Neue Zürcher Zeitung Eine `Kaaba` für die Kunst

Werbung
1/4
Kunstmuseum
Liechtenstein
Städtle 32
9490 Vaduz, Liechtenstein
Eine 'Kaaba' für die Kunst
Liechtensteins neuer Musentempel in Vaduz
SAMMLUNG
Neue Zürcher Zeitung
ARCHITEKTIN
Das Museum der Arbeitsgemeinschaft Morger & Degelo und Kerez, das heute
Samstag in Vaduz eröffnet wird, beherbergt nicht nur Kunstwerke aus fürstlichem
Besitz, sondern auch die Staatliche Kunstsammlung Liechtenstein. Der rätselhafte
schwarze Bau ist streng orthogonal organisiert, besticht aber trotzdem durch
räumliche Vielfalt.
Morger & Degelo
Christian Kerez
von Hubertus Adam
STATIK
Städtische Qualitäten mag man Vaduz kaum attestieren. Wäre da nicht der Boom der
Finanzdienstleistungsbranche, müsste man angesichts der 5000 Einwohner eher von
einem Dorf sprechen. Doch auf Grund der wirtschaftlichen Prosperität wurde der Ort durch
eine Reihe gesichtsloser Büro- und Verwaltungsbauten entstellt. Kulturell internationale
Geltung kann einzig die Kunstsammlung des Fürsten von Liechtenstein beanspruchen,
bisher kaum adäquat im «Engländerbau» untergebracht, einem Geschäftshaus aus dem
Jahr 1933. Zur Zeit Rudolf II. in Prag gegründet, hat die ständig erweiterte Kollektion ihren
Schwerpunkt in Arbeiten der italienischen, holländischen und flämischen Malerei - das
Inventar umfasst allein 30 Werke von Rubens. Um diese Meisterwerke mehr als nur
ausschnitthaft präsentieren zu können, entstand vor gut zwanzig Jahren der Plan für den
Neubau eines Kunstmuseums. Doch konnte das 48-Millionen-Franken-Projekt des
Münchner Architekten Alexander von Branca die Hürden nicht nehmen.
Orthogonales Labyrinth
Dem zweiten Anlauf für ein Museum war nun mehr Glück beschieden: Eine Reihe von
Mäzenen gründete die «Stiftung für die Errichtung eines Kunstmuseums», veranstaltete
1997 einen Wettbewerb und liess den Museumsbau schliesslich im straffen Zeitrahmen
von zwei Jahren auf einer Parzelle im Ortskern realisieren. Wurden die Baukosten von 30
Millionen Franken fast ganz durch Spenden finanziert, so kommt nun der Staat für die
Betriebskosten auf. Die Anforderungen an das neue Gebäude waren komplex: Neben der
Kollektion des Fürsten (der jetzt leider auch nicht mehr Ausstellungsfläche zur Verfügung
steht als im «Engländerbau») war Platz zu schaffen für die 1968 gegründete, seit 1996
unter ihrem Leiter Friedemann Malsch mit einem jährlichen Ankaufsetat von 500 000
Franken forciert ausgebaute Staatliche Kunstsammlung.
Der gemeinsame Entwurf von Meinrad Morger und Heinrich Degelo (Basel) sowie Christian
Kerez (Zürich), im Wettbewerb 1997 mit dem 2. Platz bedacht, aber zur Ausführung
bestimmt, da sich das erstrangierte Projekt des Zürcher Büros Stürm & Wolf nicht mit dem
http://www.nextroom.at/building.php?id=1356&sid=5389, 14.02.2017
BAUHERRIN
Stiftung z. Errichtung e.
Kunstmuseums
Frey & Schwartz
Wenaweser & Partner AG
FUNKTION
Museen und Ausstellungsgebäude
PLANUNGSBEGINN
1998
AUSFÜHRUNG
1998 - 2000
MITARBEIT PLANUNG
Nicole Woog (PL), Benjamin Theiler,
Heike Buchmann, Dagmar Strasser,
Reto Studer.
WEITERE KONSULENTiNNEN
Lichtplanung: Ove Arup & Partner,
London und EAG, Basel
Grafik: Robert & Durrer, Zürich.
