MEDIZIN ZUR FORTBILDUNG Schilddrüsenfunktion und ihre Bedeutung für die Fertilität Winfried G. Rossmanithl Werner A. Scherbaum 2 W ährend die Zusammenhänge zwischen Schilddrüse und gestörter Ovarialfunktion vielfältig untersucht wurden (5, 13-15, 20, 30, 32), existieren nur sporadische Berichte über die Einflüsse von Schilddrüsenstörungen auf die männliche Fertilität (8, 12, 18). Obwohl Störungen in der Schilddrüsenfunktion recht häufig vorkommen, werden sie wegen ihrer bisweilen diskreten Symptomatik oder wegen isolierter internistischer Wertung in ihrer Bedeutung für die Fertilität oft spät erkannt. Über- und Unterfunktion der Schilddrüse können durch abnorme pubertäre Entwicklung (5) oder fetale somatische oder mentale Auffälligkeiten (20) hervortreten; solche Störungen werden wegen ihrer klinisch eindrucksvollen Symptomatik auch nicht übersehen. Andererseits ähneln subklinische Formen der Schilddrüsendysfunktion in ihrem Spektrum den häufiger geschilderten Beschwerden in der Sprechstunde, wie Galaktorrhöe, Hirsutismus, Menorrhagien oder Hitzewallungen bei der Frau, oder Störungen in der Sexualfunktion und Gynäkomastie beim Mann (2, 28). Die vorliegende Arbeit versteht sich als komprimierte praxisorientierte Übersicht der Zusammenhänge zwischen Schilddrüse und männlicher, aber vor allem weiblicher Fertilität. 1 Universitäts-Frauenklinik und Poliklinik (Direktor: Prof. Dr. med. Rolf K. Kreienberg) der Universität Ulm 2 Medizinische Klinik und Poliklinik III (Direktor: Prof. Dr. med. Werner A. Scherbaum(, Universität Leipzig Bei Männern und Frauen im fertilen Alter können Störungen der Schilddrüsenfunktion mit Beeinträchtigung in der Reproduktivfunktion einhergehen. Männer zeigen eine Gynäkomastie oder fallen durch verminderte Spermatogenese auf; bei Frauen können Galaktorrhöe und Zyklusunregelmäßigkeiten auftreten, die für eine Corpus-luteum-Insuffizienz oder chronische Anovulation sprechen. Daraus folgen Subfertilität oder beim Eintreten eines Konzeptus habituelle Aborte und fetale Anomalien. Auf die Wichtigkeit einer ausführlichen Schilddrüsendiagnostik bei Störungen in der männlichen und insbesondere weiblichen Fertilität wird nachdrücklich hingewiesen. Nach Sicherung einer Hypo- oder Hyperthyreose kann durch eine adäquate Behandlung der Schilddrüsenerkrankung die volle Fertilität wiederhergestellt werden. Physiologische Zusammenhänge zwischen Schilddrüse und Reproduktion Die Verbindungen zwischen Schilddrüse und Testikulär- oder Ovarialfunktion sind komplex und nur unvollständig geklärt. Störungen in der Schilddrüsenfunktion können sich auf mehrere endokrine Regelbereiche für die geordnete Spermatogenese und den Menstruationszyklus auswirken. Sie reichen von der Beeinträchtigung der zentralen Steuerung der Gona- A 3562 (30) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 51/52, 26. Dezember 1994 - dotropine bis zu Veränderungen im Stoffwechsel der Sexualsteroide. Störungen in der zentralen Steuerung der Schilddrüse können über die veränderte Freisetzung des Prolaktins die zentrale Steuerung der Gonadotropine beeinträchtigen. Die neurohumorale Regulation der Schilddrüsenfunktion verläuft über hypothalamische Releasing-Faktoren und neurotrope Transmitter, die neben der SH-Sekretion die Freisetzung von Prolaktin modulieren (24, 26, 29). Thyrotropin-Releasing-Hormon (TRH) stimuliert vorwiegend den Thyreotrophen, setzt aber gleichzeitig Prolaktin aus dem Laktotrophen der Adenohypophyse frei (5, 32). D eshalb führt eine vermehrte TRH-Stimulation, wie etwa bei