Standard-Reaktions-Enthalpie errechnet werden. Reaktion: aA + bB cC + dD Gleichgewicht: Gr = 0 Gr = -RTlnKeq = -RTln {[C]ceq[D]deq/[A]aeq[B]beq} Die Gegenwart eines Katalysators hat keinen Einfluß auf die Gleichgewichtskonstante einer Reaktion. Es gilt: Verknüpfung von Keq mit Gr bei 25°C (298 K) Keq Gr (kJ/mol) --------------------------------------------106 -34,3 104 -22,8 102 -11,4 101 -5,7 100 0,0 Gr = -RTlnKeq 10-1 5,7 10-2 11,4 10-4 22,8 10-6 34,3 Änderung von Keq (25°C) um Faktor 10 führt zu einer Änderung von Gr um 5,7 kJ/mol Die Freie Reaktions-Enthalpie als Funktion der Entfernung der Reaktion vom Gleichgewicht. Reaktion: A B Gr = Gr + RTlnQ Gr = -RTlnKeq Gr entspricht der Differenz der Freien-Standard-Enthalpien von Produkten und Reaktanten und hat damit unabhängig von der Reaktionsführung immer denselben Wert! Selbst wenn ein Enzym die Reaktion beschleunigt, indem es einen anderen Weg von Edukten zu Produkten ermöglicht, hat es keinen Einfluß auf den Wert von Gr und damit auch keinen auf die Gleichgewichtskonstante. Die Gleichgewichts-Zusammensetzung einer Reaktionsmischung ist unabhängig von der Gegenwart eines Katalysators! Keq = [B]eq/[A]eq Energieinhalt des Systems Gr > 0 Gr < 0 Q = Keq Gr = 0 Reines A 0,001K 0,01K 0,1K Keq Reines B 10K 100K 1000K Reaktionsquotient Q = [B]/[A] Die Änderung der Freien Enthalpie, Gr, liefert eine quantitative Aussage über den Maximalwert an nützlicher (nichtexpansiver) Arbeit, die eine Reaktion leisten kann, die bei konstanter Temperatur und konstantem Druck stattfindet. Ist Gr = 0, befindet sich das System im Gleichgewicht und kann keine “nützliche” Arbeit leisten. Wieso nichtexpansive Arbeit? dG = dwrev + TdS + PdV –TdS = dwrev + PdV wrev = dwrev,exp + dwrev,nonexp = -PdV + dwrev,nonexp dG = dwrev + PdV = -PdV + dwrev,nonexp + PdV dG = dwrev,nonexp dG = dH – TdS = dU + PdV –TdS = dw + dq + PdV –TdS “Nützliche” Arbeit in biologischen System ist z.B. T = konstant; P = konstant (Bio)synthetische Arbeit: z.B. Knüpfen von Bindungen Maximale Arbeit wird nur erreicht, wenn der Prozess reversibel geführt wird: Mechanische Arbeit: Änderungen des Ortes und der Richtung (z.B.: Muskelkontraktion oder Wanderung der Chromosomen bei der Mitose) dG = dwrev + dqrev + PdV –TdS mit dqrev = TdS dG = dwrev + TdS + PdV –TdS = dwrev + PdV Konzentrations- und elektrische Arbeit: Bewegung von Molekülen und Ionen über Membranen 3 Beispiel: Oxidation von 1 mol Glucose C6H12O6(s) + 6 O2(g) 6 CO2(g) + 6 H2O(g) Gr = -2885 kJ/mol Die maximale nichtexpansive Arbeit, die aus einem Mol Glucose erhalten werden kann, ist also 2,88 103 kJ! Biochemische Reaktionen laufen in der Regel in wässrigen Medien und bei pH 7 ab. Gr‘ symbolisiert die Standard-Reaktions-Enthalpie bei pH 7. Wie ist der Zusammenhang zwischen der chemischen StandardReaktions-Enthalpie (pH = 0), Gr, und dem biologischen Standardzustand, Gr‘ (pH 7.0)? Wie muss man Wasser, das explizit im Zuge einer Reaktion entsteht oder verbraucht wird, im Reaktionsquotienten bzw. in der Gleichgewichtskonstante berücksichtigen? Um 1 mol Peptidbindung zu knüpfen, muss z.B. 17 kJ an Arbeit investiert werden. Folgendes ist zu beachten: Fazit: Durch die Oxidation von einem Glucose-Molekül können 170 Peptidbindungen geknüpft werden. A) Wenn an der Reaktion weder Wasser noch Protonen beteiligt sind, stimmen Gr und Gr‘ überein. B) Werden im Zuge einer biochemischen Reaktion werden Protonen freigesetzt, dann gilt: A B- + n H+ mit Keq‘ =Keq[H+]neq Gr‘ = Gr + nRTln[H+]eq Beispiel: (C) Werden im Zuge einer biochemischen Reaktion Protonen verbraucht, dann gilt: A- + n H+ B mit Keq‘ = Keq / [H+]neq Gr‘ = Gr + RTln(1/[H+]n) = Gr - nRTln[H+]eq (D) Entstehen im Verlauf einer biochemischen Reaktion H2OMoleküle, dann gilt: A + B C + D + n H2 O Gr = -RTlnKeq = -RTln ([C]eq[D]eq[H2O]eqn/[A]eq[B]eq) Gr‘ = -RTlnKeq‘ = -RTln([C]eq[D]eq /[A]eq[B]eq) und damit Gr‘ = Gr + nRTln[H2O] mit [H2O]eq = 55,5 mol/l und bei T = 298 K gilt NH Die Freie Standard ReaktionsEnthalpie der Hydrolyse-Reaktion O von Phosphocreatin beträgt bei 37°C –42,8 kJ/mol. O O P HN N O CH3 O Phosphocreatin(aq) + H2O(l) Creatin(aq) + Pi(aq) Gr‘ (37°C)= - 42,8 kJ/mol Die physiologische Konzentrationen von Phosphocreatin, Creatin und anorganischem Phosphat liegen typischerweise zwischen 1 mM und 10 mM. Annahme: Sie betragen 1 mmol/L. Berechnen Sie die Reaktionsenthalpie unter diesen Bedingungen: Temperatur: Gr’= Gr 37°C = 310 K ’ + RTlnQ = Gr‘ = Gr + n.