Deutsches Ärzteblatt 1994: A-3562

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MEDIZIN
ZUR FORTBILDUNG
Schilddrüsenfunktion
und ihre Bedeutung für die Fertilität
Winfried G. Rossmanithl
Werner A. Scherbaum 2
W
ährend die Zusammenhänge zwischen Schilddrüse und gestörter Ovarialfunktion vielfältig untersucht wurden (5, 13-15, 20, 30,
32), existieren nur sporadische Berichte über die Einflüsse von Schilddrüsenstörungen auf die männliche
Fertilität (8, 12, 18). Obwohl
Störungen in der Schilddrüsenfunktion recht häufig vorkommen, werden sie wegen ihrer bisweilen diskreten Symptomatik oder wegen
isolierter internistischer Wertung in
ihrer Bedeutung für die Fertilität
oft spät erkannt. Über- und Unterfunktion der Schilddrüse können
durch abnorme pubertäre Entwicklung (5) oder fetale somatische oder
mentale Auffälligkeiten (20) hervortreten; solche Störungen werden
wegen ihrer klinisch eindrucksvollen Symptomatik auch nicht übersehen. Andererseits ähneln subklinische Formen der Schilddrüsendysfunktion in ihrem Spektrum den
häufiger geschilderten Beschwerden in der Sprechstunde, wie Galaktorrhöe, Hirsutismus, Menorrhagien oder Hitzewallungen bei der
Frau, oder Störungen in der Sexualfunktion und Gynäkomastie beim
Mann (2, 28).
Die vorliegende Arbeit versteht sich als komprimierte praxisorientierte Übersicht der Zusammenhänge zwischen Schilddrüse
und männlicher, aber vor allem
weiblicher Fertilität.
1 Universitäts-Frauenklinik und Poliklinik (Direktor: Prof. Dr. med. Rolf K. Kreienberg) der
Universität Ulm
2 Medizinische Klinik und Poliklinik III (Direktor: Prof. Dr. med. Werner A. Scherbaum(,
Universität Leipzig
Bei Männern und Frauen im fertilen
Alter können Störungen der Schilddrüsenfunktion mit Beeinträchtigung in
der Reproduktivfunktion einhergehen.
Männer zeigen eine Gynäkomastie
oder fallen durch verminderte Spermatogenese auf; bei Frauen können
Galaktorrhöe und Zyklusunregelmäßigkeiten auftreten, die für eine Corpus-luteum-Insuffizienz oder chronische Anovulation sprechen. Daraus folgen Subfertilität oder beim Eintreten
eines Konzeptus habituelle Aborte und
fetale Anomalien. Auf die Wichtigkeit
einer ausführlichen Schilddrüsendiagnostik bei Störungen in der männlichen und insbesondere weiblichen Fertilität wird nachdrücklich hingewiesen.
Nach Sicherung einer Hypo- oder Hyperthyreose kann durch eine adäquate
Behandlung der Schilddrüsenerkrankung die volle Fertilität wiederhergestellt werden.
Physiologische
Zusammenhänge
zwischen Schilddrüse
und Reproduktion
Die Verbindungen zwischen
Schilddrüse und Testikulär- oder
Ovarialfunktion sind komplex und
nur unvollständig geklärt. Störungen in der Schilddrüsenfunktion
können sich auf mehrere endokrine
Regelbereiche für die geordnete
Spermatogenese und den Menstruationszyklus auswirken. Sie reichen von der Beeinträchtigung der
zentralen Steuerung der Gona-
A 3562 (30) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 51/52, 26. Dezember 1994
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dotropine bis zu Veränderungen im
Stoffwechsel der Sexualsteroide.
Störungen in der zentralen
Steuerung der Schilddrüse können
über die veränderte Freisetzung des
Prolaktins die zentrale Steuerung
der Gonadotropine beeinträchtigen. Die neurohumorale Regulation der Schilddrüsenfunktion verläuft über hypothalamische Releasing-Faktoren und neurotrope
Transmitter, die neben der SH-Sekretion die Freisetzung von Prolaktin modulieren (24, 26, 29). Thyrotropin-Releasing-Hormon (TRH)
stimuliert vorwiegend den Thyreotrophen, setzt aber gleichzeitig
Prolaktin aus dem Laktotrophen
der Adenohypophyse frei (5, 32).
