ZاS ZاS ا Zeitschrift für Islamische Studien ©© Editorial …………...……………….….. Seite 3 Prof. Dr. M. Fuad Sezgin Die Quellen al-Buḫārīs Die Zusammentragung der Ḥadīte (tadwīn); Übertragung des Wissens/Überlieferung Prof. Dr. Abdullah Takım der Ḥadīṯe (taḥammul al-ʿilm)….......….. Seite 63 Trag vor im Namen deines Herren, der euch erschaffen hat … (Sure 96:1-5) Der Koran: Das Wort Gottes in Dr. Christiane Geisthardt arabischer Sprache …..…..…………...… Seite 5 Interreligiöser Dialog als Chance Man stelle sich vor …….…...……….…. Seite 72 Serdar Kurnaz, M.A. Alexander Schmidt Maqāṣid aš-šarīʿa Eine kurze historische Skizze der Rezension zu „Gottes Menschenwort“ islamischen Rechtsphilosophie ……..… Seite 12 von Abu Zaid …………..…...…...….… Seite 76 Büchervorstellung: Dr. Mark Chalîl Bodenstein Ayşe Boztürk Koranische Rückbeziehung religionsGnilka, Joachim: Bibel und Koran. didaktischer Konzepte ………………. Seite 55 Was sie verbindet, was sie trennt. ….... Seite 78 © ISSN 2195-7509 Heft 2 November 2011 1. Jg. Redaktion REDAKTION Elif Gömleksiz: Chefredakteurin, Mitherausgeberin, Übersetzerteam Studienfächer: Islamische Religion, Jüd.- Christl. Religionswissenschaft, Germanistik Ayşe Karaman: Übersetzerteam Sudienfächer: Islamische Religion, Jüd.- Christl. Religionswissenschaft, Romanistik Serdar Kurnaz, M. A.: Chefredakteur, Mitherausgeber, Übersetzerteam Studienfächer: Islamische Religion, Jüd.- Christl. Religionswissenschaft, Pädagogik, Rechtswissenschaft Ayşe Boztürk: Büchervorstellung Studienfächer: Islamische Religion, Jüd.- Christl. Religionswissenschaft, Pädagogik Johanna Ertan: Stellv. Chefredakteurin Studienfächer: Islamische Religion, Jüd.- Christl. Religionswissenschaft, Südostasienwissenschaften Yasmin Alhawari: Übersetzerteam Studienfächer: Religionswissenschaft, Politikwissenschaft Mukadder Tuncel, M.A.: Übersetzerteam Studienfächer: Islamische Religion, Jüd.- Christl. Religionswissenschaft, Pädagogik, Literaturwissenschaft, Judaistik Alexander Schmidt: Studienfächer: Islamische Religion, Pädagogik Hacer Çakmak: Homepage Studienfächer: Islamische Religion, Pädagogik Zeki Tuncel: Layout Studienfächer: Islamische Religion, Jüd.- Christl. Religionswissenschaft, Pädagogik Impressum: ZIS - Zeitschrift für Islamische Studien c/o Institut für Studien der Kultur und Religion des Islam Gräfstr. 78 60486 Frankfurt a.M. Email: [email protected] Web: www.islamische-studien.de Seite | 2 Editorial EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser, wir freuen uns, Ihnen die zweite Ausgabe der ZIS – Zeitschrift für Islamische Studien zu präsentieren. Diese Ausgabe beginnt mit einem Beitrag über den Koran und das islamische Offenbarungsverständnis von Abdullah Takım, Professor für Ideengeschichte des Islam an der Goethe-Universität Frankfurt. Takım betont, dass der Offenbarungsakt nach islamischem Verständnis einen essentiellen, kommunikativen Charakter aufweist, der in der Bezeichnung der Koranverse als āyāt, d.h. Zeichen, explizit wird. Vermittels dieser verbalen Zeichen kommuniziert Gott mit den Menschen und fordert sie auf, über seine āyāt nachzudenken (Koran 38, 29). Mit Rekurs auf verschiedene Koranverse zeigt Takım im Folgenden, dass im Koran alle Offenbarungsschriften auf das Mutterbuch (umm al-kitāb) als verbindende „Urquelle“ zurückgeführt werden: „Jedem Propheten werden Teile dieses Mutterbuches bzw. dieser Uroffenbarung in der Sprache seines eigenen Volkes herabgesandt“ (Koran 14, 4). Damit wird nicht nur die geschichtliche Kontinuität der Offenbarungsreligionen gewahrt, sondern auch die geistige Einheit der Offenbarungsreligionen Judentum, Christentum und Islam konstatiert, so Takım. Die Essenz der Offenbarungsschriften ist dieselbe, nämlich der Monotheismus. Im weiteren Verlauf stellt Takım die spirituell-ästhetische Dimension des Korans dar, die durch die Wahrnehmung des Korans als materielles „Buch“ in den Hintergrund gerät. Dem Akt der lauten und künstlerisch-ästhetischen Rezitation, in der die Rede Gottes vergegenwärtigt und „erlebt“ wird, kommt primäre Bedeutung für Muslime zu, so der Autor. Dabei möchte man durch die eigens für die Rezitation entwickelte Wissenschaft (ʿilm al-taǧwīd) den erhabenen und unnachahmlichen Worten Gottes gerecht werden. Takım schließt mit einem Überblick über die verschiedenen Formen und Entwicklungen der Koranexegese bis zur Moderne (19./20. Jh.), wo die Reformbemühungen im Mittelpunkt des islamischen Diskurses standen, ab. Serdar Kurnaz fasst in seinem Aufsatz seine Magisterarbeit mit dem Titel „ Der Diskurs um Maqāṣid as-šarīʿa – Ein Konzept zur Lösung aktueller Rechtsprobleme“ zusammen und präsentiert das Instrumentarium der islamischen Rechtsmethodik (uṣūl al-fiqh) für die Bewahrung der Dynamik des islamischen Rechts (fiqh), um neuentstandene Situationen šarīʿakonform zu beurteilen. Diese Methoden beachten nicht nur den Wortlaut der Texte (Koran und Sunna), sondern auch die Essenz/Ziele (Maqāṣid), was dazu führt, dass vorhandene Urteile sich ändern und neue Urteile erlassen werden können und diese trotzdem dem Koran und der Sunna nicht widersprechen. Dabei untersucht Kurnaz die historische Entwicklung elementarer Begriffe der islamischen Rechtsmethodik wie maṣlaḥa, maqāṣid as-šarīʿa und istiḥsān beginnend von den Lebzeiten des Propheten Muḥammad über den sogenannten „Rechtsschulgründern“ bis hin zu den späteren muslimischen Rechtsmethodikern wie al-Ġazālī, aš-Šāṭibī und muslimischen Gelehrten des 19./20. Jahrhunderts wie ʿAbduh, Riḍā, Ibn ʿĀšūr und Fazlur Rahman. Kurnaz gelangt zu dem Ergebnis, dass schon zur Zeit des Propheten und der Prophetengefährten die Essenz der Offenbarung beachtet, koranische Urteile bezüglich der zwischenmenschlichen Beziehungen (muʿāmalāt) revidiert, verschiedenermaßen ausgeführt und neuere Urteile erlassen wurden. Somit bietet das islamische Recht laut Kurnaz eine fundierte Basis für nichtwortlautgebundene šarīʿakonforme Urteilsfällung und für die Wahrung der Dynamik des islamischen Rechts, was sich auch in den Rechtssammlungen (corpus juris) wie bspw. im Kitāb al-Mabsūṭ des as-Saraḫsī niedergeschlagen hat. Seite | 3 Editorial Mark Chalîl Bodenstein, der am Institut für Studien der Kultur und Religion des Islam die Professur für Kultur und Gesellschaft des Islam in Geschichte und Gegenwart vertritt, präsentiert in seinem Aufsatz didaktische Modelle wie die Korrelations- und Symboldidaktik aus der Religionspädagogik, die, so der Autor, nicht als alleinig christliche didaktische Modelle zu bezeichnen sind, „sondern eher als dem Wesen des Menschen generell angemessene Vermittlungsformen.“ Bodenstein widmet sich in diesem Sinne der Frage, ob diese didaktischen Modelle kompatibel mit der sich neu entwickelnden islamischen Religionspädagogik sind. Hierfür wird überprüft, in wieweit der Koran sich dieser Modelle bedient und mit ihm überhaupt begründbar ist, den islamischen Religionsunterricht auf diese Weise zu gestalten. Dabei stellt der Autor dar, dass sowohl im Koran selbst als auch in der Koranexegese (tafsīr) korrelationsdidaktische Elemente nachzuweisen sind: Während der Koran auf die Ereignisse und Anliegen seiner Ersthörer explizit Bezug nimmt, versuchten die Exegeten Koranverse mit der Lebenswelt der frühen Gemeinde zu korrelieren (asbāb an-nuzūl). Es folgen weitere Ausführungen zu symboldidaktischen Konzepten, die mit reichlichen Bespielen und Bezügen zu Koranversen veranschaulicht und im Hinblick auf die Frage nach der Kompatibilität diskutiert werden. dienen sollten, bestimmtes Wissensgut – in diesem Fall die Ḥadīṯe – möglichst in ihrer Ursprungsform bewahrt weiterzugeben. Diese Überlieferungsregeln und -methoden der Ḥadīṯwissenschaft stellt Sezgin im Einzelnen dar, wobei auch Termini technici wie ḥaddaṯanā und aḫbaranā, die der Identifikation der Methoden im Prozess der Überlieferung und Kodifikation dienen, erklärt werden. Dabei beschreibt Sezgin den Überlieferungsvorgang selbst, die Schüler-LehrerBeziehung sowie die Rolle der Schrift in den einzelnen Methoden. Der freie Essay von Dr. Christiane Geisthardt beginnt mit einer Utopie, die sie in der Vergangenheit ansiedelt: Die Autorin imaginiert die Welt, wie sie ausgesehen hätte, wenn es keine Kreuzzüge bzw. Religionskriege, keine Verfolgungen und religiösen Diskriminierungen gegeben hätte. Zurück auf der Ebene der Realität, die geprägt ist von „Vergegnungen“, Intoleranz und Anwendung von Gewalt gegenüber Andersdenkenden, hebt die Autorin die friedlichen Diskurse der verschiedenen religiösen Traditionen sowie die Chancen des interreligiösen Dialogs hervor. Dabei rekurriert sie auf Bibel- und Koranstellen, die als Aufruf zu Toleranz und Anerkennung des (religiösen) Pluralismus gelesen werden können. Geisthardt betont die Bedeutung des aktiven Umgangs mit der religiösen Vielfalt, die über eine passive Duldung der „Anderen“ hinausgeht. In diesem Sinne In der zweiten Ausgabe der ZIS wird die Übersetzungsreihe „Die Quellen albeschreibt sie verschiedene Formen des interreligiösen Dialogs, die alle einen Buḫārīs“ fortgesetzt. Für diese Ausgabe wurden die Kapitel „Die Zusammentra- Beitrag zum friedlichen Zusammenleben leisten können. Als ein Beispiel für den gung der Ḥadīṯe (tadwīn)“ und „Übertragung des Wissens/Überlieferung der interreligiösen Dialog stellt die Autorin abschließend die Initiative „Abrahams Ḥadīṯe (taḥammul al-ʿilm)“ des Werkes von Fuad Sezgin übersetzt. In diesen Runder Tisch“ vor, zu deren Mitbegründern sie gehört. An dieser Stelle einen Kapiteln beschäftigt sich Sezgin mit der Datierung des tadwīn. Hauptsächliche herzlichen Dank an unsere Gastautorin. Kritik wird aufgrund der späten Datierung des tadwīn an Goldziher ausgeübt, welcher laut Sezgin die feine Nuance zwischen taṣnīf al-ḥadīṯ und tadwīn alḥadīṯ übersehen hat. Sezgin führt nach der Aufhebung des „Missverständnisses“ Eine erkenntnisreiche und anregende Lektüre eine neue Datierung für den tadwīn-Prozess an. In dem darauf folgenden Kapitel wünschen Ihnen stellt Sezgin dar, welche Gründe und Umstände dazu geführt haben, dass für die Elif Gömleksiz Weitergabe der Ḥadīṯe Überlieferungstechniken entwickelt wurden, die dem Ziel Serdar Kurnaz Seite | 4 Abdullah Takım: Trag vor im Namen deines Herren, der euch erschaffen hat … (Sure 96:1-5) Prof. Dr. Abdullah Takım TRAG VOR IM NAMEN DEINES HERREN, DER EUCH ERSCHAFFEN HAT … (SURE 96:1-5) Der Koran: Das Wort Gottes in arabischer Sprache »Was Christus für das Christentum, das ist der Koran für den orthodoxen Islam« – so bringt es der lutherische Theologe Nathan Söderblom auf den Punkt. Für Muslime ist der Koran das Wort Gottes. Als solches steht er im Mittelpunkt der islamischen Religion und besitzt göttliche Autorität. Auf ihm gründen der Glauben, die religiöse Praxis und die Weltanschauung der Muslime. Jeglichen religiösen Wissenschaften wie der Islamischen Jurisprudenz, der Dogmatik oder der Ethik dient der Koran als primäre Quelle – noch vor der prophetischen Tradition. Doch der Koran ist nicht nur eine Quelle des religiösen Studiums. Die Rezitation des Korans ist ein spirituelles, ästhetisches Erlebnis. Viele Muslime hängen Koranverse an die Wand oder lesen kranken Angehörigen, die durch gängige Therapieformen nicht geheilt werden können, Koransuren vor, da sie an die heilende und schützende Kraft des Korans glauben. sehen wird, sollte eine Periode der Ungewissheit folgen, denn weitere Offenbarungen ließen auf sich warten. Schließlich wurde das Schweigen gebrochen und vermittels Gabriel wurde Muhammad weiteren göttlichen Offenbarungen zuteil, die ihn aufforderten, seinen Mitmenschen die göttliche Botschaft zu verkünden und sie vor dem Gericht Gottes zu warnen. Das islamische Offenbarungsverständnis Der arabische Terminus für Offenbarung »waḥy« bedeutet im sprachlichen Sinne »zuflüstern, insgeheim mitteilen«. Bezogen auf die koranische Offenbarung bedeutet »waḥy«, dass der gesandte Engel Gabriel mit dem Befehl Gottes die Bedeutungen, die er von Gott erhalten hat, in die arabische Sprache gekleidet und sie dem Herzen Muhammads eingegeben hat. Sowohl die Wortformen des Korans als auch die Bedeutungen davon stellen die Offenbarung des Engels dar. Als der Prophet Muhammad 40 Jahre alt war und sich wieder eines Nachts in Der Prophet Muhammad hatte darauf selbst keinen Einfluss. Damit wird der die Höhle Hira in Mekka zurückzog, um zu meditieren und zu beten und sich göttliche Ursprung des Korans jedoch nicht in Frage gestellt, im Gegenteil: dem Schöpfergott zuzuwenden, zeigte sich ihm Gabriel, der Engel Gottes. Dieser »Wenn er [d.h. der Koran] von einem anderen als Gott wäre, würden sie in ihm forderte ihn auf, die göttliche Botschaft vorzutragen und übermittelte ihm die viel Widerspruch finden« (4, 82). In diesem Sinne wird der Engel Gabriel im ersten Verse des Korans (96:1-5). Tieferschüttert und verängstigt von diesem Koran »der vertrauenswürdige Geist« (26, 192-195) genannt, der einen hohen Ereignis kehrte Muhammad nach Hause zurück und ließ sich durch die zuspreRang bei Gott hat und als Engel, der von Gott selbst gesandt und mit der Überchenden Worte seiner Frau Ḫadīǧa beruhigen. Diesem Offenbarungsereignis, das mittlung seiner Gebote und Verbote an den Propheten beauftragt worden ist, nur in der islamischen Tradition als die Berufung Muhammads zum Propheten ange- die Worte Gottes und nicht die des Satans wiedergibt. Seite | 5 Abdullah Takım: Trag vor im Namen deines Herren, der euch erschaffen hat … (Sure 96:1-5) Die Erscheinung Gabriels – manchmal in der Gestalt eines Menschen – sieht nur der Prophet selbst, sein Reden hört nur er. Während des Offenbarungsaktes verliert der Prophet seine menschlichen Sinnesempfindungen, wird sich seines Selbst unbewusst, gerät in Kontakt mit dem Engel und hört seine Worte, die dem Gedächtnis des Propheten so eingeprägt werden, dass er sie nicht vergisst. Dabei erzeugt die Kommunikation mit dem Engel große Erschütterungen und Veränderungen im menschlichen Organismus des Propheten, was in der islamischen Überlieferungsliteratur auch genauer beschrieben wird. in der Natur zu erkennen und richtig zu deuten. Es herrscht also eine kommunikative Beziehung zwischen Gott, Mensch, Koran und Schöpfung. Offenbarung als Kommunikation »Das Mutterbuch« als Quelle der Offenbarungen Gottes Es ist bezeichnend, dass die einzelnen Verse des Korans im Koran selbst mit dem Begriff »āyat«, d.h. »Zeichen« wiedergegeben werden. Dieser Terminus deutet auf den essentiellen kommunikativen Charakter der koranischen Offenbarung hin: Gott kommuniziert demnach vermittels der verbalen Zeichen des Korans mit den Menschen und verkündet seinen reinen Willen, während der Mensch dazu aufgefordert wird, über die Zeichen Gottes nachzudenken und sie auf Gott hin zu deuten (38, 29). Somit ist der Mensch in die Offenbarung Gottes mit einbezogen. Er soll die Inhalte des Korans nicht als Dogmen begreifen, sondern über die Koranverse nachdenken und dann, wenn er sie akzeptiert, annehmen und verinnerlichen. Dabei werden nicht nur die Koranverse »āyāt« genannt, sondern auch die Zeichen Gottes in der Schöpfung, d.h. die Naturphänomene. Diese weisen als Zeichen über sich hinaus auf den Schöpfer und seine Einzigkeit, Barmherzigkeit und Weisheit hin, wobei der Koran seinen Adressaten hilft, diese Zeichen Gottes Laut dem Koran entspringen alle Offenbarungsreligionen bzw. Heilige Schriften einer einzigen Quelle – dem Mutterbuch (»umm al-kitāb«), das sich bei Gott befindet (43,4). Dieses ewige Buch symbolisiert einen Teil des Wissensschatzes Gottes und kann als »absolute göttliche Rede« bezeichnet werden. Als solche bedarf es nicht der Laute und Buchstaben und ist somit auch nicht als materielles Buch zu verstehen. Jedem Propheten werden Teile dieses Mutterbuches bzw. dieser Uroffenbarung in der Sprache seines eigenen Volkes herabgesandt (14,4). Damit sind alle Propheten Träger der gleichen Offenbarungswahrheit, nämlich der des Monotheismus. In diesem Zusammenhang wird der Begriff »Islam« im Koran nicht nur als Bezeichnung für die vom Propheten Muhammad verkündete Religion verwendet, sondern der Islam ist auch der gemeinsame Name der Religion, die Gott den Menschen von Adam bis zum Propheten Muhammad verkündet hat. Insbesondere der Prophet Abraham wird im Koran als der Prototyp des Islams, d.h. des rei- Als direkte sprachliche Kommunikation und Selbstmitteilung Gottes an die Menschen hat der Koran, das Wort Gottes, folglich absolute, göttliche Autorität im Islam. Daher ist der veraltete Begriff »Muhammedaner« als Bezeichnung für die Muslime unzutreffend. Denn nicht die Person des Propheten steht im Zentrum der islamischen Religion, sondern der Koran, der als Rechtleitung für die Menschen gesandt worden ist und dem der Prophet auch folgt. Dem Propheten Neben dieser Art der Offenbarung durch die Vermittlung des Engels Gabriel, kommt dabei allerdings keine geringere Aufgabe zu als die koranische Offenbawerden im Koran die direkte göttliche Inspiration und die Offenbarung »hinter rung den Menschen zu verkünden und zu erklären. Als zweite Quelle nach dem einem Vorhang« erwähnt (42, 51-52). Letztere ereignete sich am Berg Sinai, als Koran gilt in der islamischen Tradition aus diesem Grund die Sunna des PropheMose die Stimme Gottes vernahm, ihm das Antlitz Gottes jedoch verwehrt blieb. ten. Seite | 6 Abdullah Takım: Trag vor im Namen deines Herren, der euch erschaffen hat … (Sure 96:1-5) nen Monotheismus dargestellt (22, 78). Dieser reine Monotheismus ist in der Natur jedes Menschen veranlagt, kann aber mit der Zeit durch die Menschen deformiert werden. Aus diesem Grunde werden Propheten gesandt, um diese ursprüngliche, natürliche Konstitution des Menschen, nämlich den Islam, wiederherzustellen (7, 20-22). Nach koranischer Auffassung haben somit alle Propheten den Islam verkündet. Die göttliche Botschaft, die der Prophet Muhammad überbracht hat, ist keine neue. Sie ist auch in den vorherigen Offenbarungsschriften enthalten. Die Aufgabe des Propheten Muhammad bestand darin, diese Botschaft in einem neuen Gewande und in arabischer Sprache denjenigen zu vermitteln, die es verstehen, also in erster Linie den Arabern. Das Verhältnis des Korans zu den anderen Offenbarungsschriften Durch die Zurückführung aller Offenbarungsschriften auf das Mutterbuch konstatiert der Koran die Einheit der Offenbarungsreligionen Judentum, Christentum und Islam. Die Thora, das Evangelium und der Koran werden als von Gott geoffenbarte Schriften charakterisiert, die sich in ihrem Inhalt gegenseitig bestätigen (5, 44-50). Dabei ist der Bezug des Korans zum Mutterbuch eine essentielle, der Bezug des Korans zur Thora und zum Evangelium hingegen eine geschichtliche, denn der Koran möchte damit die geschichtliche Kontinuität der Offenbarungsreligionen wahren. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass der Koran neben Geschichten und Gesetzen, die den Arabern bekannt waren und ganz originellen Offenbarungen des Korans viele biblische Geschichten und Erzählstoffe beinhaltet. Diese werden allerdings nicht einfach von der Bibel übernommen, sondern sie werden in einen neuen Kontext eingebettet sowie den Zeitumständen entsprechend inhaltlich neu ausgewertet und akzentuiert. Damit ist der Koran ein multireferentielles Buch, das sich auf sich selbst und auf andere Schriften bezieht, sie bewertet und in die Offenbarungsgeschichte, ohne genauere historische Daten zu nennen, einordnet und damit die Überzeitlichkeit und Universalität der Offenbarung betont. Im Unterschied zur heutigen Bibel herrscht im Koran als Erzählstil nicht der Geschichtsstil vor, sondern im Zentrum der koranischen Erzählungen steht die Ermahnung (taḏkīr) und Erinnerung (ḏikrā). Der Koran beabsichtigt nicht, eine Geschichte chronologisch nachzuerzählen: Er beinhaltet demnach keine fortlaufende Handlung wie die Evangelien oder gar die Biographie Muhammads. Der Koran will vielmehr durch die ausgewählten Geschichten die Menschen an die vergangenen Propheten, Völker und damit an Gott erinnern und sie dadurch rechtleiten. Dieser koranische Erzählstil der Erinnerung setzt voraus, dass die von ihm erzählten Stoffe und Bilder den Zeitgenossen des Propheten Muhammad bzw. den Erstadressaten des Korans bekannt waren. In diesem Sinne sind im Koran eindeutig Spuren der Bibel enthalten, denn der Islam ist als Religion nicht in einem Vakuum entstanden, sondern fand verschiedene religiöse Traditionen und Erzählstoffe vor, auf die er Bezug nahm. Der Erinnerungsstil ist jedoch nicht nur dem Koran vorbehalten: Auch die Thora und das Evangelium werden im Koran »ḏikr«, d.h. Erinnerung oder Ermahnung genannt, denn dem Koran zufolge ist die Botschaft aller Offenbarungsreligionen dieselbe, nämlich die Erinnerung an Gott, auch wenn der Erinnerungsstil im Koran indes stärker betont wird. Der Koran – ein Buch? In seiner heutigen Form ist der Koran ein abgeschlossenes Buch, das von Gott vermittels des Erzengels Gabriel an Muhammad in einem Zeitraum von 23 Jahren offenbart wurde. Die Assoziation des Korans mit einem Buch blendet jedoch einen wichtigen, essentiellen Charakter aus, der sich hinter dem arabischen Wort »Qurʾān« verbirgt. Der Begriff »Qurʾān« kann im Koran selbst verschiedene Bedeutungen haben und bezeichnet ursprünglich nicht den ganzen Koran als Buch, Seite | 7 Abdullah Takım: Trag vor im Namen deines Herren, der euch erschaffen hat … (Sure 96:1-5) wie man gewöhnlich annimmt, sondern er hat die Grundbedeutung »laut (vor) lesen, vortragen, rezitieren«. Als »Qurʾān« können auch ein kleiner Abschnitt oder eine ganze Sure aus dem Koran, aber eben auch der ganze Koran bezeichnet werden. Wichtig ist, dass der Text laut vorgetragen, d.h. rezitiert wird. Der Koran ist damit kein Buch, das zum stillen lesen und studieren bestimmt ist. In seiner Buchform ist er sekundär und dient als Gedächtnisstütze, während der Akt der Rezitation primär für die Muslime ist. Die Rezitation des Korans ist ein ritueller Akt, der eine große spirituelle Wirkung auf die Gläubigen ausübt: Durch das laute und künstlerisch-ästhetische Vortragen des Korans wird die Rede Gottes »erlebt« – ja, man hört Gott selbst. Die Unnachahmlichkeit und Ästhetik des Korans Unmittelbar verbunden mit dem spirituellen Erleben des Korans ist der Glaube der Muslime, dass der Koran in seinem Stil, seiner Darstellung, seiner Sprache und in seinem Inhalt unnachahmlich und unübertrefflich ist. Dieser Topos der Unnachahmlichkeit (iʿgāz) hat seinen Ursprung im Koran selbst. So fordert der Koran die Ungläubigen heraus, ein ähnliches Buch, das dem Koran gleicht, zu bringen (52, 34; 17, 88). Wenn sie dies nicht bewerkstelligen können, so sollen sie doch zehn Suren bringen, die den koranischen Suren gleichen (11, 13-14) oder wenigstens eine Sure (10, 38; 2, 23). Dieser Herausforderung an die Ungläubigen folgt schließlich der koranische Grundgedanke, dass der Mensch nicht imstande sei, ein Buch wie den Koran hervorzubringen, selbst dann nicht, wenn die Menschen und die Djinn zu diesem Zweck zusammenkämen (17, 88). Dieses Unvermögen der Menschen wird in der islamischen Tradition als Beweis dafür angeführt, dass der Koran das Wort Gottes ist. Dieser Topos der Unnachahmlichkeit und ästhetischen Dimension des Korans schlägt sich auch in vielen islamischen Überlieferungen nieder: Demnach konnten sich viele Polytheisten zur Zeit des Propheten Muhammad, die sich der neuen göttlichen Botschaft verschlossen hatten und gar gegen sie ankämpften, der Sprache, Poetizität und Musikaliät, d.h. der göttlichen Schönheit und Komposition der koranischen Rede nicht erwehren und nahmen den Islam an. Welch hohen Stellenwert das ästhetische Erleben des Korans im Islam einnimmt, zeigt auch die von Muslimen eigens entwickelte Wissenschaft der Koranrezitation (ʿilm al-taǧwīd), durch die eine Reihe von Regeln für Aussprache, Intonation und Zäsuren festgelegt wurden. Ziel dieser Wissenschaft ist eine möglichst schöne Rezitation des Korans, um dem Wort Gottes gerecht zu werden. Dabei stützt sich dieses Bemühen auf den Koran selbst, in dem es heißt: »Trag den Koran in singendem Vortrag vor« (73, 4), oder aber auf die Aussprüche des Propheten, von denen einer lautet: »Schmückt den Koran mit euren Stimmen!« Mit schöner Stimme und im tartīl-Stil, worunter man einen bedächtigen, deutlich artikulierten, musikalischen und melodischen Vortrag zu verstehen hat, das Überdenken und Nachsinnen über die vorgetragenen Verse ermöglicht, soll der Koran also vorgetragen werden, denn ohne das Verstehen der Textinhalte ist die Koranrezitation wirkungslos. Die Entwicklung der Koranexegese Der Prophet Muhammad war nicht nur mit der Übermittlung und Verkündung der göttlichen Rede beauftragt, sondern auch damit, diese Offenbarung den Menschen durch Wort und Tat zu erklären. So wird überliefert, dass die Gefährten des Propheten bei Verständnisfragen zu bestimmten offenbarten Versen den Propheten konsultierten, der ihnen mit näheren Erläuterungen antwortete. Der erste Ausleger des Korans (mufassir) ist somit der Prophet selbst. Nach dem Tod des Propheten wandten sich die Muslime mit ihren Fragen zum Koran an die Gefährten, die mit dem Propheten zusammengelebt, an seinen Gesprächen teilgenommen und die koranischen Auslegungen des Propheten auswendiggelernt hatten. Diese koranexegetischen Überlieferungen des Propheten sowie die eigenen Koranauslegungen der Gefährten wurden somit an die Nachfolgegenerationen weitertradiert und etablierten sich als die wichtigsten Quellen neben dem Koran Seite | 8 Abdullah Takım: Trag vor im Namen deines Herren, der euch erschaffen hat … (Sure 96:1-5) selbst, aus der für die Erörterung von neuen Fragestellungen und Problemen geschöpft wurde. Zu einer wissenschaftlichen Disziplin entwickelte sich die Koranexegese erst im Späteren, als die koranexegetischen Überlieferungen des Propheten und seiner Gefährten in einem Werk schriftlich zusammengetragen wurden und mit Hilfe derer die Koranverse gedeutet wurden. Diese Methode der Auslegung wird »tafsīr bi-r-riwāya« (Auslegung durch die Überlieferung) genannt. Nicht die Überlieferung, sondern die Vernunft steht hingegen in der Methode »tafsīr bi-d-dirāya« bzw. »tafsīr bi-r-raʾy« (Auslegung durch die eigene Meinung) im Mittelpunkt, auch wenn die Überlieferungen zweifellos auch hier mitberücksichtigt wurden. Eine andere Deutungsmethode in der Koranexegese ist die mystische oder sufische Auslegung des Korans, die »tafsīr al-ʾišārī« (Auslegung durch die Zeichen) genannt wird. Wichtiges Kennzeichen der islamischen Mystiker war, dass sie den Koran ständig lasen und immer neue Erkenntnisse, immer neue Schichten des Verstehens darin entdeckten. Ihre hermeneutischen Methoden reichten von einfacher wörtlicher Interpretation bis zu symbolischer und allegorischer Exegese, ohne jedoch den Wert des äußeren Sinnes der koranischen Worte zu leugnen. Quelle der mystischen Auslegungen ist die Inspiration (ilhām): Gott gibt in das Herz des eingeweihten Mystikers innere, verborgene Bedeutungen der Koranverse ein, die auch »Weisheiten des Herzen« (maʿrifa) genannt werden. Muslime gegenüber dem Westen musste sich die islamische Welt mit dem Vorwurf auseinandersetzen, der Islam sei fortschrittsfeindlich und rückständig. Als Antwort auf diesen Vorwurf entwickelten die Exegeten neue Methoden der Koranauslegung, anhand derer gezeigt werden sollte, dass kein Widerspruch zwischen den koranischen Inhalten und den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Moderne existiere. Hierbei gewann die Ratio allmählich die Oberhand: »Ad fontes«, zurück zu den Quellen, d.h. zum Koran selbst und zu den authentischen Aussprüchen des Propheten Muhammad war das Leitmotiv. Viele koranexegetische Überlieferungen, auf die sich die klassischen Koranexegeten berufen hatten, wurden nun als schwach und erfunden eingeordnet. Durch diese Neuorientierung sollten die Korankommentare und islamischen Traditionen von zeitbedingten Anschauungen, falsch hergeleiteten Rechtsbestimmungen und vom Aberglauben befreit und dadurch die »wahre Botschaft des Korans« vermittelt werden. Auf diese Weise wurden immer mehr moderne Korankommentare verfasst, die reformistisches Gedankengut aufzeigten und dieses an die breite Masse zu vermitteln versuchten. Literatur: [Abu-Zaid, Nasr Hamid]: Ein Leben mit dem Islam. Aus dem Arab. von Chérifa Magdi. Erzählt von Navid Kermani. 2. Auflage. Freiburg [u.a.]: Herder, 2001. Aḏ-Ḏahabī, Muḥammad Ḥusain: at-Tafsīr wa-l-mufassirūn. Bd. 1-3. Kairo 1961-1962. Koran und Erneuerung Adams, Charles J.: Islām. In: A reader‟s guide to the great religions. Ed. by Das vorrangige Ziel der Koranexegeten ist es, den Koran gemäß den AnfordeCharles J. Adams. New York [u.a.]: Free Press, 1965. 287-337. rungen und Bedürfnissen des Zeitalters neu zu interpretieren und verständlich zu Arkoun, Mohammed: Der Islam. Annäherung an eine Religion. Vorw. von machen. Gernot Rotter. Aus dem Franz. von Michael Schiffmann. Heidelberg: Palmyra, In diesem Zusammenhang wurde dieses sich erneuernde und reformatorische 1999. Potenzial des Korans im 19. und 20. Jahrhundert auf den Prüfstand gestellt: An- Ateş, Süleyman: Die geistige Einheit der Offenbarungsreligionen. Übersetzt von gesichts der sozialen, technischen und wissenschaftlichen Unterlegenheit der Abdullah Takım. Istanbul: Yeni Ufuklar, 1998. Seite | 9 Abdullah Takım: Trag vor im Namen deines Herren, der euch erschaffen hat … (Sure 96:1-5) Ateş, Süleyman: Kur’ân Ansiklopedisi. Bd. 1-30. Istanbul: KUBA, 1997-2003. Ateş, Süleyman: Yeniden Islâma: Kur’ân-ı Kerîm’in Evrensel Mesajı. Bd. I-II. Istanbul: Kur'an Okulu, 1997. Ateş, Süleyman: Yüce Kur'ân'ın Çağdaş Tefsîri. Bd. 1-12. 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Für Muslime gilt es als oberstes Prinzip, die Gerechtigkeit herbeizuführen und die Ungerechtigkeit zu unterbinden.1 Daher thematisiert der Koran, der nach islamischem Verständnis ein Buch göttlichen Ursprungs ist, einige Rechtsfälle und bestimmt auch einige Urteile – darunter auch Strafen – um das Leben der Muslime gemäß der Gerechtigkeit zu formen. Da der Koran für die Muslime als die objektive Kraft für die Bestimmung des Guten und Bösen gilt, haben muslimische Gelehrte ein Rechtssystem entwickelt, in dem der Koran und die Sunna als die primären Quellen gelten. Hierauf folgt der Konsens der Gelehrten (iǧmāʿ), der sich auf den Koran und die Sunna stützt. Als letzte Quelle wurde der Analogieschluss (qiyās) bestimmt, der einen direkten Bezug zum Koran und zur Sunna hat und neue Situationen anhand der ratio legis (ʿilla) mit dem koranischen Urteil vergleicht und – falls es möglich ist – die neue Situation aufgrund der Analogie mit dem älteren Urteil qualifiziert.2 Wie aus den Ausführungen ersichtlich ist, ist ein starker Bezug auf die textuellen Quellen vorhanden, für dessen Ausprägung aš-Šāfiʿī verantwortlich gemacht wird. Die Mainstreammeinung besagt, dass dies ein Verdienst und eine große Leistung ist, wohingegen andere behaupten, dass dies zur Stagnation des islamischen Rechts geführt hat und die dynamische Seite des Rechts ausgeblendet wurde.4 Aufgrund des Fokus auf die Texte, der nach aš-Šāfiʿī durch Ibn Ḥanbal noch stärker betont wurde, hat sich das islamische Recht dahingehend geformt, das die literarisch-interpretative Seite ausgeprägt und der qiyās somit immens gestärkt wurde.5 Ziel dessen war, die Rechtssicherheit im islamischen Reich zu gewährleisten und die Willkür des Menschen zu unterbinden, damit ein gottgefälliges Rechtssystem aufgebaut werden konnte.6 Ein anderer Faktor für diese Ausprägung ist wahrscheinlich die Haltung der ummayyadischen Dynastie, welche wider dem göttlichen Willen Urteile erlassen ließ und sich immer mehr von den koranischen Vorschriften entfernte. Jedoch wurde durch die islamischen Rechtsmethodologen und Theologen (mutakallimūn), schon vor dieser dargestellten Ausprägung, früh erkannt, dass der reine Textbezug und die stark literarisch-interpretative Herangehensweise nicht jede neu entstandene Situation šarīʿakonform beurteilen konnte. Diese Problematik führte zu der Fragestellung, welche Ziele (maqāṣid) die Šarīʿa zu erreichen beabsichtigt, und ob die festgelegten Urteile im Koran wortlautgetreu angewendet werden müssen, oder ob man die Essenz und die Absicht beachtend die Ausführung ändern kann. Des Weiteren musste diskutiert werden, welche Urteile sich ändern können. Können sich alle Urteile ohne eine Unterscheidung ändern oder muss man sich auf die zwischenmenschlichen Beziehungen (darunter auch Zivilrecht, Öffentliches Recht), welche al-muʿāmalāt genannt Seite | 12 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa werden, beschränken, da die gottesdienstlichen Handlungen (al-ʿibādāt) keiner Änderung unterliegen? Durch diese Problemfelder wurde eine weitere Diskussion im islamischen Recht entfacht, die stark rechtsphilosophisch ausgeprägt ist und Maqāṣid aš-šarīʿa (Ziele und Absichten des Religionsgesetzes) genannt wird. Die theoretische Diskussion der islamischen Rechtsphilosophie, die anfangs unter der Überschrift al-qiyās (Analogieschluss) diskutiert wurde – die Gründe dafür werden im Verlauf dargestellt – wird mit dem 5./11. Jahrhundert datiert. Der erste, der diese Thematik systematisch und theoretisch diskutiert hat, ist Imām al-Ḥaramayn al-Ǧuwaynī (gest. 478/1085).7 Meiner Lesung nach lässt sich aber das Fundament dieser Diskussion und allgemein ihre Entstehung früher datieren, und zwar mit dem Propheten Muḥammad und der Verkündung des Korans. „maqāṣid“ und Abū Manṣūr al-Māturīdī (333/944) mit seiner großen Kenntnis über den uṣūl al-fiqh und seinem Prinzip des nasḫ iǧtihādī voraus.10 Vor alǦuwaynī können noch weitere Namen wie al-Ǧaṣṣāṣ (gest. 370/980) und alḪwārazmī (gest. 387/997) genannt werden, die sich auch mit dieser Thematik befasst haben, jedoch betiteln sie diese Diskussion nicht als Maqāṣid, sondern führen ihre Ansichten im Rahmen des istiḥsān und maṣlaḥa an.11 Diese Tradition, die Maqāṣid aš-šarīʿa unter maṣlaḥa und istiḥsān zu diskutieren, wird sich später im klassischen uṣūl al-fiqh auch durchsetzen. Wird der istiḥsān nun auch als ein Zweig der Diskussion um Maqāṣid aš-šarīʿa verstanden, was durchaus möglich ist, so kann die Bearbeitung von Maqāṣid bis auf Abū Ḥanīfa (gest. 150/767), Abū Yūsuf (gest. 182/798) und Muḥammad ibn Ḥasan aš-Šaybānī (gest. 189/805) zurückgeführt werden.12 In den Fußstapfen dieser genannten muǧtahidūn voranschreitend kann man den Anfang der Diskussionen über Mālik ibn Anas (gest. 179/795) bis zu Muḥammad ibn Idrīs aš-Šāfiʿī Die Anfänge der islamischen Rechtsphilosophie (gest. 204/819) fortführen. Während Mālik ibn Anas die Wichtigkeit von istiḥsān Die Ausführungen von al-Ǧuwaynī, der – wie erwähnt wurde – als erster Syste- mit dem Leitsatz „al-istiḥsān tisʿat aʿšar al-ʿilm (istiḥsān ist neunzehntel des matiker der Diskussion um Maqāṣid aš-šarīʿa gilt, beinhalten einige Indizien Wissens/der Wissenschaft)“ betont und eine sehr große Bedeutung der Beachdarauf, dass schon vor ihm teilweise auf theoretischer Basis diese Diskussion tung der maṣlaḥa mursala zugeschrieben hat,13 verwarf aš-Šāfiʿī die Nutzung des geführt und einige Ergebnisse festgehalten wurden. Denn die Erkenntnisse von istiḥsān mit dem bekannten Leitsatz „man istaḥsana faqad šarraʿa (wer gutal-Ǧuwaynī basieren größten Teils auf den Ergebnissen von al-Bāqillānī (gest. dünkt/istiḥsān betreibt, der stellt eine eigene Šarīʿa auf)“14. Die Tatsache, dass aš 403/985). Zu diesen Ergebnissen hatte al-Ǧuwaynī Zugang, da er Schüler von al- -Šāfiʿī keinen Bezug auf die maṣlaḥa genommen hat, zeigt, dass die Diskussion Bāqillānī war und sein rechtsmethodisches Werk at-Taqrīb wa-l-iršād fī tartīb um den istiḥsān früher entstanden ist als die Diskussion um maṣlaḥa.15 Da aber ṭuruq al-iǧtihād unter dem Namen at-Talḫīṣ zusammengefasst hat.8 Da alder istiḥsān eher auf den qiyās bezogen ist und sich indirekt mit der Maqāṣid beǦuwaynī auch zugleich ein Kalāmwissenschaftler (mutakallim) war, kannte er fasst, ist es wissenschaftlich betrachtet