Wissenschaftliches Potential von Ultraviolett

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Wissenschaftliches Potential von Ultraviolett-Spektroskopie mit
einem kleinen Weltraumteleskop
K. Werner und N. Kappelmann
Institut für Astronomie and Astrophysik, Kepler Center for Astro and Particle Physics, Eberhard
Karls Universität Tübingen
7. März 2014
Zusammenfassung
Wir präsentieren einen Querschnitt durch die Gesamtheit der wissenschaftlichen Ziele, die durch
UV-Spektroskopie mit einem kleinen Weltraumteleskop erreichbar sind. Die Objekte, die untersucht werden können, reichen von Körpern in unserem eigenen Sonnensystem über Sterne in
unserer Galaxis bis hinaus zu weit entfernten Galaxien. Ein solches UV-Instrument ist im besten
Sinne ein Vielzweck-Observatorium, das hochinteressante Untersuchungen für fast alle Teilbereiche der modernen Astrophysik ermöglicht.
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UV-Astronomie
Wegen der Transmissionseigenschaften der Erdatmosphäre sind astronomische Beobachtungen im
ultravioletten (UV) Spektralbereich (Wellenlänge < 3000 Å) vom Erdboden aus nicht möglich
und müssen deshalb von Raumfahrzeugen aus erfolgen. Der Zugang zum UV-Fenster (üblicherwesie
ist damit der Spektralbereich 900 – 3000 Å gemeint) ist für die astrophysikalische Forschung in
praktisch allen Teilgebieten von fundamentaler Bedeutung.
Der Grund dafür liegt in einerseits darin, dass sich 99% der Materie im Universum im Plasmazustand befindet, und andererseits die wichtigsten Spektrallinien der chemischen Elemente für
Plasmen, die heisser als etwa 10 000 K sind, im UV-Bereich des elektromagnetischen Spektrums anzutre↵en sind. Stärke, Form und zeitliche Variabilität der Spektrallinien stellen die diagnostischen
Werkzeuge dar, mit denen die physikalischen Eigenschaften der Materie festgestellt und dynamische
Prozesse studiert werden können.
Das wissenschaftliche Potential eines kleinen UV-Teleskops hängt im Detail natürlich von seinen speziellen Eigenschaften ab, also im wesentlichen der Größe des Teleskopspiegels sowie dem
überdeckten Spektralbereich, der spektralen Auflösung des Spektrographen und der gesamten effektiven Fläche. Um diese Möglichkeiten auch ohne genaue Spezifikationen abschätzen zu können,
bietet sich ein Vergleich mit dem International Ultraviolet Explorer (IUE) an, einem UV-Teleskop,
das in den Jahren 1978 – 1996 betrieben wurde und ein herausragender Meilenstein in der noch
jungen Geschichte der UV-Astronomie war. Der Spiegeldurchmesser von IUE betrug 45 cm. Der
Spektrograph überdeckte den Wellenlängenbereich von etwa 1150 Å bis 3300 Å und hatte zwei
Auflösungsmodi (
= 0.1 und 6 Å). Mit der Verfügbarkeit von erheblich empfindlicheren Detektoren und einer Spiegelgröße von 60 – 80 cm könnte man heutzutage ein UV-Teleskop bauen, dessen
Leistungsfähigkeit die von IUE deutlich übersteigt. Wir wollen im folgenden einen Überblick über
den wissenschaftlichen Wert eines solchen Teleskops geben, der sich wesentlich an den Leistungen
von IUE im niedrigauflösenden Modus orientiert. Ein zusätzlicher, hochauflösender Modus würde
weitere, hier nicht im Detail beschriebene Möglichkeiten erö↵nen.
Zuvor jedoch noch eine kurze Betrachtung zur gegenwärtigen Situation der UV-Astronomie und
deren Zukunft. Das 1990 gestartete Hubble Space Telescope hat die Astronomie revolutioniert, nicht
zuletzt durch seine UV-Spektrographen, die für einen Großteil der verfügbaren Beobachtungszeit
von HST benutzt werden. HST ist derzeit das einzige Teleskop, das den Zugang zum UV im Bereich
1150 – 3000 Å ermöglicht. Es wird damit gerechnet, dass lebenswichtige Komponenten des HST ab
2015 ausfallen können und das Teleskop spätestens mit dem Start des James Webb Space Telescope
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(JWST) im Jahr 2018 aufgegeben werden muss. JWST ist ein NASA/ESA-Infrarotteleskop, das
keine Beobachtungen im UV und im optischen Spektralbereich ausführt.
Das einzige UV-Teleskop, dessen zukünftiger Einsatz von einer der großen Raumfahrtagenturen
beschlossen worden ist, ist das russische World Space Observatory (WSO). Wie IUE und HST soll
das 1.7 m-Teleskop Spektroskopie im Bereich 1150 – 3000 Å betreiben, allerdings ist es bezüglich
der Sensitivität aus technischen Gründen nur für Wellenlängen oberhalb etwa 1800 Å optimiert. Ein
zukünftiges kleines UV-Teleskop stünde somit lediglich mit WSO in direkter Konkurrenz. Würde
dieses kleine Teleskop auf einen Wellenlängenbereich unterhalb 1800 Å optimiert werden, wäre es
absolut konkurrenzlos und deshalb von höchstem Interesse für wissenschaftliche Anwendungen.
