Zeitschrift für Islamische Studien 2. Ausgabe

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Zeitschrift für
Islamische Studien
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Editorial …………...……………….….. Seite 3 Prof. Dr. M. Fuad Sezgin
Die Quellen al-Buḫārīs
Die Zusammentragung der Ḥadīte (tadwīn);
Übertragung des Wissens/Überlieferung
Prof. Dr. Abdullah Takım
der Ḥadīṯe (taḥammul al-ʿilm)….......….. Seite 63
Trag vor im Namen deines Herren,
der euch erschaffen hat … (Sure 96:1-5)
Der Koran: Das Wort Gottes in
Dr. Christiane Geisthardt
arabischer Sprache …..…..…………...… Seite 5 Interreligiöser Dialog als Chance
Man stelle sich vor …….…...……….…. Seite 72
Serdar Kurnaz, M.A.
Alexander Schmidt
Maqāṣid aš-šarīʿa
Eine kurze historische Skizze der
Rezension zu „Gottes Menschenwort“
islamischen Rechtsphilosophie ……..… Seite 12 von Abu Zaid …………..…...…...….… Seite 76
Büchervorstellung:
Dr. Mark Chalîl Bodenstein
Ayşe Boztürk
Koranische Rückbeziehung religionsGnilka, Joachim: Bibel und Koran.
didaktischer Konzepte ………………. Seite 55 Was sie verbindet, was sie trennt. ….... Seite 78
©
ISSN 2195-7509
Heft 2  November 2011  1. Jg.
Redaktion
REDAKTION
Elif Gömleksiz: Chefredakteurin,
Mitherausgeberin, Übersetzerteam
Studienfächer: Islamische Religion,
Jüd.- Christl. Religionswissenschaft,
Germanistik
Ayşe Karaman: Übersetzerteam
Sudienfächer: Islamische Religion,
Jüd.- Christl. Religionswissenschaft,
Romanistik
Serdar Kurnaz, M. A.: Chefredakteur,
Mitherausgeber, Übersetzerteam
Studienfächer: Islamische Religion,
Jüd.- Christl. Religionswissenschaft,
Pädagogik, Rechtswissenschaft
Ayşe Boztürk: Büchervorstellung
Studienfächer: Islamische Religion,
Jüd.- Christl. Religionswissenschaft,
Pädagogik
Johanna Ertan: Stellv. Chefredakteurin
Studienfächer: Islamische Religion,
Jüd.- Christl. Religionswissenschaft,
Südostasienwissenschaften
Yasmin Alhawari: Übersetzerteam
Studienfächer: Religionswissenschaft,
Politikwissenschaft
Mukadder Tuncel, M.A.: Übersetzerteam
Studienfächer: Islamische Religion,
Jüd.- Christl. Religionswissenschaft,
Pädagogik, Literaturwissenschaft, Judaistik
Alexander Schmidt:
Studienfächer: Islamische Religion,
Pädagogik
Hacer Çakmak: Homepage
Studienfächer: Islamische Religion,
Pädagogik
Zeki Tuncel: Layout
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Jüd.- Christl. Religionswissenschaft,
Pädagogik
Impressum:
ZIS - Zeitschrift für Islamische Studien
c/o Institut für Studien der Kultur und
Religion des Islam
Gräfstr. 78
60486 Frankfurt a.M.
Email: [email protected]
Web: www.islamische-studien.de
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Editorial
EDITORIAL
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, Ihnen die zweite Ausgabe der ZIS – Zeitschrift für Islamische
Studien zu präsentieren.
Diese Ausgabe beginnt mit einem Beitrag über den Koran und das islamische
Offenbarungsverständnis von Abdullah Takım, Professor für Ideengeschichte
des Islam an der Goethe-Universität Frankfurt. Takım betont, dass der Offenbarungsakt nach islamischem Verständnis einen essentiellen, kommunikativen
Charakter aufweist, der in der Bezeichnung der Koranverse als āyāt, d.h. Zeichen, explizit wird. Vermittels dieser verbalen Zeichen kommuniziert Gott mit
den Menschen und fordert sie auf, über seine āyāt nachzudenken (Koran 38,
29).
Mit Rekurs auf verschiedene Koranverse zeigt Takım im Folgenden, dass im Koran alle Offenbarungsschriften auf das Mutterbuch (umm al-kitāb) als verbindende „Urquelle“ zurückgeführt werden: „Jedem Propheten werden Teile dieses
Mutterbuches bzw. dieser Uroffenbarung in der Sprache seines eigenen Volkes
herabgesandt“ (Koran 14, 4). Damit wird nicht nur die geschichtliche Kontinuität
der Offenbarungsreligionen gewahrt, sondern auch die geistige Einheit der Offenbarungsreligionen Judentum, Christentum und Islam konstatiert, so Takım.
Die Essenz der Offenbarungsschriften ist dieselbe, nämlich der Monotheismus.
Im weiteren Verlauf stellt Takım die spirituell-ästhetische Dimension des Korans
dar, die durch die Wahrnehmung des Korans als materielles „Buch“ in den Hintergrund gerät. Dem Akt der lauten und künstlerisch-ästhetischen Rezitation, in
der die Rede Gottes vergegenwärtigt und „erlebt“ wird, kommt primäre Bedeutung für Muslime zu, so der Autor. Dabei möchte man durch die eigens für die
Rezitation entwickelte Wissenschaft (ʿilm al-taǧwīd) den erhabenen und unnachahmlichen Worten Gottes gerecht werden. Takım schließt mit einem Überblick
über die verschiedenen Formen und Entwicklungen der Koranexegese bis zur
Moderne (19./20. Jh.), wo die Reformbemühungen im Mittelpunkt des islamischen Diskurses standen, ab.
