Biokatalyse - Deutsche Bundesstiftung Umwelt

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Biokatalyse
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giou et al. 1987) besitzt eine Deletion der aceEF-Gene für die Untereinheiten E1 und E2 des Pyruvat-Dehydrogenase-Komplexes
sowie Mutationen in den Genen pflB und poxB, die zum Verlust der
Pyruvat-Formiat-Lyase-Aktivität und der Pyruvat-„Oxidase“-Aktivität führen. Dieser Genotyp bedingt, dass der Stamm keine Möglichkeit besitzt, um Pyruvat zu Acetyl-CoA bzw. Acetat umzusetzen
und daher bei Wachstum in Minimalmedien Acetat-auxotroph ist.
Außerdem besitzt der Stamm ein defektes pps-Gen, verbunden mit
einem Verlust der PEP-Synthetase-Aktivität:
Pyruvat + ATP + H2O 씮 PEP + AMP + PPa (Gl. 4).
Ausgehend von diesem Stamm soll eine möglichst vollständige
aerobe, glykolytische Umsetzung von Glucose zu Pyruvat erreicht
werden. Das bei der Oxidation von Glycerinaldehyd-3-phosphat
entstehende NADH wird dabei durch die Atmungskette reoxidiert
(Abb. 1):
Glucose + O2 씮 2 Pyruvat- + 2 H+ + 2 H2O (Gl. 5).
Nachdem in Vorversuchen die Acetat-Auxotrophie des E. coliStammes YYC202 bestätigt werden konnte, wurde in der ersten Projektphase das Wachstum und die Produktbildung in Minimalmedium mit Glucose und Acetat untersucht (Kultivierung in Schüttelkolben). Dabei zeigte sich, dass tatsächlich ein beträchtlicher Teil
der verbrauchten Glucose in Pyruvat umgesetzt und ins Medium
ausgeschieden wird (Abb. 2). Wachstum und Pyruvat-Bildung waren abhängig von der zugesetzten Acetat-Konzentration. Bei gleicher Glucose-Ausgangskonzentration führten steigende Acetat-Konzentrationen erwartungsgemäß zu einer höheren Zellausbeute und
zu einer geringeren Pyruvat-Ausbeute. Die Acetat-Konzentration
erwies sich also als kritischer Parameter zur Steuerung von Wachstum und Produktbildung. Unter Acetat-limitierenden Bedingungen
wurde bei diesen Versuchen bis zu 1.7 mol Pyruvat/mol Glucose
gebildet.
Eine maximale Pyruvat-Ausbeute kann nur mit nicht-wachsenden Zellen erreicht werden, da wachsende Zellen einen beträchtlichen Teil der Intermediate aus Glykolyse und PentosephosphatWeg für Biosynthesen verwenden. Aus diesem Grund wurde auch
die Glucose-Umsetzung durch Zellen von E. coli YYC202 untersucht,
die nach Wachstum in Glucose-Minimal-Medium in einem Puffer
ohne weitere Nährstoffe resuspendiert worden waren. Dabei konnte unter geeigneten Bedingungen eine vollständige Umsetzung von
Glucose zu Pyruvat erreicht werden (Abb. 3).
Bei Versuchen zur Umsetzung von höheren Glucose-Konzentrationen durch wachsende und nicht-wachsende Zellen von E. coli
YYC202 wurde die Bildung von Lactat als Nebenprodukt beobachtet. Verantwortlich dafür ist die NAD+-abhängige D-Lactat-Dehydrogenase (ldhA-Genprodukt):
Pyruvat- + NADH + H+ 씮 D-Lactat- + NAD+ (Gl. 6).
Dieses Enzym wird durch anaerobe Bedingungen und einen
niedrigen pH-Wert induziert, ist jedoch auch unter aeroben, pHneutralen Bedingungen mit hoher Aktivität im Zellextrakt vorhanden (Mat-Jan et al. 1989). Im Stamm YYC202 ist eine hohe intrazelluläre Pyruvat-Konzentration zu erwarten, so dass die D-LactatDehydrogenase trotz ihrer schlechten Pyruvat-Affinität (Km-Wert
etwa 7 mM bei pH 7.5; Tarmy und Kaplan 1968) und trotz ihrer im
Vergleich zu den beiden membrangebundenen NADH-Dehydrogenasen (Km 5 bzw. 50 µM) schlechten NADH-Affinität (Km 0.25 0.5 mM) einen Teil des Pyruvats zu Lactat reduziert. Um die Bildung dieses Nebenproduktes, das aufgrund seiner chemischen Ähnlichkeit zu Pyruvat ein Problem bei der Aufarbeitung darstellt, zu
eliminieren, soll das ldhA-Gen (Bunch et al. 1997) deletiert werden.
Abb. 4: Zeitliche Verläufe von OD600 und Acetat-Konzentration (oben) bzw.
von CO2-Bildungsrate CTR und Acetatverbrauchsrate ACR bei einer fedbatch-Fermentation mit manueller Acetatzugabe gemäß dem im oberen Teil
angezeigten Acetat-Feed-Profil.
B. Fermentationsentwicklung
Aufbauend auf der oben beschriebenen Stamm-Charakterisierung und -Optimierung wurde der Stamm YYC202 anschließend in
Laborfermentern (7.5 l Volumen) mit CO2 und O2-Abgas-Analytik
sowie pH-Kontrolle fermentiert. Primäres Ziel dabei war es, Kulturparameter zu identifizieren, die eine Regelung und damit eine Optimierung der Fermentationsprozesses erlauben.
Die unter Punkt A beschriebenen Ergebnisse hatten gezeigt,
dass die Acetat-Konzentration einen kritischen Parameter für die
Regulation von Wachstum und Pyruvat-Bildung darstellt. Da die
on-line-Bestimmung von Acetat, z.B. via HPLC, sehr aufwändig ist,
wurde in den ersten fed-batch-Fermentationsexperimenten (synthetisches Glucose-Medium mit manueller Acetat-Zugabe nach einem empirisch gewählten Dosierprofil) untersucht, welche Korrelation zwischen der CO2-Bildungsrate (on-line-Analytik) und der
Acetat-Verbrauchsrate (off-line-Messung via HPLC) besteht. Bei
geringer Aktivität des oxidativen Pentosephoshat-Weges wird CO2
in erster Linie im Citrat-Cyklus gebildet. Da dessen Funktion von
Acetyl-CoA und damit in der Mutante YYC202 strikt von der Acetat-Zugabe abhängig ist, wurde erwartet, dass Acetat-Verbrauchsrate (ACR) und CO2-Bildungsrate (CTR) proportional zueinander sind.
Tatsächlich zeigten die experimentellen Daten (Abb. 4), dass die
CO2-Bildungsrate identisch mit Acetat-Verbrauchsrate ist, d.h.
ACR = CTR (Gl. 7).
Unter Verwendung dieser Beziehung ist es nunmehr möglich,
die Acetatverbrauchsrate on-line abzuschätzen und durch Variation
dieses Parameters Wachstum und Produktbildung on-line zu steuern. Wird eine hochselektive Umsetzung von Glucose in Pyruvat
bei geringer Wachstumsrate angestrebt, so könnte dies mit einer
niedrigen Acetatdosierrate erreicht und durch die on-line-Messung
des CO2-Abgassignals kontrolliert werden. Alternativ könnte eine
hohe Wachstumsrate bei geringer Pyruvat-Produktion realisiert werden, in dem immer eine sättigende Acetat-Konzentration zur Verfügung gestellt wird. Die gefundene Korrelation (Gl. 7) bietet also die
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Abb. 5: Schematischer Aufbau des 7.5 l –
Bioreaktors mit integrierter Glucose-Messung
und Regelung.
Möglichkeit, die Prozessführung auf unterschiedliche Prozessoptima wie Maximierung
der Raum-Zeit-Ausbeute, Maximierung des
Produkttiters oder Maximierung der Pyruvat/Glucose-Selektivität auszurichten.
Ergänzend zur Acetat-Regelung wurde
der Ansatz verfolgt, die Glucose-Konzentration während der Fermentation auf einen
konstanten Wert von 5 g/l einzuregeln, damit keine Substrat-Limitierung eintritt. Zu
diesem Zweck wurde in den Bypass des Laborreaktors eine Ultrafiltrationseinheit zur
Bereitstellung eines zellfreien Permeats für
enzymatische Glucose-Messungen (OLGATechnik, IBA, Göttingen) eingebaut (Abb.
5). In Abbildung 6 ist ein Beispiel für einen
Acetat- und Glucose-geregelten fed-batchProzess im 7.5 L Bioreaktor gezeigt. Dabei
wurde eine optische Dichte bei 600 nm
(OD600) von 35, ein Brenztraubensäure-Ti-
Abb. 6: Beispiel eines fed-batch-Prozesses mit
Acetat-Regelung via CO2-Abgasmessung.
Zusätzlich wurde Glucose auf einen Sollwert von
5 g/l konstant eingeregelt. Aus technischen
Gründen wurde der Acetat-Feed nach ca. 15 h
Prozesszeit gestoppt.
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ter von 500 mM (ca. 44 g/l), eine Raum-ZeitAusbeute von 24.7 mmol l-1 h-1 und eine maximale differentielle Selektivität von 1.2 mol
Pyruvat/mol Glucose erreicht.
Für die Zukunft ist eine Serie von Experimenten geplant, bei denen der Einfluss
unterschiedlicher Glucose-Konzentrationen
und unterschiedlicher Acetatverbrauchsraten auf die Pyruvat-Bildung untersucht wird.
Die daraus resultierenden Ergebnisse sollen
die Basis für eine quantitative Prozessmodellierung bilden. Weiterführende Verfahrenskonzepte sehen z.B. eine geregelte,
zweistufige Prozessführung vor. In einer
Wachstumsphase mit relativ geringer Pyruvat-Bildung sollen zunächst durch Biomasserückhaltung mittels Mikro-/Ultrafiltration
hohe Zelldichten und damit hohe Biokatalysatorkonzentrationen erzielt werden. Anschließend sollen diese Zellen in Abwesenheit von Acetat die zugegebene Glucose
möglichst quantitativ in Pyruvat umsetzen.
Unter Verwendung der vorgestellten regelungstechnischen Ansätze soll eine optimierte Steuerung der beiden Prozessphasen erfolgen. Zusätzlich soll mit Hilfe einer Protonenbilanz untersucht werden, ob eine online-Abschätzung der Pyruvat-Bildungsrate
aus den Daten der pH-Titrationsrate, des
Glucose- bzw. Acetat-Verbrauchs und der
CO2-Bildung möglich ist. Dazu soll ein entsprechendes Protonenbilanz-Modell in das
Messdatenerfassungsprogramm MEDUSA
integriert und analysiert werden.