(9,96 kJ/mol) - 42800 J/mol + (8,314 J/mol.K)(310 K) ln([0,001][0,001]/[0,001]) Gr’ = - 60,5 kJ/mol Beispiel: Beispiel: Man lasse die Hydrolyse von Fructose-1-P, Die Freie Enthalpie für die Hydrolyse von Acetylphosphat unter biologischen Standardbedingungen ist Gr‘ = - 42,3 kJ/mol: Fructose-1-P(aq) + H2O(l) Fructose(aq) + Pi(aq) bei 25°C ins Gleichgewicht kommen. Die ursprüngliche Konzentration von Fructose-1-P war 0,2 mol/L. Wenn das System H H O C C OPO32- H Acetylphosphat das Gleichgewicht erreicht, beträgt die Konzentration von Fructose- Acetyl-P(aq) + H2O(l) Acetat(aq) + Pi(aq) 1-P nur mehr 6,52 x 10-5 mol/L. Berechnen Sie die der Hydrolyse von Fructose-1-P unter Standardbedingungen. Kalkulieren Sie die Freie Enthalpie für die Hydrolyse von Acetylphosphat in einer Lösung von 2 mM Acetat, 2 mM Phosphat und 3 mM Acetylphosphat bei 25°C. Keq‘ = [0,2][0,2]/[6,52 10-5] = 613,5 Gr‘ = Gr‘ + RTlnQ = - 42,3 kJ/mol + (8,314 J/mol.K)(298 K) Gleichgewichtskonstante dieser Reaktion und die Freie Enthalpie Gr‘ = -RTlnKeq‘ = - (8,314 JK-1mol-1) (298 K) ln(613,5) = -15904 J/mol = -15,9 kJ/mol ln([0,002][0,002]/[0,003]) Gr‘ = -42,3 kJ/mol - 16401 J/mol = - 58,7 kJ/mol 4 Abhängigkeit der Freien Reaktions-Enthalpie von der Temperatur Die Gleichgewichtskonstante einer Reaktion ändert sich mit der Temperatur. Der einfachste Weg, Größe und Richtung dieses Effektes zu bestimmen, besteht darin, den Einfluß der Temperatur auf Gr‘ zu ermitteln. Es gilt: lnK‘x,eq = lnK‘eq + (Hr‘ / R) (1/T – 1/Tx) und Gr,x‘ = -RTlnK‘x,eq Es gilt: Gr‘ = Hr‘ - TSr‘ Gr‘ = Hr‘ - TSr‘ Hr und Sr ändern sich nicht signifikant mit der Temperatur, da sowohl die Enthalpien als auch die Entropien der Edukte und Produkte durch die Temperaturänderung beeinflußt werden. Wegen Gr‘ = Hr‘ - TSr‘ hängt die Freie Enthalpie aber von der Temperatur ab. Gr‘ = Hr‘ - TxSr‘ Van‘t Hoff‘sche Gleichung Für eine bestimmte Temperatur T gilt: Gr’ = -RTlnK’eq lnK’eq = - Gr‘ / RT = - (Hr‘ / RT) + (Sr‘ / R) Bei einer anderen Temperatur Tx ergibt sich mit Gr‘ = Hr‘ - TxSr‘ lnK‘x,eq = lnK‘eq + (Hr / R) (1/T – 1/Tx) bzw. lnK’x,eq = - Gr‘ / RTx = - (Hr‘ / RTx) + (Sr‘ / R) Tx > T und Hr‘ negativ (exotherme Reaktion) K‘x,eq < K‘eq Annahme: lnK’eq = - Gr‘ / RT = - (Hr‘ / RT) + (Sr‘ / R) Die Differenz beider Ausdrücke ist Die Gleichgewichtskonstante einer exothermen Reaktion nimmt mit steigender Temperatur ab! lnK‘eq – lnK‘x,eq = - (Hr‘ / R) (1/T – 1/Tx) Umgeformt ergibt sich lnK‘x,eq – lnK‘eq = (Hr‘ / R) (1/T – 1/Tx ) lnK‘x,eq = lnK‘eq + (Hr‘ / R) (1/T – 1/Tx) Annahme: van‘t Hoff‘sche Gleichung Tx > T und Hr‘ positiv (endotherme Reaktion) K‘x,eq > K‘eq Die Gleichgewichtskonstante einer endothermen Reaktion nimmt mit steigender Temperatur zu! Beispiel: Denaturierung von Chymotrypsinogen (siehe Einheit 2) Es wurden K‘eq bei verschiedenen Temperaturen bestimmt. Hr‘ wird aus der Steigung der Kurve ermittelt. Für 54,5°C gilt: R lnK eq 25 54,5°C 10 -5 Hr -3,31 - (-17,63) = 14,42 -20 -35 2.98 van‘t Hoff‘sche Gleichung ‘ = (-14,42) / [(-0,027) 10-3] = 533 kJ/mol 3,04 - 3,067 = -0,027 3.03 3.08 -1 1000/T (K ) d(lnK‘eq) Hr’ = -R. -----------d(1/T) R(lnK‘x,eq – lnK‘eq) = (Hr‘) (1/T – 1/Tx ) R(lnK‘x,eq – lnK‘eq) /(1/T – 1/Tx ) = Hr bzw. Sind bei einer Reaktion die d(lnK‘eq) Gleichgewichtskonstanten bei mehreren Hr’ = -R. ------------ Temperaturen bekannt, so kann in diesem Temperaturbereich die Reaktions-Enthalpie d(1/T) ermittelt werden. T(K): 324,4 326,1 327,5 329 330,7 332,0 333,8 K‘eq: 0,041 0,12 0,27 0,68 1,9 5,0 21 Denaturierung von Chymotrypsinogen Gr ’ = -RTlnK ‘ = Gr’ = -RTlnK‘eqeq = = -(8,314 J/mol.K)(327,5K) ln(0,27) = -(8,314 J/mol.K)(327,5K) ln(0,27) = 3,56 kJ/mol = 3,56 kJ/mol Gr’, kJ/mol Mit Hilfe der bekannten Abhängigkeit von Keq von T, kann Gr’ bei verschiedenen T ermittelt werden. Denaturierung eines Proteins: Ab einer bestimmten Temperatur wird Gr’ negativ und die Denaturierung findet statt! 