Aufgrund der Bildrechte kann es zu Unterschieden
zwischen der HTML- und der Printversion kommen.
2/4
Kunstmuseum Liechtenstein
Baurecht vereinbaren liess, überzeugt sowohl durch städtebauliche als auch durch
räumliche Qualitäten. Kern des kistenförmigen Volumens, das die west-östlich orientierte
Parzelle zwischen Städtle- und Aeulestrasse nahezu vollständig ausfüllt, sind zwei
gegenläufige Treppen, welche die beiden Ausstellungsebenen miteinander verbinden.
Dadurch ergeben sich zwei Möglichkeiten, die Ebene mit den Oberlichtsälen zu erreichen:
Entweder der Besucher nutzt die zentrale Treppe, die vom Foyer aus nach oben führt, oder
er durchschreitet erst den an der Nordwestecke gelegenen Seitenlichtsaal und den
anschliessenden Kunstlichtraum, um dann zur zweiten Treppe zu gelangen.
Die prinzipielle Struktur des Gebäudes zeigt sich im Obergeschoss besonders deutlich:
Der rechteckige Grundriss teilt sich in vier ebenfalls rechteckige Oberlichtsäle, die zu
einem Rundgang zusammengeschlossen sind und mit je 300 bis 350 Quadratmetern
Fläche unterschiedliche Proportionen, aber ähnliche Raumgrössen aufweisen. Dabei
alternieren zwei schmale, lange Räume mit zwei breiteren - eine Konzeption, die trotz der
identischen Gestaltung (weisse Wände, Eichenparkett, Glasdecke) eine erstaunliche
räumliche Vielfalt aufweist. Durch den für die Präsentation der Gemälde nötigen Einbau
von Querwänden erscheint die klare Struktur fast labyrinthisch.
Altmeister und Arte Povera
Die durch Leihgaben aus Museen (Kunsthaus Zürich, Kirchner-Museum Davos) und aus
Privatbesitz angereicherte Eröffnungsschau gibt einen Überblick über die bisherigen
Erwerbungen der Staatlichen Kunstsammlung. Von den fünfziger Jahren (Giacometti, Bill,
Tàpies, Cobra-Gruppe) bewegt man sich im Erdgeschoss zurück bis zu Corot und der
Schule von Barbizon. Akzente setzen der italienische Futurismus, der Surrealismus und
eine bemerkenswerte Kollektion lettristischer Arbeiten; mit Ferdinand Nigg ist schliesslich
ein aus Vaduz stammender Künstler zu entdecken, der im Kontext des Deutschen
Werkbunds reüssierte und später an den Kunstgewerbeschulen von Magdeburg und Köln
lehrte.
Drei Säle des Obergeschosses gelten vornehmlich der Kunst der sechziger bis achtziger
Jahre. Als herausragend erweist sich dabei der Bestand an Arte-Povera-Arbeiten - ein in
jüngster Zeit ausgebauter Sammlungsschwerpunkt. Die raumgreifenden Objekte, so Mario
Merz' «Spirale di Cera» (1970), sind in einem der langgestreckten Säle überzeugend
präsentiert. Auf temporäre Querwände wurde verzichtet, so dass das Raumkonzept hier
ohne Modifikationen erlebbar ist. Der vierte Saal ist der Fürstlichen Sammlung vorbehalten;
grüngraue Wände grenzen den Bereich aus der gleissenden White-Cube-Ästhetik der
übrigen Räume aus und schaffen den Hintergrund für die Präsentation der Altmeister.
http://www.nextroom.at/building.php?id=1356&sid=5389, 14.02.2017
3/4
Kunstmuseum Liechtenstein
Anstatt zur Eröffnung des Museums eine neue Auswahl aus den Beständen zu
präsentieren, entschied man sich dafür, die 1998 im «Engländerbau» eröffnete Schau
«Götter wandelten einst . . .» mit wichtigen Werken unter anderem von Rubens, Jordaens,
Rembrandt, Giovanni Francesco Susini und Pierre Courteys zu übernehmen. Rubens'
grosse Leinwände «Mars und Rhea Silvia» sowie «Die Auffindung des
Erichthoniusknaben» nehmen die Querachse des Saals ein, der durch zwei winkelförmige
Wände in drei Bereiche unterteilt wird.