C. Halbtechnische Realisierung
Der im Labormaßstab entwickelte Fermentationsprozess soll in Kooperation mit
der Firma Rhein Biotech GmbH (Düsseldorf) in den Technikumsmaßstab überführt
und ein Pyruvat-Aufarbeitungsverfahren
etabliert werden. Am Ende dieses Prozesses soll ein kommerziell einsetzbares Brenztraubensäure-Herstellungsverfahren stehen.
Bei der Übertragung des Fermentationsprozesses aus dem Labor- in den halbtechnischen Maßstab müssen die Bauart-bedingten Einflüsse des vergrößerten Reaktorsystems auf den Fermentationsprozess sowie
seine Regelbarkeit untersucht werden. Obwohl in beiden Fällen gleiche Reaktortypen
(Rührkesselreaktoren) eingesetzt werden,
können z.B Unterschiede in den erzielbaren Sauerstoffeintragsraten auftreten. Ein im
Vergleich zum Laborreaktor reduzierter Sauerstoffeintrag im Technikumsreaktor kann
zur Limitierung des Wachstums und zur Bildung unerwünschter Nebenprodukte führen. Weiterhin steigt bei hohen Reaktoren
durch den erhöhten hydrostatischen Druck
z.B. auch die Gelöstkonzentration an CO2
im unteren Reaktorbereich an. Im Fall der
Pyruvat-produzierenden E. coli-Zellen könnte damit eine unerwünschte Erhöhung der
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PEP-Carboxylase-Aktivität und eine Verringerung der Glucose/Pyruvat-Selektivität
verbunden sein. Fermentationen unter
Überdruck könnten diesen Effekt simulieren und quantitativ erfassen. Zusätzlich soll
der Einfluss der Zellrückhaltung durch Verwendung einer Mikro-/Ultrafiltrationsmembran im vergrößerten Reaktorsystem ermittelt werden. Dazu muss u.a. untersucht werden, welche Pumpraten im Reaktorumlauf
notwendig sind, um eine Sauerstofflimitierung im Bypass zu vermeiden. Da der Leistungseintrag zwecks Schonung der Zellen
möglichst scherkraftarm erfolgen soll, müssen verschiedene Pumpentypen auf ihre
Eignung getestet werden. Auch sollen z.B.
Deckschichtbildung, transmembraner
Druck und erzielbarer Permeatstrom für die
maßstabsvergrößerte Ultra-/Mikrofiltrationseinheit untersucht werden. Weiterhin muss
die Übertragbarkeit der im Labormaßstab
entwickelten Regelungsstrategie auf den
Technikumsreaktor getestet werden. Die
Reglerparametrisierung muss entsprechend
angepasst werden. Dies schließt auch die
Überprüfung und ggfs. Änderung des Protonenbilanz-Modells mit ein.
Das zweite Ziel im Rahmen der halbtechnischen Realisierung ist die Entwicklung eines umweltverträglichen, wirtschaftlichen und scale-up-fähigen Aufarbeitungsverfahrens zur Isolation von Pyruvat aus der
Fermentationslösung. Da es sich bei dem
Zielprodukt um ein Anion handelt, könnte
z.B. die Donnan-Dialyse zur Aufarbeitung
geeignet sein (Yonemoto, T. und Tadaki T.
1991). Alternativ sollen Verfahren wie Elektrodialyse, Präzipitation und Chromatographie hinsichtlich ihrer Eignung für die Pyruvat-Aufarbeitung getestet werden.
D. Ökologische und ökonomische
Evaluation des Prozesses
Parallel zur Prozessentwicklung im Labor- und Technikumsmaßstab erfolgt eine
dem jeweiligen Entwicklungsstand angepasste Bewertung des Gesamtprozesses hinsichtlich ökologischer und ökonomischer
Kriterien. Diese erfolgt durch ein Team unter Leitung von Prof. Dr. Heinzle (Universität des Saarlandes) und soll Hilfestellungen z.B. bei der Auswahl eines geeigneten
Pyruvat-Aufarbeitungsverfahrens liefern.
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Korrespondenzadresse
Prof. Dr. Michael Bott
Institut für Biotechnologie
Forschungszentrum Jülich GmbH
D-52425 Jülich
Fon: +49 2461 615515
Fax: +49 2461 612710
eMail: [email protected]
http://www.kfa-juelich.de/ibt/biochem/biochem.html
Biotechnologische Produktion
von L-Glycerol-3-phosphat
L-Glycerol-3-phosphat (L-G3P) ist ein
ubiquitär verbreitetes Stoffwechselzwischenprodukt in lebenden Zellen. Wirtschaftlich ist diese Substanz als Precursormolekül für die enzymatische Synthese von
Kohlenhydratbausteinen im Rahmen der
Produktion von Pharmaka bedeutsam. Die
herkömmlichen chemischen und enzymatischen Methoden zur Gewinnung von L-G3P
sind umweltbelastend bzw. teuer. Mit Hilfe
von genetisch modifizierten Stämmen der
Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae als
Biokatalysatoren, soll L-G3P auf biotechnologischem Wege hergestellt werden.
Durch geeignetes metabolic engineering
ist es bereits gelungen, das gewünschte
Produkt intrazellulär in der Hefe anzuhäufen. Weitere Arbeiten sollen sich neben
einer Ausbeutesteigerung darauf konzentrieren, das L-G3P aus den Zellen in das
umgebende Medium auszuschleusen.
Einleitung und Fragestellung
쑺 L-Glycerol-3-phosphat (L-G3P) ist ein
potenzielles Zwischenprodukt für die enzymatische Synthese von Kohlenhydratbausteinen, Phospholipiden und Nukleosiden. Aus
L-G3P können so beispielsweise über die
Zwischenstufe Dihydroxyacetonphosphat
(DHAP) mit Hilfe von Aldolasen, z.B. Fructose-1,6 bisphosphataldolase (EC 4.1.2.13),
Fuculose-1-phosphataldolase (EC 4.1.2.17)
und Rhamnulose-1-phosphataldolase (EC
4.1.2.19), stereochemisch reine Kohlenhydratbausteine hergestellt werden [Bednarski et al.,
1989; Wong et al., 1983]. Dies ist insofern von
großem wirtschaftlichem Interesse, als Kohlenhydrate (z.B. Salicylsäure, 2-Keto-3-Desoxyoctonsäure und verwandte Zucker) eine
Schlüsselrolle bei der Zell-Zell-Erkennung
spielen und somit in zahlreichen medizinisch
relevanten biologischen Prozessen, wie z.B.
in der Immunantwort menschlicher Zellen
und bei der Metastasenbildung, eine zentrale Rolle spielen [Ogura et al., 1992]. Daher
stellt L-G3P eine interessante Ausgangssubstanz für die Pharmakaproduktion dar. Da
diese Substanz am Markt jedoch nur zu vergleichsweise hohen Kosten verfügbar ist,
wurde es bisher nicht für solche Synthesen
eingesetzt.
L-G3P wird in traditionellen Herstellungsverfahren aus Glycerol synthetisiert,
welches chemisch phosphoryliert wird [Cherbuliez und Weniger, 1946]. Dabei müssen
aggressive Phosphorylierungsreagenzien eingesetzt werden. Die entsprechenden Verfahren führen nicht zu stereochemisch reinem
L-G3P, sondern zu einem Gemisch von racemischem DL-G3P und G2P. Das gewünschte L-G3P fällt nur mit maximal 25%iger Ausbeute an.
Eine Alternative zu den chemischen Herstellungsverfahren ist eine enzymatisch kata-
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Abb. 1: Vereinfachte Darstellung der Glykolyse einschließlich der alkoholischen Gärung (Ethanolbildung) sowie der Glycerolbildung bei der Bäckerhefe S. cerevisiae. Die bisher durchgeführten Stoffwechselveränderungen zur Akkumulation von L-Glycerol-3-phosphat sind rot gekennzeichnet.
GPD: Glycerol 3-phosphatdehydrogenase; GPP: Glycerol-3-phosphatase
lysierte Phosphorylierung von Glycerol [Crans
und Whitesides, 1985]. Da diese Reaktion
ATP-abhängig ist, erfordert die Herstellung
von L-G3P eine ständige Regenerierung des
Kosubstrates ATP. Dies kann mit Hilfe von
Phosphatdonormolekülen erfolgen. Eine geeignete Verbindung wäre das Phosphoenolpyruvat, welches jedoch chemisch über bromierte Zwischenprodukte, d.h. aufwändig und
wenig umweltfreundlich, hergestellt wird.
Interessanterweise ist L-G3P auch ein
ubiquitär verbreitetes Zwischenprodukt des
Primärstoffwechsels lebender Zellen und stellt
eine zentrale Ausgangssubstanz für die Fettsynthese (Triacylglycerole und Phospholipide) dar. Allerdings ist die Menge an L-G3P,
die in Zellen und Geweben vorliegt, so gering,
dass eine Isolation dieser Substanz nicht in Erwägung gezogen werden kann. Die Produktion von L-G3P auf biologischem Wege, z.B. mit
Hilfe von Mikroorganismen, ist folglich erst
dann relevant, wenn es gelingt, den Stoffwechsel der Zellen so zu modifizieren, dass L-G3P
akkumuliert wird. Ein entsprechender Eingriff
in den Stoffwechsel bestimmter Mikroorganismen (metabolic engineering) ist mit Hilfe der
Gentechnik möglich. Diese Überlegungen
führten zu der Idee des Forschungsvorhabens,
L-G3P auf biotechnologischem Wege, d.h. mit
der Hilfe von genetisch optimierten Stämmen
der Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae, aus
preiswerten Rohstoffen (z.B. Melasse) zu produzieren. Eine solche Herstellungsform ist
zugleich ökonomisch und umweltentlastend.
Hinzu kommt, dass Hefe- und andere Zellen
ausschließlich die gewünschte L-Form von
G3P, d.h. eine stereochemisch reine Substanz,
bilden.
Biotechnologische Produktion von L-G3P
mit Hilfe von genetisch optimierten
Stämmen der Bäckerhefe Saccharomyces
cerevisiae
L-G3P ist kein Stoffwechselendprodukt,
sondern ein Zwischenprodukt, welches
durch enzymatische Reaktionen ständig in
andere Produkte (z.B. Glycerol, Lipide)
weiter verstoffwechselt wird (Abb. 1). Um
die Konzentration eines solchen Stoffes in
der Zelle zu erhöhen, gibt es zwei grundsätzliche Möglichkeiten des metabolic engineering: i) die Verstärkung seiner Bildung im
Stoffwechsel bzw. ii) die Verminderung oder
Hemmung seiner Verstoffwechselung. Für
eine Optimierung der Akkumulation des
gewünschten Stoffes sind beide Wege miteinander zu kombinieren.