korrekt, den Anfang der theoretischen 9 sich sehr gut mit den Diskussionen um aṣlaḥ und ḥusn-qubḥ aus. Hier kann fest- Diskussionen bei al-Ǧuwaynī beginnen zu lassen, welcher sich konkret und exgestellt werden, dass die Diskussion um Maqāṣid sich in den Kalāmdiskussionen plizit mit der Thematik befasst hat. Es können trotzdem einige Gelehrte im Vorfinden, auf diese basieren lässt und früher als das 5./11. Jahrhundert zu datieren aus genannt werden, um zu zeigen, dass die Ergebnisse von al-Ǧuwaynī nicht in ist. Auch wenn al-Ǧuwaynī der erste in diesem Feld ist, gehen ihm aš-Šāfiʿī einem Milieu entstanden sind, das völlig frei von ähnlichen Überlegungen war. (gest. 204/819) mit einigen Ansätzen im Qiyāsverständnis, Ḥākim at-Tirmiḏī Heute wird auch die Ansicht vertreten, dass die Grundlagen der Maqāṣid aš(gest. Ende 3./9. Jahrhundert) mit der weiträumigen Nutzung des Wortes šarīʿa auf den Propheten, ja sogar auf die Verkündigung des Korans zurückzu- Seite | 13 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa führen ist. Diese Ansicht teilend, wird die historische Skizze in diesem Aufsatz mit der Prophetie Muḥammads begonnen, über die Prophetengefährten und die ersten Muǧtahidūn wie Abū Ḥanīfa, Abū Yūsuf, Mālik ibn Anas, aš-Šāfiʿī und weiteren genannten Gelehrten bis al-Ǧuwaynī weitergeführt. Auch wenn der Anfang der theoretischen Diskussion vielseitig betrachtet und variabel gestaltet werden kann, ist die Entwicklung nach al-Ǧuwaynī relativ eindeutig. Als Nachfolger al-Ǧuwaynīs gilt sein Schüler Abū Ḥāmid al-Ġazālī (gest. 505/1262), der die Gedanken seines Lehrers systematisiert und bedeutend weiterentwickelt hat.16 Obwohl die ihm nachfolgenden Gelehrten wie ar-Rāzī (gest. 606/1209), al-Āmidī (gest. 631/1233), Ibn ʿAbd as-Salām (gest. 660/1262) und al-Qarāfī (gest. 684/1285) die Hauptthesen mehrheitlich rezipiert haben, haben sie auch für wichtige Entwicklungen in diesem Themenfeld beigetragen. Besonders hervorstechend sind Ibn ʿAbd as-Salām und al-Qarāfī, ein Schüler Ibn ʿAbd as-Salāms.17 Denn diese haben der maṣlaḥa eine weitere sufische Betrachtungsweise verliehen, die im Verlauf dargestellt wird. Aṭ-Ṭūfī (gest. 716/1316), Ibn Taymiyya (gest. 728/1328) und Ibn Qayyim al-Ǧawziyya (gest. 751/1350) sind Gelehrte, welche die Beachtung der maṣlaḥa in den Urteilen oder bei fatwās (Rechtsgutachten) sehr betonen.18 Aṭ-Ṭūfī stößt aufgrund der übermäßigen Betonung der maṣlaḥa sogar auf heftige Kritik, weil er bei einem Widerspruch oder einer Kollision zwischen naṣṣ, iǧmāʿ und maṣlaḥa die Beachtung der maṣlaḥa vorzieht (taqdīm al-maṣlaḥa).19 Eine besonders große Entwicklung hat schließlich bei Abū Isḥāq aš-Šāṭibī (gest. 790/1388) stattgefunden. Dieser integriert die vor ihm vorhandenen Ergebnisse in seine Untersuchungen und entwickelt sie weiter, gibt dieser Thematik die besondere Wichtigkeit, die heutzutage immer wieder betont wird.20 Die konkreten Beiträge werden später im Detail bei der historischen Skizze dargestellt. Mit den politischen Entwicklungen in der Moderne, durch die Publikation der Werke von aṭ-Ṭūfī und aš-Šāṭibī hat die Betonung der Maqāṣid im uṣūl al-fiqh u. a. aber auch als selbstständige Disziplin – so wie Ibn ʿĀšūr es betont21 – eine immense Bedeutung erlangen können. Parallel zu dieser positiven Entwicklung ha- ben Gelehrte wie aṭ-Ṭāhir ibn ʿĀšūr (gest. 1973) und ʿAllāl al-Fāsī (gest. 1974) eigenständige Werke über Maqāṣid aš-šarīʿa verfasst.22 In diesem Aufsatz werden nun im Folgenden die wichtigsten Termini in dieser Diskussion definiert, ihre Widersacher, Befürworter und der Inhalt der Diskussion dargestellt und hiernach die Entwicklung der Maqāṣid skizziert und die Hauptthesen der wichtigsten Gelehrten präsentiert. Definition von Maqāṣid aš-šarīʿa Das Wort Maqāṣid aš-šarīʿa besteht aus zwei Begriffen und bildet eine Genitivverbindung (al-muḍāf wa-l-muḍāf ilayh). Maqāṣid wird von den Radikalen m-q-ṣ abgeleitet. Das Verb (fiʿl) qaṣada bedeutet „beabsichtigen, bezwecken“.23 Aus diesen Radikalen gebildet bedeutet der Plural von maqṣid, nämlich maqāṣid „Ziele, Absichten“.24 In Verbindung mit dem Wort aš-šarīʿa, welches im Deutschen gewöhnlich mit Religionsgesetz wiedergegeben wird, bedeutet diese Genetivverbindung „Ziele, Zwecke, Absichten des Religionsgesetzes“25.26 Als Synonym für diesen Begriff werden auch Bezeichnungen wie maqāṣid aš-šāriʿ (Absichten des Gesetzgebers), maqāṣid at-tašrīʿ (Absichten der Gesetzgebung), al-maqāṣid aš-šarʿiyya (šarīʿarechtliche Absichten) und in modernen Untersuchungen ahdāf aš-šarīʿa (Zwecke des Religionsgesetzes) und rūḥ aš-šarīʿa (Geist des Religionsgesetzes)27, ḥikma at-tašrīʿ (Weisheit der Gesetzgebung), falsafat at-tašrīʿ (Philosophie der Gesetzgebung)28 genutzt. Das Bezeichnende in der Beachtung der Maqāṣid aš-šarīʿa ist, dass die Theorie eng verbunden mit der Praxis behandelt wird. Denn die Grundzüge der Maqāṣid lassen sich auf die praktische Anwendung des Propheten und seiner Gefährten zurückführen. Sowohl der Prophet als auch seine Gefährten haben das Allgemeinwohl (maṣlaḥa) der Menschen beachtet und dementsprechend Urteile gefällt, revidiert oder sogar aufgehoben.29 Falaturi betont außerdem, dass die Gefährten sogar gegen den Wortlaut des Korans gehandelt haben, weil sie nicht unabhängig von der damaligen Situation urteilten. Als eines der Hauptfiguren der Seite | 14 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa Prophetengefährten ist ʿUmar ibn al-Ḫaṭṭāb, der die Maqāṣid sehr betont und dementsprechend geurteilt hat. 30 Hallaq stellt dar, dass Gelehrte wie as-Saraḫsī, al-Pazdawī, ad-Dabūsī den al-furūʿ – somit den praktischen Teil des fiqh – und den uṣūl zusammen betrachtet haben, wodurch sie anhand der Induktion ein uṣūl -System entwerfen konnten.31 Atay ist auch ähnlicher Meinung und sieht den Rückgang der Wissenschaften in der islamischen Welt aufgrund der Aufgabe der Induktion (istiqrāʾ) und Übernahme der Deduktion – wie die Methode der mutakallimūn im uṣūl. Somit sei die Beziehung zu der Realität verloren.32 Neben den genannten Gelehrten nennt Opwis zusätzlich die Namen aṭ-Ṭūfī, Ibn Taymiyya, Ibn Qayyim und aš-Šāṭibī, die sich gegen die übertriebene Formalität der mutakallimūn-Methode widersetzen und die Induktion betonen, wodurch die Verbindung zu der Realität aufrechterhalten und die strikten Formalitäten für einen dynamischen fiqh aufgehoben werden soll.33 Aufgrund dieser Verbundenheit der Praxis und der Theorie haben die muslimischen Rechtsmethodologen (uṣūliyyūn) das Allgemeinwohl (al-maṣlaḥa) im Rahmen der Maqāṣid aš-šarīʿa behandelt, ja sogar die maṣlaḥa als Synonym für Maqāṣid verwendet, da sie die Beachtung der Maqāṣid mit der Beachtung der maṣlaḥa gleich gesehen haben.34 Daher lassen sich die theoretischen Diskussionen und die damit verbundenen Ergebnisse der Maqāṣid in der klassischen uṣūl-Literatur besonders unter der Überschrift almaṣlaḥa (al-mursala) wiederfinden. In der klassischen Literatur werden Begriffe wie ḥikma (Weisheit), ʿilla (ratio legis), sabab (Grund), maʿnā (Bedeutung, Sinn) und waṣf al-munāsib (passende/ s Eigenschaft/ Merkmal) mit dem Maqāṣid aš-šarīʿa-Begriff synonym benutzt. Auch wenn diese Begriffe synonym benutzt werden, sind sie dennoch nicht so umfassend wie der Begriff Maqāṣid aš-šarīʿa. Denn dieser ist allgemeiner im Gegensatz zu den Synonymen in der klassischen Literatur, welche speziell nur auf die detailspezifischen Urteile abzielen und sie nicht als gesamtes Konzept betrachten.35 Da auch andere Begriffe für Maqāṣid verwendet wurden, wurde in der klassischen Literatur auch kein gesondertes Kapitel für die Maqāṣid aššarīʿa angeordnet. Meist kann man die Diskussionen über diese unter den Kapi- teln der maṣlaḥa bzw. maṣlaḥa mursala finden, oder unter waṣf al-munāsib, der unter den Kapiteln zum qiyās subsummiert wird.36 Weitaus übersichtlicher sind die neueren uṣūl-Werke, welche aber die Thematik um Maqāṣid aš-šarīʿa nicht behandeln, sondern – ähnlich wie die klassischen Werke – diese unter der maṣlaḥa mursala, dem istiḥsān zur Sprache bringen. Doch ist in den neueren Werken die Behandlung der maṣlaḥa und dergleichen nicht unauffällig unter dem qiyās verteilt, sondern meist als „sekundäre/derrivate Quellen“ aufgeführt und sichtbar gekennzeichnet.37 Nun da die Maqāṣid unter den qiyās subsummiert wird, kann der Grund hierfür an dieser Stelle untersucht werden. Der qiyās (Analogieschluss) ist zwar streng an formelle Regeln gebunden, doch lässt sich durch die Beachtung der passenden Eigenschaft (waṣf al-munāsib) die Maqāṣid darin auch anwenden. Wenn eine ʿilla (ratio legis) in einem Qiyāsvorgang zu keinem šarīʿakonformen Urteil führt, so ist auch der qiyās nicht gültig (fāsid). Außerhalb einiger Muʿtaziliten wie Naẓẓām, den Ẓāhiriten und Šiʿīten akzeptiert die Mehrheit der Rechtsgelehrten (ǧumhūr min al-fuqahāʾ) den qiyās für die Ableitung von Urteilen aus Koran und Sunna.38 Dementsprechend nehmen auch die Gelehrten an, dass die Urteile eine ʿilla besitzen (muʿallal), um mit dieser in den Urteilen eine ḥikma zu verfolgen und die diesseitige bzw. jenseitige maṣlaḥa zu verwirklichen.39 Falls nun ein neues Urteil (farʿ/al-maqīs) dieselbe ʿilla wie das basisbietende Urteil (aṣl/al-maqīs ʿalayh) hat, so wird ein Analogieschluss gezogen und der farʿ gleich bewertet wie der aṣl.40 Als Beispiel kann man den Qiyāsvorgang im Bezug auf den Wein nennen. Veranschaulichen wir den Qiyāsvorgang mit den entsprechenden Schritten: 1. Al-Aṣl/al-Maqīs ʿalayh: Wein (ḫamr) ist verboten, denn es wird im Koran das Verbot gegen den Wein erwähnt: „Ihr Gläubigen! Wein, das Losspiel, Opfersteine und Lospfeile sind (ein wahrer) Greuel und des Satans Werk. Meidet es! Vielleicht wird es euch (dann) wohl ergehen“ (5|90). Darin befindet sich auch der ḥukm al-aṣl (Urteil des basisbietenden Elements). 2. Al-ʿIlla: Wein ist alkoholisierend und berauschend (muskir), was dazu führt, dass der Mensch sich nicht gesittet und korrekt verhält und der Verstand geraubt Seite | 15 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa und negativ beeinträchtigt wird. 3. Al-Farʿ/al-maqīs: Angenommen das Bier wird als die zu vergleichende Flüssigkeit betrachtet. Bier birgt in sich auch die Eigenschaft, zu berauschen und den Menschen zu alkoholisieren. 4. Ḥukm al-aṣl: ḫamr ist ḥarām (verboten). Ḥukm al-farʿ: Beide Substanzen haben dieselbe ʿilla. Aufgrund dieser Beziehung kann geschlussfolgert werden, dass Bier gleichermaßen wie Wein (ḫamr) verboten (ḥarām) ist. Aus diesem Analogieschluss kann nun geäußert werden, dass jede beliebige Flüssigkeit oder Substanz, die die ʿilla „alkoholisierend“ oder „berauschend“ trägt, dementsprechend auch verboten wird, weil der farʿ und der aṣl durch die ʿilla verbunden werden.41 Der Qiyāsvorgang zeigt, dass man durch die Bestimmung der ʿilla die Maqāṣid auch anwenden kann. Denn al-Ǧaṣṣāṣ (gest. 370/981) weist auch darauf hin, dass Gott hinter den Urteilen bestimmte Absichten hat, die er an eine ʿilla gebunden hat. Denn Gott handle nicht zwecklos (ʿabaṯ). Alle seine Handlungen seien einer großen, erhabenen Absicht gewidmet. Daher existiere ein Urteil, wenn die ʿilla auch vorhanden ist; das Urteil verschwindet, sobald die ʿilla auch verschwindet.42 Der qiyās ist eben aus diesem Grund so wichtig, weil mit dieser Methode neu entstandene Situationen šarīʿakonform bewertet werden können. Obwohl die nuṣūṣ begrenzt sind, sind die neu entstehenden Situationen unendlich.43 In diesem Rahmen bietet der qiyās einen Platz für die Diskussion um Maqāṣid, welche demselben Ziel dienen: šarīʿagerechte Beurteilung neuer Situationen. Da für den qiyās die Bestimmung der ʿilla und somit auch die Beachtung der Maqāṣid wichtig ist, haben sich die Rechtsmethodologen auch mit der Problematik der Feststellung der ʿilla beschäftigt, denn die ʿilla verbindet den farʿ mit dem aṣl. Die Mehrheit der Gelehrten ist der Meinung, dass die ʿilla aus den Texten abgeleitet werden müssen. Daher müsse die ʿilla Kriterien wie ẓāhir (deutlich), munḍabiṭ (fest) und „die Eigenschaft sich auf den farʿ übertragen zu lassen“ erfüllen.44 Die Gegenmeinung vertritt die Ansicht, die ʿilla sei mit der Weisheit (ḥikma) zu bestimmen, wodurch man die Maqāṣid besser beachten kann. Aber die ḥikma kann die genannten drei Kriterien nicht immer erfüllen. 45 Daher wird die erste Auffassung unter den Gelehrten eher vertreten, um Rechtssicherheit zu schaffen und die Willkür einzubinden.46 Die Konsequenz für die Praxis und Urteilsfällung wäre beispielsweise die Behandlung der (juristischen) Lizenz (ar-ruḫṣa), das Fasten auszulassen. Wird durch den Text die ʿilla bestimmt, so ist das „sich auf Reisen befinden (fa-man kāna minkum […] ʿalā safarin)“47 die ʿilla. Somit kann jeder, der sich auf einer Reise befindet auf diese Lizenz berufen. Wird die ʿilla aber durch die Weisheit (ḥikma) bestimmt (taʿlīl) 48, so ist die Mühsal (mašaqqa) der bestimmende Faktor der Lizenz. Ist eine Reise nicht mühselig, so ist es nicht richtig, sich auf diese Lizenz zu berufen. Jedoch ist die Mühseligkeit der Reise sehr subjektiv, wodurch jeder für sich entscheiden muss, ob er fastet oder es unterlässt. Daher berufen sich die Gelehrten eher auf die Bestimmung der ʿilla durch den Text, wodurch jeder gleich behandelt und die Rechtssicherheit aufrecht erhalten wird. Wie oben erwähnt ist die al-munāsaba ein weiterer wichtiger Faktor der Beachtung der Maqāṣid im Rahmen des qiyās. Es wird überprüft, ob die ʿilla zwischen aṣl und farʿ passend (munāsib) ist. Laut Pekcan sind die meisten Qiyāsvorgänge durch diese Art durchgeführt und die ʿilla demgemäß bestimmt worden. Er fasst die Definitionen von ad-Dabūsī, al-Qarāfī und ar-Rāzī zusammen und führt folgendes Ergebnis an: Der waṣf al-munāsib (die passende Eigenschaft) ist das, was der Vernunft der Menschen entspricht, den Nutzen bringt und den Schaden vermeidet.49 Daraus ist leicht zu erkennen, dass hiermit das Hauptziel der Maqāṣid aš-šarīʿa genannt wird, nämlich die Herbeiführung des Nutzens und die Abwendung des Schadens (ǧalb al-manāfiʿ wa-dafʿ al-mafāsid). Die Rechtsmethodologen unterscheiden zwischen verschiedenen Formen der waṣf al-munāsib: a. Munāsib ḥaqīqī: Die wirkliche/reale Beziehung bzw. Verbindung zwischen den Urteilen. Dazu kann das genannte Beispiel bezüglich des Alkohols herangezogen werden. In diesem Bereich werden die munāsib außerdem in dunyawī (diesseitig) und uḫrawī (jenseitig) unterteilt. Die Beachtung der Diesseiti- Seite | 16 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa gen ist der Schutz der Religion, des Lebens, der Vernunft, der Nachkommen und des Besitzes. Auffällig ist hier auch der Schutz dieser fünf Elemente, denn diese werden später bei al-Ġazālīs Erarbeitung unter maṣlaḥa als Maqāṣid aš-šarīʿa dargestellt.51 Neben diesen ḍarūriyyāt (!) werden auch die ḥāǧiyyāt (!) und taḥsīniyyāt (!) – drei Leitbegriffe in der Abhandlung der Maqāṣid-Theorie, die im Verlauf unter maṣlaḥa dargestellt und erklärt werden – beachtet. Der Schutz der jenseitigen Elemente wird durch die ʿibādāt und den ethischen Prinzipien verwirklicht.52 b. Munāsib iqnāʿī (anscheinende Beziehung): Auch wenn auf dem ersten Blick eine Verbindung vorhanden zu sein scheint, ist durch weitere Überlegung keine Verbindung vorhanden.53 c. Munāsib muʾaṯṯir: Die Beziehung wird durch naṣṣ und iǧmāʿ dargestellt oder angedeutet. Das heißt es gibt einen bestimmten naṣṣ über diese ʿilla.54 d. Munāsib mulāyim: Dass diese ʿilla geltend ist, wird nicht in derselben naṣṣ des sich dort befindenden ʿilla dargestellt, sondern in einer anderen Koranpassage oder in einem Ḥadīṯ. e. Munāsib ġarīb: Durch Gott wird diese ʿilla als nichtig erklärt. Dementsprechend ist auch ein taʿlīl mit solch einer ʿilla nicht möglich. Hier ist eine erstaunliche Ähnlichkeit zu dem Begriff maṣlaḥa mulġā zu beobachten, den ich im späteren Verlauf erklären werde. Auch wird diese Kategorie als al-munāsib almulġā bezeichnet.55 f. Munāsib mursal: Es gibt keine Anzeichen in den Quellen, ob solch eine munāsaba gültig oder ungültig ist. Diese werden auch maṣlaḥa mursala genannt.56 Dieser Bereich bildet den Dreh- und Angelpunkt für die Diskussionen um die Maqāṣid. Jedoch wird sie entweder als munāsib mursal oder maṣlaḥa mursala betitelt. Auch wenn die Gelehrten die Diskussion der Maqāṣid unter waṣf al-munāsib behandeln, liegt der Fokus eher in der Beachtung der maṣlaḥa, auf die ich an dieser Stelle eingehen möchte. al-Maṣlaḥa (Allgemeinwohl) Der Begriff maṣlaḥa wird von den Radikalen ṣ-l-ḥ abgeleitet. Wörtlich bedeutet es „das Gute, das Passende, richtig, gut und tadellos sein“. Als Terminus technicus wird es in dem Sinne genutzt, dass es das Gute bringt, das Schlechte abwehrt, passend zu einer Absicht einer Tatsache und nützlich ist und zum Guten führt. Das Antonym zu maṣlaḥa bzw. manfaʿa – diese beiden haben eine ähnliche Bedeutung und stehen für das Nützliche und Wohlbringende – ist mafsada oder maḍarra.57 In der englischen und deutschen Literatur wird maṣlaḥa als „public interest“58 bzw. als „Interesse, Wohlergehen, Allgemeinwohl“59 u.a. aber auch als „allgemeines Interesse“60 übersetzt. Die gängigste Definition und das Funktionsfeld der maṣlaḥa wird in der folgenden Formulierung dargestellt: Die maṣlaḥa sollte etwas Nützliches herbeiführen und etwas Schädliches abwehren (ǧalb al-manāfiʿ wa-dafʿ/darʿ al-mafāsid).61 Es werden oft die Verse (21|107), (2|185), (5|3) und (10|57) zitiert, um vorzuweisen, dass die Šarīʿa die maṣlaḥa der Menschen beachtet, das Gute herbeiführt und das Schlechte abwehrt.62 Doch welche Faktoren führen dazu, dass die maṣlaḥa beachtet werden muss, wenn schon der Koran existiert und die Menschen rechtleitet? Natürlich ist diese Frage damit zu beantworten, dass die soziale Situation der Menschen sich niemals in einer endlosen Stagnationsphase befinden kann. Ereignisse entstehen, die neu aufgegriffen werden müssen. Technische, medizinische und politische Entwicklungen finden statt. All diese Entwicklungen müssen nun im Lichte der Šārīʿa bewertet werden. Und der qiyās ist nicht die allgemeingültige, universelle Methode, die für die Bewertung dieser nützlich ist. Denn für den qiyās muss es bestimmte naṣṣ geben, die als aṣl für den farʿ dienen. Außerdem kann es auch dazu kommen, dass durch den bloßen qiyās Mühsal verursacht werden kann, wodurch die maṣlaḥa nicht mehr zustande kommt.63 Wie müssen Rechtsgelehrte nun vorgehen? Nach dem Tode des Propheten und analog dazu nach der Offenbarungsperiode haben die Prophetengefährten und die Nachfolger (tābiʿūn) versucht, solche Um- Seite | 17 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa stände durch den Geist der Šārīʿa zu bewerten und zu beurteilen. Spätere Gelehrten haben dann Methoden wie den istiḥsān, istiṣlāḥ und istiṣḥāb entwickelt, die zur Zeiten der obengenannten Generationen zwar durchgeführt aber nicht durch Begriffe festgelegt wurden.64 Dies bedeutet auch zugleich, dass bestimmte maṣlaḥa befolgt wurden, die nicht im koranischen Text erwähnt werden, d. h. dass sie weder befürwortet noch als nichtig erklärt (mursala) wurden. Doch damit verbunden entstand ein weiteres Problem. Und zwar sollte jetzt auf theoretischer Basis für ein kohärentes Rechtssystem allgemein definiert werden, welche maṣlaḥa unter welchen Bedingungen beachtet werden dürfen, gewiss sogar sollten. Fragen wie: „Welche Stufen gibt es, um eine Entscheidung unter den maṣāliḥ zu treffen, falls mehrere in einem Urteil vorhanden sind? Werden die maṣāliḥ mursala alle beachtet oder nur jene, die bestimmte Bedingungen erfüllen?“ sind nun entstanden. Um diese Fragen beantworten zu können, müssen zunächst die Arten der maṣlaḥa analysiert werden. Die maṣlaḥa wird im klassischen uṣūl al-fiqh in drei Arten unterteilt:65 a. Maṣlaḥa muʿtabara (gültige Interessen): Diese maṣlaḥa wird in den nuṣūṣ angegeben und müssen befolgt werden. Mit der Beachtung dieser maṣlaḥa kann qiyās ausgeübt werden. Dazu wird oft das Beispiel des Alkoholverbotes und mit dem damit verbundenen Qiyāsvorgang dargestellt. Diese Art der Maṣlaḥa ist mit der munāsib muʾaṯṯir gleichzusetzen.66 b. Maṣlaḥa mulġā (als nichtig erklärte, nicht zu beachtende Interessen): Diese maṣlaḥa wird daher nicht beachtet, weil in den nuṣūṣ diese auch unbeachtet geblieben ist. In den nuṣūṣ wird eine andere maṣlaḥa befolgt und diese durch den Menschen später erkannte maṣlaḥa dann vernachlässigt. Als Beispiel wird eine fatwā genannt, die einem König nicht erlaubt hat, die Sühne (kaffāra) für das unerlaubte Fastenbrechen auszuwählen. Eigentlich ist die Sühne entweder Arme zu speisen, 60 tagelang zu fasten oder einen Sklaven zu befreien. Jedoch hat ihm ein malikitischer Gelehrter namens Yaḥyā ibn Yaḥyā al-Layṯī die Optionen verwehrt und ihm auferlegt, 60 tage zu fasten. Denn aus den anderen beiden Strafen würde er nichts dazu lernen, da es für ihn aufgrund seines Reichtums zu einfach fallen und daher seine Haltung nicht bessern würde. Die Befolgung dieser maṣlaḥa sei aber hinfällig, da Gott den Menschen die freie Wahl zwischen den Sühnen bestimmt hat.67 Al-Ġazālī ist beispielsweise auch dieser Meinung.68 c. Maṣlaḥa mursala (unbeachtete, offengelassene, „unattested“ Interessen): Diese Art der Interessen wurden von Gott weder befürwortet noch als nichtig erklärt. Es sollte im Allgemeinen dafür dienen, um einen Schaden zu vermeiden und einen Nutzen zu bringen.69 Die maṣlaḥa muʿtabara und mulġā sind den Texten durch grammatikalische Auslegung zu entnehmen, jedoch sind die maṣāliḥ mursala schwierig zu ermitteln, da sie auf der Erfahrung der Menschen basieren und durch die teleologische Auslegung bestimmt werden. Daher variieren die Bedingungen für die Akzeptanz unter den Gelehrten, wohingegen andere Schulen die maṣlaḥa mursala verwerfen. Mālik ibn Anas und die Mehrheit der Mālikiten akzeptieren die maṣālih mursala als eine unabhängige Quelle. Generell gelten die Ḥanbaliten und Mālikiten als Befürworter, die Šāfiʿīten und Ḥanafiten als Gegner der maṣlaḥa mursala. Dies beschränkt sich aber auch nur auf die Theorie,70 denn die letzteren beiden Schulen weisen in ihrem System auch vielmals daraufhin, dass sie die maṣlaḥa mursala beachtet haben, vor allem die Ḥanafiten durch ihre weit verbreitete Methode des istiḥsān.71 Die Haltung der Šāfiʿīten kann nicht auf die Weise negativ ausgerichtet sein, wie es dargestellt wird, weil sie die Diskussionen über Maqāṣid dominieren und erheblich zur Entwicklung dieser Thematik beigetragen haben. Dabei kann man Namen wie al-Ǧuwaynī, al-Ġazālī, Ibn ʿAbd as-Salām nennen.72 Auf die Art und Weise, wie die Ḥanafiten die Beachtung der maṣlaḥa unter istiḥsān verstehen, verstehen die Ḥanbaliten deren Beachtung unter as-siyāsa aššarʿiyya.73 Zusammengefasst kann man sagen, dass all diese Rechtsschulen die maṣlaḥa mursala akzeptieren, jedoch die Methode unterschiedlich bezeichnen. Die Bedingungen für die Akzeptanz der maṣlaḥa mursala kann man aus der Untersuchung von al-Būṭī zusammenfassen. Dieser äußert, dass die maṣlaḥa passend zu den Maqāṣid sein muss, nicht dem Koran, der Sunna und dem qiyās wi- Seite | 18 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa dersprechen und nicht eine ähnliche oder eine vorzüglichere maṣlaḥa aufheben darf. 74 Mit den Worten al-Ġazālīs muss die gesuchte maṣlaḥa (a) ḍarūrī (notwendig), (b) qaṭʿī (definitiv) und (c) kullī (universell) sein. Aus den Untersuchungen von Pekcan kann resümierend dargestellt werden, dass die maṣlaḥa folgende Bedingungen erfüllen muss, um akzeptiert zu werden75: 1. Die maṣlaḥa darf nicht durch einen šarīʿrechtlichen Beweis für nichtig erklärt sein.76 2. Es muss sicher sein, dass diese maṣlaḥa auch existiert. D. h., dass man nicht entsprechend einer maṣlaḥa urteilen soll, die nur vermutet wird (wahmī) oder die die persönliche Neigung darstellt. 3. Die maṣlaḥa muss allgemein sein (kullī). Wenn sie speziell ist, kann man nicht dementsprechend urteilen. Wenn nun eine maṣlaḥa nicht den Nutzen der Allgemeinheit darstellt, sondern nur den Nutzen für eine oder wenige Personen beachtet, so kann man sie nicht als Quelle für die Füllung der Lücken im Recht gebrauchen. 4. Die maṣlaḥa muss mit dem Verstand zu erfassen sein (maʿqūl).77 5. Da die Stufen der maṣlaḥa interdependent sind, ist auch die Befolgung der maṣlaḥa auf allen drei Stufen unter den oben genannten vier Aspekten zu beachten. Jedoch hat die erste Stufe Vorrang gegenüber den anderen beiden, und die zweite gegenüber der dritten Stufe, falls eine Kollision zustande kommt und somit eine Entscheidungsfolge notwendig wird.78 Im letztgenannten Kriterium wurden die Stufen der maṣlaḥa angesprochen. Nun werden an dieser Stelle diese genannten Stufen der maṣlaḥa behandelt. Die Bedürfnisse der Menschen variieren je nach Wichtigkeit und Notwendigkeit. Menschen haben Bedürfnisse, die unter allen Umständen beachtet werden müssen. Zum Beispiel ist der Schutz des Lebens ein Bedürfnis, der notwendigerweise geschützt werden muss. Neben diesen notwendigen Bedürfnissen existieren ebenfalls andere, die den Menschen Erleichterungen (ruḫṣa) bringen oder den Luxus fördern bzw. das Leben noch komfortablerer gestalten und vereinfachen. Doch lassen sich keine klaren Grenzen unter diesen Stufen ziehen. Denn etwas, dass ehemals als Luxus angesehen worden ist, kann heute als etwas Unverzichtbares gelten. Hierbei ist das Automobil eines der vielleicht besten Beispiele. Zu früheren Zeiten könnte das Auto als Luxusgut kategorisiert werden, jedoch ist es heute ein unverzichtbares Mittel für das Leben der Menschen. Unter dieser Kategorie befindet sich aber auch natürlich der Besitz von Luxusgut; denn ein Auto zu benötigen heißt nicht zwangsläufig, dass man bspw. ein Luxussportwagen fahren muss. Demnach muss auch die Qualität des notwendigen Bedürfnisses bestimmt werden. Diese Unterscheidungen zwischen den Stufen sind sehr wichtig für das islamische Recht. Denn auch bei Almosengaben muss definiert werden, was zu den Grundbestandteilen des Besitzes gehört, von denen dann keine Almosensteuer (az-zakāh) gefordert wird. Daher haben die muslimischen Gelehrten die maṣlaḥa in drei Stufen unterteilt: ḍarūriyyāt, ḥāǧiyyāt und taḥsīniyyāt.79 Al-Ǧuwaynī und al-Ġazālī sind die ersten Gelehrten, die solch eine Teilung vorgenommen haben. Die Rohfassung der Kategorisierung als Fünfermodell stammt von al-Ǧuwaynī. Dieses Fünfermodell hat al-Ġazālī überarbeitet und auf drei Stufen reduziert. Seine Ausführungen wurden als Grundlage anerkannt und haben somit das sunnitisch-islamische Recht elementar beeinflusst.80 Spätere Gelehrten haben dann auch diese Teilung der maṣlaḥa-Stufen akzeptiert und übernommen. Aš-Šāṭibī betont, dass die Ermittlung dieser Stufen auf der Induktion basieren.81 Somit erhalten sie einen definitiven oder der sich der Definität annähernden Charakter. aḍ-Ḍarūriyyāt Die wichtigste Stufe der drei genannten sind die ḍarūriyyāt. Die ḍarūriyyāt müssen beachtet werden. Falls diese ignoriert werden, gerät die Ordnung im Diesseits verloren, wobei auch das Glück des Jenseits gefährdet wird. Außerdem kann eine Gesellschaft ohne Beachtung dieser nicht existieren.82 Bei der Berücksichtigung dieser Stufe der maṣlaḥa ist die gesellschaftliche Ordnung und Existenz grundlegend. Denn ohne den Schutz dieser Stufe kann eine Gesellschaft Seite | 19 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa nicht existieren. Der Schutz der ḍarūriyyāt besteht aus dem Schutz der fünf Notwendigkeiten (aḍ-ḍarūriyyāt al-ḫamsa/al-kulliyyāt al-ḫamsa/al-uṣūl al-ḫamsa) 83 : 1.Schutz der Religion (ḥifẓ ad-dīn) 2.Schutz des Lebens (ḥifẓ an-nafs) 3.Schutz der Vernunft (ḥifẓ al-ʿaql) 4.Schutz der Nachkommen (ḥifẓ an-nasl) 5.Schutz des Besitzes (ḥifẓ al-māl). Es gibt keinen Konsens unter den Gelehrten, welche Stufe am schutzwürdigsten ist.84 Daher ist auch keine klare Hierarchie vorhanden. Gelehrte wie al-Qarāfī wiederum zählen weitere Elemente unter den ḍarūriyyāt wie z.B. den Schutz der Ehre (ḥifẓ al-ʿirḍ). Aber generell gelten die aḍ-ḍarūriyyāt al-ḫamsa als die Basiselemente; alle anderen Elemente wie Schutz der Ehre können unter diesen fünf subsummiert werden.85 Es wird betont, dass die ḍarūriyyāt nicht nur im islamischen Recht befolgt werden, sondern dass sie religionsübergreifend sind. Jede Gesellschaft versucht, diese zu schützen, damit sie überhaupt existieren können.86 Der Schutz dieser fünf Elemente liegt des Weiteren auch in der fiṭra87 des Menschen,88 so wie aṭ-Ṭāhir ibn ʿĀšūr es auch betont.89 Da die islamische Religion der fiṭra des Menschen entspricht, sie beachtet und dementsprechend auch Urteile aufstellt, ist der Schutz dieser fünf Elemente unumgänglich. Die gegenseitige Hilfe, der Überlebenswille, den Schaden zu vermeiden; all diese Elemente liegen in der fiṭra des Menschen. Und diese können durch den Schutz der aḍḍarūriyyāt al-ḫamsa gewährleistet werden. Der Vers (30,30) weise darauf hin, dass die Šarīʿa der fiṭra entsprechend sei.90 Auch wenn Begriffe wie Gerechtigkeit, Freiheit oder Gleichheit nicht explizit unter diesen fünf Notwendigkeiten genannt werden, können all diese unter der aḍ-ḍarūriyyāt al-ḫamsa subsummiert werden.91 Die Legitimation der ḍarūriyyāt wird unter anderem im Koran in Vers (60,12) gefunden. Unter anderem befürworten Verse wie (2,256), (10,99) und (88,22) den Schutz der Religion, (2,188), (3,130), (4,3), (5,38) und (89,19-29) den Schutz des Besitzes, (17,32) und (24,3; 19) den Schutz der Nachkommen und (4,93), (5,32), (6,151) und (17,33) den Schutz des Lebens. Ebenfalls sind viele Ḥadīṯe vorhanden, die als Legitimation bzw. Beweis für den Schutz der fünf Notwendigkeiten dienen.92 al-Ḥāǧiyyāt Auf der zweiten Stufe nach den ḍarūriyyāt befinden sich die ḥāǧiyyāt (bedürfnisorientierte Interessen).93 Auf dieser Stufe wird durch die Nichtbeachtung der ḥāǧiyyāt die Existenz zwar nicht gefährdet, jedoch wird den Menschen übermäßige Mühsal und Bedrängnis auferlegt.94 Doch befinden sich diese Bedrängnisse und die Mühsal nicht auf der Stufe der ḍarūriyyāt, wodurch die Existenz nicht gefährdet werden kann.95 Als Leitmotiv kann hier die Prämisse dafʿ al -ḫaraǧ wa-l-mašaqqa (Abwehr des Mühsals und des Bedrängnisses) gelten.96 Das Hauptmerkmal der ḥāǧiyyāt ist somit nicht das „Muss“ aufgrund der Existenzgefährdung, sondern die Aufhebung der Mühsal und des Bedrängnisses. Auch kann man aus dem Vers (4|28) „Gott will euch Erleichterung gewähren. Der Mensch ist (ja) von Natur schwach“ dieses Prinzip ableiten. Ibn ʿĀšūr betont, dass der größte Bereich des Rechts, nämlich die muʿāmalāt sich auf dieser Stufe der Interessen befindet. Daher ist diese Stufe die Umfangreichste der drei Stufen.97 Methoden wie dafʿ al-ḫaraǧ (Abwehr der Mühsal), at-taysīr (Vereinfachung) und ar-ruḫṣa (Lizenz, Erlaubnis) fallen unter die Beachtung der ḥāǧiyyāt. at-Taḥsīniyyāt Die dritte Stufe der Kategorisierung der maṣlaḥa bilden die taḥsīniyyāt. Diese zielen auf die Verbesserung der Interessen und der Bedürfnisse der Menschen, ergänzen und verschönern das Leben. Sie sorgen dafür, dass gute Dinge besser hervortreten können. Wenn man diese nicht beachtet, entsteht weder ein Mühsal wie auf der Ebene der ḍarūriyyāt, welche existenzgefährdend wirken, noch wie Seite | 20 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa auf der Ebene der ḥāǧiyyāt, welche eine möglichst zu vermeidende Bedrängnis hervorruft. Auf sie kann verzichtet werden, sofern keine Mühsal dadurch zustande kommt.98 Auch wenn durch die dargestellte Kategorisierung der Anschein erweckt wird, es seien klare Grenzen unter den drei Stufen vorhanden, zeigt die Theorie des uṣūls, dass eine klare Trennung nicht möglich ist; die genannten Stufen sind ineinander übergreifend. Daher haben die Rechtsmethodologen Zwischenstufen entwickelt, die mukammilāt, takmīlāt und tatimmāt genannt. Jede Stufe wird mit diesen takmīlāt miteinander verbunden. 