5 Denaturierung von Chymotrypsinogen Beispiel: Gr’ = 3,56 kJ/mol = Hr - TSr = -(3560-533000) / 327,5 Die Gleichgewichtskonstante für die Reaktion A B ist 0,5 bei 20°C und 10 bei 30°C. Kalkulieren Sie Hr für diese Reaktion, unter der Annahme, dass Hr von der Temperatur unabhängig ist. Bestimmen Sie Gr und Sr bei 20°C und 30°C. = 1620 J / (K. mol) Gr‘ = - RTln K‘eq Hr’ = 533 kJ/mol (54.5°C) Sr’ = -(Gr’ -Hr )/T Sr, kJ/mol 20°C: Gr‘ = - (8,314 J/mol.K).(293 K) ln0,5 = 1,69 kJ/mol Im Zuge der Temperaturerhöhung wird der entropische Beitrag immer positiver (günstiger) 30°C: Gr‘ = - (8,314 J/mol.K).(303 K) ln10 = - 5,8 kJ/mol Hr‘ = -R.dln(K‘eq)/d(1/T) = - 8,314{ln10 - ln0,5}/{1/303 - 1/293} = 221,14 kJ/mol Sr‘ = -{(G - H)/T} = -{(1,69 kJ - 221,13 kJ) / (293 K)} = 0,75 kJ/K.mol (20°C) Intermediate des Stoffwechsels mit hohem Gehalt an Freier Enthalpie Abhängigkeit der Freien Reaktions-Enthalpie vom Druck Die Größe lnK’eq ist proportional zu Gr’. Adenosintriphosphat Gr’ ist definiert als die Differenz der Freien Enthalpien der Substanzen in ihren Standardzuständen, d.h. bei einem Druck von 1 bar und pH 7,0! Deshalb ist Gr’ unabhängig vom Druck während der Reaktion. Abhängigkeit der ATP-Hydrolyse vom pH-Wert, der Konzentration an Erdalkali-Ionen und den tatsächlichen zellulären Konzentrationen von ATP, ADP und anorganischem Phosphat Die Gleichgewichtskonstante ist unabhängig vom Druck! Gruppenübertragungspotentiale Das bedeutet jedoch nicht, dass die einzelnen Partialdrücke oder Konzentrationen der Reaktionspartner gleich bleiben! Generell ist es so, dass bei einer Gasphasen-Reaktion eine Druckerhöhung die Gleichgewichts-Zusammensetzung so verändert, dass die Anzahl der Moleküle in der Gasphase verringert wird (Beispiel HaberBosch-Verfahren!). Gekoppelte Reaktionen Thermodynamische Betrachtung der „energiereichen“ Intermediate des Stoffwechsels OO ATP N CH2 N H2N O N N P O- O O O O P P - O O N CH2 N Adenosintriphosphat 1941: Erkennung seiner Rolle im Energiestoffwechsel der Zelle durch Fritz Lipmann und Herman Kalckar H2N N O OH HO O O P P O N Adenin P O- O OH ATP, O- O O- HO Adenosintriphoshat, ATP O -O O- Phosporylgruppen: -, -, Adenosin Adenosinmonophosphat (AMP) ATP + H2O ADP + Pi Gr‘ = -35.7 kJ/mol 6 ATP-Hydrolyse pH-Wert und Ionisierungsgrad Die Änderung der Freien Enthalpie im Zuge einer (bio-)chemischen Reaktion hängt von der Natur der Edukte und Produkte, der Temperatur, den aktuellen zellulären Konzentrationen der Edukte und Produkte und dem pH-Wert ab. ATP hat 5 dissoziierbare Protonen: pKa = 4,06 NH3 pKa = 6,95 O a) pH-Wert und Ionisierungsgrad HO b) Konzentration von Metallionen P O O O P OH OH O P NH2 O Gr‘, kJ/mol O O P O O O P N CH2 Mg2+ ATP4- + H2O ADP3- + HPO42- + H+ Abhängigkeit der Freien Enthalpie der Hydrolyse von ATP von den tatsächlichen zellulären Konzentrationen Die Änderung der Freien Enthalpie der Hydrolyse von ATP in Abhängigkeit von der Entfernung vom thermodynamischen Gleichgewicht (ATP4- + H2O ADP3- + HPO42- + H+): Annahme: Keq (pH 7; [Mg2+] = 10 mmol/L) = 1.0 105 _________________________________________________________________________ Gr’ [ATP]/[ADP], wenn (kJ/mol) [Pi] = 10 mmol/L 1 0 10-7 105 103 102 -11,4 10-5 10 104 -22,8 10-3 1 105 -28,5 10-2 0,1 106 -34,2 10-1 10-3 108 -45,6 10 10-5 1010 -57 103 typisch für Mitochondrien: [Pi] = 10 mM; [ATP] = 10 mM; [ADP] = 50 µM Keq/Q Gr‘, OH Alkalischer Bereich, pH > 7.0: Pro pH-Einheit wird bei der ATP-Hydrolyse um 5,7 kJ/mol mehr an Energie frei. Warum: [H+] ist im Zähler des