Beschleunigung der Produktion von L-G3P
im Hefestoffwechsel – Verschiebung des
Hauptmetabolitflusses in Richtung
Glycerol
Die Glykolyse (Embden-Meyerhof-Parnas-Abbau; Abb. 1) ist der Hauptweg der
Zuckerverwertung in Hefen. Dabei werden
die Zucker zu Pyruvat metabolisiert. Innerhalb der alkoholischen Gärung wird das Pyruvat dann zu Ethanol und CO2 umgesetzt.
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Im Rahmen der alkoholischen Gärung
wird der größte Teil des cytosolischen
NADH reoxydiert, welches beim glykolytischen Zuckerabbau gebildet wird (Abb.1).
Die Reduktionsäquivalente werden dabei
auf den Elektronenacceptor Acetaldehyd
übertragen und es entsteht Ethanol und
NAD (Abb. 1). Letzteres ist von entscheidender Bedeutung für die Zelle, da NAD
dort nur in katalytischen Mengen vorhanden
ist [Bakker et al., 2001]. Für eine Aufrechterhaltung des Stoffflusses muss es demnach
permanent regeneriert werden. Eine alternative Möglichkeit zur Regeneration von
NAD ist die Übertragung der Reduktionsäquivalente von NADH auf Dihydroxyacetonphosphat. Dabei entsteht L-G3P als
Zwischenprodukt und Glycerol als Endprodukt (Abb. 1). Die Regeneration von NAD
im Rahmen dieses Nebenweges der Glykolyse spielt eine wichtige Rolle im Hefestoffwechsel. Wenn sich die Hefe vermehrt und
Biomasse bildet, entsteht „überschüssiges“
NADH. Dies übersteigt die Regenerierungskapazität der alkoholischen Gärung
und muss deshalb innerhalb der Glycerolbildung „entsorgt“ werden. Die Menge an
„überschüssigem“ NADH, das im Rahmen
der Glycerolbildung reoxidiert werden muss,
kann erhöht werden, indem man der Hefezelle den Elektronenakzeptor der alkoholischen Gärung, d.h. das Acetaldehyd, entzieht. Dies erreicht man beispielsweise
durch Zugabe von Sulfit, welches eine Komplexierung des Acetaldehyds zur Folge hat
[Neuberg und Reinfurth, 1918]. Mit dieser
Methode („2. Neuberg’sche Vergärungsform“) wurde zu Beginn des letzten Jahrhunderts Glycerol produziert.
Neben seiner Bedeutung für die NADRegeneration spielt Glycerol bei Hefen eine
wichtige Rolle als kompatible Substanz bei
osmotischem Stress. Um dem Wasserentzug
bei einer Erhöhung des extrazellulären osmotischen Druckes entgegenzuwirken, bildet die Hefe verstärkt Glycerol und akkumuliert es [Nevoigt and Stahl, 1997].
Neben den genannten Beispielen gibt
es Daten, die belegen, dass eine verstärkte
Glycerolbiosynthese aus Zuckern auch
durch gentechnische Eingriffe in die Hefe
möglich ist. Durch Veränderungen einzelner
Enzymaktivitäten konnte der Stoffwechsel
von S. cerevisiae bei gleichzeitiger Verminderung der Ethanolausbeute in Richtung
Glycerol verschoben werden [Nevoigt and
Stahl, 1996]. Unter anderem wurde dies
durch die Erhöhung der Aktivität der Glycerol-3-phosphatdehydrogenase (GPD) erreicht (Abb. 1). Das Gen, welches für den
Hauptteil der GPD-Aktivität verantwortlich
ist (GPD1) [Larrson et al., 1993; Albertyn et
al., 1994] wurde mit Hilfe eines „Multicopy“-Vektors in der Hefe überexprimiert.
Entsprechende Hefestämme weisen eine
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20-25fach erhöhte Aktivität der GPD auf.
Das führt zu einer Verschiebung des Hauptstoffwechselweges in der Hefe, so dass ein
erheblicher Anteil der Metabolite in die
Glycerolbildung fließt, die, wie erwähnt,
normalerweise nur einen Nebenweg darstellt. Die Glycerolausbeute stieg in solchen
Stämmen auf das 6fache.
Die Verschiebung des Stoffwechsels in
Richtung Glycerol ist eine Möglichkeit, die
Bildung von L-G3P zu erhöhen. Es ergab sich
die Frage, ob es in Stämmen mit erhöhter
GPD-Aktivität zu einer Akkumulation dieser
Substanz kommt. Wie die Messungen zeigten, war die intrazelluläre Konzentration von
L-G3P hier tatsächlich erhöht (Abb. 2).
Reduzierung der Verstoffwechselung von
L-G3P – Hemmung der Dephosporylierung
zu Glycerol
Wie erwähnt, besteht ein anderer Weg,
um ein Stoffwechselzwischenprodukt zu
akkumulieren, darin, dessen Weiterverstoffwechselung zu hemmen bzw. ganz zu unterbinden. Im Falle von L-G3P könnte man
dazu einerseits die Bildung von Glycerolipiden und andererseits die Dephosphorylierung zu Glycerol hemmen. Da letztere Reaktion für die Verwertung von L-G3P quantitativ mehr ins Gewicht fällt, bestand der
erste Schritt in einer Verminderung der Aktivität der Glycerolphosphatase. Es existieren zwei sehr ähnliche Isoformen dieses
Enzyms in der Hefe (Gpp1p und Gpp2p).
Gpp1p ist für 75% der Enzymaktivität verantwortlich [Norbeck et al., 1996]. Das entsprechende Gen (GPP1) wurde deshalb in
der Hefe deletiert. In dem resultierenden
Hefestamm war folglich nur noch 25% der
ursprünglichen Enzymaktivität vorhanden.
Wie Abb. 2 zeigt, führt diese Veränderung
ebenfalls zu einer Akkumulation von LG3P, die ähnlich hoch ist, wie in dem Stamm
mit der erhöhten GPD-Aktivität.
Im letzten Schritt wurden beide Enzymaktivitätsveränderungen miteinander
kombiniert. Dazu wurde die Kopiezahl des
GPD1-Gens in einem Stamm erhöht, dessen
GPP1-Gen deletiert ist. Dies hatte im Vergleich zu den Einzelenzymmodifikationen
eine wesentlich stärkere Erhöhung der intrazellulären L-G3P-Menge zur Folge (Abb. 2).
Dieses Ergebnis lässt deutlich erkennen, dass
eine Kombination aus verstärkter Bildung und
verminderter Verstoffwechselung eine effektive Strategie zur Akkumulation eines Stoffwechselzwischenproduktes darstellt.
Abb. 2: Akkumulation von L-Glycerol-3-phosphat
in genetisch optimierten Stämmen der Bäckerhefe S. cerevisiae im Vergleich zu einem entsprechenden Referenzstamm.
Weitere Optimierung der L-G3P-Akkumulation in der Hefe
Mit Hilfe der durchgeführten Modifizierungen konnte eine intrazelluläre Akkumulation von ca. 0,8 mg L-G3P/g Hefetrockenmasse erhalten werden. Diese Ergebnisse
zeigen, dass es prinzipiell möglich ist, L-G3P
durch metabolic engineering in der Hefe anzuhäufen. Durch weitere gerichtete Eingriffe
in den Stoffwechsel sollte es durchaus möglich sein, die Ausbeute an L-G3P noch erheblich zu steigern.
Weitere Enzymaktivitätsänderungen
könnten aus verschiedenen Gründen (z.B.
ATP-Mangel) zu einer Beeinträchtigung
bzw. völligen Stagnierung des Zellwachstums führen. Deshalb ist für die praktische
Anwendung geplant, die entscheidenden
Enzymaktivitätsveränderungen in der Hefe
erst dann zu induzieren, nachdem die gewünschte Biomasse erreicht ist. Mit dieser
Strategie wird gewährleistet, dass die Zellen sich zunächst vermehren und anschließend hohe Mengen L-G3P bilden können.
Bisher wird L-G3P von den modifizierten Hefestämmen intrazellulär akkumuliert.
Da es sich um eine phosphorylierte Substanz
handelt, wird angenommen, dass L-G3P
nicht oder nur wenig in das Kulturmedium
diffundiert. Um ökonomisch sinnvolle Ausbeuten an L-G3P zu erhalten, ist es jedoch
notwendig, dass es aus den Hefezellen in das
umgebende Medium gelangt. Daraus kann
es wesentlich leichter isoliert werden, als aus
den Zellen selbst. Ein wichtiges Ziel der
weiteren Forschungsarbeit wird darin bestehen, die Hefe so zu modifizieren, dass sie
das gebildete L-G3P in das Medium abgibt.
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Korrespondenzadresse
Prof. Dr. Dipl.-Ing. U. Stahl
Technische Universität Berlin
Institut für Biotechnologie
Fachgebiet Mikrobiologie und Genetik
Seestr. 13
D-13353 Berlin
Tel.: 030-314-72750
Fax: 030-314-72922
eMail: [email protected]
http://www.tu-berlin.de/biotec/mibi/
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Motivation und Zielsetzung
Dipl.-Biotechnol. Julia Brodersen, Dipl.-Biol.
Carolin Goedde, Dipl.-Ing. Carola Fuchs, Dr.
rer.nat. Sabine Riessen, Prof. rer.nat. Garabed
Antranikian, Prof. Dr.-Ing. Herbert MärklTechnische Universität Hamburg-Harburg, Institut für
Bioprozess- und Bioverfahrenstechnik
Biotechnologische Verwertung von
Abfallfedern mit Hilfe extremophiler
Mikroorganismen
In der Geflügelproduktion fallen jährlich
allein in Deutschland 20.000 Tonnen
Federn an. Sie bestehen zu 95 % aus
Keratin, einer komplexen Mischung aus
unlöslichen Proteinen, und sind u. a.
aufgrund des hohen Disulfidbrückenanteils
schwer abzubauen. Die Entsorgung von
Abfallfedern stellt sich laut Geflügelschlachtereien und Daunendeckenhersteller als zunehmend problematisch dar. Eine
alternative Entsorgung zu den chemischen
Hydrolyseverfahren (saure und basische
Hydrolyse) ist wünschenswert, da diese
eine aufwändige Aufarbeitung erfordern
und die Umwelt mit hohen Salzfrachten
belasten.
