Prof. Dr. Manfred Joswig Goethestr. 25 40237 Düsseldorf Kurzstudie zur seismischen Gefährdung durch Erdgasförderung in Norddeutschland Auftraggeber: InfoDialog Fracking Infomations- und Dialogprozess der ExxonMobil über die Sicherheit und Umweltverträglichkeit der Fracking-Technologie für die Erdgasgewinnung c/o team ewen | Ludwigshöhstr. 31 | 64285 Darmstadt Veröffentlicht am 30.03.2012 Prof. Dr. Manfred Joswig Inhalt 1. Einleitung und Zielsetzung 3 2. Induzierte Seismizität und Hydrocarbon Förderung 4 3. Gasförderung und Seismizität in den Niederlanden 7 4. Gasförderung und Seismizität in Norddeutschland 9 5. Unkonventionelle Gasförderung und Seismizität 12 6. Fluid-Injektion und Seismizität 13 7. Zusammenfassung 16 8. Literatur 17 Auftrag und Vorgehensweise Am 20.02.2012 erteilte team ewen für den InfoDialog Fracking dem Verfasser den Auftrag für ein Kurzgutachten. Inhalt des Gutachtens sollte eine fundierte Bewertung der verschiedenen Aspekte seismischer Gefährdung im Zusammenhang mit Fracking und unkonventioneller Gasförderung in Norddeutschland sein. Das Thema sollte erweitert werden um Aspekte der Rückverpressung von Lagerstättenwässern, soweit daraus eine zusätzliche seismische Gefährdung entsteht. Aufgrund des Auftrags und der verfügbaren Bearbeitungszeit waren eigene Untersuchungen auf Grundlage von Primärdaten nicht zu leisten. Die gewünschte kritische Bewertung erfolgte deshalb auf Basis öffentlich zugänglicher Informationen. Da es in Deutschland zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Studie keine unkonventionelle Gasföderung gibt, mußte auf Erfahrungen aus konventioneller Gasföderung sowie auf internationale Studien zurückgegriffen werden. Daneben stützt sich diese Studie auf die Ergebnisse des im Rahmen des InfoDialog Fracking abgehaltenen Fachgesprächs „Fracking und Erdbebenrisiko“ am 22.11.2011 in Kassel, siehe: http://dialog-erdgasundfrac.de/fachgespr%C3%A4ch-fracking-und-erdbebenrisiko 1. Einleitung und Zielsetzung Ein Zusammenhang zwischen der Förderung von Erdgas und dem Auftreten von Erdbeben in einzelnen Förderregionen ist bekannt und in vielen wissenschaftlichen Studien untersucht. Dabei muss grundsätzlich unterschieden werden, ob es sich um die seit Jahrzehnten erprobte, klassische oder ‚konventionelle’ Gasförderung handelt oder um die neuerdings entwickelte‚ unkonventionelle’ Förderung aus Schieferformationen. Für konventionelle Reservoire, d.h. poröse Gesteinsformationen ist der grundlegende Wirkungsmechanismus der Entleerung (‚depletion’) bei der Förderung von Gas und Öl gleich, weshalb man allgemein von der seismischen Gefährdung durch Hydrocarbon Produktion spricht. Zusätzliche Risiken durch sog. ‚sekundäre’ Fördermaßnahmen in Ölreservoiren, also das Einpressen von Wasser zur Stimulation der Ölförderung, sollen in dieser auf Gasförderung konzentrierten Studie nicht weiter berücksichtigt werden. Die Untersuchung der seismischen Gefährdung lenkt den Fokus auf mittlere bis große Erdbeben, die zu einer erheblicher Verunsicherung der Bevölkerung führen sowie ein potentielles Schadensrisiko bergen. In einem ersten Schritt werden die grundlegenden Aspekte und Modellansätze induziertrer Seismizität bei konventioneller Gasförderung vorgestellt. Danach wird auf die Situation in den Niederlanden eingegangen, um ein Beispiel für klar identifizierbare, förderbedingte Erdbeben zu geben. Demgegenüber ist die im Folgenden dargestellte Situation in Norddeutschland weit komplexer, und erlaubt keine einfachen Zuordnungen. Liegen für die konventionelle Gasförderung ausreichende Erfahrungen und Fallbeispiele vor, um eine seismische Gefährdungsanalyse zu begründen, muss eine Einschätzung bei unkonventioneller Gasförderung mit weit weniger Datenmaterial versuchen, allgemeine Trends zu erkennen und abzuleiten. Definitionsgemäß treten bei der unkonventioneller Förderung keine zusammenhängenden, großvolumigen porösen Lagerstätten auf, die erbohrt und entleert werden könnten. Deshalb konzentriert