D eshalb führt eine vermehrte
TRH-Stimulation, wie etwa bei der
primären Hypothyreose, gelegentlich zu einer mäßigen Hyperprolaktinämie. Die erhöhte Prolaktinsekretion verhindert die episodische
Freisetzung von Gonadotropinen.
Möglicherweise geschieht dies indirekt über Veränderung des zentralen dopaminergen oder opioidergen
Neurotransmittertonus (22, 23, 25).
Je nach Einschränkung der episodischen Gonadotropinsekretion
zeigen sich dann klinisch subtile
oder stärker ausgeprägte Störungen
in der Funktion der Testes oder der
Ovarien. Beim Mann kann es zu
quantitativen und qualitativen
Störungen in der Spermatogenese
sowie zur Impotenz kommen; bei
Frauen treten Lutealinsuffizienz
oder Anovulation auf, oder auch
Zyklusstörungen von der Oligo- bis
zur Amenorrhöe. Die damit einhergehende Hyperprolaktinämie kann
auch gleichzeitig eine Galaktorrhöe
hervorrufen. Es ist denkbar, daß ne-
ZUR FORTBILDUNG
ben endokrinen Veränderungen
auch metabolische sowie emotionale Begleiterscheinungen einer
Schilddrüsendysfunktion die menstruelle Zyklizität beeinträchtigen.
Synthese, Freisetzung und Metabolismus von Sexualsteraiden und
deren Transportproteinen im Serum stehen unter dem direkten
Einfluß von Schilddrüsenhormonen. Unter anderem stimulieren
die Schilddrüsenhormone Thyroxin
(T4 ) und Trijodthyronin (T3 ) die
Konversion von Androgenen zu
Östrogenen. Deshalb entstehen
azyklisch hohe Östrogenspiegel, die
mit der menstruellen Zyklizität interferieren. Bei der Hyperthyreose
führt die gesteigerte Synthese und
Freisetzung von Sexualsteroidbindendem Globulin (SHBG) aus der
Leber zu hohen Serumspiegeln dieses Proteins. Nur ungebundene
Östrogene oder Androgene können
biologisch aktiv sein, daraus resultieren Veränderungen in der biologischen Wirksamkeit dieser Sexualsteroide und ihrer metabolischen
Abbauraten (5, 13). So ist bei der
Hyperthyreose die Ausscheidung
von Testosteron vermindert (30).
Andererseits kann bei Vorliegen einer Hypothyreose bei der
Frau ein hoher freier Anteil an
Androgenen vorliegen, da die Konversion von Androgenen zu Östrogenen gehemmt ist. Außerdem entsteht bei der Hypothyreose durch
eine gesteigerte 16-alpha-Hydroxylierung des Östradiols vermehrt
Östriol. Frauen können dabei androgene Zyklusstörungen aufweisen oder zu hirsuten Veränderungen neigen. Da bei Männern mit
Hypothyreose die Synthese von
Testosteron aus Cholesterin eher
eingeschränkt erscheint, entwickelt
sich ein Androgenmangel mit nachfolgenden Störungen in der Spermatogenese (18, 33).
Klinische Störungen
der Fertilität bei
Hyper- und Hypothyreose
Verschiedentlich wurde berichtet (5, 14, 29, 31), daß eine schwere
unbehandelte primäre Hypothyreose zu einer Pubertas praecox führen
Tabelle 1: Klinische Auswirkungen von Schilddrüsenfunktionsstörungen auf die weibliche Reproduktion
Hyperthyreose
..". Verzögerung der sexuellen Reifung
..". Zyklusstörungen (Oligomenorrhoe, Polymenorrhoe, Corpus-luteumInsuffizienz, Amenorrhoe)
.... · vermind~rte Androgenwirkung durch vermehrte periphere Konversion zu Ostrogenen: weiche Haut, feines Haar
..". erhöhte SHBG-Spiegel durch gesteigerte Östrogensynthese: Zyklusstörungen
Hypothyreose
.... gelegentlich Pubertas praecox
..". Galaktorrhoe und Zyklusstörungen bei Hyperprolaktinämie
.... Hirsutismus durch erhöhte Androgenspiegel
.... Zyklusstörungen durch verminderte Östrogenproduktion und
SHBG-Mangel
.... erhöhte Abort- und Totgeburtenrate
.... erhöhte Prävalenz von fetalen kongenitalen Auffälligkeiteil
könne (Tabelle 1). Diese beschleunigte sexuelle Entwicklung ist auf
die übermäßige Freisetzung von
Gonadotropinen parallel zum hypophysären TSH zurückzuführen.