쑺 Im Forschungsvorhaben zur biotechnologischen Verwertung von Abfallfedern sollen aus den in großen Mengen in Geflügelschlachtereien anfallenden Federn in einem
neuartigen biotechnologischen Verfahren
unter Einsatz von extremophilen Mikroorganismen wertvolle Aminosäuren und Peptide gewonnen werden.
Aminosäuren gehören zu den wichtigen
biotechnologisch gewonnenen Stoffen und
stellen ein Produkt mit hohem Marktwert
dar (Friedrich und Antranikian, 1996). Ein
biotechnologisches Verfahren, das aus Abfallfedern Aminosäuren und Peptide gewinnt, erscheint daher wirtschaftlich und
ökologisch vielversprechend.
Jährlich fallen in Deutschland in der
Geflügelhaltung mehr als 20.000 Tonnen
Federn als Schlachtabfall an (Vogt und
Stute, 1975), welche einerseits zur Herstellung von Bettdecken eingesetzt und
zum Großteil als billiger Futtermittelzusatz zu Federmehl verarbeitet werden.
Federn bestehen zum Hauptteil aus
Keratinen, einer komplexen Mischung
aus stukturbildenden Proteinen.
Unter der Vielzahl der Produkte, die
aus Abfallfedern und Federmehl hergestellt werden (Aminosäuren, Peptide,
Futtermittelzusätze, Formbauteile, Füllstoffe in der Lederindustrie, Feuerlöschmittel), stellen die Aminosäuren und Peptide die wertvollsten Erzeugnisse dar. Die
Herstellung von Aminosäuren durch den
Einsatz von Mikroorganismen oder ihren
Enzymen hat den Vorteil, dass bei den
enzymatischen Verfahren im Vergleich
zu herkömmlichen Prozessen weniger unerwünschte Nebenprodukte erzeugt werden. Die Rückstände der Fermentation
sind biologisch abbaubar; es entstehen
keine neuen Problemstoffe, die lediglich
eine Verlagerung der Entsorgungsproblematik darstellen würden.
Neben der Aufreinigung zu Aminosäuren ist alternativ auch die Weiterverarbeitung der Fermentationsbrühe zu
Biogas denkbar. In einer Kofermentation
mit zum Beispiel Abfällen aus der Lebensmittelproduktion ließe sich der anfallende Restschlamm der Biogasanlage
als wertvoller Dünger einsetzen, während
zusätzlich noch ein Energieträger in Form
des Biogases aus dem Abfallstoff entstehen würde.
Abb. 1: Prozessalternativen. In einem biotechnologischen Verfahren werden Federn in zwei Schritten
verarbeitet: Im ersten Schritt werden sie entweder durch den direkten Einsatz von Enzymen oder durch
den Einsatz von lebenden Kulturen in ihre Bausteine gespalten. In einem zweiten Prozessschritt
können sie direkt aufgereinigt oder zu Biogas weiterverwertet werden.
Biokatalyse
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Abb. 2: Lichtmikroskopische Aufnahme von
Fervidobacterium pennivorans bei 100facher
Vergrößerung.
Vorteile gegenüber herkömmlichen
chemischen Verfahren
Die Anwendung thermostabiler Enzyme
in industriellen Prozessen bietet gegenüber
mesophilen Varianten mehrere Vorteile. So
lassen sich bei ausreichender Thermostabilität der Enzyme Reaktionen bei Temperaturen von T = 70 °C und darüber durchführen,
bei denen die Gefahr einer Kontamination
durch mesophile Organismen deutlich verringert wird und sich gleichzeitig höhere Substratlöslichkeiten und geringere Viskositäten
in beschleunigten Reaktionsgeschwindigkeiten niederschlagen (Cowan et al., 1985;
Krahe et al., 1996). Dies gilt insbesondere für
proteolytische Prozesse, da eine hohe Temperatur die Denaturierung des Substrates begünstigt und somit einen proteolytischen
Angriff erleichtert (van der Poel und El Boushy, 1990). Hinzu kommt, dass thermophile
Proteasen häufig eine höhere spezifische Aktivität aufweisen als mesophile Varianten und
dass sie in der Lage sind, insbesondere natürliche Proteinsubstrate effektiv umzusetzen
(Cowan et al., 1985). Somit erscheint ein thermophiles Verfahren als eine wirtschaftlich rentable Alternative.
Besonders erwünscht ist die gleichzeitige Hygienisierung der Abfallfedern im Prozess. Zu beachten sind die keimreduzierenden Bedingungen bei der Abfallverarbeitung
und die hygienische Unbedenklichkeit des
Produktes. Wie umfangreiche Untersuchungen gezeigt haben, treten bei Kompostwerken zum Teil bedenkliche Keimemissionen
auf (Hessisches Ministerium, 1999). Bezüglich hygienischer Aspekte weist ein extremophiler anaerober Prozess mit Temperaturen
zwischen 70 °C und 80 °C erhebliche Vorteile gegenüber der Kompostierung auf. Eine
Anreicherung pathogener Keime ist weitgehend auszuschließen.
Stand der Technik
Unter Keratinen versteht man eine Gruppe von Proteinen, die von Epithelzellen in
verschiedenen höheren Wirbeltieren gebildet
werden. Sie sind eine komplexe Mischung
von unlöslichen Proteinen und in der Natur
weit verbreitet. Federn sind zu 95% aus βKeratin aufgebaut, dessen strukturbildende
Aminosäuren zu einem β-Faltblatt angeordnet sind. Nach dem „Twisted-sheet“-Modell
bilden jeweils zwei gegenläufige Stränge von
β-Faltblatt-Ketten eine linksdrehende helikale Superstruktur, die durch die hervorstehenden Seitenketten vernetzt werden (Fraser et al., 1972). Das β-Keratin weist eine hohe
mechanische Stabilität aber nur eine geringe
Elastizität auf. Die Stabilität, die Unlöslichkeit und das weitgehend inerte Verhalten gegenüber Umwelteinflüssen sind vermutlich
auf den hohen Gehalt an intramolekularen
Cystinbrücken und Peptidbindungen zwischen den einzelnen Aminosäureketten zurückzuführen (Crewther und Dowling, 1960;
Harding und Rogers, 1971). Hierauf beruht
auch die Resistenz gegenüber den meisten
Proteasen (Fraser et al., 1972). Federkeratin
ist besonders reich an den Aminosäuren
Serin, Glutamat, Cystein, Prolin, Leucin und
Valin (siehe Tab.1).
Ein Großteil der Abfallfedern wird heutzutage über die Tierkörperverwertung gemeinsam mit den übrigen Schlachtabfällen
entsorgt und zu Federmehl verarbeitet oder
chemisch in Aminosäuren und Peptide gespalten.
Als Futtermittelzugabe wird aus den Abfallfedern Federmehl hergestellt. Durch die
Dampfhydrolyse oder die Extrudierung bei
hohen Scherkräften wird die Verfügbarkeit
der Proteine durch das Aufbrechen der Disulfidbrücken erhöht. Die als Futtermittelzusatz verwendeten Federmehlhydrolysate sind
reich an Cystein und Serin, enthalten aber nur
geringe Mengen an primär limitierenden essentiellen Aminosäuren Lysin und Methionin
und können daher nicht als alleiniges Futtermittel eingesetzt, sondern nur in Anteilen von
5% bis 8% zugemischt werden.
Weitere Anwendungsgebiete von Federmehl sind die Herstellung von Formbauteilen (Anker et al., 1971), die Verwendung als
Füllstoff in der Lederindustrie (Sastry et al.,
1986) sowie als Feuerlöschmittel (Kulic et al.,
1987). Unter der Vielzahl an Produkten, die
aus Abfallfedern hergestellt werden können,
stellen Aminosäuren und Peptide insgesamt
betrachtet die wertvollsten Erzeugnisse dar.
Insbesondere der hohe Gehalt an wertvollen
Aminosäuren wie Serin, Prolin und Isoleucin
machen Federkeratin zu einem interessanten
Rohstoff für die Aminosäuren- und Peptidproduktion.
Stand der Technik ist die chemische Hydrolyse mit Salzsäure oder Natronlauge zur
Herstellung von Aminosäuren aus Federn
(Hoppe und Martens, 1984). Diese führt
jedoch zu einem breiten Produktspektrum
sowie einer hohen Salzfracht im Produktstrom, die eine aufwändige Aufarbeitung er-
Komponente
Native Federn
Trockensubstanz
Gew.-%
Essentielle Aminosäuren
Threonin
4,66
Cystin/Cystein
6,87
Valin
7,38
Methionin
0,57
Isoleucin
4,90
Leucin
7,41
Tyrosin
2,79
Phenylalanin
4,35
Lysin
1,97
Histidin
0,60
Arginin
6,45
Nichtessentielle Aminosäuren
Asparaginsäure
Serin
Glutaminsäure
6,21
11,13
9,32
Prolin
8,81
Glycin
6,25
Alanin
4,27
Tab. 1: Aminosäurenzusammensetzung nativer
Federn
fordert und die Umwelt zusätzlich belastet.
Außerdem können bei den chemischen Hydrolyseverfahren unerwünschte Nebenprodukte entstehen, beispielsweise potenziell
kanzerogene Chlorverbindungen beim Einsatz von Salzsäure. Nachteil der alkalischen
Hydrolyse ist der Teilabbau der freigesetzten
Aminosäuren unter anderem durch Desaminierung (Voet und Voet, 1995). Dies führt zu
einer Verminderung der Bioverfügbarkeit der
Nährstoffe und somit zu einer Verschlechterung der Futterqualität (Papadopoulos, 1985,
1989).
Aus diesen Gründen erscheint der Einsatz eines biotechnologischen Verfahrens sinnvoll, mit dem sich sowohl hohe Salzfrachten
als auch die Bildung unerwünschter Nebenprodukte verhindern bzw. minimieren lassen.
Die chemische Hydrolyse wird mit Wasserdampf und bei Drücken von bis zu p = 6,9 bar
durchgeführt.
Abb. 3: Abbau nativer Federn durch F. pennivorans innerhalb von 48h.
Biokatalyse
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Abb. 4: Lichtmikroskopische
Aufnahme von Thermoanaerobacter keratinophilus bei
1000facher Vergrößerung.