Massenwirkungsgesetzes. Q Mg2+, Ca2+, Na+ und K+ gehören zu den Mengenelementen („bulk elements“) in biologischen Systemen. Die Freie Enthalpie der ATP-Hydrolyse hängt von der Erdalkali-Konzentration der Zellen ab: O O OH pKa = 6,95 N N O OH Abhängigkeit der Freien Enthalpie der ATP-Hydrolyse von Metallionen N P O völlig deprotoniert Abhängigkeit der Freien Enthalpie der Hydrolyse von ATP vom pH-Wert: O CH2 OH Dies gilt generell für alle Verbindungen mit hohen Phosphatgruppenübertragungspotentialen (siehe unten). N N O OH c) Tatsächliche zelluläre Adenylat-Konzentrationen HO N N Das Hydrolysegleichgewicht von ATP ist sehr komplex. Die Freie Enthalpie der Hydrolyse von ATP hängt von folgenden Faktoren ab: (mM) (kJ/mol) 0 5 -35,7 G‘, kJ/mol NH2 N N O -31,0 O O HO P O P O P O CH2 O O N N O O OH OH Typische Verhältnisse: pH = 7, [Mg2+] = 5 mmol/L Gr‘ = -31,0 kJ/mol 5 mM Alle lebenden Organismen verwenden ATP um Freie Enthalpie zwischen energieproduzierenden und energieverbrauchenden Systemen zu übertragen. Vorgänge, die mit einer starken Abnahme der Freien Enthalpie verbunden sind (wie z.B. der oxidative Abbau von Kohlenhydraten oder Fettsäuren), werden dazu verwendet um die Bildung von ATP anzutreiben. Die Hydrolyse von ATP wiederum wird dazu verwendet, biosynthetische Reaktionen und andere Prozesse, die einen Anstieg an Freier Enthalpie erfordern, zu ermöglichen. ATP kann auf mehrere Arten hydrolysiert werden: ATP + H2O ADP + Pi Gr’ = -31,0 kJ/mol ADP + H2O AMP + Pi Gr’ = -31,0 kJ/mol ATP + H2O AMP + PPi Gr’ = -32,2 kJ/mol Pi, anorganisches Phosphat (HPO42-); PPi, Pyrophosphat (HP2O73-). 7 Täglicher ATP-Verbrauch eines Menschen (70 kg) Gruppenübertragungspotential Viele (bio-)chemische Reaktionen involvieren den Transfer einer funktionellen Gruppe von einem DONOR-Molekül auf ein AKZEPTOR-Molekül (z.B. Wasser). Das Konzept der Gruppenübertragungspotentiale erklärt die Tendenz solcher Reaktionen. Bei der Hydrolyse von biologischen Phosphorylverbindungen entspricht das Gruppenübertragungspotential der Änderung der Freien Enthalpie beim Transfer der Phosphatgruppe auf das Akzeptormolekül Wasser. Kalorienverbrauch pro Tag: z.B. 2800 kcal = 11700 kJ Annahme: Die thermodynamische Effizienz (Wirkungsgrad) der biochemischen Prozesse sei 50 % Hydrolyse von ATP unter typischen zellulären Bedingungen liefert etwa 50 kJ/mol Aufnahme von 11700 kJ mit 50% Wirkungsgrad: 5860 kJ werden in Form von ATP gespeichert. Das entspricht 5860 kJ /(50 kJ/mol) = 117 mol ATP pro Tag Bindungen, deren Hydrolyse mit stark negativen Gr‘ Werten einhergehen (< -25 kJ mol-1), werden als „energiereich“ bezeichnet und mit einer Schlangenlinie (~) symbolisiert: M (ATP, Dinatriumsalz) = 551 g/mol 117 mol (551 g/mol) = 64467 g = 64,467 kg ATP pro Tag ATP: A-R-P ~ P ~ P Mensch enthält etwa 50 g ATP, d.h. 1 ATP wird pro Tag etwa 1300mal recycliert A = Adenyl-, R = Ribosyl-, P = Phosphorylrest Intermediate des Stoffwechsels mit hohem Gehalt an Freier Enthalpie - O O N H2N O - CH2 N O N N P O P O O O P O -O O- Adenosintriphosphat Abhängigkeit der ATP-Hydrolyse vom pH-Wert, der Konzentration an Erdalkali-Ionen und den tatsächlichen zellulären Konzentrationen von ATP, ADP und OH anorganischem Phosphat HO Die Änderung der freien Enthalpie bei Übertragung der - (aus ATP) bzw. -ständigen (aus ADP) Phorphorylgruppe auf H2O ist stark negativ (< -25 kJ/mol). ATP bzw. ADP sind „energiereich“, ihr Gruppenübertragungspotential ist groß. Freie Standard-Enthalpie der Phosphathydrolyse bei einigen biologisch relevanten Verbindungen Verbindung Gr Phosphoenolpyruvat -61,9 1,3-Bisphosphoglycerat -49,4 ‘ Acetylphosphat -43,1 Phosphocreatin -43,1 PPi -33,5 ATP AMP + PPi -32,2 ATP ADP + Pi -31,0 Glucose-1-phosphat -20,9 Fructose-1-phosphat -16,0 Glucose-6-phosphat -13,8 Glycerin-3-phosphat -9,2 Gruppenübertragungspotentiale Phosphoenolpyruvat, PEP (kJmol-1) - O Phosphorylierung von ADP O OPO32- C C PEP + H2O Pyruvat + Pi O - O P O - O Phosphorylierung der