Außerdem können verminderte
SHBG-Werte im Serum durch eine
Erhöhung des freien Anteils an
Östrogenen zu vorzeitiger Geschlechtsentwicklung führen (32).
Durch eine verringerte Androgensynthese und -freisetzung können beim erwachsenen Mann
Störungen in der Spermatogenese
bis zur Azoospermie hin auftreten
(12, 34). Infolge des Androgenverlustes sind auch Potenzstörungen
nicht selten anzutreffen. Bei der
Frau kann eine längerdauernde unbehandelte Hypothyreose mit Galaktorrhöe einhergehen (30, 32).
Häufiger sind jedoch Zyklusstörungen, die sich in der Regel
subtil als Lutealinsuffizienz oder
persistierende Anovulation, aber
auch in Oligomenorrhöe oder Amenorrhöe manifestieren.
In der gynäkologischen Sprechstunde werden vor allem subklinische Formen einer Hypothyreose
beobachtet (2, 4, 13, 28). Sie treten
in endemischen Jodmangelgebieten, wie etwa in Süddeutschland,
besonders gehäuft auf. Bisweilen
kann sich eine subklinische Hypothyreose allein in Menorrhagien
äußern (33) oder sich in subtilen
Störungen des Menstruationszyklus
wie in einer Corpus-luteum-Insuffizienz manifestieren (2).
Ausgedehnte Untersuchungen
zeigen, daß nach Eintritt einer
Schwangerschaft die Rate an Aborten bei hypothyreoten Schwangeren
doppelt so hoch sein kann wie in
der Normalbevölkerung (10, 20,
30). Da die fetale Schilddrüse ab
der 14. Schwangerschaftswoche autonom von der mütterlichen funktioniert, ist auch bei einer mütterlichen Hypothyreose die Versorgung
des Feten über längere Zeit sichergestellt (13). Eine adäquate Schilddrüsenhormonsubstitution der hypothyreoten Schwangeren kann
diese hohen Frühabortraten senken. Auch kongenitale Abnormalitäten sind bei einer unbehandelten
Hypothyreose etwa dreifach häufiger als im Vergleichskollektiv (19,
20). Andererseits kann auch bei einer schweren Hypothyreose eine
Schwangerschaft oft normal ausgetragen werden. Deshalb sollte eine
erst in der Schwangerschaft entdeckte Hypothyreose keine gene-
Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 51152, 26. Dezember 1994 (31) A-3563
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relle medizinische Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch darstellen.
Überfunktionen der Schilddrüse sind bei Patienten einer Infertilitätssprechstunde weitaus seltener
als Unterfunktionen. Im allgemeinen verursacht eine Hyperthyreose
vor Eintreten der Pubertät keine
Störung im Entwicklungsprozeß
(Tabelle 1). Selten einmal kann jedoch eine schwere Hyperthyreose
zu einer sexuellen Entwicklungsverzögerung führen. Beim Mann kann
unter einer Hyperthyreose durch
den relativen Ostrogenismus eine
einseitige oder beidseitige Gynäkomastie auftreten (15, 18). Bei der
erwachsenen Frau werden Zyklusstörungen beobachtet, die die Fertilität beeinträchtigen können. Die
episodische Sekretion der Gonadotropine erscheint auch bei schwerer Hyperthyreose nicht wesentlich
beeinträchtigt; jedoch fehlt der Gonadotropinanstieg zum Mittzyklus,
was die Menstruationsstörungen
möglicherweise erklärt (18). Einige
Frauen bleiben trotz schwerer Hyperthyreose ovulatorisch, so daß bei
Vorliegen einer Amenorrhöe auch
an eine Schwangerschaft gedacht
werden sollte (32).
SchilddrüsenFunktionsstörungen in
der Schwangerschaft
Eine mütterliche Hyperthyreose tritt selten erstmals in der
Schwangerschaft auf; doch stellt sie
eine ernsthafte Komplikation der
Schwangerschaft dar. Alle klinischen Zeichen einer Hyperthyreose
wie Hitzegefühl, Nervosität, Gewichtsverlust oder Hyperreflexie
können vorliegen. Nicht selten werden sie von den Patientinnen jedoch
als schwangerschaftsbedingte Störungen fehlgedeutet. Eine Hyperthyreose in der Schwangerschaft
mag durch einen Morbus Basedow,
ein autonomes Adenom, eine disseminierte Autonomie der Schilddrüse oder die maligne Degeneration
der Plazenta hervorgerufen werden.