Vorgehen der biologischen Verfahren
Im Gegensatz zu den chemischen Verfahren werden bei einem biotechnologischen Prozess die Federn bei moderaten
Drücken und Temperaturen mit Enzymen
abgebaut. Es gibt mehrere Verfahrensalternativen (Abb. 1): In einem ersten Schritt
werden die Federn ohne weitere chemische
Vorbehandlung oder Zerkleinerung in die
Bausteine des Keratins, die Aminosäuren
und Peptide, gespalten. Die Spaltung kann
entweder durch direkten Enzymeinsatz oder
mit dem Enzymsystem von lebenden Bakterien erfolgen. In einem zweiten Schritt
werden die Spaltprodukte entweder direkt
zu Aminosäuren aufgereinigt oder in einer
Biogasanlage mit anderen Substraten energetisch verwertet. Beide Alternativen der
Weiterverarbeitung bieten Vorteile. Während sich für Aminosäuren hohe Marktpreise erzielen lassen, entsteht bei der Verarbeitung zu Biogas zum einen ein Energieträger
und zum anderen wertvoller Dünger in
Form des verbleibenden Restschlammes.
Abbau der Federn mit thermophilen
Mikroorganismen
Im Zuge eines Screeningprogrammes
wurden thermophile, keratinabbauende
Mikroorganismen angereichert. Es konnten
mehrere Organismen isoliert werden, die in
der Lage waren, auf nativen Federn als
Kohlenstoffquelle zu wachsen. Zwei der
Isolate, Fervidobacterium pennivorans und
Thermoanaerobacter keratinophilus, erschienen für den Abbau von nativem Federkeratin zur Gewinnung von Peptiden, Aminosäuren oder Biogas besonders geeignet.
Der erste Stamm, Fervidobacterium pennivorans, (Abb. 2) ein zur Ordnung der
Thermotogales zählendes Bakterium, welches optimal bei 70°C und pH 7,0 wächst,
weist eine hohe Protease- bzw. Keratinaseaktivität auf (Friedrich und Antranikian,
1996). So konnten native Federn innerhalb
von zwei bis drei Tagen nahezu vollständig
zu Peptiden und Aminosäuren abgebaut
werden (Abb. 3). Die Keratinase aus Fervidobacterium pennivorans besitzt ein Moleku-
Abb. 5: Elektrophoretische
Auftrennung der extra- und
intrazellulären Proteasefraktionen aus Thermoanaerobacter
keratinophilus im SDS-Polyacrylamidgel (9%ig). Das im Gel
vorliegende Federmehl konnte
durch keratinolytisch aktive
Proteine in einem anschließenden
Inkubationsschritt bei 70°C und
pH 7,0 hydrolysiert werden. Nur in
der extrazellulären Enzymfraktion
wurden keratinolytisch aktive
Proteine nachgewiesen (siehe
Pfeil).
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largewicht von 130 kDa und einen isoelektrischen Punkt von pH = 3,8. Sie wurde als
alkalische Serinprotease klassifiziert, die bei
Temperaturen zwischen T = 65°C und
T = 90°C und pH-Werten von pH = 6 bis
pH = 12 aktiv ist und überwiegend zellgebunden vorliegt.
Mit dem Ziel, große Mengen an Proteasen zu produzieren, ist eine Klonierung des
für die Keratinase-codierenden Gens in
mesophile Wirtsstämme (E. coli, Bacillus
subtilis) obligatorisch. Nach Erhalt der kompletten Gensequenz wurde das Keratinasecodierende Gen mittels PCR amplifiziert
und in verschiedene Expressionssysteme
eingebracht. Die in unterschiedlichen
Wirtsstämmen exprimierte Protease ist bislang nicht aktiv, so dass weitere Systeme
getestet werden müssen, die eine aktive
Expression ermöglichen.
Der zweite Stamm Thermoanaerobacter
keratinophilus, ein neues thermophiles, anaerobes Bakterium (Riessen und Antranikian, 2001), ist ebenfalls in der Lage Federn abzubauen. T. keratinophilus ist der erste Vertreter der Gattung Thermonanaerobacter, für den der Abbau keratinhaltiger
Fasern beschrieben wurde. Der stäbchenförmige Organismus (Abb. 4) wächst optimal bei 70°C und pH 7,0. Obwohl sowohl
in intrazellulären als auch in extrazellulären Enzymfraktionen proteolytische Aktivität nachgewiesen wurde, konnte gezeigt
werden, dass an der Hydrolyse des Federkeratins durch T. keratinophilus vorwiegend
ein extrazelluläres, proteolytisches Enzym
beteiligt ist.
Der Nachweis erfolgte über die Auftrennung der intra- und extrazellulären Enzymfraktionen in einem SDS-Polyacrylamidgel, welches Federmehl als Substrat
enthielt. Nach der elektrophoretischen
Auftrennung der Proteine im Gel wurde es
für mehrere Stunden bei 70°C inkubiert. In
dieser Zeit konnten die keratinolytisch aktiven Proteine die sie umgebenden Federmehlbestandteile im Gel, die als körnige
Strukturen sichtbar sind, hydrolysieren. Die
Hydrolysehöfe, als klare Bereiche im Gel
erkennbar, wurden nur in der Gelspur nachgewiesen, in der die extrazelluläre Enzymfraktion aus T. keratinophilus aufgetrennt
worden war (Abb. 5).
Die extrazelluläre Protease aus T. keratinophilus ist optimal aktiv bei 85°C und pH
8,0 und besitzt eine hohe Temperaturstabilität bei 70°C. Die hohe Temperaturstabilität bei optimaler physiologischer Wachstumstemperatur ist für den in vivo-Abbau
von nativen Federn durch T. keratinophilus
vorteilhaft. Da die Wachstumsbedingungen
denen von F. pennivorans sehr ähneln, ist die
Herstellung einer künstlichen Mischkultur
für einen verbesserten Federabbau denkbar. In den anstehenden Fermentationsex-
Biokatalyse
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perimenten werden sowohl F. pennivorans
als auch T. keratinophilus in Rein- und Mischkultur auf ihre Effektivität bei der Umsetzung von nativen Federn getestet.
Fermentation von Fervidobacterium
pennivorans
Fervidobacterium pennivorans wurde an
der TUHH bereits erfolgreich im 2L-, 10L-,
30L- und 300L-Maßstab fermentiert. Für
die Herstellung von Biomasse im 30L und
300L-Maßstab kam ein Komplexmedium
zum Einsatz. Für die Fermentationen im
2L und 10L-Maßstab wurde Komplexmedium mit Federn als Hauptsubstrat verwendet, um Untersuchungen zum Abbaugrad
durchzuführen. Als Betriebsparameter für
Produktion von Biomasse und Abbauversuche wurden die optimale Temperatur von
T = 70 °C und der optimale pH-Wert von
pH = 6,8 verwendet. Für die Aufarbeitung
der Zellmasse hat sich der Einsatz von kontinuierlichen Zentrifugen bewährt, mit denen sich zellhaltige Kulturbrühen rasch aufarbeiten lassen. Die erreichten Zelldichten
lagen im Reaktor bei maximal 1,35 g/L
Trockensubstanz.
Es hat sich gezeigt, dass auf eine Regelung des pH-Wertes während der Fermentation verzichtet werden kann, da die Produktfreisetzung während des Zellwachstums nur zu einem geringen Absinken des
pH-Wertes führt. Hierzu ist die Anwendung
eines Natriumphosphat-Puffers ausreichend. Da der Organismus ein recht breites Plateau bezüglich des wachstumsoptimalen pH-Wertes zeigt, bleibt die Wachstumsrate auch bei einer geringfügigen
pH-Abnahme konstant (Müller, 1999).
Für die Fermentationen im 2- und 10LMaßstab konnte auf eine Begasung zur Erhaltung der anaeroben Atmosphäre verzichtet werden. Die Versuchsapparatur für den
2L-Maßstab ist in Abbildung 6 dargestellt.
Ein steriler Betrieb der Fermenter ist nicht
nötig, da der Prozess bei 70°C gegen Kontaminationen weitgehend resistent ist. Es
konnten mikroskopisch keine Kontaminationen nachgewiesen werden.
Ausblick
Im Zuge einer Optimierung des Mediums sind die Minimierung der Bestandteile und die Erhöhung der Federmenge entscheidend. Weiterhin ist der Austausch von
essentiellen Komponenten gegen preiswertere Analoga sinnvoll.
Eine Mischkultur der beiden extremthermophilen Organismen Fervidobacterium
pennivorans und Thermoanaerobacter keratinophilus soll getestet werden. Für eine mögliche Aufarbeitung der Aminosäuren stehen
Filtrationsversuche an.
Abb. 6: Versuchsanlage im 2L-Maßstab zum Abbau von Federn. Kultivierungsbedingungen: anaerob bei
70°C, pH 6,8, keine Begasung, batch
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Korrespondenzadresse
Prof. Dr.-Ing. Märkl
Institut für Bioprozess- und Bioverfahrenstechnik
TU Hamburg – Harburg
Denickestr. 15
21071 Hamburg
Tel.: 040-42878-3017
Fax: 040-42878-2909
eMail: [email protected]
Biokatalyse
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Phospholipasen zur umweltschonenden
te Gewinnung von Phospholipase A2 zur
umweltschonenden Herstellung von Phospholipiden“ widmet sich einer ausgewählten Fragestellung aus diesem Gebiet. Das
Thema wird in Kooperation zwischen der
Arbeitsgruppe „Enzymtechnologie“, die
sich am Fachbereich Biochemie/Biotechnologie der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg seit mehreren Jahren mit enzymkatalysierten Phospholipidtransformationen
beschäftigt, und der Firma Lipoid GmbH,
Ludwigshafen, die seit 1977 zu den wichtigsten Produzenten von Lecithinen und
anderen hochreinen Phospholipiden gehört,
bearbeitet. Im folgenden soll das geplante
Vorhaben im Kontext mit der generellen
Bedeutung von Phospholipasen für Phospholipidsynthesen vorgestellt werden.
Herstellung von Phospholipiden
Phospholipide in der Natur und
Anwendung
Prof. Dr. Renate Ulbrich-Hofmann, Fachbereich Biochemie/Biotechnologie, Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg
Die von der Natur zum Abbau von Phospholipiden entwickelten Phospholipasen
werden schon seit einiger Zeit für verschiedene Phospholipidtransformationen im
Labor- und Industriemaßstab benutzt. Das
betrifft besonders die Phospholipase A2 zur
Gewinnung von Lysophospholipiden und
die Phospholipase D zum Austausch der
polaren Kopfgruppe in Phospholipiden.
Bisher jedoch scheint die synthetische
Potenz der Phospholipasen keinesfalls
ausgeschöpft. Ein im Verbund „Industrielle
Nutzung von Biokatalysatoren“ im
Förderschwerpunkt „Biotechnologie“ von
der Deutschen Bundesstiftung Umwelt
gefördertes Projekt ist auf die Herstellung
einer rekombinanten Phospholipase A2 zur
industriellen Synthese von Lysophospholipiden sowie Phospholipiden mit definierter
Fettsäurestruktur gerichtet. Dieses Vorhaben wird im Rahmen eines Überblicks zur
Bedeutung von Phospholipiden und
Phospholipasen in der Natur und Anwendung vorgestellt.