sich eine Gefährdungsanalyse nicht auf ‚depletion’, sondern auf die Prozesse der Einleitung von Flüssigkeiten beim Erschließen der Lagerstätte, dem sog. ‚Fracking’, und der Injektion von Lagerstättenwässern während des Förderbetriebs. Beispiele aus England und den USA sollen helfen, die Situation für Norddeutschland abzuschätzen. Da die Handhabung großer Injektionsvolumina nicht auf die unkonventionelle Gasförderung beschränkt ist, sondern seit Jahrzehnten bei vielen technischen Prozessen in Deutschland genutzt wird, kann für exemplarische Injektionssonden der konventionellen Gasförderung in Norddeutschland eine Zusammenstellung der bisherigen Beobachtungen erstellt werden. Aus der Summe der Fallbeispiele und Modellansätze wird abschließend eine Vergleichsmatrix zur seismischen Gefährdung bei konventioneller und unkonventioneller Gasförderung zusammengestellt. 2. Induzierte Seismizität und Hydrocarbon Förderung Eine umfassende Übersicht von mittleren und großen Erdbeben, bei denen ein Zusammenhang mit der Hydrocarbon Produktion diskutiert wird, gibt Suckale (2010). Danach sind von den etwa 600 Sedimentbecken weltweit 400 zumindest punktuell bohrtechnisch erschlossen, und 160 werden bzw. wurden für kommerzielle Hydrocarbon Produktion ausgebeutet. Die 25 Sedimentbecken mit den größten Reservoiren repräsentieren 85 % der weltweiten Reserven. Nur für zwei dieser 25 Becken liegen eindeutige Berichte zu induzierter Seismizität vor. Es sind das Permian Basin von Texas (Frohlich et al., 2010) sowie das Rotliegende in den Niederlanden (van Eck et al., 2006), welches sich mit zunehmender Tiefe in die Norddeutsche Tiefebene fortsetzt und im Folgenden getrennt und ausgiebig diskutiert wird. In vielen Fallstudien besteht eine besondere Schwierigkeit darin, eine durch die Hydrocarbon Produktion beeinflussten Seismizität von der natürlichen Erdbebentätigkeit abzugrenzen. Dieses Thema ist bei heute Gegenstand kontroverser wissenschaftlicher Diskussionen, und wird aktuell auch im Rahmen der Arbeitsgruppe ‚Induzierte Seismizität’ des FKPE (2012) bearbeitet. Grundsätzlich rührt die Schwierigkeit daher, dass (I) Erdbebenwahrnehmung und Erdbebenschädigung als Manifestation temporärer, mechanischer Wellenausbreitung und permanenter Bodenverschiebung noch keine kausalen Rückschlüsse auf die auslösenden Ursachen zulassen, und dass (II) auch in ‚aseismischen’ Regionen jederzeit mit dem Auftreten zwar seltener, aber durchaus starker Intraplattenbeben gerechnet werden muss. Die einzige, erwähnenswerte Ausnahme dieser Situation des ‚Unwissens’ über die Bebenursache ist der untertägige Bergbau, bei dem der Herdprozess durch unmittelbare Auswirkung im Grubengebäude beobachtet werden kann. Zur Unterscheidung zwischen natürlichen Erdbeben und induzierter bzw. getriggerter Seismizität haben sich zwei Ansätze eingebürgert. Zum einen werden statistische Signifikanzen genutzt, angefangen bei der räumlichen Clusterung der fraglichen Beben in kleine Herdgebiete nahe der Förderhorizonte. Eine besondere Schwierigkeit besteht in einer zuverlässigen Bestimmung der Herdtiefe, worauf in dieser Studie nicht näher eingegangen werden soll. Weitere wichtige Indizien sind die zeitliche Korrelation der Erdbebenhäufigkeit mit Abbau- oder Produktionsparametern, z.B. mit Beginn und Einstellung der Förderung, mit Schichtzeiten und Werktage, oder mit Perioden erhöhter Förderung in Wintermonaten. Die auf dieser Basis ermittelten statistischen Kenngrößen müssen eine anhaltende Änderung vom langjährigen Durchschnittswert der natürlichen ‚Hintergrund’-Seismizität anzeigen. Zum anderen wird versucht, über physikalische Modelle quantitative Wirkzusammenhänge zwischen Förderung und Erdbebentätigkeit zu belegen. Die besonderen Schwierigkeiten hier sind neben frei verfügbaren, detaillierten Produktionsdaten die oftmalige Unkenntnis über die naturgegebenen Spannungszustände der Erdkruste sowie die Orientierung und Ausdehnung vorhandener geologischer Störungen in der benötigten