Hydrolyseprodukte durch ATP CH2 H OH C C H H Gr’ = -61,9 kJ/mol O C OPO32- 1,3-Bisphosphoglycerat 1,3-Bisphosphoglycerat + H2O 3-Phoshoglycerat + Pi + H+ Gr’ = -49,4 kJ/mol 8 H O C H C OPO3 2- Acetylphosphat - O O NH3+ C C H NH H (CH2)3 N C Argininphosphat PO32- N H H Acetylphosphat + H2O Acetat + Pi + H+ Gr’ = -47,3 kJ/mol Gr’ = -38,1 kJ/mol Argininphosphat + H2O Arginin + Pi NH2 NH O O N N O P HN Creatinphosphat N CH3 O O HO O P O O O Creatinphosphat + H2O Creatin + Pi O P O O P CH2 Adenosintriphosphat, ATP O O OH Gr’ = -43,1 kJ/mol N N O OH Gr’ = -31 kJ/mol ATP + H2O ADP + Pi NH2 O O P O P O N N O CH2 O H Adenosindiphosphat, ADP H OH O O H OH Gr’ = -31 kJ/mol ADP + H2O AMP + Pi O O P O P - H OH OH O H OH O NH H O N O O CH2OH N O N P O O O- O O CH2 Uridindiphosphat-Glucose, UDP-Glucose H H H OH H OH O O P Pyrophosphat, PPi O UDP-Glucose + H2O Glucose + UDP O Gr’ = -31,9 kJ/mol Pyrophosphat + H2O Pi + Pi H H O C C O S CH2 CH2 NH C CH2 CH2 NH H Acetyl-CoA Gr’ = -32,2 kJ/mol O OH CH3 C CH C CH2 O CH3 Uridindiphosphat, UDP O ADP C - O H C CH3 H2C H2C S-Adenosylmethionin CH2 N N O NH2 N HO N OH Acetyl-CoA + H2O CoA + Acetat Gr’ = -31,5 kJ/mol S NH3+ S-Adenosylmethionin + H2O Methionin + Adenosin Gr’ = -25,6 kJ/mol Adenosin Methionin 9 Fructose-1-P + H2O Fructose + HPO32CH2OH OH O OH H H OH CH2 H H O HO HO H H OP - O HO O Gr’ = -21,0 kJ/mol HO O OH O Glycerin-3-P + H2O Glycerin + HPO42O P N N O H2N N O Gr’ = -9,2 kJ/mol OH Adenosinmonophosphat, OH AMP OH N HO AMP + H2O Adenosin + HPO4 2- Gr’ = Fructose-1-P O- Gr’ = -13,9 kJ/mol - O O P HO Glucose-6-P H O HO HO Veresterung H H OH OH Glucose Freie Standard-Enthalpie der Phosphathydrolyse bei einigen biologisch relevanten Verbindungen Glycerin-3-phosphat P P O- H HO O OH Glucose-6-P + H2O Glucose + Pi Glucose-1-Phosphat, Glucose-1-P Glucose-1-P + H2O Glucose + Pi O O- H OH O Gr’ = -16,0 kJ/mol -9,2 kJ/mol Verbindung Gr‘ (kJmol-1) Phosphoenolpyruvat -61,9 1,3-Bisphosphoglycerat -49,4 Acetylphosphat -43,1 Phosphocreatin -43,1 PPi -33,5 ATP AMP + PPi -32,2 ATP ADP + Pi -30,5 Glucose-1-phosphat -20,9 Fructose-1-phosphat -16,0 Glucose-6-phosphat -13,8 Glycerin-3-phosphat -9,2 Übergangszustand ATP ist also Energiemittler zwischen „energiereichen“ Phosphoryldonoren (Synthese bei der „Verbrennung von Nährstoffen“) und „energieärmeren“ Phosphorylakzeptoren ! Das Donor/Akzeptorpaar ATP4-/ADP3- nimmt in der Hierachie der Phosphorylgruppenübertragungspotentiale eine Mittelstellung ein. „ATP as an intermediate energy-shuttle molecule“. Wichtig ist die Tatsache, dass (obwohl die Hydrolyse von ATP einen sehr negativen Gr’-Wert hat) ATP in wässriger Lösung eine relativ stabile Verbindung ist. Unter den physiologischen Bedingungen von pH und Temperatur hydrolysiert es nicht sehr schnell. Die Hydrolyse, obwohl thermodynamisch extrem begünstigt, wird durch eine hohe Aktivierungsschwelle verlangsamt. Erst diese Tatsache gewährleistet die rasche und selektive Nutzung der Freien Enthalpie des ATP. Enzyme (z.B. Kinasen) können diese Barriere aber leicht überwinden. Edukte Phosphorylierung der Hydrolyseprodukte durch ATP „Energiereich“ bedeutet also nicht, dass diese Verbindungen instabil sind und sofort hydrolysieren! Für den Bruch der O-P -Bindung in ATP ist eine Aktivierungsenergie von 200-400 kJ/mol nötig (vgl. Hydrolyse: -31,0 kJ/mol) Aktivierungsenergie (200-400 kJ/mol) ATP Phosphorylierung von ADP Enzyme (Katalysatoren): Überwinden die AktivierungsProdukte Schwelle Gr’ = -31 kJ/mol ADP + Pi Biochemischer Nutzen energiereicher Phosphatverbindungen: Sie sind kinetisch stabil gegenüber Hydrolyse, jedoch gleichzeitig kompetent in (Enzym-katalysierten) Reaktionen große Beträge an freier Enthalpie freizusetzen. 