Einleitung und Fragestellung
쑺 Für Phospholipide und Phospholidanaloga besteht ein stetig wachsender Bedarf in
verschiedenen Praxisbereichen, insbesondere in der Lebensmittel-, pharmazeutischen
und kosmetischen Industrie. In der Regel
werden diese Produkte durch die chemische
Modifizierung von in der Natur vorkommenden pflanzlichen bzw. tierischen Phospholipiden (z. B. Lecithin aus Soja oder Hühnerei) oder aber auf chemischem Wege vollsynthetisch gewonnen. Wie in vielen anderen
Produktionsbereichen bietet es sich auch in
dieser Branche an, den Ersatz chemischer
Produktionsverfahren durch enzymkatalysierte Verfahren zu überprüfen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Umweltschutzes und den zu erwartenden Marktentwicklungen. Das im Rahmen des Verbundes „Industrielle Nutzung von Biokatalysatoren“ im Förderschwerpunkt „Biotechnologie“ von der Deutschen Bundesstiftung
Umwelt geförderte Projekt „Rekombinan-
Abb. 1: Chemische Struktur der Phospholipide
Phospholipide sind lebenswichtige Bestandteile aller Organismen. Hinsichtlich
ihrer chemischen Struktur ist allen Phospholipiden gemeinsam, dass sie Diester der
Phosphorsäure darstellen, in denen eine alkoholische Komponente des Esters polar,
die andere unpolar ist (Abb. 1). Die meisten
natürlichen Phospholipide sind Glycerophospholipide (Abb. 1). Sie enthalten einen
Diacylglycerolrest als nichtpolare und Cholin, Ethanolamin, Serin, Glycerol oder Inositol als polare Komponente. Aufgrund ihres asymmetrischen mittelständigen CAtoms des Glycerogerüsts sind die Verbindungen chiral. Die in der Natur vorkommenden Glycerophospholipidformen sind entsprechend der IUPAC-IUB Commission on
Biochemical Nomenclature 1,2-Diacyl-snglycero-3-phospholipide, wobei die Bezeichnung sn für stereospecific numbering steht. Die
amphiphile Struktur der Phospholipide (polar/unpolar) bedingt eine besondere Eigenschaft, denen die Verbindungen ihre große
Bedeutung in der Natur, aber auch in den
verschiedensten Praxisbereichen verdanken.
Biokatalyse
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Oberhalb einer kritischen Konzentration bilden Phospholipide definierte supramolekulare Strukturen aus, deren Typ (Micellen, Bilayer, Liposomen u.a.) von der Ladung und geometrischen Gestalt
des Phospholipidmoleküls sowie dem Medium, in dem sie sich befinden, abhängt (Abb. 2).
Phospholipide in Form von Bilayer bilden den Hauptbestandteil biologischer Membranen, durch die unterschiedliche Funktionsräume der Zellen bzw. einzelne Zellen voneinander getrennt
werden. Darüber hinaus sind sie an einer Vielzahl von Zellfunktionen beteiligt, deren Erforschung in jüngster Zeit viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Das aktuelle Interesse an den zellulären
Funktionen von Phospholipiden resultiert vor allem aus neueren
Erkenntnissen, die verschiedenen Vertretern dieser Verbindungsklasse eine entscheidende Rolle als sekundäre Botenstoffe (second
messenger) in biologischen Signalwandlungsprozessen zuweisen [1].
Phospholipide liefern damit einen neuen Zugang für das Verständnis wichtiger Zellregulationsvorgänge, wie sie für die Entstehung
und Therapie vieler bisher noch nicht oder schwer zu beherrschender Krankheiten (Tumoren, Immunkrankheiten, Alzheimer, Diabetes) von großer Bedeutung sind.
Eng verknüpft mit der Bedeutung von Phospholipiden für pathologische Vorgänge in der Zelle ist die Wirkung exogener Phospholipide bzw. Phospholipidanaloga auf zelluläre Prozesse, wie sie
in der pharmakologischen Forschung seit etlichen Jahren untersucht
wird [2]. Bei der Aktivierung der körpereigenen Immunabwehr gegenüber Infektionen und Tumoren, aber auch bei der AlzheimerErkrankung und dem Diabetes mellitus konnten therapeutische Effekte von Phospholipidstrukturen gefunden werden. Seit vielen Jahren ist bekannt, dass verschiedene Lysophosphatidylverbindungen
(Abb. 1) diese Funktion erfüllen, wobei sie allerdings zu schnell
metabolisiert werden, um nachhaltig wirksam zu sein. Dieser Nachteil führte zur Entwicklung der strukturmodifizierten Alkyllysophospholipide [3]. Eine neue Generation von Phospholipidanaloga mit
Antitumorwirkung stellen die Alkylphosphatester, auch Alkylphospholipide genannt (Abb. 1), dar, die sich gegenüber den Etherphospholipiden durch eine verbesserte chemische und metabolische Stabilität auszeichnen [4]. Ein weiteres bedeutendes Forschungsgebiet betrifft die Anwendung von Phospholipiden als Transfektionsvektoren für die Gentherapie [5].
Neben diesen mehr oder weniger spezifischen Eigenschaften
bestimmter Phospholipidstrukturen werden für viele Anwendungen auch die unspezifischen Emulgatoreigenschaften der Phospholipide ausgenutzt. In dieser Funktion kommen vor allem die aus
Naturprodukten (z. B. Sojaöl oder Eigelb) gewonnenen Lecithine,
deren Hauptteil Phosphatidylcholin mit unterschiedlicher Fettsäurezusammensetzung enthält, zum Tragen. In der pharmazeutischen
Industrie spielen Phospholipide eine wichtige Rolle als Träger für
Arzneistoffe [6]. Auch bei der Herstellung von Kosmetika besitzen
sie einen hohen Stellenwert als Emulgatoren und Liposomenmaterial. Ein großer Bedarf für Lecithine besteht darüber hinaus in der
Lebensmittelindustrie. Als Zusatz zu Margarine, Käse, Schokolade,
Backwaren, Teigwaren und Instantprodukten (Milchpulver, Kakao,
Backmischungen) bewirken sie die Bildung und Stabilisierung von
Emulsionen, binden Wasser oder verändern Kristallisationseigenschaften. Auch in vielen anderen Industriezweigen werden Lecithine als wichtige Zusatzstoffe benötigt [7], z. B. in der Druck- und
Fotoindustrie sowie in der Textil- und in der Baustoffindustrie.
Gewinnung von Phospholipiden
So breit wie das Anwendungsspektrum von Phospholipiden ist,
so vielfältig sind auch die Ansprüche an Methoden und Verfahren für
ihre Gewinnung. Prinzipiell gibt es entsprechend den gewünschten
Anforderungen der Käufer verschiedene Herstellungsstrategien für
Phospholipide. Zum einen werden Phospholipide aus natürlichen
Quellen extrahiert. So wird das bekannte Lecithin aus Soja oder Hühnerei isoliert, wobei die Produkte in unterschiedlichem Reinheitsgrad angeboten werden. Die Phospholipidkomponente des natürlichen Lecithins besteht zu einem großen Teil aus Phosphatidylcholin, enthält daneben aber auch Phosphatidylethanolamin, Phosphatidylinositol, Phosphatidsäure und Glykolipide. Die Trennung dieser
Substanzen erfolgt auf chromatographischem Wege. Phosphatidylcholin aus Lecithin wiederum besitzt ein inhomogenes Fettsäurespektrum. Das Phosphatidylcholin aus Soja beispielsweise enthält etwa
70 % Linolsäure (18:2), 13 % Palmitinsäure (16:0), 8 % Linolensäure
(18:3), 5 % Ölsäure (18:1) und 4 % Stearinsäure (18:0) [8].
Ein Großteil der neben den natürlichen Lecithinen angebotenen Phospholipide wird aus den natürlichen Produkten durch Modifizierungen und chromatographische Trennungen gewonnen. So
werden natürliche Lecithine hydriert, wodurch die ungesättigten
Fettsäuren (> 75% im Soja-Lecithin) teilweise oder vollständig in
gesättigte Fettsäuren umgewandelt werden.
Abb. 2: Supramolekulare Strukturen der Phospholipide
Während der größte Teil des industriellen Bedarfs an Phospholipiden durch die aus den natürlichen Quellen, insbesondere aus
Sojaöl, gewonnenen und mehr oder weniger gereinigten Lecithinen gedeckt wird, ist die Bereitstellung von Phospholipiden mit
definierter, chemisch homogener Struktur oder auch neuer, in der
Natur nicht vorkommender Phospholipide limitiert durch die Möglichkeiten, diese Verbindungen zu synthetisieren. Die chemische
Synthese erfordert im allgemeinen viele Einzelreaktionen und ist
mit einem hohen Reinigungsaufwand verbunden [9]. Eine interessante Alternative zur chemischen Herstellung von Phospholipiden
und Phospholipidanaloga bietet die Enzymkatalyse [10, 11], die in
jüngster Zeit auf vielen Gebieten der organischen Synthese große
Erfolge aufzeigt, insbesondere bei der Gewinnung synthetisch anspruchsvoller Verbindungen, die regio- oder stereospezifische Reaktionsschritte beinhalten. Auch in der industriellen Produktion von
Phospholipiden haben enzymatische Reaktionsschritte bereits einen festen Platz erobert, und es ist zu erwarten, dass sich diese Tendenz fortsetzt.
Die Lipoid GmbH, Ludwigshafen, gehört seit 1977 als mittelständisches Unternehmen zu den führenden Produzenten auf dem
Gebiet der Phospholipidproduktion. Die Produktpalette umfasst
natürliche und synthetische Phospholipide für verschiedene Industriezweige, insbesondere die pharmazeutische, kosmetische und
diätetische Industrie. Ein Spezifikum der meisten Produktionsverfahren ist, dass alle Ausgangs- und Hilfsstoffe vollständig umge-
Biokatalyse
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setzt bzw. in den Prozess zurückgeführt werden (Abb. 3).
Phospholipasen als biotechnologische
Werkzeuge zur Synthese von
Phospholipiden
Entsprechend der Struktur natürlicher
Phospholipide hat die Natur verschiedene
Enzyme für deren Spaltung entwickelt, die
sich in ihrer Spezifität hinsichtlich der zu
spaltenden Bindung unterscheiden (Abb. 4).
So ist die vergleichsweise noch wenig bekannte Phospholipase A1 (PLA1) spezifisch
für die Abspaltung der Fettsäure in sn-1Position vom Glycerolgerüst und Phospholipase A2 (PLA2) für die in sn-2-Position.
