Gesundheit und Heilung Thomas Trutschel/Photothek via Getty Images Böse Geister oder Bazillen? In einem Hospiz ist der Tod nicht mehr fern. Aber gibt es dort auch Geister? Diese Frage afrikanischer Gäste bejahte die Leiterin der Einrichtung – zur Verbüffung des anwesenden Theologen. Was, wenn die übliche Medizin versagt? Gibt es eine andere Dimension, die krank macht? Und wenn ja, wie kuriert man solche Gebrechen? ibt es hier, wo der Tod so nah ist, Geister?“, wollte ein ghanaischer Gast in einem deutschen Hospiz wissen. Pastor Hannes Menke, Generalsekretär der Norddeutschen Mission, der den Besuch organisiert hatte, erstaunte die Antwort der Leiterin: „Ja, Sterbende berichten von bereits verstorbenen Angehörigen, die ihnen kurz vor dem eigenen Tod erscheinen und mit ihnen sprechen.“ „Auch ohne es rational erklären zu können“, meint Menke, „es ist für mich nachvollziehbar, dass im Wissen um das nahe Ende unser Denken sich auf Wesentliches fokussiert und die Grenze zwischen Realität, Hoffnung und Erinnerung verschmelzen können. Aber die Besuchergruppe mag das anders interpretierten.“ Pfarrerin Sabine Förster, Expertin für kultursensible Seelsorge, stimmt dieser Ein- schätzung zu. „Für viele Afrikanerinnen und Afrikaner ist der Einfluss der Ahnen, Geister, Götter und des christlichen Gottes auf das Leben diesseits und jenseits des Todes eine Tatsache.“ Deshalb werden bei wichtigen Entscheidungen die Ahnen befragt. Nicht wie bei „Spökenkiekern“ heimlich, sondern alle an der Angelegenheit Beteiligten, „ja manchmal sogar vor dem ganzen Dorf, nehmen an der Befragung teil“, betont sie. Im Krankheitsfall werden auch böse Geister oder Dämonen für den Zustand verantwortlich gemacht. Dr. Bernhard Doku hat als Arzt in Deutschland und Ghana praktiziert und ist ein Vermittler zwischen den Kulturen und Teil eines Seelsorgeteams, das an der Missionsakademie Fortbildungen für afrikanische Seelsorger anbietet. Er erklärt: „Die Ergebnisse klinischer Untersuchungen dürfen nicht gering geachtet werden. Wer 15 Gesundheit und Heilung Pillen oder Gebet? In dem grossen Heilungszentrum der presbyterianischen Kirche in Abokobi in Ghana praktiziert der Heiler Aboa Offei. Für viele seiner Patientinnen und Patienten ist er die letzte Hoffnung. Zunächst werden die inneren und äusseren Lebensumstände in einer ausführlichen Anamnese erkundet. Sie werden befragt nach Symptomen, Familienverhältnissen, Träume, Obsessionen, Erfahrungen mit Engeln und Dämonen und vielem mehr. Was sie gegen ihre Beschwerden unternommen haben, ob sie einen Arzt aufgesucht und ob sie gebetet haben, das wird in dem vier-Seiten-langen Fragebogen festgehalten. Dann tauscht sich das Personal über den Fall aus. „Die Behandlung ist so unterschiedlich wie die Krankheit“, berichtet Sabine Förster. „In meiner Gegenwart sprach Aboa Offei leise mit einer Patientin, die nach kurzer Zeit wieder weg ging. Kein Geschrei, keine Show.“ Eine spontane Gesundung habe der Heiler, der kein Geld für seinen Dienst nimmt, nicht erwartet. „Manchmal bleiben die Patienten, um ihn abermals aufzusuchen, andere gehen nach Hause, manche bleiben über Nacht. Auf jeden Fall hilft auch der Aufenthalt in der Gemeinschaft des Zentrums.