99 Als takmila der ḍaruriyyāt kann folgendes Beispiel genannt werden: der geringe Konsum des Alkohols ist ebenso verboten wie der Konsum, der zur Trunkenheit führt.100 Diese Art der Urteilsbestimmung bzw. Argumentation wird auch argumentum a fortiori101 genannt.102 Der Schutz der genannten Stufen hingegen kann sowohl passiv als auch aktiv gestaltet werden. Zum Beispiel kann der Schutz der Religion durch das aktive Handeln wie Gewährleistung der Lebensfreiheit, Schutz der Gesundheit, Freiheit rechtliche Unternehmungen durchzuführen gewährleistet werden.103 Durch bestimmte Normen bzw. Sanktionen hingegen ist der passive Schutz gewährleistet. Beispielsweise verbietet der Vers (5,32), Menschen zu töten. In ähnlicher Weise wird der Schutz für die restlichen Interessen gestaltet.104 Als Letztes ist es noch wichtig zu nennen, dass die Beachtung aller Stufen wichtig ist, da die Stufen interdependent sind. Aš-Šāṭibī bearbeitet diese Beziehung detailliert heraus. Seine Ergebnisse können folgendermaßen zusammengefasst werden: 1. Die ḍarūriyyāt sind der Grundbaustein für die ḥāǧiyyāt und taḥsīniyyāt, 2. Wenn die ḍarūriyyāt geschädigt werden, werden die beiden anderen Stufen auch negativ beeinflusst und aufgehoben, 3. Die Schädigung der ḥāǧiyyāt und taḥsīniyyāt führt nicht zur Schädigung der ḍarūriyyāt, jedoch die Aufhebung der ersteren kann dem letzteren schaden und 4. Für die ḍarūriyyāt müssen die ḥāǧiyyāt und taḥsīniyyāt geschützt werden, da sie als ergänzende Elemente für die höchste Stufe gelten. Ihre Störung oder Aufhebung kann die ḍarūriyyāt schädigen.105 Somit müssen alle Stufen beachtet werden, falls ein neues Urteil gefällt werden muss, wenn die naṣṣ die maṣlaḥa nicht bewirken. Die Methode hingegen, die auf der maṣlaḥa basiert und sie anwendend neue Urteile formt, wird istiṣlāḥ genannt. al-Istiṣlāḥ Der istiṣlāḥ ist eine sekundäre, untergeordnete Methode bzw. Quelle (al-maṣādir al-farʿiyya at-tabʿiyya)106 in der islamischen Rechtsmethodologie (uṣūl al-fiqh). Somit befindet sie sich auch nicht unter der al-adilla al-arbaʿa (im übertragenen Sinne „die vier Hauptquellen“).107 Diese Methode führt dazu, den Bereich zu füllen, der durch einen normalen Qiyāsvorgang nicht zu füllen ist. Denn in dieser Methode lässt sich kein spezifischer Beweis (dalīl) für einen Urteil finden. Wenn nun viele nuṣūṣ zusammen beurteilt werden und dabei als Ergebnis herauskommt, dass der Schutz der Maqāṣid aš-šarīʿa gewährleistet wird, so dienen diese alle als Beweis für dieses eine neue Urteil.108 Natürlich ist es nicht möglich, von einem „gewöhnlichen“ qiyās zu reden. Daher haben die uṣūl-Gelehrten eine weitere Methode entwickelt, die istiṣlāḥ genannt wird. Wie erwähnt, wird bei dieser Methode die Beachtung der Maqāṣid aš-šarīʿa vorgeschrieben, da es keinen spezifischen Beweis für einen Qiyāsvorgang gibt. Bei diesem Vorgang beachtet man nun die maṣlaḥa, um die Maqāṣid zu berücksichtigen und šarīʿakonform urteilen zu können.109 Im Endeffekt dienen bestimmte Prinzipien, die induktiv bestimmt wurden, als Beweise. Somit trennt sich der istiṣlāḥ als Methode vom qiyās. Aber Methoden wie al-munāsaba führen die klassischen uṣūlGelehrten dazu, dass sie den istiṣlāḥ auch als eine qiyās-Methode verstehen und es darunter subsummieren.110 Vergleicht man die Methoden qiyās und istiṣlāḥ miteinander, so sind folgende Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu sehen. a. Überschneidungen: 1. Beide Methoden werden nur dann herangezogen, wenn kein direkter Beweis im Koran, in der Sunna und im iǧmāʿ über einen Urteil vorhanden ist. 2. Das Urteil, sei es durch qiyās oder durch istiṣlāḥ ermittelt, muss auf einer ʿilla aufbauen, die eine passende Bedeutung (waṣf al-munāsib) zu den Maqāṣid aš- Seite | 21 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa šarīʿa beinhaltet.111 b. Unterschiede: 1. Im qiyās gibt es entweder im Koran, in der Sunna oder im iǧmāʿ eine ähnliche Begebenheit. Mit dem waṣf al-munāsib, d.h. mit der ʿilla, kann nun zwischen den beiden eine Verbindung aufgebaut werden, wodurch der neuen Begebenheit das Urteil der schon in den naṣṣ oder im iǧmāʿ bestimmten Urteils übertragen wird. Bei istiṣlāḥ gibt es keinen aṣl, mit dem ein Vergleich bzw. eine Verbindung aufgebaut werden kann. Die Orientierung bei der Beurteilung liegt direkt bei der maṣlaḥa mursala. Man fußt somit nicht explizit auf einem detailspezifischen Beweis, sondern es besteht ein Korpus an verschiedenen Beweisen.112 2. Im qiyās gibt es einen speziellen Beweis darüber, dass die hier beachtete maṣlaḥa gültig ist (maṣlaḥa muʿtabara). So wie der Name es auch verrät, ist bei istiṣlāḥ dies nicht der Fall. Viele Beweise können sich gegenseitig unterstützen, um mit einer nicht bestimmten freigelassenen maṣlaḥa (mursala) urteilen zu können.113 Das Wirkungsfeld des istiṣlāḥ liegt in der Beurteilung neuentstehender Situationen, die nicht in den naṣṣ oder im iǧmāʿ explizit dargestellt werden. Somit wird eine Rechtslücke (maskūt ʿanh) šarīʿakonform gefüllt. Durch taǧdīdBewegungen hat dieser Begriff mehr an Bedeutung gewonnen, was auch den Gedanken der Modernisierung des Rechts in den islamischen Staaten mit sich gebracht hat.114 al-Istiḥsān Eine weitere Methode, die ähnlich wie der istiṣlāḥ eine sekundäre/derrivate Quelle ist,115 auch die maṣlaḥa beachtet und neue Möglichkeiten öffnet, vorhandene Urteile zu ändern und gemäß den Maqāṣid zu revidieren, ist al-istiḥsān (Billigen, Gutdünken, juristische Präferenz). Das Wort „istiḥsān“ ist maṣdar (Nomen) vom zehnten Stamm und wird nach dem Muster „istifʿāl“ gebildet. Es wird von dem Wort „ḥusn“ abgeleitet was „Schönheit, Vorzüglichkeit, Trefflichkeit“ bedeutet.116 Mit dieser Wurzel ḥ-s-n bedeutet das Wort literarisch „Billigung, Zustimmung, Beifall“.117 Als Terminus technicus wird der istiḥsān folgendermaßen genutzt: Der muǧtahid entscheidet sich aufgrund eines speziellen Beweis (dalīl ǧuzʾī) wie ʿurf, iǧmāʿ, ḍarūra, maṣlaḥa anders, als in einer Entscheidung für eine ähnliche Situation oder einem ähnlichen Präzedenzfall. Er unternimmt somit durch einen Beweis eine Ausnahme zu der allgemeinen Regel. Eine andere Anwendungsmöglichkeit des istiḥsān ist die Entscheidung – welche „ʿudūl“ genannt wird118– für einen nicht direkt zu erkennenden „versteckten qiyās (al-qiyās al-ḫafī)“119 und der Verzicht auf den offensichtlichen, direkten qiyās (al-qiyās al-ǧalī). Man entscheidet sich demnach nicht nach dem ersten, was ersichtlich ist, sondern vertieft sich in der Untersuchung und entscheidet sich für den „versteckten“ qiyās.120 Ziel des istiḥsān ist Mühsal aufzuheben, die durch einen normalen qiyās zustande kommen würde. Folglich ist der muǧtahid in der Bemühung die Maqāṣid aš-šarīʿa zu verwirklichen.121 Es ist demnach entweder eine Ausnahme zu der allgemeinen Regel durch einen bestimmten Beweis oder es wird nicht direkt die erste Lösung in Betracht genommen, sondern weitergeforscht, um den durch die erste Möglichkeit zu entstehenden Mühsal zu vermeiden und eine bessere Lösung zu finden. Somit ist der istiḥsān auch nicht eine Methode, in der die bloße Vernunft eingesetzt wird. Vielmehr dient sie zur Beachtung der Maqāṣid aš-šarīʿa und fußt auf einem šarīʿarechtlich anerkanntem Beweis wie Koran, Sunna, iǧmāʿ, maṣlaḥa, ḍarūra oder sie ist ein versteckter qiyās.122 Als die größten Vertreter des istiḥsān gelten die Ḥanafiten und Mālikiten.123 Mālik ibn Anas sieht sogar im istiḥsān neunzehntel des Wissens bzw. des Rechts.124 Auch wenn große Namen wie Abū Ḥanīfa, Abū Yūsuf, Muḥammad ibn Ḥasan aš-Šaybānī, Anas ibn Mālik und Abū l-Ḥuṣayn al-Baṣrī den istiḥsān akzeptieren, sind auch ebenso große Namen vorhanden, die als Widersacher gelten. Die meist zitierten Namen als Gegner des istiḥsān sind aš-Šāfiʿī, Ibn Ḥazm Seite | 22 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa und al-Ġazālī125.126 Die Kritikpunkte überschneiden sich in folgendem Aspekt: Der istiḥsān sei eine Methode der Urteilsbestimmung, die ohne bestimmte šarīʿarechtliche Beweise erfolgt. Somit stellt man eine eigene Šarīʿa auf.127 Dass ašŠāfiʿī den istiḥsan in der Theorie nicht akzeptierte, ist daran zu erkennen, dass er in seinem Werk al-Umm einen Kapitel für die Nichtigerklärung des istiḥsān zugeordnet hat: ibṭāl al-istiḥsān (Nichtigerklärung des istiḥsān).128 Der Leitsatz für die Kritik von aš-Šāfiʿī lautet: „man istaḥsana faqad šarraʿa: Wer gutdünkt, der stellt eine eigene Šarīʿa auf.129 Hierbei ist erneut festzustellen, dass aš-Šafiʿī von einer nicht šarīʿarechtlich bewiesenen Quelle für den istiḥsān ausgeht. Aš-Šāfiʿīs Kritikpunkte resultieren alle aus dem Ausgangspunkt, dass der muǧtahid sich nicht auf einen šarīʿarechtlichen Beweis stütze. Dies bedeute die Urteilsfällung gemäß der persönlichen Neigung. Aber anhand der zuvor genannten Definitionen ist es unmissverständlich herauszulesen, dass der istiḥsān nicht die ausschließliche Nutzung des bloßen Verstandes ist, sondern die Entscheidung ist, die auf den anerkannten Quellen basiert. Demnach sind auch die Kritikpunkte insofern durch aš-Šāfiʿī nicht für den anerkannten istiḥsān berechtigt. Für den willkürlich benutzten istiḥsān gelten sie jedoch. Aš-Šāfiʿī kritisiere istiḥsān nur deshalb, weil er gedacht habe, es handle sich dabei nur um eine Urteilsbestimmung durch Willkürentscheidung ohne Berufung auf eine šarīʿarechtlich anerkannte Quelle.130 Daher betont auch Abū l-Ḥusayn al-Baṣrī explizit, dass der istiḥsān eine religiöse Basis hat und daher nicht bedeuten kann, eine eigene Šarīʿa aufstellen zu können bzw. zu wollen.131 Vielleicht war die Kritik des istiḥsān seitens aš-Šāfiʿī auch so stark, da er die Rolle der schriftlichen Quellen in seiner Methodik stark betont. Der istiḥsān hingegen schwächt gewissermaßen die schriftlichen Quellen, indem er auch einen versteckten qiyās und die Beachtung der maṣlaḥa stark befürwortet. Um diese Gefahr zu umgehen, könnte ašŠāfiʿī den istiḥsān in dieser Form kritisiert haben. Zuvor wurde angemerkt, dass aš-Šāfiʿī in der Theorie den istiḥsān nicht akzeptiert hat. Doch in der Praxis hat er eine differente Annäherung zum istiḥsān. Ausdrücke wie „astaḥsinu“ (ich billige) sind auch in seinen fatwās zu sehen. Denn aš-Šāfiʿī hat den istiḥsān in seinen fatwās auch genutzt. Ein Beispiel kann als Beweis hier genannt werden: Falls bei der Durchführung der Diebesstrafe die linke Hand des Diebes anstatt der rechten abgehackt wird, so wird ihm die rechte Hand aufgrund des istiḥsāns nicht zusätzlich abgehackt.132 Letzten Endes kann gesagt werden, dass alle vier Rechtsschulen den istiḥsān oder istiṣlāḥ als gültige Methode akzeptieren. Doch wird der istiḥsān anders betitelt, sei es maṣlaḥa mursala, qiyās oder taḫṣīṣ al-ʿilla. Im Gegensatz zum istiṣlāḥ sind verschiedene Arten des istiḥsān vorhanden. In der Literatur lassen sich verschiedene Unterteilungen des istiḥsān finden. Manchmal wird der istiḥsān in zwei Arten eingeteilt und zwar in al-istiḥsān alqiyāsī (auf Analogie basierender istiḥsān) und istiḥsān aḍ-ḍarūra (istiḥsān der Notwendigkeit).133 Eine weitere Zweiteilung ist die folgende: 1. al-qiyās al-ḫafī 2. Bestimmung eines Ausnahmeurteils durch Beachtung der naṣṣ, maṣlaḥa, ḍarūra und ʿurf, wohingegen auf einen allgemeinen Urteil (ḥukm kullī) verzichtet wird. Eine Viererteilung ist auch in der Literatur oft vorzufinden: 1. Istiḥsān al-qiyās 2. Istiḥsān as-sunna 3. Istiḥsān al-iǧmāʿ135 4. Istiḥsān aḍ-ḍarūra.136 Doch hat sich die Sechserteilung in der ḥanafitischen Literatur durchgesetzt: 1. Istiḥsān an-naṣṣ 2. Istiḥsān al-iǧmāʿ 3. Istiḥsān aḍ-ḍarūra 4. al-Qiyās al-ḫafī 5. Istiḥsān al-ʿurf 6. Istiḥsān al-maṣlaḥa.137 Auch wenn sich diese sechser-Kategorisierung in der ḥanafitischen Literatur durchgesetzt hat,138 sind auch andere Unterteilungen möglich. Beispielsweise teilen die Mālikiten den istiḥsān in drei Arten auf: istiḥsān basierend auf dem Seite | 23 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa Gewohnheitsrecht (ʿurf), basierend auf der maṣlaḥa (im Sinne von Maqāṣid aššarīʿa) oder der istiḥsān dient zur Aufhebung einer bedrängenden Situation.139 Der istiḥsān kann zu einem bestimmten Grade mit der Radbruchschen Formel, welche eine Zwischenposition zwischen Rechtspositivismus und Naturrecht einnimmt,140 verglichen werden. Sie besteht aus der Unerträglichkeits- und Verleugnungsthese,141 die besagen, dass ein extrem ungerechtes, somit unerträgliches Gesetz nicht ausgeführt werden muss und nicht einmal als Recht gelten kann, wenn es die Gerechtigkeit nicht bewirkt.142 Zwar beschränkt sich die Radbruchsche Formel auf die Situation, in der extremes Unrecht der Fall ist, jedoch zielt sie auch auf eine Ausnahme hin, wie es der istiḥsān auch macht. Doch ist der istiḥsān auch auszuführen, wenn durch den normalen qiyās kein extremes Unrecht, sondern ein Nachteil entsteht. Somit ist der istiḥsān weitgefasster als die Radbruchsche Formel, die auch als eine Reaktion auf den Nationalsozialismus entstanden ist.143 In diesem Rahmen kann aber auch diskutiert werden, inwieweit die islamische Rechtsmethodologie sich mit Rechtspositivismus und Naturrecht überschneidet. dieser beiden Methoden führt.145 Der Vergleich zwischen istiṣlāḥ und istiḥsān Sowohl der istiḥsān als auch der istiṣlāḥ sind Methoden, um die Grenzen des Rechts zu erweitern, neue Situationen maqāṣid-gerecht zu beurteilen und die maṣlaḥa und den sozialen Wandel zu beachten. Somit haben sie dasselbe Ziel. Wo liegen dann nun die Gemeinsamkeiten und Unterschiede, sodass man von zwei verschiedenen Methoden redet? Um diese Frage beantworten zu können, müssen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede analysiert werden. Die Gemeinsamkeiten sind folgende: 1. Beide Methoden beachten die maṣlaḥa mursala, um die Maqāṣid aš-šarīʿa berücksichtigen zu können.146 2. Rechtslücken werden durch die Beachtung der sozialen Umstände und der Gewohnheiten der Menschen (ʿurf) gefüllt. Dabei wird die maṣlaḥa als Basis genommen. Neben diesen Gemeinsamkeiten gibt es aber auch Unterschiede, die verdeutlichen, weshalb es sich um zwei verschiedene Methoden handelt: Der Vergleich zwischen istiḥsān und qiyās 1. Es existieren im istiḥsān eigentlich schon Fälle, bei denen durch qiyās ein Wird der istiḥsān mit dem qiyās als versteckter qiyās (al-qiyās al-ǧalī) vergli(mögliches) Ergebnis schon feststeht. Jedoch wird durch einen anderen Beweis – chen, so kann man in diesem Punkt die Ähnlichkeit der Methoden entdecken. ʿurf, ḍarūra, maṣlaḥa, al-qiyās al-ḫafī – eine Ausnahmebestimmung entwiDoch wird im qiyās etwas Bekanntes mit etwas Bekanntem verglichen. Es gibt ckelt.147 keine weitere Entscheidungsmöglichkeit. Bei istiḥsān kann auch eine andere 2. Für den istiṣlāḥ gibt es keine ähnliche, vergleichbare Situation. Es gibt keine Entscheidung getroffen werden, die nach tieferer Untersuchung gefunden und qiyās-Möglichkeit. Die neue Situation ist nicht mit einem älteren Urteil verbungegenüber dem anderen qiyās bevorzugt werden kann. Auch wenn etwas Beden. Daher ist der istiṣlāḥ eine Entscheidung, die sich komplett auf die maṣlaḥa kanntes vorhanden ist, entscheidet man sich für das außerordentliche Urteil. Es mursala stützt. Somit wird eine direkte Verbindung zur maṣlaḥa aufgebaut.148 kommt zu einer Ausnahme im Gegensatz zu der allgemeinen Regel.144 Auch wenn die beiden Methoden sich sehr ähneln, unterscheiden sie sich in dieAndererseits gleicht der istiḥsān auch dem qiyās. Es befinden sich mehrere ʿilla, sen genannten Punkten. Die ältere Methode, nämlich der istiḥsān, ist durch die die man aufgrund der munāsaba auswählt und eine Analogie vollzieht. Jedoch enge Korrelation mit dem qiyās eher wortlautgebunden. Jedoch wird sie genauso wird durch die Entscheidung eine Ausnahme gebildet, was dann zur Trennung stark kritisiert wie der istiṣlāḥ. Der istiṣlāḥ scheint eher die Weiterentwicklung Seite | 24 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa des istiḥsān zu sein, in dem die Wortlautgebundenheit und die Formalität des qiyās vermieden bzw. gelockert wurde. Man kann feststellen, dass der istiṣlāḥ und der istiḥsān Geschwistermethoden sind, die gleiche Ziele befolgen, nämlich die Verwirklichung der Maqāṣid aš-šarīʿa. Obwohl diese beiden Methoden stark kritisiert werden, dienen sie für den Schutz der Maqāṣid aš-šarīʿa. Durch die Beachtung der maṣlaḥa, der ḍarūra und der ʿurf 149 wird mit dem istiḥsān eine Brücke zur Realität und zu den Maqāṣid aufgebaut.150 So kann auch das Recht dynamisch bleiben und je nach Zeit und Ort aktualisiert werden.151 Außerdem kann gesagt werden, dass die Methode des istiḥsān genauso wie der istiṣlāḥ ein Ergebnis der Universalität des islamischen Rechts und somit des Islams ist. Historische Skizze Die Beachtung der Maqāṣid haben ihre Wurzeln schon in der Art und Weise, wie der Prophet Muḥammad Urteile gefällt hat – von einer theoretisch ausgeformten Methodik kann zu dieser Zeit nicht gesprochen werden. Besonders der Prophet, die rechtgeleiteten Kalifen und die Imāme der vier sunnitischen Rechtsschulen haben den zeitlichen Wandel beachtet. Dadurch wurden Urteile gefällt, die oft literarisch gesehen gegen allgemeine Regeln verstießen. Es wurden Neuinterpretationen und Revisionen im Recht unternommen. Diese Haltung lässt sich auch anhand der Position des Korans legitimieren. Denn der Koran nimmt die zeitund lokalbedingten Probleme als Offenbarungsanlass wahr und beinhaltet Lösungen für entstehende Probleme.152 Um größere Schäden zu vermeiden, hat der Prophet bestimmte Sanktionen (al-ḥadd), die auch im Koran fest verankert sind, nicht befolgt. Zum Beispiel hat er die Diebesstrafe153 in Kriegsfällen nicht durchgeführt, damit die Schuldigen nicht die Fronten wechseln und zum Feind werden.154 Daher kann auch gesagt werden, dass der Prophet die maṣlaḥa in den Urteilen beachtet hat, wodurch er Urteile auch ändern konnte, wenn die maṣlaḥa nicht zustande kam.155 Besonders wichtig ist auch die absichtsorientierte (maqṣadī) Haltung des Pro- pheten. Er hat nicht nur eine literarische Annäherung zu den Urteilen gezeigt, sondern auch die Absichten (maqāṣid) hinter den Urteilen beachtet. Dass keine bestimmten Methoden vorhanden waren, zeigt auch seine Ungebundenheit an bestimmte Formalia, wodurch ein großer Spielraum für die Beachtung der Maqāṣid bestand.156 Als eine weitere wichtige Figur kann an dieser Stelle ʿUmar ibn al-Ḫaṭṭāb stellvertretend für die Annäherung gelehrter Prophetengefährten angeführt werden, obwohl nicht alle Prophetengefährten seine Ansicht und seine teleologische Herangehensweise teilten. Denn es waren auch viele Prophetengefährten vorhanden, die die literarische Herangehensweise bevorzugt haben.157 ʿUmar hingegen ist einer der Schlüsselfiguren, auf der die These basiert, dass die Urteile sich mit der Zeit ändern können. Daher ist die besondere Betrachtung dieser Person auch von immens wichtiger Bedeutung. In diesem Rahmen wird nur ein Beispiel genannt, in der er, die Maqāṣid beachtend, den koranischen Befehl anders ausführt und sogar für seine Zeit außer Anwendung lässt (!). Einer der bekanntesten Fälle, in der ʿUmar den Wortlaut des Korans nicht beachtet und die Maqāṣid verfolgt hat, ist der Fall der al-muʾallafa qulūbuhum158. Diese Gruppierung erhält einen Anteil der Almosensteuer laut dem Vers (9|60) im Koran. Jedoch wehrt sich ʿUmar dagegen, weil er davon ausgeht, dass die islamische Gemeinde stark genug ist und nicht mehr den Menschen diese Almosensteuer entrichten muss, damit sie die islamische Gemeinde nicht angreifen.159 Somit schafft er trotz des koranischen Urteils die Entrichtung der Almosensteuer an die al-muʾallafa qulūbuhum ab, weil er die Maqāṣid hinter dem Urteil beachtet. Die Entrichtung erfolgte bis dato nur deshalb, damit die islamische Gemeinde sicher vor Feinden war und außerdem gestärkt werden konnte. Wenn nun der Islam stark genug ist, so muss auch keine Almosensteuer mehr an diese Gruppierung entrichtet werden.160 Desweiteren führt ʿUmar die Diebesstrafe in einem Jahr der Hungersnot nicht durch.161 In solch einem Jahr beachtete ʿUmar die Umstände und führte die Strafe nicht aus. Denn der Koran will nicht die blinde Ausführung der Strafen, sondern versucht die Gerechtigkeit aufrechtzuhalten. Die Strafe soll den Menschen Seite | 25 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa erziehen. Daher ist die bloße Durchführung auch nicht erwünscht.162 Es wird dargestellt, dass ad-Dawālibī, Fazlur Rahman163 und Naṣr Ḥāmid Abū Zayd auch der Meinung sind, dass ʿUmar die Maqāṣid beachtet und daher die Strafe nicht durchführt.164 Letzten Endes hat er die Absicht (maqṣid/maqṣad)165 hinter dem Urteil beachtet und nicht einfach das Urteil ausgeführt. Denn hungernden Menschen die Diebesstrafe zu erteilen, weil sie zum Überleben gestohlen haben, wäre keine Gerechtigkeit. Weitere Beispiele, in denen die Prophetengefährten als ein Kollektiv die Maqāṣid beachtend geurteilt haben sind bspw. (a) die Sammlung des Korans,166 (b) Bestrafung des Alkoholkonsums, obwohl im Koran keine rechtliche Sanktion gegen Alkoholkonsum erteilt wurde,167 (c) Einführung von Gefängnissen und Geld,168 (d) Einführung des Zwischengebetsrufes vor der Freitagspredigt durch ʿUṯmān ibn ʿAffān.169 Die vier Gründer-muǧtahid In den Fußstapfen von ʿUmar ibn al-Ḫaṭṭābs Annäherung haben die vier „Gründer“ der heute existierenden sunnitischen Rechtsschulen die Beachtung der maṣlaḥa und somit der Maqāṣid auch stark betont. Abū Ḥanīfa ist bspw. bekannt dafür, dass er den istiḥsān weiträumig nutzt und skeptisch gegenüber Einzeltraditionen ist.170 Neuere Situationen hat er durch diese Methode bewerten können.171 Er hat den istiḥsān sehr weiträumig genutzt, aber dennoch nicht definiert. Doch wurde er missverstanden und von aš-Šāfiʿī und Ibn Ḥazm kritisiert, welche davon ausgingen, dass der istiḥsān eine Methode sei, in der die Beachtung der persönlichen Neigung als Quelle dient.172 Abū Ḥanīfa hat den qiyās für einen stärkeren Beweis vernachlässigt oder den raʾy benutzt, falls kein naṣṣ vorhanden war.173 Im Rahmen des istiḥsān hat Abū Ḥanīfa die maṣlaḥa mursala beachtet. Durch die Beachtung der ḍarūra und der Gewohnheit der Gesellschaft hat er Urteile bestimmen können, die dem offensichtlichen qiyās widersprechen würden.174 Seine Akzeptanz der maṣlaḥa mursala kann anhand seiner liberalen Interpretationen gesehen werden.175 Imām Mālik hat unter raʾy den istiṣlāḥ, sadd aḏ-ḏarāʾiʿ (Versperrung der Rechtsmittel), istiḥsān und istiṣḥāb verstanden. Bei der Entscheidung um die Authentizität der Ḥadīṯe nahm er die Handlungen der Leute von Medina (ʿamal ahl al-madīna) als Maßstab.176 Mālik ibn Anas gilt bekanntermaßen als derjenige, der die maṣlaḥa am meisten befolgt und befürwortet hat. Daher sagt er auch, dass der istiḥsān neun Zehntel des Wissens ist.177 Mālik sah in der Beachtung der maṣlaḥa mursala eine Ausnahme zu der Regel. Er wurde in dem Sinne falsch verstanden, dass er auch die maṣlaḥa mulġā akzeptieren würde. Doch habe er das Prinzip der maṣlaḥa nur dann eingesetzt, wenn kein textueller Beweis vorhanden war. Falls kein naṣṣ vorhanden war oder die maṣlaḥa nicht erreicht wurde, so hat er die maṣlaḥa berücksichtigt.178 Bei aš-Šāfiʿī hingegen ist im Gegensatz zu Abū Ḥanīfa und Mālik ibn Anas eine ambivalente Haltung zu sehen. Er ist zwar einer der größten Vertreter der literarischen (lafẓī) Herangehensweise, doch schenkt er der teleologischen Herangehensweise auch große Beachtung. In erster Linie überwiegt der Anschein, als verwerfe aš-Šāfiʿī sowohl die maṣlaḥa mursala als auch den istiḥsān. Jedoch versteht er den istiḥsān als die Urteilsbestimmung durch Beachtung der bloßen Vernunft und somit der persönlichen Neigung (hawā). Aš-Šāfiʿī akzeptiert zwar die maṣlaḥa nicht als eine unabhängige Quelle, jedoch setzt er die maṣlaḥa mursala gleich der maṣlaḥa muʿtabara. Denn er geht davon aus, dass die Hauptquellen alle Angelegenheiten und somit alle möglichen maṣlaḥa erwähnen.179 Folglich kann es für aš-Šāfiʿī keine maṣlaḥa geben, die sich außerhalb der naṣṣ befinden, wodurch er auch nicht den istiḥsān akzeptieren kann. In diesem Rahmen kann nun verstanden werden, weshalb in der Theorie aš-Šāfiʿī den istiḥsān nicht akzeptiert, jedoch in der Praxis schon, wie oben erwähnt wurde.180 Im Endeffekt kann gesagt werden, dass auch aš-Šāfiʿī die maṣlaḥa in den Urteilen beachtet hat, jedoch sich mehr auf den Text bezogen hat als die ersten beiden Gelehrten. Dass er die Beachtung der maṣlaḥa unter dem qiyās verstanden hat, ist ein Hinweis darauf. Diese Haltung hat sich auch in der klassischen uṣūl-Literatur durchgesetzt. Aḥmad ibn Ḥanbal, dessen Methode stark der Methode aš-Šāfiʿīs ähnelt und der Seite | 26 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa doch die Überlieferung noch mehr gewichtet, sucht bei Abwesenheit von Überlieferungen eine Lösung im qiyās, istiṣḥāb, istiḥsān und maṣlaḥa mursala.182 Somit ist festzuhalten, dass auch die frühen Rechtsgelehrten die Maqāṣid in variierenden Graden beachtet haben. Gegner der maṣlaḥa und führt auch Begriffserklärungen an, jedoch kann eine theoretische Diskussion der maṣlaḥa wie bei al-Ǧuwaynī nicht gefunden werden. Doch zeigen seine Ausführungen auch, dass auch im 4./10. Jahrhundert die maṣlaḥa neben dem istiḥsān Diskussionsgegenstand war.187 Historische Skizze der theoretischen Diskussion Abū Bakr al-Ǧaṣṣāṣ (gest. 370/980) Auch wenn al-Ǧaṣṣāṣ die Grenzen der maṣlaḥa mursala mit istiḥsān eng hält, versucht er die Maqāṣid aš-šarīʿa zu beachten und dabei eine Kontrollfunktion Abū Manṣūr al-Māturīdī (gest. 333/994) Al-Māturīdī, der eine führende Rolle in der sunnitischen Theologie zu errichten, damit sich durch die bloße Nutzung der Vernunft die Beachtung der (Kalāmwissenschaft) inne hat, hat sich auch mit dem uṣūl al-fiqh beschäftigt. In persönlichen Neigung nicht durchsetzen kann. Daher sieht er die Anwendung der seiner Methodologie wird das nicht Erwähnte (ġayr manṣūṣ) nicht nur durch maṣlaḥa als ʿilla im istiḥsān, der sich u. a. auch auf textuelle Quellen stützt. 183 qiyās, sondern auch durch andere Wege wie istiḥsān erreicht und bewertet. Er Denn die wirkliche maṣlaḥa ist eigentlich durch die nuṣūṣ bestimmt, die Verbetont sehr stark die Rolle der Vernunft bei der Ermittlung von Urteilen. Denn nunft kann ja irren und eine „falsche maṣlaḥa“ als wahr anerkennen und somit die Vernunft kann das Gute und Schlechte in den Urteilen erfassen, jedoch nicht falsch urteilen. Im istiḥsān könne die Vernunft das Nützliche erfassen und das ohne die Unterstützung der samʿiyyāt (Offenbarungen und Überlieferungen) als Schädliche vermeiden.188 der objektive Maßstab. Im nasḫ-Verständnis von al-Māturīdī ist die Beachtung der maṣlaḥa am stärksten Abū l-Ḥusayn al-Baṣrī (gest. 436/1044) zu spüren. Falls ein Urteil nicht die maṣlaḥa der Menschen herbeiführt, so wird Abū l-Ḥusayn al-Baṣrī, ein muʿtazilitischer Gelehrter, geht auch wie die vorheridurch ein anderes Urteil das Letztere aufgehoben, sei es durch Beachtung der gen Gelehrten davon aus, dass die Urteile Wissen über maṣlaḥa und mafsada 184 naṣṣ oder der bloßen maṣlaḥa. Diese Art des nasḫ nennt er nasḫ iǧtihādī (auf vermitteln und somit die Vernunft diese erfassen kann.189 Jedoch ist die Vernunft iǧtihād basierende Abrogation) und als Beispiel dazu nennt er die Urteilsändenicht alleine dazu befähigt, sondern sie wird durch die Offenbarung unterstützt. 185 rung durch ʿUmar bezüglich der al-muʾallafa qulūbuhum. Demnach hat er ein Nur die Vernunft alleine kann nicht ermitteln, weshalb der Wein als Ganzes versehr dynamisches Verständnis bezüglich des nasḫ und erweitert dessen Wirboten ist.190 Daher hängt es auch davon ab, ob Gott etwas befiehlt, wodurch man kungsfeld. Jedoch ist das, was al-Māturīdī unter nasḫ versteht, kein nasḫ nach die maṣlaḥa erkennen kann. Ist eine Handlung verboten, so wird diese dann auch der klassischen Lehre der Koranwissenschaften (ʿulūm al-qurʾān) und uṣūl alals mafsada wahrgenommen. Somit ist die maṣlaḥa nicht durch die menschliche 186 fiqh, sondern eher Methoden wie istiṣlāḥ, taḫṣīṣ oder istiḥsān. Vernunft determiniert, jedoch aber erfassbar.191 Folglich kann die maṣlaḥa muʿtabara und u. a. auch maṣlaḥa mursala als ʿilla fungieren.192 Al-Ḫwārazmī (gest. 387/997) Al-Ḫwārazmī benutzt die maṣlaḥa zum ersten Mal als Terminus technicus und Imām al-Ḥaramayn al-Ǧuwaynī (gest. 478/1085) diskutiert sie als eine Disziplin des uṣūl al-fiqh. Er zeigt die Befürworter und Al-Ǧuwaynī, der wie erwähnt als Gründer der theoretischen Diskussion gilt,193 Seite | 27 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa ist der Meinung, dass ohne das Wissen der Maqāṣid aš-šarīʿa keine treffsicheren und šarīʿakonformen Urteile zu fällen sind.194 Er setzt sogar die Beachtung der maṣlaḥa vor dem iǧmāʿ und dem qiyās an. Es sollen zuerst die allgemeinen Prinzipien (kulliyat aš-šarʿ) und die allgemeinen maṣlaḥa (wörtl. maṣāliḥuhā alʿāmm) betrachtet werden. Falls hier kein Ansatz und keine Lösung zu finden ist, so muss der Blick auf den iǧmāʿ und den qiyās gerichtet werden.195 Falls der qiyās anwendbar ist und mit den ḍarūriyyāt kollidiert, so ist den ḍarūriyyāt um der Maqāṣid Willen den Vorrang zu geben.196 Somit kann gesehen werden, dass al-Ǧuwaynī versucht, die strengen Formalia des qiyās zu durchbrechen und dass er einen lebendigen iǧtihād befürwortet.197 Die Subsumtion der maṣlaḥa unter dem qiyās mit der Überschrift al-munāsaba ist schon bei al-Ǧuwaynī zu sehen. Aber dennoch muss die munāsaba nicht zwangsläufig einen textuellen Beweis haben, wodurch die Beachtung der maṣlaḥa mursala an Bedeutung gewinnt.198 Maßgeblich für die weitere Entwicklung der Maqāṣid und maṣlaḥa ist das Fünfermodell al-Ǧuwaynīs, das aus folgenden Elementen besteht: 1. Notwendige und unumgängliche Bedeutung bzw. ʿilla, die man durch die Vernunft erfassen kann, so wie es im qiyās der Fall ist.199 2. Was für allgemeine Bedürfnisse steht, jedoch nicht notwendigerweise zu beachten ist.200 3. Diese (dritte) Stufe ist weder notwendig zu beachten, noch spiegeln sie die allgemeinen Bedürfnisse wider. Sie steht für die Vervollkommnung ethischer Moralwerte oder Aufhebung der Störfaktoren.201 4. Es ist weder vom Typ ḍarūriyyāt, noch von ḥāǧiyyāt, jedoch dient es zur Förderung von schönen/empfohlenen (mandūb) Handlungen.202 5. Der muǧtahid kann die ʿilla nicht erfassen. Sie ist weder auf der Stufe der ḍarūriyyāt und ḥāǧiyyāt, noch dient sie als Element der Verschönerung des Charakters.203 Dieses Fünfermodell lässt sich auf ein Dreiermodell reduzieren. Denn die dritte und die vierte Stufe beziehen sich beide nicht auf die ḍarūriyyāt und ḥāǧiyyāt und bezwecken die Vervollkommnung des Charakters und die Durchführung von empfohlenen Handlungen. Der fünfte Bereich behandelt das nicht mit der Vernunft erfassbare Feld, somit bleibt sie auch außer Acht. Diese basieren nur auf den nuṣūṣ. Daraus entsteht das klassische Dreiermodell, das bei al-Ġazālī in dieser Form formuliert wird.204 Abū Ḥāmid al-Ġazālī (gest. 505/1111) Abū Ḥāmid al-Ġazālī behandelt die Thematik über die Beachtung der Maqāṣid aš-šarīʿa sowohl unter waṣf al-munāsib bezüglich des qiyās bzw. der ʿilla und unter dem istiṣlāḥ.205 Unter dem waṣf al-munāsib verstehe al-Ġazālī in seinem Werk Šifā al-ġalīl die Herbeiführung des Nützlichen und Abwehr des Schadens (ǧalb al-manāfiʿ wa dafʿ al-maḍarra). Die absolute Akzeptanz der maṣlaḥa mursala sei nicht gewährleistet. Nur die maṣlaḥa, die durch Koran, Sunna und iǧmāʿ dargestellt werden, werden auch akzeptiert.206 Daher gilt auch der istiṣlāḥ für alĠazālī als eine aṣl mawhūma (illusionierte Quelle).207 Allgemein kann gesagt werden, dass al-Ġazālī den istiṣlāḥ zwar verwirft, jedoch die Stufe der ḍarūriyyāt unter bestimmten Bedingungen beachtet und das Urteilen durch maṣlaḥa mursala befürwortet.208 Für al-Ġazālī existieren drei Arten der maṣlaḥa: a. maṣlaḥa muʿtabara (gültige maṣlaḥa), welche durch die Texte festgelegt werden und beachtet werden müssen, b. maṣlaḥa mulġā (ungültige maṣlaḥa), welche durch die Texte als nichtig festgelegt wurden und nicht mehr zur Anwendung gebracht werden dürfen, auch wenn der Mensch denkt, dass hierin ein Nutzen sein könnte, c. maṣlaḥa mursala (freigelassene maṣlaḥa), zu welchen der Gesetzgeber (šāriʿ) bzw. Gott geschwiegen hat. Unter dieser Kategorie versteht al-Ġazālī nicht wie andere Gelehrte das absolute Herbeiführen des Nützlichen und Abwehr des Schädlichen, sondern die Beachtung der ḍarūriyyāt al-ḫamsa.209 Demnach ist alles, was die fünf Grundelemente schützt und herbeiführt maṣlaḥa und alles, was dagegen wirkt, ist mafsada.210 Im Bereich der munāsaba versteht al-Ġazālī die Beachtung dieser fünf Elemente. Alles, was diese fünf schützt, ist munāsib und mit dieser ʿilla kann dementsprechend qiyās durchgeführt werden.211 Seite | 28 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa Aus dieser Position heraus erarbeitet al-Ġazālī auf dem Fünfermodell des alǦuwaynī aufbauend das Dreistufenmodell, das oben dargestellt wurde.212 Es wurde ebenfalls schon dargestellt, dass jede maṣlaḥa muʿtabara akzeptiert und unter waṣf al-munāsib verstanden wird. Mit dieser maṣlaḥa kann nun qiyās ausgeübt werden. Unter welchen Bedingungen kann nun die maṣlaḥa mursala akzeptiert werden? Al-Ġazālī stellt dar, dass die beiden unteren Stufen ḥāǧiyyāt und taḥsīniyyāt bei der Urteilsbestimmung nicht beachtet werden können, sofern sie nicht durch einen Beweis auf die höchste Stufe der ḍarūriyyāt aufsteigen.213 Aber in der Stufe der ḍarūriyyāt kann der muǧtahid ohne einen detailspezifischen, šarīʿarechtlichen Beweis ein Urteil bestimmen, indem er die maṣlaḥa mursala beachtet.214 Doch bestehen drei Bedingungen für die Beachtung der maṣlaḥa mursala: Sie muss 1. ḍarūrī (notwendig), 2. qaṭʿī (definitiv) und 3. kullī (allgemeingültig/universell) sein.215 achtung der maṣlaḥa mursala aufgrund der Anwendung der Prophetengefährten zu legitimieren, die ja nicht den qiyās einfach nutzten, sondern die maṣlaḥa aufgrund des Schutzes der Absichten der Šarīʿa beachteten.224 Sayf ad-Dīn al-Āmidī (gest. 631/1233) So wie ar-Rāzī mit seinem al-Maḥsūl habe auch al-Āmidī versucht, alMuʿtamad, al-Burhān und al-Mustaṣfā zusammenzufassen und eine Synthese zwischen ihnen herzustellen.225 Wie die vorherigen Gelehrten nutzt er eine Überschrift mit dem Titel al-maṣlaḥa al-mursala,226 behandelt diese aber unter dem qiyās.227 Al-Āmidī übernimmt auch das Dreistufenmodell mit ihren jeweiligen tatimmāt.228 Er sieht unter der Stufe der ḍarūriyyāt die Beachtung der al-maqāṣid al-ḫamsa (identisch mit aḍ-ḍarūriyyāt al-ḫamsa).229 Systematisch stellt er dar, wie der Schutz der Religion, des Lebens, der Vernunft, der Nachkommen und des Besitzes gewährleistet wird.230 Die klassische Beschreibung der ḥāǧiyyāt und Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī (gest. 606/1209) Die Annäherung von Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī an die Thematik der maṣlaḥa mursala taḥsīniyyāt wird mit den entsprechenden Beispielen beibehalten.231 Die Begrenscheint eine Rezeption der Untersuchung von al-Ġazālī zu sein.216 Seine Ergeb- zung der ḍarūriyyāt auf die Anzahl fünf habe damit zu tun, dass dies mit der Renisse und Beispiele gleichen der al-Ġazālīs und er bringt auch zum Ausdruck, alität übereinstimme und außer diesen keine weiteren existieren würden.232 dass er sich auf der Linie von al-Ġazālī befindet.217 Die Arten der maṣlaḥa als Ein neuer Ansatz wird darin gesehen, dass er eine Entscheidungsfolge zwischen 218 muʿtabara, mulġā und mursala und die daraus resultierenden Ergebnisse über- den Stufen feststellt, und zwar dass erst die ḍarūriyyāt, dann die ḥāǧiyyāt und nimmt ar-Rāzī von al-Ġazālī.219 Das Dreistufenmodell wird ebenfalls übernom- zuletzt die taḥsīniyyāt gewählt werden. Eine ähnliche Entscheidungsfolge taucht men, sowie die drei Bedingungen qaṭʿī, kullī und ḍarūrī für die Beachtung der auch unter den tatimmāt auf.233 maṣlaḥa.220 Die Beachtung der maṣlaḥa mursala, falls diese ḍarūrī, qaṭʿī und kullī ist, subsummiert er unter dem qiyās unter al-munāsaba.221 Er versteht unter Al-ʿIzz ibn ʿAbd as-Salām (gest. 660/1262) der Beachtung der munāsaba die Herbeiführung des Nützlichen und die Abwehr Einer der wichtigsten Protagonisten bezüglich der Diskussion um maṣlaḥa ist des Schädlichen. Ebenso wie al-Ġazālī befürwortet er auch, dass die maṣlaḥa ʿIzz ad-Dīn (bzw. al-ʿIzz) ibn ʿAbd as-Salām. Indem er an der Diskussion teilge222 mursala auf der Stufe der ḍarūriyyāt auch ohne Text beachtet werden kann. nommen hat, hat er auch eine sufische Deutung in die Diskussion eingebunden Jedoch muss gewährleistet sein, dass die maṣlaḥa mursala keine maṣlaḥa mulġā und somit die Diskussion auch erweitert.234 Al-ʿIzz sieht in maṣlaḥa die Beachist.223 Unter diesen Gesichtspunkten akzeptiert auch ar-Rāzī die Integration der tung der Absichten der Urteile. Die maṣlaḥa besteht aus Behagen, Freude und maṣlaḥa mursala auf der Stufe der ḍarūriyyāt in den qiyās. Er versucht, die Be- deren Gründe dafür. Dementsprechend besteht die mafsada aus dem Gegen- Seite | 29 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa teil.235 Gott hat Propheten und Bücher für die maṣlaḥa der Menschen im Diesseits und Jenseits und für die Abwehr des Schadens, der diese beiden gefährdet, gesandt bzw. herabgesandt.236 Sofern kein naṣṣ und iǧmāʿ vorhanden ist, wird aufgrund der Beachtung der maṣlaḥa geurteilt.237 Denn Gott möchte das Nützliche für die Menschen herbeiführen und das Schädliche abwehren.238 So wie die vorherigen Gelehrten teilt auch er die Urteile in muʿallal und taʿabbudī auf.239 Die Maṣlaḥa kann dementsprechend in den Urteilen, die muʿallal sind, befolgt werden.240 Die Erkenntnis der maṣlaḥa variiert aber je nach Person. Die höchste Stufe der maṣlaḥa können laut al-ʿIzz nur die awliyā (Gottesfreunde) erkennen.241 Šihāb ad-Dīn al-Qarāfī (gest. 685/1286) Al-Qarāfī, einer der bekanntesten Schüler Ibn ʿAbd as-Salāms242, stützt sich sehr auf die Erkenntnisse von seinem Lehrer und stellt sehr wichtige Regeln in seinem Werk al-Furūq auf. In seinem Werk behandelt er 548 qawāʿid fiqhiyya (rechtliche Maxime).243 Ähnlich wie ar-Rāzī sieht er den waṣf al-munāsib für die Erhaltung des Nützlichen und Abwehr des Schädlichen.244 Jedoch kritisiere er alĠazālī, weil er das Feld der zu beachtenden maṣlaḥa sehr einschränkt. Al-Qarāfī akzeptiert die maṣlaḥa mursala als eine eigenständige Quelle. In diesem Rahmen betont er auch, dass die Prophetengefährten die maṣlaḥa auch für die Urteilsfällung akzeptiert haben.245 Des Weiteren befindet er sich in der Tradition der klassischen Lehre und teilt die Meinung über das Dreistufenmodell. Er benennt aber die taḥsīniyyāt als tatimmāt.246 Al-Qarāfī subsummiert die juristische Lizenz bzw. ar-ruḫṣa und die sadd aḏ-ḏarāʾiʿ (Versperrung der Rechtsmittel) auch unter die Beachtung der Maqāṣid bzw. maṣlaḥa. Sofern eine maṣlaḥa nicht zustande kommt, kann man auf diese Lizenzen zurückgreifen und Urteile revidieren oder Ausnahmeurteile erlassen, so al-Qarāfī.247 Führt ein Mittel (wasāʾil) zu einem erlaubten und befohlenen Zweck, so ist das Mittel auch befohlen, wie die Methode des sadd aḏ-ḏarāʾiʿ darstellt. Ist nun eine maṣlaḥa zu bewirken, muss das Mittel dazu auch erlaubt sein. Wird eine maṣlaḥa durch ein vorhandenes Ur- teil nicht bewirkt, so ist dies eine mafsada, wodurch dieses Mittel nicht mehr zur Anwendung gebracht wird; es wird somit versperrt.248 Als innovativ kann die Klassifizierung der prophetischen Ḥadīṭe durch al-Qarāfī gesehen werden. Er teilt die Handlungen je nach Verbindlichkeit in vier Bereiche auf: 1. at-tablīġ (Verkündigung der Offenbarung), 2. al-fatwā (Rechtsgutachten), 3. al-qaḍā (rechtliche Urteilsbestimmung/richterliche Handlung) und 4. al-imāma (Staatsführung).249 Je nach Kategorie der Handlung können sich die Urteile ändern, die der Prophet zu seiner Zeit bestimmt hat. Dies gilt besonders für die letzten drei Kategorien.250 Naǧm ad-Dīn aṭ-Ṭūfī (gest. 716/1316) Eine weitere wichtige Figur ist Naǧm ad-Dīn aṭ-Ṭūfī, der die wichtige Stellung der maṣlaḥa mursala betont.251 Meistens gilt er als jemand, der sich auf einer Extremen bei der Beachtung der maṣlaḥa befindet.252 Desweiteren erhält er aufgrund seiner Haltung gegenüber der maṣlaḥa sehr viel Kritik. Meist wird Zāhid al-Kawṯarī zitiert, der aṭ-Ṭūfī stark kritisiert hat.253 Aṭ-Ṭūfī beschreibt, dass 19 šarīʿarechtliche Beweise existieren, welche