der primären Hypothyreose, gelegentlich zu einer mäßigen Hyperprolaktinämie. Die erhöhte Prolaktinsekretion verhindert die episodische Freisetzung von Gonadotropinen. Möglicherweise geschieht dies indirekt über Veränderung des zentralen dopaminergen oder opioidergen Neurotransmittertonus (22, 23, 25). Je nach Einschränkung der episodischen Gonadotropinsekretion zeigen sich dann klinisch subtile oder stärker ausgeprägte Störungen in der Funktion der Testes oder der Ovarien. Beim Mann kann es zu quantitativen und qualitativen Störungen in der Spermatogenese sowie zur Impotenz kommen; bei Frauen treten Lutealinsuffizienz oder Anovulation auf, oder auch Zyklusstörungen von der Oligo- bis zur Amenorrhöe. Die damit einhergehende Hyperprolaktinämie kann auch gleichzeitig eine Galaktorrhöe hervorrufen. Es ist denkbar, daß ne- ZUR FORTBILDUNG ben endokrinen Veränderungen auch metabolische sowie emotionale Begleiterscheinungen einer Schilddrüsendysfunktion die menstruelle Zyklizität beeinträchtigen. Synthese, Freisetzung und Metabolismus von Sexualsteraiden und deren Transportproteinen im Serum stehen unter dem direkten Einfluß von Schilddrüsenhormonen. Unter anderem stimulieren die Schilddrüsenhormone Thyroxin (T4 ) und Trijodthyronin (T3 ) die Konversion von Androgenen zu Östrogenen. Deshalb entstehen azyklisch hohe Östrogenspiegel, die mit der menstruellen Zyklizität interferieren. Bei der Hyperthyreose führt die gesteigerte Synthese und Freisetzung von Sexualsteroidbindendem Globulin (SHBG) aus der Leber zu hohen Serumspiegeln dieses Proteins. Nur ungebundene Östrogene oder Androgene können biologisch aktiv sein, daraus resultieren Veränderungen in der biologischen Wirksamkeit dieser Sexualsteroide und ihrer metabolischen Abbauraten (5, 13). So ist bei der Hyperthyreose die Ausscheidung von Testosteron vermindert (30). Andererseits kann bei Vorliegen einer Hypothyreose bei der Frau ein hoher freier Anteil an Androgenen vorliegen, da die Konversion von Androgenen zu Östrogenen gehemmt ist. Außerdem entsteht bei der Hypothyreose durch eine gesteigerte 16-alpha-Hydroxylierung des Östradiols vermehrt Östriol. Frauen können dabei androgene Zyklusstörungen aufweisen oder zu hirsuten Veränderungen neigen. Da bei Männern mit Hypothyreose die Synthese von Testosteron aus Cholesterin eher eingeschränkt erscheint, entwickelt sich ein Androgenmangel mit nachfolgenden Störungen in der Spermatogenese (18, 33). Klinische Störungen der Fertilität bei Hyper- und Hypothyreose Verschiedentlich wurde berichtet (5, 14, 29, 31), daß eine schwere unbehandelte primäre Hypothyreose zu einer Pubertas praecox führen Tabelle 1: Klinische Auswirkungen von Schilddrüsenfunktionsstörungen auf die weibliche Reproduktion Hyperthyreose ..". Verzögerung der sexuellen Reifung ..". Zyklusstörungen (Oligomenorrhoe, Polymenorrhoe, Corpus-luteumInsuffizienz, Amenorrhoe) .... · vermind~rte Androgenwirkung durch vermehrte periphere Konversion zu Ostrogenen: weiche Haut, feines Haar ..". erhöhte SHBG-Spiegel durch gesteigerte Östrogensynthese: Zyklusstörungen Hypothyreose .... gelegentlich Pubertas praecox ..". Galaktorrhoe und Zyklusstörungen bei Hyperprolaktinämie .... Hirsutismus durch erhöhte Androgenspiegel .... Zyklusstörungen durch verminderte Östrogenproduktion und SHBG-Mangel .... erhöhte Abort- und Totgeburtenrate .... erhöhte Prävalenz von fetalen kongenitalen Auffälligkeiteil könne (Tabelle 1). Diese beschleunigte sexuelle Entwicklung ist auf die übermäßige Freisetzung von Gonadotropinen parallel zum