kleinskaligen Auflösung. Für eine seismische Gefährdungsanalyse fehlt zusätzlich ein robustes, allgemein akzeptiertes Modell für die quantitative Abschätzung der finalen Bruchlänge mittlerer und großer Erdbeben in statu nascendi, also der erzeugten Magnitude eines aktuell getriggerten und sich ausbreitenden Bruchversagens. Bei den physikalischen Modellen ist zu unterscheiden, ob der Einfluss einer Entleerung des Reservoirs (‚depletion’) beschrieben werden soll, oder ob die Effekte von Verpressung ('fluid injection') quantifiziert werden sollen. Für konventionelle Gasförderung wird 'depletion' angesetzt, zur Abschätzung von ‚hydraulic fracturing’ oder ‚Fracking’ bei unkonventioneller Gasförderung dagegen 'fluid injection'. Gemeinsam ist beiden Modellklassen, dass die zur Erzeugung eines mittleren bis großen Erdbebens notwendige Energie nicht aus dem Reservoir selbst, sondern durch eine tektonisch bedingte, natürliche Vorspannung der Erdkruste bereitgestellt werden muss. Nicht hohe Vorspannung, sondern ein signifikanter Unterschied zwischen den drei Komponenten des ‚principle stress’, also ein hoher ‚deviatoric stress’ ist dabei entscheidend für die mögliche Auslösung eines Erdbebens. Neben diesem kritischen Spannungszustand müssen die vorhandenen Schwächezonen und Verwerfungen auch geeignet zum Spannungsfeld ausgerichtet sein, um durch kleinere Druckänderungen aktiviert werden zu können. Das Erfüllen dieser Bedingungen kann nicht pauschal vorhergesagt werden, sondern muss im Einzelfall durch Untersuchung der geologischen Formationen, der Kartierung aktiver und ruhender Verwerfungen sowie der Erfassung des lokalen Spannungsfeldes festgestellt werden. Erfahrungen aus der Geothermie, z.B. verschiedenen Projekten im südlichen Oberrheingraben zeigen, dass schon kleine Lokationsunterschiede und Übergang Sediment/Kristallin zu grundsätzlich anderem seismischen Verhalten führen können – von jahrelangem und störungsfreiem Betrieb in Riehen bis zum Abbruch der Produktionsvorbereitung nach leichten Erdbeben in Basel (Evans et al., 2011). Bei den ‚depletion’ Modellen gibt es zwei Ansätze. Pennington et al. (1986) variieren die Idee tektonischer Erdbeben, indem sie als Konsequenz der Fluid/Gas-Entnahme von einem örtlich unterschiedlichen, reduzierten Porendruck ausgehen sowie von Setzungseffekten und aseismischem Nachgeben einzelner Segmente des vorhandenen Verwerfungssystems. Diese Verschiebungen setzen die blockierten Teile (‚asperities’) einzelner Verwerfungen so sehr unter Spannung, dass ihr Brechen ein Erdbeben erzeugt. Dieses ‚asperity’ Modell wurde u.a. auch zur Erklärung der Seismizität in den holländischen Gasfeldern herangezogen. Ein anderer Ansatz basiert auf der Modellierung des poroelastischen Drucks (Segall, 1985, 1992). Danach erzeugt die Kontraktion des Reservoirhorizonts nach ausgedehnter Förderung einen Spannungsaufbau an den Grenzen des umgebenden Untergrunds. Das Modell konnte erfolgreich die beobachteten Effekte produktionsbedingter Landabsenkungen (‚surface subsidence’) nachbilden, und erklärt zwanglos das häufig beobachtete Muster von Auf- bzw. Abschiebung bei Erdbeben in der Nähe von Reservoiren (siehe Abb. 1a). Auch das verzögerte Einsetzen induzierter Seismizität erst nach längeren Produktionsphasen wird plausibel modelliert. Allerdings blieb eine Erklärung der beobachteten komplexeren Seismizitätsmuster durch ‚poroelastic modelling’ bisher lückenhaft, insbesondere bei Rückgang der Seismizität trotz fortgesetzter Förderung (Grasso & Wittlinger, 1990). Für die Injektion von Fluiden basiert die Modellierung der Erdbeben-Triggerung auf dem Mohr-Coulomb’schen Versagenskriterium. Danach bewirkt die Erhöhung des Porendrucks durch Injektion eine Erniedrigung der effektiven Normalspannung, also des senkrecht auf die potentielle Scherfläche wirkenden Drucks, der diese ‚zusammenbackt’ und deshalb am Versagen hindert (siehe Abb. 1b). Abb. 1a Skizze zur Modellierung von Subsidenz und Seismizität durch