Eine Hyperthyreose vom Typ des
Morbus Basedow wird in der
Schwangerschaft in der Regel kli-
Tabelle 2: Diagnostik von Schilddrüsenfunktionsstörungen bei männlichen oder weiblichen Fertilitätsstärungen
Basisdiagnostik
Erweiterte Diagnostik
TSH basal
Schilddrüsensonographie
Gesamt-T4
Gesamt-T3
Schilddrüsenscintigraphie
TRH-Test
Freies T4 (FT4)
Freies T3 (FT3)
TSH-Rezeptor-Antikörper
Mikrosomale Schilddrüsen-Antikörper (TPO-Antikörper)
Prolaktin
Anmerkung: Da bei Patienten mit Fertilitätsstörungen nur subtile Schilddrüsenfunk-
tionsstörungen vorliegen können, sind diagnostische Stufenschemata mit Orientierung auf
Hyper- oder Hypothyreose nicht zu empfehlen.
nisch abgeschwächt, neigt aber dazu, sich post partum zu verstärken.
Die für den Morbus Basedow charakteristischen schilddrüsenstimulierenden Antikörper vermögen die
Plazenta zu passieren und können
zu einer fetalen Thyreotoxikose
führen, die beim neugeborenen
Kind als Neugeborenenhyperthyreose in Erscheinung tritt (5).
Bei schwangeren Frauen mit
zirkulierenden Schilddrüsenantikörpern wurde auch bei klinischer und
biochemischer Euthyreose eine erhöhte Zahl von Aborten beobachtet
(9). Durch genaue Bestimmung der
Schilddrüsenantikörper in der Frühschwangerschaft können also Frauen mit erhöhtem Risiko für Aborte
wie auch für eine Postpartumthyreoiditis identifiziert werden.
Die Prävalenz von Schilddrüsenfunktionsstörungen in der Postpartalperiode wird wahrscheinlich
unterschätzt, da sie meistens unerkannt bleiben (30). Eine postpartale Thyreoiditis ist typischerweise
durch eine vorübergehende leichte
Hyperthyreose charakterisiert, die
nach einigen Wochen in eine Hypothyreose übergeht (5, 31). Nach
Monaten kann dann wieder spontan
eine Euthyreose eintreten; manche
Patientinnen bleiben jedoch permanent hypothyreot (1, 11).
Eine
Postpartumthyreoiditis
kann allerdings auch nach ihrer
vollständigen klinischen Remission
in weiteren Schwangerschaften wieder auftreten.
A 3564 (32) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 51/52, 26. Dezember 1994
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Diag nostische
Überlegungen
In der Fertilitätssprechstunde
sind überwiegend euthyreote Patienten zu finden; jedoch wird der
Anteil der Patienten mit subklinischen Schilddrüsenstörungen auf
bis zu 20 Prozent beziffert (7). Die
Schilddrüsendiagnostik in der Infertilitätssprechstunde ist daher in erster Linie eine Ausschlußdiagnostik
(13, 17). Sie sollte gerade diejenigen
erfassen, deren beeinträchtigte Fertilität ursächlich auf einer gestörten
Schilddrüsenfunktion zu beruhen
scheint.
Die Symptome einer Dysfunktion der Schilddrüse sind bei Frauen
im fertilen Alter nicht immer klinisch offensichtlich. In der Fertilitätssprechstunde sind unerfüllter
Kinderwunsch oder rekurrente
Aborte oft die einzigen Klagen, ohne daß spontan weitere Symptome
einer Hyper- oder Hypothyreose
geäußert werden. Deshalb sollte
sich bei der Frau die Frage nach Zyklusstörungen, Galaktorrhöe, oder
Veränderungen in der Behaarung
richten. Manifeste Störungen der
Schilddrüsenfunktion finden sich
nur selten bei männlichen Fertilitätsstörungen (8), doch auch Änderungen im Sexualverhalten können richtungweisend sein.