Serdar Kurnaz fasst in seinem Aufsatz seine Magisterarbeit mit dem Titel „ Der
Diskurs um Maqāṣid as-šarīʿa – Ein Konzept zur Lösung aktueller Rechtsprobleme“ zusammen und präsentiert das Instrumentarium der islamischen Rechtsmethodik (uṣūl al-fiqh) für die Bewahrung der Dynamik des islamischen Rechts
(fiqh), um neuentstandene Situationen šarīʿakonform zu beurteilen. Diese Methoden beachten nicht nur den Wortlaut der Texte (Koran und Sunna), sondern auch
die Essenz/Ziele (Maqāṣid), was dazu führt, dass vorhandene Urteile sich ändern
und neue Urteile erlassen werden können und diese trotzdem dem Koran und der
Sunna nicht widersprechen. Dabei untersucht Kurnaz die historische Entwicklung elementarer Begriffe der islamischen Rechtsmethodik wie maṣlaḥa,
maqāṣid as-šarīʿa und istiḥsān beginnend von den Lebzeiten des Propheten
Muḥammad über den sogenannten „Rechtsschulgründern“ bis hin zu den späteren muslimischen Rechtsmethodikern wie al-Ġazālī, aš-Šāṭibī und muslimischen
Gelehrten des 19./20. Jahrhunderts wie ʿAbduh, Riḍā, Ibn ʿĀšūr und Fazlur Rahman. Kurnaz gelangt zu dem Ergebnis, dass schon zur Zeit des Propheten und
der Prophetengefährten die Essenz der Offenbarung beachtet, koranische Urteile
bezüglich der zwischenmenschlichen Beziehungen (muʿāmalāt) revidiert, verschiedenermaßen ausgeführt und neuere Urteile erlassen wurden. Somit bietet
das islamische Recht laut Kurnaz eine fundierte Basis für nichtwortlautgebundene šarīʿakonforme Urteilsfällung und für die Wahrung der Dynamik des islamischen Rechts, was sich auch in den Rechtssammlungen (corpus
juris) wie bspw. im Kitāb al-Mabsūṭ des as-Saraḫsī niedergeschlagen hat.
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Editorial
Mark Chalîl Bodenstein, der am Institut für Studien der Kultur und Religion des
Islam die Professur für Kultur und Gesellschaft des Islam in Geschichte und Gegenwart vertritt, präsentiert in seinem Aufsatz didaktische Modelle wie die Korrelations- und Symboldidaktik aus der Religionspädagogik, die, so der Autor,
nicht als alleinig christliche didaktische Modelle zu bezeichnen sind, „sondern
eher als dem Wesen des Menschen generell angemessene Vermittlungsformen.“
Bodenstein widmet sich in diesem Sinne der Frage, ob diese didaktischen Modelle kompatibel mit der sich neu entwickelnden islamischen Religionspädagogik sind. Hierfür wird überprüft, in wieweit der Koran sich dieser Modelle bedient und mit ihm überhaupt begründbar ist, den islamischen Religionsunterricht
auf diese Weise zu gestalten. Dabei stellt der Autor dar, dass sowohl im Koran
selbst als auch in der Koranexegese (tafsīr) korrelationsdidaktische Elemente
nachzuweisen sind: Während der Koran auf die Ereignisse und Anliegen seiner
Ersthörer explizit Bezug nimmt, versuchten die Exegeten Koranverse mit der
Lebenswelt der frühen Gemeinde zu korrelieren (asbāb an-nuzūl). Es folgen
weitere Ausführungen zu symboldidaktischen Konzepten, die mit reichlichen
Bespielen und Bezügen zu Koranversen veranschaulicht und im Hinblick auf die
Frage nach der Kompatibilität diskutiert werden.
dienen sollten, bestimmtes Wissensgut – in diesem Fall die Ḥadīṯe – möglichst
in ihrer Ursprungsform bewahrt weiterzugeben. Diese Überlieferungsregeln und
-methoden der Ḥadīṯwissenschaft stellt Sezgin im Einzelnen dar, wobei auch
Termini technici wie ḥaddaṯanā und aḫbaranā, die der Identifikation der Methoden im Prozess der Überlieferung und Kodifikation dienen, erklärt werden. Dabei beschreibt Sezgin den Überlieferungsvorgang selbst, die Schüler-LehrerBeziehung sowie die Rolle der Schrift in den einzelnen Methoden.
Der freie Essay von Dr. Christiane Geisthardt beginnt mit einer Utopie, die sie in
der Vergangenheit ansiedelt: Die Autorin imaginiert die Welt, wie sie ausgesehen hätte, wenn es keine Kreuzzüge bzw. Religionskriege, keine Verfolgungen
und religiösen Diskriminierungen gegeben hätte. Zurück auf der Ebene der Realität, die geprägt ist von „Vergegnungen“, Intoleranz und Anwendung von Gewalt gegenüber Andersdenkenden, hebt die Autorin die friedlichen Diskurse der
verschiedenen religiösen Traditionen sowie die Chancen des interreligiösen Dialogs hervor. Dabei rekurriert sie auf Bibel- und Koranstellen, die als Aufruf zu
Toleranz und Anerkennung des (religiösen) Pluralismus gelesen werden können.