Reservoirentleerung nach (a) Segall und (b) Odonne et al. (1999) [aus Suckale, 2010] Abb. 1b Skizze zum Mohr-Coulomb’schen Versagenskriterium [aus Suckale, 2010] Trotz der Einfachheit des Mohr-Coulomb Modells hat es sich in vielen geotechnischen, ingenieurgeologischen und seismologischen Untersuchungen und Anwendungen als robust und praxistauglich erwiesen. Insbesondere für die häufiger auftretenden kleinen Bruchereignisse stellt es ein gutes Prognosewerkzeug dar. Im Rahmen der Hydrocarbon Förderung kommt dieser Ansatz insbesondere bei der Modellierung der Rissausbreitung von Fracking Kampagnen zum Einsatz (z.B. Eisner et al., 2010). 3. Gasförderung und Seismizität in den Niederlanden Das Auftreten von Erdbeben im Bereich der Gasfelder im Norden der Niederlande (siehe Abb. 3) erfüllt alle Merkmale, die zu einer Charakterisierung als induzierte Seismizität notwendig sind (van Eck et al., 2006; Dost & Haak, 2007). Das Gebiet galt als 'aseismisch' ohne bekannte historische Beben; seit Aufnahme der Gasförderung in den 1960er Jahren wurden mehrere hundert messtechnisch erfasste Erdbeben erzeugt. Das erste Beben wurde 1986 in Assen gemessen, also gut 20 Jahre nach Beginn der Produktion. Seither sind alle Beben in flacher Herdtiefe bis max. 4 km aufgetreten, also nahe der Gasförderung in 2-3 km Tiefe. Dabei konnte die Herdtiefe durch ein dichtes Netz empfindlicher Bohrlochstationen außergewöhnlich gut bestimmt werden. Die Ereignisse clustern räumlich entlang der Ränder der Reservoire sowie bekannter Verwerfungszonen innerhalb der Gasfelder. Numerische Modellierungen haben einen grundsätzlichen Wirkmechanismu entsprechend des 'asperity' Konzepts bestätigt, obwohl eine kleinräumige Zuordnung zu den Bebenserien einzelner Gasfelder bisher noch nicht gelang. Diese zeigen sehr unterschiedliches Verhalten von wenig Ereignissen überhaupt (im SE Teil des Groningen Feldes) über eine normale MagnitudenHäufigkeitsverteilung (restliches Groningen Feld) bis zum Fehlen kleiner Beben bei gleichzeitigem Auftreten stärkerer Ereignisse (Bergermeer und Roswinkel). Abb. 2 Gasfelder und Erdbeben in den Niederlanden [aus van Eck et al., 2006] Auf einen besonders wichtigen Aspekt für die Abschätzung der seismischen Gefährdung sei an dieser Stelle explizit eingegangen. Im gesamten Zeitraum der Beobachtung von 30 Jahren wurde kein Erdbeben mit Magnitude größer ML 3.5 gemessen. Aus der in Abb. 3 gezeigten Magnituden-Häufigkeitsverteilung würde bei linearer Interpolation, wie sie in diesem Magnitudenbereich für natürliche Seismizität anzunehmen ist, ein Beben ML 4.0 etwa alle 12 Jahre folgen, also bereits 2-3 mal innerhalb der 30 Jahre. Abb. 3 Magnituden-Häufigkeitsverteilung induzierter Erdbeben in NL [aus van Eck, 2006] Das Fehlen dieser Ereignisse deutet auf die räumlich begrenzte Aktivierung der vorhandenen Störzonen hin, entsprechend einer lokal begrenzen Änderung des Porendrucks. Die holländischen Kollegen nehmen deshalb mit 90 % Wahrscheinlichkeit ein maximales Erdbeben der Stärke ML 3.8 an (De Crook et al., 1998), welches wegen der flachen Herdtiefe zwar Schrecken in der Bevölkerung auslöst und leichte Hausschäden verursachen kann, aber nicht zu strukturellem Gebäudeversagen führt. 4. Gasförderung und Seismizität in Norddeutschland Die Seismizität Norddeutschlands ist in Abb. 5 gegeben, ebenso die Verteilung der konventionell geförderten Gasfelder. Auf den ersten Blick ergibt sich eine starke Ähnlichkeit zu der Situation in den Niederlanden (vgl. Abb. 3). Die Epiezentren der Beben korrelieren gut mit den Gasfeldern, und die These induzierter Beben wird in der Wissenschaft ausgiebig diskutiert. Allerdings gibt es einige Punkte, die nicht ins Bild passen und sich insbesondere im Vergleich zur eindeutigen Situation in den Niederlanden anders darstellen. Vorangestellt sei der Hinweis, dass die instrumentelle Erfassung der Seismizität in Norddeutschland wesentlich schlechter ist, da nur wenige, unempfindliche Stationen die Signale aufzeichnen. Daraus