aufgrund der Induktion (istiqrāʾ) ermittelt wurden und beachtet werden müssen.254 Er versteht unter der Berücksichtigung der maṣlaḥa – im Gegensatz zu al-Ġazālī – das Abwenden des Schädlichen und die Herbeiführung des Nützlichen im Allgemeinen. Wenn die Šarīʿa eine mafsada aufhebt, so ist dies eine maṣlaḥa. Dies wird anhand des Ḥadīṯ „lā ḍarara wa lā-ḍirāra (es gibt keinen Schaden und kein Schadenhinzufügen)“ bewiesen. Falls die textuellen Quellen die maṣlaḥa nicht bewirken, so wird der maṣlaḥa der Vorrang gegeben (taqdīm al-maṣlaḥa). Dies ist, so aṭ-Ṭūfī, nicht die Aufhebung des naṣṣ und des iǧmāʿ, sondern die Spezifikation (taḫṣīṣ) und Erklärung (bayān) durch die maṣlaḥa.256 Verschiedene Beweise legitimieren laut aṭ-Ṭūfī die Beachtung der maṣlaḥa. Darunter führt er die Verse (2|179), (5|38), (24|2) und verschiedene Ḥadīṯe an.257 Er stellt dar, dass die Handlungen Gottes maṣlaḥa für die Menschen beinhalten und somit muʿallal sind. Diese führen aber für Gott keinen Nutzen herbei, sondern Seite | 30 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa sind rein aus seiner Güte heraus an seine Geschöpfe gerichtet.258 Neben den Beweisen im Koran und in der Sunna gibt es laut aṭ-Ṭūfī Konsens (iǧmāʿ) unter den Gelehrten für die Beachtung der maṣlaḥa.259 Außerdem kann man anhand der Nutzung der Vernunft (naẓar) auch beweisen, dass man die maṣlaḥa beachten muss. Denn Gott beabsichtigt die maṣlaḥa der Menschen und möchte ihnen nicht schaden.260 Die Unterscheidung zwischen ʿibādāt und muʿāmalāt ist auch in aṭ-Ṭūfīs Abhandlung zu entdecken.261 Die muʿāmalāt können durch Beachtung der maṣlaḥa revidiert werden. Denn die Handlungen Gottes sind muʿallal in diesem Bereich.262 Auch die Aussage aṭ-Ṭūfīs, dass die Festlegung der naṣṣ und des iǧmāʿ für die ʿibādāt ausreicht, aber im Feld der muʿāmalāt die maṣlaḥa beachtet werden muss, zeigt seine Haltung bezüglich der Unmöglichkeit der Änderungen in den ʿibādāt.263 Am Ende der Abhandlung betont er wieder die Unterteilung und stellt dar, dass die Beachtung der maṣlaḥa nur im Bereich der muʿāmalāt erfolgen kann. Taqī ad-Dīn ibn Taymiyya (gest. 728/1328) Im Allgemeinen kann gesagt werden, dass Ibn Taymiyya die Beachtung der maṣlaḥa und somit der Maqāṣid auch beachtet. Doch ist eine ambivalente Haltung bei Ibn Taymiyya bezüglich der Beachtung der maṣlaḥa vorhanden. An einigen Stellen befürwortet er die maṣlaḥa, an anderen Stellen nicht.264 Doch ist im Allgemeinen zu sehen, dass er unter maṣlaḥa die mubāḥ versteht. Somit setze er die maṣlaḥa gleich den ḥāǧiyyāt. Ein weiteres Kriterium für dieses Ergebnis ist auch, dass er unter der Beachtung der maṣlaḥa die Existenz von ar-ruḫṣa sieht.265 Außerdem redet Ibn Taymiyya sehr allgemein über die maṣlaḥa und benutze nicht das Dreistufenmodell. Die maṣlaḥa mursala akzeptiert er nicht, jedoch befürwortet er die maṣlaḥa, die unter bestimmten Bedingungen zu beachten sind.266 Jede maṣlaḥa, die Nutzen herbeiführt und Schaden vermeidet, ist laut Ibn Taymiyya eine zu akzeptierende maṣlaḥa. Somit subsummiert Ibn Taymiyya die gültige maṣlaḥa mursala unter maṣlaḥa muʿtabara. Daher verwirft er auch die maṣlaḥa mursala im Sinne von „den Texten widersprechende maṣlaḥa“.267 Vor allem verteidigt er die Beachtung der Maqāṣid in seiner Abhandlung as-Siyāsa aš-šarʿiyya, wo er darstellt, dass Gott die maṣlaḥa der Menschen beachtet.268 Ibn Qayyim al-Ǧawziyya (gest. 751/1350) So wie sein Lehrer Ibn Taymiyya befürwortet Ibn Qayyim al-Ǧawziyya den Wandel des Rechts durch den iǧtihād, da er die „Muʿallalität“ der Urteile befürwortet.269 Vor allem der Bereich der as-siyāsa aš-šarʿiyya bietet einen großen Platz für die Beachtung des iǧtihād. Wie seine Vorgänger unterscheidet er auch zwischen muʿāmalāt und ʿibādāt. Die muʿāmalāt können aufgrund soziopolitischer Umstände geändert werden. Alles, was dem Geiste der Religion entspricht, ist somit zu akzeptieren und alles, was dagegen ist, ist nichtig. Denn Ziel der Šarīʿa ist laut Ibn Qayyim die Herbeiführung des Nutzens für den Menschen im Diesseits und Jenseits.270 Wenn nun etwas für die Gerechtigkeit und maṣlaḥa der Menschen steht, so soll dies akzeptiert werden. Alle Wege, die dorthin führen, sind zu beachten. Ziel sind die Absichten und nicht die Arten der Mittel (wasāʾil), welche variieren können.271 Des Weiteren geht Ibn Qayyim davon aus, dass es unabänderliche Urteile im Koran gibt und diese unabhängig von Raum und Zeit sind, wie z. B. die Gerechtigkeit unter den Menschen zu bewahren. Die Wege und Mittel zu diesem Ziel sind unterschiedlich; zu dem, was im Koran und in der Sunna vorhanden ist, jedoch adäquat. Denn Ziel ist die Erhaltung der Gerechtigkeit.272 Seine Haltung kann man auch in dem Werk Iʿlām al-muwaqqiʿīn ʿan rabb al-ʿālamīn sehen. In diesem behandelt er unter dem Kapitel „Über die Änderung in den Rechtsgutachten mit der Änderung der maṣlaḥa, Absicht, Bedingung, Ort und Zeit“ verschiedene Rechtsgutachten, die einigen Änderungen unterliegen. Sein obengenanntes Prinzip durchläuft die komplette Abhandlung.273 Seite | 31 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa Abū Isḥāq aš-Šāṭibī (gest. 790/1388) Aš-Šāṭibī ist eine der zentralen Figuren, die der Debatte um Maqāṣid aš-šarīʿa die bedeutende Wichtigkeit verliehen haben. Er hat neben der Beachtung der klassischen Literatur auch innovative Annäherungen eingeführt und die Behandlung dieser Thematik systematisiert und hervorgehoben, indem er sie außerhalb des qiyās in einem unabhängigen Werk – al-Muwāfaqāt – diskutiert hat.274 Einer der bedeutendsten Schritte ist, dass er die Induktion für die Erhaltung allgemeiner Prinzipien betont.275 Für ihn sind die Urteile muʿallal und die Beachtung der maṣlaḥa ein essenzieller Bestandteil der Maqāṣid aš-šarīʿa.276 Auf den Linien des klassischen uṣūl sagt aš-Šāṭibī auch, dass Gott die maṣlaḥa der Menschen herbeiführt und den Schaden abwehrt. Es befinden sich aber unter der maṣlaḥa drei Stufen, die die Wichtigkeit der Beachtung darstellen. Diese drei Stufen sind die klassischen ḍarūriyyāt, ḥāǧiyyāt und taḥsīniyyāt.277 Die ḍarūriyyāt bestehen aus dem Schutz der aḍ-ḍarūriyyāt al-ḫamsa, über die es eine Übereinkunft der Gelehrten gibt. Diese können auf zwei Arten geschützt werden, nämlich im positiven und negativen Sinne. Der positive Schutz wird durch Gottesdienste, Sitten und zwischenmenschliche Beziehungen gewährleistet. Der negative Schutz hingegen wird durch bestimmte Strafen herbeigeführt.278 Die ḥāǧiyyāt dienen der Erleichterung der Beachtung der ḍarūriyyāt und der Erweiterung der Grenzen der Maqāṣid.279 Die taḥsīniyyāt hingegen dienen der ethischen Vollkommenheit und der Entfernung von schlechten Handlungen.280 So wie bisher bei al-Ġazālī zu sehen war, stellt aš-Šāṭibī auch dar, dass verschiedene takmīlāt der jeweiligen Stufen existieren, die diese Stufen ergänzen und unterstützen. Wenn die Hauptstufen (aṣl) aufgehoben oder zerstört werden, werden die takmīlāt gleichermaßen beeinflusst; sie nehmen denselben Status wie die Hauptstufen ein.281 Als einen innovativen Schritt kann die Betonung der Interdependenz durch aš-Šāṭibī genannt werden, die oben schon dargestellt wurde.282 Aufgrund der Beachtung der maṣlaḥa befürwortet aš-Šāṭibī den Wandel der Urteile mit dem Wandel der sozialen Umstände. Sofern sich die ʿurf ändern und die maṣlaḥa nicht erhalten werden kann, wird die maṣlaḥa als Quelle für Revision oder Änderung der Urteile genutzt. Dies findet aber nur im Bereich der muʿāmalāt statt. Der Wandel oder die Änderung in dem Feld der ʿibādāt wird von ihm als bidʿa betrachtet.283 Damit man die Änderungen beachten kann, müssen diese kontinuierlich und real sein. Die Beachtung des Wandels in den ʿādāt ist wichtig, denn der Islam hat auch die guten Sitten der vorislamischen Zeit übernommen bzw. revidiert und in das System integriert, wie z. B. die diya (Blutgeld/Wergeld)284 und die Versammlung am Freitag.285 Ein weiteres wichtiges Element des Systems aš-Šāṭibīs ist die Beziehung der mekkanischen Suren zu den medinensischen Suren. Die universalen Prinzipien wie der Schutz des Lebens oder der Religion befinden sich laut aš-Šāṭibī in den mekkanischen Suren. Diese stellen die Universalia dar, die als Basis für die Urteile der medinensischen Periode dienen. Denn die medinensischen Suren enthalten detailspezifische Urteile, die im Lichte der universalen Prinzipien in den mekkanischen Suren aufgestellt wurden.286 Der Koran versucht mehrheitlich universale Prinzipien und keine Partikularia zu vermitteln. Die Partikularia sind meist Ausführungen von universalen Prinzipien. In diesem Rahmen betont er, dass die Sure al-Baqara als Ganzes die Ausführung der Sure al-Anʿām ist.287 Auch die Sunna beachtet die universalen Prinzipien und die maṣlaḥa und stellt somit Urteile auf. Daher darf die Sunna nicht dem Koran widersprechen.288 Aš-Šāṭibī befürwortet die Betrachtung des Korans als Ganzes und sieht die chronologische Betrachtung des Korans als sehr wichtig an. Der Koran soll nicht wie ein literarisches Buch gesehen werden, dessen Wortlaut eins zu eins durchgeführt werden muss. Man kann von den vorhandenen Urteilen im Koran und in der Sunna weitere ableiten. Das islamische Recht ist nicht mit den vorhandenen Urteilen eingegrenzt.289 Die starre Festhaltung an den Wortlaut des Korans und der Sunna befürwortet er nicht. Denn nur durch die Festhaltung am Wortlaut kann man nicht unbedingt die Absichten Gottes erfüllen.290 Um die Absichten korrekt ermitteln zu können, muss man auch die Offenbarungsanlässe (asbāb an- Seite | 32 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa nuzūl) kennen. Ebenso wichtig sind die Kenntnisse über die Sitten und Bräuche der damaligen Araber.291 Somit kann eine Synthese zwischen der Beachtung des Wortlautes und der Beachtung der Absichten erzielt werden, wodurch die Beachtung der maṣlaḥa der Menschen gewährleistet wird.292 Šāh Walī Allāh ad-Dihlawī (gest. 1176/1762) Der „al-Ġazālī Indiens”293 ist auch eine der wichtigen Personen, die die Änderung der Urteile unter Beachtung der Maqāṣid aš-šarīʿa befürwortet. Er geht auch davon aus, dass die Urteile muʿallal sind und dass Gott hinter den Urteilen bestimmte maṣlaḥa für die Menschen vorgesehen hat. Die Handlungen der Menschen teilt er in ʿibādāt, muʿāmalāt und Glaubensgrundlagen ein.294 Seine Methode, die Essenz der Urteile zu beachten, nennt er taṭbīq. Diese Methode soll für die Erkennung der Essenz dienen, um universale Prinzipien abzuleiten und diese zu beachten.295 Ad-Dihlawī teilt auch die Ansicht, dass die Religion die Sitten korrigiert und/oder übernimmt und in das rechtliche System integriert. Darin ist auch die Beachtung der maṣlaḥa durch das Religionsgesetz zu sehen.296 Die Trennung von ʿibādāt und muʿāmalāt ist auch bei ad-Dihlawī zu sehen, welcher die Änderung im Bereich der letzteren befürwortet. Je nach Ort und Zeit können sich die Urteile in diesem Bereich ändern. Diese Haltung ist, so ad-Dihlawī, in den prophetischen Handlungen zu entdecken.297 Diese kurze Skizze zeigt eindeutig, dass auch sehr bekannte und wichtige Theologen und Rechtsgelehrte die Beachtung des Allgemeinwohles und der Maqāṣid stark befürworten und somit in einem kontrollierten System die Dynamik des Rechts zu gewährleisten versuchen. Diese Haltung hat sich auch mit den politischen Entwicklungen in den islamischen Ländern durchgesetzt. Charakteristisch für die Entwicklungen der Diskussion um Maqāṣid aš-šarīʿa ist die Betonung des iǧtihād gegen den fanatischen Radikalismus bezüglich der Festhaltung an den Rechtsschulen und der klassischen Literatur, die nicht mehr die Bedürfnisse der Menschen beachten kann.298 In diesem Rahmen betonen auch die Gelehrten und Wissenschaftler der Moderne den talfīq (interrechtsschulische Zusammensetzung von fatwās) und somit die Nutzung aller fatwās von allen Rechtsschulen. Die fatwās müssen die Ansprüche der Menschen beachten und die maṣlaḥa herbeiführen.299 Leitwörter dieser Periode sind demnach iǧtihād, taġayyur und talfīq. Führende Gelehrte wie ʿAbduh und Rašīd Riḍā sind zum Beispiel wichtige Protagonisten, die diese Methoden befürworten und von der Nachahmung (taqlīd) abraten.300 Aber um der persönlichen Neigung (hawā) keinen Freiraum zu lassen, wird die Methode der Šūrā (besetzt durch ahl al-ḥall wa-l-ʿaqd) beim iǧtihād immer wieder betont.301 Die Etablierung des iǧtihād in der Legislatur und die damit verbundene Revitalisierung des Rechts können nur durch einen liberal humanistischen Ansatz erfolgen. Hierfür dient der istiṣlāḥ, denn der formale qiyās ist nicht in der Lage diese Aufgabe zu erfüllen.302 Zentrale Figur für diese Entwicklung ist Muḥammad ʿAbduh (gest. 1905). Er ist der Befürworter der Rückkehr an die Quellen und der Korrelation zwischen Vernunft und Offenbarung und der Gegner des taqlīd. In diesem Rahmen versucht er die Grenzen und Schranken der Rechtsschulen (maḏāhib) aufzuheben. Es muss eine Einheit unter der muslimischen Gesellschaft herrschen, daher können fatwās aus verschiedenen Rechtsschulen kombiniert werden (talfīq).303 Um die maṣlaḥa der Menschen zu beachten, der Entwicklungen in der Technik, Medizin, im Rechtssystem etc. gerecht zu werden, müssen in den Urteilen die zeitgenössischen Probleme und Bedürfnisse der Menschen beachtet werden, was nur im Rahmen der Maqāṣid aš-šarīʿa geschehen kann.304 Einen ähnlichen Ansatz vertritt auch sein Schüler Rašīd Riḍā (gest. 1935), der die Maqāṣid und maṣlaḥa stärker als sein Lehrer betont.305 Der Gedanke der Maqāṣid durchdringt seine Betrachtungsweise der Religion und des Rechts. Für die Urteilsbestimmung laut Riḍā muss der muǧtahid den Koran, die Sunna und die Maqāṣid kennen, um šarīʿakonforme Urteile bestimmen zu können. Auch muss der muǧtahid sich mit der Lebenssituation und den Gewohnheiten der Menschen auseinandersetzen und diese analysieren, damit er die Maqāṣid an- Seite | 33 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa wenden kann. Denn nur so ist es möglich, das Nützliche herbeizuführen und das Schädliche abzuwenden, was auch das höchste Prinzip der Šarīʿa ist. Die vorhandenen Ergebnisse aus der klassischen Rechtsmethodik integriert er in seine eigene Methodik, die sich in seinen fatwās wiederspiegelt.306 Ähnlich wie Riḍā befürwortet Mūsā Ǧar Allāh Bigiyef (gest. 1949) die Beachtung der Maqāṣid. Seine Ausführungen ähneln stark der aš-Šāṭibīs. Jedoch versucht Bigiyef moderne Begriffe und Annäherungen in das klassische System zu integrieren. Er sieht alles, was die maṣlaḥa herbeiführt bzw. den ṣalāḥ der Menschen gewährleistet, als einen Teil der Šarīʿa. Dass heißt, dass beispielsweise jegliche Staatsformen, Spiele für die Gesundheit des Körpers, ergänzende Gesetze und Regeln für die Ordnung im Leben ein Teil der Šarīʿa sind, sofern die maṣlaḥa im Hinblick auf die allgemeinen Prinzipien beachtet werden.307 Auf alMāturīdi stützend teilt Bigiyef die Religion in zwei Bereiche auf: 1. die festen Elemente, die sich nicht ändern, wie z. B. Ethik, Gerechtigkeit, Glaube an Gott, und 2. die Elemente, die sich mit der Zeit ändern können, wie z. B. die Ausführung der Gerechtigkeit.308 Der Mensch ist nicht nur ḫalīfa (Stellvertreter) auf der Erde, sondern auch ḫalīfa im Bereich der Gesetzgebung (at-tašrīʿ). Er ist in der Lage, Gesetze zu erlassen, indem er den iǧtihād nutzt. Jedoch muss dies kollektiv geschehen (šurā-Prinzip und iǧmāʿ). Daher muss er auch im Bereich des Religionsgesetzes, der sich ebenfalls ändern kann, neue Gesetze erlassen, weil er die Gesetzgebungskompetenz dafür besitzt.309 Die Beachtung der Änderungen durch die Religion sei darin zu entdecken, dass die Religion (ad-dīn) im Kern konstant bleibt, jedoch die Religionsgesetze (šarāʾiʿ) je nach Zeit und Ort variieren können.310 Somit beachtet die Religion selbst die maṣlaḥa. Demnach sind alle Methoden wie istiḥsān, istiṣlāḥ und sadd aḏ-ḏarāʾiʿ, die die maṣlaḥa befürworten, legitim. Jedoch gibt es zwei Bedingungen für die Beachtung der maṣlaḥa: 1. Sie muss definitiv sein und 2. sie muss befreit von mafsada sein.311 Neben Bigiyef können weitere Namen wie ʿAbd al-Wahhāb Ḫallāf (gest. 1956) mit seinem Werk Maṣādir at-tašrīʿ al-islāmī fi mā lā naṣṣ fīh, Ṣubḥī Maḥmaṣānī (gest. 1986) mit seinem Werk Falsafat at-tašrīʿ fī l-Islām, Ramaḍān alBūṭī mit seinem Werk Ḍawābiṭ al-maṣlaḥa und Hayreddin Karaman genannt werden, die zwar die Beachtung der Maqāṣid und maṣlaḥa betonen und sie für elementar wichtig halten, jedoch einige von ihnen eher die klassische Methode befürworten und den Anwendungsbereich eingrenzen.312 Beispielsweise akzeptiert al-Būṭī die Beachtung der maṣlaḥa mursala. Jedoch versucht er die persönliche Neigung in der Urteilsbestimmung zu unterbinden. Es kann eine textuelle Regelung nur dann geändert werden, wenn eine andere textuelle Regelung (Spezifikation bzw. taḫṣīṣ), oder eine Abwehr der Erschwernis oder die Vereinfachung (at-taysīr) vorliegt.313 Auch wenn die maṣlaḥa mursala nicht direkt erwähnt, sondern vom Text abgeleitet wird, so ist diese keine mursala, sondern muʿtabara. Somit versucht al-Būṭī die gültigen maṣlaḥa mursala als muʿtabara zu kennzeichnen, wodurch er die These aufstellt, dass die maṣlaḥa mursala als keine unabhängige Quelle fungieren kann. In diesem Sinne sieht er auch alĠazālīs Beispiel der Kriegsgefangenen als Schutzschilder nicht als maṣlaḥa mursala, sondern muʿtabara. Die Verengung des Bereiches der mursala erweitert den Bereich der muʿtabara.314 Neben diesen genannten Gelehrten sind auch weitere wie aṭ-Ṭāhir ibn ʿĀšur (gest. 1973), der für die Entwicklung der Maqāṣid sehr wichtig ist, ʿAllāl al-Fāsī (gest. 1974) und sogenannte „Modernisten“ wie Muḥammad Iqbal (gest. 1938), Fazlur Rahman (gest. 1988) und Naṣr Ḥāmid Abū Zayd (gest. 2010) zu nennen, die die Beachtung der Maqāṣid stärker betonen als die klassische Lehre es zulässt. In diesem Rahmen möchte ich die Ausführungen aṭ-Ṭāhir ibn ʿĀšūrs zusammenfassen, der sein Werk Maqāṣid aš-šarīʿa al-islāmiyya dieser Problematik gewidmet hat. Die Wortlautgebundenheit des klassischen fiqh und die untergeordneten Ansätze der Beachtung der Maqāṣid aš-šarīʿa im strikten qiyās haben Ibn ʿĀšūr315 dazu bewogen, die Maqāṣid aš-šarīʿa ebenso wie aš-Šāṭibī in einem unabhängigen Seite | 34 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa Werk zu analysieren.316 Dass die Šarīʿa bestimmte Absichten befolgt, sei anhand der Verse (21|16), (23|115), (5|6), (2|179), (5|91) und (4|3) zu erkennen.317 Besondere Betonung liegt auch in der Methode der Induktion (istiqrāʾ), die zur Bestimmung der Maqāṣid aš-šarīʿa dient.318 Einer der wichtigsten Bereiche der Maqāṣid ist das Verständnis über die Äußerungen und Handlungen des Propheten. Nicht alle prophetischen Urteile sind unveränderbar, viele können sich aufgrund des Zeit- und des Ortswandels ändern, da sie auch die historischen Umstände beachten. Nach al-Qarāfī teilt auch Ibn ʿĀšūr die Handlungen des Propheten ein und zeigt, welche von ihnen zu befolgen verpflichtend sind, welche Urteile sich in diesem Sinne ändern können. Dabei teilt er die Handlungen nicht in vier, wie al-Qarāfī, sondern in zwölf Kategorien ein: 1. at-tašrīʿ (Gesetzgebung), 2. fatwā (Rechtsgutachten), 3. qaḍā (juristisches Urteil), 4. imāma (Staatsführung), 5. hidāya (Rechtleitung), 6. ṣulḥ (Frieden), 7. Beratung für Entscheidungen, 8. nasīḥa (Ratschlag), 9. Leitung der Herzen in die bestmögliche Richtung, 10. Unterrichtung der höchsten Wahrheiten, 11. taʾdīb (Übertreibung für Abschreckung bzw. „Drohung“), und 12. Abstraktion von iršād (Rechtleitung). Außer dem ersten Bereich können sich die Urteile je nach Ort, Zeit und Umstände ändern. Die fatwā und der qaḍā betrachtet Ibn ʿĀšūr als die Anwendung (ṭaṭbīq) der Gesetzgebung (tašrīʿ). Aṭ-Ṭāhir ibn ʿĀšūr erwähnt sehr viele Beispiele für die Kategorien, die ich aber hier aufgrund der Rahmenbedingungen nicht anführen kann.319 Aṭ-Ṭāhir ibn ʿĀšūr ist auch der Meinung, dass sich veränderbare und nicht veränderbare Urteile im islamischen Recht befinden. Die zwischenmenschlichen Beziehungen (al-muʿāmalāt) wie das Öffentliche Recht, Zivil- und Strafrecht können sich ändern, da sie eine ʿilla besitzen, die mit der Vernunft zu erfassen ist. Die gottesdienstlichen Handlungen hingegen, sind nicht rational begründbar, wodurch bei diesen keine Änderung möglich ist. Das Ziel ist, in den muʿāmalāt die maṣlaḥa herbeizuführen.320 Als innovative Schritte setzt Ibn ʿĀšūr die Maqāṣid mit der fiṭra und der Toleranz (simāḥa) in Verbindung. Da der Islam nur Urteile erlässt, zu denen die Menschen fähig sind, diese zu erfüllen, muss der fiṭra des Menschen gemäß die maṣlaḥa beachtet werden. Somit können sich die Ausführungen im rechtlichen System verändern, sofern die maṣlaḥa nicht mehr verwirklicht wird.321 Das klassische Dreistufenmodell übernimmt Ibn ʿĀšūr auch, jedoch versucht er, diesem eine andere Gewichtung zu verleihen, damit die Interdependenz, die ašŠāṭibī stark betont, auch Anwendung finden kann.322 Ähnlich wie die vorangegangen Gelehrten sieht Ibn ʿĀšūr die ar-ruḫṣa auch als ein Instrument der Beachtung der Maqāṣid. Er aber sieht nicht nur die Abweichung von einer allgemeinen Regel aufgrund einer Notwendigkeit als eine ruḫṣa, sondern auch die fortbestehende und kontinuierliche Notwendigkeit im Bezug auf das alltägliche Leben. Somit verwirft er die Beachtung der ruḫṣa als ein nur partielles und temporäres Element. Die fuqahāʾ, so Ibn ʿĀšūr, gehen eher von der partiell-temporären ruḫṣa aus. Aber die fortbestehende und kontinuierliche ruḫṣa ist auch in großem Maße vorhanden. Ein Beispiel dafür ist laut Ibn ʿĀšūr die Erlaubnis des salam-Vertrags.323 Dies ist eine ruḫṣa, die immer bestehen bleiben wird und nicht partiell-temporär ist. Die meist beachtete partielle ruḫṣa kann als allgemein-vorübergehend, die letztere hingegen wie der salam als allgemein-kontinuierlich bezeichnet werden. Neben diesen beiden gäbe es auch noch speziell-vorübergehende – wie der Verzehr von Verendetem (mayta) – und allgemein-vorübergehende ruḫṣa. Letztere ist eine Handlung, die von der Allgemeinheit ausgeführt wird, aber nur temporär erlaubt wird, sofern eine Notwendigkeit (ḍarūra) besteht.324 Außer der ruḫṣa sind für Ibn ʿĀšūr die beiden Methoden taġyīr und taqrīr für die Beachtung der Maqāṣid sehr wichtig. At-Taġyīr beachtet die Änderung der Zustände und somit die Änderung der Urteile. Entweder wird eine Erschwernis verhindert, um eine mafsada abzuwehren oder eine Vereinfachung herbeigeführt, um die maṣlaḥa zu erhalten. Der at-taġyīr dient außerdem dem Schutz vor Überund Untertreibung. Der at-taqrīr ist die Aufnahme der nützlichen Zustände, die Seite | 35 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa seitens der Menschen akzeptiert werden und in der Gesellschaft etabliert sind. In den Versen wird ja auch der al-maʿrūf (das Bekannte bzw. Gute) befohlen und die Menschen dazu aufgefordert, diese zu befehlen (amr bi-l-maʿrūf). Diese almaʿrūf werden durch die Erfahrungen der Menschen definiert und fest in der Zivilisation verankert. Der Islam beachtet, korrigiert und integriert diese in sein System. Das Rechtssystem muss diese beachten und Urteile aufstellen (wie nadb, ibāḥa, wuǧūb, ḥurma), damit diese Werte universell auf alle Gesellschaften als ein Prinzip weitergegeben werden können. Unter at-taqrīr kann somit die Beachtung der ʿurf verstanden werden.325 Des Weiteren sollten die Urteile nicht nach Namen oder Formen orientiert sein, sondern aufgrund einer Eigenschaft oder ʿilla. Wenn nun ein Tier in einer Sprache den Namen „Schwein“ trägt, so ist es nicht verboten, nur weil es diesen Namen trägt. Früher habe man versucht, Kaffee (qahwa) zu verbieten, weil der Wein im Arabischen auch „qahwa“ genannt wurde. Die ʿilla bestimmt das Urteil und nicht Namen oder Formen.326 Schlusswort327 Sowohl durch die historische Skizze von den Anfängen des Islam und der islamischen Rechtsmethodik (uṣūl al-fiqh) bis hin zur Moderne, als auch durch die allgemeine Darstellung der Methoden und Quellen des klassisch islamischen Rechts ist festzuhalten, dass zu allen Zeiten des islamischen Rechts die maṣlaḥa und somit auch die Maqāṣid aš-šarīʿa in der Rechtsprechung und Entwicklung der Methodik beachtet wurden. Im Allgemeinen kann festgestellt werden, dass muslimische Gelehrte die Nutzung der maṣlaḥa mursala – wenn auch unter strengen Bedingungen wie im Falle al-Ġazālīs oder al-Būṭīs – befürworten. Jedoch verstehen einige Gelehrte die gültigen maṣlaḥa mursala unter waṣf almunāsib oder maṣlaḥa muʿtabara, wodurch sie die maṣlaḥa mursala als maṣlaḥa mulġā verstehen und diese verwerfen (siehe al-Būṭī, Ibn Taymiyya). Einige Gelehrte verstehen die gültigen maṣlaḥa mursala im Rahmen der maṣlaḥa muʿtaba- ra, aber behalten die Bezeichnung „mursala“ (siehe aš-Šāṭibī, Ibn ʿĀšūr) bei. Andere hingegen wie die Ḥanafiten verstehen die Beachtung der maṣlaḥa mursala unter istiḥsān. Somit handelt es sich nach unserer Erkenntnis eher um eine nominelle Diskussion als dass die maṣlaḥa mursala nicht akzeptiert wird. Die Annährung der Gelehrten an die behandelte Diskussionsgrundlage kann in zwei Gruppen aufgeteilt werden: die erste Haltung als „rationalist objectivism“ und die zweite als „theistic subjectivism“. Die Haltung des rationalist objectivism repräsentieren mehrheitlich die muʿtazilitisch-mātūrīditisch orientierten Gelehrten. Die Vernunft ist in der Lage, das Gute und Böse zu erkennen und demnach zu urteilen. Denn das Gute ist das, was Nutzen bringt und das Böse das, was Schaden bringt. Die Gesetzgebung ist dann korrekt, wenn der Nutzen herbeigeführt und der Schaden abgewehrt wird.328 Die Haltung des „theistic subjectivism“ – gleichzusetzen mit der ašʿarītischen Haltung – besagt, dass der Mensch ohne die Hilfe Gottes nicht in der Lage ist, korrekte moralische Kenntnisse zu entwickeln. Denn etwas ist nur gut (ḥusn), weil Gott es geboten hat, und etwas ist nur böse, weil Gott es verboten hat.329 Der pure rationalist objectivism würde kontinuierlich die Abnahme der Rolle des Korans und der Sunna bedeuten. Denn immer wenn eine neue Situation entsteht, wird dann mit der puren Vernunft eine Lösung gefunden und der Koran vernachlässigt.330 Der pure theistic subjectivism führt auch zu negativen Ergebnissen, weil dadurch neue Entwicklungen aufgrund der starken Festhaltung am Wortlaut des Korans nicht beachtet und šarīʿakonform behandelt werden können, da kein detailspezifischer, expliziter naṣṣ existiert.331 Damit dies nicht geschehen kann, müssen die Gelehrten meines Erachtens eine Position einnehmen, die als Kombination dieser beiden genannten Haltungen gelten kann. Diese kann auch als eine maturīdītische Position verstanden werden. Die maturīditische Position besagt, dass die Vernunft zwar in der Lage ist, das Gute und Böse zu entdecken, weil Gott ihr dies aus Güte ermöglicht, sie kann aber nicht unabhängig von der Offenbarung objektiv bleiben. Denn die Vernunft wird durch die persönliche Neigung und vielen anderen Faktoren nega- Seite | 36 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa tiv beeinflusst. Außerdem beachtet Gott auch das Gute und Böse bei der Urteilsbestimmung. Die Menschen können durch Analysen die Vernunft trainieren, um das Gute und Böse im Lichte der Offenbarung zu erkennen.332 Im Endeffekt kann gesagt werden, dass alle Haltungen versucht haben, der persönlichen Neigung (hawā) keinen Freiraum zu bieten. Des Weiteren sind zwei Haltungen zu dem Problem der Epistemologie vorhanden. Dabei wird die Frage, ob der Mensch die maṣlaḥa und somit auch die Maqāṣid aš-šarīʿa durch die Vernunft erkennen kann, zu beantworten versucht: 1. formal legal rationality, 2. substantive legal rationality. Die erste Haltung kann im Qiyāsverständnis gesehen werden. Jede berechtigte maṣlaḥa mursala wird unter waṣf al-munāsib verstanden und in den qiyās integriert, wodurch die Subjektivität und die persönliche Neigung eingegrenzt werden.333 Die zweite Haltung beachtet mehrheitlich keinen Formalismus und versucht, die Maqāṣid aš -šarīʿa zu entdecken und demnach zu urteilen. Es wird nicht mehr allzu sehr die formelle Anwendung, sondern die Konformität mit den abstrakten Normen und Grundsätzen beachtet, die durch die Maqāṣid gewonnen werden. Eine Methode dieser Haltung ist der sadd aḏ-ḏarāʾiʿ.334 Beide Haltungen sehen ihre Herangehensweise als Instrumente für die Beachtung des rechtlichen Wandels (legal change).335 Durch die Betrachtung der historischen Skizze kann gesagt werden, dass sich mit der Zeit mehrheitlich folgende Haltung durchgesetzt hat: Die Vernunft kann das Gute und Böse, die rationem legis, die durch Gottes Gnade festgelegt wurden, erkennen. Im Bereich der muʿāmalāt und wasāʾil können Änderungen beachtet und vorgenommen werden. In diesem Sinne findet auch ein epistemologischer Wandel im uṣūl al-fiqh statt. Mit den gesammelten Ergebnissen kann auch gesagt werden, dass die orientalistische Haltung „Das islamische Recht ist festgefroren (rigid) und nicht änderungsfähig (dynamisch)“ widerlegt ist. Der uṣūl al-fiqh bietet eine Theorie, die jede Entwicklung im Leben šarīʿagerecht beurteilen kann. Sie ist eventuell ausbaufähig und es müssen gegebenenfalls heutzutage weitere Methoden entwickelt werden. Jedoch existiert eine Basis, die bis auf den Propheten zurückgeführt werden kann, welche die Beachtung der neueren Entwicklungen und die Formung neuerer šarīʿarechtlicher Urteile im Bezug auf aktuelle Rechtsfragen gewährleistet. Auch heute ist die Diskussion um die Maqāṣid sehr wichtig, weil durch die technischen und medizinischen Fortschritte und den damit verbundenen, neu entstehenden gesellschaftlichen Probleme die textuellen Quellen erschöpft sind und keine direkten Antworten liefern. Beispielsweise muss ein muǧtahid sich in Sachen der bioethischen Fragestellungen gänzlich auf die Maqāṣid berufen, da für ihn keine direkten textuellen Beweise vorliegen.336 Die Theorie der Maqāṣid lässt sich auch in der praktischen Anwendung wiederfinden. An dieser Stelle möchte ich ein Beispiel aus dem Werk al-Mubsūṭ 337von as-Saraḫsī anführen. Šams al-aʾimma as-Saraḫsī (gest. 483/1090), der sowohl ein Rechtsgelehrter (faqīh) als auch ein Rechtsmethodologe (uṣūlī) ist,338 behandelt in seinem Werk u.a., wie das Wasser in einem Brunnen zu reinigen ist, falls bspw. tote Tiere in einen Brunnen fallen.339 Fällt eine Maus in einen Brunnen (biʾr) und stirbt, so muss sie aus dem Brunnen herausgeholt werden. Hiernach ist es ausreichend, zwanzig Eimer Wasser aus dem Brunnen für dessen Reinigung zu schöpfen. Falls eine Maus hingegen in einer Wassergrube (ǧubb) stirbt, muss das Wasser komplett ausgegossen und die Grube komplett gereinigt werden, da sie aufgrund des Todes der Maus komplett verunreinigt wurde (tanǧusu).340 Diese Prämisse kommentiert as-Saraḫsī und sagt, dass verschiedene Meinungen hierzu geäußert wurden. Bišr sei der Meinung, dass auch der Brunnen komplett gereinigt werden müsse, weil die Verunreinigung sich sowohl in den Steinen als auch im Schlamm gefestigt hat. Dem widersprechend aber, so as-Saraḫsī, wird von Muḥammad (ibn Ḥasan aš-Šaybānī) überliefert, dass Abū Yūsuf und er im Hinblick auf die Reinigung des Brunnens durch Ausschöpfen von einer bestimmten Anzahl von Eimern derselben Meinung sind. Denn ein Brunnen gleicht dem Seite | 37 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa fließenden Wasser.341 Daher darf man einen Brunnen nicht mit einer Grube vergleichen und dadurch einen Analogieschluss (qiyās) bilden. Hiernach diskutiert er, in welchem Falle wie viel Eimer (dalw) Wasser ausgeschöpft werden müssen, was sich je nach Größe und Art der Maus ändert. Er thematisiert auch, dass der Brunnen komplett gereinigt werden muss, falls ein Schaf oder ein Mensch darin stirbt. Wichtig ist nun, wie er die verschiedenen fatwās bezüglich der Anzahl der Eimer für die Reinigung im Falle des Todes einer Maus erklärt. Abū Ḥanīfa habe die Anzahl des Ausschöpfens klein gehalten, da sich in Kūfa nur wenige Brunnen befanden; das Wasser war knapp und es sollte so wenig wie möglich verloren werden. Imām Muḥammad hingegen habe viel mehr gefordert, 200 bis 300 Eimer Wasser, da es zu seiner Zeit in Bagdad viele Brunnen gab und das Wasser nicht knapp war.342 Die Reinigung konnte ausführlicher gestaltet werden. Somit ist zu sehen, dass auch in der Praxis der Wandel der Zeit und der Umstände beachtet wurde und die theoretische Diskussion der Maqāṣid und maṣlaḥa Anwendung fand. Andere Formulierungen im Werk von as-Saraḫsī wie „der Sinn/das Ziel (dessen) ist… (wa-l-maqṣūdu minhu/minhum)“ zeigen auch, dass nicht unabhängig vom Sinn und Zweck des Religionsgesetzes geurteilt wurde. Jedoch ist eine Spannung zwischen der Beachtung des Wortlautes und den Zwecken des Religionsgesetzes bzw. zwischen der literarischen und teleologischen Herangehensweise vorhanden, falls beide Methoden in derselben Problematik zur Anwendung möglich sind. 2 Für detaillierte Informationen siehe Abū Zahra, Muḥammad: Uṣūl al-fiqh. Kairo: Dār al-fikr al-ʿarabī, 2006 (Im Folgenden Abū Zahra: Uṣūl al-fiqh (2006)); Šaʿbān, Zakī ad-Dīn: Uṣūl al-fiqh al-islāmī. [o.O.] [o.J.] (Im Folgenden: Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī (o.J.)); Krawietz, Birgit: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam. Berlin: Duncker und Humblot, 2002 (Im Folgenden: Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002)). 3 Vgl. KırbaĢoğlu, Hayri: er-Risâle‟nin ġekil ve Muhteva açısından EleĢtirisi. In: Sünni Paradigmanın OluĢumunda ġâfiî‟nin Rolü. Hrsg. Hayri KırbaĢoğlu. Ankara: Kitabiyat, 2003². S. 217-267; Sezgin, Fuat: Geschichte des arabischen Schrifttums. Band 1. Leiden: Brill, 1967, S. 484 f. (Im Folgenden: Sezgin: GAS (1967)). 4 Vgl. Bakkal, Ali: Ġslâm Fıkıh Ekolleri. Ġstanbul: Rağbet Yayınları, 2007, S. 178 (Im Folgenden Bakkal: İslâm Fıkıh Ekolleri (2007)). 5 Vgl. Ibn ʿĀšūr, Muḥammad aṭ-Ṭāhir: Maqāṣid aš-šarīʿa al-islāmiyya. Amman: Dār an-nafāʾis, 2001². S. 183-189 (im Folgenden: Ibn ʿĀšūr: Maqāṣid aššarīʿa al-islāmiyya (2001)). Ibn ʿĀšūr betont, dass die maqāṣid aš-šarīʿa in der klassisch, sunnnitischen Rechtsmethodik kaum Anwendung gefunden hat, und anstelle ihrer Diskussion die munāsaba und maṣlaḥa mursala – im Wesentlichen – als eine alternative qiyās-Methode diskutiert und festgelegt wurde. 6 Vgl. Pekcan, Ali: Ġslam Hukukunda Gaye Problemi. Zarûriyyât-HâciyyâtTahsîniyyât. Istanbul: Rağbet Yayınları, 2003. S. 56 (im Folgenden: Pekcan: İslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003)). Literaturangaben: 7 Vgl. ebenda, S. 283; Yaman, Ahmet: Ġslam Hukuk Ġlmi Açısından Makasıd İçtihadının yada Gai/Teleolojik Yorum Yönteminin İlkeleri Üzerine. In: Makâsıd ve Ġctihad. Hrsg. Ahmet Yaman. Konya: Yediveren, 2002. S. 160 (Im Folgenden 1 Vgl. el-Keylânî, Abdurrahman Ġbrahim Zeyd: Ġslam Hukuk Felsefesinin Esasları, Mahiyeti ve TeĢrideki Yeri. Übersetzt von Nasi Aslan. In: Ç.Ü. Ġlahiyat Yaman: İslam Hukuk İlmi Açısından Makasıd İçtihadının İlkeleri Üzerine Fakültesi Dergisi; 1,2. 2001. S. 121 (im Folgenden: el-Keylânî: Ġslam Hukuk (2002)); Opwis, Felicitas: Maṣlaḥa in contemporary Islamic Legal Theory. In: Felsefesinin Esasları (2001)). Islamic Law and Society; 12,2. 2005. S. 191 (Im Folgenden: Opwis: Maṣlaḥa in Seite | 38 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa contemporary Islamic Legal Theory (2005)); Nagel, Tilman: Das islamische Recht. Westhofen: WVA-Verlag, 2001. S. 253 (Im Folgenden: Nagel: Das islamische Recht (2001)); Boynukalın, Ertuğrul: Makasidü‟Ģ-ġeria. In: Türkiye Diyanet Vakfı Ġslam Ansiklopedisi. Bd. 27. Ankara: Türkiye Diyanet Vakfı Yayınları, 2003. 423-426, 27:424 (Im Folgenden: Boynukalın: Makasidü‟Ģ-ġeria (2003)); Dönmez, Ġbrahim Kâfi: Maslahat. In: Türkiye Diyanet Vakfı Ġslam Ansiklopedisi. Bd. 28. Ankara: Türkiye Diyanet Vakfı Yayınları, 2003. 79-94, 28:82 (Im Folgenden: Dönmez: Maslahat (2003)); Khadduri, Majid: Maṣlaḥa. In: The Encyclopaedia of Islam (Second Edition). Hrsg. E. van Donzel [u.a.]. Bd. VI. Leiden: Brill, 1991. 738-740. VI: 739 (Im Folgenden: Khadduri: Maṣlaḥa (1991)). 