Wann ist eine postexpositionelle Tollwut-Prophylaxe sinnvoll? Sonja Hirk Alexander Indra AGES-Institut für medizinische Mikrobiologie und Hygiene Frage 1 Eine 24 jährige Patientin wird vorstellig nachdem sie am Vortag an der rechten Wade von einem Hund gebissen wurde. Der Hund, ein Pitbullmischling (Hundebesitzer aus Salzburg), riss sich in Salzburg von der Leine los und attackierte die mit inline Skates vorbeifahrende Patientin. Die Wundversorgung inkl. Tetanusauffrischimpfung erfolgte im Krankenhaus. Tollwut 2014 2 Frage 2 Frau „X“ stellt sich am 23.09.2013 in der Unfallambulanz wegen einem Hundebiss vor. Das Hundewelpen wurde vor einigen Wochen (genauer Zeitpunkt unklar) von einem Bekannten aus der Slowakei importiert und hat Frau „X“ in den Zeigefinger gebissen. Die Patientin wurde nachweislich im Jahr 2010 Rabies geimpft und erhielt 2012 eine Auffrischungsimpfung. Tollwut 2014 3 Frage 3 Herr „Y“, 35 Jahre berichtet vor einer Woche von einer langen Reise aus Marokko zurückgekommen zu sein. Er sei dort öfters von Hunden gebissen worden, hätte aber nie einen Arzt aufgesucht. Zuletzt wurde er kurz vor der Abreise gebissen. Diese Wunde sei tief gewesen und habe geblutet. Zurück in Österreich habe ein Bekannter ihn über die Gefahr einer Tollwutinfektion aufgeklärt. Nun macht er sich Sorgen und möchte wissen, ob man noch etwas machen kann. Tollwut 2014 4 Frage 4 Eine 23-jährige Patientin, die von einem 6-tägigen Thailandaufenthalt zurückgekehrt ist, berichtet, von einem Hund an der intakten Haut (Hand und Fuß) abgeschleckt worden zu sein. Tollwut 2014 5 Was ist Tollwut? •Lyssaviren – Familie der Rhabdoviridae – Behülltes RNA Virus – neurotropes Virus Quelle und ©: http://www.cdc.gov/rabiesandkids/virus.html – Es existieren verschiedene Virusspezies – Sie sind Erreger der Tollwut Tollwut 2014 6 Tollwut: Übertragung • Rabies wird durch den Speichel infizierter Tiere übertragen − Bissverletzung durch ein infiziertes Tier − direkter Speichelkontakt mit unverletzten Schleimhäuten und Schürfwunden − Mensch zu Mensch Übertragungen durch Transplantationen wurden beschrieben Tollwut 2014 Quelle: „Rabies patient“. Lizenziert unter Public domain über Wikimedia Commons http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Rabies_patient.jpg#mediaviewer/File:Rabies_patient.jpg Quelle: http://www.scientificamerican.com/sciam/cache/file/868F6572-9BDF-4B0F-B63F1E339A9A1A66.jpg 7 Ab wann ist ein Tier infektiös • Füchse, Hunde und Katzen sind schon 3–7 Tage vor Auftreten von klinischen Symptomen infektiös • Alle erkrankten Lebewesen sind während der gesamten Dauer der Erkrankung ansteckend • KEIN Infektionsrisiko besteht – Kontakt mit Blut, Urin oder Kot eines infizierten Tieres – Berühren oder Streicheln von erkrankten Tieren Tollwut 2014 Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Tollwut#mediaviewer/File:Rabid_dog.jpg Content Providers(s): CDC - This media comes from the Centers for Disease Control and Prevention's Public Health Image Library (PHIL), with identification number #2626. 8 Tollwut: Übertragung Tollwut 2014 9 Tollwut: Übertragung Tollwut 2014 10 Tollwut: Übertragung Tollwut 2014 11 Tollwut durch Fledermäuse • nicht durch das „klassische“ Rabiesvirus, sondern durch verwandte Lyssaviren • In Amerika die Hauptursache für humane Tollwutfälle • in Europa vereinzelte Übertragungen durch Fledermäuse Tollwut 2014 Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Flederm%C3%A4use#mediaviewer/File:Haeckel_Chiroptera.jpg 12 Tollwut und Feldermäuse • Der direkte Kontakt mit Fledermäusen stellt ein Infektionsrisiko dar • In Österreich wurden bisher keine Rabies- oder andere Lyssaviren in der Fledermauspopulation