Geisthardt betont die Bedeutung des aktiven Umgangs mit der religiösen Vielfalt, die über eine passive Duldung der „Anderen“ hinausgeht. In diesem Sinne
In der zweiten Ausgabe der ZIS wird die Übersetzungsreihe „Die Quellen albeschreibt sie verschiedene Formen des interreligiösen Dialogs, die alle einen
Buḫārīs“ fortgesetzt. Für diese Ausgabe wurden die Kapitel „Die Zusammentra- Beitrag zum friedlichen Zusammenleben leisten können. Als ein Beispiel für den
gung der Ḥadīṯe (tadwīn)“ und „Übertragung des Wissens/Überlieferung der
interreligiösen Dialog stellt die Autorin abschließend die Initiative „Abrahams
Ḥadīṯe (taḥammul al-ʿilm)“ des Werkes von Fuad Sezgin übersetzt. In diesen
Runder Tisch“ vor, zu deren Mitbegründern sie gehört. An dieser Stelle einen
Kapiteln beschäftigt sich Sezgin mit der Datierung des tadwīn. Hauptsächliche
herzlichen Dank an unsere Gastautorin.
Kritik wird aufgrund der späten Datierung des tadwīn an Goldziher ausgeübt,
welcher laut Sezgin die feine Nuance zwischen taṣnīf al-ḥadīṯ und tadwīn alḥadīṯ übersehen hat. Sezgin führt nach der Aufhebung des „Missverständnisses“ Eine erkenntnisreiche und anregende Lektüre
eine neue Datierung für den tadwīn-Prozess an. In dem darauf folgenden Kapitel wünschen Ihnen
stellt Sezgin dar, welche Gründe und Umstände dazu geführt haben, dass für die
Elif Gömleksiz
Weitergabe der Ḥadīṯe Überlieferungstechniken entwickelt wurden, die dem Ziel
Serdar Kurnaz
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Abdullah Takım: Trag vor im Namen deines Herren, der euch erschaffen hat … (Sure 96:1-5)
Prof. Dr. Abdullah Takım
TRAG VOR IM NAMEN DEINES HERREN, DER EUCH ERSCHAFFEN HAT … (SURE 96:1-5)
Der Koran: Das Wort Gottes in arabischer Sprache
»Was Christus für das Christentum, das ist der Koran für den orthodoxen
Islam« – so bringt es der lutherische Theologe Nathan Söderblom auf den
Punkt. Für Muslime ist der Koran das Wort Gottes. Als solches steht er im
Mittelpunkt der islamischen Religion und besitzt göttliche Autorität. Auf
ihm gründen der Glauben, die religiöse Praxis und die Weltanschauung der
Muslime. Jeglichen religiösen Wissenschaften wie der Islamischen Jurisprudenz, der Dogmatik oder der Ethik dient der Koran als primäre Quelle –
noch vor der prophetischen Tradition.
Doch der Koran ist nicht nur eine Quelle des religiösen Studiums. Die Rezitation des Korans ist ein spirituelles, ästhetisches Erlebnis. Viele Muslime
hängen Koranverse an die Wand oder lesen kranken Angehörigen, die
durch gängige Therapieformen nicht geheilt werden können, Koransuren
vor, da sie an die heilende und schützende Kraft des Korans glauben.
sehen wird, sollte eine Periode der Ungewissheit folgen, denn weitere Offenbarungen ließen auf sich warten. Schließlich wurde das Schweigen gebrochen und
vermittels Gabriel wurde Muhammad weiteren göttlichen Offenbarungen zuteil,
die ihn aufforderten, seinen Mitmenschen die göttliche Botschaft zu verkünden
und sie vor dem Gericht Gottes zu warnen.
Das islamische Offenbarungsverständnis
Der arabische Terminus für Offenbarung »waḥy« bedeutet im sprachlichen Sinne
»zuflüstern, insgeheim mitteilen«. Bezogen auf die koranische Offenbarung bedeutet »waḥy«, dass der gesandte Engel Gabriel mit dem Befehl Gottes die Bedeutungen, die er von Gott erhalten hat, in die arabische Sprache gekleidet und
sie dem Herzen Muhammads eingegeben hat. Sowohl die Wortformen des Korans als auch die Bedeutungen davon stellen die Offenbarung des Engels dar.
Als der Prophet Muhammad 40 Jahre alt war und sich wieder eines Nachts in
Der Prophet Muhammad hatte darauf selbst keinen Einfluss. Damit wird der
die Höhle Hira in Mekka zurückzog, um zu meditieren und zu beten und sich
göttliche Ursprung des Korans jedoch nicht in Frage gestellt, im Gegenteil:
dem Schöpfergott zuzuwenden, zeigte sich ihm Gabriel, der Engel Gottes. Dieser »Wenn er [d.h. der Koran] von einem anderen als Gott wäre, würden sie in ihm
forderte ihn auf, die göttliche Botschaft vorzutragen und übermittelte ihm die
viel Widerspruch finden« (4, 82). In diesem Sinne wird der Engel Gabriel im
ersten Verse des Korans (96:1-5). Tieferschüttert und verängstigt von diesem
Koran »der vertrauenswürdige Geist« (26, 192-195) genannt, der einen hohen
Ereignis kehrte Muhammad nach Hause zurück und ließ sich durch die zuspreRang bei Gott hat und als Engel, der von Gott selbst gesandt und mit der Überchenden Worte seiner Frau Ḫadīǧa beruhigen. Diesem Offenbarungsereignis, das mittlung seiner Gebote und Verbote an den Propheten beauftragt worden ist, nur
in der islamischen Tradition als die Berufung Muhammads zum Propheten ange- die Worte Gottes und nicht die des Satans wiedergibt.