“ Dr. Doku, der aus Ghana stammt und nun in Hamburg lebt, hat als Christ die spirituelle Seite von Krankheit und Gesundheit im Blick. Er weiss, dass manche Heiler vor allem das eigene finanzielle Fortkommen anstreben. Deshalb 16 erhoffen sich viele seiner Landsleute Heilung durch die Gebete ihrer Pastoren. Dennoch warnt er Hilfesuchende vor unkritischem Umgang mit demonstrativer „Gesundbeterei“: „Geht es um eine Machtdemonstration des Pastors oder um den Heiligen Geist? Bei niemandem kann oder darf man ‚Besessenheit‘ mit Lautstärke oder Gewalt herausprügeln. Mitgefühl mit den Opfern ist das wichtigste.“ Empathie und Mitgefühl mit Kranken ist es auch, was Kirchen auch hierzulande veranlasst, sich im Gesundheitswesen zu engagieren. „In diakonischen Krankenhäusern wird sich dem kranken Körper und der Seele angenommen“, sagt Pfarrerin Förster. Sie ist sich bewusst, unter welchem Druck das Personal auch in christlichen Häusern ist. Als Seelsorgerin wünscht sie sich, dass überall der ganze Mensch bei der Diagnose und Therapie im Blick sein sollte. Neben dem medizinischen Fachpersonal spiele die Krankenhausseelsorge eine wichtige Rolle. Im Heilungszentrum der presbyterianischen Kirche in Abokobi/Ghana. Für viele Menschen ist der Heiler Aboa Offei die letzte Hoffnung. Zuvor erkundigt er Hannes Menke/Norddeutsche Mission (2) Bluthochdruck hat, muss womöglich Tabletten nehmen. Manchmal braucht es zur Gesundung eine Operation. Alles andere könnte den Tod bedeuten. Aber manchmal müssen wir uns mit Dämonen und Geistern beschäftigen. Und beten.“ Therapie und Seelsorge Auch in westlichen Zusammenhängen sind bei der Suche nach Krankheitsursachen nicht immer „harte Fakten“ wie genetische Ursachen oder Krankheitserreger auszumachen. Oft fragen Patientinnen und Patienten nach der eigenen Schuld: „Hätte ich doch nicht geraucht, nicht so viel gearbeitet, besser aufgepasst“. Selbst Ungläubige bringen Gottes Willen ins Spiel, wenn sie nach dem „Warum? Und warum gerade ich?“ fragen. In Afrika beziehe sich die Schuldfrage auf Metaphysisches: „Habe ich die Ahnen vernachlässigt? Oder haben Dämonen Besitz von der Person ergriffen? Oder wurden Geister erzürnt?“ Mit diesen Fragen beschäftigen sich seit einiger Zeit nicht nur Krankenhaus- Gebet für Gesundung vor dem Kreuz auf dem Gelände des Heilungszentrums. gesund zu werden, oder um in Frieden zu sterben? In diesem Prozess dürfe die Gemeinschaft, in der das Individuum lebt, nicht vernachlässigt werden. Wenn nicht nur der Einzelne, sondern sein Bezugssystem für die Krankheit mitverantwortlich ist, dann muss es auch in den Gesundungsprozess eingeschlossen werden. Es ist dann nicht das Medikament alleine, das hilft, sondern „dann muss es auch zu einer Versöhnung zwischen Betroffenen, auch wenn sie schon verstorben sind, kommen.“ Sabine Förster hat in Westafrika solche Rituale miterlebt. sich nicht nur nach der bisherigen medizinischen Behandlung und Familienverhältnissen, sondern auch, ob sie sich von Dämonen besessen fühlen. Seelsorger. In Zeiten der Globalisierung widmen sich auch Institutionen diesem Thema, die Männer und Frauen in medizinischen Berufen ausbilden. Im Medizinstudium wird noch sehr verhalten interkulturelle oder kultursensible Diagnose gelehrt. „Auf die Frage: Mit welchem Organ macht sich der Mensch Sorgen? gibt es, je nach Kultur, verschiedene Antworten: das