festgestellt – ein Vorkommen kann nicht ausgeschlossen werden • Umstritten ist das Risiko für eine aerogene Übertragung in Fledermaushöhlen • Keine Gefahr durch Anwesenheit einer Fledermaus im gleichen Raum Tollwut 2014 Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Big-eared-townsend-fledermaus.jpg 13 Tollwut: Erkrankung • Die Inkubationszeit kann Tage bis Jahre betragen – Durchschnittlich sind es mehrere Wochen • Die Krankheit verläuft in 3 Stufen – Zwischen dem Auftreten der ersten Symptome und dem Tod liegen bei unbehandelten Patienten zumeist 7 Tage. – Prodromalstadium – uncharakteristische Beschwerden – Akute neurologische Phase – Hydrophobie und Krämpfe der Schlundmuskulatur – Lähmungen, Psychosen – Koma – Tod durch Atemlähmung • ES EXISTIERT KEINE THERAPIE FÜR TOLLWUT Tollwut 2014 14 Tollwut-Risikogebiete Tollwut 2014 15 Tollwut in Europa 2012 Tollwut 2014 16 Tollwut in Europa • Im Jahr 2013 wurde europaweit in 4838 Fällen Tollwut nachgewiesen – 8 humane Fälle (alle in der russischen Föderation) – 2605 Rabies Nachweise bei Haustieren – 2200 Rabies Nachweise bei wild lebenden Tieren – 25 Rabies Nachweise in der Fledermauspopulation Tollwut 2014 17 Österreich ist tollwutfrei • Der letzte Fall einer in Österreich erworbenen Tollwutinfektion beim Menschen wurde 1979 diagnostiziert • eine importierte Erkrankung aus Marokko wurde 2004 beschrieben • Eine Infektion in Österreich gilt als extrem unwahrscheinlich • Die Möglichkeit einer Infektion durch illegal eingeführte Tiere z.B. Hunde, die aus tollwutendemischen Ländern oder durch Fledermäuse bleibt bestehen Tollwut 2014 18 Top 10 Auslandsdestinationen der Österreicher Urlaubsziele im Ausland Anteil der Reisenden ins Ausland Tollwutrisikobewertung Italien 21,5 % Kein Risiko1 ausgenommen Fledermaus und Wildtierkontakt Deutschland 17,0 % Kein Risiko1 3 Kroatien 12,2 % Niedriges Risiko2,3 Spanien 6,0 % Ungarn 4,2 % Niedriges Risiko2 Frankreich 3,3 % Kein Risiko1 Türkei 3,2 % Niedriges Risiko2,4 1 ausgenommen Fledermauskontakt Festland, Balearische- und Kanarische Inseln - Kein Risiko1 Territorien im nördlichen Afrika (Ceuta, Melilla) - Hohes Risiko 2 in Kroatien wurde 2013 Tollwut bei einem Haustier nachgewiesen 4 Die Anzahl der Tollwutinfektion bei Haus- und Wildtieren in der Türkei ist hoch. 2012 wurde ein humaner Tollwutfall diagnostiziert. Kein Risiko1 Griechenland 2,9 % Ausgenommen: Epirus, West-, Zentral- und Ostmakedonien, Thrakien, Thessalien – Niedriges Risiko2 Großbritannien Schweiz, Tollwut 2014 Liechtenstein 2,7 % Kein Risiko1 2,2 % Kein Risiko1 19 Therapie und Prävention • Rabies ist eine tödlich verlaufende Erkrankung • Tollwut ist NUR durch prä- bzw. postexpositionelle Prophylaxe vermeidbar • In Österreich ist nur ein Impfstoff (Rabipur®) zur aktiven Immunisierung zugelassen – Totimpfstoff auf Basis eines Purified Chicken Embryo Cell-Culture Vaccine (PCECV) Tollwut 2014 20 Präexpositionelle Prophylaxe • Veterinärpersonal, Tierpräparatoren, Personal der Seuchenhygiene und Mitarbeiterinnen von einschlägigen Laboratorien und Impfstoffproduktionsstätten • Jäger − Tollwutprophylaxe nur im Grenzbereich zu tollwutendemischen Gebieten − mit Stand 2014 gibt es solche in Österreich nicht − bei Jagdaufenthalten im tollwutendemischen Ausland indiziert • Fledermausforscher und Höhlenforscher • Reisende in Endemiegebiete Tollwut 2014 21 Präexpositionelle Prophylaxe • Grundimmunisierung der präexpositionellen Rabiesprophylaxe – je 1ml i.m. an den Tagen 0, 7 und 21 oder 28 – Es wird auch ein Impfschutz gegen Lyssavirusstämme (EBLV-1, EBLV-2, ABLV) induziert • Auffrischungsimpfungen bzw. eine Bestimmung des Antikörpertiters werden alle 2 – 5 Jahre empfohlen • Auffrischung bei Titer unterhalb 0,5 I.E./ml Tollwut 2014 22 Postexpositionelle Prophylaxe • je nach Art der Exposition und eventuellen Vorimpfungen – eine aktive Immunisierung mit oder ohne humanem Tollwut-Immunglobulin • Schema – 1ml i.m. an den Tagen 0, 3, 7, 14 und 28 – bei 98% der Patienten innerhalb von 14 Tagen und bei 99 - 100% bis zum 28. - 38. Tag nach Impfung neutralisierende Antikörper (≥ 0,5 I.E./ml) gebildet • EINZIGE MÖGLICHKEIT EINE ERKRANKUNG ZU VERHINDERN Tollwut 2014 23 Postexpositionelle Prophylaxe Passive Immunisierung • Humanes Rabies Immunglobulin (HRIG) wird nach einem hochgradig, tollwutverdächtigen Kontakt mit der ersten Impfung verabreicht – Ziel ist eine Überbrückung der Zeitspanne bis zur körpereigenen Antikörperbildung – Die Applikation erfolgt gewichtsadaptiert (1x20I.E./kg Körpergewicht) – Um die Wunde herum einspritzen und Rest intramuskulär (M. vastus lateralis) applizieren – Bei vorrangegangenen Grundimmunisierung KEIN Immunglobulin verabreichen – Das Immunglobulin und die aktive Impfung an kontralateralen Körperhälften applizieren – NIE an der selben Stelle applizieren – wenn möglich wird das HRIG am gleichen Tag wie die Impfung verabreicht Tollwut 2014 – spätestens 7 Tage nach Beginn der aktiven Immunisierung – Andernfalls würde die Antikörperproduktion gehemmt werden 24 Postexpositionelle Prophylaxe • Wer benötigt eine postexpositionelle Prophylaxe? – Das Risiko wird durch das – Land der Exposition – Art des Kontakts » Speichel » Kot, …. – Art des Tieres beeinflusst • Diese ist für die Indikation zu einer postexpositionellen Prophylaxe entscheidend Tollwut 2014 25 Postexpositionelle Prophylaxe • Die PEP sollte generell sobald als möglich nach der Exposition erfolgen • Bis zum Einsetzen der neurologischen Symptomatik gibt es keine zeitliche Beschränkung – wobei die Effektivität mit der Zeit sinkt • Wenn die Exposition länger als ein Jahr zurückliegt – kein humanes Tollwut-Immunglobulin mehr verabreichen – nur eine aktive Immunisierung durchführen Das Impfschema ist in allen Fällen genau einzuhalten Tollwut 2014 26 Wundversorgung • Reinigen von Bissen und Kratzer mit Seife und Wasser • Desinfektion mit einem viruziden Desinfektionsmittel – Wahrscheinlichkeit der Aufnahme des Tollwutvirus aus dem Wundbett reduziert • Bei Bedarf ist eine chirurgische Wundversorgung nötig – Postexponentielle Tetanus – Eventuell eine antibiotische Therapie notwendig – Abklärung der Notwendigkeit einer Tollwutprophylaxe Tollwut 2014 27 Postexpositionelle Prophylaxe • tollwutfreie Länder – Ausnahmen – Import von tollwütigen Hunden – Kontakt mit Fledermäusen Tollwut 2014 28 Postexpositionelle Prophylaxe • Berühren oder Füttern von Tieren • Belecken der intakten Haut • Berühren von Impfködern bei intakter Haut Tollwut 2014 29 Postexpositionelle Prophylaxe • Knabbern an unbedeckter Haut • Belecken verletzter Haut • Kleinere Kratzer oder Verletzungen, die nicht bluten • Berühren von Impfködern bei nicht intakter Haut • Bisse und Kratzer von Nagetieren und Primaten • unsicherer Kontakt mit Fledermäusen Tollwut 2014 30 Postexpositionelle Prophylaxe • Transdermale Bissverletzungen oder Kratzer • Schleimhautkontakt mit Speichel (z.B. ablecken) • Direkter Kontakt mit Fledermäusen • Kontakt von Schleimhäuten und frischen Verletzungen mit Impfködern Tollwut 2014 31 Postexpositionelle Prophylaxe • Primaten, Kleinsäuger (z.B. Maus, Ratte, Eichhörnchen) und Hasenartige – spielen in der Epidemiologie der Tollwut keine Rolle – RKI: bei Nagetieren KEINE postexpositioelle Prophylaxe erforderlich – PHE: Außnahme wenn Bissverletzung in Ländern mit hohem Tollwutrisiko – aktive Immunisierung