8 Vgl. Pekcan: Ġslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 86 ff. 9 Die Diskussion um ḥusn-qubḥ ist folgende: Verschiedene islamische Theologieschulen haben darüber diskutiert, ob der Mensch durch die reine Vernunft das Gute (ḥusn) und Böse (qubḥ) an sich entdecken und dementsprechend Urteile fällen kann. In diesem Rahmen wird auch diskutiert, ob daher Ereignisse aufgrund der Kausalität auf der Erde stattfinden, oder ob Gott zu allen Zeitpunkten die kausale Verbindung erschafft. Darüber hinaus wird auch diskutiert, ob der Mensch ohne die Offenbarung Gott auch erkennen und an ihn glauben kann, wodurch er auch ohne eine Offenbarung am Jüngsten Gericht zur Rechenschaft gezogen wird, falls er an Gott nicht glaubt. Die Muʿtazila und Zaydiyya (eine šiʿītische Theologieschule) sind der Meinung, dass der Mensch in der Lage ist, das Gute und Böse zu entdecken und über dem Koran hinaus mit der Vernunft neu entstandene Situationen šarīʿagerecht beurteilen kann. Auch könne der Mensch deswegen vorhandene Urteile revidieren und brauche die rechtlichen Urteile des Korans, die die zwischenmenschlichen Beziehungen (al-muʿāmalāt) thematisieren, nicht wortwörtlich auszuführen. Zweck ist, die Ziele dieser Urteile zu verwirklichen, wobei die Ausführung variieren kann. Die Māturīdiyya vertritt eine ähnliche Position, jedoch sagt sie, dass Gott durch die Offenbarung die Ver- nunft unterstützt und der objektive Entscheidungsmaßstab für die Beurteilung des Guten und Bösen darstellt. Die Ašʿariyya hingegen vertritt die Meinung, dass der Mensch nicht in der Lage ist, das Gute und Böse auf sich alleine gestellt zu entdecken und dass nur die Offenbarung diese bestimmt. Denn die Dinge sind nicht aufgrund ihrer Natur gut oder schlecht, sondern erst durch den Befehl oder das Verbot Gottes als gut und schlecht qualifiziert. Für detailliertere Informationen siehe Kalisch, Muhammad: Vernunft und Flexibilität in der islamischen Rechtsmethodik. Darmstadt: 1997. S. 30-57. 10 Vgl. Pekcan: Ġslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 86 ff. 11 Vgl. Opwis, Felicitas: Maṣlaḥa: An intellectual history of a core concept in Islamic Legal Theory. Yale: UMI Dissertation Services, 2001. S. 19 f. (Im Folgenden: Opwis: Maṣlaḥa (2001)). Diese beiden Persönlichkeiten behandeln die Thematik unter maṣlaḥa und istiḥsān 12 Vgl. Pekcan, Ali: Hanefî Ekolünde Makasıd DüĢüncesi. In: Ġslam Hukuku AraĢtırmaları Dergisi: 9. 2007. 313-336. (Im Folgenden: Pekcan: Hanefî Ekolünde Makasıd DüĢüncesi (2007)); Bardakoğlu, Ali: Ġstihsan. In: Türkiye Diyanet Vakfı Ġslam Ansiklopedisi. Bd. 23. Istanbul: Türkiye Diyanet Vakfı Yayınları, 2001. 339-347. 23:340 (Im Folgenden: Bardakoğlu: İstihsan (2001)); Ad-Dabūsī, Abū Zayd ʿAbd Allāh: Taqwīm al-adilla fī uṣūl al-fiqh. Editiert von Ḫalīl Muḥy ad-Dīn al-Mays. Beirut: Dār al-kutub al-ʿilmiyya, 2007². S. 404 (Im Folgenden: ad-Dabūsī: Taqwīm al-adilla (2007)); Paret, Rudi: Istiḥsān, Istiṣlāḥ. In: The Encyclopaedia of Islam (Second Edition). Hrsg. E. van Dozel [u.a.]. Bd. IV. Leiden: Brill, 1978. 255-259, S. 256 (Im Folgenden: Paret: Istiḥsān, Istiṣlāḥ (1978)). 13 Vgl. Zaydān, ʿAbd al-Karīm: al-Madḫal li dirāsa aš-šarʿiyya al-islāmiyya. Alexandria: Dār ʿUmar ibn al-Ḫaṭṭāb, 2001. S. 200 (Im Folgenden: Zaydān: alMadḫal (2001)); Bardakoğlu: İstihsan (2001), 23:345; Al-Ašqar, Muḥammad Sulaymān ʿAbd Allāh: al-Wāḍiḥ fī uṣūl al-fiqh. Amman: Dār an-nafāʾis, 2004². S. 145 (Im Folgenden: al-Ašqar: al-Wāḍiḥ (2004)); Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 322. Seite | 39 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa 14 Vgl. Bardakoğlu: Ġstihsan (2001), 23:340. 15 Vgl. Paret: Istiḥsān, Istiṣlāḥ (1978), IV:256 f. 16 Vgl. Pekcan: Ġslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 284. 17 Vgl. ebenda. 18 Vgl. Opwis: The Construction of Madhhab Authority: Ibn Taymiyyas Interpretation of Juristic Preference (istiḥsān). In: Islamic Law and Society; 15. 2008. 219-249. 19 Vgl. aṭ-Ṭūfī, Naǧm ad-Dīn: Risāla fī riʿāya al-maṣlaḥa. Editiert von Aḥmad ʿAbd ar-Raḥīm as-Sāyiḥ. [o.O.]: ad-Dār al-miṣriyya al-lubnāniyya, 1993. S. 23 (Im Folgenden: aṭ-Ṭūfī: Risāla fī riʿāya al-maṣlaḥa (1993)). 20 Vgl. Pekcan: Ġslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 284 f. 21 Vgl. Ibn ʿĀšūr: Maqāṣid aš-šarīʿa al-islāmiyya (2001), S. 183-189. 22 Vgl. Yavuz, Yunus Vehbi: Maksadi Yorum. In: Ġslam Hukuku AraĢtırmaları Dergisi; 8. 2006. 41-78. S. 48 f. (Im Folgenden: Yavuz: Maksadi Yorum (2006)). Für eine Liste der verfassten Bücher über Maqāṣid in der klassischen sowie modernen Phase siehe: Pekcan: Usul ve Makasıd Konusunda Yeni Eserler. In: Ġslam Hukuku AraĢtırmaları Dergisi; 8. 2006. 341-358; Pekcan: Makasıd Literatürüne Dair. In: Ġslam Hukuku AraĢtırmaları Dergisi; 11. 2008. 417-443. 23 Wehr: Arabisches Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart (2007 -2008), S. 1029.; vgl. Boynukalın: Makasidü‟Ģ-ġeria (2003), 27:423. 24 Ebenda, S. 1030. 25 Rogler nutzt dieselbe Übersetzung und sagt, dass Gott mit und in seiner Šarīʿa bestimmte Ziele und Absichten verfolgt, vgl. Rogler, Lutz: Maqâsid alsharîʿa als religiöses Reformkonzept. In: Inamo; 57. 2009. 22-26, S.22 (Im Folgenden: Maqâsid al-sharîʿa als religiöses Reformkonzept (2009)). 26 Vgl. Boynukalın: Makasidü‟Ģ-ġeria (2003), 27:423. Ähnlich übersetzt wird es auch in dem Eintrag der Encyclopaedia of Islam: Gleave, R.M.: Maḳāṣid alSharīʿa. In: The Encyclopaedia of Islam (Second Edition). Hrsg. E. van Donzel [u.a.]. Bd. XII. Leiden: Brill, 2004. 569-570, XII:569 f (Im Folgenden: Gleave: Maḳāṣid al-Sharīʿa (2004). 27 Vgl. ebenda. 28 Vgl. Pekcan: Ġslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 26-29. Pekcan erklärt im Detail die von ihn genutzten Definitionen, jedoch unterscheiden sie sich nicht in der Bedeutung, sondern nur in der Wortwahl. Somit lässt sich die detaillierte Definition aller Begriffe als überflüssig kennzeichnen und wir begnügen uns damit, nur die Begriffe zu nennen und nicht weiterhin zu definieren. 29 Vgl. Muslehuddin, Muhammad: Philosophy of Islamic Law and the Orientalists. New Delhi: Taj, 1992. S. 134 (Im Folgenden: Muslehuddin: Philosophy of Islamic Law and Orientalists (1992)); Johnston, David L.: Maqāṣid al-Sharī„a: Epistemology and hermeneutics of the Muslim theologies of human rights. In: Die Welt des Islam; 47,2. 2007. 149-187. S. 174 ff. (Im Folgenden; Johnston: Maqāṣid al-Sharī„a (2007)); Yavuz: Maksadi Yorum (2006), S. 49. 30 Vgl. Falaturi, Abdoldjavad: Die Šarīʿa - das islamische Rechtssystem. In: Weltmacht Islam. Hrsg. Bayrisches Landeszentrum für politische Bildungsarbeit. München: 1988. 93-115, S. 106 (Im Folgenden: Falaturi: Die Šarīʿa- das islamische Rechtssystem (1988)). 31 Vgl. Hallaq, Wael B.: Uṣūl al-fiqh: Beyond tradition. In: Journal of Islamic Studies; 3,2. 1992. 172-202, S. 182 (Im Folgenden: Hallaq: Uṣūl al-fiqh: Beyond tradition (1992)). 32 Vgl. Atay, Hüseyin: Dini DüĢüncede Reformun Yöntemi ve Bir Örnek: Hırsızlık. In: Kelam AraĢtırmaları; 4,1. 2006. 3-50, S. 11 f. (Im Folgenden: Atay: Dini DüĢüncede Reformun Yöntemi ve Bir Örnek: Hırsızlık (2006)). 33 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 340-353. 34 Ibn ʿĀšūr: Maqāṣid aš-šarīʿa al-islāmiyya (2001), S. 183-189. 35 Vgl. Boynukalın: Makasidü‟Ģ-ġeria (2003), 27:423. 36 Vgl. Pekcan: Ġslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 49. Auch der Blick in das Inhaltsverzeichnis der von mir genutzten klassisch-arabischen uṣūl- Seite | 40 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa Werke (siehe Literaturliste) beweist die These von Pekcan. Es lassen sich die Abhandlungen über maṣlaḥa im Wesentlichen nur unter den Diskussionen um qiyās und dem damit verbundenen ʿilla finden. Al-Āmidi z. B. bestimmt eine Überschrift für maṣlaḥa mursala in seinem Werk al-Iḥkām fī uṣūl al-aḥkām, jedoch verweist er an dieser Stelle wieder auf die Abhandlung über munāsaba, die sich unter qiyās befindet. Diese dort sich befindenden Ergebnisse listet er an dieser Stelle unter der Überschrift maṣlaḥa mursala auf. Dabei fügt er hinzu, dass die maṣlaḥa – so wie bei al-Ġazālī – bestimmte Bedingungen erfüllen muss, um beachtet zu werden: vgl. al-Āmidī: al-Iḥkām (2005), S. 394 f. Eine ähnliche Annäherung ist auch bei ar-Rāzī vorzufinden, der unter der Überschrift maṣlaḥa mursala dies als munāsaba versteht und auf die Abhandlung über qiyās hinweist, nach dem er die ersten beiden Arten der maṣlaḥa dargestellt hat: ﻤﺍ ﻠﻢ:ﺍﻠﻗضﻢ ﺍﻠﺜﺍﻠﺚ : ﻗﺪ ﺬﻜﺮﻨﺎ ﻔﻲ ﻜﺘﺎﺏ ﺍﻠﻗﻴﺎش ﺃﻦ ﺍﻠﻤﻨﺎضﺑﺔ: ﻮﻻ ﺒﻺﺒﻄﺎﻞ ﻨﺺ ﻤﻌﻳﻦ; ﻔﻨﻗﻮﻞ,ﻴﺸﻬﺩﺒﺎﻻﻋﺘﺒﺎﺮAr-Rāzī, Faḫr ad-Dīn: al-Maḥṣūl fī ʿilm uṣūl al-fiqh. Editiert von ʿĀdil Aḥmad ʿAbd alMawǧūd und ʿAlī Muḥammad Muʿawwaḍ. Sayda [u.a.]: al-Maktaba al-ʿaṣriyya, 1999². 3:1471 (Im Folgenden: ar-Rāzī: al-Maḥsūl (1999)). 37 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 159-196; Abū Zahra: Uṣūl alfiqh (2006), S. 238-273; Atar, Fahrettin: Fıkıh Usûlü. Istanbul: M.Ü. İlâhiyat Fakültesi Vakfı Yayınları, 20087. S. VIII f. bzw. S. 71-87 (Im Folgenden: Atar: Fıkıh Usûlü (2008)); Zaydān: al-Madḫal (2001), S. 196-212; al-Ašqar: al-Wāḍiḥ (2004), S. 144-152. Diese Werke wurden repräsentativ ausgewählt und angeführt. 38 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 117: „ittafaqa l-ǧumhūru mina l-fuqahāʾi ʿalā anna l-qiyāsa aṣlun min uṣūli t-tašrīʿi (Die Mehrheit der Rechtsgelehrten sind sich einig, dass der Analogieschluss eine Quelle der Methode der Gesetzgebung ist)“. Für detaillierte Informationen über qiyās siehe Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 204223. 39 Vgl. Pekcan: Ġslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 50. 40 Vgl. ebenda; Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 113 f. 41 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 113 ff. Für weitere Beispiele und Erklärungen des qiyās können folgende Bücher unter dem entsprechenden Kapitel angesehen werden: Zaydān: al-Madḫal (2001); Abū Zahra: Uṣūl al-fiqh (2006); al-Ašqar: al-Wāḍiḥ (2004); Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.]. 42 Vgl. Pekcan: Ġslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 50. 43 Vgl. ebenda, S. 51. 44 Vgl. ebenda, S. 53. 45 Vgl. ebenda, S. 55. 46 Vgl. ebenda, S. 56. 47 Siehe Koran (2,184) 48 Die Bestimmbarkeit eines Urteils durch die ʿilla wird in der klassischen Literatur taʿlīl genannt. 49 Vgl. ebenda, S. 60. 50 Vgl. Masud, Muhammad Khalid: Islamic Legal Philosophy. A Study of Abū Isḥāq al-Shāṭibī‟s Life and Thought. Islamabad: Islamic Publication, 1977. S. 2 (Im Folgenden: Masud: Islamic Legal Philosophy (1977)). 51 Vgl. Al-Ġazālī, Abū Ḥāmid: al-Mustaṣfā min ʿilm al-uṣūl al-fiqh. Editiert von Ḥamza ibn Zahīr Ḥāfiẓ. Medina: [o.J.]. 2:478 ff. (Im Folgenden: al-Ġazālī: al-Mustaṣfā min ʿilm al-uṣūl [o.J.]). 52 Vgl. Pekcan: Ġslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 61. 53 Vgl. ebenda. 54 Vgl. ebenda, S. 62 f.; Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 153 f. 55 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 153 f. 56 Vgl. ebenda; Pekcan: Ġslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 61. 57 Vgl. Dönmez: Maslahat (2003), 28:79; Khadduri: Maṣlaḥa (1991), VI:738. 58 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa in contemporary Islamic Legal Theory (2005), S. 182 f. Opwis weist an dieser Stelle auch darauf hin, dass der Begriff „maṣlaḥa“ auch engere Bedeutungen wie Wohlbefinden, Wohlergehen, soziales Wohl (well Seite | 41 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa -being, wellfare, social weal) beinhaltet. Jedoch wird meist der Begriff maṣlaḥa mit public interest übersetzt. Siehe außerdem: Khadduri: Maṣlaḥa (1991), VI:738; Khadduri, Majid: The Maslaha (Public Interest) and ʿilla (Cause). In: N.Y.U. Journal of International Law and Politics; 12. 1979. 213- 217 (Im Folgenden: Khadduri: The Maslaha (Public Interest) and ʿIlla (Cause) (1979)); Hallaq: Uṣūl al-fiqh: Beyond tradition (1992). 59 Vgl. Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 460. 60 Vgl. Rohe, Matthias: Das islamische Recht. München: C.H. Beck Verlag, 2009, S. 66 (Im Folgenden: Rohe: Das islamische Recht (2009)). 61 Vgl. Dönmez: Maslahat (2003), 28:79; Zaydān: al-Madḫal (2001), S. 202; al-Ašqar: al-Wāḍiḥ (2004), S. 149. 62 Vgl. Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 249; Abū Zahra: Uṣūl al-fiqh (2006), S. 250. 63 In diesen Fällen hat die ḥanafitische Rechtsschule die Methode des istiḥsān genutzt, auf die auch später detaillierter eingegangen wird. 64 Vgl. Pekcan: Ġslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 67; Dönmez: Maslahat (2003), 28:79. 65 Vgl. Dönmez: Maslahat (2003), 28:82; Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 242; Zaydān: al-Madḫal (2001), S. 202. 66 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 159 ff. 67 Vgl. ebenda. 68 Vgl. al-Ġazālī: al-Mustaṣfā min ʿilm al-uṣūl [o.J.], 2:479 f. 69 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 159 ff.; Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 242. 70 Vgl. Pekcan: Ġslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003), ebenda, S. 71; Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 242. 71 Vgl. ebenda, S. 71 ff. 72 Vgl. ebenda, S.73. 73 Vgl. ebenda, S.72. 74 Vgl. Dönmez: Maslahat (2003), 28:85. 75 Vgl. Pekcan: Ġslam Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 74-81. 76 Hierbei nennt Pekcan als Beispiel die gleiche Teilung des Erbes unter den Geschwistern (Schwester und Bruder). Der Bruder erhält aus dem ẓāhir (äußerem Wortsinn) des Korans das Doppelte wie die Schwester. Eine gleiche Verteilung sei nicht im Sinne der Šarīʿa (vgl. ebenda), denn die naṣṣ bestimmen im Detail, wie die Erbverteilung stattfinden muss, vgl. Erdoğan, Mehmet: Ġslâm Hukukunda Ahkâmın DeğiĢmesi. Istanbul: M.Ü. Ġlâhiyat Fakültesi Vakfı Yayınları, 20096, S- 134 f. (Im Folgenden: Erdoğan: İslâm Hukukunda Ahkâmın DeğiĢmesi (2009)). 77 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 164 ( „[…] An takūna lmaṣlaḥa maʿqūla fī ḏātihā […]“) 78 Vgl. Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2003), S. 245; Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 262-275; aš-Šāṭibī: alMuwāfqāt [o.J.], 2:6-13; Masud: Islamic Legal Philosophy (1977), S. 227. 79 Vgl. Dönmez: Maslahat (2003), 28:82; Aš-Šāṭibī, Abū Isḥāq: alMuwāfaqāt fī uṣūl al-aḥkām. Beirut: Dār al-fikt, [o.J.], 2:1-6 (Im Folgenden: ašŠāṭibī: al-Muwāfaqāt [o.J.], 2:1-6); Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnititschen Islam (2002), S. 230-234; Johnston: Maqāṣid al-Sharī„a (2007), S. 160. 80 Für das Fünfermodell al-Ǧuwaynīs s. Al-Ǧuwaynī, Imām al-Ḥaramayn: alBurhān. Editiert von ʿAbd al-ʿAẓīm ad-Dayyib. Katar: 1979, 2:924-926 (Im Folgenden: al-Ǧuwaynī: al-Burhān [o.J.]). Für das Dreistufenmodell al-Ġazālīs, das die Entwicklung der islamischen Rechtsmethodik sehr beeinflusst hat, s. alĠazālī: al-Mustaṣfā [o.J.], 2:480-483; Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 44 ff. 81 Vgl. aš-Šāṭibī: al-Muwāfaqāt [o.J.], 2:5 f. Seite | 42 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa 82 Vgl. ebenda; Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 229; aš-Šāṭibī: al-Muwāfaqāt [o.J.], 2:4-5; Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 45. 83 Vgl. ebenda, S. 133; Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 230; Dönmez: Maslahat (2003), S. 82; Dasuki, Asyraf Wajdi/ Abdullah, Nurdianawati Irwani: Maqasid al Shari'ah - Maslaha and Corporate Social Responsibility. In: The American Journal of Islamic Social Sciences; 24,1. [o.J.]. 25-45, S. 32 (Im Folgenden: Dasuki/Abdullah: Maqasid al Shari'ah [o.J.]). 84 Der Vergleich der Aufzählung unter Gelehrten wie al-Ġazālī, ar-Rāzī, alĀmidī, al-Qarāfī aṭ-Ṭūfī, aš-Šāṭibī und Ibn ʿĀšūr hat gezeigt, dass alle Gelehrten die Aufzählung anders gestalten und somit eine andere hierarchische Ordnung bevorzugen, vgl. al-Ġazālī: al-Mustaṣfā min ʿilm al-uṣūl [o.J.], 2:482; Pekcan: İslam Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 271 ff.; Al-Āmidī, Sayf ad-Dīn: alIḥkām fī uṣūl al-aḥkām. Editiert von Ibrāhīm al-ʿAǧūz. Beirut: Dār al-kutub alʿilmiyya, 20055, 3:240 (Im Folgenden: al-Āmidī: al-Iḥkām (2005)); aš-Šāṭibī: alMuwāfaqāt [o.J.], 2:3; Ibn ʿĀšūr: Maqāṣid aš-šarīʿa al-islāmiyya (2001), S. 301. 85 Vgl. ebenda, S. 134 ff.; Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 230 f. 86 Vgl. Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 231; aš-Šāṭibī: al-Muwāfaqāt [o.J.], 2:3. Pekcan stellt ebenfalls dar, dass al-Ġazālī auch derselben Meinung ist. Er führt noch weitere Beispiele aus den monotheistischen Religionen sowie aus Buddhismus, Jainismus und dem Drusentum an. In all diesen Religionen wird betont, dass das Leben geschützt werden muss, dass man nicht stehlen darf und weitere ähnliche Gebote: vgl. Pekcan: Ġslam Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 147-153. All diese Prämissen zeigen, dass die aḍ-ḍarūriyyāt al-ḫamsa universell sind. Hier kann auch ein Ansatz für den Schutz der Menschenrechte erkannt werden, auch wenn dies in den westlichen Forschungen oft übersehen wird. 87 Der Begriff fiṭra kann als die „natürliche Ausrichtung des Menschen zu Glauben“ übersetzt werden. 88 Vgl. Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 231. 89 Vgl. Ibn ʿĀšūr: Maqāṣid aš-šarīʿa al-islāmiyya (2001), S. 259-267. 90 Vgl. ebenda. 91 Vgl. Dönmez: Maslahat (2003), 28:82. 92 Vgl. At-Tirmiḏī, Abū ʿĪsā Muḥammad: Sunan at-Tirmiḏī. Editiert von ʿUbayd ad-Daʿās. Damaskus: Dār Ibn Kaṯīr, 2007 (Im Folgenden: at-Tirmiḏī: Sunan at-Tirmiḏī (2007)), S. 103 f., Kitāb al-ḥudūd, bāb 12, Ḥadīṯ Nr. 1439. AšŠāṭibī zählt eine Vielzahl von Ḥadīṯen in diesem Rahmen auf, vgl. aš-Šāṭibī: alMuwāfaqāt [o.J.], 4:40 ff. 93 Vgl. Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 232. 94 Vgl. ebenda, S. 233; aš-Šāṭibī: al-Muwāfaqāt [o.J.], 2:4 f.; Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 45 f. 95 Vgl. Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 234. 96 Vgl. Pekcan: Ġslam Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 203. 97 Vgl. Ibn ʿĀšūr: Maqāṣid aš-šarīʿa al-islāmiyya (2001), S. 306 ff. 98 Vgl. Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 234 f. Dönmez: Maslahat (2003), 28:83. Dasuki/Abdullah: Maqasid al Shari'ah [o.J.], S. 33. 99 Vgl. aš-Šāṭibī: al-Muwāfaqāt [o.J.], 2:6 f. 100 Vgl. ebenda (auf dieser Seite im al-Muwāfaqāt befinden sich noch mehrere Beispiele); Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 237. 101 Hallaq beschäftigt sich in seinem Aufsatz mit der Nutzung dieser Beweisführung im islamischen Recht u. a. im Bezug auf den qiyās: vgl. Hallaq, Wael Seite | 43 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa B.: Logic of Legal Reasoning in Religious and Non-Religious Cultures: The Case of Islamic Law and the Common Law. In: Cleveland State Law Review: 34. 1985-86. 79-96. 102 In diesem Falle handelt es sich von den zwei Beweismöglichkeiten „a maiore ad minus und a minore ad maius“ um die Möglichkeit a minore ad maius (Schluss vom Kleineren zum Größeren). 103 Vgl. Pekcan: Ġslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 170. 104 Für nähere Informationen kann die Magisterarbeit herangezogen werden, vgl. S. 63-65. 105 Vgl. aš-Šāṭibī: al-Muwāfaqāt [o.J.], 2:8-15. 106 Vgl. az-Zarqā: al-Madḫal [o.J.], S. 87. 107 Vgl. Özen, ġükrü: Ġstislah. In: Türkiye Diyanet Vakfı Ġslam Ansiklopedisi. Bd. 23. Istanbul: Türkiye Diyanet Vakfı Yayınları, 2001. 383-388, 23:381 (Im Folgenden Özen: Ġstislah (2001)). 108 Vgl. Karaman, Hayreddin: Ġslâm Hukuk Tarihi. Istanbul: Ġz Yayıncılık, 20044, S. 69 (Im Folgenden: Karaman: İslâm Hukuk Tarihi (2004)). 109 Vgl. ebenda. 110 Vgl. Özen: Ġstislah (2001), 23:385. 111 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 170. 112 Vgl. Emon, Auwer M.: Natural Law and Natural Rights in Islamic Law. In: Journal of Law and Religion; 20,2. 2004-2005. 351-395, S. 377 (Im Folgenden: Emon: Natural Law and Natural Rights in Islamic Law (2005)). 113 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 170. 114 Vgl. Özen: Ġstislah (2001), 23:388; al-Ġazālī: al-Mustaṣfā min ʿilm uṣūl alfiqh [o.J.], 2:487-490. 115 Vgl. Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 313; az-Zarqā ordnet den istiḥsān auch unter die sekundären Quellen (maṣādir al-farʿiyya at-tabʿiyya) an: vgl. az-Zarqā: al-Madḫal al-fiqhī al -ʿāmm [o.J.], S. 87. Auch in neueren uṣūl-Werken ist diese Unterteilung zu sehen: vgl. Zaydān: al-Madḫal (2001), S. 196 (al-maṣādir at-tabʿiyya). 116 Vgl. Wehr: Arabisches Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart (2007-2008), S. 257. 117 Vgl. ebenda, S. 257 f. 118 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 173 f. Beispielsweise wird in az-Zarqās Werk dieser Begriff durchgehend in der Behandlung des istiḥsān genutzt: vgl. az-Zarqā: al-Madḫal [o.J.], S. 87-98. 119 Vgl. az-Zarqā: al-Madḫal [o.J.], S. 88. 120 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 173 f. Bernard Weiss stellt den istiḥsān fälschlicher Weise nur als eine Entscheidung im Sinne von qiyās al-ḫafī dar und weist nicht auf die verschiedenen Arten, die ich noch im folgenden Kapitel darstellen werde, hin. Er reduziert es eher zu einem tarǧīḥ (Entscheidung). Daher betrachtet er sowohl istiḥsān als auch istiṣlāḥ als eine Art des qiyās: vgl. Weiss, Bernard: Interpretation in Islamic Law, the theory of ijtihad. In: The American Journal of Comparative Law; 26.1978. 199-212, S. 202 (Im Folgenden: Weiss: Interpretation in Islamic Law (1978)). 121 Vgl. Bardakoğlu: Ġstihsan (2001), 23:339; Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 315; al-Ašqar: al-Wāḍiḥ (2004), S. 144; Opwis: The Construction of Madhhab Authority (2008), S. 220; Zaydān: al-Madḫal (2001), S. 200 f.; Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 173 f.; Paret: Istiḥsān, Istiṣlāḥ (1978), IV:256; Rohe: Das islamische Recht (2009), S. 64. 122 Vgl. al-Ašqar: al-Wāḍiḥ (2004), S. 144; Tyan, Emil: Méthodologie et sources du droit en Islam (istiḥsān, istiṣlāḥ, siyāsa sharʿiyya). In: Studia Islamica; 10.1959. 79-109, S. 84 (Im Folgenden: Tyan: Méthodologie et sources du droit en Islam (Istiḥsān, Istiṣlāḥ, siyāsa šarʿiyya) (1959)). 123 Vgl. Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 315; Bardakoğlu: Ġstihsan (2001), 23:341. Seite | 44 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa 124 Vgl. al-Ašqar: al-Wāḍiḥ (2004), S. 145; Abū Zahra: Uṣūl al-fiqh (2006), S. 238 f.; Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 322. 125 Al-Ġazālī kritisiert alle Beweise der Ḥanafiten bezüglich des istiḥsān und sieht auch darin eine Urteilskraft durch persönliche Neigung (hawā), vgl. alĠazālī: al-Mustaṣfā min ʿilm al-uṣūl (o.J.), 2:467 f. Laut Paret akzeptiert alĠazālī den istiḥsān im Sinne von taḫṣīṣ al-ʿilla, aber dies sei schon ein Teil des qiyās, wodurch eine weitere Benennung mit dem Namen istiḥsān laut al-Ġazālī überflüssig sei, vgl. Paret: Istiḥsān, Istiṣlāḥ (1978), IV:256. 126 Vgl. Bardakoğlu: Ġstihsan (2001), 23:340. 127 Vgl. ebenda. Aufgrund dieser Kritik von aš-Šāfiʿī findet man auch in den Definitionen der Befürworter oft die Bemerkung, dass der istiḥsān keine Methode ist, durch welche die persönliche Neigung befürwortet wird. 128 Vgl. Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 318. 129 Vgl. al-Ašqar: al-Wāḍiḥ (2004), S. 144; Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 318. In aš-Šāfiʿī, Muḥammad ibn Idrīs: ar-Risāla. Editiert von Aḥmad Muḥammad Šākir. Kairo: Maktaba dār at-turaṯ, 2005³, S. 497 heißt es außerdem: „wa-innamā l-istiḥsān talaḏḏuḏ“. 130 Vgl. ebenda, S. 323. 131 Vgl. Bardakoğlu: Ġstihsan (2001), 23:345. 132 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 189 f. Es wird an anderer Stelle betont, dass aš-Šāfiʿī mehr als zwanzig bekannte fatwās erteilt hat, die auf istiḥsān basieren, vgl. al-Ašqar: al-Wāḍiḥ (2004), S. 144. 133 Vgl. az-Zarqā: al-Madḫal [o.J.], S. 88. Im Verlauf stellt az-Zarqā zwei weitere Arten des istiḥsān, nämlich istiḥsān as-sunna (istiḥsān der Sunna) und istiḥsān al-iǧmāʿ (istiḥsān des Konsenses) dar. Diese Darstellung kritisiert er und stellt dar, dass diese zwei Arten des istiḥsān kein istiḥsān in dem Sinne sein können. Es sei vielmehr die Entscheidung für eine Sunna oder einen iǧmāʿ ge- genüber einem qiyās, somit eine Entscheidung pro naṣṣ und contra qiyās. Die Bezeichnung als istiḥsān sei nicht angebracht (vgl. ebenda, S. 94). Für eine ähnliche Einteilung siehe: Kamali, Muhammad Hashim: Istihsan and the renewal of Islamic Law. Abrufbar unter: http://www.iais.org.my/en/index.php? option=com_k2&view=item&task=download&id=33&Itemid=100; (Abruf 22.03.2010; 11.30 Uhr), S. 3 (Im Folgenden Kamali: Istihsan and the renewal of Islamic Law). 134 Vgl. Zaydān: al-Madḫal (2001), S. 200. 135 Hierunter versteht Abū Zahra auch den istiḥsān al-ʿurf, wodurch er eine Art des istiḥsān unter einer anderen subsummiert und somit die Anzahl der Arten reduziert wird, vgl. Abū Zahra: Uṣūl al-fiqh (2006), S. 242. 136 Vgl. Abū Zahra: Uṣūl al-fiqh (2006), S. 240 ff. Atar unternimmt auch eine Viererteilung, ordnet und bezeichnet sie aber anders: istiḥsān an-naṣṣ (somit schließt er auch den Koran ein), istiḥsān al-iǧmāʿ, istiḥsān aḍ-ḍarūra und alqiyās al-ḫafī (vgl. Atar: Fıkıh Usûlü (2008), S. 72 f.) 137 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 176; Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 317; al-Ašqar: alWāḍiḥ (2004), S. 145 ff. 138 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 187. 139 Vgl. Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 317. Eine detaillierte Behandlung der Einteilung der Arten des istiḥsān ist in der Überschrift „Arten des istiḥsān“ in der Magisterarbeit wiederzufinden, s. Kurnaz: Der Diskurs um Maqāṣid aš-šarīʿa – Ein Konzept zur Lösung aktueller Rechtsprobleme (2010), S. 84 ff. 140 Vgl. Kaufmann, Artuhr: Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart. Heidelberg: Müller, 2011, S. 220 ff. 141 Vgl. Adachi, Hidehiko: Die Radbruchsche Formel. Baden-Baden: Nomos, 2006, S. 80 f. Seite | 45 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa 142 Vgl. Radbruch, Gustav: Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht. In: Rechtsphilosophie. Hrsg. Ralf Dreier und Stanley Paulson. Heidelberg: Müller, 1999, S. 211 ff. 143 Vgl. Scheuren-Brandes, Christoph: Der Weg von nationalsozialistischen Rechtslehren zur Radbruchschen Formel. Paderborn [u.a.]: Schöningh, 2006, S. 13. 144 Vgl. Bardakoğlu: Ġstihsan (2001), 23:342. 145 Vgl. ebenda. 146 Vgl. ebenda. 147 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 190. 148 Vgl. ebenda. 149 Vgl. Kamali: Istihsan and the renewal of Islamic Law [o.J.], S. 3. 150 Vgl. ebenda, S. 12. 151 Vgl. Bardakoğlu: Ġstihsan (2001), 23:346. 152 Vgl. Falaturi: Die Šarīʿa – das islamische Recht (1988), S. 101. 153 Für die Diebesstrafe siehe: Koran (5|38). 154 Vgl. Falaturi: Die Šarīʿa – das islamische Recht (1988), S. 106. 155 Vgl. ebenda, S. 108. 156 Vgl. Yavuz: Maksadi Yorum (2006), S. 47. 157 Die Wahrnehmung der Prophetengefährten bezüglich der Urteile kann man in zwei Arten aufteilen: literarisch (lafẓī) und auf die Absicht bezogen bzw. teleologisch (maqṣadī). Auch wenn die großen Prophetengefährten (aṣ-ṣaḥāba alkibār) und die Gefährten, die ein stark geprägtes Rechtsverständnis besaßen und somit als Rechtsgelehrte (fuqahāʾ) bezeichnet wurden, wie ʿUmar ibn al-Ḫaṭṭāb, ʿĀʾiša, ʿAlī ibn Abī Ṭālib, Ibn ʿAbbās und ʿAbd Allāh ibn Masʿūd die Absichten hinter den Urteilen sahen und demnach urteilten, gab es auch eine Haltung, die den literarischen Sinn bevorzugte (vgl. Atay: Dini DüĢüncede Reformun Yöntemi ve Bir Örnek: Hırsızlık (2006), S. 15; Kamali: Istihsan and the renewal of Islamic Law [o.J.], S. 5 f.). Als Beispiel kann das Verständnis des Befehls vom Propheten, dass sie das Nachmittagsgebet (ṣalāt al-ʿaṣr) in Banū Qurayza verrichten sollten, erwähnt werden. Viele der Gefährten haben es so verstanden, dass sie wirklich in Banū Qurayza zu beten haben, gleichgültig ob die Zeit dafür abläuft oder nicht. Einige andere hingegen verstanden den Befehl als eine Anregung des Propheten, damit man zügig in Banū Qurayza eintrifft. Diese Gruppe verrichtete somit das Gebet auf dem Weg und beachtete die Absicht hinter dem Urteil, die andere Gruppe hielt am Wortlaut fest und betete erst in Banū Qurayza (vgl. Atay: Dini DüĢüncede Reformun Yöntemi ve Bir Örnek: Hırsızlık (2006), S. 15-18). 158 Eine Gruppe von Menschen, deren Herzen für den Islam gewonnen werden sollen oder bei denen versucht wird, ihre Feindschaft gegenüber den Islam einzudämmen, indem laut (9|60) die Möglichkeit besteht, ihnen die Almosensteuer zu entrichten, vgl. Erdoğan, Mehmet: Fıkıh ve Hukuk Terimleri Sözlüğü. Istanbul: Ensar NeĢriyat, 2005², S. 414 (Im Folgenden: Erdoğan: Fıkıh ve Hukuk Terimleri Sözlüğü (2005)). 159 Vgl. Köse, Saffet: Hz. Ömer‟in Bazı Uygulamalrı Bağlamında Ahkâmın DeğiĢmesi TartıĢmalarına Bir BakıĢ. In: Ġslam Hukuku AraĢtırmaları Dergisi; 7. 2006. 13-50, S. 18 (Im Folgenden: Köse: Hz. Ömer’in Bazı Uygulamaları Bağlamında Ahkâmın DeğiĢmesi TartıĢmalarına Bir BakıĢ (2006)). 160 Vgl. Hatiboğlu, Mehmed Said: Ġslâm ve DeğiĢim. In: Ġslamın Aktüel Değeri Üzerine 2. Ankara: Otto, 2009. 91-97., S. 94 (Im Folgenden: Hatiboğlu: Ġslam ve DeğiĢim (2009)); Falaturi: Die Šarīʿa – das islamische Rechtssystem (1988), S. 107. 161 Vgl. Köse: Hz. Ömer‟in Bazı Uygulamaları Bağlamında Ahkâmın DeğiĢmesi TartıĢmalarına Bir BakıĢ (2006), S. 29; Atay: Dini DüĢüncede Reformun Yöntemi ve Bir Örnek: Hırsızlık (2006), S. 21 ff. 162 Vgl. Atay: Dini DüĢüncede Reformun Yöntemi ve Bir Örnek: Hırsızlık (2006), S. 21 ff. Seite | 46 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa 163 Für die Darstellung der Meinung von Rahman und dessen Kritik siehe Sifil, Ebu Bekir: Fazlur Rahmanda Hikmet Maksad Maslahat. In: Makâsıd ve Ġctihad, Hrsg. Ahmet Yaman Konya 2002. 417- 428. 164 Vgl. Köse: Hz. Ömer‟in Bazı Uygulamaları Bağlamında Ahkâmın DeğiĢmesi TartıĢmalarına Bir BakıĢ (2006), S. 30. 165 Für die Möglichkeit der Deklination als „maqṣid“ und „maqṣad“ siehe: Wehr: Arabisches Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart (20072008), S. 1030. 166 Vgl. Dönmez: Maslahat (2003), 28:80. Für den Vorgang der Sammlung des Korans und die entsprechenden Überlieferungen siehe: Az-Zarkašī, Badr adDīn: al-Burhān fī ʿulūm al-qurʾān . Editiert von Muḥammad Abū al-Faḍl Ibrāhīm. Beirut: Dār al-maʿrifa, 1972², 1:295-303. 167 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 49 ff. 168 Vgl. Özen: Ġstislah (2001), 23:383. 169 Vgl. Erdoğan: Ġslam Hukukunda Ahkâmın Değismesi (2009), S.118 f. 170 An dieser Stelle möchte ich auf eine Arbeit hinweisen, die sich damit beschäftigt, Ünal: Ġmam Ebu Hanife‟nin Hadis AnlayıĢı ve Hanefi Mezhebinin Hadis Metodu (2001). 171 Vgl. Karaman: Ġslam Hukuk Tarihi (2004), S. 178. 172 Vgl. ebenda, S. 179 f. 173 Vgl. ebenda. 174 Vgl. ebenda, S. 194. 175 Vgl. Abdulkader, Deina: Modernity, the Principles of Public Welfare (maslaha) and the Endgoals of Sharīʿa (maqāṣid) in Muslim Legal Thought. In: Islam and Christian-Muslim Relationship; 14,2. 2003. 163-174, S. 171 f. (Im Folgenden: Abdelkader: Modernity, the Principles of Public Welfare (maslaha) and the Endgoals of Sharīʿa (maqāṣid) in Muslim Legal Thought (2003)). 176 Vgl. Karaman: Ġslam Hukuk Tarihi (2004), S. 184 f. 177 Vgl ebenda, S. 181. 178 Vgl. Abdelkader: Modernity, the Principles of Public Welfare (maslaha) and the Endgoals of Sharīʿa (maqāṣid) in Muslim Legal Thought (2003), S. 171 f. 179 Vgl. Abdelkader: Modernity, the Principles of Public Welfare (maslaha) and the Endgoals of Sharīʿa (maqāṣid) in Muslim Legal Thought (2003), S. 171 f. 180 Vgl. ebenda. 181 Vgl. Karaman: Ġslam Hukuk Tarihi (2004), S. 195. 182 Vgl. ebenda, S. 191. 183 Vgl. Özen, ġükrü: Ġmam Ebu Mansur al-Maturidi‟nin Fıkıh Usulünün Ġnşası. In: İmam Mâturîdî ve Maturidilik. Hrsg. Sönmez Kutlu. Ankara: kitabiyât, 2003. 203-242, S. 215 (Im Folgenden: Özen: Ġmam Ebu Mansur al-Maturidi‟nin Fıkıh Usulünün ĠnĢası (2003)). 184 Vgl. ÖzdeĢ, Talip: Maturidi„nin Tevil AnlayıĢında Aklın Yeri. In: Ġmam Mâturîdî ve Maturidilik. Hrsg. Sönmez Kutlu. Ankara: kitâbiyât, 2003. 243-257, S. 249 f. (Im Folgenden: ÖzdeĢ: Maturidi„nin Tevil AnlayıĢında Aklın Yeri (2003)). 185 Vgl. ebenda. 186 Vgl. Kutlu, Sönmez: GiriĢ. In: Ġmam Mâturîdî ve Maturidilik. Hrsg. Sönmez Kutlu. Ankara: kitâbiyât, 2003. 17-55, S. 44 (Im Folgenden Kutlu: GiriĢ (2003)). 187 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 19. 188 Vgl. ebenda, S. 20-23; Emon: Natural Law and Natural Rights in Islamic Law (2005), S. 355 ff.; 189 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 27; al-Baṣrī, Abū al-Ḥusayn: al-Muʿtamad fī uṣūl al-fiqh. Editiert von Ḫalīl al-Mays. Beirut: Dār al-kutub al-ʿilmiyya, 2005³, 2:328 (Im Folgenden: al-Baṣrī: al-Muʿtamad (2005)). 190 Vgl. ebenda; al-Baṣrī: al-Muʿtamad (2005), 2:328. 191 Vgl. ebenda, S. 28; al-Baṣrī: al-Muʿtamad (2005), 2:328. Seite | 47 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa 192 Vgl. ebenda, S. 30 f. 193 Vgl. Hallaq, Wael B.: Consideration on the Function and Character of Sunnī Legal Theory. In: Journal of the American Oriental Society; 104,4. 1984. 679-689, 686 (Im Folgenden: Hallaq: Consideration on the Function and Character of Sunnī Legal Theory (1984)); Masud: Islamic Legal Philosophy (1977), S. 151. 194 Vgl. Yaman: Ġslam Hukuk Ġlmi Açısından Makasıd Ġçtihadının Ġlkeleri Üzerine (2002), S. 160; Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 31. 195 Vgl. Pekcan: Ġslam Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 31; . alǦuwaynī: al-Burhān [o.J.], 2:1338. 196 Vgl. Raysûnî, Ahmet: Makâsıd ve içtihad. Tercüme: Ahmet Yaman. In: Makâsıd ve Ġctihad. Hrsg. Ahmet Yaman. Konya: Yediveren, 2002. 127-157, S. 131 (Im Folgenden: Raysūnī: Makâsıd ve Ġçtihad (2002)). 197 Vgl. Atay: Dini DüĢüncede Reformun Yöntemi ve Bir Örnek: Hırsızlık (2006), S. 14. 198 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 34. 199 Vgl. al-Ǧuwaynī: al-Burhān [o.J.], 2:923. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 36. Opwis fügt hinzu, dass die ḍarūriyyāt dann zustande kommen, wenn die Bedürfnisse (ḫaǧiyyāt) alle Personen betreffen. Daher müssen diese auch notwendigerweise beachtet werden. Ein weiteres Ergebnis ist, dass die ḥāǧiyyāt somit spezieller sind als die ḍarūriyyāt: vgl. ebenda, S. 36 f. 200 Vgl. al-Ǧuwaynī: al-Burhān [o.J.], 2:924. 201 Vgl. ebenda, 2:924 f.; Pekcan: Ġslam Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 89. 202 Vgl. ebenda. 203 Vgl. ebenda, 2:926. 204 Vgl. Pekcan: Ġslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 90 f. 205 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 55 f.; Pekcan: İslam Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 93. Opwis vergleicht diese seine Haltung mit der Haltung von al-Baṣrī und zeigt, dass sie eine ähnliche Position gegenüber der Maqāṣid aš -šarīʿa einnehmen. Beide behandeln diese im Rahmen der munāsaba und Maqāṣid aš-šarīʿa: vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 42. 206 Vgl. Pekcan: Ġslam Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 93 f. 207 Vgl. ebenda, S. 94; al-Ġazālī: al-Mustaṣfā [o.J.], 2:478; Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 52. 208 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 41. 209 al-Ġazālī: al-Mustaṣfā [o.J.], 2:478 ff.; Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 41; Muslehuddin: Philosophy of Islamic Law and the Orientalist (1992), S.159 f.; Khadduri: Maṣlaḥa (1991), VI:739. 210 Vgl. ebenda; Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 42 f. 211 Vgl. ebenda; Koca, Ferhat: Ġslam Hukuk Metodolojisinde Tahsis. Istanbul: Türkiye Diyanet Vakfı Yayınları, 1996, S. 265 (Im Folgenden: Koca: Ġslam Hukuk Metodolojisinde Tahsis (1996)); Goolam, Nazeem M.: Ijtihad and its significance for Islamic Legal interpretation. In: Michigan State Law Review; 2006.1443-1467, S. 1451 (Im Folgenden: Goolam: Ijtihad and its significance for Islamic Legal interpretation (2006)). 