Grundherrschaft

Werbung
Grundherrschaft und Feudalgesellschaft
Das Benediktinerinnenkloster Kitzingen am Main, das zum Bistum Bamberg gehörte, ließ als Grundherr um 1070 Besitzungen und Einkünfte seiner Grundherrschaft aufzeichnen; ein Auszug:
Dies ist die Gesamtheit der Besitzungen und Eigengüter, die zum Kloster Kitzingen gehören und
zwar: vierzehn Fronhöfe 1 [in der näheren und weiteren Umgebung von Kitzingen] [mit] 254 Hufen 2, 120 Joch3 Weinbergen, von denen achtzehn wüst 4 liegen, sechs Pfarreien, Zwölf Mühlen, drei
[Main-] Fähren und zwölf Fischer mit ihren Lehen 5.
5 Zum Fronhof Kitzingen [zum Kloster gehörende Siedlung] gehören 31 Hufen, welche Mastschweine
und für die Frauenarbeit [also als Ersatz für die sonst üblichen weiblichen Tätigkeiten in der Textilherstellung] elf Pfennige und zehn Eier abliefern; sie dienen drei Tage in der Woche [d.h. die auf
den Hufen sitzenden Hörigen leisten drei Tage pro Woche Frondienst auf dem in diesen Aufzeichnungen nicht erwähnten Salland 6 des Klosters], pflügen 30 Joch [des Sallandes] und leisten dar10 über hinaus sechs Wochen Schar 7-Dienste pro Jahr. Dazu gehören auch zwei Mühlen, die 24 Maß
[Mehl oder anderes Mahlgut] abgeben, eine Fähre, welche vier Pfund [= Pfennige] entrichtet, ein
Markt, der neun Unzen einbringt., ein Forst welcher 1.500 Eier, vierzig Hühner und Eisen für zwölf
Pferde wert ist [= einbringt]; weiterhin neun Fischer und sieben Weinbauern mit ihren entsprechenden Lehen. Darüber hinaus gehören zu diesem Fronhof der Weiler 8 Hoheim, der elf Hufen
15 umfasst, die je dreißig Pfennige entrichten, sowie ein Wald und weitere 50 Hufen in elf Dörfern.
Zum Fronhof Etwashausen [gehören] fünf Hufen, von denen drei [mehrere] Schweine und sechzehn Pfennige entrichten, die beiden anderen vierzig Eimer Bier und sechzehn Pfennige sowie zehn
Eier; sie dienen außerdem beim Pflügen und leisten Wochendienste.
Zum Fronhof Volkersdorf gehören neun Hufen; vier geben sieben Maß Malz, fünf hufen ein Pfund
20 Leinen und ein fertiges Wollgewand, ein Huhn und zehn Eier.
In: Klaus Arnold, Das Mittelalter, Paderborn 1991, S. 48.
Bischof Fulbert von Chartres, Theologe und Jurist (gest. 1028), schrieb auf Bitten des Herzogs wilhelm
V. von Aquitanien 1020 eine Art Gutachten über Treue und Lehenswesen:
An Wilhelm, den glorreichen Herzog der Aquitanier, Bischof Fulbert mit einer Fürbitte. Ihr hattet
mich gebeten, etwas über das Wesen der Lehnstreue zu schreiben; so habe ich Euch das Folgende,
gestützt auf die Autorität der [Rechts-] Bücher, aufgezeichnet. Wer seinem Herrn den Treueeid
leistet, muss folgende sechs Punkte immer im Gedächtnis haben: gesund und unversehrt, sicher,
5 ehrenhaft, nützlich, leicht, möglich. Gesund und unversehrt: dass der Herr durch ihn an seinem
Körper keinen Schaden erleide. Sicher: dass er seinem Herrn nicht durch Verrat seines Geheimnisses oder seiner Befestigungen, die seine Sicherheit garantieren, Schaden zufüge. Ehrenhaft: dass
er die Gerichtsbarkeit seines Herrn oder andere ihm zustehende und zur Ehre gereichende Rechte
nicht antaste.
Als Fronhof wird der herrschaftliche Gutshof bezeichnet, der im Zentrum einer Villikation (Verband von mehreren Höfen [von lat. villa - ‚
Landhaus‘, ‚Hof‘]), also einer Einheit innerhalb einer mittelalterlichen Form der Grundherrschaft, steht. Das Wort leitet sich vom althochdeutschen frô (‚Herr‘) her. In lateinischen Quellen wird der Fronhof meist als villa oder curtis dominica bezeichnet, im Deutschen finden
sich auch Bezeichnungen wie Salhof und Sedelhof.
2 Das Wort Hufe (im Oberdeutschen auch Hub) bezeichnet ein landwirtschaftliches Gut, welches mit einem Pfluge bestellt werden kann
und demnach der Arbeitskraft einer Familie entspricht. Die entsprechende Fläche wurde seit Anfang des 9. Jahrhundert auf etwa 30 Morgen (also: 30 Acker, entsprechend ca. 12 Hektar) veranschlagt.