Kontextueller Solitär
Die leise Irritation, die der Parcours durch das Innere auslöst, wird durch die hermetische
Gestalt des Äusseren noch potenziert: die räumliche Organisation des Inneren bleibt
verborgen. Das Dogma der Moderne, die Nutzung eines Gebäudes müsse sich an der
Fassade abzeichnen, suspendieren Morger & Degelo (wie schon bei ihrem
Dreirosenschulhaus in Basel) souverän: Wer die schwarze «Kaaba» in Vaduz betritt, die
sich lediglich durch die Beschriftung als ein Museum ausweist, wird angesichts der
unvermutet lichten Innenräume erstaunt sein. Von wenigen Öffnungen, vor allem den
Fensterbändern des Foyers und des Seitenlichtsaals durchbrochen, lassen die fugenlos
am Ort gegossenen, schwarz-spiegelnden Betonwände von 40 cm Stärke einen
monolithischen Eindruck entstehen. Beigegeben wurden dem schwarz eingefärbten Beton
schwarze Basaltbrocken sowie bunter Flusskies. Durch Abschleifen ergab sich ein
lebendiges Bild der Fassade, das durch leichte Unregelmässigkeiten verstärkt wird: die
Oberfläche nimmt einen beinahe textilen Charakter an. Gerade diese Gestaltung reduziert
die monumentale Wucht des Gebäudes und erlaubt ihm, sich in die Baustruktur zu
integrieren. Den Architekten ist ein Gebäude geglückt, das man als «kontextuellen Solitär»
bezeichnen könnte: Es sprengt den Rahmen, hält aber die Baulinien akkurat ein; es wahrt
zu den banalen Nachbarbauten Distanz, erlaubt ihnen aber die Spiegelung in der Fassade.
Obwohl das Staatliche Hochbauamt rechtzeitig zur Museumseröffnung ein voluminöses
Buch zum «Bauen für Liechtenstein» vorlegte, ist festzuhalten, dass seit Ernst Gisels
Bauten aus den siebziger Jahren keine öffentlichen Gebäude von architektonischem
Anspruch mehr realisiert worden sind - und das, obwohl sich Liechtenstein mit seiner Lage
zwischen Vorarlberg und Graubünden an der Schnittstelle zweier bedeutender
europäischer Architekturregionen befindet. Mit dem schillernd-numinosen Gebilde hat nun
Vaduz eine Preziose erhalten, und die Hoffnungen sind nicht unbegründet, dass sich eine
neue Besucherschicht erschliessen lässt, die nicht allein zum Shopping in Liechtenstein
anhält. Denn mit den neuen Museen von Vaduz, Bregenz und Appenzell hat die
österreichisch-schweizerische Grenzregion ein neues Profil erhalten.
http://www.nextroom.at/building.php?id=1356&sid=5389, 14.02.2017
4/4
Kunstmuseum Liechtenstein
[Tag der offenen Tür am Sonntag, 12. November, von 12 bis 18 Uhr. - Literatur: Stiftung
zur Errichtung eines Kunsthauses Vaduz. Verlag Lars Müller, Baden 2000. 112 S., Fr. 88.-.
- Götter wandelten einst. Benteli-Verlag, Bern 1998. 176 S., Fr. 48.-. - Bauen für
Liechtenstein. Regierung des Fürstentums Liechtenstein, Vaduz 2000. 348 S., Fr. 70.-. Zur Eröffnung soll zudem eine Broschüre vorliegen, die die Eröffnungsausstellung der
Staatlichen Kunstsammlung dokumentiert.]
Neue Zürcher Zeitung, 11.11.2000
WEITERE TEXTE
Kunstmuseum Liechtenstein, ausfahrten, 14.09.2003
Nobles in protestantischem Kleid, Hans-Peter von Däniken, TagesAnzeiger, 10.11.2000
Oho und gar nicht klein, Salzburger Nachrichten, 11.11.2000
http://www.nextroom.at/building.php?id=1356&sid=5389, 14.02.2017
Powered by TCPDF (www.tcpdf.org)
Herunterladen