212 Al-Ġazālī erarbeitet die Stufen heraus und führt für jede Stufe bestimmte Beispiele an. Die Fundstelle dieser Erarbeitung ist: al-Ġazālī: al-Mustaṣfā [o.J.], 2:481 ff. 213 Vgl. ebenda, 2:487. 214 Vgl. ebenda. 215 Vgl. ebenda, 2:489. Die Ausführungen al-Ġazālīs können ebenfalls in zusammengefasster Form gefunden werden in: Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 4263; Muslehuddin: Philosophy of Islamic Law and the Orientalists (1992), S. 163 f., 182 f.; Emon: Natural Law and Natural Rights in Islamic Law (2005), S. 367377; Johnston: Maqāṣid al-Sharī„a (2007), S. 160, 246 ff.; Abdelkader: Modernity, the Principles of Public Welfare (maslaha) and the Endgoals of Sharīʿa (maqāṣid) in Muslim Legal Thought (2003), S. 170 f.; Hourani, George F.: Seite | 48 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa Ghazālī on the Ethics of Action. In: Journal of the American Oriental Society; 96,1. 1976. 69-88, S. 86 f.; Kerr, Malcolm H.: Moral and Legal Judgement Independent of Revelation. In: Philosophy East West; 18,4. 1968. 277-283., S. 279. 216 Opwis stellt verschiedene Modelle der Haltung gegenüber der maṣlaḥa mursala dar und als erstes Modell gelte das Modell von al-Ġazālī und ar-Rāzī. Dabei sei ersichtlich, dass beide Gelehrte dieselben Ergebnisse erzielen bzw. dass ar-Rāzī sich im Wesentlichen auf al-Ġazālī stützt: vgl. Opwis: Maṣlaḥa in contemporary Islamic Legal Theory (2005), S. 193. Neben diesem Modell kategorisiert Opwis andere Annäherungen in weiteren drei Modellen (Modell von Qarāfī, aṭ-Ṭūfī und aš-Šāṭibī), wodurch sie vier verschiedene Modelle bezüglich der maṣlaḥa erzielt: vgl. Opwis: Maṣlaḥa in contemporary Islamic Legal Theory (2005), S. 193-197. 217 Vgl. ar-Rāzī: al-Maḥṣūl (1999), 3:1471. An dieser Stelle thematisiert arRāzī die Haltung al-Ġazālīs gegenüber der maṣlaḥa mursala und nutzt auch die gleichen Beispiele, die bei der Untersuchung von al-Ġazālī genannt wurden (Muslime als Schutzschilder, „Überbordwerfung“ von Menschen etc.). 218 Ar-Rāzī sieht wie al-Ġazālī die Beachtung der maṣlaḥa muʿtabara den „normalen“ qiyās. Als Beispiel für die maṣlaḥa mulġā nennt er dasselbe Beispiel bezüglich der fatwā an den Herrscher, der sein Fasten gebrochen habe: vgl. arRāzī: al-Maḥṣūl (1999), 3:1470. 219 Vgl. ar-Rāzī: al-Maḥṣūl (1999), 3:1470 f.; al-Ġazālī: al-Mustaṣfā [o.J.], 2:279 ff. 220 Vgl. ebenda, 3:1471. 221 Vgl. ebenda. 222 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 102. 223 Vgl. ebenda. 224 Vgl. al-Maḥṣūl (1999), 3:1473. 225 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī (o.J.), §11; Pekcan: İslam Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 96. 226 Vgl. al-Āmidī: al-Iḥkām (2005), 3:394. 227 Vgl. ebenda und 3:240-246. 228 Vgl. ebenda, 3:240 f. Die tatimmāt sind laut al-Āmidī nicht basisbietend („aṣlan“), sondern sekundär und ergänzend. Diejenigen, die aṣlī sind, sind die, die z. B. die Beachtung der aḍ-ḍarūriyyāt al-ḫamsa unter der höchsten Stufe gewährleisten: vgl. ebenda. 229 Vgl. ebenda, 3:240. 230 Vgl. ebenda. Die Beispiele für den Schutz der aḍ-ḍarūriyyāt al-ḫamsa sind die gleichen wie bei al-Ġazālī. 231 Vgl. ebenda, 3:241. Die ḥāǧiyyāt erleichtern das Leben, aber sind nicht notwendig und die taḥsīniyyāt verschönern die Handlungen und verbessern den Charakter des Menschen. 232 Vgl. ebenda, 3:240. 233 Vgl. ebenda, 3:204 f. 234 Vgl. ebenda, S. 98. 235 Vgl. Ibn ʿAbd as-Salām, ʿIzz ad-Dīn: Qawāʿid al-aḥkām fī iṣlāḥ al-anām. Editiert von Nazīr Kamāl Ḥammād [u.a.]. Damaskus: Dār al-qalam, [o.J.], S. 15 f. (Im Folgenden: Ibn ʿAbd as-Salām: Qawāʿid al-aḥkām fī iṣlāḥ al-anām [o.J.], S. 15 f.; Ibn ʿAbd as-Salām, ʿIzz ad-Dīn: Qawāʾid aṣ-ṣuġrā. Editiert von Iyād Ḫālid aṭ-Ṭabbāʿ. Damaskus: Dār al-fikr, 1996, 1:32 (Im Folgenden: Ibn ʿAbd asSalām: Qawāʿid aṣ-ṣuġrā (1996)). 236 Vgl. Ibn ʿAbd as-Salām: Qawāʿid aṣ-ṣuġrā (1996), 1:32. 237 Vgl. Haçkalı, Abdurrahman: el-Ġzz ibn Abdisselâm‟da Maslahat-Ġçtihad İlişkisi. In: Makâsıd ve İctihad, Hrsg. Ahmet Yaman Konya 2002. 247-268, S. 250 (Im Folgenden: Haçkalı: el-İzz ibn Abdisselâm’da Maslahat-İçtihad İlişkisi (2002)). 238 Vgl. Ibn ʿAbd as-Salām: Qawāʿid al-aḥkām fī iṣlāḥ al-anām [o.J.], S. 5 f. 239 Alle Urteile die muʿallal sind, haben eine ratio, die mit der Vernunft erfasst werden kann. Die Urteile, die taʿabbudī sind, sind mit der Vernunft nicht zu Seite | 49 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa erfassen und somit auch transrational. Hierunter können die gottesdienstlichen Handlungen subsummiert werden. Hier ist die Anwendung der maṣlaḥa nicht möglich. 240 Vgl. Haçkalı: el-Ġzz ibn Abdisselâm‟da Maslahat-Ġçtihad ĠliĢkisi (2002), S. 251. 241 Vgl. Pekcan: Ġslam Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 98. 242 Vgl. ebenda, (2003), S. 100. 243 Vgl. al-Qarāfī, Šihāb ad-Dīn: al-Furūq. Editiert von Ḫalīl Manṣūr. Beirut: Dār al-kutub al-ʿilmiyya, 2001, Band 1-4 (Im Folgenden: al-Qarāfī: al-Furūq (2001)). 244 Vgl. Pekcan: Ġslam Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 100; Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 117 f., S. 151; Kerr: Moral and Legal Judgement Independent of Revelation (1986), S. 280. 245 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 147 ff. 246 Vgl. Pekcan: Ġslam Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 100. 247 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 122; al-Qarāfī: Šarḥ tanqīḥ al-fuṣūl fī luṣūl (2004), S. 73 ff. 248 Vgl. ebenda, S. 132 ff. 249 Vgl. Apaydın, H. Yunus: Karafinin Ġzlediği Yöntemin Genel Çizgileri ve Maslahat AnlayıĢı. In: Makâsıd ve Ġctihad. Hrsg. Ahmet Yaman. Konya: Yediveren, 2002. 269-273, S. 273. 250 Vgl. ebenda. 251 AteĢ betont die Beachtung der maṣlaḥa und bezieht sich auf aṭ-Ṭūfī, den er als eine wichtige Figur für die heutige Entwicklung der Beachtung der maṣlaḥa sieht, obwohl aṭ-Ṭūfī seine Abhandlung vor 700 Jahren verfasst hat, vgl. AteĢ: Kur‟ân Ansiklopedisi [o.J.], 13:43-46. Er führt sogar eine türkische Übersetzung der Risāla fī riʿāya al-maṣlaḥa an: siehe Ateş, Süleyman: Kur’ân Ansiklopedisi. Istanbul: Kuba, [o.J.], 13:49-68 (Im Folgenden: AteĢ: Kur‟ân Ansiklopedisi [o.J.]). 252 Vgl. Döndüren, Hamdi: Sosyal Değişme Karşısında İslam Hukuku ve Yeni YaklaĢımlar. In: Ġslam Hukuku AraĢtırmaları Dergisi; 1. 2003. 29-50, S. 41 f. (Im Folgenden: Döndüren: Sosyal Değişme Karşısında İslam Hukuku ve Yeni YaklaĢımlar (2003)). 253 Vgl. ebenda; Koca: Ġslam Hukuk Metodolojisinde Tahsis (1996), S. 272 ff. 254 Vgl. aṭ-Ṭūfī: Risāla fī riʿāyat al-maṣlaḥa (1993), S. 13-18. Auf diesen genannten Seiten gibt der Editor in Fußnoten verschiedene Erklärungen der jeweiligen Termini technici an. 255 Vgl. ebenda, S. 23. 256 Vgl. ebenda, S. 23 f. 257 Vgl. ebenda, S. 29 f. 258 Vgl. ebenda, S. 28 f. An dieser Stelle fasst er die Meinung der Muʿtazila und ahl as-sunna zusammen und kommt zum Ergebnis, dass die Beachtung der maṣlaḥa die Güte Gottes ist und Er damit nicht verpflichtet ist, sie zu beachten, wie die Muʿtazila es im Gegensatz zu der ahl as-sunna behauptet. 259 Vgl. ebenda, S. 30. 260 Vgl. ebenda, S. 31. 261 Vgl. Johnston, David: A Turn in the epistemology and hermeneutics of Twentieth-Century uṣūl al-fiqh. In: Islamic Law and Society; 11,2. 2004. 233282, S. 253 (Im Folgenden: Johnson: A Turn in the epistemology and hermeneutics of Twentieth-Century uṣūl al-fiqh (2004)); Kayadibi, Saim: Al-ṬūfīCentred Approach To al-Maṣlaḥah al-Mursalah (Public Interest) in Islamic Law. In: Ġslam Hukuku AraĢtırmaları Dergisi; 9. 2007. 71-96, S. 79 (Im Folgenden: Kayadibi: Al-Ṭūfī-Centred Approach To al-Maṣlaḥah al-Mursalah (Public Interest) in Islamic Law (2007)). 262Vgl. aṭ-Ṭūfī: Risāla fī riʿāyat al-maṣlaḥa (1993), S. 29. 263 Vgl. ebenda, S. 27. 264 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 162 f. 265 Vgl. ebenda, S. 164. Seite | 50 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa 266 Vgl. ebenda, S. 165 f. 267 Vgl. ebenda, S. 169. 268 Vgl. Pekcan: Ġslam Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 104 f.; Ibn Taymiyya: as-Siyāsa aš-šarʿiyya (1983), S. 20-25. Auf diesen Seiten wird oft die Verbesserung der Menschen (iṣlāḥ) betont und dass die Šarīʿa dafür herabgesandt wurde. Diese sind alle Zeichen dafür, dass die maṣlaḥa beachtet werden muss. 269 Vgl. Apaydın, Yunus: Ġbn Kayyim el-Cevziyye. In: Türkiye Diyanet Vakfı İslam Ansiklopedisi. Bd. 20. Istanbul: Türkiye Diyanet Vakfı Yayınları, 1999. 109-123.,S. 114 f. 270 Vgl. Johnston: A Turn in the epistemology and hermeneutics of TwentiethCentury uṣūl al-fiqh (2004), S. 249-252. 271 Vgl. Yavuz: Maksadi Yorum (2002), S. 61. 272 Vgl. Falaturi: die Šarīʿa – das islamische Rechtssystem (1988), S. 104. 273 Vgl. al-Ǧawziyya, Ibn Qayyim: Iʿlām al-muwaqqiʿīn ʿan Rabb al-ʿālamīn. Editiert von Ṭāhā ʿAbd ar-Raʾūf Saʿd. Kairo: Maktaba kulliyyāt al-Azhariyya, 1968, Band 3. Unter dieser Abhandlung diskutiert er Themen wie ob eine Frau während ihrer Menstruation die Moschee betreten und die Kaaba umrunden darf. Außerdem beachtet er die Urteilsänderungen bezüglich der Diebesstrafe durch den Propheten und ʿUmar. All diese bewertet er unter der Beachtung der maṣlaḥa der Menschen und dem Wandel der Zeit und der Möglichkeiten der Menschen. 274 Vgl. Pekcan: Ġslam Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 108. 275 Siehe z.B. aš-Šāṭibī: al-Muwāfaqāt [o.J.], 2:2 f. 276 Vgl. ebenda, 2:3; Masud: Islamic Legal Philosophy (1977), S. 223. 277 Vgl. ebenda, 2:3 f. 278 Vgl. ebenda, 2:4; Masud: Islamic Legal Philosophy (1977), S. 226. 279 Unter den ḥāǧiyyāt subsummiert aš-Šāṭibī die Beachtung der ar-ruḫṣa, vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 332. 280 Vgl. aš-Šāṭibī: al-Muwāfaqāt [o.J.], 2:4 ff. 281 Vgl. ebenda, 2:5 ff. 282 Vgl. ebenda, 2:8-15. 283 Vgl. Masud: Islamic Legal Philosophy (1977), S. 291. 284 Paret übersetzt das Wort diya in (4|92) als Wergeld: vgl. Paret: Der Koran (2007), S. 69. 285 Vgl. ebenda, S. 293 ff. 286 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 305; Hallaq, Wael B.: The Primacy of the Qurʾān in Shāṭibīs Legal Theory. In: Islamic Studies Presented to Charles J. Adams. Hrsg.: Wael B. Hallaq and Donald P. Little. Brill 1991. 69-90, S. 76 (Im Folgenden: Hallaq: The Primacy of the Qurʾān in Shāṭibīs Legal Theory (1991)); aš-Šāṭibī: al-Muwāfaqāt [o.J.], Band 3. Dieser Band des Werkes handelt im Wesentlichen über die Beziehung unter den mekkanischen und medinensischen Suren. 287 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 305 ff.; Hallaq: The Primacy of the Qurʾān in Shāṭibīs Legal Theory (1991), S. 76. 288 Vgl. ebenda, S. 309. 289 Vgl. Hallaq: The Primacy of the Qurʾān in Shāṭibīs Legal Theory (1991), S. 69 f.; aš-Šāṭibī: al-Muwāfaqāt (2008), S. 759 („al-iǧtihād lā yatawaqqafu ʿalā l-luġa“). 290 Vgl. ebenda, S. 72. 291 Vgl. ebenda, S. 73. 292 Die Entscheidungsfolge für die Beachtung der maṣlaḥa wurde aufgrund des Rahmens der Arbeit unbeachtet gelassen. Für weitere zusammenfassende Informationen für die Theorie aš-Šāṭibīs siehe: Opwis: Maṣlaḥa (2001); Masud: Islamic Legal Philosophy (1977). 293 Vgl. Hermansen, Marcia K.: Shāh Walī Allāh of Delhi's "Ḥujjat Allāh alBāligha": Tension between the Universal and the Particular in an EighteenthCentury Islamic Theory of Religious Revelation. In: Studia Islamica; 63. 1986. Seite | 51 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa 143-157, S. 144 (Im Folgenden: Hermansen: Shāh Walī Allāh of Delhi's "Ḥujjat Allāh al-Bāligha" (1986)). 294 Vgl. Pekcan: Ġslam Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 110. 295 Vgl. Hermansen: Shāh Walī Allāh of Delhi's "Ḥujjat Allāh alBāligha" (1986), S.144; Goolam: Ijtihad and its significance for Islamic Legal interpretation (2006), S. 145 f. 296 Vgl. ebenda, S. 146 f. 297 Vgl. ebenda, S. 151 f. 298 Vgl. Layish, Aharon: The contribution of the Modernists to the Secularisation of Islamic Law. In: Middle Eastern Studies; 14,3. 1978. 263-277, S. 263; Opwis: Maṣlaḥa in contemporary Islamic Legal Theory (2005), S. 197. 299 Vgl. ebenda; Kerr: Moral and Legal Judgement Independent of Revelation (1986), S. 281. 300 Vgl. ebenda, S. 264; Opwis: Maṣlaḥa in contemporary Islamic Legal Theory (2005), S. 197. 301 Vgl. ebenda; Johnston: Maqāṣid al-Sharī„a (2007), S. 257. 302 Vgl. ebenda, S. 266. 303 Für eine zusammenfassende Erklärung des talfīq siehe Erdoğan: Fıkıh Terimleri Sözlüğü (2005), S. 562 f. 304 Vgl. Özervarlı, M. Sait: Muhammed Abduh. In: Türkiye Diyanet Vakfı İslam Ansiklopedisi. Band 30. Istanbul: Türkiye Diyanet Vakfı Yayınları, 2005. 482-487, S. 482; Rogler: Maqâsid al-sharîʿa als religiöses Reformkonzept (2009), S. 23; Masud: Islamic Legal Philosophy (1977), S. 173. 305 Vgl. Ibrahim, Yasir S.: Rashid Riḍā and maqāṣid al-Sharīʿa. In: Studia Islamica; 102/103. 2006. 157-198, S. 157 (Im Folgenden: Ibrahim: Rashid Riḍā and Maqāṣid al-Sharīʿa (2006)). 306 Vgl. ebenda, S. 169; 181-198. Zum Beispiel legitimiere Riḍā den Verzehr vom Fleisch, der durch die ahl al-kitāb (Schriftbesitzer) geschlachtet und zubereitet wurde. In erster Linie ist nicht die Art und Weise, wie man das Tier schlachtet, relevant, sondern ob damit ein rituelles Schlachten für andere Gottheiten beabsichtigt ist oder nicht, so Riḍā. Es wird hauptsächlich das Verbot behandelt, das Fleisch der von Polytheisten geschlachteten Tiere nicht zu verzehren, weil hiermit die Opfergabe an andere Götter beabsichtigt wurde, was Beigesellung (širk) bedeutet. Jedoch ist dies nicht der Fall, wenn die Leute der Schrift Tiere schlachten. Wenn demnach kein religiöses Motiv beim Zubereiten von Fleisch bzw. Essen vorzufinden ist, so kann ein Muslim dies auch verzehren. 307 Vgl. Bigiyef, Musa Carullah: Ġslam ġeriatının Esasları, DeğiĢkenler ve Sabiteler. Ankara: kitâbiyât, 2002, S. 8 (Im Folgenden: Bigiyef: Ġslam ġeriatının Esasları, DeğiĢkenler ve Sabiteler (2002)). 308 Vgl. ebenda, S. 8. 309 Beispiel für die ḫilāfa auch im Bereich des tašrīʿ sei (38|26), vgl. Bigiyef: İslam Şeriatının Esasları, Değişkenler ve Sabiteler (2002), S. 9. 310 Vgl. ebenda, S. 18. Außerdem führt er als Beweis den Vers (42|13) an. 311 Vgl. ebenda, S. 91. 312 Siehe für die detaillierte Erarbeitung Kurnaz: Der Diskurs um Maqāṣid aššarīʿa – Ein Konzept zur Lösung aktueller Rechtsprobleme (2010), S. 155-165. 313 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa in contemporary Islamic Legal Theory (2005), S. 218. 314 Vgl. ebenda, S. 219. 315 Für die Darstellung des Lebens und der Werke von aṭ-Ṭāhir ibn ʿĀšūr siehe Pekcan, Ali: Muhammed et-Tâhir b. ÂĢûr (1879-1973). In: Ġslam Hukuku AraĢtırmaları Dergisi; 6. 2005. 449-460.. Für die zusammenfassende Darstellung seiner Meinungen bezüglich der Maqāṣid aš-šarīʿa siehe Günay, Mehmet: Ibn AĢur ve Makasid AnlayıĢı. In: Makâsıd ve Ġctihad, Hrsg. Ahmet Yaman Konya 2002. 384-416.. 316 Vgl. Ibn ʿĀšūr: Maqāṣid aš-šarīʿa al-islāmiyya (2001), S. 163-172. 317 Vgl. ebenda, S. 179-181. 318 Vgl. ebenda, S. 180. Seite | 52 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa 319 Vgl. ebenda, S. 207-228. 320 Vgl. ebenda, S. 241-247. 321 Vgl. ebenda, S. 259-267. 322 Vgl. ebenda, S. 299-316. 323 Bei dem salam-Vertrag wird etwas verkauft, was noch nicht vorhanden ist. Die Ware wird nicht gleichzeitig mit der Bezahlung ausgehändigt, sondern erst im Nachhinein (s. Erdoğan, Mehmet: Fıkıh ve Hukuk Terimleri Sözlüğü. Istanbul: Ensar NeĢriyat, 2005, S. 56). Da nach dem allgemeinen Prinzip „Etwas Nicht-Vorhandenes (maʿdūm) darf auch nicht verkauft werden“ ist diese Art eines Vertrages nichtig. Doch durch die Sunna wird eine Ausnahme gemacht und der qiyās zum allgemeinen Prinzip unterlassen. Diesen Vorgang nennen die Ḥanafiten istiḥsān bi-s-sunna, vgl. Bardakoğlu, Ali: İstihsan (2001), 23:343. 324 Vgl. Ibn ʿĀšūr: Maqāṣid aš-šarīʿa al-islāmiyya (2001), S. 380-383. 325 Vgl. ebenda, S. 340-345. 326 Vgl. ebenda, S. 346-349. In den folgenden Kapiteln gibt Ibn ʿĀšūr noch weitere Methoden an, wie dass keine Details in den Urteilen angegeben werden. Darauf werde ich aber nicht zurückgreifen, weil das den Rahmen dieser Arbeit überschreiten würde. 327 Die Prinzipien des taġayyur al-aḥkām (Änderung der Urteile), die in der Magisterarbeit ebenfalls ansatzweise behandelt wurden, werden an dieser Stelle nicht thematisiert. 328 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa in contemporary Islamic Legal Theory (2005), S. 189; Johnston: A Turn in the epistemology and hermeneutics of TwentiethCentury uṣūl al-fiqh (2004), S. 236. 329 Vgl. ebenda; Johnston: A Turn in the epistemology and hermeneutics of Twentieth-Century uṣūl al-fiqh (2004), S. 236. 330 Vgl. ebenda; Johnston: A Turn in the epistemology and hermeneutics of Twentieth-Century uṣūl al-fiqh (2004), S. 236 f. 331 Vgl. ebenda, S. 190; Johnston: A Turn in the epistemology and hermeneutics of Twentieth-Century uṣūl al-fiqh (2004), S. 237. 332 Vgl. Johnston: A Turn in the epistemology and hermeneutics of TwentiethCentury uṣūl al-fiqh (2004), S. 238; Alper, Hülya: Ġmam Mâtürîdî‟de Akıl-Vahiy İlişkisi. Istanbul: İz Yayıncılık, 2010², S. 93-95. 333 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa in contemporary Islamic Legal Theory (2005), S. 192. 334 Vgl. ebenda. 335 Vgl. ebenda, S. 193. 336 Einige Beispiele wurden in der Magisterarbeit angeführt. An dieser Stelle kann auf folgende Rechtsgutachten hingewiesen werden, die ihre Argumentation auf den maṣāliḥ bzw. den Maqāṣid aufbauen, vgl. Eich, Thomas/Grundmann, Johannes: Muslimische Rechtsmeinungen zu Hirntod, Organtransplantation und Leben. [o.O.] [o.J.].; Takım, Abdullah: Bioethik in der Türkei. Bochum: RuhrUniversität Bochum, 2005. Abrufbar unter: http://www.ruhr-uni-bochum.de/ orient/bioethik/dokumente/bioethiktuerkei2.pdf; Krawietz, Birgit: Die Ḥurma: schariatrechtlicher Schutz vor Eingriffen in die körperliche Unversehrheit nach arabischen Fatwas des 20. Jahrhunderts. Berlin: Duncker und Humblot, 1991; At -Tayyib, Ahmad: Die Gentechnologie aus der Sicht des Islams. In: Bioethik im christlich-islamischen Dialog. Hrsg. Thomas Eich/Helmut Reifeld. St. Augustin: Konrad Adenauer Stiftung e.V., 2004. 65-76. 337 Das Werk al-Mabsūṭ ist ein Kommentar (šarḥ) des Werkes al-Muḫtaṣar al -kāfī – wiederum ein Kommentar des Werkes von Muḥammad bin Ḥasan ašŠaybānī – von Muḥammad ibn Muḥammad al-Marwazī, bekannt als Ḥākim ašŠahīd (gest. 334/945), das zur Zeit der Gefangenschaft des as-Saraḫsī entstanden ist. Es ist eines der wichtigsten furūʿ-Werke der ḥanafitischen Literatur und hat auch die ḥanafitische Jurisprudenz bis in das 19. Jahrhundert geprägt. Dieses Werk beschäftigt sich auch mit dem furūʿ der restlichen Rechtsschulen und versucht nicht nur die ḥanafitische Rechtsschule zu bestätigen, sondern eher eine Seite | 53 Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa Analyse und eventuelle Korrekturen zu unternehmen, s. as-Saraḫsī, Šams alAʾimma: Kitāb al-Mabsūṭ. Editiert von Muḥammad Ḥasan Muḥammad Ḥasan Ismāʿīl. Beirut: Dār al-kutub al-ʿilmiyya, 2009³, 1: 46 f. und 68 ff (Im Folgenden as-Saraḫsī: al-Mabsūṭ (2009)); Hamidullah, Muhammed: Serahsî, Şemsüleimme. In: Türkiye Diyanet Vakfı Ġslâm Ansiklopedisi. Band 36. Istanbul: TDV Yayınları, 2009. 544-547, S. 546. Calder, N: al-Sarakhsī. In: The Encyclopaedia of Islam (second edition). Band IX. Leiden: Brill, . S. 35 f. 338 Siehe Quellenangabe der Endnote 337. 339 Der Anfang dieser Diskussion lässt sich finden in as-Saraḫsī: al-Mabsūṭ (2009), 1:147 (bāb al-wuḍūʾ wa-l-ġusl). Damit verbunden bietet auch das Kapitel bāb al-biʾr ähnliche Informationen an, vgl. as-Saraḫsī: al-Mabsūṭ (2009), 1:219-228. 340 Vgl. as-Saraḫsī: al-Mabsūṭ (2009), 1:172. 341 Vgl. ebenda, 1:172 f. 342 Vgl. ebenda, 1:174. Seite | 54 Mark Chalîl Bodenstein: Koranische Rückbeziehung religionsdidaktischer Konzepte Dr. Mark Chalîl Bodenstein1 KORANISCHE RÜCKBEZIEHUNG RELIGIONSDIDAKTISCHER KONZEPTE geisteswissenschaftlich oder eben theologisch ausgerichtet, angepasst werden (müssen). Zu berücksichtigen ist, dass es nicht um die islamische ReligionspädaAls ein gängiges Argument in der Diskussion über islamischen Religionsunter- gogik geht, sondern nur um den Teil, der sich auf den Lernort Schule bezieht und richt, das Michael Kiefer in einem früheren Artikel aufgreift, kann das Problem somit bestimmte Prämissen berücksichtigen muss. Auch wenn man nach Domseiner eigenständigen islamischen Religionspädagogik und Fachdidaktik gelten, gen die Lernorte zusammen denken und systemisch aufeinander beziehen muss, die – so die Argumente verschiedener Akteure im Feld – sich einerseits nicht auf so hat doch »[j]eder Lernort […] seine eigene Logik [und] verfolgt ein eigenes Vorbilder aus sogenannten islamischen Ländern berufen könnten und andererKonzept religiöser Bildung, Erziehung und Sozialisation«.5 Deshalb kann auch seits gegenüber der traditionsreichen »evangelischen und katholischen Fachdidifferenziert werden zwischen der Moscheegemeinde, in der eher rituell gelernt, daktik […] ein eigenständiges Profil entwickeln« müssten. Deren Einfluss sei und der Schule, in der stärker die intellektuell-theologische Dimension betont schon bedenklich groß und Kiefer verweist auf das Beispiel der katholischen wird, ohne fürchten zu müssen, dass durch eine stärker schülerorientierte theoloKorrelations- bzw. evangelischen Verschränkungsdidaktik, »die scheinbar nun gische Ausrichtung des schulischen Religionsunterrichts die orthopraxe Dimenauch unvermeidliche Bestandteile einer islamischen Fachdidaktik zu sein hasion des Islams vernachlässigt würde. 2,3 ben«. Fragt sich nun, ob nicht doch didaktische Modelle aus der christlichen So wie auch die christlichen Religionsunterrichte damit umgehen müssen, Religionspädagogik akzeptabel wären beziehungsweise sogar als genuin islami- dass die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler nicht mehr unbedingt religiös sche Modelle gelten könnten, oder aber, ob nicht unter den gegebenen gesellsozialisiert oder vorgebildet sind, steht auch der islamische Religionsunterricht schaftlichen, rechtlichen und politischen (?) Bedingungen der (Post-)Moderne, vor dem Problem einer äußert inhomogenen Schülerschaft, deren gemeinsamer die erst zur lebhaften Entwicklung (auch) der Religionspädagogik beigetragen Nenner eine im Zweifel als ethnisch zu charakterisierende Zugehörigkeit zum haben, kaum prinzipiell anders geartete »islamische« Modelle entstanden und Islam ist. viabel wären, wir nur erst zu einem recht späten Zeitpunkt in die religionspädaBesonders auf diese schwierige Konstellation soll mit korrelativen Didaktikgogische Diskussion einsteigen, wodurch sie wie übergestülpt erscheinen. Mög- modellen reagiert werden können, weil hier den verschiedensten Erfahrungen der licherweise kann man aber auch von allgemeinen, säkularen, originär nicht fach- Schülerinnen und Schüler Deutungsangebote aus der islamischen Glaubensüberspezifischen Modellen sprechen, als Teil der allgemeinen pädagogischen Entlieferung gegenübergestellt werden. Dies bezieht sich sowohl auf die Korrelatiwicklungen und Debatten der vergangenen Jahrzehnte – wie ein Blick auf das onsdidaktik an sich, aber auch auf die didaktischen Modelle der Elementarisie4 von Kiefer selbst herangezogene quasi Standardwerk von Jank & Meyer zeigt –, rung, der Symboldidaktik und des Konstruktivismus. die nur jeweils an die verschiedenen Fächer, seien sie naturwissenschaftlich, 1 Eine »islamische« Religionsdidaktik? Seite | 55 Mark Chalîl Bodenstein: Koranische Rückbeziehung religionsdidaktischer Konzepte mit einem bestimmten Vorverständnis herangeht, sondern die Erfahrung, die Frage des Menschen, auf die der Text antwortet. Hierbei lassen sich zum einen Schon Bülent Uçar hat 2008 mit Blick auf Korrelationsdidaktik und Elementari- elementare, generalisierbare Erfahrungen und Fragen des Menschen heranziesierung angeregt, die Ansätze der evangelischen und katholischen Didaktiken hen, zum anderen aber auch konkrete Erfahrungen, von denen Schüler im Unterweder blind nachzuahmen noch sie zu ignorieren, sondern vielmehr ihre Zielset- richt berichten. Als problematisch kann angesehen werden, dass theologische zungen und Voraussetzungen auf »Kompatibilität mit dem Islam hin« zu unter- Korrelationen auch didaktische begründen sollen, wo doch zum einen die Lesuchen.6 Denn auch wenn diese Didaktiken im traditionellen islamischen Bilbenssituation der Schüler Ausgangspunkt für die Konstruktion von Entsprechundungswesen nicht verbreitet waren und sind (was im Einzelfall zu überprüfen gen sein soll, und zum zweiten die Schüler selbst die Korrelationen aufdecken, wäre), sagt das noch nichts darüber aus, ob sie nicht doch kompatibel, wenn also lernen sollen, die richtigen Fragen zu stellen, um so in einen Dialog mit der nicht sogar begründbar sind. An dieser Stelle soll gar nicht erst der Versuch un- Offenbarung und der Glaubensüberlieferung einzutreten. ternommen werden, Vorläufer solcher Didaktikmodelle in der muslimischen BilInwieweit kann nun vom Koran behauptet werden, dass er hörerorientiert sei dungstradition ausfindig zu machen, sondern vielmehr untersucht werden, ob und korrelativ argumentiere? Zumindest die muslimische Exegesetradition geht nicht im Koran selbst Ansätze von Korrelations- und Symboldidaktik zu entde- davon aus, dass große Teile des Korans mit sogenannten Offenbarungsumstäncken sind. den in Verbindung gebracht werden können, den asbāb an-nuzūl, wie sie schon in frühesten tafsı̄r-Werken, wie von Muqātil b. Sulaymān (st. 150/767), durch ergänzende Berichte aus dem Leben des Propheten dargestellt wurden, die aber 2.1 Korrelationsdidaktik auch in expliziten asbāb an-nuzūl-Werken – die bekanntesten sind die von ʿAlı̄ Grundlage der Korrelationsdidaktik ist das reziproke Verhältnis von »Erfahrung b. Aḥmad al-Wāḥidī (st. 468/1075) und Ǧalāl ad-Dı̄n ʿAbd ar-Raḥmān b. Abı̄ und Offenbarung, von heutiger Situation und von gelebtem und überliefertem Bakr as-Suyūṭı̄ (st. 911/1505) – gesammelt wurden.10 Glauben«, das für die christliche Religionspädagogik seinen Ursprung in den Welcher kausale Zusammenhang auch immer zur Offenbarung bestehen mag, 7 christlichen Theologen Paul Tillich und Karl Rahner hat. Eine Krise hat die so lässt sich schon behaupten, dass einerseits der Koran explizit Bezug nimmt Korrelationsdidaktik in den vergangenen Jahren erlebt, insofern man in der Pra- auf die Ereignisse und Anfragen der Hörer, und andererseits in der Exegese der xis »ausgehend von der Traditionsentfaltung, immer seltener bei den ErfahrunVersuch unternommen wird, Koranpassagen mit berichteten Ereignissen zu korgen ankam. Versuche der Erfahrungskatechese haben umgekehrt gezeigt, daß relieren. man von den Erfahrungen nicht selbstverständlich zur christlichen Tradition geAls ein Beispiel könnte Q 2:189 genommen werden, die beginnt mit: »Sie fra8 langt«. Denn in der Praxis und in der Diskussion werden die beiden Pole Tradi- gen dich nach den Neumonden: Sprich …«, eine Formulierung, die sich in den tion und Lebenswelt zugespitzt und gegeneinander ausgespielt. Also weder die nachfolgenden Versen 215, 217, 219 und 222 wiederholt (»yasʾalūnaka …qul deduktive noch die induktive Korrelation führt automatisch zum gewünschten …«). Zu Q 2:189 bemerkt al-Wāḥidı̄ zum einen, dass Muʿaḏ b. Ǧabal sich an den 9 Ziel. Propheten wandte und sagte, dass die Juden ständig nach dem Mond fragten, Ausgangspunkt (der deduktiven Korrelation) ist nicht der Text, an den man worauf dieser Vers offenbart worden sei. Zum zweiten führt er einen Bericht an, 2 Koranische Wendung christlicher Religionsdidaktik … Seite | 56 Mark Chalîl Bodenstein: Koranische Rückbeziehung religionsdidaktischer Konzepte wonach zwei von den anṣār mit Fragen nach dem Mond zum Propheten kamen.11 Wir sehen also sowohl wie der Koran auf die Anliegen seiner Hörer eingeht als auch wie die Exegeten versuchen, entweder induktiv die Lebenswelt der frühen Gemeinde mit dem Koran, oder aber deduktiv, den Koranvers mit der Lebenswelt zu korrelieren. Weitergehend würde ich behaupten, dass der Koran auch bei den Berichten über die früheren Propheten sich korrelationsdidaktischer Elemente bedient. So nimmt der Koran mit ihnen die Notlage des Propheten auf, bei seinem eigenen Volk kein Gehör zu finden und für seine Warnungen verfolgt zu werden, und mit der Geschichte von Abraham/Ibrāhı̄m sogar dessen Auswanderung und auch räumliche Distanzierung von seinen Vorvätern und deren Glauben zu thematisieren. Der Eindruck, dass der Koran die Prophetengeschichten nicht der Geschichten selbst wegen, sondern ihrer moralischen Wirkung auf den Hörer wegen erzählt, verstärkt sich noch, wenn man sieht, dass sie zum guten Teil ihrer historischen Elemente entkleidet sind, oder sogar, wie in Q 17:23 das Volk Noahs die Gottheiten Wadd, Suwāʿ, Yaġūṯ, Yaʿūq und Naṣr anbeteten, Namen aus dem arabischen Götterhimmel zu Zeiten des Propheten Muḥammad,12 womit der Koran zudem Prinzipien der Elementarisierung berücksichtigt und genau in die Welt des Propheten und der Ersthörer traf und sie somit in ihrer elementaren Erfahrung der Ausgrenzung stärken konnte. Ideen oder Theorien« und ist »der Prozess der Bildung von Hypothesen in Anbetracht von erklärungsbedürftigen Tatsachen«.15 Es handelt sich also um ein Modell der Interpretation, nach dem Beobachtungen in schon bestehende Kategorien eingeordnet oder mit neuen Hypothesen erklärt werden (können). In didaktischer Perspektive soll der Schlussmodus der Abduktion ergänzend zur Deduktion und Induktion Wissenserweiterung und Lernfortschritt ermöglichen, der »nur aus gedeutetem und verarbeitetem <Altem> emergieren« kann.16 Im Grunde tut der Koran auch nichts anderes, indem er die individuelle – für ihn selbst möglicherweise überraschende – Situation des Propheten Muḥammad aufgreift, sie in die schon bekannte Prophetologie einordnet, aber nicht dabei stehen bleibt, sondern im dritten Schritt das »Alte«, die »Fabeln der Früheren« (asāṭı̄r al- auwalı̄n, Sg. usṭūra) (neu) deutet. Nehmen wir als ein Beispiel etwa Q 54: dort werden fünf sogenannten Straflegenden der Völker von Noah (Nūḥ), der ʿĀd und Ṯāmūd, Lots (Lūṭ) und des Pharaos angerissen, an drei Stellen unterbrochen durch den Vers »Wir haben die Lesung (al-qurʾān) leichtgemacht zur Mahnung: Doch ist da einer der sich mahnen lässt?« (Q 54:22; 32; 40). Diese verbinden die Geschichten der Alten mit den aktuellen Erfahrungen der Zurückweisung und Ignoranz und deuten sie in Verbindung mit dem die Sure rahmenden eschatologischen Passus: »Euresgleichen haben wir bereits zugrunde gehen lassen. Doch ist da einer, der sich mahnen lässt?« (Q 54:51) Nicht die historische Beschreibung, nicht der Trost des Propheten, dass es vor ihm schon anderen Gesandten gleich ergangen ist, sondern das Weiterführende bestimmt diese Sure und führt 2.1.1 Abduktive Korrelation zu Wissensgewinn und möglichem Lernfortschritt. Ob eine solche Korrelation aber heute noch funktioniert scheint angesichts der Es ist also nicht gänzlich zu verwerfen, dass der Koran nicht nur die quasi Debatte in der christlichen Religionspädagogik durchaus zweifelhaft. Deshalb klassischen Formen der induktiven und deduktiven Korrelation als didaktische soll noch ein Blick auf den Versuch einer Neuausrichtung der Korrelationsdidak- Methode verwendet, sondern – unter Einbeziehung der Elementarisierung – die tik auf die abduktive Korrelation13 geworfen werden, die grundsätzlich von einer elementaren Erfahrungen der ersten Hörer aufgreift, mit Althergebrachtem kor»Konvergenz von Tradition und Lebenswelt in religiöser Hinsicht« ausgeht. 14 reliert und im abduktiven Schlussmodus zu einer neuen Perspektive zusammenAbduktion kann nach Charles Sanders Peirce bestimmt werden als »der Weg führt. vom Einzelnen zum Allgemeinen, von überraschenden Tatsachen zu erklärenden Mit diesem aus dem semiotischen Denken von Peirce übernommenen Ansatz Seite | 57 Mark Chalîl Bodenstein: Koranische Rückbeziehung religionsdidaktischer Konzepte nähern wir uns gleich der Symboldidaktik an, die davon in gleicher Weise profi- mit dem Abstieg in den Brunnen der Geschichte des Menschen mit Gott, mit tieren kann. dem Zusammenfügen des Symbols ein: die Aktualisierung des Rituals in der Nachahmung des Propheten Muḥammad und zuvor Ibrāhı̄m; die Bewusstwerdung der absoluten Ergebung des Propheten Ibrāhı̄m in den Willen Gottes und 2.2 Symboldidaktik der unglaublichen Bereitschaft, das ihm in der Welt teuerste zu opfern, sein eigeAls zweiter Ansatz soll an dieser Stelle die Symboldidaktik beispielhaft behan- nes Kind; die Barmherzigkeit Gottes, auf das größte Opfer zu verzichten und delt werden.17 Der Begriff des Symbols scheint selbst schon ambivalent genug sich mit einem Tieropfer zu begnügen; religionsgeschichtlich sehen wir hier zu sein, aber an dieser Stelle könnte es genügen, auf den Verweischarakter des möglicherweise den Zeitpunkt des Wandels vom – in sogenannten primitiven Symbols hinzuweisen, der jedoch für das semiotische Zeichen allgemein gültig Religionen nicht unüblichen – Menschenopfer zum Tieropfer. Damit soll der ist. Das Symbol selbst, sei es bildlich oder sprachlich, hat für sich selbst eine Be- Symbolisierungsprozess nur beispielhaft angerissen werden, ohne eine Bedeudeutung – so dass ein Text auf der wörtlichen oder figurativen Ebene einen Sinn tung festlegen zu wollen. Aber es wird klar, dass über die Symbolisierung die an behält, wenn nicht interpretativ gelesen wird18 –, verweist aber über sich hinaus sich rein diesweltliche Handlung des Schlachtens an spiritueller Tiefe und Bezug auf eine oder mehrere weitere Bedeutungen, die aber in der Regel erst gestaltet zu Gott gewinnt. werden müssen und dann per Konvention möglicherweise dauerhafter werden. Nach diesem Verständnis bietet ein Symbol nicht nur die wörtliche BedeuSo entwickeln Religionsgemeinschaften eigene Symbolwelten und nach Halbfas, tung an, sondern darüber hinaus noch (mindestens) eine zweite, so wie die zwei der 1982 mit seinem Buch Das dritte Auge die Diskussion um die Symboldidak- Seiten einer Münze. Nehmen wir als Beispiel den /geraden Weg/ aus der Sure 1 tik angestoßen hat, ist das Symbol »die spezifische Ausdrucksgestalt religiöser al-fātiḥa, Vers 5: so bedeutet /Weg/ einfach nur Weg; darüber hinaus verweist Erfahrung und Kommunikation, ohne deren Verständnis die Religionen in ihrer dieser /gerade Weg/ aber auf die richtige (gottgefällige) Lebensführung, den eigentlichen Mitte nicht erschlossen werden können.