3 Joch (das): Größe einer Ackerfläche, die von einem Ochsengespann an einem Vormittag gepflügt werden kann
4 Zeitweise od. dauernd unbebaut.
5 Hier geht es um die Fischereirechte auf dem Main. Die Begriffe »Lehen« bzw. »leihen« finden in mittelalterlichen Quellen in der Regel im
Zusammenhang mit der Vergabe von Grund oder Ämtern durch König und Fürsten an freie Gefolgsleute (zumeist rangtiefere Adlige, Bischöfe, Klöster = Vasallen) Verwendung; sie werden aber auch im Rahmen der Grundherrschaft benutzt und bezeichnen Nutzungsrechte
oder Grundleihen (= Zuweisung von Land zur Bearbeitung) von unfreien Bauern, Weinbauern, Bäckern, Fischern.
6 Das Salland (mhd. sallant, sellant = Herrenland; mlat. terra salica, terra indominicata): vom Grundherrn in Eigenwirtschaft bearbeiteter
Teil der landwirtschaftlichen Gesamtfläche eines Fronhof-Verbandes.
7
Schar: Boten- und Spanndienste (Erntetransporte, Holzführen usw.).
8 Weiler (der) ist die Bezeichnung für eine aus wenigen Gebäuden bestehende Siedlung. Das Wort ist im Mittelhochdeutschen in der Form
wīler vorhanden und ist die eingedeutschte Form des mittellateinischen Wortes villare (‚Gehöft‘), das auf das lateinische Adjektiv villaris
(‚zum Landgut gehörig‘, ‚Landgut‘) zurückgeht.
1
Grundherrschaft und Feudalgesellschaft
10 Nützlich: dass er den Besitz seines Herrn nicht schädige. Leicht und möglich: dass er seinem Herrn
nicht erschwere, Gutes zu tun, wenn dieser es leicht tun könnte, und dass er nicht unmöglich mache, was seinem Herrn möglich wäre. Es gehört sich von Rechts wegen, dass der Vasall 9 diese
Schädigungen vermeide. Aber sein Lehen verdient er damit noch nicht; denn es genügt nicht, sich
des Schlechten zu enthalten, sondern man muss auch das Gute tun. Er soll also die sechs genann15 ten Forderungen so erfüllen, dass er seinem Herrn treu Rat und Hilfe leiht, wenn er seines Lehens
würdig erscheinen und seinen Treueschwur halten will. Der Herr muss sich aber auf allen diesen
Gebieten seinem Lehnsmann gegenüber genauso verhalten. Täte er es nicht, so würde er mit gutem Recht für treulos erklärt; ebenso würde sich ein Vasall, den man dabei ertappt, wie er durch
Tat oder Billigung seine Pflichten verletzt, der Untreue und des Meineids schuldig machen.
In: Peter Hilsch, Mittelalter, Frankfurt/Main 1989, S. 93.
Darstellung aus dem »Sachsenspiegel« (13. Jh.)
Symbolische Gesten mit Bezug zum Feudalwesen
Ähren anbieten: Bereitschaft, das Lehensverhältnis fortzusetzen.
Fahne (halten od. übergeben): im Lehenswesen Symbol für ein Fahnenlehen, d.h. ein unmittelbar vom König verliehenes
Lehen an einen weltlichen Fürsten; meist verbunden mit der herzoglichen Amtsgewalt; oftmals Verleihung mehrerer Fahnen als Zeichen der Übertragung verschiedener Rechte.
Gabel an den Hals setzen: Drohung des Entzugs des Lehens.
Hände in die Hand eines anderen legen: Beim Homagium (Handgang) gab der Vasall seine Hände in die Hände des Lehnsherren, der sie umschließt (als Zeichen der Kommendation [Ergebung des Vasallen in die Herrschaft des Lehnsherren]).
Handschuh: Zeichen der Belehnung.
Kniefall: Geste der Huldigung, Treuebezeigung und der Unterwerfung.
Kreuz: Hauptsymbol des Christentums.
Krone: Zeichen königlicher Herrschaft.
Kugel, Reichsapfel: Zeichen monarchischer Gewalt (Kugel = Erde).
Schwert: Zeichen weltlicher Macht, der Stärke und der Gerechtigkeit.
Wappen: schildförmige, festgelegte Abzeichen, die Personen oder Einrichtungen kennzeichnen, die dauernd verliehen (oder erblich) sind; die Ausbildung der »Leiheländer« zu Territorien seit dem 13. Jahrhundert führt zur Herausbildung von Landeswappen.
Zeigefinger (auf jemanden richten): Ermahnung, Benennung.
Zepter (halten, übergeben): symbolische Verlängerung des Armes, Zeichen königlicher Gewalt; im Lehenswesen Symbol für
Zepterlehen (durch das Zepter [oder Szepter von griech. σκῆπτρον [skēptron] - ‚Stab‘] an einen Geistlichen übertragenes
Kirchengut [Stifte, geistliche Fürstentümer).
Verfassungsgeschichte des Mittelalters
Grundherrschaft und Feudalgesellschaft
Ein Vasall (von keltisch gwas, von lateinisch vassus [‚Knecht‘]) war im frühen Mittelalter (5.−7. Jahrhundert) ein Herr, der sich freiwillig als
Gefolgsmann in den Dienst eines anderen Herren stellte und sich diesem für bestimmte militärische oder diplomatische Dienstleistungen
verpflichtete. Der Vasall musste eine bestimmte Anzahl an Soldaten zur Verfügung stellen, um somit den Dienstherrn in dessen Krieg zu
unterstützen. Der Vasall genoss im Gegenzug den Schutz des Lehnsherren.
9
2
Herunterladen