Die wissenschaftlichen Zielsetzungen eines kleinen UV-Teleskops im Vergleich zu denen des
HST können nicht identisch sein, da es wegen seines kleineren Spiegels der Sensitivität des HST
unterlegen ist. Es kann allerdings seine Überlegenheit dahingehend ausspielen, dass es über lange
Zeiträume verschiedenste Klassen variabler Objekte überwachen kann. Dies kann auf Zeitskalen
von Stunden bis zu Monaten geschehen. Dieses sogenannte monitoring ist in solchem Ausmaß mit
dem HST undenkbar, weil dort die Beobachtungszeit wegen des hohen internationalen Konkurrenzdrucks der Beobachter extrem knapp ist (nur etwa 10 – 15% der angefragten Beobachtungszeit ist
tatsächlich verfügbar).
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Wissenschaftliche Anwendungen
Die folgenden Beispiele geben einen Eindruck der vielfältigen astrophysikalischen Fragestellungen,
zu deren Beantwortung ein UV-Teleskop kleiner Ö↵nung erhebliche Beiträge liefern kann.
Abbildung 1: Links: Komet Halley (NASA); sein UV-Spektrum ist in Abb. 2 dargestellt. Mitte: Supernova
1987A (HST-Bild), deren UV-Spektrum in Abb. 6 gezeigt ist. Rechts: HST-Bild eines aktiven Galaxienkerns
(NGC 7052). Das UV-Spektrum eines solchen Objekts ist in Abb. 7 gezeigt.
2.1 Sonnensystem
Kometen wurden mit der Entstehung der Planeten in der Frühzeit des Sonnensystems in der protoplanetaren Scheibe gebildet und haben ihre chemische Zusammensetzung seitdem nicht verändert.
Sie tragen damit einzigartige Informationen über physikalische und chemische Prozesse in sich, die
für die Planetenbildung relevant sind. UV-Spektroskopie von Kometen ermöglicht eine detaillierte
Analyse. Besonders wichtig ist das OH-Radikal, das Tochtermolekül von Wasser, dessen stärkste
Emissionen bei 3085 Å liegen (0-0 Band; Abb. 2). Die Beobachtung des OH-Radikals ermöglicht
auch den Nachweis von Wasser in Asteroiden und ist damit ein Indikator für ihren Entstehungsort.
Ein anderes wichtiges Molekül mit starken Linien im UV (2800 – 3000 Å) ist SO2 . Die entsprechenden Absorptionsbanden ermöglichen z.B. Studien der dynamischen Atmosphäre des Jupitermonds
Io.
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Abbildung 2: UV-Spektren des in Abb. 1 gezeigten Kometen Halley (IUE-Beobachtungen; Feldman
et al. 1986).
Abbildung 3: Links: Nova Cygni 1992 (HST-Bild), deren UV-Spektren in Abb. 4 gezeigt werden. Rechts: Künstlerische Darstellung eines engen Doppelsternsystems, in dem es zu NovaAusbrüchen auf dem weißen Zwerg und Zwergnova-Ausbrüchen in der Akkretionsscheibe kommen kann
(http://www.astrosurf.com/vdesnoux/catvar/catvar.html).
2.2 Novae
Der Ausbruch einer Nova wird durch eine thermonukleare Explosion von Wassersto↵ auf der Oberfläche eines weißen Zwergs in einem engen Doppelsternsystem verursacht (Abb. 3, rechts). Der
Wassersto↵ ist zuvor von dem Begleitstern auf den weißen Zwerg transferiert worden. Ein großer
Bruchteil der schweren Elemente in unserer Galaxis ist bei Novaexplosionen über Milliarden von
Jahren hinweg entstanden und angereichert worden. Welche Elemente mit welcher Häufigkeit entstehen, hängt von Details des Explosionsmechanismus ab. Unmittelbares Ziel von spektroskopischen UV-Beobachtungen (Abb. 4) sind Elementhäufigkeitsbestimmungen und der zeitliche Verlauf der Expansionsphase der Novahülle nach der Explosion (ggfs. alle paar Tage eine Beobachtung über Monate hinweg). Besonders aussagekräftig sind simultane Beobachtungen mit RöntgenWeltraumteleskopen (z.B. XMM-Newton und Chandra).
In unserer Galaxis ereignen sich jährlich etwa 30 Novae, von denen weniger als etwa fünf hell
genug für solche Untersuchungen sind. Es sind nicht vorhersagbare Ereignisse. UV-Beobachtungen
haben einen historischen Wert, da jedes Objekt ein Individuum mit besonderen Eigenschaften ist.