«19 Andererseits wird jede rechten Glauben etc. Wir sehen also, dass auf der Rückseite der Münze eine unLesart von Symbolen von einer Theologie legitimiert, die damit wiederum die klare Vielzahl möglicher Bedeutungen/Verweise lauern, die teils schon gängig absolute Offenheit von Symbolen einschränkt, die Bedeutungsvielfalt kanalisiert sind, also per Konvention dauerhaft geworden sind, teils aber im Unterricht von oder aber einen Lichtkegel in den Inhaltsnebel wirft. den Schülern frei assoziiert werden können. Erst mit der Bildung des Symbolverständnisses kann die Tiefe und HinterEs steht also außer Zweifel, dass eine symbolische Lesart des Korans dem 20 gründigkeit der Realität erschlossen , und das eigene (religiöse) Handeln zur Verständnis eine weitere Dimension hinzufügt, ohne dass dadurch die Gültigkeit Menschheits- und Religionsgeschichte und zu Gott in Beziehung gesetzt werden. anderer Zugänge infrage gestellt werden muss. Dennoch stellt sich die Frage, Bei der Symboldidaktik geht es also primär darum, die kultur- und religionsspe- inwieweit der Koran selbst schon symboldidaktische Ansätze nutzt. zifischen Traditionen des Umgangs mit bestimmten Zeichen zu vermitteln und So ist zuerst festzuhalten, dass der Begriff Symbol im Koran selbst keine Vereinzuüben. wendung findet, die arabische Wurzel r-m-z kommt lediglich an einer Stelle vor Ohne Symbolbewusstsein bleibt beispielsweise das Ritual des Schlachtens und auch in Übersetzungen ist »Symbol« resp. die Übersetzungen davon sehr beim Opferfest schal; eigene Betroffenheit, vielleicht sogar Ergriffenheit setzt selten zu finden. Lediglich Muhammad Asad21 verwendete symbol in seiner eng- Seite | 58 Mark Chalîl Bodenstein: Koranische Rückbeziehung religionsdidaktischer Konzepte lischen Übersetzung für die arabischen Begriffe šaʿāʾir (Sg. šaʿı̄ra) und an einigen, wenigen Stellen für āya (Pl. āyāt), wobei unter ersterem in der Regel Riten bzw. Rituale verstanden werden und letzteres zumeist mit Zeichen übersetzt wird. 2.2.1 Zeichen Auf den Symbolcharakter von Ritualen wurde ja oben mit dem Beispiel des Opfers schon hingewiesen.22 Verfolgen wir nun die Spur, die Asad mit der Übersetzung von āya mit dem Begriff Symbol gelegt hat. Dieses Wort kommt im Koran in verschiedenen Fromen etwa 380 mal vor und auch in mehreren möglichen Bedeutungen, zumeist in Bezug auf Gott, der diese Zeichen setzt, und verbunden mit der Aufforderungen an die Menschen, diese āya zu bedenken,23 sei es ein übernatürliches Ereignis, wie der Koran selbst oder die sogenannten Straflegenden – im Koran von den Anderen als »Fabeln der Früheren« (asāṭı̄r al- auwalı̄n, Sg. usṭūra) bezeichnet (z. B. Q 83:13, 68:15) –, Wunder – als Zauberei bezeichnet (z. B. Q 54:2, 61:6) –, sei es die Erschaffung der Welt (Q 29:44) oder die Welt selbst (Q 34:9). Man mag sich hier an den Satz »Symbole geben zu lernen« erinnert fühlen, wie Peter Biehl in Anlehnung an Paul Ricoeurs »das Symbol gibt zu denken« formuliert.24 Man ist aufgefordert, die Zeichen nicht nur anzuerkennen, sondern auch darüber nachzudenken. Denn außer dem Koran selbst als sogenanntem Beglaubigungswunder finden wir an diesen Stellen im Koran Zeichen, die nach Susanne Langer als diskursive resp. sprachliche Symbole bezeichnet werden können.25 Als solche bedürfen sie – jenseits jedweden historischen Anspruchs – der Analyse und Interpretation. Wenn wir den Begriff Symbol eher im Sinne eines symbolischen Modus verstehen, also einer Textmodalität, welche die Art und Weise der Textproduktion und -rezeption bzw. -interpretation darstellt,26, was der koranische Sprachgebrauch nahelegt, wären auch weitere Formen miteinzubeziehen, wie bspw. Fabel, Legende, Mythos, Allegorie, Metapher und Gleichnis, so dass wir eigentlich besser im semiotischen Sinne von Zei- chen27 oder aus rhetorischer Perspektive von Tropen28 sprechen sollten. 2.2.2 Archetypen Daneben wäre aber zu fragen, ob auch der Ansatz, den Halbfas mit Bezug auf das Symbolverständnis von C. G. Jung und Mircea Eliade vorschlägt, kurzgefasst: das Erlernen der archetypischen Symbolsprache29 als religiöse Kompetenz,30 im Koran zu finden ist. Einerseits greift der Koran archetypale Handlungen wie die Opferung des Erstgeborenen auf, wie sie oben schon geschildert wurde. Diese war nach Eliade ursprünglich ein Ritual zur Stärkung der Fruchtbarkeitsgötter, deren durch den Erhalt der Welt erschöpfte Kraft erneuert werden musste. Aber schon im Alten Testament vollzieht sich die Abkopplung vom archaischen Umlauf der kosmischen Energie von der Gottheit zum Menschen und zurück hin zum personalen Gott, der ohne rationale Rechtfertigung befehlen, fordern und begnadigen kann, und »diese neue religiöse Dimension macht erst den <Glauben> möglich«.31 Zugleich bestätigt der Koran mit der Einsetzung Ismāʿı̄l/Ismaels dessen Rechtmäßigkeit als ersten Sohn und damit die Erwähltheit der sich auf ihn zurückführenden arabischen Stämme als wahre Nachfahren Ibrāhı̄m/Abrahams. Andererseits greift der Koran in interessanter Weise das für Eliade zentrale archetypische Symbol des Berges auf, des Ortes, der auch durch heilige Städte und Stätten symbolisiert werden kann, an dem sich Himmel und Erde begegnen und der somit der Mittelpunkt der Welt ist. Als solch ein Ort galt Eliade zufolge auch Jerusalem, das ja ohnehin nach einem himmlischen Vorbild erbaut und zudem bei der Sintflut nicht überschwemmt wurde, also den höchsten und dem Himmel nächsten Ort darstellt, die Mitte der Welt!32 Nun beschreibt der Koran (Q 2:142 ff.) die Änderung der Gebetsrichtung von Jerusalem nach Mekka, in Richtung der masǧid al-ḥarām, und ergänzt: «Und so haben Wir euch zu einer Gemeinde der Mitte gemacht […]» (Q 2:143). Die Mitte der Welt wurde hier (neu) bestimmt. Später wird der Historiker al-Birūnı̄ schreiben, dass die Kaʿba der höchs- Seite | 59 Mark Chalîl Bodenstein: Koranische Rückbeziehung religionsdidaktischer Konzepte te Punkt der Erde sei, weil »der Polarstern bezeugt, daß sie dem Mittelpunkt des Himmels gegenüberliegt.«33 Der Koran greift hier den Archetypen der Mitte der Welt auf und bestimmt dazu die Kaʿba, die dies möglicherweise in vorislamischer Zeit zumindest für die Stämme, die sie als höchstes Heiligtum ansahen, schon war.34 Desgleichen lassen sich auch Archetypen wie Wasser, Weg und Licht sowie Herz, Auge, Ohr und Hand, die Halbfas als Grundbestände des Daseins respektive menschliche Organe zu den elementaren Symbolen zählt35, im Koran finden.36 gen, interpretativ, kreativ weitere Bedeutungen erschließen, dann betreten wir den symbolischen Modus. Mit diesem Erschließen knüpfen wir an die Methodik der Korrelation an, indem wir zum einen induktiv aus unseren subjektiven, elementaren Erfahrungen in den Text hineinlesen, zum zweiten deduktiv auf ein Archiv von Deutungsmöglichkeiten, dem unserer religiösen Tradition, zurückgreifen, und zum dritten abduktiv unsere Erfahrungen mittels des Archivs kategorisieren oder aber zu neuen Schlüssen kommen. Dies betont nochmals die Bedeutung des Erlernens der jeweils religionseigenen Semantik, aber vor allem der religiösen Grammatik, des »islamischen« Codes zur Dechiffrierung religiöser Sprache, der allein schon aufgrund ihres Verweischarakters auf Transzendentes der symbolische Modus inhärent ist. Die Lek2.2.3 Symbolischer Modus türe religiöser Texte, wie etwa dem Koran, im symbolischen Modus kann sich Anders jedoch als der oben im Sinne Halbfas‟ angesprochene Verweischarakter als überaus ergiebig zeigen, denn der Koran regt diesen Modus selbst an, weil er des Symbols, dem eine enzyklopädische Kompetenz entgegenzusetzen wäre, soll gleichzeitig – in einer Metaebene – auf die eigene Zeichenhaftigkeit hinweist. am Ende noch auf die Unzulänglichkeit eines solchen Modells hingewiesen wer- Insofern der Koran von nicht-diesseitigen, transzendenten Dingen spricht tut er den. Auch Symbole in ihren verschiedensten Ausformungen sind als Zeichen zu es dies in symbolischer Weise. Denn menschliche Sprache kann für uns nicht verstehen, deren Bedeutung (auch auf oberster Ebene) nicht per se feststeht, son- erkennbares, nicht greifbares und nicht zugängliches nur in annähernder, vergleidern Ergebnis von Übereinkunft ist; das Zeichen /Weg/ – bei Halbfas ein elechender, symbolischer Sprechweise beschreiben. Dies verlangt aber neben der mentares Symbol – hat als sprachliches Zeichen nur im Deutschen die BedeuArbeit am Archiv auch die Entwicklung kreativer Kompetenzen zum abduktiven tung »etwas, was wie eine Art Streifen – im Unterschied zur Straße oft nicht be- Schluss, der die Tradition aktualisiert und weiterentwickelt. festigt – durch ein Gebiet, Gelände führt und zum Begehen [und Befahren] dient« oder »Richtung, die einzuschlagen ist, um an ein bestimmtes Ziel zu kom- 3 …koranische Religionsdidaktik? men«37. Für den koranischen Kontext, den wir eben herangezogen haben, stellt sich die Frage, ob der Begriff /ṣirāṭ/ auf die gleiche Sache verweist und inwieDieser kurze Ausflug in didaktische Ansätze im Koran, bei dem wir selbst wieweit sich die Bedeutung mit der koranischen Offenbarung gewandelt hat – eben derum induktiv vorgegangen sind und der bei einer offenen Lesart womöglich mit Blick auf die Eschatologie. mehr oder anderes zutage gefördert hätte, hat Möglichkeiten aufgezeigt, allgeGesetzt den Fall, per Konvention bezeichnen /Weg/ und /ṣirāṭ/ die gleiche meine, auch in den christlichen Religionspädagogiken genutzte didaktische Monatürliche Sache, dann liegt bislang nur ein Zeichen vor und noch kein Symbol. delle im Koran wiederzufinden. Diese lassen sich aus Sicht einer koranischen Wenn der imaginierte Weg, auf den das Wort /ṣirāṭ/ verweist, nun weiter verReligionsdidaktik nicht als alleinig christliche didaktische Modelle bezeichnen, folgt wird, wenn wir versuchen, dem Weg durch seinen Bedeutungsnebel zu fol- sondern eher als dem Wesen des Menschen generell angemessene Vermittlungs- Seite | 60 Mark Chalîl Bodenstein: Koranische Rückbeziehung religionsdidaktischer Konzepte formen. Vorläufig bleibt dieses Résumée jedoch, weil erst nach einer umfassenden Untersuchung koranischer Didaktik von annähernd validen Ergebnissen zu sprechen sein wird. Dies bleibt vorerst ein Desiderat. Literaturangaben: 1 Der Autor vertritt die Professur für Kultur und Gesellschaft des Islams in Geschichte und Gegenwart am Institut für Studien der Kultur und Religion des Islam der Goethe-Universität Frankfurt a. M. und ist wissenschaftlicher Berater am Forschungszentrum für Religion und Gesellschaft (forege) in Köln 2 Vgl. Kiefer, Michael: ›Islamische Religionspädagogik und -didaktik – Offene Fragen zu den Gegenständen einer neuen wissenschaftlichen Fachrichtung‹. In: Irka-Christin Mohr & Michael Kiefer (Hgg.): Islamunterricht – Islamischer Religionsunterricht – Islamkunde. Viele Titel – ein Fach? (Globaler lokaler Islam) Bielefeld, 2009, 19 f. 3 So auch der Tenor bei Bartsch, Darjusch: Konzepte und Modelle zur Vermittlung der Lehrinhalte im deutschsprachigen Islamkunde-Unterricht. (Beiträge zur Islamischen Religionspädagogik ; 3) Hamburg, 2009. 4 Jank, Werner & Hilbert Meyer: Didaktische Modelle. Berlin, 72005. 5 Domsgen, Michael: ›Plädoyer für eine systemische Religionspädagogik‹. International Journal of Practical Theology, 11 (2007) 1, 4. 6 Vgl. Uçar, Bülent: ›Didaktik, Methodik und Inhalte eines Islamischen Religionsunterrichts in Deutschland‹. In: Harry Harun Behr, Mathias Rohe & Hansjörg Schmid (Hgg.): <Den Koran zu lesen genügt nicht!> – Fachliches Profil und realer Kontext für ein neues Berufsfeld. Auf dem Weg zum islamischen Religionsunterricht (Islam und Bildung ; 1) Berlin, 2008, 119. 7 Hilger, Georg: ›Korrelationen entdecken und deuten‹. In: Georg Hilger, Stephan Leimgruber & Hans-Georg Ziebertz (Hgg.): Religionsdidaktik – ein Leitfaden für Studium, Ausbildung und Beruf. München, 62010, 344. 8 Propkopf, Andreas & Hans-Georg Ziebertz: ›Abduktive Korrelation – Eine Neuorientierung für die Korrelationsdidaktik‹. Religionspädagogische Beiträge, 44 2000 http://www.abduktionsforschung.de/tl_files/abduktionsforschung/ dokumente/Prokopf.pdf, 19. 9 Einen Überblick über die Diskussion bietet Conrads, Eva Irmtrud: Systemisch-konstruktivistische Ansätze und ihre mögliche Perspektive in der Religionspädagogik und -didaktik mit Blick auf den Religionsunterricht an Berufskollegs. Diss. RWTH Aachen, Phil. Fak., 2009, http://darwin.bth.rwth-aachen.de/ opus3/volltexte/2009/2828/ – Zugriff am 29. 9. 2011, 40 ff. 10 Dazu etwa: Rippin, Andrew: ›The Function of asbāb al-nuzūl in Qur’ānic Exegesis‹. Bulletin of the School of Oriental and African Studies, 51 (1988) 1, 1– 20. 11 Vgl. al-Wāḥidı̄, „Alı̄ b. Aḥmad: Asbāb an-nuzūl. Miṣr: Hindı̄ya, 1315/1897, 35. 12 Vgl. Wellhausen, Julius: Reste arabischen Heidentums. Berlin, 21897, 13 ff. Siehe auch Öztürk, Mustafa: ›Über die Notwendigkeit und die Methoden der Entmythologisierung des Koran‹. Übersetzer: Johannes Zimmermann. Die Welt des Islams, 50 (2010), 282 f.; wobei ich dem Tenor des Artikels nicht zustimmen würde, sondern im Gegenteil die Bewusstmachung der mythologischen Anteile befürworte. 13 Vgl. Propkopf & Ziebertz, 19–50. 14 Prokopf, Andreas: Religiosität Jugendlicher : zwischen Tradition und Konstruktion. Eine qualitativ-empirische Studie auf den Spuren korrelativer Konzeptionen. Diss. Kath.-Theol.-Fak., Univ. Würzburg, Würzburg, 2006, http:// opus.bibliothek.uni-wuerzburg.de/volltexte/2006/1770/ , 263. 15 Nach Hoffmann, Michael H. G.: ›Lernende lernen abduktiv: eine Methodologie kreativen Denkens‹. In: Hans-Georg Ziebertz, Stefan Heil & Andreas Prokopf (Hgg.): Abduktive Korrelation. Religionspädagogische Konzeption, Methodologie und Professionalität im interdisziplinären Dialog. Münster, 2003 http://works.bepress.com/michael_hoffmann/25 – Zugriff am 30. 9. 2011, 6. Seite | 61 Mark Chalîl Bodenstein: Koranische Rückbeziehung religionsdidaktischer Konzepte 16 Prokopf, 265. 17 Einführend dazu bspw. Hilger, Georg: ›Symbole verstehen und gestalten‹. In: Hilger, Leimgruber & Ziebertz: Religionsdidaktik, 355–364. 18 Vgl. Eco, Umberto: Semiotik und Philosophie der Sprache. (Supplemente ; 4) München, 1985, 240. 19 Halbfas, Hubertus: Das dritte Auge. Religionsdidaktische Anstöße. (Schriften zur Religionspädagogik ; 1) Düsseldorf, 41989, 15. Hervorhebung im Original. 20 Vgl. Halbfas, 15. 21 Vgl. Asad, Muhammad (Trans.): The message of the Qur’ān : the full account of the revealed arabic text accompanied by parallel transliteration = alQur’ān al-karı̄m. Bitton, Bristol, 52003. Dort als Appendix I seine Überlegungen zu »Symbolism And Allegory In The Qur‟an«, wobei er ausgehend von der Aufteilung der Verse in muḥkamāt und mutašābihāt (Q 3:7) eben auch für eine übertragene Lesart plädiert . 22 Interessant wäre noch, den etymologischen Zusammenhängen der verschiedenen Formen und Bedeutungen aus der Wurzel š-ʿ-r (z. B. begreifen, fühlen, Dichtung, Ritual) nachzuspüren. Ein Hang zum Symbolischen lässt sich schon erahnen … 23 Ähnliches stellt übrigens auch Meyer-Blanck für die Bibel fest: so ist in der gesamten Bibel der Begriff Symbol nicht zu finden, jedoch etwa 150mal der Begriff Zeichen, dem Meyer-Blanck als Formalbegriff eine Nähe zur Semiotik und als solchem einen Aufforderungscharakter zuspricht. Vgl. Meyer-Blanck, Michael: Vom Symbol zum Zeichen: Symboldidaktik und Semiotik. (Vorlagen – Neue Folge; 25) Hannover, 1995, 102, 109. 24 Vgl. Biehl, Peter: Symbole geben zu lernen. Einführung in die Symboldidaktik anhand der Symbole Hand, Haus und Weg. (Wege des Lernens; 6) Neukirchen-Vluyn, 1989, 54. 25 Vgl. Langer, Susanne K.: Philosophy in a new key. A study in the symbolism of reason, rite, and art. (Mentor book.25) New York, 61954, 63 ff. 26 Vgl. Eco: Semiotik, 193 ff., hier 238 f. 27 Dazu Eco, Umberto: Zeichen. Einführung in einen Begriff und seine Geschichte. (edition suhrkamp 985) Frankfurt a. M., 1977. 28 Zu Tropen in den heiligen Texten siehe Sabbath, Roberta Sterman (Hg.): Sacred Tropes: Tanakh, New Testament, and Qur’an as Literature and Culture. (Biblical interpretation series ; 98) Leiden, 2009. 29 Zu beachten ist natürlich, dass Eliade den Begriff »Archetypen« nicht wie Jung als Strukturen eines kollektiven Unterbewusstseins verwendet, sondern eher im Sinne der griechischen Ideenlehre. Vgl. Eliade, Mircea: Kosmos und Geschichte. Der Mythos der ewigen Wiederkehr. (Gesammelte Werke in Einzelausgaben ; 1) Frankfurt a. M., 1984, 11 f. 30 Vgl. Meyer-Blanck, 24 f. Dort findet sich ein tabellarischer Überblick über die wichtigsten symboldidaktischen Ansätze. 31 Eliade, 122 f. 32 Vgl. Eliade, 25 f. 33 Nach a. a. O., 27. 34 Zu den verschiedenen Legenden siehe Nagel, Tilman: Mohammed. Leben und Legende. München, 2008, 19 ff. 35 Vgl. Halbfas, 135. 36 Beispiele dazu etwa in Colby, Frederick S.: ›Symbolic Imagery‹. In: Jane Dammen mcauliffe (Hg.): Encyclopaedia of the Qurʾān. Band 5, Leiden [u. a], 2006, 180a–184b. 37 http://www.duden.de/rechtschreibung/Weg. Seite | 62 M. Fuad Sezgin: Die Quellen al-Buḫārīs Prof. Dr. M. Fuad Sezgin DIE QUELLEN AL-BUḪĀRĪS* Die ersten schriftlichen Quellen der Ḥadīṯe Die Zusammentragung der Ḥadīte (tadwīn) Wenn die Zusammentragung der Ḥadīṯe (tadwīn) thematisiert wird, wird azZuhrī im Allgemeinen als der erste mudawwin (Autor einer Ḥadīṯsammlung) angeführt1, während der Beginn der Zusammentragung der Ḥadīṭe auf die Kalifenzeit von ʿUmar bin ʿAbd al-ʿAzīz datiert wird, zu der auch az-Zuhrī wirkte. Aus den Berichten über die schriftlichen Urzeugnisse, welche die Ḥadīṯliteratur sowohl anlässlich der Biographien, als auch bei der Erläuterung der Regeln für die Überlieferung der Ḥadīṯe (genannt taḥammul al-ʿilm = Übernahme der Wissenschaft) an verschiedenen Stellen erwähnen, ist zu schließen, dass diese Periode durchaus als der Anfang des tadwīn gelten kann. Während Goldziher2 seinem Vorgänger Sprenger darin zustimmt, dass die Ḥadı̇ ṯe auf ṣaḥīfa, d.h. auf schriftliche Aufzeichnungen zurückzuführen sind, setzt er die Anfänge der Ḥadīṯsammlungen, welche in den islamischen Quellen dargestellt werden, entgegen Sprenger erst ein Jahrhundert später an. Demnach hätte die tadwīn-Epoche mit az-Zuhrī angefangen und bis zum Anfang des 3. Jahrhunderts angedauert, in dem die ersten musnad-Werke verfasst worden sind. Das Kapitel in Goldzihers Muhammedanische Studien, in dem der Autor die Anfänge des tadwīn beschreibt, ist von enormer Bedeutung.3 Die Argumentation, die er anführt, um die Epoche der Ḥadīṯsammlung zu verändern oder um sie etwa ein Jahrhundert später anzusetzen, ist recht verworren und seine widersprüchlichen Aussagen sind in seinem Werk selbst vorzufinden. Aus welchem Grund auch immer führt Goldziher merkwürdige Erklärungen an, um zu seinen ge- wünschten Ergebnissen zu gelangen. Bevor wir auf diese Auseinandersetzung eingehen, sei zunächst darauf hingewiesen, dass es zwei unterschiedliche Angelegenheiten gibt, die Goldziher als Widerspruch ansieht und die er folglich zu beseitigen versucht. Diese sind zum einen die Zusammentragung (tadwīn) der Ḥadīṯe, zum anderen die Klassifizierung der Ḥadīṯe (tasnīf). Die Definitionen, welche die islamischen Quellen für diese beiden vorgeschlagen haben, unterscheiden sich deutlich voneinander. Für tadwīn wird der Ausdruck „awwalu man dawwana al-Ḥadīṯ“4, für tasnīf dagegen „awwalu man ṣannafa al-kutub“5 benutzt. Die erste Bezeichnung beschreibt die Zusammentragung der Ḥadīṯe in Büchern, die zweite die Klassifizierung gesammelter Ḥadīṯe in bestimmte Kapitel. Somit sind die zeitlichen Angaben, welche die Quellen für diese beiden Angelegenheiten anführen, unterschiedlich und zweifellos geht der tadwīn dem taṣnīf voran. Diese Unterscheidung hat Goldziher offensichtlich nicht beachtet, d.h. er hat die Epochen des tadwīn und taṣnīf nicht voneinander unterschieden und folglich angenommen, dass die beiden verschiedenen zeitlichen Festlegungen, welche die islamischen Quellen hierfür anführen, widersprüchlich seien. Aus diesem Grund beseitigt Goldziher die eine Angelegenheit, nämlich den tadwīn, indem er die diesbezüglichen Quellen für schwach erklärt. Wir werden versuchen, seine erwähnten Argumentationen und Meinungen zu zitieren, um diese anschließend zu diskutieren. Er sagt Folgendes: Das früheste Datum, welches uns muhammedanische Autoren bezüglich der Sammlung des Ḥadīṯ bieten, ist von Muḥammad b. Al-Ḥasan al-Šaybānī (gest. * Dieser Übersetzung liegt folgende Originalausgabe zu Grunde: Sezgin, M. Fuad: Buḫârî„nin Kaynakları. Ankara: Kitâbiyât, 2001. Seite | 63 M. Fuad Sezgin: Die Quellen al-Buḫārīs 189), der von Mālik b. Anas erfahren haben soll, dass ʿUmar II. dem Abū Bakr b. ʿUmar b. Ḥazm den Auftrag gegeben habe: „Siehe nach, was sich vom Ḥadīṯ des Propheten oder seiner Sunna, oder vom Ḥadīṯ des ʿUmar und von dergleichen vorfindet und schreibe es nieder; denn ich befürchte den Untergang der Wissenschaft und das Schwinden der ʿUlamāʾ(durūs al-ʿilm waḏahāb alʿulamāʾ)“. Dieser Bericht ist vielfach nachgeschrieben worden und er dient der muhammedanischen Literaturgeschichte über das Ḥadīṯ vielfach als Ausgangspunkt; auch die moderne Literaturgeschichte hat ihm zuweilen historischen Charakter beigemessen. Wohl hören wir ja genug vom Sunna-Eifer des ʿUmar II., durch welchen er gegenüber der Religionslosigkeit seiner Vorgänger eine neue Epoche in der Regierung des Islam einzuleiten bestrebt war. Auch von seinem Eifer hinsichtlich des Niederschreibens und Sammelns der Ḥadīṯe haben wir in anderer Richtung die Nachricht, dass ʿUmar II. einzelne Gruppen von Traditionen, z.B. die durch ʿAmra bint ʿUbaydallāh b. Kaʾb b. Mālik (gest. 106) aufbewahrten Ḥadīṯe niederschrieben ließ. Auch dem Ibn Šihāb azZuhrī soll der Chalife den Auftrag erteilt haben, die Traditionen niederzuschreiben und nach Al-Suyūṭī (in seinem Kitāb al-awāʾil von älteren Autoritäten citierend) war diese Sammlung der erste Versuch in dieser Richtung. Wir sehen hieraus, wie sich die verehrende Nachwelt bestrebt hat, den frommen Chalifen mit der Traditionsliteratur des Islam in enge Beziehung zu setzen, so wie sie ihn auch hinsichtlich des Eifers, einzelne Aussprüche des Propheten in authentischer Form zu erhalten, den frommen Theologen nicht nachstehen liess. Nichts destoweniger können wir in Anbetracht der Widersprüche, welche in den von verschiedenen Seiten in Verkehr gesetzten Angaben auftauchen, die Nachricht des Šaybānī bezüglich der Veranlassung systematischen Sammelns durch ʿUmar II. nicht als Ausgangspunkt der Literatur nehmen. Nachdem Goldziher die diesbezüglichen Berichte weiter diskutiert, fährt er wie folgt fort: Viel positiver treten andere Daten der muhammedanischen Literaturgeschichte bezüglich der Anfänge der Traditionsliteratur auf. Diese Daten anticipieren sogar, wie wir sehen werden, einen Schritt, welcher in dieser Literatur erst später vollzogen wurde, für die Charakteristik ihrer Entwicklungsstufe in diesem II. Jahrhundert. Damit hält Goldziher auch die Daten, die in den islamischen Quellen für die erwähnte Geschichte der ersten muṣannaf-Werke angeführt werden, für ungeeignet. Aus welchem Grund auch immer setzt Goldziher den tadwīn und den taṣnīf gleich und setzt deren Anfang ein Jahrhundert später an, obwohl die tadwīnPhase schon viel früher begonnen haben muss.6 Aus seiner Aussage wird deutlich, dass er die zwei verschiedenen Epochen, die in den islamischen Quellen für den Anfang des tadwīn und des taṣnīf angegeben werden, miteinander verwechselt. Aus diesem Grund findet er die Berichte der Quellen widersprüchlich. In der Tat hat keine Quelle die systematische Zusammenstellung der Ḥadīṯe auf die Anregung von ʿUmar bin ʿAbd al-ʿAzīz begrenzt und die Klassifizierung der Ḥadīṯe auf seine Zeit zurückgeführt. Die Quellen versuchen nur eine Verbindung zwischen ihm und der Sammlung von Ḥadīṯen herzustellen. Auch Goldziher erwähnt in seinem Buch, dass die umayyadische Regierung azZuhrī, der mit der Niederschrift der Ḥadīṯe vertraut war, gezwungen hat, diese zu verschriftlichen. Hierfür führt Goldziher auch Belege an.7 Jedoch ordnet er den Bericht, der von Šaybānī in Māliks Muwaṭṭaʾ überliefert wird, als unauthentisch ein8 und konstatiert, dass dieser von den anderen Quellen nicht bestätigt wird, um somit die erste zeitliche Angabe auszuschließen, die für diese Angelegenheit [d.h. die Beauftragung az-Zuhrīs] genannt wird. Den gleichen Bericht zitieren allerdings Ibn Saʿd in seinem Kitāb aṭ-ṭabaqāt alkabīr, al-Buḫārī in seinem Ṣahīḥ unter dem Kapitel „Kitāb al-ʿilm“9 und in seinem Kitāb at-taʾrīḫ aṣ-ṣaġīr10, Dārimī in seinem Sunan11 und auch viele spätere Quellen. Im Gegensatz zu der Behauptung Goldzihers betrachtet außerdem keiner Abū Bakr b. ʿAmr b. Ḥazm (gest. 120) als den ersten mudawwin, sondern es wird nur vermerkt, dass ʿUmar ibn ʿAbd al-ʿAzīz ihm diesbezüglich einen Befehl erteilt und dieser daraufhin einige Bücher verfasst hat.12 Als erster mudaw- Seite | 64 M. Fuad Sezgin: Die Quellen al-Buḫārīs win wird stets az-Zuhrī genannt. Wie aus den Überlieferungen über die Ḥadīṯbücher, die Ḥadīṯgelehrten (muḥaddiṯūn) und deren Leben hervorgeht, war zur Zeit az-Zuhrīs das Gedächtnis nicht mehr das einzige Mittel zur Tradierung der Ḥadīṯe. Stattdessen wurde diese Funktion weitgehend von der Niederschrift übernommen. Es wurden azZuhrī Bücher vorgelegt, die Ḥadīṯe enthielten und gefragt, ob man diese von ihm überliefern darf oder nicht. Auf diese Weise wurden Ḥadīṯe in derartigen Büchern mit Überliefererketten (sanad) tradiert, in denen somit auch sein [d.h. azZuhrīs] Name aufgenommen wurde.13 Oder aber er selbst übergab seinen Schülern ihm vorliegende schriftliche Ḥadīṯkollektionen, mit dem Ziel, dass sie diese von ihm überliefern.14 Gleichwohl deuten Berichte aus der gleichen Epoche darauf hin, dass auch az-Zuhrīs Zeitgenossen mehrere Bücher besaßen. Az-Zuhrī, der sagte, die umayyadischen Khalifen hätten ihn dazu gezwungen, Ḥadīṯe aufzuzeichnen15, schrieb schließlich Ḥadīṯe nieder, deren Umfang so anstieg, dass sie einige Viehlasten bildeten, während sie nach der Ermordung des Kalifen Walīd von der Palastbibliothek transportiert wurden.16 Sein noch jüngerer Zeitgenosse Hišām b. Ḥassān (gest. 147) hatte sich etlicher Bücher von Ḥawšab, dem Überlieferer von al-Ḥasan al-Baṣrī und ʿAṭāʾ, bemächtigt.17 Sein anderer Zeitgenosse al-Aʿlā b. ʿAbd al-Raḥmān (gest. 139) stellte denjenigen, die die ṣaḥīfa, die sich später bei Imam Mālik befinden sollte, überliefern wollten, die Bedingung auf, dass sie entweder den ganzen Inhalt der ṣaḥīfa oder gar nichts von ihr übernehmen sollten.18 Der vielleicht interessanteste Bericht über die Bücher der genannten Epoche, dem man an dieser Stelle noch weitere hinzufügen könnte, ist die Aussage von az-Zuhrīs Ehefrau, dass der Bücherhaufen, den sie immer um ihren Gatten sehen musste, unerträglicher sei als die weiteren drei Ehefrauen, die noch nach Hause gebracht werden sollten.19 nommen können wir nicht eindeutig sagen, ab welcher Epoche die Ḥadīṯbücher ihr Material gänzlich aus den schriftlichen Quellen geschöpft haben. Jedoch vermuten wir, dass es nach dem noch zu ziehenden Vergleich zwischen den Überlieferern (ruwāt) – wie im Folgenden erläutert werden soll –, deren Namen in den bis zu uns gelangten Ḥadīṯsammlungen in den Überliefererketten angeführt werden, möglich ist, diese Epoche annähernd zu bestimmen. Eins ist gewiss: Je mehr man sich vom Ursprung der Ḥadīṯe entfernte und die Materialien zunahmen, desto mehr konnten sich Bücher binnen kurzer Zeit als unabdingbares Mittel der Ḥadīṯbewahrung etablieren. Al-Ḫaṭīb al-Baġdādī stellt die natürliche Entwicklung der Zusammentragung der Ḥadīṯe in Buchform auf folgende Weise dar: Nachdem man die Niederschrift der Ḥadīṯe eine Zeit lang für unangebracht gehalten hatte, kam sie sodann weitgehend zur Anwendung und man begann mit der Ḥadīṯsammlung in Buchform, denn Überlieferungen hatten sich verbreitet und Isnāde wurden immer länger, die Namen, die Beinamen der Männer sowie die Bezeichnungen über ihr Herkunftsort und ihre Verwandschaft (nisba) hatten sich vermehrt. Ferner hatten die Ausdrucksweisen in den Überliefererketten (sanad) verschiedene Formen angenommen. Kurzum: Das Gedächtnis des Menschen war nicht mehr imstande, diese erwähnten Informationen zu memorieren. Somit stellte sich heraus, dass die schriftliche Ḥadīṯwissenschaft sicherer war als das nur im Gedächtnis bewahrte Wissen…20 Übertragung des Wissens/Überlieferung der Ḥadīṯe (taḥammul al-ʿilm) Um die Analyse der Quellen von al-Buḫārīs al-Ǧāmiʿ aṣ-Ṣaḥīḥ zu erleichtern, ist es neben der thematisierten Angelegenheit des kitābat al-ʿilm (Verschriftlichung des Wissens/der Ḥadīṯe) genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger, sich mit taḥammul al-ʿilm, das die Ḥadīṯüberlieferungsregeln zur Grundlage hat, zu beEs wird ersichtlich, dass in der Zeit az-Zuhrīs und seiner Zeitgenossen oder zu fassen. Auch wenn in der Ḥadīṯliteratur von diesen zwei Themen die zweite in Beginn des zweiten Jahrhunderts der Ḥiǧra, in dem Bücher eine größere Rolle der Anfangsphase ihre Bedeutung nicht so wie die erste unter Beweis stellen spielten, eine Gruppe von Ḥadīṯen mündlich überliefert wurde. Im Grunde gekonnte, nimmt sie im Hinblick auf die Tätigkeit der Festlegung der Ḥadīṯe oder Seite | 65 M. Fuad Sezgin: Die Quellen al-Buḫārīs Überlieferungen einen wichtigere Stellung ein. Die Diskussion über kitābat alʿilm hat gegen Ende der umayyadischen Regierung nahezu ernsthaft ihre Bedeutung verloren. Während der Widerstand gegen die Festlegung der Ḥadīṯe durch Verschriftlichung nicht über eine sehr schwache Bemühung hinausging, wurde der taḥammul al-ʿilm unter den Ḥadīṯgelehrten vorwiegend bis zum Ende des dritten Jahrhunderts21 nach dem Untergang der umayyadischen Regierung sehr strengen Bedingungen unterzogen. Je mehr man sich durch die Weitergabe der Ḥadīṯe und Nachrichten oder mit der alten Bezeichnung, des Wissens (ʿilm) von Person zu Person, demzufolge von Generation zu Generation von der ursprünglichen Quelle entfernte, desto mehr nahm diese Weitergabe an Bedeutung zu. Neue Probleme kamen in diesem Sinne auf, da sich weitere Personen an dem Prozess der Weitergabe der Überlieferungen vom Propheten und von seinen Gefährten beteiligten. Kurze Zeit später entstand durch die intensive Anwendung der Schrift eine der islamischen Gemeinden eigene Einrichtung, die keine Beziehung zu anderen Gemeinschaften aufweist.22 Die Grundlage hierfür bildete das Anliegen und die Bemühung, einen Ḥadīṯ soweit wie möglich in seiner Ursprungsform zu bewahren und zu verhindern, dass diesem etwas hinzugefügt oder entnommen wird. Bei der Überlieferung eines Ḥadīṯ von einem Gewährsmann (rāwī) zu einem anderen stellte sich die Frage, welchen Ausdruck der Gewährsmann zur Bezeichnung der Überlieferung benutzen sollte und welcher Weg der beste war, um dabei Fehler zu verhindern. Welcher Weg war hingegen unzulässig? Auf welche Weise konnte der Ḥadīṯ aus einer schriftlichen Quelle überliefert werden? Eben diese und ähnliche Angelegenheiten werden in den Büchern des muṣṭalaḥ al-ḥadīṯ in acht Kapiteln in unterschiedlicher Gewichtung untersucht.23 Wenn wir Einzelheiten außer Acht lassen, bestehen diese aus samāʿ, qirāʾa, iǧāza, munāwala, kitāba oder mukātaba, iʿlām, d.h. dem Umstand, dass ein Lehrer (Šayḫ) sich damit begnügt, dem Schüler mitzuteilen, dass ihm ein Ḥadīṯ oder ein Buch durch eine andere Person durch samāʿ überliefert wurde, ohne seinem Schüler die Erlaubnis zu erteilen, von ihm selbst zu überliefern, sowie aus waṣiyya und wiǧāda. Diese [acht Kapitel] beinhalten viele weitere Unterkapitel. Im Folgenden wird versucht, diese zusammenfassend und mit ihren einfachsten Definitionen zu thematisieren, sodass sie uns verdeutlichen, wie al-Buḫārī von seinen Vorgängern Ḥadīṯe übernommen hat. Samāʿ Samāʿ bezeichnet das Zuhören des Schülers während sein Šayḫ eine Überlieferung auswendig oder aus seinem Buch vorträgt. Hier ist der Šayḫ derjenige, den die Überlieferung des erwähnten Ḥadīṯes über die gültigen Wege des taḥammul al-ʿilm erreicht hat. Qirāʾa Qirāʾa ist das Vortragen von einem oder mehreren Ḥadīṯen seitens des Schülers oder einer anderen Person – entweder aus einem Buch oder auswendig – wobei der Šayḫ dies auswendig oder aus einem vorliegenden Exemplar mit verfolgend abhört. Iǧāza Die iǧāza besteht generell aus zwei Teilen: a) b) Der Besitzer der Überlieferung gibt die Erlaubnis zur Überlieferung von etwas Bestimmten. Er sagt z.B.: „Ich gebe dir das Recht von al-Buḫārī oder von Büchern, deren Überlieferung in meiner Verantwortung stehen, zu überliefern.“ Er gibt einer bestimmten Person die Erlaubnis für etwas Unbestimmtes. Er sagt z.B.: „Ich habe dir das Recht gegeben, all das, was ich durch samāʿ erhalten habe (masmūʿāt) oder all meine Überlieferungen, zu überliefern“. Diese Art hingegen beinhaltet aus überlieferungstechnischer Sicht neun Bereiche, welche in einer hierarchischen Anordnung stehen. Seite | 66 M. Fuad Sezgin: Die Quellen al-Buḫārīs Munāwala Der Šayḫ gibt seinem Schüler das Original seines samāʿ oder eine Kopie des Originals, welche vom Schüler mit dem Original des Šayḫs verglichen und auf Fehler hin überprüft worden ist (muqābala) und sagt: „Dies ist mein samāʿ oder meine Überlieferung; so überliefere von mir“, oder: „…ich gebe dir das Recht, von mir zu überliefern“. Dadurch wird das Überlieferungsrecht vollkommen oder unter der Bedingung von Vervielfältigung (istinsāḫ) weitergegeben. Oder aber der Schüler zeigt seinem Šayḫ entweder die originale Handschrift des Šayḫs oder eine Kopie bzw. Vervielfältigung des Originals (muqābala). Nachdem der Šayḫ diese sorgfältig und gründlich überlegend überprüft hat, sagt er: „Das ist mein Ḥadīṯ oder meine Überlieferung; überliefere sie von mir weiter“. schriftliches Exemplar vom letzten Überlieferer des jeweiligen Buches vorliegt. Dabei ist nicht entscheidend, ob die Person die Ḥadīṯe oder Bücher von einem Zeitgenossen erhält oder nicht. Die verschiedenen Teilgebiete der Ḥadīṯüberlieferung, die von den Ḥadīṯgelehrten unterschiedlich gewertet werden, haben bis zu einem bestimmten Grad Ausdrucksweisen erlangt, die ihre Gattungsart darlegen. Aus diesem Grund ist in den Quellen, welche die verschiedenen Bestandteile der Ḥadīṯüberlieferung thematisieren, zu beobachten, dass neben diesen Bestandteilen der Terminus Technicus alfāẓ eine große Stellung einnimmt. Diese Ausdrücke sind in den Überliefererketten zu finden und variieren je nach der Anzahl der Personen, die sich zwischen dem Erst- und dem Letztüberlieferer befinden. Diese lauten samiʿnā, ḥaddaṯanā, aḫbaranā, anbaʾanā; sie können aber auch in der Singularform Kitāba oder Mukātaba (samiʿtu usw.) vorkommen. Ihre Verwendung ist oft eng mit der Eigenart des Ein Šayḫ schreibt für jemanden, der sich in seiner Gegenwart oder in der Ferne Ḥadīṯgelehrten und dessen Sorgfältigkeit und Gleichgültigkeit in der Ḥadīṯüberbefindet, seine samāʿ oder einige Teile der Ḥadīṯe hiervon selbst nieder oder lieferung verbunden. lässt diese niederschreiben. Dies geschieht entweder dadurch, dass der Šayḫ sagt: Der übereinstimmenden Bezeichnung in den Überlieferungsketten zufolge, ha„Ich gebe dir die Erlaubnis für meine Abschriften“, oder aber er gibt derartiges ben die Prophetengefährten vom Propheten mit Hilfe des Ausdrucks qāla übernicht bekannt. liefert. Wir wissen nicht ganz genau, welche Ausdrucksweise die ersten Tābiʿūn Die sechste Grundlage des taḥammul al-ʿilm ist, wie man der Definition entneh- bei der Überlieferung von den Prophetengefährten benutzte. Vielleicht besaßen men kann, dass der Šayḫ seinem Schüler zwar sagt, dass er einen Ḥadīṯ oder ein sie nicht einmal eine gemeinsame Methode. Mit Hinblick auf den Ursprung der Buch auf dem Weg des samāʿ erhalten hat, jedoch nicht ausdrücklich den Satz: Ḥadīṯe nahm die Bedeutung dieses Ausdrucks [d.h. qāla] zu, je mehr Personen „Überliefere dies von mir“ geäußert hat. hinzukamen. Gemäß den Auskünften alter Quellen war Zuhrī (gest. 124) derjenige, der Waṣiyya zum ersten Mal die Ḥadīṯe ihren Überlieferern zuordnete.24 Tatsächlich sehen Dies bezeichnet das Testament des Šayḫs, in dem er kurz vor seinem Tod oder wir, dass einige Schriften, die uns aus den vorangehenden Epochen erhalten einer Reise vermerkt, dass sein Buch durch jemanden überliefert werden sollte. geblieben sind, keine Isnāde und die oben erwähnten Ausdrücke der Isnāde in ihren Ḥadīṯen und Nachrichten aufweisen. Das Werk Faḍāʾil al-Makka25 von alWiğāda Ḥasan al-Baṣrī (gest.110), die ʿAbīd ibn Šariyya al-Ğurhumī zugesprochenen Wiǧāda liegt vor, wenn einer Person Ḥadīṯe oder Bücher zuteil werden, welche Schriften mit dem Titel Aḫbār al-Yaman wa aš‘āruhā wa anṣābuhā ‘alā al-wafā diesen nicht durch einen Überlieferungsweg erreicht haben und deren handwa al-kamāl26 und die erhaltenen Abschnitte aus dem Kitāb at-tīǧān fī mulūki Seite | 67 M. Fuad Sezgin: Die Quellen al-Buḫārīs ḥimyar von Wahb ibn Munabbih (gest. 114) in der Redaktion von Ibn Hišām (gest. 218) erwähnen weder die Überlieferer der Ḥadīṯen und Nachrichten, die vom Propheten und seinen Gefährten tradiert wurden, noch haben sie für jene Ausdrücke, die sie fortwährend benutzen. Das al-Ğāmiʿ des im Jahre 153 nach der Ḥiǧra verstorbenen Maʿmar ibn Rāšid, das bis in unsere Zeit gelangt ist, sowie das Muwaṭṭaʾ des Imam Mālik beinhalten in ihren Überliefererketten alfāẓ [Ausdrücke], welche die Berichte bestätigen, dass es az-Zuhrī war, der mit der Isnād-Tätigkeit begann oder dass diese in seine Epoche zurückzuführen ist. Die Nachfolger von az-Zuhrī oder die ihm folgende erste Schicht der Ḥadīṯgelehrten setzten für den ordnungsgemäßen Zustand eines Ḥadīṯes die alfāẓ voraus, welche bei den Ḥadīṯen die Isnād-Thematik und die Überliefererketten miteinander verbanden. Es war sogar so, dass die Ḥadīṯe, die diese Ausdrücke nicht enthielten, in keinster Weise Bedeutung erlangten. Šuʿba (gest.160) sagte dazu: „Ḥadīṯe, in denen nicht die Ausdrücke aḫbaranā und ḥaddaṯṯanā in der Überliefererkette vorkommen, sind wirr.