Phospholipase C (PLC) katalysiert die Hydrolyse der Phosphodiesterbindung an der
glycerolständigen Seite und Phospholipase
D (PLD) an der Seite der polaren Kopfgruppe. Darüber hinaus gibt es in der Natur einige spezielle Enzyme, die eine zusätzliche
Spezifität hinsichtlich der polaren Alkoholkomponente besitzen wie die Phosphatidylinositol-spezifische PLC (PI-PLC) oder die
Glycosylphosphatidylinositol-spezifische
PLD (GPI-PLD). Phospholipasen, die
Glycerophospholipide in sn-1- und sn-2-Position zu spalten vermögen, bezeichnet man
als Phospholipasen B. Weitere verwandte
Enzyme sind die Lysophospholipasen, die
eine hohe Spezifität für die Hydrolyse von
Lysophospholipiden besitzen, oder die
Sphingomyelinasen, die spezifisch für
Sphingomyeline sind und hier – vergleichbar mit PLC – Cholinphosphat vom N-Acylsphingosin abspalten (Zitate in [11, 12]).
In Analogie zu vielen industriellen Prozessen, die sich bereits seit Jahrzehnten die
hydrolytische Spezifität von Enzymen zu
eigen machen, wie die Stärkekonvertierung
mittels Amylasen, bietet sich der Einsatz von
Phospholipasen zunächst vor allem für die
hydrolytische Modifizierung von Phospholipiden an. Das wichtigste und bereits industriell praktizierte Beispiel, das auch in dem
vorliegenden Projekt im Blickpunkt steht,
ist die Gewinnung von Lysophospholipiden
mittels PLA2. Im Gegensatz zur chemischen
Hydrolyse erlaubt die enzymatische Hydrolyse die Abspaltung der Fettsäure aus-
Abb. 3: Produktionsanlage bei der Lipoid GmbH,
Ludwigshafen
Abb. 4: Spaltstellen der wichtigsten Phospholipasen in 1,2- Diacyl-sn-glycero-3-phosphocholin
schließlich in sn-2-Position des Phospholipids (Abb. 5), womit eine vollständige Umsetzung ohne das Auftreten von Nebenprodukten möglich wird.
Die Nutzung der natürlichen hydrolytischen Enzymfunktion bietet sich auch an bei
PLC. Die hohe Stereospezifität der PLC erlaubt es, enantiomerenreine 1,2-Diacylglycerole durch die Hydrolyse der entsprechenden
Glycerophospholipide zu gewinnen, die dann
wieder zur Herstellung von synthetischen
Phospholipiden mit natürlicher Konfiguration dienen können (Zitate in [11]).
Abb. 5: Herstellung von Lysophospholipiden mittels PLA2
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Weitreichendere Bedeutung als für die
Katalyse hydrolytischer Modifizierungen
von Phospholipiden sollten die Phospholipasen allerdings besitzen, wenn es gelingt,
sie für die Katalyse der Rückreaktion in
Hydrolysegleichgewichten, z. B. Reacylierungen, oder Umesterungen zu benutzen.
Eine Sonderstellung und infolgedessen
einen besonderen Platz bei der Herstellung
von Phospholipiden nimmt bisher die PLD
ein. Neben ihrer Fähigkeit, die Spaltung der
Esterbindung zwischen dem Phosphatrest
und dem polaren Alkohol zu katalysieren,
ist sie in der Lage, die Umesterung an dieser Bindung zu katalysieren, wenn ein geeigneter Alkohol angeboten wird (Abb. 6).
Die Bedeutung dieser Transphosphatidylierungsreaktion in der Natur ist, obwohl sie
hochinteressant zu sein scheint, bisher nicht
bekannt. In der Labor- sowie industriellen
Praxis aber wird sie seit längerer Zeit schon
zur Synthese von Phospholipiden mit modifizierten polaren Kopfgruppen benutzt.
Man geht dann meist von Phosphatidylcholin aus und tauscht das Cholin als Kopfgruppenkomponente gegen die seltener auftretenden Gruppen Serin, Glycerol o. a. aus,
wodurch die aufwändige Isolierung der selten vorkommenden Produkte umgangen
wird. Vor allem aber interessiert man sich
auch für die Einführung unnatürlicher Kopfgruppen, die den resultierenden Phospholipiden neue Eigenschaften verleihen. Aliphatische primäre und sekundäre Alkohole, cyclische nichtaromatische und aromatische
Alkohole, Nucleoside, Saccharide und eine
Vielzahl weiterer hodroxylgruppenhaltiger
Verbindungen gehören zu den auf diese
Weise in Phospholipidstrukturen eingeführten Komponenten (Zitate in [11]). In der eigenen Abteilung widmeten sich Forschungen zu dieser Thematik zunächst grundlegenden Fragen in den PLD-katalysierten
Reaktionen wie dem Zusammenspiel von
Reaktionsmedium und der Struktur der
Reaktionspartner, da es sich gezeigt hatte,
dass der Erfolg der Enzymkatalyse entscheidend durch diese Faktoren bestimmt wird,
sich aber bisher kaum vorhersagen lässt.
Dabei wurde der Grenzflächendruck in den
Reaktionssystemen, der die Strukturierung
der Phospholipidaggregate charakterisiert,
als ein entscheidender Parameter für den
Reaktionserfolg erkannt [13]. Angewandt
wurden diese Erkenntnisse für die Synthese neuer Phospholipide auf Glycerolbasis, in
denen Cholin durch N-heterocyclische Reste, die aufgrund ihrer Ladung Cholinanaloga darstellen, ersetzt wurde [14, 15]. Weiterhin wurde demonstriert, dass die enzymatische Katalyse mit Phospholipase D auch
für die Synthese der oben zitierten Alkylphosphatester (Abb. 1) mit anticancerostatischer Wirkung geeignet ist [16]. Damit wurde gezeigt, dass das enzymatische Wirkungs-
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spektrum von Phospholipase D nicht auf
glycerolhaltige Strukturen beschränkt ist,
sondern sogar auf Alkylphosphorsäureester
anwendbar ist, womit sich eine entscheidende Erweiterung der enzymatischen Synthesemöglichkeiten ankündigt.
Im Zusammenhang mit dem vorliegenden Projekt interessieren besonders die
Möglichkeiten, PLA2 für die Gewinnung
von Phospholipiden mit definierter homogener Fettsäurestruktur einsetzen und damit chemische Reaktionsschritte durch umweltfreundlichere Verfahren ersetzen zu
können. Prinzipiell sind dabei zwei Strategien denkbar. Zum einen könnte, ausgehend von Lysophospholipiden und einer
freien Fettsäure, unter geeigneten Reaktionsbedingungen (wasserarme Systeme)
eine Acylierung der Lysokomponente erfolgen (Abb. 7A). Für diese Strategie gibt es
in der jüngeren Literatur bereits einige
Beispiele (Zitate in [11]). Zum anderen ist,
ausgehend von Phosphatidylcholin, auch
eine direkte Umesterung denkbar (Abb.
7B). Beide Reaktionsansätze werden im
Rahmen des von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt geförderten Projekts bearbeitet.
Abb. 6: Transphosphatidylierung durch PLD
Rekombinante Phospholipasen
Wie alle Enzyme zeigen Phospholipasen
desselben Typs gewisse Unterschiede in Abhängigkeit von ihrer Herkunft. Oftmals geringfügige strukturelle Differenzen (Aminosäurezusammensetzung, Raumstruktur, Metallbindungsaffinitäten u.ä.) bewirken Unterschiede in den katalytischen Eigenschaften
und auch in den Stabilitätseigenschaften, die
für die Anwendung von großer Bedeutung
sein können. Die Enzymquelle spielt jedoch
nicht nur aus diesem Grund eine entscheidende Rolle bei der Auswahl eines Enzyms,
sondern auch wegen der Möglichkeit seiner
Gewinnung in ausreichenden Mengen bzw.
seiner bereits kommerziellen Verfügbarkeit.
Die für biokatalytische Zwecke bisher benutzen PLA2s stammen vor allem aus Tieren, insbesondere aus Schweine- bzw. Rinderpankreas, während PLC aus den Bakterien Bacillus
cereus und Clostridium perfringens verwendet
wird. Die traditionelle Quelle für PLD ist
Weiß- bzw. Wirsingkohl, die jedoch in jüngerer Zeit durch Streptomyces-Species verdrängt
wurde (Zitate in [11]).
Noch kaum Gebrauch gemacht wurde
auf dem Sektor der enzymatischen Phospholipidtransformation bisher von dem Einsatz
rekombinanter Phospholipasen, obwohl sich
in anderen Bereichen der industriellen Enzymologie die Ausnutzung der Vorteile rekombinanter Enzyme schnell durchgesetzt
hat. Neben den Vorteilen der oftmals vereinfachten Enzymgewinnung ist mit der
Einführung von Rekombinationstechniken
Abb. 7: Reacylierung (A) und Transacylierung (B) mittels PLA2
die Grundlage gelegt, die Eigenschaften der
Enzyme (Substratspezifität, Stabilität u.a.)
im Sinne der gewünschten Aufgabe zu verbessern. Das hier vorgestellte Projekt widmet sich einer solchen Aufgabenstellung.
Motiviert durch das seitens der Industrie
gegebene Interesse, die bisher zur Gewinnung von Lysophospholipiden verwendete
PLA 2 aus Schweinepankreas (Lecitase)
durch ein Enzym, das vergleichbare katalytische Effizienz besitzt, aber wegen Sicherheitsbedenken (Virus- und Prionengefahr)
und Akzeptanzgründen (religiöse Vorbehalte moslemischer und jüdischer Kunden)
nicht aus einem Säugetier gewonnen wird,
zu ersetzen, wurden Arbeiten zur Gewinnung einer rekombinanten PLA2 begonnen.
Ausgehend von einem synthetisch hergestellten Gen der PLA2, soll das Enzym in E.
coli exprimiert werden. Aufgrund der geringen Größe der sekretorischen PLA2s (Abb.
8) und auch bereits verschiedener in der
wissenschaftlichen Literatur beschriebener
Expressionsversuche für diese Gruppe von
PLA2s ist dieser Ansatz erfolgversprechend.
Es ist vorgesehen, die Grundlagen für eine
Produktion der PLA2 im technischen Maßstab sowie für gentechnische Modifizierungen des Enzyms im Hinblick auf eine Verbesserung seiner biokatalytischen Eigenschaften zu erarbeiten.