hypophysären TSH zurückzuführen. Außerdem können verminderte SHBG-Werte im Serum durch eine Erhöhung des freien Anteils an Östrogenen zu vorzeitiger Geschlechtsentwicklung führen (32). Durch eine verringerte Androgensynthese und -freisetzung können beim erwachsenen Mann Störungen in der Spermatogenese bis zur Azoospermie hin auftreten (12, 34). Infolge des Androgenverlustes sind auch Potenzstörungen nicht selten anzutreffen. Bei der Frau kann eine längerdauernde unbehandelte Hypothyreose mit Galaktorrhöe einhergehen (30, 32). Häufiger sind jedoch Zyklusstörungen, die sich in der Regel subtil als Lutealinsuffizienz oder persistierende Anovulation, aber auch in Oligomenorrhöe oder Amenorrhöe manifestieren. In der gynäkologischen Sprechstunde werden vor allem subklinische Formen einer Hypothyreose beobachtet (2, 4, 13, 28). Sie treten in endemischen Jodmangelgebieten, wie etwa in Süddeutschland, besonders gehäuft auf. Bisweilen kann sich eine subklinische Hypothyreose allein in Menorrhagien äußern (33) oder sich in subtilen Störungen des Menstruationszyklus wie in einer Corpus-luteum-Insuffizienz manifestieren (2). Ausgedehnte Untersuchungen zeigen, daß nach Eintritt einer Schwangerschaft die Rate an Aborten bei hypothyreoten Schwangeren doppelt so hoch sein kann wie in der Normalbevölkerung (10, 20, 30). Da die fetale Schilddrüse ab der 14. Schwangerschaftswoche autonom von der mütterlichen funktioniert, ist auch bei einer mütterlichen Hypothyreose die Versorgung des Feten über längere Zeit sichergestellt (13). Eine adäquate Schilddrüsenhormonsubstitution der hypothyreoten Schwangeren kann diese hohen Frühabortraten senken. Auch kongenitale Abnormalitäten sind bei einer unbehandelten Hypothyreose etwa dreifach häufiger als im Vergleichskollektiv (19, 20). Andererseits kann auch bei einer schweren Hypothyreose eine Schwangerschaft oft normal ausgetragen werden. Deshalb sollte eine erst in der Schwangerschaft entdeckte Hypothyreose keine gene- Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 51152, 26. Dezember 1994 (31) A-3563 MEDIZIN ZUR FORTBILDUNG relle medizinische Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch darstellen. Überfunktionen der Schilddrüse sind bei Patienten einer Infertilitätssprechstunde weitaus seltener als Unterfunktionen. Im allgemeinen verursacht eine Hyperthyreose vor Eintreten der Pubertät keine Störung im Entwicklungsprozeß (Tabelle 1). Selten einmal kann jedoch eine schwere Hyperthyreose zu einer sexuellen Entwicklungsverzögerung führen. Beim Mann kann unter einer Hyperthyreose durch den relativen Ostrogenismus eine einseitige oder beidseitige Gynäkomastie auftreten (15, 18). Bei der erwachsenen Frau werden Zyklusstörungen beobachtet, die die Fertilität beeinträchtigen können. Die episodische Sekretion der Gonadotropine erscheint auch bei schwerer Hyperthyreose nicht wesentlich beeinträchtigt; jedoch fehlt der Gonadotropinanstieg zum Mittzyklus, was die Menstruationsstörungen möglicherweise erklärt (18). Einige Frauen bleiben trotz schwerer Hyperthyreose ovulatorisch, so daß bei Vorliegen einer Amenorrhöe auch an eine Schwangerschaft gedacht werden sollte (32). SchilddrüsenFunktionsstörungen in der Schwangerschaft Eine mütterliche Hyperthyreose tritt selten erstmals in der Schwangerschaft auf; doch stellt sie eine ernsthafte Komplikation der Schwangerschaft dar. Alle klinischen Zeichen einer Hyperthyreose wie Hitzegefühl, Nervosität, Gewichtsverlust oder Hyperreflexie können vorliegen. Nicht selten werden sie von den Patientinnen