resultiert eine höhere Detektionsschwelle, d.h. über Existenz und Verteilung kleiner Beben ist nichts bekannt, sowie eine schlechtere Ortungsgenauigkeit, insbesondere bei der für die Unterscheidung natürliche / induzierte Erdbeben wichtigen Herdtiefenbestimmung. Dieser Mangel kann rückwirkend für die hier diskutierten Erdbeben nicht mehr behoben werden, und jede aktuelle Verbesserung des Erdbebenmessnetzes muss erst einige Jahre betrieben werden, bevor statistisch abgesicherte Aussagen zur Seismizität abgeleitet werden können. [aus Dahm et al., 2006] Ebenso wie der Norden der Niederlande trägt auch die Norddeutsche Tiefebene das Attribut 'aseismisch'. Bei genauer Datenanlyse fällt aber auf, dass es neben den bergbau-induziertren Beben bei Ibbenbüren einige weitere Erdbeben gibt, die weder räumlich noch zeitlich zum Fördergeschehen in den Gasfeldern passen. Beispiele sind das Wittenburg (östlich HH) M=4.4 Beben 2000, das Rostok M=3.4 Beben 2001 oder das Bremerhaven M=2.8 Beben in 2005 (siehe Abb. 5). Sowohl für Wittenburg wie für Bremerhaven wird eine Herdtiefe > 17 km zugeordnet. Dieser Wert ist klar unterhalb der Gasförderhorizonte in ca. 4 km Tiefe, und auch horizontal beträgt die Distanz zum nächsten Gasfeld jeweils etwa 70 km. Eine Erklärung für diese Beben ist das Konzept von Intraplattenbeben. Es verallgemeinert die weltweiten Beobachtungen von Erdbeben, die außerhalb der aktiven Kontinental- und Plattenränder in scheinbar stabilen Platten auftreten. Diese Beben sind sehr selten mit Wiederholzyklen von tausenden von Jahren, können aber durchaus große Bruchflächen, d.h. hohe Magnitude aufweisen (z.B. Lay & Wallace, 1995). Man nimmt für ihre Entstehung die Reaktivierung alter Schwäche- und Verwerfungszonen an, wobei in Norddeutschland auch noch Spannungsumlagerungen durch den postglazialen Uplift sowie lokale Effekte wie Salztektonik oder Einsturzbeben hinzukommen können. Da Salz in geologischen Zeitdimensionen fließend ist, entstehen an den Rändern von Salzdomen Spannungen zum umgebenden Gestein. Bei Überschreiten der Bruchfestigkeit werden dann Erdbeben ausgelöst. Einsturzbeben treten auf, wenn oberflächennahe, wasserlösliche Salz- oder Gipsformationen durch Kontakt mit dem Grundwasser ausgewaschen werden. Abb. 5 Erdbeben und Gasfelder in Norddeutschland - Ausschnitt [aus Dahm et al., 2007] Als Konsequenz dieser sehr schlecht abschätzbaren Wahrscheinlichkeit für das Aufreten von Intraplattenbeben wird in der KTA auch für die 'aseismischen' Norddeutschen Tiefebene bei der Auslegung kritischer technischer Anlagen eine Erdbebensicherheit bis Intensität VI gefordert (Leydecker et al., 2006). Diese Intensität entspricht bei tektonischen Beben in ca. 15 km Tiefe etwa ML 4.5 und bei 2-3 km flachen, möglicherweise induzierten Beben M L 3.5 (Gruenthal, 1998). Einige Beben in Abb. 5 fallen offensichtlich mit Gasförderfeldern zusammen, und sind deshalb ausgiebig diskutierte Kandidaten für induzierte Seismizität (Dahm et al., 2007). Aller- dings ist auch hier das Bild nicht so klar wie in den Niederlanden. Beim ML 4.0 Soltau Beben von 1977 wurde eine Herdtiefe von 7 km bestimmt, also signifikant unterhalb der Gasförderhorizonte. Auch hatte eine großvolumige Gasförderung gerade erst begonnen, es war also noch kein hinreichender Druckabfall im Reservoir aufgetreten. Beim Rotenburg ML 4.5 Beben in 2004 ergeben makroseismische und instrumentelle Auswertungen unterschiedliche Herdtiefen, die signifikant unterhalb bzw. in der Nähe der Förderhorizonte lagen. Geht man von den holländischen Magnitudenabschätzungen aus, sind beide Beben auch zu stark für primär induziert verursachte Ereignisse. Seit dem Rotenburg 2004 Beben gab es noch weitere, schwächere Beben, die teilweise von den Bevölkerung verspürt wurden. Allerdings führten auch die Untersuchungen zum Langwedel ML 2.8 Beben 2008 (Gestermann et al. 2009), zum Verden ML 2.5 Beben 2011 (Gestermann & Plenefisch 2011) und zum aktuellen Visselhövede ML 2.9 Beben am 13.02.2012 (Gestermann & Plenefisch 2012) zu keinem eindeutigen Ergebnis, da die Datenlage weiterhin aufgrund sehr weniger, unempfindlicher Messstationen unbefriedigend war. Ebenso liegen bisher keine physikalischen Modellierungen vor, die das Auftreten der Seismizität mit der Dynamik in den Reservoirbedingungen korrelieren. Abb.6 Gasfelder, Erdbeben und Störungszonen um Rotenburg / Norddeutschland Da alle Beben sowohl in der Nähe zur Gasförderung als auch nahe zu kartierten Störungszonen liegen (siehe Abb. 6) und die unsicheren Herdtiefen keine belastbare Zuordnung zu geologischen Formationen erlauben, ist eine Abgrenzung zwischen natürlichen und induzierten Beben noch immer Gegenstand der aktueller wissenschaftlicher Forschung. Insgesamt erweist sich die Abschätzung eines Intensität VI Bebens der KTA mit dem daraus resultierenden, begrenzten Schadenspotential aber auch für die Gasfördergebiete Norddeutschlands als tragfähig. 5. Unkonventionelle Gasförderung und Seismizität Bei der unkonventionellen Gasförderung werden kleine Reservoire geringer Permeabilität erschlossen, die durch klassische Förderbohrungen in poröse Lagerhorizonte nicht zu fördern wären. Statt dessen werden horizontal abgelenkte Bohrungen niedergebracht und Förderwegsamkeiten durch Fracking erzeugt. Dementsprechend sind die Modelle klassischer Reservoir-Seismizität nicht anwendbar, weil die großen, porösen Lagerhorizonte mit ihrer Tendenz zur Subsidenz nach Abfallen des Lagerstättendrucks ersetzt sind durch kleinskalige Gaslinsen in stabilem Muttergestein. Die seismische Gefährdung resultiert jetzt vorrangig aus dem Fracking. Dieses Verfahren selbst ist nicht neu, und wird nicht erst seit der Erschließung unkonventioneller Lagerstätten eingesetzt. Auch in den norddeutschen Gasfeldern sind viele Fracking Kampagnen durchgeführt worden, ohne dass es zu fühlbaren Erdbeben kam. Weltweit hat die Erfahrung gelehrt, dass bei tausenden von Fracking Kampagnen nur seismische Ereignisse bis ML 0 erzeugt wurden (de Pater & Baisch, 2011). In wenigen Ausnahmen und nur bei Verpressung in vorhandene Verwerfungen wurden Erdbeben bis M L 0.8 beobachtet. Generell tendieren Verpressungen mit größeren Volumina zu möglichen größeren Erdbeben. Lediglich in bisher drei Fällen wurden leichte, aber bereits fühlbare Erdbebenserien durch Fracking ausgelöst: In Oklahoma Ende der 1970er (Luza & Lawson, 1980) und 2011 (Holland, 2011) sowie in Süd-England 2011 (de Pater & Baisch, 2011). Das letzte Beispiel soll ausführlicher dargestellt werden, da es sich hier erstmals um eine Erdbebenserie bei Erschließung eines unkonventioneller Gasreservoirs handelt, und entsprechende Erfahrungen für Deutschland bisher nicht vorliegen. Die Untersuchungen von de Pater & Baisch (2011) ergaben einen kritischen Spannungszustand mit ausgeprägtem 'deviatoric stress', vorhandene Verwerfungszonen mit einer zum Spannungsfeld passenden Orientierung, ein direktes Anbohren der Verwerfung sowie ein großes Einpressvolumen aufgrund der hohen Permeabilität. Das Zusammentreffen aller dieser Faktoren ist äußerst unwahrscheinlich, weshalb eine direkte Wiederholung dieses Tatbestand an anderen Stellen so nicht anzunehmen ist. Weiterhin ergab eine physikalische Modellierung von Reservoir, Spannungsfeld und Migration des induzierten Porenwasserdrucks, dass eine Bebenstärke oberhalb ML 3.0 äußerst unwahrscheinlich ist. Schließlich trat die Seismizität erst mit Verzögerung nach Injektionsbeginn auf, und die stärksten Ereignisse erfolgten – in Übereinstimmung mit der hydraulischen Modellierung der Porendruckmigration – erst am Ende der Fracking Kampagnen. Der Bericht schließt mit der Aussicht, dass ein zukünftiges Monitoring einer schwach einsetzenden Seismizität in Verbindung mit der Steuerung der Injektionsparameter Druck und Flussrate in einem 'Ampel'-System sowie einem Schutzradius ohne Fracking um die kartierten Störungen herum das erneute Auftreten fühlbarer Erdbeben selbst bei einer Fortsetzung der Reservoirerschließung