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Abdullah Takım: Trag vor im Namen deines Herren, der euch erschaffen hat … (Sure 96:1-5)
Die Erscheinung Gabriels – manchmal in der Gestalt eines Menschen – sieht nur
der Prophet selbst, sein Reden hört nur er. Während des Offenbarungsaktes verliert der Prophet seine menschlichen Sinnesempfindungen, wird sich seines
Selbst unbewusst, gerät in Kontakt mit dem Engel und hört seine Worte, die dem
Gedächtnis des Propheten so eingeprägt werden, dass er sie nicht vergisst. Dabei
erzeugt die Kommunikation mit dem Engel große Erschütterungen und Veränderungen im menschlichen Organismus des Propheten, was in der islamischen
Überlieferungsliteratur auch genauer beschrieben wird.
in der Natur zu erkennen und richtig zu deuten. Es herrscht also eine kommunikative Beziehung zwischen Gott, Mensch, Koran und Schöpfung.
Offenbarung als Kommunikation
»Das Mutterbuch« als Quelle der Offenbarungen Gottes
Es ist bezeichnend, dass die einzelnen Verse des Korans im Koran selbst mit dem
Begriff »āyat«, d.h. »Zeichen« wiedergegeben werden.
Dieser Terminus deutet auf den essentiellen kommunikativen Charakter der koranischen Offenbarung hin: Gott kommuniziert demnach vermittels der verbalen
Zeichen des Korans mit den Menschen und verkündet seinen reinen Willen,
während der Mensch dazu aufgefordert wird, über die Zeichen Gottes nachzudenken und sie auf Gott hin zu deuten (38, 29). Somit ist der Mensch in die Offenbarung Gottes mit einbezogen. Er soll die Inhalte des Korans nicht als Dogmen begreifen, sondern über die Koranverse nachdenken und dann, wenn er sie
akzeptiert, annehmen und verinnerlichen.
Dabei werden nicht nur die Koranverse »āyāt« genannt, sondern auch die Zeichen Gottes in der Schöpfung, d.h. die Naturphänomene. Diese weisen als Zeichen über sich hinaus auf den Schöpfer und seine Einzigkeit, Barmherzigkeit
und Weisheit hin, wobei der Koran seinen Adressaten hilft, diese Zeichen Gottes
Laut dem Koran entspringen alle Offenbarungsreligionen bzw. Heilige Schriften
einer einzigen Quelle – dem Mutterbuch (»umm al-kitāb«), das sich bei Gott befindet (43,4). Dieses ewige Buch symbolisiert einen Teil des Wissensschatzes
Gottes und kann als »absolute göttliche Rede« bezeichnet werden. Als solche
bedarf es nicht der Laute und Buchstaben und ist somit auch nicht als materielles
Buch zu verstehen.
Jedem Propheten werden Teile dieses Mutterbuches bzw. dieser Uroffenbarung
in der Sprache seines eigenen Volkes herabgesandt (14,4). Damit sind alle Propheten Träger der gleichen Offenbarungswahrheit, nämlich der des Monotheismus. In diesem Zusammenhang wird der Begriff »Islam« im Koran nicht nur als
Bezeichnung für die vom Propheten Muhammad verkündete Religion verwendet, sondern der Islam ist auch der gemeinsame Name der Religion, die Gott den
Menschen von Adam bis zum Propheten Muhammad verkündet hat. Insbesondere der Prophet Abraham wird im Koran als der Prototyp des Islams, d.h. des rei-
Als direkte sprachliche Kommunikation und Selbstmitteilung Gottes an die Menschen hat der Koran, das Wort Gottes, folglich absolute, göttliche Autorität im
Islam. Daher ist der veraltete Begriff »Muhammedaner« als Bezeichnung für die
Muslime unzutreffend. Denn nicht die Person des Propheten steht im Zentrum
der islamischen Religion, sondern der Koran, der als Rechtleitung für die Menschen gesandt worden ist und dem der Prophet auch folgt. Dem Propheten
Neben dieser Art der Offenbarung durch die Vermittlung des Engels Gabriel,
kommt dabei allerdings keine geringere Aufgabe zu als die koranische Offenbawerden im Koran die direkte göttliche Inspiration und die Offenbarung »hinter
rung den Menschen zu verkünden und zu erklären. Als zweite Quelle nach dem
einem Vorhang« erwähnt (42, 51-52). Letztere ereignete sich am Berg Sinai, als Koran gilt in der islamischen Tradition aus diesem Grund die Sunna des PropheMose die Stimme Gottes vernahm, ihm das Antlitz Gottes jedoch verwehrt blieb. ten.