10 Energiereiche Phosphatverbindungen sind Übergangsformen gespeicherter Energie („transient forms of stored energy“) im Gegensatz zu langfristigen Speicherformen (z.B. Glykogen, Stärke) („longterm storage of energy“). Ein wichtiger Grund in der Bedeutung des ATP liegt auch darin, dass die bei der Hydrolyse frei werdenden Produkte in einer Reihe von chemischen Reaktionen mit anderen Molekülen gekoppelt werden können. Beispiel: Einbau von Phosphat in Glucose. Weiters stellen das Adenin und die Ribosylgruppe von ATP, ADP und AMP zusätzliche Strukturmerkmale zur Verfügung, die es diesen Verbindungen ermöglichen, an Enzyme zu binden und an der Regulation enzymatischer Reaktionen teilzunehmen. AMP Gekoppelte Reaktionen Energetisch ungünstige Reaktionen werden im Stoffwechsel mit energetisch günstigen gekoppelt, um synthetische Arbeit leisten zu können. Im allgemeinen gilt, wenn die Änderung der mit zwei Reaktionen A B und C D assoziierten Freien Enthalpie GAB’ und GCD’ ist, dann ist die Änderung der Freien Enthalpie, die den kombinierten Prozeß (A + C B + D) begleitet, einfach GAB’ + GCD’. Dieses Prinzip erlaubt es lebenden Organismen, komplexe Moleküle mit höherer Enthalpie und geringerer Entropie zu synthetisieren. Die Änderung der Freien Enthalpien ist additiv, wohingegen die Gleichgewichtskonstanten multiplikativ kombiniert werden müssen: AB’ KCD’ Kopplung erfolgt direkt durch Enzyme, hier durch Kinasen (Enzymklasse 2: Transferasen). Sie katalysieren die Übertragung von Phosphorylgruppen von ATP auf andere Moleküle und umgekehrt. Der Kopplungsmechanismus muss aber nicht unbedingt direkt über ein Enzym funktionieren. Ein anderer allgemeiner Mechanismus zur Kopplung einer energetisch ungünstigen Reaktion an eine günstige besteht darin, einfach dafür zu sorgen, dass eine der Reaktionen der anderen vorausgeht oder folgt. Sind die Änderungen der Freien Enthalpien für die Reaktionen A B GAB und für B C GBC ’, dann ist die Änderung der Freien Enthalpie für A C gleich GAB’ + GBC’. Adenosintriphosphat Abhängigkeit der ATP-Hydrolyse vom pH-Wert, der Konzentration an Erdalkali-Ionen und den tatsächlichen zellulären Konzentrationen von ATP, ADP und anorganischem Phosphat Gruppenübertragungspotentiale Gekoppelte Reaktionen Gr‘ (kJ/mol) Beispiele: Die Freie Enthalpie aller Komponenten einer Lösung ist additiv. ’ Intermediate des Stoffwechsels mit hohem Gehalt an Freier Enthalpie Pi + Glucose Glucose-6-P + H2O ATP + H2O ADP + Pi +13,9 -31,0 ATP + Glucose ADP + Glucose-6-P -17,1 Enzyme: Hexokinase, Glucokinase H C OPO32O C C O H2 O H H O C C O C + HPO42- O H H Gr‘ = -62,2 kJ/mol ADP + Pi ATP + H2O Gr‘ = +31,0 kJ/mol Phosphoenolpyruvat + ADP Pyruvat + ATP -31.2 kJ/mol Enzym: Pyruvatkinase Beispiel: Acetyl-CoA + Oxalacetat Citryl-CoA Citrat + Coenzym A Acetyl-CoA + Oxalacetat Citryl-CoA Gr‘ = -0,21 kJ/mol Citryl-CoA Citrat + Coenzym A Gr‘ = -35,2 kJ/mol Kombination durch Enzym Citratsynthase Gr‘ = -35,41 kJ/mol Der Mechanismus der Citratsynthase stellt sicher, dass beide Reaktionen zusammen erfolgen. Treibt bei sequentiellen Reaktionen eine die andere an, ist es nicht notwendig, dass die zwei Schritte vom selben Enzym katalysiert werden. Dies kann aber hilfreich sein, um die Gesamtreaktion zu beschleunigen. 11 Übungsbeisbeispiel: Beispiel: Malat + NAD+ Oxalacetat + NADH + H+ Gr‘ = +30 kJ/mol Enzym: Malat-Dehydrogenase Wird diese Reaktion gekoppelt mit Acetyl-CoA + Oxalacetat Citryl-CoA Citrat + Coenzym A (Enzym: Citratsynthase; Gr‘ = -35,4 kJ/mol) Ein wichtiger Schritt in der Glykolyse (Embden-Meyerhof-Weg) ist die Kopplung der Oxidation von Glycerinaldehyd-3-Phosphat mit der anschließenden ATP-Bildung aus 1,3-Bisphosphoglycerat. Die beiden beteiligten Enzyme sind Glycerinaldehyd-3-Phosphat-Dehydrogenase und Phosphoglycerat-Kinase. Berechnen Sie die Freie Enthalpie der gekoppelten Gesamtreaktion bei pH 7,0 und 38°C, wenn für beide Reaktionen folgende Gleichgewichtskonstanten gegeben sind: Reaktion 1: dann beträgt der kombinierte Gr –Wert -5,4 kJ/mol, sodass die Gleichgewichtskonstante für die Gesamtsequenz günstig ist. In beiden Reaktionen wird durch Entfernen eines Produktes die Reaktion angetrieben. Wichtig: ‘ Nicht Gr‘ sondern Gr‘ bestimmt, ob