2.3 Zwergnovae
Auch Zwergnovae sind Helligkeitsausbrüche in Doppelsternsystemen (Abb. 3, rechts). Die Ursache
liegt hier aber nicht auf dem weißen Zwerg, sondern in der sich um ihn herum befindlichen Akkretionsscheibe, in der die Materie, die vom Begleitstern stammt, sich zunächst ansammelt, bevor sie
auf den weißen Zwerg strömt. Der Zwergnovaausbruch ist eine Instabilität in der Akkretionsschei-
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Abbildung 4: Entwicklung einer Nova im UV durch verschiedene Phasen über einen Zeitraum von etwa drei
Jahren hinweg (IUE-Beobachtungen der in Abb. 3 gezeigten Nova Cygni 1992; Gonzalez-Riestra & Krautter
1998).
be, in deren Folge fast schlagartig (innerhalb von Stunden) ein großer Teil der Scheibenmaterie
auf den weißen Zwerg stürzt. Der entsprechende Helligkeitsanstieg stammt von der Aufheizung der
Scheibenmaterie, die letztendlich durch die freigesetzte potentielle Energie gespeist wird.
Zwergnovae sind (fast) periodische Ereignisse; einige Objekte zeigen etwa einen Ausbruch pro
Woche, der dann über Stunden bis Tage andauert. Eine ununterbrochene Beobachtung über Tage
hinweg (Abb. 5) mit einer Zeitauflösung von wenigen Stunden ist sehr wichtig, um den Verlauf
des Ausbruchs und der Scheibeninstabilität zu verstehen. Akkretionsscheiben sind omnipräsent im
Universum, d.h. man findet sie nicht nur um weiße Zwerge (also ausgebrannte massearme Sterne),
sondern um junge (Proto-) Sterne, um Neutronensterne und schwarze Löcher (die Überreste massereicher Sterne), und um supermassereiche Schwarze Löcher in den Zentren von aktiven Galaxien
(siehe unten). Die Erforschung der Scheibenphysik ist deshalb von generellem Interesse und im
Abbildung 5: Sequenz von UV-Spektren einer Zwergnova (IUE-Beobachtungen von V1159 Ori; Szkody
1998). Die markante Emissionslinie bei 1550 Å stammt von C IV und ist ein Indikator für die Kohlensto↵häufigkeit und die dynamischen Prozesse in der Akkretionsscheibe und der Novahülle.
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Abbildung 6: Sequenz von UV-Spektren der Supernova 1987A über fünf Jahre hinweg. Die zeitliche Veränderung der Emissionslinien spiegeln dynamische Prozesse in der Supernovahülle wider (IUE-Beobachtungen;
Pun et al. 1998).
Fall der Zwergnovae besonders attraktiv, da die Variabilitäten auf Zeitskalen ablaufen, die deutlich
kürzer als die Lebenszeit eines Astronomen sind.
2.4 Supernovae
Supernovae (z.B. SN 1987A in Abb. 1, Mitte) sind das Ergebnis des Kollapses des Kernbereichs
eines massereichen Sterns, oder aber der Explosion und vollständigen Vernichtung eines weißen
Zwergs in einem engen Doppelsternsystem. Im Vergleich zu Novae sind es sehr seltene Ereignisse.
In unserer Galaxis beobachten wir nur etwa eine Supernova pro Jahrhundert. Allerdings werden
solche Sternexplosionen insgesamt recht häufig (Dutzende pro Jahr) in anderen Galaxien beobachtet. Die wissenschaftliche Motivation, zeitabhängige UV-Spektroskopie (Abb. 6) zu betreiben, ist
vergleichbar mit derjenigen bei Novae: In welchem Ausmaß werden welche chemischen Elemente
gebildet? Wie verläuft der Explosionsmechanismus?
2.5 Aktive Galaxienkerne
Die Akkretion von Materie auf supermassive schwarze Löcher in den Zentren aktiver Galaxien
(Active Galactic Nuclei, AGN; Abb. 1, rechts) führt zu extrem hohen Leuchtkräften und läßt diese
Objekte auch noch in sehr großen, kosmologischen Distanzen beobachten. Einerseits ist die Akkretionsphysik selbst ein intensiv untersuchtes Phänomen und andererseits kann man mit zunehmender
Distanz beobachten, wie die Galaxien sich in der Frühzeit des Universums bis heute entwickelt haben. Entscheidende diagnostische Werkzeuge sind die Resonanzlinien der chemischen Elemente, die
in Emission erscheinen und praktisch ausschließlich im UV liegen (Abb. 7). Ein besonders interessantes Phänomen ist die zeitliche Variabilität der Leuchtkraft und der Spektren, die möglicherweise
von der Änderung der Materie-Akkretionsrate auf das schwarze Loch herrührt.
Literatur
Feldman, P.D., et al. 1986, ESA SP-250, 325
Gonzalez-Riestra & Krautter 1998, ESA SP-413, 367
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Abbildung 7: UV-Spektrum des Kerns einer aktiven Galaxie (IUE-Beobachtung der Seyfert 1-Galaxie
IRAS 13224-3809; Santos-Lleo et al. 1998). Die Emissionslinien stammen aus der Region um das supermassive
schwarze Loch im Zentrum der Galaxie.
Pun, C.S.J., et al. 1998, ESA SP-413, 401
Santos-Lleo, M., et al. 1998, ESA SP-413, 619
Szkody, P. 1998, ESA SP-413, 381
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