jedoch als schwangerschaftsbedingte Störungen fehlgedeutet. Eine Hyperthyreose in der Schwangerschaft mag durch einen Morbus Basedow, ein autonomes Adenom, eine disseminierte Autonomie der Schilddrüse oder die maligne Degeneration der Plazenta hervorgerufen werden. Eine Hyperthyreose vom Typ des Morbus Basedow wird in der Schwangerschaft in der Regel kli- Tabelle 2: Diagnostik von Schilddrüsenfunktionsstörungen bei männlichen oder weiblichen Fertilitätsstärungen Basisdiagnostik Erweiterte Diagnostik TSH basal Schilddrüsensonographie Gesamt-T4 Gesamt-T3 Schilddrüsenscintigraphie TRH-Test Freies T4 (FT4) Freies T3 (FT3) TSH-Rezeptor-Antikörper Mikrosomale Schilddrüsen-Antikörper (TPO-Antikörper) Prolaktin Anmerkung: Da bei Patienten mit Fertilitätsstörungen nur subtile Schilddrüsenfunk- tionsstörungen vorliegen können, sind diagnostische Stufenschemata mit Orientierung auf Hyper- oder Hypothyreose nicht zu empfehlen. nisch abgeschwächt, neigt aber dazu, sich post partum zu verstärken. Die für den Morbus Basedow charakteristischen schilddrüsenstimulierenden Antikörper vermögen die Plazenta zu passieren und können zu einer fetalen Thyreotoxikose führen, die beim neugeborenen Kind als Neugeborenenhyperthyreose in Erscheinung tritt (5). Bei schwangeren Frauen mit zirkulierenden Schilddrüsenantikörpern wurde auch bei klinischer und biochemischer Euthyreose eine erhöhte Zahl von Aborten beobachtet (9). Durch genaue Bestimmung der Schilddrüsenantikörper in der Frühschwangerschaft können also Frauen mit erhöhtem Risiko für Aborte wie auch für eine Postpartumthyreoiditis identifiziert werden. Die Prävalenz von Schilddrüsenfunktionsstörungen in der Postpartalperiode wird wahrscheinlich unterschätzt, da sie meistens unerkannt bleiben (30). Eine postpartale Thyreoiditis ist typischerweise durch eine vorübergehende leichte Hyperthyreose charakterisiert, die nach einigen Wochen in eine Hypothyreose übergeht (5, 31). Nach Monaten kann dann wieder spontan eine Euthyreose eintreten; manche Patientinnen bleiben jedoch permanent hypothyreot (1, 11). Eine Postpartumthyreoiditis kann allerdings auch nach ihrer vollständigen klinischen Remission in weiteren Schwangerschaften wieder auftreten. A 3564 (32) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 51/52, 26. Dezember 1994 - Diag nostische Überlegungen In der Fertilitätssprechstunde sind überwiegend euthyreote Patienten zu finden; jedoch wird der Anteil der Patienten mit subklinischen Schilddrüsenstörungen auf bis zu 20 Prozent beziffert (7). Die Schilddrüsendiagnostik in der Infertilitätssprechstunde ist daher in erster Linie eine Ausschlußdiagnostik (13, 17). Sie sollte gerade diejenigen erfassen, deren beeinträchtigte Fertilität ursächlich auf einer gestörten Schilddrüsenfunktion zu beruhen scheint. Die Symptome einer Dysfunktion der Schilddrüse sind bei Frauen im fertilen Alter nicht immer klinisch offensichtlich. In der Fertilitätssprechstunde sind unerfüllter Kinderwunsch oder rekurrente Aborte oft die einzigen Klagen, ohne daß spontan weitere Symptome einer Hyper- oder Hypothyreose geäußert werden. Deshalb sollte sich bei der Frau die Frage nach Zyklusstörungen, Galaktorrhöe, oder Veränderungen in der Behaarung richten. Manifeste Störungen der Schilddrüsenfunktion finden sich nur selten bei männlichen Fertilitätsstörungen (8), doch auch Änderungen im Sexualverhalten können richtungweisend sein. Da die Beschwerden oft subtil und die körperliche Untersuchung nicht weiterführend ist, sichert letztlich die laborchemische Be- MEDIZIN