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nen Monotheismus dargestellt (22, 78). Dieser reine Monotheismus ist in der Natur jedes Menschen veranlagt, kann aber mit der Zeit durch die Menschen deformiert werden. Aus diesem Grunde werden Propheten gesandt, um diese ursprüngliche, natürliche Konstitution des Menschen, nämlich den Islam, wiederherzustellen (7, 20-22). Nach koranischer Auffassung haben somit alle Propheten den Islam verkündet. Die göttliche Botschaft, die der Prophet Muhammad
überbracht hat, ist keine neue. Sie ist auch in den vorherigen Offenbarungsschriften enthalten.
Die Aufgabe des Propheten Muhammad bestand darin, diese Botschaft in einem
neuen Gewande und in arabischer Sprache denjenigen zu vermitteln, die es verstehen, also in erster Linie den Arabern.
Das Verhältnis des Korans zu den anderen Offenbarungsschriften
Durch die Zurückführung aller Offenbarungsschriften auf das Mutterbuch konstatiert der Koran die Einheit der Offenbarungsreligionen Judentum, Christentum
und Islam. Die Thora, das Evangelium und der Koran werden als von Gott geoffenbarte Schriften charakterisiert, die sich in ihrem Inhalt gegenseitig bestätigen
(5, 44-50). Dabei ist der Bezug des Korans zum Mutterbuch eine essentielle, der
Bezug des Korans zur Thora und zum Evangelium hingegen eine geschichtliche,
denn der Koran möchte damit die geschichtliche Kontinuität der Offenbarungsreligionen wahren.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass der Koran neben Geschichten und Gesetzen, die den Arabern bekannt waren und ganz originellen
Offenbarungen des Korans viele biblische Geschichten und Erzählstoffe beinhaltet. Diese werden allerdings nicht einfach von der Bibel übernommen, sondern
sie werden in einen neuen Kontext eingebettet sowie den Zeitumständen entsprechend inhaltlich neu ausgewertet und akzentuiert. Damit ist der Koran ein multireferentielles Buch, das sich auf sich selbst und auf andere Schriften bezieht, sie
bewertet und in die Offenbarungsgeschichte, ohne genauere historische Daten zu
nennen, einordnet und damit die Überzeitlichkeit und Universalität der Offenbarung betont.
Im Unterschied zur heutigen Bibel herrscht im Koran als Erzählstil nicht der Geschichtsstil vor, sondern im Zentrum der koranischen Erzählungen steht die Ermahnung (taḏkīr) und Erinnerung (ḏikrā). Der Koran beabsichtigt nicht, eine Geschichte chronologisch nachzuerzählen: Er beinhaltet demnach keine fortlaufende Handlung wie die Evangelien oder gar die Biographie Muhammads. Der Koran will vielmehr durch die ausgewählten Geschichten die Menschen an die vergangenen Propheten, Völker und damit an Gott erinnern und sie dadurch rechtleiten.
Dieser koranische Erzählstil der Erinnerung setzt voraus, dass die von ihm erzählten Stoffe und Bilder den Zeitgenossen des Propheten Muhammad bzw. den
Erstadressaten des Korans bekannt waren. In diesem Sinne sind im Koran eindeutig Spuren der Bibel enthalten, denn der Islam ist als Religion nicht in einem
Vakuum entstanden, sondern fand verschiedene religiöse Traditionen und Erzählstoffe vor, auf die er Bezug nahm.
Der Erinnerungsstil ist jedoch nicht nur dem Koran vorbehalten: Auch die Thora
und das Evangelium werden im Koran »ḏikr«, d.h. Erinnerung oder Ermahnung
genannt, denn dem Koran zufolge ist die Botschaft aller Offenbarungsreligionen
dieselbe, nämlich die Erinnerung an Gott, auch wenn der Erinnerungsstil im Koran indes stärker betont wird.
Der Koran – ein Buch?
In seiner heutigen Form ist der Koran ein abgeschlossenes Buch, das von Gott
vermittels des Erzengels Gabriel an Muhammad in einem Zeitraum von 23 Jahren offenbart wurde. Die Assoziation des Korans mit einem Buch blendet jedoch
einen wichtigen, essentiellen Charakter aus, der sich hinter dem arabischen Wort
»Qurʾān« verbirgt. Der Begriff »Qurʾān« kann im Koran selbst verschiedene Bedeutungen haben und bezeichnet ursprünglich nicht den ganzen Koran als Buch,
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Abdullah Takım: Trag vor im Namen deines Herren, der euch erschaffen hat … (Sure 96:1-5)
wie man gewöhnlich annimmt, sondern er hat die Grundbedeutung »laut (vor)
lesen, vortragen, rezitieren«. Als »Qurʾān« können auch ein kleiner Abschnitt
oder eine ganze Sure aus dem Koran, aber eben auch der ganze Koran bezeichnet
werden. Wichtig ist, dass der Text laut vorgetragen, d.h. rezitiert wird. Der Koran ist damit kein Buch, das zum stillen lesen und studieren bestimmt ist. In seiner Buchform ist er sekundär und dient als Gedächtnisstütze, während der Akt
der Rezitation primär für die Muslime ist.
Die Rezitation des Korans ist ein ritueller Akt, der eine große spirituelle Wirkung auf die Gläubigen ausübt: Durch das laute und künstlerisch-ästhetische
Vortragen des Korans wird die Rede Gottes »erlebt« – ja, man hört Gott selbst.