ein Prozeß spontan abläuft. Glycerinaldehyd-3-Phosphat + Pi + NAD+ Reaktion 2: 1,3-Bisphosphoglycerat + ADP 3-Phosphoglycerat + ATP Gleichgewichtskonstanten gekoppelter Reaktion sind multiplikativ zu behandeln: Gr‘ Adenosintriphosphat Abhängigkeit der ATP-Hydrolyse vom pH-Wert, der Konzentration an Erdalkali-Ionen und den tatsächlichen zellulären Konzentrationen von ATP, ADP und anorganischem Phosphat Gruppenübertragungspotentiale Gekoppelte Reaktionen Thermodynamische Betrachtung der „energiereichen“ Intermediate des Stoffwechsels = - RTln Keq R = 8,314 J/(mol K) und T = 273 + 38 = 311 K Gr‘ = - [8,314 J/(mol K)][311 K] ln 152,78 = -13005 J/mol = = -13,005 kJ/mol Thermodynamische Betrachtung der „energiereichen“ Intermediate des Stoffwechsels Wie erklärt man sich die stark negative Freie Enthalpie der Hydrolysereaktionen von phosphorylierten Intermediaten? Welche strukturellen Merkmale zeichnen diese Moleküle aus? Energiereiche Phosphorylverbindungen: Die Freie Enthalpie der Hydrolyse ist kleiner (noch mehr exergonisch) als -25 kJ/mol. Darunter fallen folgende Typen biochemisch relevanter Moleküle: • • • • • • • Phosphoanhydride (ATP, ADP, GTP, GDP, PPi etc.) Gemischte Anhydride (Acylphosphate, z.B.: Acetylphosphat) Enolphosphate (PEP) Phosphoguanidine (Phosphocreatin, Phosphoarginin) Thioester (z.B.: Acetyl-CoA) Zuckernucleotide, cyclische Nucleotide S-Adenosylmethionin Keq = 1,746 103 Intermediate des Stoffwechsels mit hohem Gehalt an Freier Enthalpie Lösung: Gesamtgleichgewichtskonstante Keq = (0,875 10-1) (1,746 103) = 152,78 Keq = 0,875 10-1 1,3-Bisphoglycerat + NADH + H+ Phosphoanhydride (ATP, ADP, GDT, GTP...) OO N CH2 N H2N O N N OH HO P O- O O O O P P O -O O- Phosphorsäureanhydridbindungen Nucleosidtriphosphate enthalten 2 Pyrophosphat-Bindungen, die bei Hydrolyse große Mengen an Freier Enthalpie freisetzen. Ursachen: Elektrostatische Abstoßung der Edukte (Reaktanten). Stabilisierung der Produkte durch Ionisation und Resonanz Erhöhung der Entropie durch Hydrolyse 12 - - O O C O + Stabilisierung der Hydrolyseprodukte durch Ionisation 2 H+ H2O O C 2 CH3 + O C O O O - - OR P + OR O + O P O P H2O O P Elektrostatische Abstoßung in den Edukten (z.B. in Pyrophosphat: HP2O73-) O O O C C C C CH3 CH3 O O O C C O O P O O O P N N O CH 2 O CH3 OH N N P O O P Beispiele: CH 2 Partiell positive Ladungen am C-Atom und PAtom bewirken Bindungsspannung Erhöhung der Entropie Acetylphosphat + H2O Acetat + Pi + H+ Gr’ = -47,3 kJ/mol O O OH Acetylphosphat, 1,3- Bisphosphoglycerat, Aminosäureester der tRNAs N N O CH3 Erhöhte Resonanzmöglichkeiten der Produkte NH 2 O O Gemischte Anhydride Ursachen: H 2O O C O Die Hydrolyse von Acylphosphaten ist stark exergonisch; die Produkte sind viel stabiler als die Edukte O OH O O O C N HPO 4 2- + H + pH-abhängig, siehe pKa-Werte C O O CH3 N Zunahme der Entropie ! OH O C CH3 NH 2 O P O O CH3 O Entropiefaktor 2 Edukte 3 Produkte -------------- O Produkte HPO42- CH3 O O Produkte: Simultane Resonanz CH3 P O Stabilisierung der Produkte durch Resonanz. Die Hauptprodukte der ATP-Hydrolyse (ADP3-, HPO42-) weisen eine größere Zahl mesomerer Grenzstrukturen auf als ATP. (nur alternativ) O OH O Nettoladung -2 (Stabilisierung des elektrophilen Phosphoratoms) Edukte: kompetitive Resonanz OH P O O O O P OR' Beispiel Essigsäureanhydrid CH3 O Edukt Pyrophosphat, HP2O73Nettoladung -3 O - P O O OR' O - OH CH3 CH3 O O O OH 13 1,3-Bisphosphoglycerat + H2O 3-Phoshoglycerat + Pi + H+ H O O H O H C C OPO32- H C C O- H2O H O- O Acetylphosphat + H2O Acetat + HPO42- + H+ - O P H OH C OH O H2O O- H+ CH2 O O- H O Gr’ = -49,4 kJ/mol O- P C O- P O Gr’ = -47,3 kJ/mol H H O C C O O O - H O- P OH C OH OHO OCH2 O O H C P P H+ O- O O- O Enzym: 3-Phosphoglycerat-Kinase: 1,3-Bisphosphoglycerat + ADP 3-Phosphoglycerat + ATP Aminosäureester der tRNA Aminoacyl-Adenylate sind Intermediate bei der Proteinbiosynthese. Wiederum handelt es sich um gemischte Anhydride aus Carbonsäuren und