ZUR FORTBILDUNG stimmung von Schilddrüsenparametern eine vermutete Schilddrüsendysfunktion. Grundlegend für die Diagnostik ist die Bestimmung der peripheren Schilddrüsenhormonspiegel (Gesamt-T 4 und T3) wie auch des basalen TSH durch einen ultrasensitiven Assay. Dadurch können Auffälligkeiten im endokrinen Regelkreis komplett erfaßt werden (Tabelle 2). Für die Interpretation von Schilddrüsenbefunden ist bedeutsam, daß die T 4-Spiegel die Sekretionsleistung der Schilddrüse wiedergeben, während die T3-Werte den biologisch aktiven Anteil an Schilddrüsenhormon in der Peripherie darstellen (13, 32). Schilddrüsenhormone werden an das thyroxinbindende Globulin (TBG) im Serum gebunden; nur der freie Anteil an Schilddrüsenhormon ist metabolisch aktiv (5). Die Synthese und Freisetzung von TBG aus der Leber unterliegt unter anderem der Stimulation durch Östrogene; deshalb ist unter Einnahme von oralen Kontrazeptiva der freie Anteil von Schilddrüsenhormon erniedrigt (13). Beim TRH-Test wird die Reaktivität des Thyreotrophen untersucht; dabei werden 200 lig TRH intravenös appliziert, was zum maximalen Anstieg von TSH innerhalb von 15 bis 30 Minuten führt (Tabelle 2). Zur Bestimmung von TSH werden heute ultrasensitive Radioimmunoassays verwandt. Werden damit die basalen TSH-Spiegel im Normbereich gefunden, so ist eine hyperthyreote Stoffwechsellage praktisch ausgeschlossen. Bei erniedrigten TSH-Werten besteht der Verdacht auf eine Hyperthyreose; im TRH-Test finden sich zusätzlich die stimulierten TSH-Spiegel supprimiert. Der Befund von erhöhten freien T4- und T3-Werten zusammen mit supprimierten TSH-Spiegeln bestätigt die Diagnose einer Hyperthyreose. Andererseits weisen niedrige FT4-Spiegel mit normalen oder erhöhten TSH-Werten auf das Vorliegen einer Hypothyreose hin; im TRH-Test ergibt sich eine unzureichende oder aufgehobene Stimulierbarkeit von TSH (Tabelle 2). Eine subklinische Hypothyreose läßt sich vermuten, wenn bei grenzwertig niedrigen T4-Werten die basalen TSH-Spiegel über dem Normalbereich zu finden sind (2, 28). Im TRH-Test zeigt sich zusätzlich eine überschießende TSHSekretion. Die häufigsten Ursachen einer primären Hypothyreose im Erwachsenenalter liegen in einer Autoimmunthyreoiditis (5, 14). Es gibt Hinweise dafür, daß eine Autoimmunthyreoiditis mit wiederholten Aborten einhergehen kann (9, 16). Deshalb ist die Bestimmung von Schilddrüsenantikörpern und Antikardiolipin-Antikörpern bei Frauen mit habituellen Aborten anzuraten (5). Therapeutische Konzepte Wird bei Vorliegen von Fertilitätsproblemen bei Galaktorrhöe oder Zyklusstörungen eine gestörte Schilddrüsenfunktion diagnostiziert, so hat deren Behandlung Vorrang vor jeder symptomatischen Therapie. Durch eine adäquate Behandlung der Schilddrüsendysfunktion kann auch mit der Normalisierung der Ovarialfunktion gerechnet werden. Zumindest die Behandlung einer schweren Hyper- oder Hypothyreose gehört in die Hände eines endokrinologischen Spezialisten. Nach Sicherung der Diagnose einer manifesten Hypothyreose besteht die primäre Therapie in der Substitution mit Schilddrüsenhormon. Dabei beginnt die Behandlung mit L-Thyroxin in steigender Dosierung (25 µg/Tag und Steigerung um 25 Kg/Tag alle zwei Wochen). Etwa vier bis sechs Wochen nach Erreichen der klinisch abzuschätzenden Enddosis von 100 bis zu 200 Kg/Tag kann die Richtigkeit der Dosierung durch Bestimmung des basalen TSH-Spiegels kontrolliert werden (13, 32). Klinisch zeigt sich das Erreichen des Therapieoptimums bei der Frau durch das Wiedereinsetzen einer