“27 Im Allgemeinen versucht man eine Beziehung zwischen diesen Ausdrücken und den verschiedenen Teilen des taḥammul al-‘ilm herzustellen und auf ihre voneinander abweichenden Geltungen hinzuweisen, indem man unter den betreffenden alfāẓ den geeigneten Begriff auswählt. Die Verwendung dieser Wörter über die Jahrhunderte hinweg unterlag einer historischen Kritik, die zeigt, dass bereits unter den Muslim (gest. 261) vorangehenden Ḥadīṯgelehrten ein fließender Ablauf stattfand. Was die Erforschung der Quellen des al-Buḫārī angeht, werden wir feststellen, dass im Hinblick auf den Gebrauch dieser Ausdrücke ein Teil von denjenigen Ausdrücken, die die späteren Generationen al-Buḫārī zugeschriebenen haben, falsch ist. Laut al-Ḫaṭīb al-Baġdādī sind die wertvollsten Ausdrücke in den Überlieferungsketten samiʿtu gefolgt von ḥaddaṯanā, anbaʾana und nabbaʾana. Spätere Ḥadīṯwissenschaftler erheben dagegen Einspruch.28 Falls wir von der relativ unbedeutenden Meinungsverschiedenheit sowie von den Veränderungen in den Verwendung [dieser Ausdrücke] zu jeweils unterschiedli- chen Zeiten absehen, weisen die erwähnten Ausdrücke im Allgemeinen auf samāʿ und qirāʾa hin.29 Den Ausdrücken in der Überliefererkette eines Ḥadīṯes, die den letzten Überlieferer erreichten, kam eine solch absolute Bedeutung zu, dass keinerlei Veränderungen an ihnen vorgenommen werden sollten. So wurde es beispielsweise keineswegs als erlaubt betrachtet, in der Formulierung „ḥaddaṯanā fulān qalā ḥaddaṯanā fulān“ einer Überliefererkette kleine Veränderungen hinsichtlich der Ausdrücke vorzunehmen, indem z.B. [ḥaddaṯanā] durch aḫbaranā oder haddaṯanī ersetzt wird. Dies wurde lediglich von denjenigen toleriert, die auf die Bedeutung (maʿnā) in der Ḥadīṯüberlieferung mehr Wert legten.30 Im Allgemeinen haben die Ḥadīṯgelehrten, die in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts lebten, den Ausdruck aḫbaranā bevorzugt, damit er in vielen Bereichen der Ḥadīṯüberlieferung angewendet werden konnte. Unter den Lehrern der Lehrer von al-Buḫārī haben ʿAbdullāh ibn al-Mubārak (gest. 181) und Hušaym ibn Bašīr (gest. 183), ʿUbaydullāh ibn Mūsā (gest. 213), ʿAbdarrazāk ibn Hammām (gest. 211) und Yazīd ibn Hārūn (gest. 212) diesen Ausdruck bevorzugt.31 Manche Ḥadīṯgelehrte haben ihre Ausdrucksweise nie verändert. Dies ging so weit, dass al-Buḫārīs Kommentatoren (šāriḥ) an undeutlichen Stellen wie „ḥaddaṯanā Ishāq“ auf den folgenden Ausdruck schauten, um festzustellen, um welchen Ishāq es sich hierbei handelte. Sofern der Ausdruck „ḥaddaṯanā“ folgte, wurde es Ishāq ibn Manṣūr, zugeschrieben. Folgte hingegen der Ausdruck „aḫbaranā“, handelte es sich um Ishāq ibn Rāhūya, denn man wusste, dass letzterer den Ausdruck „ḥaddaṯanā“ niemals gebrauchte.32 Laut Imam Šāfiʿī (gest. 204) sollte man für die Ḥadīṯe, die der Schüler seinem Lehrer vorliest, den Ausdruck „aḫbaranā“, für jene wiederum, die der Lehrer seinem Schüler vorliest, den Ausdruck „ḥaddaṯanā“ verwenden.33 Jedoch kann man nach der Meinung vieler anerkannter Ḥadīṯgelehrten die genannten Ausdrücke auch synonym verwenden. Al-Buḫārī überliefert, dass nach Sufyān ibn ʿUyaynas (gest. 198) Ansicht, alle Ausdrücke gleich zu bewerten sind.34 Al-Awzaʿī (gest. 157): Seite | 68 M. Fuad Sezgin: Die Quellen al-Buḫārīs „Auf die Frage seines Schülers: ,Ich habe viel von dir niedergeschrieben, welchen Ausdruck soll ich für diese benutzen?„, antwortete er folgendermaßen: ,Ḥaddaṯanī benutzt du für das, was ich dir alleine vorgelesen habe, ḥaddaṯanā für das, was ich dir in Anwesenheit von vielen anderen Personen vorgelesen habe, aḫbaranī für das, was du mir alleine vorgelesen hast, aḫbaranā für das, was zusammen mit dir mehreren Personen vorgelesen wurde. Den Ausdruck ḫabbaranī benutzt du für das, wofür ich nur dir die Erlaubnis zur Überlieferung (iǧaza) gab; ḫabbaranā für das, wofür ich dir und vielen anderen die Erlaubnis zur Überlieferung gab.“35 Literaturangabe: 1 Ibn ʿAbdilbarr, Abū ʿUmar Yūsuf an-Namarī: Ǧāmiʿ bayān al-ʿilm wafaḍlih wa-mā yanbaġī fī riwāyatih wa-ḥamalatih. Band 1-2. Kairo: o.J, I. 73 (Im Folgenden: Ǧāmiʿ bayān al-ʿilm); al-ʿAsqalānī, Ibn Ḥaǧar: Fatḥ al-bārī bi šarḥ ṣaḥīḥ al-Imām Abī ʿAbdillāh Muḥammad b. Ismāʿīl al-Buḫārī. Band 1-13. Bulak 1300-1301, I. 147 (Im Folgenden Fatḥ al-bārī); Tadrīb ar-rāwī, S. 25; as-Suyūṭī, Ǧalāl ad-Dīn: Tanwīr al-ḥawālik šarḥ Muwaṭṭaʾ al-Imām Mālik. Bd. 1-2. Kairo, o.J., I. 4 (Im Folgenden:Tanwīr al-ḥawālik); Zurqānī: Šarḥ Muḥammad azZurqānī ʿalā Ṣaḥīḥ al-Muwaṭṭaʾ. Bd. 1-4. Kairo 1310, I. 10 (Im Folgenden: Man kann erkennen, dass die Ḥadīṯüberlieferung und ein Teil der kurz thema- Zurqānī). 2 Goldziher, Ignaz: Muhammedanische Studien, Theil 1-2. Halle: 1889-90, tisierten [Überlieferungs-]Arten schon sehr früh behandelt und diskutiert wurden. Den Quellen ist sogar zu entnehmen, dass samāʿ und qirāʾa in der Zeit von II. 8-11 (Im Folgenden: Muh. Stud.). 3 Muh. Stud., II. 208-211. ʿAlī ibn Abī Ṭālib und Ibn ʿAbbās bekannt waren. Es wird überliefert, dass der Ğāmi‘ bayān al-‘ilm, I. 73; Fatḥ al-bārī, I. 174; Tanwīr al-ḥawālik, I. 6; Erste [d.h. ʿAlī] es als gleich ansah, dem Lehrer vorzulesen und dem Lehrer zu- 4 zuhören. Über den anderen [d. h. Ibn ʿAbbās] wird berichtet, dass er seiner Hö- Zurqānī, I. 10. 5 Ar-Rāmahurmuzī, Abū Muḥammad al-Ḥasan: al-Muḥaddiṯ al-fāṣil bayna r rerschaft sagte: „Es besteht kein Unterschied darin, dass ich euch vorlese und dass ihr mir vorliest.“36 Einige Ḥadīṯgelehrte der Tābiʿīn haben unterschiedliche -rāwī wa-l-wāʿī. Şehid Ali Paşa Bibliothek Nr. 531, 126 b, [S. 611] (Im Folgenden: Rāmahurmuzī, al-Muḥaddiṯ al-fāṣil (Bibliotheksabteilung Şehid Ali)); Meinungen über diese Angelegenheit vertreten, die in den Quellen zu finden sind. So heißt es z.B. von az-Zuhrī, dass er in dieser Hinsicht nachsichtig war: Er Tanwīr al-ḥawālik, I.7.Siehe außerdem für die Unterschiede zwischen den Termini Technici tadwīn und taṣnīf: Ibn Manẓūr, al-Imām Abū l-Faḍl: Lisān alerlaubte Personen, die ihm Bücher vorbrachten, diese von ihm zu überliefern, ʿarab. Bd. 1-20. Bulak 1300-8 (im Folgenden: Lisān al-ʿarab), az-Zabīdī, auch wenn sie diese zuvor von ihm selbst nicht gehört bzw. sie diese in seiner Muḥibb ad-Dīn: Tāǧ al-ʿarūs. Bd. 1-10. Kairo 1331-34 (im Folgenden: Tāǧ alAnwesenheit nicht vorgelesen haben.37 Diese Teile, die in den Büchern der muṣṭalaḥ al-ḥadīṯ in mehrere Unter- ʿarūs), Einträge zu den Radikalen d-w-n und ṣ-n-f. 6 Muh. Stud., II. 210-211. kapitel aufgeteilt sind, sind im Hinblick auf ihre Richtigkeit unterschiedlich zu 7 Muh. Stud., II. 38; für diesen Bericht siehe al-Laknawī, Abū l-Ḥasanāt bewerten. So bevorzugen die Ḥadīṯgelehrten je nach ihren eigenen Prinzipien einige Teile und lassen wiederum andere unberücksichtigt. Im Allgemeinen wird Muḥammad ʿAbdalḥayy: al-Muwaṭṭaʾ li-l-Imām Muḥammad raḥimahullāh taʿālā maʿa taʿlīq al-mumaǧǧad ʿalā Muwaṭṭaʾ Muḥammad…. Lokno 1898, in den Uṣūl-Werken vermerkt, welche Teile von namhaften Ḥadīṯgelehrten als „Bāb al-iktitāb al-ʿilm“, S. 389 (im Folgenden: al-Muwaṭṭaʾ (in der Überliefegültig anerkannt werden. rung aš-Šaybānīs)). 8 Ṭabaqāt, II. 2, 134; VIII. 353 Seite | 69 M. Fuad Sezgin: Die Quellen al-Buḫārīs 9 al-Buḫārī, Abū ʿAbdillāh Muḥammad b. Ismāʿīl: Ṣaḥīḥ al-Buḫārī. Bd. 1-9. Bulak, 1311-3, I. 31 (im Folgenden Buḫārī); Fatḥ al-bārī, I. 174; al-ʿAynī, Badr ad-Dīn: ʿUmdar al-qārī fī šarḥ ṣaḥīḥ al-Buḫārī. Bd. 1-11. Istanbul, 1308-9, I. 526-527 (im Folgenden: ʿAynī); Goldziher sagt, dass er in späteren Quellen diese Stelle nicht (wieder)finden kann, obwohl er gesehen hat, dass bspw. bei Zurqānī dies von Buḫārī überliefert wird (Muh. Stud., II. 210, Fußnote 2). 10 at-Tārīḫ aṣ-ṣaġīr, S. 105. 11 ad-Dārimī, Abū Muḥammad ʿAdballāh: al-Ǧāmiʿ aṣ-Ṣaḥīḥ fī s-sunan. Haidarabad, 1309, I. 68 (im Folgenden: Sunan ad-Dārimī). 12 In den Überlieferungen bei Imam Mālik, al-Buḫārī und ad-Dārimī ist die Überlieferung, dass Abū Bakr b. ʿUmar b. Ḥazm auf diesen Befehl hin einige Bücher verfasst hat und dass ʿUmar b. ʿAbd al-ʿAzīz verstarb, bevor ihm diese Bücher geschickt wurden, nicht vorzufinden. Die erwähnte Überlieferung ist eine Überlieferung, zu der man indirekt gelangen kann. (Siehe Tanwīr al-ḥawālik, II. 6; Zurqānī, I. 10.) 13 …Samiʿtu Yaḥyā ibn Maʿīn yaqūlu: Ḥaddaṯanā Abū Ḥamza Ḥaddaṯanā ʿUbaydullāh ibn ʿUmar qāla: Kuntu arā z-Zuhrī yuʾtī bi-l-kitābi mā qaraʾa walā quriʾa ʿalayhi fa-yuqālu lahū narwī hāḏā ʿanka? Fa-yaqūlu: Naʿam (al-Ḫaṭīb al-Baġdādī, Abū Bakr: Kitāb al-kifāya fī ʿilm ar-riwāya. Haidarabad: Dāʾirat almaʿārif al-ʿUṯmāniya, 1357, S. 318 (im Folgenden: al-Kifāya)). 14 …ʿAn ʿAbdilmalik ibn Yaḥyā ibn ʿAbbād ibn ʿAbdillāh ibn az-Zubayr anna Ibn Šihāb az-Zuhrī dafaʿa ilā baʿḍi aṣḥābihi aḥādīṯa min aḥādīṯihi fī ṭūmāri faqāla: hāḏihi aḥādīṯī, ḫuḏhā fa-ḥaddiṯ bihā. Fa-qabila ḏālika minhu (al-Kifāya, S. 319). 15 Qāla z-Zuhrī: Kunnā nakrahu l-kutuba ḥattā akrahnā ʿalyhi s-sulṭān fakarihnā n-namnaʿahu n-nās (al-Iṣbahānī, Abū Nuʿaym: Ḥilyat al-awliyāʾ waṭabaqāt al-aṣfiyā. Bd. 1-10. Kairo, 1932-1938, III. 363 (im Folgenden Ḥilyat alawliyāʾ)). 16 …ʿAbdurrazzāq qāla: Samiʿtu Maʿmaran yaqūlu: Kunnā narā innā qad akṯarnā ʿani z-Zuhrī ḥattā qutila l-Walīd, fa-iḏā d-dafātiru qad ḥumilat ʿalā ddawābbi min ḫizānatihī, yaqūlu min ʿilmi z-Zuhrī (Ḥilyat al-awliyāʾ, III. 36). 17 al-Ǧuz aṯ-ṯāliṯ min suʾālāt Abī ʿUbayd Muḥammad b. ʿAlī b. ʿUṯmān alĀǧurrī šayḫahū Abā Dāwūd as-Siǧistānī. Köprülü Bibliothek Nr. 292 [Muḥammad ʿAlī Qāsim al-ʿUmarī, Medina 1979], 2 b [I. 284] (im Folgenden: Suʾālāt al-Āǧurrī). 18 Ibn Qutayba, Kitāb al-maʿārif, S. 168 [siehe Ibn Qutayba: Kitāb al- maʿārif = Ibn Coteibas Handbuch der Geschichte. Hrsg. v. F. Wüstenfeld. Göttingen 1850, Anm. d. Übers.]. 19 Ibn Ḫallikān, Abū l-ʿAbbās Šams ad-Dīn: Wafayāt al-aʿyān wa-anbāʾ azzamān. Bd. 1-2. Bulak 1273, I. 644 (im Folgenden: Ibn Ḫallikān, al-Wafayāt). 20 al-Ḫaṭīb al-Baġdādī: Taqyīd al-ʿilm. Editiert von Yūsuf al-ʿĀš. Damaskus: Institut français Damas, 1949, 64 (im Folgenden: Taqyīd al-ʿilm). إنﻤﺎ ﺍتضع ﺍلﻨﺎس فﻲ ألن ﺍلﺮوﺍﻳﺎت ﺍنﺘﺸﺮت وﺍألصﺎنﻴﺪ طﺎلت و, وﻋ ّﻮلﻮﺍ ﻋﻠى تﺪوﻳﻨه فﻲ ﺍلصحف ﺑﻌﺪ ﺍلﻜﺮﺍهﺔ لﺬلك.كﺘﺐ ﺍلﻌﻠﻢ , فﻌجزت ﺍلقﻠﻮﺏ ﻋﻦ حﻔظ مﺎ ﺫكﺮنﺎ, وﺍلﻌﺒﺎﺭﺍت ﺑﺎأللﻔﺎظ إخﺘﻠﻔت,ﺃصﻤﺎء ﺭجﺎل كﻨﺎهﻢ وﺃنضﺎﺑﻬﻢ كﺜﺮت .وصﺎﺭ ﻋﻠﻢ ﺍلحﺪﻳﺚ فﻲ هﺬﺍ ﺍلزمﺎن ﺍثﺒت مﻦ ﻋﻠﻢ ﺍلحﺎفظ 21 Bekanntlich setzt sich dieses Jahrhundert aus der Epoche zusammen, in der die kanonischen Ḥadīṯsammlungen al-Kutub as-sitta entstanden sind. 22 Für die Idee, dass diese gänzlich eine originäre Einrichtung der islamischen Gemeinde ist, siehe Goldziher, Muh. Stud., II. 188. 23 Siehe z.B. Tadrīb ar-rāwī, S. 129-149. 24 Sami‟tu Mālikan yaqūlu: awwalu man asnada al-ḥadīṯa Ibn Šihāb (Ibn Abī Ḥātim, Abū Muḥammad ʿAbdurraḥmān Muḥammad b. Idrīs b. al-Munḍir atTamīmī al-Ḥanzalī ar-Rāzī: Taqdima al-maʿrifa li kitāb al-ǧarḥ wa-t-taʿdīl. Haydarabad 1952, S.20 (Im Folgenden: Muqaddima al-ǧarḥ wa-t-taʿdīl). 25 Brock., G. I2, 67, Suppl., I., 103. 26 Brock., Suppl., I. 100. 27 al-Kifāya, S. 283. Kullu ḥadīṯin laysa fīhi aḫbaranā wa ḥaddaṯṯanā, fa huwa ḫallun wa baqlun. Seite | 70 M. Fuad Sezgin: Die Quellen al-Buḫārīs 28 al-Kifāya, S. 283-284; Tadrīb ar-Rāwī, S. 130. 29 Siehe z.B. Tadrīb ar-Rāwī, S. 132-133. 30 al-Kifāya, S. 292. 31 al-Kifāya, S. 284-285. 32 Fatḥ al-bārī, VIII. 197. 33 al-Kifāya, S. 303. An-Nawawī gibt uns recht wertvolle Informationen über die Vorzüge der Ḥadītgelehrten in dieser Angelegenheit. Über den Ḥadīṯgelehrten Muslim sagt er: „Er trennte sie beide (d.h. ḥaddaṭanā und aḫbaranā). Er benutzte den Ausdruck ḥaddaṯanā für Ḥadīṯe, die er lediglich von seinem Šayḫ gehört hat, während er aḫbaranā für diejenigen Ḥadiṭe benutzte, die er dem Šayḫ vorgelesen hat. Dies ist die Lehrmeinung (maḏhab) Šafiʿīs, seiner Freunde, der Mehrheit der morgenländischen (šarqī) (diese Bezeichnung wird als Gegensatz zu „maġrib“ verwendet) Muḥaddiṯūn, sowie von [Personen wie] Muḥammad ibn al-Ḥasan al-Ǧawharī al-Misrī… Ibn Ǧurayǧ, al-ʾAwzaiʿī, Ibn Wahb und an-Nasāʾī. Unter den Traditionalisten (ahl al-ḥadīṯ) ist diese die verbreiteteste und bekannteste Lehrmeinung. Der Erlaubnis für die Nutzung der Ausdrücke ḥaddaṭanā und aḫbaranā für Ḥadīṯe, die dem Šayḫ vorgelesen wurden, haben viele zugestimmt. Dies ist die Lehrmeinung von Zuhrī, Mālik, Sufyān ibn ʿUyayna, Yaḥyā ibn Saʿīd al-Qaṭṭān…Buḫārī sowie vieler Muḥaddiṭūn aus dem Ḥiǧāz und aus Baṣra.“ (an-Nawawī: Šarḥ al-Imām anNawawī ʿalā Muslim. Band 1-10, (am Rande von Qasṭallānī), I. 33 (Im Folgenden: Šarḥ Muslim). 34 al-Buḫārī, I. 22. 35 ما قرأته عليك وحدك: كتبت عنك حديثا كثيرا فما أقول فيه؟ قال: قلت ألبي عمرو األوزاعي:قال... , وما قرأته عليّ وحدك فقل فيه أخبرني, وما قرأته على جماعة أنت فيهم فقل فيه حد ثنا،قال فيه حدثني وما أجزته، وما أجزته لك وحدك فقل فيه خبرني،وما قرأت على جماعة أنت فيهم فقل فيه أخبرنا .لجماعة أنت فيم فقل فيه خبرنا al-Kifāya, S. 302. 36 ar-Rāmahurmuzī, Abū Muḥammad al-Ḥasan b. ʿAbdirraḥmān b. Ḫallād: al -Muḥaddiṯ al-fāṣil bayna ar-rāwī wa-l-wāʿī. Köprülü Bibliothek Nr. 397 [Editiert von Muḥammad ʿAǧǧāǧ al-Ḫaṭīb. Beirut: Dār al-fikr, 1404] 76b, [S. 428-429] (Im Folgenden: Rāmahurmuzī) und Tadrīb ar-Rāwī, S. 131; für jene, die von Ibn ʿAbbās überliefert worden sind, siehe: Tirmiḏi, II. 337. 37 al-Kifāya, S. 318. Seite | 71 Christiane Geisthardt: Interreligiöser Dialog als Chance Dr. Christiane Geisthardt INTERRELIGIÖSER DIALOG ALS CHANCE Man stelle sich vor1 es hätte in Europa weder Kreuzzüge, noch ‚Heilige‟ Kriege, noch Vertreibungen, noch Zwangskonversionen, noch religiöse Diskriminierungen gegeben Muslime und Juden wären nicht im 15. Jahrhundert aus Spanien vertrieben oder zur Konversion gezwungen worden bis in die Gegenwart würden die Vertreter aller Religionen Anerkennung erfahren überall würde die Mehrheit auf Minderheiten Rücksicht nehmen Dann würden unsere Stadtbilder von Kathedralen, Synagogen sowie Moscheen und anderen Häusern des Gebetes geprägt sein. Nicht nur das Glockengeläut, sondern ebenso der Ruf des Muezzin wären regelmäßig zu hören, wie es seit langer Zeit in Jerusalem geschieht. Dann würden in allen Ländern Europas Juden, Christen und Muslime und andere Religionsgemeinschaften friedlich zusammenleben. So könnte es sein: Die Mehrheit ist bemüht, den Minderheiten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Alle Regierungen achten darauf, dass alle Gruppen der Bevölkerung bei allen wichtigen Entscheidungen beteiligt sind. Eine Heirat zwischen den Anhängern verschiedener Religionen wird nicht mit Gewalt verhindert. Entweder werden diese Ehen mit Bedauern als Mischehen geduldet oder positiv als religionsverbindende Ehe interpretiert. Überall finden sich religiös Praktizierende oder ausschließlich nominelle Religi- onszugehörige, dazu kommen Religionslose. In den Schulen wird je nach Bevölkerungszusammensetzung ein differenzierter Religionsunterricht eingerichtet bzw. Ethik für Religionslose. In Ethikräten, Rundfunkkommissionen, Jugendschutzkonferenzen haben Vertreter der verschiedenen Religionsgemeinschaften Sitz und Stimme. Interreligiöse Dialoge gehören zum kulturellen Leben der Gesellschaft dazu, alle sind um eine angemessene Streitkultur bemüht. Konversionen sind an der Tagesordnung, wenn auch von manchen Familien und Religionsvertretern nur schmerzlich toleriert. Der Schmerz derer, die ein Familienmitglied nicht mehr in der eigenen Religionsgemeinschaft finden, kann die Motivation sein, sich die Wahrheitsfrage zu stellen, die von den Gelehrten und Interessierten bedacht wird. So könnte es sein Fragen werden gestellt und diskutiert: Ist die von meinen Eltern ererbte Religion oder die Religion, für die ich mich durch Konversion entschieden habe, die wahre Religion? Ist es vielleicht am besten, die Frage nach Gott ganz auszuklammern und sich atheistisch oder agnostisch auf die Verbesserung der Lebensumstände zu konzentrieren? Interessierte Vertreter der verschiedenen Überzeugungen befassen sich mit den Übereinstimmungen und den Divergenzen. Sie sind vielleicht mit Spaziergängern zu vergleichen, die sich zunächst auf einem gemeinsamen bequemen Weg in der Ebene bewegen. Dann erscheint vor ihren Augen der erhabene Gipfel, der Seite | 72 Christiane Geisthardt: Interreligiöser Dialog als Chance Weg wird schwieriger, schmaler und mehrere Wege werden sichtbar. Man trennt sich – welcher Weg führt zum Gipfel? Die meisten halten den von ihnen gewählten Weg für den wahren Weg. Andere sind der Auffassung, dass alle Wege zu Gott gleich zu bewerten sind und man am besten auf die Frage nach der wahren Religion verzichtet, wie in der berühmten Ringparabel in Lessings Schaupiel „Nathan der Weise“. Nicht zu vernachlässigen ist, dass die Wahrheitsfrage auch innerhalb einer Religion eine Rolle spielt. In allen Religionen gibt es verschiedene Konfessionen und Richtungen. Auf jeden Fall haben sich alle auf die Anerkennung der Menschenrechte geeinigt, auf das Recht der Meinungsfreiheit, der Religionsfreiheit, der Gleichheit zwischen Männern und Frauen, auf das Recht der körperlichen Unversehrtheit. Natürlich gibt es zwischen den Religionen und Überzeugungen Unterschiede im Bereich von Ethik und Moral. Nicht selten kommt es zu erbitterten Streitgesprächen innerhalb einer Religion oder Konfession über die Unauflöslichkeit der Ehe, über den Schutz des ungeborenen Lebens, über Homosexualität, über Speisevorschriften und Kleiderordnungen, über den Stand der Priester und Gemeindevorsteher. Eine Religion kann entscheiden, welche Position sie für rechtgläubig hält. Es kann sein, dass Menschen aufgrund ihrer Lebensweise aus einer Religionsgemeinschaft ausgeschlossen werden. Diese Personen können sich dann z.B. um die Aufnahme in eine andere Glaubens- oder Überzeugungsgemeinschaft bemühen. Alle halten sich aus Überzeugung an die Regel des Gewaltverbotes. Alle Religionsgemeinschaften halten sich an die Gesetze, die durch demokratisch legitimiert sind. Alle Religionen leisten ihren Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit und setzen sich für die Benachteiligten, für die Armen und die Kranken ein. Jugendliche genießen mit vierzehn Jahren Religionsfreiheit, bis zu diesem Alter bestimmen die Eltern die Religion oder Überzeugung. Es gibt keine religiös begründeten Verbrechen, nicht in Europa, nicht in der Welt. An dieser Stelle könnte man analog sich vorstellen: Es gibt überhaupt keine Verbrechen. Alle Konflikte werden friedlich gelöst. Man braucht weder Strafgesetzbücher, noch Polizei, noch Militär, weil kein Mensch gewalttätig ist. Die Realität und der Weg zum Frieden All das, was man sich vorstellen kann, ist Illusion. Jeder von uns weiß, dass jeder Mensch und jede Gruppe, ob religiös oder nicht, zur Lösung von Konflikten Gewalt anwenden kann. Es gibt also Gewalt und Gegengewalt als Angriff oder Notwehr. Es herrscht Krieg im Kleinen und im Großen. Die meisten Opfer sind zu beklagen, die größte Gewaltausübung findet statt, wenn durch Zwang eine Vereinheitlichung einer Gesellschaft erhalten oder erreicht werden soll, d.h. wenn Minderheiten benachteiligt und ausgerottet werden. Die Vereinheitlichung kann unter atheistischen (Kommunismus, Nationalsozialismus) oder unter religiösen Vorzeichen erfolgen, wenn eine diktatorische Staatsreligion herrscht. Als Zeichen der Hoffnung gibt es aber auch Beispiele von Verzicht auf Gewalt. Es gab und gibt Menschen, die nicht einmal Notwehr ausüben und eher Gewalt erleiden als Gewalt anwenden. Der Weg zum Frieden beginnt immer wieder mit dem Anerkennen des Menschseins des anderen. Im Namen der Mitmenschlichkeit sollten alle Kräfte, auch die militärischen Systeme zur Rettung von Menschenleben eingesetzt werden. ‚Bomben sollten durch Stimmzettel ersetzt werden‟2, alle, auch potentielle Selbstmordattentäter sollten sich auf den langen Weg des gewaltlosen Protestes begeben. Fragen werden bleiben: Gibt es den gerechten Krieg? Unter welchen Umständen darf ein Tyrann getötet werden? Welche Formen der Notwehr sind zu akzeptieren? Auf dem Weg zum Frieden werden Minderheiten anerkannt und geschützt. Kei- Seite | 73 Christiane Geisthardt: Interreligiöser Dialog als Chance nem darf verwehrt sein, seine Überzeugung für wahr zu halten. Gleichzeitig ist zu akzeptieren, dass es in der Geschichte wie in der Gegenwart nie nur eine Überzeugung gab und gibt. Wenig deutet auf eine einheitliche Weltüberzeugung in der Zukunft hin. Wenn es aber Gläubige gibt, die auf eine im Glauben geeinte Welt hoffen, dann ist auch diese Überzeugung zu tolerieren, wenn ihre Anhänger sich friedlich verhalten. In vielen religiösen Schriften und ‚heiligen Büchern’, wahrscheinlich in allen religiösen Traditionen gibt es Hinweise auf die Berufung aller Menschen. Gott erscheint in den Religionen als der Schöpfer aller Menschen, der keineswegs nur einer Religionsgemeinschaft verbunden ist. In der Bibel spricht der Prophet Jesaja von der großen Wallfahrt der Völker zum gesegneten Jerusalem (Jesaja 60, 1-11): „ Völker wandern zu deinem Licht, und Könige pilgern zu deinem strahlenden Glanz.“ Im Neuen Testament wird von Jesus überliefert, dass er sich seiner Sendung bewusst ist und doch auch Menschen zugewandt ist, die keineswegs seinen religiösen Standpunkt teilen. Er heilt den Knecht des heidnischen römischen Hauptmanns, ohne ihn zu seinem Glauben zu bekehren. (Matthäus 13, 5-8). Als Aufruf zur Toleranz kann Sure 5, 49 bezeichnet werden: „Und hätte Allah gewollt, Er hätte euch alle zu einer einzigen Gemeinde gemacht, doch Er wünscht euch auf die Probe zu stellen durch das, was Er euch gegeben. Zu Allah ist euer aller Heimkehr; dann wird er euch aufklären über das, worüber ihr uneinig wart.“ Es gilt also wenigstens, den herrschenden Pluralismus der verschiedenen religiösen Überzeugungen geduldig zu ertragen. Neben diesem eher passiven Umgang mit den divergierenden religiösen Überzeugungen ist der interreligiöse Dialog die aktive Auseinandersetzung mit den verschiedenen religiösen Bekenntnissen. In jedem Fall dienen die eher passive Duldung wie der aktive Umgang mit der religiösen Vielfalt im Dialog dem Frieden, da beide Wege Gewalttätigkeit ausschließen. Die Leistungen des interreligiösen Dialogs „Nie zuvor in der Menschheitsgeschichte hat es so viele Kontakte und Begegnungen zwischen Angehörigen verschiedener Religionen gegeben wie heute.“3 Der gegenwärtige interreligiöse Dialog hängt so gesehen mit der Globalisierung zusammen und ist ein Ausdruck der weit verbreiteten gesellschaftlichen Mobilität. Gleichzeitig gibt es weiterhin gleichgeschaltete Gesellschaften und Staaten, die diktatorisch jeden Dialog unterbinden. Wird der immer vorhandene religiöse Pluralismus anerkannt, sind verschiedene Formen des Dialogs zu beobachten: Als Dialog des Lebens4 ist die alltägliche Begegnung in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz, beim Einkaufen usw. zu bezeichnen. Man kennt sich oder nimmt sich wahr, möglicherweise ohne über die verschiedenen religiösen Überzeugungen zu sprechen. Intensiver ist der Dialog des Handelns5, wenn sich die Angehörigen verschiedener Religionen zusammentun, um konkrete Probleme zu lösen, ob es sich um Stadtteilarbeit oder um die Hilfe für Hungernde, Flüchtlinge oder die Opfer von Naturkatastrophen handelt. Primär religiös motiviert sind die Dialoge, die dem Austausch religiöser Erfahrungen dienen oder im theologischen Austausch bestehen. Der Dialog des theologischen Austauschs6 findet zwischen Fachleuten der Theologie oder Religionswissenschaften statt. Der Dialog der religiösen Erfahrungen7 ist eine Begegnung zwischen frommen Menschen, die sich z.B. über ihre Gebetspraxis, über das Fasten, über ein gottgefälliges Leben austauschen. Das Ziel aller Dialoge ist das friedliche Zusammenleben. Zugleich leistet jeder Dialog eine Bereicherung, denn man lernt sich gegenseitig kennen, erfährt etwas über andere Glaubensweisen und erlebt die Menschlichkeit der Anhänger anderer Religionen. Natürlich kann ein Dialog auch der Ausgangspunkt für eine Konversion sein. In jedem Fall ist der interreligiöse Dialog praktizierte Religionsfreiheit oder anders ausgedrückt: Religionsfreiheit ist die Voraussetzung für die verschiedenen Möglichkeiten der interreligiösen Dialoge. Seite | 74 Christiane Geisthardt: Interreligiöser Dialog als Chance Abrahams Runder Tisch in Hildesheim8 Literaturangaben: Abschließend möchte ich die Grundsätze zitieren, die der Hildesheimer Arbeitskreis, der seit 15 Jahren besteht, formuliert hat. Interessierte Juden, Christen, Muslime und Bahāʾī, Vertreter der in Hildesheim anwesenden Religionen treffen sich, reden miteinander und organisieren interreligiöse und interkulturelle Begegnungen in den Räumen der verschiedenen Gemeinden oder der Stadt. Die regelmäßigen Planungssitzungen finden z.B. im Meditationsraum einer Berufsschule statt. Folgende Fragen könnten zum Anlass genommen werden, im eigenen Umfeld mit der Dialogarbeit zu beginnen oder diese zu vertiefen. Die Antworten auf diese Fragen können regional verschieden sein, je nachdem, welche Religionen im Umkreis vorhanden sind. In Hildesheim ergibt sich die Konzentration auf die abrahamitischen Religionen. 1 Vgl. Michael Brenner, Gott ist kein Christ, Frankfurter Allgemeine, Zeitung für Deutschland, 28.04.2009. 2 Vgl. ebda. Jordan Mejias, Der 11. September und das Ende aller Kriege, 07.09.2011. 3 Francis Arinze, Begegnung mit Menschen anderen Glaubens, Den interreligiösen Dialog verstehen und gestalten, München, Zürich, Wien 1/1999 S. 5 4 Ebda. S. 11. 5 Ebda. S.12. 6 Ebda. S. 13. 7 Ebda. S. 14. 8 Vgl. www.abrahams-runder-tisch.de. Was führt uns zusammen? Wir glauben an den einen Gott, der sich Abraham, Sara und Hagar offenbart hat Wir entdecken in unseren unterschiedlichen Heiligen Schriften gemeinsame Werte Wir erfahren, indem wir uns einander öffnen, eine Vertiefung unseres Glaubens Dr. Christiane Geisthardt, 1944, bis 2007 Schulrätin im Kirchendienst im Bistum Hildeheim. Sie war zuständig für die religionspädagogische Fort- und Weiterbildung der Religionslehrer und Religionslehrerinnen. Innerhalb der Hauptabteilung Bildung vertrat sie die Generalie ‚Interreligiöser Dialog‟. Sie gehörte zu den Mitbegründern des Arbeitskreises ‚Abrahams Runder Tisch in Hildesheim‟. Was wollen wir? Wir wollen unsere Religionen und Traditionen besser kennen- und verstehen lernen Wir stellen uns gemeinsam vor Gott und erleben einander im Gebet Wir laden zu interreligiösen Begegnungen und zur Mitarbeit in interkulturellen Aktivitäten Seite | 75 Alexander Schmidt: „Gottes Menschenwort“ von Abu Zaid Alexander Schmidt REZENSION ZU „GOTTES MENSCHENWORT“ VON ABU ZAID L etztes Jahr verschied der Gelehrte Nasr Abu Zaid 2010 in Ägypten. Der Todesort wäre eine belanglose Fußnote, doch wer das Leben dieses Gelehrten nur ein wenig kennt, weiß, dass dies mehr als eine Fußnote ist. Geboren ist er im Jahr 1943. Er studierte an der Universität Kairo und promovierte im Jahr 1981 mit einer Arbeit zur Auslegung des Korans. Hier in Europa ist er aber weniger wegen seiner wissenschaftlichen Arbeiten bekannt geworden, sondern er wurde bekannt, weil er durch ein aufsehenerregendes Gerichtsurteil in Ägypten von seiner Frau Ibtihal Yunis zwangsgeschieden wurde. Begründet wurde dieses Urteil dadurch, dass er zum Apostaten erklärt wurde und aus diesem Grund nicht länger mit einer Muslima verheiraten sein darf. Seitdem lebte und lehrte er in den Niederlanden. Erst in den letzten Jahren konnte er auch wieder in Ägypten einreisen. Dadurch war es ihm vergönnt, in seiner Heimat zu sterben. Thomas Hildebrandt wählte für sein Buch „Gottes Menschenwort“ fünf Texte von Nasr Abu Zaid aus. Die Texte zeigen, wie das Denken dieses Gelehrten sich im Laufe der Jahre entwickelte. Das Denken und das ganze wissenschaftliche Schaffen von Abu Zaid drehten sich immer um die Herausforderung, Offenbarung und Vernunft zusammen zu denken. Nasr Abu Zaid vertritt die These der Muʿtazila von der Geschaffenheit des Koran, ohne indes bei dieser Position stehen zu bleiben, sondern er bringt in die Debatte auch moderne hermeneutische Ansätze hinein, wie z.B. Hans-Georg Gadamers Ansatz von Deutung bzw. Dekodierung. Sein Anliegen ist es dabei, den Menschen ein Verständnis der Offenbarung zu vermitteln, welches es ihnen er- möglicht, auf der Höhe ihrer Zeit zu sein und trotzdem eine tiefe spirituelle Beziehung zu Gott haben. Bei Abu Zaid wird die Offenbarung des Koran als ein kommunikativer Prozess verstanden wird, der zwischen dem Propheten und Gott einsetzte und sich bis heute fortsetzt. Gott kommuniziert mit dem Menschen auch weiterhin durch den Koran, aber um den Koran zu verstehen, oder besser gesagt, ihn zum Reden zu bringen, bedarf es immer einen hermeneutischen Entschlüsslung des Sinnes hinter dem Wortlaut, anders gesagt, einer Kontextualisierung der koranischen Aussagen. So wird es möglich der Botschaft des Koran treu zu bleiben und trotzdem im Einklang mit der jeweiligen Zeit zu leben. Hierzu müssten, nach Abu Zaid, heute moderne literaturwissenschaftliche Methoden eingesetzt werden, um die Botschaft des Korans für die heutige Zeit zu dekodieren. Er plädiert für ein humanistisches Verständnis des Korans und der Religion, wo die Scharia nicht als eine überzeitliche, unveränderliche Große verstanden wird, sondern als ein Produkt menschlicher Interpretation, das somit auch wandelbar ist. Er geht auch mit den religiösen Autoritäten stark in Gericht. Hierzu führt er in dem Text „Historizität. Der missverstandene Begriff“ eine begriffliche Unterscheidung ein, zwischen dem Wort „Sprache“ (langue) und dem Wort „Rede“ (parole). Diese Unterscheidung hat er von dem Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure übernommen, welche grob vereinfacht besagt, dass Sprache (langue) sich dem gesellschaftlichen Wandel entgegenstellt und immer nach Stillstand strebt, während die Rede (parole) der individuelle Gebrauch der Sprache ist und somit immer neues hervorbringt. Der Koran sei Rede und somit Pro- Seite | 76 Alexander Schmidt: „Gottes Menschenwort“ von Abu Zaid duzent einer Kultur und die Vorbeter und Prediger, die sich selbst als Gelehrte bezeichnen, seien nur Produzenten von Sprache, die nur das ewige Gleiche immer und immer wieder wiederholten, ohne wirklich was zu sagen. Sein humanistisches Verständnis des Korans will Abu Zaid nicht verstanden wissen als ein Nachahmen der als überlegen erkannten westlichen Kultur, sondern er will diesen Humanismus verstanden wissen als einen dem eigenem Erbe inhärenten Verständnis. Er verweist in seinen Texten auf viele Gelehrte und dabei nicht nur auf muʿtalizitische Gelehrte,. Im fünften Text „Den Koran neu denken. Für eine humanistische Hermeneutik“ erwähnt er den andalusischen Mystiker Ibn ʿArabī und seinen hermeneutischen Ansatz, vier Bedeutungsebenen zu unterscheiden, nämlich den Äußerem (ẓāhir), den Inneren (bāṭin), den Mindesten (ḥadd) und den Höchsten (matla‘). Durch diesen Ansatz umging Ibn ʿArabī die Dichotomie eindeutiger und mehrdeutiger Verse, die die Juristen aufstellten und somit ihr Verstehen beschränkten auf das rein äußere Verstehen. Dieser Ansatz von dem Mystiker ermögliche es, auch tiefergehende Ebenen des Verstehens zu ermöglichen und verschiedene Arten des Verstehens ebenfalls nebeneinander stehen zu lassen. Eins scheint mir sicher zu sein: Sein Denken wird das Denken der meisten seiner Gegner bei Weitem überleben. Nasr Abu Zaid zeigt Möglichkeiten auf, in welche Richtung sich das islamische Denken entwickeln kann und dass es noch einen gangbaren dritten Weg gibt zwischen den Fundamentalisten und der Aufgabe der Religion, nämlich einen Weg, in dem sich die Muslime – sich ihres eigenen Erbes bewusst – wieder der intellektuellen und geistigen Aufgabe stellen, den Koran für diese Zeit entsprechend hörbar zu machen. Abu Zaid, Nasr Hamid : Gottes Menschenwort. Für eine humanistisches Verständnis des Koran. Ausgewählte und übersetzte Texte und mit einer Einleitung von Thomas Hildebrandt. Buchreihe der der Georges-AnawatiStiftung Bd. 3. Herder 2008. Seite | 77 Büchervorstellung AyĢe Boztürk Büchervorstellung Gnilka, Joachim: Bibel und Koran. Was sie verbindet, was sie trennt. Freiburg im Breisgau: Herder, 2010. 216 Seiten, € (D) 9,95 (ISBN 978-3-451-06218-6) D as Buch „Bibel und Koran. Was sie verbindet, was sie trennt“ ver- Zunächst das Verbindende in den Heiligen Schriften: sucht auf einer wissenschaftlichen, historisch-kritischen Methode - Bibel und Koran: dem nichtkundigen Leser eine Hinführung auf die Heiligen Schrif stellen eine Offenbarungsreligion dar ten, Bibel und Koran, zu ermöglichen. stellen monotheistische Religionen dar Gnilka bemüht sich um eine vergleichende Darstellung. Dabei klassifiziert er betrachten die Welt als Schöpfung Gottes den Aufbau seines Werkes in drei Kapitel: Historischer Hintergrund, Bibel und sprechen über Jesus und Maria mit Verehrung Koran – ein allgemeiner Vergleich und ausgewählte theologische Themen, wie stellen abrahamitische Religionen dar z.B. lehren, dass in der Erschaffung Adams der gemeinsame Ursprung liegt 1. das Gottesbild - Das Neue Testament und der Koran erwarten den Tag des Weltgerichts mit 2. die Welt als Gottes Schöpfung der Auferstehung der Toten 3. Schöpfungsmittler - Der Koran kennt wie das Neue Testament den Dekalog, interpretiert jedoch 4. die Sendung der Gottesboten und ihr Schicksal einiges anders 5. Jesus – Christologie 6. Jesuslogien im Koran Zusätzlich gibt es einige weitere Themen, die Bibel und Koran voneinander tren7. die gemeinsame Berufung auf Abraham nen: 8. das Menschenbild - Nach christlichem Offenbarungsverständnis offenbart sich Gott in Jesus 9. Eschatologie Christus. Laut dem Koran offenbart sich Gott jedoch im Buch. 10. Juden – Christen – Muslime - Im christlichen Glauben ist Jesus der Sohn, der die Menschen zu Gott füh11. Ethische Weisung: Dekalog, heiliger Krieg und anderes. ren und zu Gotteskindern erheben will. Der Koran wertet diesen Glauben Somit werden Verbindendes und Trennendes von Bibel und Koran in der breiten als unvergebbare Sünde. Facette der Themen dargestellt und erläutert. - Der Koran weist den christlichen Erlösungsgedanken ab. Seite | 78 Büchervorstellung - Die gemeinsame Berufung auf Abraham wird unterschiedlich interpretiert. Die Muslime sehen ihn als den Begründer der Religion des Eingottglaubens und die Christen als ein Vorbild des Glaubens. - Die eschatologische Erwartung des Neuen Testaments und des Korans unterscheiden sich. Die Christen erwarten die Wiederkunft Christi, die Gemeinschaft mit ihm und die Teilhabe am göttlichen Leben, während Muslime das Paradies ersehnen und erwarten. - Der Dekalog wird im Neuen Testament in der Bergpredigt gedeutet. Das hier enthaltene Gebot der Feindesliebe hat im Koran keine Parallele. Der zentrale Gedanke Gnilkas bei der Analyse von Koran und Bibel basiert darauf, dass Bibel und Koran nur verstanden werden können, „(…) wenn man sie als Ganzes ernst nimmt und die verbindenden Teile in ihrem Kontext belässt. Eine isolierte Betrachtung von Texten führte zu irrigen Resultaten, mit denen man sich selber täuschen würde“. „Bibel und Koran. Was sie verbindet, was sie trennt“ ist eine empfehlenswerte Literatur für diejenigen, die den Vergleich der Religionen aus der Sicht der christlichen Perspektive entdecken und den interreligiösen Dialog suchen möchten. Seite | 79 ZIS - Zeitschrift für Islamische Studien Institut für Studien der Kultur und Religion des Islam Gräfstr. 78 60486 Frankfurt a.M. Email: [email protected] Web: www.islamische-studien.de Dieses Dokument ist durch eine copyleft-Lizenz urheberrechtlich geschützt. Vervielfältigung, Verbreitung, Bearbeitung und öffentlich Diskussion sind unter der Voraussetzung erlaubt, dass Namen von Autoren und Rechtsinhabern genannt sind und die Nutzung nicht kommerziell erfolgt. Eine Weitergabe ist nur unter gleichen Bedingungen gestattet. Die gesetzlichen Schranken des Urheberrechts bleiben hiervon unangetastet. Nähere Informationen unter www.creativecommons.org