Phosphorsäuren. Mehrere Reaktionsschritte werden durch das Enzym Aminoacyl-tRNASynthetase gekoppelt. RCH(NH3+)CO-AMP gemischtes Anhydrid N RCH(NH3+)COO- + ATP4- RCH(NH3+)CO-AMP + PPi RCH(NH3+)CO-AMP + tRNA RCH(NH3+)CO -tRNA + AMP RCH(NH3+)COO- + tRNA + ATP RCH(NH3+)CO-tRNA + AMP + PPi Gesamt: Die Freie Enthalpie der Hydrolyse der Anhydridbindung des Aminoacyl-Intermediates (RCH(NH3+)CO-AMP) ist die treibende Kraft der Bindungsknüpfung an die tRNA. Die Freie Enthalpie der Hydrolyse der Anhydridbindung des Aminoacyl-Intermediates (RCH(NH3+)CO-AMP) ist die treibende Kraft der Bindungsknüpfung an die tRNA. Esterbindung RCH(NH3+)CO-tRNA Enolphosphate Ursache: O O H C OPO32- H C OH H H C C OPO32- Mg2+, K+ Pyruvatkinase H C H C O H H C H2 O Enolase C O O ATP O O C ADP, H+ C Als Folgereaktion der Hydrolyse bildet sich eine sehr instabile Enolform, die in die stabilere Ketoform umgewandelt wird. PEP entsteht in der Glycolyse durch Dehydratisierung von 2-Phosphoglycerat: O O Phosphoenolpyruvat (PEP): Höchstes Gruppenübertragungspotential C H C H OPO32Phosphoenolpyruvat, PEP PEP 14 O - - O O O- P O O C C Guanidiniumphosphate H2O CH2 Guanidiniumphosphate: O - O O OH C C - P O CH2 O Gr’ = -28,3 kJ/mol O Stabile Ketoform des O Pyruvats Tautomerisierung OH O - O C C C C Argininphosphat Energiereiche Phosphatverbindungen mit Guanidinium (bzw. Amidinium), die bei der Muskelkontraktion die Rolle von ATP-Depots spielen, werden Phosphagene genannt. OH Instabile Enolform des Pyruvats - CH2 Creatinphosphat Creatinphosphat - O CH3 Gr’ = -33,6 kJ/mol Argininphosphat Thioester Effektive Resonanzstabilisierung der Hydrolyseprodukte; hohe Symmetrie der Hydrolyseprodukte H H O C C O S CH2 CH2 NH C O OH C CH CH2 CH2 NH H CH3 C CH2 O ADP CH3 Acetyl-CoA + H2O CoA + Acetat Gr’ = -31,5 kJ/mol Limitierte Resonanzstabilisierung der Edukte Sauerstoffester Succinyl-CoA + GDP + HPO42- Succinat + GTP + CoA-SH O- O H R C O R R' C O R' H C OC + GDP + HPO42- GTP + R' R C O S R' R C S CoA S Thioester: Die Überlappung der -Elektronen des relativ großen Schwefelatoms mit den Elektronen des C-Atoms in einer C=S Doppelbindung ist ungünstig. R' Enzym des Citratzyklus: GTP + ADP GDP + ATP H C H C COOCOO- + CoA-SH H O + O S H COO- CH2 Thioester R C Succinyl-CoA-Synthetase Nucleosiddiphophat-Kinase Folge: Resonanz im Gegensatz zu Sauerstoff-Estern ungünstig! Thioester sind instabiler. 15 Zuckernucleotide (Nukleosiddiphosphatzucker) ADP-Ribose (Adenosindiphosphatribose) Bindung eines Zuckers an ein Nucleosiddiphosphat (Bildung einer C-O-P Bindung). Beispiele: ADP-Ribose, GDP-Mannose, UDP-Glucose. Intermediate der Biosynthese von Polysacchariden und anderen komplexen Kohlenhydraten Hydrolyse in Zucker und Nucleosiddiphosphat ist exergonisch (Ursache: Resonanzstabilisierung der Produkte): Nucleosiddiphosphatzucker + H2O Nucleosiddiphosphat + Zucker Gr‘ -30 kJ/mol O CH2OH O H H OH NH H O GDP-Mannose (Guanosindiphosphatmannose) O H O H OH P - OH H O P N O O O- O O CH2 Uridindiphosphat-Glucose, UDP-Glucose H H H OH H OH UDP-Glucose + H2O Glucose + UDP Gr’ = -31,9 kJ/mol Uridindiphosphat, UDP Cyclische Nucleotide (Phosphodiester) S-Adenosylmethionin S-Adenosylmethionin ist zwar kein phosphoryliertes Intermediat des Stoffwechsels. Es hat aber einen hohen Gehalt an Freier Enthalpie und wird als Methylgruppen-Donor im Metabolismus eingesetzt. Synthese aus Methionin und ATP. Bindung der Aminosäure Methionin über eine S-C Bindung an einen Adenosinrest. COO- COOH C CH2 H NH3+ + ATP CH2 Ursache für stark negatives G‘: Hohe Spannung im Phosphodiesterring Funktion: Modulation der Aktivität regulatorischer Proteine CH3 S CH3 Enzym: S-Adenosylmethionin-Synthase C NH3+ CH2 PPi CH2 + S Adenin CH2 H OH O OH Pi H 16 COOH C COO- NH3+ R R-CH3 CH2 S NH3+ C CH2 CH2 CH3 H Methyltransferase CH2 Adenosyl S Adenosyl S-Adenosylhomocystein Aktivierung der Methylgruppe durch benachbartes positives S-Atom COOH C NH3+ H2 O Hydrolase CH2 Homocystein CH2 Adenosin SH 17