regelrechten Ovarialfunktion, während bei Männern auch nach Erreichen einer therapeutischen Euthyreose Störungen in der SpermatogeneSe für längere Zeit weiterbestehen können (34). Neuere Befunde machen auf die Notwendigkeit zur Substituti- onsbehandlung auch bei Vorliegen einer subklinischen Hypothyreose aufmerksam (2, 3). Gerade bei Frauen mit insuffizienter Corpusluteum-Phase stellt die adäquate Substitution mit niedrigen Dosen von Thyroxin (25 bis 50 µg/Tag) die Therapie der Wahl dar; denn sie reguliert die menstruelle Zyklizität und behandelt adäquat die Lutealinsuffizienz. Alternativ kommt im Jodmangelgebiet eine Substitution mit 100 bis 200 µg Jodid pro Tag in Frage. Liegt eine Hyperthyreose vor, so sollte eine thyreostatische Behandlung eingeleitet werden. In der Regel beginnt sie mit Thioharnstoffpräparaten (zum Beispiel Carbimazol 3x10 mg/Tag, oder Perchlorat 4x100-200 mg/Tag = 4x5 bis 4x10 Tropfen/Tag), oder aber bei einer jodinduzierten Hyperthyreose mit Lithium (Dosierung nach Serumspiegeln). Darüber hinaus ist meist die zusätzliche Gabe nichtkardioselektiver Betablocker (zum Beispiel 4x20 mg Propranolol/Tag) angezeigt. Die weitere Behandlung richtet sich nach den freien Spiegeln der Schilddrüsenhormone. Mitteloder langfristig sollte eventuell eine operative oder strahlentherapeutische Behandlung angestrebt werden mit dem Ziel, eine permanente Euthyreose herzustellen. Auch bei Männern und Frauen im fertilen Alter kann eine Radiojodtherapie durchgeführt werden, da die dabei erzielte Gonadendosis gering ist und keine Gefahr für die Fertilität oder einen späteren Konzeptus besteht (32). Obwohl sich die Hyperthyreose vom Typ des Morbus Basedow in der Regel während der Schwangerschaft bessert, müssen doch viele Patientinnen auch in der Schwangerschaft thyreostatisch behandelt werden. Da Thioharnstoffe diaplazentar in den Feten übergehen, sollten sie nur in der niedrigst möglichen effektiven Dosierung verabreicht werden. Es empfiehlt sich, Thyreostatika so hoch zu dosieren, daß die freien Schilddrüsenhormonspiegel gerade den oberen Rand der Norm erreichen und sich eine zusätzliche Medikation mit Schilddrüsenhormonen zur Erzielung einer Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 51/52, 26. Dezember 1994 (35) A-3565 MEDIZIN ZUR FORTBILDUNG / FÜR SIE REFERIERT Euthyreose erübrigt (21). Bei Patientinnen, die während der Schwangerschaft mit Thioharnstoffpräparaten behandelt werden mußten, konnte bisher keine erhöhte Rate von Schwangerschaftskomplikationen oder fetaler Mißbildungen beobachtet werden. In Fällen von schwerer Hyperthyreose während der Schwangerschaft kann jedoch eine Thyreoidektomie angezeigt sein, um die Gabe hoher Dosen von Thioharnstoffpräparaten zu vermeiden. Schlußbetrachtung Infolge enger Verflechtungen zwischen Schilddrüsen- und Reproduktivfunktion kann es bei Störungen der Schilddrüse zu einer Beeinträchtigung der männlichen oder Riluzol bei amyotropher Lateralsklerose Die amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine progressive Erkrankung der Motorneuronen, für die es bislang keine adäquate Behandlung gibt. Manche Forschungsergebnisse deuten darauf hin, daß einer pathologischen Akkumulation des exzitatorisch wirkenden Neurotransmitters Glutamat in den Synapsen eine entscheidende Bedeutung in der Pathogenese der Erkrankung zukommt. Eine französische Arbeitsgruppe überprüfte in einer doppelblinden, plazebokontrollierten Studie an 155 ambulanten Patienten die Wirksamkeit des „Glutamat-Antagonisten" Riluzol in einer