Abb. 8: Raumstruktur von PLA2 (aus Bienengift)
Biokatalyse
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Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Renate Ulbrich-Hofmann
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Fachbereich Biochemie/Biotechnologie
Kurt-Mothes-Str. 3
D-06120 Halle
Tel.: 0345-5524864
Fax: 0345-5527303 oder 5527013
eMail: [email protected]
http://www.biochemtech.uni-halle.de/biotech
Extremophile Mikroorganismen als
Quelle stabiler Biokatalysatoren
쑺 Extremophile Mikroorganismen leben in
den unwirtlichsten Milieus der Erde. Wo
andere Organismen nicht existieren können,
sind sie zu finden: in der Tiefsee bei Drükken von mehreren 100 bar, in heißen Quellen bei mehr als 100° C, in kalten Regionen
bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, in
Salzseen ebenso wie in Umgebungen mit extremen pH-Werten (pH <2, pH>9).
Die Anpassungen an solch extreme
Umgebungsbedingungen schufen einen
Zellaufbau und einen Stoffwechsel, die sich
stark von denen bisher untersuchter „mesophiler“ Organismen unterscheiden. Die den
Stoffwechsel steuernden Proteine – insbesondere die Enzyme – und die Zellwände
bzw. -membranen dieser Mikroorganismen
weisen Eigenschaften auf, die für die industrielle Anwendung biotechnischer Systeme
vielversprechende, neue Potenziale aufzeigen.
Beispielsweise weisen die Enzyme extrem thermophiler (60-70°C) und hyperthermophiler (80-110 °C) Mikroorganismen neben einer hohen Thermostabilität im allgemeinen eine relativ hohe Beständigkeit gegenüber denaturierenden Chemikalien wie
Detergenzien, chaotropen Reagenzien, organischen Lösungsmitteln sowie gegenüber
extremen pH-Werten auf (Ladenstein und
Antranikian, 1998; Niehaus et al., 1999).
Unter den extremophilen Mikroorganismen finden sich aerobe und anaerobe, chemotrophe und heterotrophe Vertreter. Einige heterotrophe Archaen und Bakterien sind
in der Lage, verschiedene Polymere wie z.B.
Stärke, Hemicellulose, Chitin und Proteine
zu verstoffwechseln. Stärke ist eines der weit
verbreitetsten Biopolymere in der Natur.
Das aus Glucoseeinheiten aufgebaute Makromolekül spielt in der Lebensmittelindustrie eine herausragende Rolle. Unter dem
Sammelbegriff „Modifizierte Stärke“ findet
sich diese hochwertige Kohlenhydratquelle
in vielen Lebensmitteln wieder. Zur Modifikation von Stärke werden z.B. Amylasen
und Verzweigungsenzyme eingesetzt (Abb.
1). Mit Hilfe thermostabiler, Stärke-modifizierender Enzyme kann die Stärkeveredelung gezielter und effizienter durchgeführt
werden, da beispielsweise die Raum-ZeitAusbeute bei hohen Temperaturen aufgrund
der besseren Löslichkeit der Stärke wesentlich besser ist. Es konnten eine Reihe von
hitzestabilen, amylolytischen Enzymen z.B.
α-Amylasen, Pullulanasen und α-CGTasen
aus extrem thermophilen Bakterien und Ar-
Abb. 1: Stärke-prozessierende Enzyme und ihre
Produkte
Biokatalyse
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chaen charakterisiert werden. Einige dieser
Enzyme sind bei 120 °C noch aktiv. Interessanterweise konnten die Gene aus extremophilen Mikroorganismen in E. coli bzw. B
subtilis kloniert und erfolgreich exprimiert
werden. So konnte z.B. das Gen für eine
extrem thermostabile α-Amylase des Archaeons Pyrococcus furiosus in E. coli und B.
subtilis kloniert und aktiv exprimiert werden.
Das aus dem Lake Bogoria (Abb. 2) isolierte Bakterium Anaerobranca gottschalkii (Abb.
3) vereint zwei Extreme miteinander. Es
wächst optimal bei hohem pH-Wert (9,5)
und hoher Temperatur ( 55 °C) (Prowe et al.,
2001). Zusammen mit der Tatsache, dass A.
gottschalkii verschiedene Kohlenhydrate als
C-Quelle nutzen kann, nimmt das Bakterium aus diesem Grund unter allen extremophilen Bakterien eine Sonderstellung ein.
Eine thermoalkalistabile CGTase und eine
thermoalkalistabile α-Amylase konnten aus
dem Stamm bereits gereinigt und charakterisiert werden (Prowe, Dissertationsarbeit).
Die α-Amylase ist optimal aktiv bei einem
pH-Wert von 9 und einer Temperatur von
65 °C . Bei der CGTase, die in einem pHBereich von 4 bis 10,5 und einer Temperatur von 65 °C optimale Aktivität aufweist,
handelt es um die erste beschriebene alkalistabile CGTase. Darüber hinaus ist für die
biotechnologische Anwendung von Interesse, dass das Enzym mit Stärke, Amylose und
Amylopektin als Substrat bei kurzer Inkubationszeit und bei hoher Temperatur vorwiegend α-Cyclodextrin bildet. Dieses kann
bisher im Gegensatz zum β-Cyclodextrin
noch nicht in industriellem Maßstab hergestellt werden.
Strategien zur Produktion
von Extremozymen
Um interessante Enzyme aus extremophilen Mikroorganismen für die industrielle Anwendung in größeren Mengen zu erhalten, empfiehlt sich deren rekombinante
Herstellung. Um einen schnellen Zugang zu
den Genen biotechnologisch vielversprechender Mikroorganismen zu erhalten, können deren Genome sequenziert werden. Für
eine schnelle und leichte Aufreinigung der
Genprodukte ist die Sekretion der Enzyme
in Gram-positiven Wirtsorganismen wie z.B.
Bacillus subtilis oder Staphylococcus carnosus
wünschenswert. Die Eigenschaften einzelner Enzyme lassen sich sodann über rationales Protein-Design oder gerichtete Evolution verbessern. Diese neuen Techniken
werden im Verbundprojekt Biokatalyse mit
dem Ziel eingesetzt, maßgeschneiderte
Kohlenhydrat-prozessierende Enzyme herzustellen. Als vielversprechender Organismus wurde Anerobranca gottschalkii ausgewählt. Im folgenden Abschnitt werden diese Methoden präsentiert.
Abb. 2: Lake
Bogoria als Quelle
für Mikroorganismen, die bei extrem
hohen Temperaturen und hohen pHWerten optimal
wachsen
Partielle Genomanalyse für die Suche nach
biotechnologisch interessanten Enzymen
Die Veröffentlichung der beiden ersten
kompletten, mikrobiellen Genomsequenzen
(Haemophilus influenzae und Mycoplasma genitalium) im Sommer 1995 durch Craig Venter und sein Team am TIGR erfolgte für viele Mikrobiologen zu einem überraschend
frühen Zeitpunkt. Zwar entsprach die bei
TIGR verwendete Sequenziertechnologie
dem damals üblichen Standard, doch die
verwendete Strategie der Sequenzassemblierung und die Software zur Assemblierung des Genoms und zur Annotation der
Gene bedeuteten einen großen Fortschritt.
In den vergangenen sechs Jahren haben
weltweit zahlreiche Laboratorien die zur Genomanalyse nötigen Techniken etabliert,
was dazu führte, dass nunmehr bereits 36
komplette Genome von Prokaryonten publiziert und in öffentlichen Datenbanken
abgelegt sind (GenBank, www.ncbi.nlm.
nih.gov/entrez/query.fcgi?db=Genome).
Dies ist aber nur die Spitze des Eisbergs.
Die GOLDTM Datenbank (wit.integrated
genomics.com/ GOLD/) erfasst sogar bereits
51 fertige Prokaryontengenome und nicht
weniger als 208 derzeit in Durchführung
befindliche Genomprojekte. Die Anzahl der
zusätzlich für industrielle Zwecke sequenzierten Genome dürfte nicht geringer sein,
nur sind diese Daten für die meisten Wissenschaftler unzugänglich, da sie in privaten Datenbanken abgelegt sind. Eine deutliche Erhöhung des Automatisierungsgrades
bei der Laborarbeit durch den Einsatz vom
Pipettierrobotern und die Verfügbarkeit von
neuartigen vollautomatischen Kapillarsequenziergeräten in vielen Laboratorien hat
in den letzten Jahren ebenso zum raschen
Wachstum der bekannten Sequenzen beigetragen wie die leichte Zugänglichkeit von
Sequenzanalyseprogrammen und Sequenzdatenbanken durch das Internet. Abbildung
4 zeigt, dass die Anzahl der bekannten Se-
quenzen in öffentlichen Datenbanken erst
mit dem Aufkommen der Genomsequenzen
deutlich angewachsen ist. Ein Ende der
schnellen Zunahme an neuen Sequenzen ist
nicht absehbar.
Nach einer aufregenden und mit viel
Aufmerksamkeit bedachten Anfangsphase,
in der so gut wie jedes fertiggestellte Genom seinen Platz in Spitzenjournalen wie
Nature und Science fand, beginnt für die
mikrobielle Genomanalyse nunmehr die
Normalität. Sie wird nunmehr als Technologie neben anderen Technologien für Projekte genutzt, deren Ziel nicht mehr primär
die vollständige Aufklärung von Genomsequenzen ist, sondern die effiziente Gewinnung von Information für wissenschaftliche
oder wirtschaftliche Zwecke, z. B. bei der
Suche nach Genen für biotechnologisch interessante Enzyme in extremophilen Organismen. Dafür bietet sich insbesondere für
erst seit relativ kurzer Zeit bekannte und
somit noch nicht intensiv untersuchte Organismen die Partialsequenzierung des Genoms mit der nun etablierten shotgun-Technik an. Mit einer guten (= statistisch gleichmäßig verteilten) Plasmidbibliothek kann
man z. B. bei dreifacher Sequenzabdeckung
ca. 95% der Sequenz eines mikrobiellen
Genoms erfassen. Für eine effiziente (kostengünstige) Sequenzermittlung sind zudem lange Leseweiten (>600 nt) und qualitativ hochwertige Sequenzen (< 1 Fehler pro
1000 nt Rohsequenz) erforderlich. Durch
den Einsatz von automatischen Annotationssystemen (z. B. PEDANT oder MAGPIE)
lässt sich auf den Sequenzbruchstücken
(Contigs) eines Genoms zwar nicht der komplette Satz aller Gene identifizieren, aber
doch ein sehr hoher Anteil daran. Einige
Gene werden in den verbleibenden Lücken
versteckt liegen, andere sind nur zu sehr
kleinen Teilen sequenziert und können daher nicht durch Sequenzvergleiche mit Datenbanken identifiziert werden. Für das Verständnis des Metabolismus eines Organis-
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