Die Unnachahmlichkeit und Ästhetik des Korans
Unmittelbar verbunden mit dem spirituellen Erleben des Korans ist der Glaube
der Muslime, dass der Koran in seinem Stil, seiner Darstellung, seiner Sprache
und in seinem Inhalt unnachahmlich und unübertrefflich ist. Dieser Topos der
Unnachahmlichkeit (iʿgāz) hat seinen Ursprung im Koran selbst. So fordert der
Koran die Ungläubigen heraus, ein ähnliches Buch, das dem Koran gleicht, zu
bringen (52, 34; 17, 88). Wenn sie dies nicht bewerkstelligen können, so sollen
sie doch zehn Suren bringen, die den koranischen Suren gleichen (11, 13-14)
oder wenigstens eine Sure (10, 38; 2, 23). Dieser Herausforderung an die Ungläubigen folgt schließlich der koranische Grundgedanke, dass der Mensch nicht
imstande sei, ein Buch wie den Koran hervorzubringen, selbst dann nicht, wenn
die Menschen und die Djinn zu diesem Zweck zusammenkämen (17, 88). Dieses
Unvermögen der Menschen wird in der islamischen Tradition als Beweis dafür
angeführt, dass der Koran das Wort Gottes ist.
Dieser Topos der Unnachahmlichkeit und ästhetischen Dimension des Korans
schlägt sich auch in vielen islamischen Überlieferungen nieder: Demnach konnten sich viele Polytheisten zur Zeit des Propheten Muhammad, die sich der neuen göttlichen Botschaft verschlossen hatten und gar gegen sie ankämpften, der
Sprache, Poetizität und Musikaliät, d.h. der göttlichen Schönheit und Komposition der koranischen Rede nicht erwehren und nahmen den Islam an.
Welch hohen Stellenwert das ästhetische Erleben des Korans im Islam einnimmt,
zeigt auch die von Muslimen eigens entwickelte Wissenschaft der Koranrezitation (ʿilm al-taǧwīd), durch die eine Reihe von Regeln für Aussprache, Intonation
und Zäsuren festgelegt wurden. Ziel dieser Wissenschaft ist eine möglichst schöne Rezitation des Korans, um dem Wort Gottes gerecht zu werden. Dabei stützt
sich dieses Bemühen auf den Koran selbst, in dem es heißt: »Trag den Koran in
singendem Vortrag vor« (73, 4), oder aber auf die Aussprüche des Propheten,
von denen einer lautet: »Schmückt den Koran mit euren Stimmen!« Mit schöner
Stimme und im tartīl-Stil, worunter man einen bedächtigen, deutlich artikulierten, musikalischen und melodischen Vortrag zu verstehen hat, das Überdenken
und Nachsinnen über die vorgetragenen Verse ermöglicht, soll der Koran also
vorgetragen werden, denn ohne das Verstehen der Textinhalte ist die Koranrezitation wirkungslos.
Die Entwicklung der Koranexegese
Der Prophet Muhammad war nicht nur mit der Übermittlung und Verkündung
der göttlichen Rede beauftragt, sondern auch damit, diese Offenbarung den Menschen durch Wort und Tat zu erklären. So wird überliefert, dass die Gefährten
des Propheten bei Verständnisfragen zu bestimmten offenbarten Versen den Propheten konsultierten, der ihnen mit näheren Erläuterungen antwortete. Der erste
Ausleger des Korans (mufassir) ist somit der Prophet selbst. Nach dem Tod des
Propheten wandten sich die Muslime mit ihren Fragen zum Koran an die Gefährten, die mit dem Propheten zusammengelebt, an seinen Gesprächen teilgenommen und die koranischen Auslegungen des Propheten auswendiggelernt hatten.
Diese koranexegetischen Überlieferungen des Propheten sowie die eigenen Koranauslegungen der Gefährten wurden somit an die Nachfolgegenerationen weitertradiert und etablierten sich als die wichtigsten Quellen neben dem Koran
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selbst, aus der für die Erörterung von neuen Fragestellungen und Problemen geschöpft wurde.
Zu einer wissenschaftlichen Disziplin entwickelte sich die Koranexegese erst im
Späteren, als die koranexegetischen Überlieferungen des Propheten und seiner
Gefährten in einem Werk schriftlich zusammengetragen wurden und mit Hilfe
derer die Koranverse gedeutet wurden. Diese Methode der Auslegung wird
»tafsīr bi-r-riwāya« (Auslegung durch die Überlieferung) genannt.
Nicht die Überlieferung, sondern die Vernunft steht hingegen in der Methode
»tafsīr bi-d-dirāya« bzw. »tafsīr bi-r-raʾy« (Auslegung durch die eigene Meinung) im Mittelpunkt, auch wenn die Überlieferungen zweifellos auch hier mitberücksichtigt wurden.
Eine andere Deutungsmethode in der Koranexegese ist die mystische oder sufische Auslegung des Korans, die »tafsīr al-ʾišārī« (Auslegung durch die Zeichen)
genannt wird. Wichtiges Kennzeichen der islamischen Mystiker war, dass sie
den Koran ständig lasen und immer neue Erkenntnisse, immer neue Schichten
des Verstehens darin entdeckten. Ihre hermeneutischen Methoden reichten von
einfacher wörtlicher Interpretation bis zu symbolischer und allegorischer Exegese, ohne jedoch den Wert des äußeren Sinnes der koranischen Worte zu leugnen.
Quelle der mystischen Auslegungen ist die Inspiration (ilhām): Gott gibt in das
Herz des eingeweihten Mystikers innere, verborgene Bedeutungen der Koranverse ein, die auch »Weisheiten des Herzen« (maʿrifa) genannt werden.