ohne die zusätzliche Verabreichung von humanem Rabies Immunglobulin • wild lebenden Tiere (auch Hunde und Katzen) – PEP in Abhängigkeit von der geographischen Lokalisation und Kategorie des Kontaktes Tollwut 2014 32 Postexpositionelle Prophylaxe • KEINE Postexpositionelle Prophylaxe – Bei Haustiere (Hunde und Katzen) – die als Haustiere gehalten werden – offensichtlich gesund erscheinen – aus einem Gebiet mit niedrigem Tollwutrisiko kommen – unter Beobachtung gestellt werden können (>6-10Tage OHNE Symptome) Tollwut 2014 33 Postexpositionelle Prophylaxe • Fledermäuse – direkter Kontakt zwischen Mensch und Fledermaus – aktive Impfung und humanes Rabiesimmunglobulin – bloße Anwesenheit von Fledermäusen im gleichen Zimmer – keine Postexpositionsprophylaxe – Fledermaus im selben Zimmer wie ein Kind, eine intoxikierte oder tief schlafenden Person – aktive Impfung Zu beachten ist, dass Verletzungen durch Fledermäuse oft nicht sichtbar sind Tollwut 2014 34 QuiZ Tollwut 2014 35 Frage 1 Eine 24 jährige Patientin wird vorstellig nachdem sie am Vortag an der rechten Wade von einem Hund gebissen wurde. Der Hund, ein Pitbullmischling (Hundebesitzer aus Salzburg), riss sich in Salzburg von der Leine los und attackierte die mit inline Skates vorbeifahrende Patientin. Die Wundversorgung inkl. Tetanusauffrischimpfung erfolgte im Krankenhaus. Tollwut 2014 36 Frage 2 Frau „X“ stellt sich am 23.09.2013 in der Unfallambulanz wegen einem Hundebiss vor. Das Hundewelpen wurde vor einigen Wochen (genauer Zeitpunkt unklar) von einem Bekannten aus der Slowakei importiert und hat Frau „X“ in den Zeigefinger gebissen. Die Patientin wurde nachweislich im Jahr 2010 Rabies geimpft und erhielt 2012 eine Auffrischungsimpfung. Tollwut 2014 37 Frage 3 Herr „Y“, 35 Jahre berichtet vor einer Woche von einer langen Reise aus Marokko zurückgekommen zu sein. Er sei dort öfters von Hunden gebissen worden, hätte aber nie einen Arzt aufgesucht. Zuletzt wurde er kurz vor der Abreise gebissen. Diese Wunde sei tief gewesen und habe geblutet. Zurück in Österreich habe ein Bekannter ihn über die Gefahr einer Tollwutinfektion aufgeklärt. Nun macht er sich Sorgen und möchte wissen, ob man noch etwas machen kann. Tollwut 2014 38 Frage 4 Eine 23-jährige Patientin, die von einem 6-tägigen Thailandaufenthalt zurückgekehrt ist, berichtet, von einem Hund an der intakten Haut (Hand und Fuß) abgeschleckt worden zu sein. Tollwut 2014 39 Antwort 1 Eine 24 jährige Patientin wird vorstellig ……… Da Österreich frei von terrestrischer Tollwut ist, besteht hier keine Indikation für PEP. Tollwut 2014 40 Antwort 2: Hunde-Babys In der Slowakei (seit Juni 2009 als "Rabies-frei" deklariert) kam es 2013 im direkten Grenzgebiet zu Polen zum Wiederauftritt von Rabies. Das Tier ist verfügbar, erscheint gesund und wird beim Tierarzt für 10 Tage verwahrt. Da es sich um einen Hund handelt, der unter tierärztlicher Beobachtung steht, kann mit dem Beginn einer PEP abgewartet werden, obwohl es in der Slowakei 2013 zum Wiederauftreten von Tollwut kam. Wenn das Tier gesund bleibt besteht keine Indikation für PEP Tollwut 2014 41 Antwort 3 Marokko ist ein Land mit einem hohen Tollwutrisiko. Die Wunde wird in Kategorie III eingestuft. • Transdermale Bissverletzungen oder Eine Postexpositionelle Prophylaxe mit humanen Rabiesimmunglobulin und Totimpfstoff wird empfohlen Tollwut 2014 Kratzer • Schleimhautkontakt mit Speichel (z.B. ablecken) • Direkter Kontakt mit Fledermäusen • Kontakt von Schleimhäuten und frischen Verletzungen mit Impfködern 42 Antwort 4: Speichelkontakt Das Belecken intakter Haut ist keine Indikation für eine PEP Tollwut 2014 43 Danke für Ihre Fragen Tollwut 2014 44