vermeiden kann. Wesentlich spektakulärer als bei der unkonventionellen Gasförderung war das Fracking bei einigen Projekten geothermischer Erschließung, bis hin zur Projekteinstellung nach den Basel-Erdbeben 2006. Einen guten Überblick über europäische Projekte gibt Evans et al. (2011). Die ungleich höhere seismische Gefährdung erklärt sich zwanglos aus dem Ziel, mit Fracking möglichst große Wärmeaustauschflächen für die Geothermie zu erzeugen, während bei unkonventioneller Gasförderung nur punktuelle Reservoirerschließung erzielt wird. 6. Fluid-Injektion und Seismizität Die Betrachtung der induzierten Seismizität durch Fracking zeigte bereits, dass ein wesentlicher Parameter für größere Erdbeben ein hinreichend großen Volumen der eingepressten Fluide ist, um die für das Mohr-Coulomb'sche Versagenskriterium notwendige Erhöhung des Porenwasserdrucks großflächig zu erzielen. In einer ganzheitlichen Betrachtung der seismischen Gefährdung durch Gasförderung muss deshalb der Aspekt der mit der Produktion verbundenen Rückleitung von Lagerstättenwässern in den Untergrund ebenfalls betrachtet werden. Zwar werden hier nicht so hohe Drücke wie beim Fracking eingesetzt, andererseits wird über Jahrzehnte ein sehr großes Volumen verpresst. Die Erfahrungen bei der Induzierung von Erdbeben durch Fluid-Injektion reichen zurück bis in die 1960er, als auf einem US Militärgelände nahe Denver große Mengen giftiger Flüssigkeiten in einen Aquifer in 4 km Tiefe verpresst wurden. Dieses frühe Beispiel ist herausragend in Einpressraten von 700 m3/d, Kopfdrücken bis 72 bar sowie der größten je durch Fluid-Injektion erzeugten Erdbebenserie mit drei Beben M 5 bis 5.5 in 1967 (Nicholson & Wesson, 1990). Allerdings wird bis heute in den USA das Verpressen von industriellen Schmutzwässern routinemäßig und in großem Umfang betrieben, mit einer im Verhältnis dazu kleinen Rate induzierter Seismizität. In ihrem umfassenden Report erwähnen Nicholson & Wesson (1990) statt normaler Abwässer-Injektion vor allem die sekundäre Ölförderung als Ursache induzierter Beben, da dort mit Kopfdrücken von mehrerer 100 bar das verbliebene Öl aus wenig permeablen Schichten gepresst werden soll. Das Einleiten industrieller Abwässer dagegen geschieht vorzugsweise in hochpermeable Aquifer. Neben dem oben erwähnten Beispiel nahe Denver berichten die Autoren nur einen weiteren Fall in Ohio, wo unzweifelhaft eine Auslösung von leichten Erdbeben durch Fluid-Injektion auch durch physikalische Modellierung belegt werden konnte. In Deutschland ist die Verpressung von Schmutzwässern weit wenig gebräuchlich, und wird im wesentlichen nur in der Kali- und Hydrocarbonförderung eingesetzt. Zur Beurteilung einer möglichen seismischen Gefährdung durch Injektionsbohrungen der Gasförderung in Norddeutschland wurden von ExxonMobil detaillierte Unterlagen von fünf exemplarischen Injektionssonden zur Verfügung gestellt. Damit stehen Beispiele für die Verpressung von Lagerstättenwässern in unterschiedlichen Herdtiefen / geologischen Formationen sowie neu erschlossenen und zuvor leergeförderten Reservoiren zur Verfügung. ExxonMobil verfügt insgesamt über 13 aktive und 9 inaktive Injektionssonden in Norddeutschland (pers. Mitteilung S. Alles, ExxonMobil, 2012). Die Lage der fünf untersuchten Injektionssonden ist in Abb. 7 gegeben. Die Verpressparameter sind summarisch in Tabelle 1 aufgeführt. Location Gross Lessen Z1 Siedenburg 30 Bethermoor Z2 Garrel H1 Helbusch Z1 depth m G-LE Z1 SDBG 30 BTMR Z2 GARL H1 HELB Z1 formation 1275 Valendis 680 Valendis 3910 Zechstein 375 up/low Eozän 2880 Solling type start end depl. depl. depl. new depl. no 300.000 2011 250.000 no 555.000 no 650.000 no 2.800.000 1999 2000 1992 1985 1980 total vol. av. vol. av. WHIP m3 m3/d bar Tab. 1 Ausgesuchte Injektionssonden der ExxonMobil in Norddeutschland 100 70 100 100 350 10 35 150 not av. 50 Abb. 7 Lage der fünf ausgewählten Injektionssonden von ExxonMobil in Norddeutschland In Tab. 2 sind diejenigen Erdbeben