Muslime gegenüber dem Westen musste sich die islamische Welt mit dem Vorwurf auseinandersetzen, der Islam sei fortschrittsfeindlich und rückständig. Als
Antwort auf diesen Vorwurf entwickelten die Exegeten neue Methoden der Koranauslegung, anhand derer gezeigt werden sollte, dass kein Widerspruch zwischen den koranischen Inhalten und den wissenschaftlichen Erkenntnissen der
Moderne existiere. Hierbei gewann die Ratio allmählich die Oberhand: »Ad fontes«, zurück zu den Quellen, d.h. zum Koran selbst und zu den authentischen
Aussprüchen des Propheten Muhammad war das Leitmotiv. Viele koranexegetische Überlieferungen, auf die sich die klassischen Koranexegeten berufen hatten,
wurden nun als schwach und erfunden eingeordnet. Durch diese Neuorientierung
sollten die Korankommentare und islamischen Traditionen von zeitbedingten
Anschauungen, falsch hergeleiteten Rechtsbestimmungen und vom Aberglauben
befreit und dadurch die »wahre Botschaft des Korans« vermittelt werden. Auf
diese Weise wurden immer mehr moderne Korankommentare verfasst, die reformistisches Gedankengut aufzeigten und dieses an die breite Masse zu vermitteln versuchten.
Literatur:
[Abu-Zaid, Nasr Hamid]: Ein Leben mit dem Islam. Aus dem Arab. von Chérifa Magdi. Erzählt von Navid Kermani. 2. Auflage. Freiburg [u.a.]: Herder, 2001.
Aḏ-Ḏahabī, Muḥammad Ḥusain: at-Tafsīr wa-l-mufassirūn. Bd. 1-3. Kairo
1961-1962.
Koran und Erneuerung
Adams, Charles J.: Islām. In: A reader‟s guide to the great religions. Ed. by
Das vorrangige Ziel der Koranexegeten ist es, den Koran gemäß den AnfordeCharles J. Adams. New York [u.a.]: Free Press, 1965. 287-337.
rungen und Bedürfnissen des Zeitalters neu zu interpretieren und verständlich zu Arkoun, Mohammed: Der Islam. Annäherung an eine Religion. Vorw. von
machen.
Gernot Rotter. Aus dem Franz. von Michael Schiffmann. Heidelberg: Palmyra,
In diesem Zusammenhang wurde dieses sich erneuernde und reformatorische
1999.
Potenzial des Korans im 19. und 20. Jahrhundert auf den Prüfstand gestellt: An- Ateş, Süleyman: Die geistige Einheit der Offenbarungsreligionen. Übersetzt von
gesichts der sozialen, technischen und wissenschaftlichen Unterlegenheit der
Abdullah Takım. Istanbul: Yeni Ufuklar, 1998.
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Abdullah Takım: Trag vor im Namen deines Herren, der euch erschaffen hat … (Sure 96:1-5)
Ateş, Süleyman: Kur’ân Ansiklopedisi. Bd. 1-30. Istanbul: KUBA, 1997-2003.
Ateş, Süleyman: Yeniden Islâma: Kur’ân-ı Kerîm’in Evrensel Mesajı. Bd. I-II.
Istanbul: Kur'an Okulu, 1997.
Ateş, Süleyman: Yüce Kur'ân'ın Çağdaş Tefsîri. Bd. 1-12. Istanbul: Yeni
Ufuklar, 1988-1992.
Baljon, J. M. S.: Modern Muslim Koran Interpretation (1880-1960). Leiden: E.
J. Brill, 1961.
Buhl, F.: Al-Ḳorʾān. In: EI1; Bd. 2. 1927. 1139-1153.
Buhl, F.: Al-Ḳurʾān. In: Handwörterbuch des Islam. Hrsg. von A. J. Wensinck
und J. H. Kramers. Leiden: E. J. Brill, 1941. 347-62.
Ess, Josef van: Theologie und Gesellschaft im 2. und 3. Jahrhundert Hidschra:
eine Geschichte des religiösen Denkens im frühen Islam. Bd. 1-6. Berlin [u.a.]:
de Gruyter, 1991-1997.
Gätje, Helmut: Koran und Koranexegese. Zürich [u.a.]: Artemis, 1971.
Goldziher, I.: Die Richtungen der islamischen Koranauslegung. Leiden: E. J.
Brill, 1920.
Graham, William A.: Das Schriftprinzip in vergleichender Sicht. In: Gott ist
schön und er liebt die Schönheit: Festschrift für Annemarie Schimmel zum 7.
April 1992, dargebracht von Schülern, Freunden und Kollegen = God is beautiful and he loves beauty. Hrsg. von Alma Giese und J. Christoph Bürgel. Bern
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
Serdar Kurnaz, M.A.