Da die Beschwerden oft subtil
und die körperliche Untersuchung
nicht weiterführend ist, sichert
letztlich die laborchemische Be-
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ZUR FORTBILDUNG
stimmung von Schilddrüsenparametern eine vermutete Schilddrüsendysfunktion. Grundlegend für die
Diagnostik ist die Bestimmung der
peripheren Schilddrüsenhormonspiegel (Gesamt-T 4 und T3) wie
auch des basalen TSH durch einen
ultrasensitiven Assay. Dadurch
können Auffälligkeiten im endokrinen Regelkreis komplett erfaßt
werden (Tabelle 2). Für die Interpretation von Schilddrüsenbefunden ist bedeutsam, daß die T 4-Spiegel die Sekretionsleistung der
Schilddrüse wiedergeben, während
die T3-Werte den biologisch aktiven
Anteil an Schilddrüsenhormon in
der Peripherie darstellen (13, 32).
Schilddrüsenhormone werden an
das thyroxinbindende Globulin
(TBG) im Serum gebunden; nur der
freie Anteil an Schilddrüsenhormon
ist metabolisch aktiv (5). Die Synthese und Freisetzung von TBG aus
der Leber unterliegt unter anderem
der Stimulation durch Östrogene;
deshalb ist unter Einnahme von
oralen Kontrazeptiva der freie Anteil von Schilddrüsenhormon erniedrigt (13).
Beim TRH-Test wird die Reaktivität des Thyreotrophen untersucht; dabei werden 200 lig TRH
intravenös appliziert, was zum maximalen Anstieg von TSH innerhalb
von 15 bis 30 Minuten führt (Tabelle
2). Zur Bestimmung von TSH werden heute ultrasensitive Radioimmunoassays verwandt. Werden damit die basalen TSH-Spiegel im
Normbereich gefunden, so ist eine
hyperthyreote Stoffwechsellage
praktisch ausgeschlossen. Bei erniedrigten TSH-Werten besteht der
Verdacht auf eine Hyperthyreose;
im TRH-Test finden sich zusätzlich
die stimulierten TSH-Spiegel supprimiert. Der Befund von erhöhten
freien T4- und T3-Werten zusammen mit supprimierten TSH-Spiegeln bestätigt die Diagnose einer
Hyperthyreose. Andererseits weisen niedrige FT4-Spiegel mit normalen oder erhöhten TSH-Werten
auf das Vorliegen einer Hypothyreose hin; im TRH-Test ergibt sich
eine unzureichende oder aufgehobene Stimulierbarkeit von TSH (Tabelle 2). Eine subklinische Hypothyreose läßt sich vermuten, wenn
bei grenzwertig niedrigen T4-Werten die basalen TSH-Spiegel über
dem Normalbereich zu finden sind
(2, 28). Im TRH-Test zeigt sich zusätzlich eine überschießende TSHSekretion. Die häufigsten Ursachen
einer primären Hypothyreose im
Erwachsenenalter liegen in einer
Autoimmunthyreoiditis (5, 14). Es
gibt Hinweise dafür, daß eine Autoimmunthyreoiditis mit wiederholten Aborten einhergehen kann (9,
16). Deshalb ist die Bestimmung
von Schilddrüsenantikörpern und
Antikardiolipin-Antikörpern bei
Frauen mit habituellen Aborten anzuraten (5).
Therapeutische Konzepte
Wird bei Vorliegen von Fertilitätsproblemen bei Galaktorrhöe
oder Zyklusstörungen eine gestörte
Schilddrüsenfunktion diagnostiziert, so hat deren Behandlung Vorrang vor jeder symptomatischen
Therapie. Durch eine adäquate Behandlung der Schilddrüsendysfunktion kann auch mit der Normalisierung der Ovarialfunktion gerechnet
werden. Zumindest die Behandlung
einer schweren Hyper- oder Hypothyreose gehört in die Hände eines
endokrinologischen Spezialisten.
Nach Sicherung der Diagnose
einer manifesten Hypothyreose besteht die primäre Therapie in der
Substitution mit Schilddrüsenhormon. Dabei beginnt die Behandlung mit L-Thyroxin in steigender
Dosierung (25 µg/Tag und Steigerung um 25 Kg/Tag alle zwei Wochen). Etwa vier bis sechs Wochen
nach Erreichen der klinisch abzuschätzenden Enddosis von 100 bis
zu 200 Kg/Tag kann die Richtigkeit
der Dosierung durch Bestimmung
des basalen TSH-Spiegels kontrolliert werden (13, 32). Klinisch zeigt
sich das Erreichen des Therapieoptimums bei der Frau durch das Wiedereinsetzen einer regelrechten
Ovarialfunktion, während bei Männern auch nach Erreichen einer therapeutischen Euthyreose Störungen
in der SpermatogeneSe für längere
Zeit weiterbestehen können (34).