vermerkt, die nahe einer der gegebenen fünf Injektionssonden stattfanden.Zur Abschätzung eines möglichen Zusammenhangs mit lokalen Erdbeben wird von einem Radius von 10 km um die Sonden ausgegangen, der als Obergrenze für die Beeinflussung des Porenwasserdrucks gelten kann (Nicholson & Wesson, 1990). Keines der aufgeführten Beben liegt innerhalb des 10 km Radius. date region magnitude ML depth [km] nearest Inj. distance [km] 10.12.1998 23.03.1999 10.09.2002 Cloppenburg Cloppenburg Cloppenburg 2.2 2.4 2.6 2 4 2 BTMR Z2 BTMR Z2 BTMR Z2 16 10 19 16.04.2011 Sulingen 2.1 5 G-LE Z1 10 Tab. 2 Erdbeben nahe der ausgewählten Injektionssonden von ExxonMobil In Abb. 8 ist exemplarisch der Druckverlauf, die kummulative Einpressmenge und weitere Details der Injektiossonde G-LE Z1 gezeigt. Das Erdbeben vom 16.04.2011 verursacht keine Änderung im Kopfdruck der Injektion, es ist also von keiner unmittelbaren Verbindung des Injektionshorizonts mit der Herdfläche des Erdbebens auszugehen. Dieser Befund wird bereits durch die unterschiedlichen Tiefen von 1 km für den genutzten Aquifer und 5 km für das Beben nahegelegt. Erdbeben 16.04.11 Abb. 8 Injektionssonde G-LE Z1 und Erdbeben im Raum Sulingen [nach ExxonMobil] 7. Zusammenfassung Die seismische Gefährdung Norddeutschlands lässt sich auch unter Einschluss möglicher, durch die Gasföderung induziertrer Erdbeben durch die Annahme eines Intensität VI Bebens beschreiben, welches zwar zu erheblicher Verunsicherung der Bevölkerung führt, aber nur leiche Hausschäden ohne strukturelles Gebäudeversagen zur Folge hat. Nach aktuellem Stand von Wissenschaft und Forschung und auf Basis der bisherigen, recht unempfindlichen und ungenauen Messungen und Auswertungen rezenter Seismizität kann eine Zuordnung einzelner Beben als induziert oder tektonisch nicht mit Sicherheit erfolgen. Neben einer Verbesserung der seismischen Überwachung sind in Zukunft vor allem physikalische Modellierungen der Lagerstättendynamik notwendig, um den Anteil der Gasföderung an der seismischen Gefährdung Norddeutschlands einschätzen zu können. Konventionelle Gasförderung Unkonventionelle Gasförderung Entleerungs-induzierte Spannungsraten im Förderbetrieb und außerhalb der Felder X (X) Abschottungen und ungleiche Porendruck-verteilung im/nahe des Feldes/Vorkommens X Auslösen von Erdbeben bei Fracking in Volumen, die kritisch gespannt sind Porendruck Diffusion bei Einleiten / Injektion großer Fluid-Volumen über lange Zeiträume (X) X X (X) Tab. 3 Mögliche Faktoren seismischer Gefährdung durch Gasförderung [nach Dahm, 2011] Entsprechend Tab.3 würde eine zusätzliche Aufnahme unkonventioneller Gasföderung in Norddeutschland nur beim häufigen Fracking eine relevante Erhöhung der seismischen Gefährdung bewirken können. Dies aber auch nur, wenn es ein ähnlich ungünstiges und unwahrscheinliches Zusammentreffen verschiedener Faktoren gibt, wie es in Süd-England der Fall war (vgl. de Pater & Baisch, 2011). Allerdings zeigt dieses Beispiel auch, wie mit einer Überwachung nach Ampel-Konzept solche Extremsituationen erkannt und entschärft werden können. Auch die Verpressung von Lagerstättenwässern entsprechend der bisher in Norddeutschland getätigten Praxis hat auf Basis der vorliegenden Daten zu keiner Erhöhung der seismischen Gefährdung geführt. Zum Ausschluss möglicher zukünftiger seismischer Effekte ist hier ebenfalls der Einsatz eines Ampel-Konzepts denkbar. 8. Literatur Dahm T. Hofmann B. Polster A. & Thorwart M. (2006). Erdbeben in Norddeutschland und Europa, http://www.geophysics.zmaw.de/fileadmin/seismogram/downloads/poster_beben_ND.pdf Dahm T., Krüger F., Stammler K., Klinge K., Kind R., Wylegalla K. & Grasso J.-R. (2007). The 2004 MW 4.4 Rotenburg, northern Germany, earthquake and its possible relationship with gas recovery, Bull. Seism. Soc. Am. 97, 691-704. Dahm T. (2011). Schriftliche Mitteilung Fachgespräch Fracking und Erdbebengefährdung, InfoDialog Fracking, Kassel. 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