Dosierung von 100 mg pro die bei Patienten mit ALS. Nach 12 Monaten waren in der Plazebogruppe 33 von 78 Patienten (42 Prozent) verstorben, dagegen in der Verumgruppe nur 20 von 77 Patienten (26 Prozent). Die Mortalitätssenkung durch die Riluzolbehandlung betraf vor allem die Patienten mit Bulbär-Symptomatik, weniger die mit peripher-neurologi- weiblichen Fertilität kommen. Die begleitenden klinischen Symptome können eindrucksvoll sein; zumeist aber präsentieren sie eher subtile Störungen. In der Sterilitätssprechstunde können ausschließlich Klagen über Infertilität oder habituelle Aborte im Vordergrund stehen. Gerade deshalb erscheint es wichtig, daß durch eine ausreichende klinische und biochemische Diagnostik eine Schilddrüsendysfunktion sicher ausgeschlossen oder bestätigt wird. Bei Vorliegen einer Fehlfunktion der Schilddrüse als alleiniger Ursache von Fertilitätsproblemen führt deren ausreichende Therapie zur Wiederaufnahme der vollen männlichen beziehungsweise weiblichen Fertilität. Die Betreuung von Patientinnen mit Hyperthyreose in der Schwangerschaft erfordert die schen Ausfällen. Durch Riluzolmedikation konnte auch die Progression der Muskelschwäche signifikant gehemmt werden. Als Nebenwirkungen traten Schwäche, Muskelspastik sowie Erhöhung der Lebertransaminasen auf; 33 Prozent der mit Riluzol behandelten Patienten gegenüber 22 Prozent der plazebobehandelten Patienten schieden wegen dieser Nebenwirkungen aus der Studie aus. acc Bensimon G, Lacomblez L, Meininger V: A controlled trial of Riluzole in amyotrophic lateral sclerosis. N Engl J Med 1994; 330: 585-91 Dr. Meininger, Centre SLA, Hotel-Dieu de Paris, 1 rue de la Cite, 75004 Paris, Frankreich Sukrose-Permeabilität zeigt Magenläsionen an Disaccharide gehen nicht durch die intakte Mukosa, es sei denn, es liegt eine Epithelläsion vor. Da Sukrose rasch im Dünndarm metabolisiert wird, kann Sukrose als Marker für die Integrität der Magenmukosa eingesetzt werden. A-3566 (36) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 51/52, 26. Dezember 1994 enge Kooperation des Gynäkologen mit dem internistisch tätigen Endokrinologen. Deutsches Ärzteblatt 91 (1994) A-3562-3566 [Heft 51/52] Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über die Verfasser. Anschrift für die Verfasser: Prof. Dr. med. Werner A. Scherbaum Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik III Universität Leipzig Ph.-Rosental-Straße 27 04103 Leipzig 189 Patienten erhielten einen Drink, bestehend aus 100 g Sukrose in 450 ml Wasser mit Geschmackskorrigenz innerhalb von 15 Minuten zu trinken. Während der nächsten fünf bis zehn Stunden wurde Urin gesammelt und die Urin-SukroseAusscheidung bestimmt. Parallel dazu erfolgte eine endoskopische Untersuchung, wobei der endoskopierende Arzt über das Ergebnis der Sukrose-Permeabilitäts-Studie nicht informiert war. Eine gesteigerte Sukrose-Permeabilität war bei 84 Prozent aller Magengeschwüre und bei 96 Prozent aller Patienten mit erosiver Gastritis nachweisbar. Die Autoren glauben, daß mit der billigen und einfachen SukroseBelastung Patienten unter der Einnahme nicht steroidaler Antirheumatika erfaßt werden können, bei denen es zu Mukosaläsionen gekommen ist. Auch bei Follow-upUntersuchungen endoskopisch verifizierter Magenläsionen könnte dieser kostengünstige Test eingesetzt werden. Sutherland LR, Verhoef M, Wallace JL et al.: A simple, non-invasive marker of gastric damage: sucrose permeability. Lancet 1994; 343: 998-1000 GI Research Group, University of Calgary, Calgary, Alberta, Kanada