Neuere Befunde machen auf
die Notwendigkeit zur Substituti-
onsbehandlung auch bei Vorliegen
einer subklinischen Hypothyreose
aufmerksam (2, 3). Gerade bei
Frauen mit insuffizienter Corpusluteum-Phase stellt die adäquate
Substitution mit niedrigen Dosen
von Thyroxin (25 bis 50 µg/Tag) die
Therapie der Wahl dar; denn sie reguliert die menstruelle Zyklizität
und behandelt adäquat die Lutealinsuffizienz. Alternativ kommt im
Jodmangelgebiet eine Substitution
mit 100 bis 200 µg Jodid pro Tag in
Frage.
Liegt eine Hyperthyreose vor,
so sollte eine thyreostatische Behandlung eingeleitet werden. In der
Regel beginnt sie mit Thioharnstoffpräparaten (zum Beispiel Carbimazol 3x10 mg/Tag, oder Perchlorat 4x100-200 mg/Tag = 4x5 bis
4x10 Tropfen/Tag), oder aber bei
einer jodinduzierten Hyperthyreose
mit Lithium (Dosierung nach Serumspiegeln). Darüber hinaus ist
meist die zusätzliche Gabe nichtkardioselektiver Betablocker (zum
Beispiel 4x20 mg Propranolol/Tag)
angezeigt. Die weitere Behandlung
richtet sich nach den freien Spiegeln
der Schilddrüsenhormone. Mitteloder langfristig sollte eventuell eine
operative oder strahlentherapeutische Behandlung angestrebt werden mit dem Ziel, eine permanente
Euthyreose herzustellen. Auch bei
Männern und Frauen im fertilen
Alter kann eine Radiojodtherapie
durchgeführt werden, da die dabei
erzielte Gonadendosis gering ist
und keine Gefahr für die Fertilität
oder einen späteren Konzeptus besteht (32).
Obwohl sich die Hyperthyreose
vom Typ des Morbus Basedow in
der Regel während der Schwangerschaft bessert, müssen doch viele
Patientinnen auch in der Schwangerschaft thyreostatisch behandelt
werden. Da Thioharnstoffe diaplazentar in den Feten übergehen, sollten sie nur in der niedrigst möglichen effektiven Dosierung verabreicht werden. Es empfiehlt sich,
Thyreostatika so hoch zu dosieren,
daß die freien Schilddrüsenhormonspiegel gerade den oberen Rand der
Norm erreichen und sich eine zusätzliche Medikation mit Schilddrüsenhormonen zur Erzielung einer
Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 51/52, 26. Dezember 1994 (35) A-3565
MEDIZIN
ZUR FORTBILDUNG / FÜR SIE REFERIERT
Euthyreose erübrigt (21). Bei Patientinnen, die während der Schwangerschaft mit Thioharnstoffpräparaten behandelt werden mußten,
konnte bisher keine erhöhte Rate
von Schwangerschaftskomplikationen oder fetaler Mißbildungen beobachtet werden. In Fällen von
schwerer Hyperthyreose während
der Schwangerschaft kann jedoch eine Thyreoidektomie angezeigt sein,
um die Gabe hoher Dosen von Thioharnstoffpräparaten zu vermeiden.
Schlußbetrachtung
Infolge enger Verflechtungen
zwischen Schilddrüsen- und Reproduktivfunktion kann es bei Störungen der Schilddrüse zu einer Beeinträchtigung der männlichen oder
Riluzol
bei amyotropher
Lateralsklerose
Die amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine progressive Erkrankung der Motorneuronen, für
die es bislang keine adäquate Behandlung gibt. Manche Forschungsergebnisse deuten darauf hin, daß
einer pathologischen Akkumulation
des exzitatorisch wirkenden Neurotransmitters Glutamat in den
Synapsen eine entscheidende Bedeutung in der Pathogenese der Erkrankung zukommt. Eine französische Arbeitsgruppe überprüfte in
einer doppelblinden, plazebokontrollierten Studie an 155 ambulanten Patienten die Wirksamkeit des
„Glutamat-Antagonisten" Riluzol
in einer Dosierung von 100 mg pro
die bei Patienten mit ALS.