Herz, die Leber, der Magen“, erklärt Sabine Förster und ist froh, dass sich diese Erkenntnis bei angehenden Medizinerinnen und Medizinern langsam herumspricht. Afrikanische Ärzte, die in Europa ausgebildet wurden, fühlen sich manchmal nur unzureichend auf die Herausforderungen in ihren Heimatländern vorbereitet, nämlich dann, wenn sie nicht lernen, wie mit bösen Geistern umgegangen werden soll. „Es ist ja unwichtig, ob es die Ahnen waren, die die Krankheit schicken, oder das eigene Fehlverhalten, sondern das ‚Was glaube ich, bedeutet dies für mich‘“, meint Pfarrerin Förster. Was muss der Mensch tun – oder lassen – um Kirche schützt „Hexen“ Sie spielen auch in den ehemaligen Kriegsgebieten eine Rolle. „Die Bürgerkriege haben viele Menschen traumatisiert zurückgelassen. Die äusseren Wunden sind verheilt, aber die Seelen der Überlebenden und der Täter sind todkrank“, sagt Förster, die viele Jahre in Liberia gearbeitet hat. Sie bedauert, dass Menschen, die „stören“, die „gestört“ sind, selten betreut und behandelt, sondern aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden. „Afrikanisches Fachpersonal für Psychiatrie, Traumabewältigung und auch Gerontologie, also Fachleute für Alterserscheinungen, sind noch Mangelware. Psychisch Kranke leben oft am Rand der Gesellschaft, werden ausgegrenzt oder verborgen.“ Vielfach fehle auch für Menschen, die im Alter „komisch“ geworden sind, das Verständnis. Als Hexen verleumdet, werden sie beleidigt, verjagt oder getötet. Im Norden Ghanas gibt es mittlerweile sechs sogenannte „Hexenkamps“, in denen solche Menschen Unterschlupf gefunden haben. Verschiedene lokale Kirchen und kirchliche Organisationen bemühen sich, um die Rehabilitation dieser Personen. Die Furcht vor Verfluchung ist gross. Das hat auch Pfarrerin Förster in Hamburg bei Migrantinnen und Migranten aus Afrika erlebt: „Es nützt dann wenig zu behaupten, es gäbe keine Geister.“ Auch Absolventen der Kurse der Missionsakademie aus dem globalen Süden, aufrechte Christinnen und Christen, würden ihr mit Verweisen auf viele neutestamentliche Stellen widersprechen. Und so hat sie gelernt zu akzeptieren, dass nur durch die Kraft des Heiligen Geistes, nach bestimmten Riten, die Macht des Bösen in seinen unterschiedlichen Ausprägungen gebannt werden kann. „Migrationsgemeinden, mit deren Pastoren und Pastorinnen wir an der Missionsakademie zusammenarbeiten, sind ein Ort, wo die Mitglieder ‚Heimat‘ erleben. Dort wird für die Kranken gebetet.“ Von anderen Kulturen lernen Förster, Doku und andere wollen bei Seelsorgern ein Gespür dafür wecken, dass Krankheit und Gesundheit, Wohlbefinden und Ängste auch kulturell definiert sind. Auch glauben sie, dass die Kulturen voneinander lernen können. Sie wollen aufdecken, wo Scharlatane am Werk sind, helfen, Schaden von Menschen fernzuhalten und Wissen darüber vermitteln, wann europäische Schulmedizin und wann alternative Heilmethoden – aus welchem Kulturkreis auch immer – notwendig sind. Um die Menschen aus verschiedenen Herkunftskulturen angemessen zu versorgen, sei es nötig, die Kultursensibilität in der Seelsorge und in der medizinischen Diagnostik und Therapie zu verbessern. Und dabei kann ein aufgeschlossener Umgang mit Träumen, Erinnerungen und „anderen Realitäten“ helfen. Freddy Dutz 17