Vom Gen zum Merkmal Die Proteinfabrik in der Zelle von Ulrich Helmich, Oktober 2013 Text 1 Text 2 Auf einer Wiese, da steht eine Fabrik. In dieser Fabrik werden Werkzeuge herstellt, zum Beispiel Schraubenzieher bzw. Schraubendreher. Auf einer Wiese, da steht eine rote Salbei. Verantwortlich für die schöne rote Farbe der Salbeiblüten ist der rote Anthocyan-Farbstoff Pelargonidin, der sich in den Zellen der Blütenblätter befindet. Die Konstruktionspläne für die Werkzeuge liegen im Büro der Chefin, sicher eingeschlossen in einem Safe. Karl Hammer, ein Angestellter, soll nun 100 Stück einer bestimmtem Sorte von Schraubendrehern herstellen. Die Chefin will aber die Original-Pläne nicht herausgeben, da Karl Hammer immer ölverschmierte Hände hat; die Originale sind ihr einfach zu wertvoll. Also macht die Chefin eine Photokopie der Pläne für Karl. Karl nimmt die Kopie, verlässt das Chefbüro und macht sich auf den Weg in die Werkstatt für Schraubendreher. Und dann steht er auch schon an der Schraubendreherfertigungsmaschine, einem riesigen Ungetüm mit einem gewaltigen Unterteil und einem etwas kleinerem Oberteil. Ein üblicher Handschraubenzieher besteht aus einer Klinge und einem Griff, der oft elektrisch isoliert ist. Karl schaut nun genauer auf den Konstruktionsplan. Die Griffe für die 100 Schraubendreher sollen aus Holz bestehen und mindestens 14 cm lang sein. Also holt sich Karl 100 dieser Griffe und gibt sie in einen entsprechenden Vorratshalter im Oberteil der Maschine. Die Klinge soll ebenfalls 14 cm lang sein und für Kreuzschrauben mittlerer Größe geeignet sein. Karl geht zum Lager und holt sich 100 Stück der entsprechenden Sorte, auch diese 100 Stück gibt er in einen entsprechenden Vorratshalter im Oberteil der Maschine. Nun schaltet Karl den Strom ein, und die Maschine rattert los. Nach einer Stunde sind die 100 Schraubendreher fertig, und Karl ist glücklich und setzt sich auf seinen Drehstuhl. Nun, was ist denn das? Der Drehstuhl wackelt. Karl schaut nach. Tatsächlich, hier ist eine Schraube locker. Gut, das Karl gerade 100 Schraubendreher hergestellt hat. Er nimmt sich einen der Schraubendreher und dreht die Schraube am Stuhl fest. Perfekt, der Stuhl wackelt nicht mehr. Ulrich Helmich, Oktober 2013 Dieser rote Farbstoff wird von einem bestimmten Enzym hergestellt, das wir einfach mal als Pelargonidin-Synthase bezeichnen wollen. Dieses Enzym muss aber auch erst mal hergestellt werden, bevor es arbeiten kann. Die Orte in der Zelle, an denen Proteine (und daher auch Enzyme) hergestellt werden, sind die Ribosomen im Zellplasma. Ribosomen bestehen aus einer großen und einer kleinen Untereinheit. Wie arbeitet ein solches Ribosom? Vereinfacht gesprochen, nimmt sich das Ribosom eine Aminosäure, dann eine zweite Aminosäure, eine dritte und so weiter, und baut aus diesen Aminosäuren das Enzym zusammen. Allerdings kommt es schon auf die genaue Reihenfolge dieser Aminosäuren an, denn es gibt viele Tausend Enzyme, und bei jedem Enzym ist die Reihenfolge der Aminosäuren eine andere. Woher also weiß das Ribosom, in welcher Reihenfolge es die Aminosäuren zusammenbauen muss? Diese Information befindet sich auf der mRNA (Boten-RNS). Die mRNA ist eine Nucleinsäure, ein langes Molekül, das aus vier verschiedenen Bausteinen besteht, nämlich A, U, C und G. In der Reihenfolge dieser vier Bausteine ist die Information für die Synthese eines Proteins verschlüsselt. Das Ribosom gleitet an dem mRNAMolekül entlang und liest immer drei Bausteine gleichzeitig ab. Das "Wort" AAG steht zum Beispiel für die Aminosäure Lysin. Vom Gen zum Merkmal Text 2, Fortsetzung... Aber auch die mRNA muss irgendwie hergestellt werden. Dafür ist das Enzym RNA-Polymerase verantwortlich, das im Zellkern vorkommt. Die RNA-Polymerase bewegt sich auf den Anfang des Pelargonidin-Synthase-Gens auf Chromosom Nr. 4 zu und beginnt, eine Kopie dieses Gens herzustellen. Dazu wird die DNA vorübergehend entspiralisiert und in Einzelstränge aufgespalten. Natürlich nicht die ganze DNA des Chromosoms, sondern nur das Teilstück mit dem Gen, das kopiert werden soll. Die mRNA ist eine genaue Kopie des codogenen DNA-Strangs. Ist die RNA-Polymerase mit ihrer Arbeit fertig, so wandert die mRNA-Kopie in das Zellplasma. Dann setzen sich mehrere Ribosomen an die mRNA und beginnen mit der Herstellung des Enzyms. Das Enzym wiederum stellt dann den roten Blütenfarbstoff her. Arbeitsaufträge für eine Gruppenarbeit (2 bis 3 Leute) 1. Nehmen Sie sich zwei A4-Blätter und fertigen Sie dann zwei Schemazeichnungen an, zu jedem Text eine. Die beiden Zeichnungen sollten "deckungsgleich" sein. Wo sich in der einen Zeichnung beispielsweise der Zellkern mit der DNA und dem Gen befindet, sollte in der anderen Zeichnung das Chefbüro mit dem Safe und dem Konstruktionsplan sein und so weiter. 2. Lesen Sie zunächst noch mehr Informationen zur Transkription und Translation (Schulbuch, meine Homepage, Wikipedia etc.) und listen Sie dann stichpunktartig (mit kurzen Erläuterungen) die Stärken und Schwächen in dem Zellmodell aus Text 1 auf. Welche zellulären Vorgänge werden gut dargestellt, welche zu stark vereinfacht oder gar falsch, und welche werden gar nicht dargestellt? 3. Entwerfen Sie ein besseres Modell ähnlich wie in Text 1, das möglichst viele der "echten" physiologischen Vorgänge abbildet. Ulrich Helmich, Oktober 2013