Nach 12 Monaten waren in der
Plazebogruppe 33 von 78 Patienten
(42 Prozent) verstorben, dagegen in
der Verumgruppe nur 20 von 77 Patienten (26 Prozent). Die Mortalitätssenkung durch die Riluzolbehandlung betraf vor allem die Patienten mit Bulbär-Symptomatik, weniger die mit peripher-neurologi-
weiblichen Fertilität kommen. Die
begleitenden klinischen Symptome
können eindrucksvoll sein; zumeist
aber präsentieren sie eher subtile
Störungen. In der Sterilitätssprechstunde können ausschließlich Klagen über Infertilität oder habituelle
Aborte im Vordergrund stehen. Gerade deshalb erscheint es wichtig,
daß durch eine ausreichende klinische und biochemische Diagnostik
eine Schilddrüsendysfunktion sicher ausgeschlossen oder bestätigt
wird. Bei Vorliegen einer Fehlfunktion der Schilddrüse als alleiniger
Ursache von Fertilitätsproblemen
führt deren ausreichende Therapie
zur Wiederaufnahme der vollen
männlichen beziehungsweise weiblichen Fertilität. Die Betreuung von
Patientinnen mit Hyperthyreose in
der Schwangerschaft erfordert die
schen Ausfällen. Durch Riluzolmedikation konnte auch die Progression der Muskelschwäche signifikant
gehemmt werden. Als Nebenwirkungen traten Schwäche, Muskelspastik sowie Erhöhung der Lebertransaminasen auf; 33 Prozent der
mit Riluzol behandelten Patienten
gegenüber 22 Prozent der plazebobehandelten Patienten schieden wegen dieser Nebenwirkungen aus der
Studie aus. acc
Bensimon G, Lacomblez L, Meininger V:
A controlled trial of Riluzole in amyotrophic lateral sclerosis. N Engl J Med 1994;
330: 585-91
Dr. Meininger, Centre SLA, Hotel-Dieu
de Paris, 1 rue de la Cite, 75004 Paris,
Frankreich
Sukrose-Permeabilität
zeigt
Magenläsionen an
Disaccharide gehen nicht durch
die intakte Mukosa, es sei denn, es
liegt eine Epithelläsion vor. Da Sukrose rasch im Dünndarm metabolisiert wird, kann Sukrose als Marker
für die Integrität der Magenmukosa
eingesetzt werden.
A-3566 (36) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 51/52, 26. Dezember 1994
enge Kooperation des Gynäkologen mit dem internistisch tätigen
Endokrinologen.
Deutsches
Ärzteblatt
91 (1994) A-3562-3566 [Heft 51/52]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich
auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über die Verfasser.
Anschrift für die Verfasser:
Prof. Dr. med.
Werner A. Scherbaum
Direktor der Medizinischen
Klinik und Poliklinik III
Universität Leipzig
Ph.-Rosental-Straße 27
04103 Leipzig
189 Patienten erhielten einen
Drink, bestehend aus 100 g Sukrose
in 450 ml Wasser mit Geschmackskorrigenz innerhalb von 15 Minuten
zu trinken. Während der nächsten
fünf bis zehn Stunden wurde Urin
gesammelt und die Urin-SukroseAusscheidung bestimmt. Parallel
dazu erfolgte eine endoskopische
Untersuchung, wobei der endoskopierende Arzt über das Ergebnis
der Sukrose-Permeabilitäts-Studie
nicht informiert war. Eine gesteigerte Sukrose-Permeabilität war bei 84
Prozent aller Magengeschwüre und
bei 96 Prozent aller Patienten mit
erosiver Gastritis nachweisbar.
Die Autoren glauben, daß mit
der billigen und einfachen SukroseBelastung Patienten unter der Einnahme nicht steroidaler Antirheumatika erfaßt werden können, bei
denen es zu Mukosaläsionen gekommen ist. Auch bei Follow-upUntersuchungen endoskopisch verifizierter Magenläsionen könnte dieser kostengünstige Test eingesetzt
werden.
Sutherland LR, Verhoef M, Wallace JL et
al.: A simple, non-invasive marker of
gastric damage: sucrose permeability.
Lancet 1994; 343: 998-1000
GI Research Group, University of Calgary, Calgary, Alberta, Kanada
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