MAQĀṢID AŠ-ŠARĪʿA
Eine kurze historische Skizze der islamischen Rechtsphilosophie
F
ür die Existenz und das Fortbestehen der Dinge bedarf es in der
Schöpfung und Natur einer Ordnung, die durch bestimmte physikalische und ökologische Gesetzmäßigkeiten geregelt ist. Der Mensch als
Teil der Natur und Schöpfung versucht auch sein Leben mit bestimmten Gesetzen zu regeln und zu ordnen, damit das Leben in Sicherheit, Gerechtigkeit, Harmonie und Glückseligkeit bestehen kann. Jede Zivilisation versucht
dementsprechend, ein Rechtssystem zu entwickeln, um der Ungerechtigkeit entgegen zu wirken und für Sicherheit zu sorgen. Für Muslime gilt es als oberstes
Prinzip, die Gerechtigkeit herbeizuführen und die Ungerechtigkeit zu unterbinden.1 Daher thematisiert der Koran, der nach islamischem Verständnis ein Buch
göttlichen Ursprungs ist, einige Rechtsfälle und bestimmt auch einige Urteile –
darunter auch Strafen – um das Leben der Muslime gemäß der Gerechtigkeit zu
formen. Da der Koran für die Muslime als die objektive Kraft für die Bestimmung des Guten und Bösen gilt, haben muslimische Gelehrte ein Rechtssystem
entwickelt, in dem der Koran und die Sunna als die primären Quellen gelten.
Hierauf folgt der Konsens der Gelehrten (iǧmāʿ), der sich auf den Koran und die
Sunna stützt. Als letzte Quelle wurde der Analogieschluss (qiyās) bestimmt, der
einen direkten Bezug zum Koran und zur Sunna hat und neue Situationen anhand
der ratio legis (ʿilla) mit dem koranischen Urteil vergleicht und – falls es möglich ist – die neue Situation aufgrund der Analogie mit dem älteren Urteil qualifiziert.2
Wie aus den Ausführungen ersichtlich ist, ist ein starker Bezug auf die textuellen
Quellen vorhanden, für dessen Ausprägung aš-Šāfiʿī verantwortlich gemacht
wird. Die Mainstreammeinung besagt, dass dies ein Verdienst und eine große
Leistung ist, wohingegen andere behaupten, dass dies zur Stagnation des islamischen Rechts geführt hat und die dynamische Seite des Rechts ausgeblendet wurde.4 Aufgrund des Fokus auf die Texte, der nach aš-Šāfiʿī durch Ibn Ḥanbal noch
stärker betont wurde, hat sich das islamische Recht dahingehend geformt, das die
literarisch-interpretative Seite ausgeprägt und der qiyās somit immens gestärkt
wurde.5 Ziel dessen war, die Rechtssicherheit im islamischen Reich zu gewährleisten und die Willkür des Menschen zu unterbinden, damit ein gottgefälliges
Rechtssystem aufgebaut werden konnte.6 Ein anderer Faktor für diese Ausprägung ist wahrscheinlich die Haltung der ummayyadischen Dynastie, welche wider dem göttlichen Willen Urteile erlassen ließ und sich immer mehr von den
koranischen Vorschriften entfernte.
Jedoch wurde durch die islamischen Rechtsmethodologen und Theologen
(mutakallimūn), schon vor dieser dargestellten Ausprägung, früh erkannt, dass
der reine Textbezug und die stark literarisch-interpretative Herangehensweise
nicht jede neu entstandene Situation šarīʿakonform beurteilen konnte. Diese
Problematik führte zu der Fragestellung, welche Ziele (maqāṣid) die Šarīʿa zu
erreichen beabsichtigt, und ob die festgelegten Urteile im Koran wortlautgetreu
angewendet werden müssen, oder ob man die Essenz und die Absicht beachtend
die Ausführung ändern kann. Des Weiteren musste diskutiert werden, welche
Urteile sich ändern können. Können sich alle Urteile ohne eine Unterscheidung
ändern oder muss man sich auf die zwischenmenschlichen Beziehungen
(darunter auch Zivilrecht, Öffentliches Recht), welche al-muʿāmalāt genannt
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
werden, beschränken, da die gottesdienstlichen Handlungen (al-ʿibādāt) keiner
Änderung unterliegen? Durch diese Problemfelder wurde eine weitere Diskussion im islamischen Recht entfacht, die stark rechtsphilosophisch ausgeprägt ist
und Maqāṣid aš-šarīʿa (Ziele und Absichten des Religionsgesetzes) genannt
wird. Die theoretische Diskussion der islamischen Rechtsphilosophie, die anfangs unter der Überschrift al-qiyās (Analogieschluss) diskutiert wurde – die
Gründe dafür werden im Verlauf dargestellt – wird mit dem 5./11. Jahrhundert
datiert. Der erste, der diese Thematik systematisch und theoretisch diskutiert hat,
ist Imām al-Ḥaramayn al-Ǧuwaynī (gest. 478/1085).7 Meiner Lesung nach lässt
sich aber das Fundament dieser Diskussion und allgemein ihre Entstehung früher
datieren, und zwar mit dem Propheten Muḥammad und der Verkündung des Korans.
„maqāṣid“ und Abū Manṣūr al-Māturīdī (333/944) mit seiner großen Kenntnis
über den uṣūl al-fiqh und seinem Prinzip des nasḫ iǧtihādī voraus.10 Vor alǦuwaynī können noch weitere Namen wie al-Ǧaṣṣāṣ (gest. 370/980) und alḪwārazmī (gest. 387/997) genannt werden, die sich auch mit dieser Thematik
befasst haben, jedoch betiteln sie diese Diskussion nicht als Maqāṣid, sondern
führen ihre Ansichten im Rahmen des istiḥsān und maṣlaḥa an.11 Diese Tradition, die Maqāṣid aš-šarīʿa unter maṣlaḥa und istiḥsān zu diskutieren, wird sich
später im klassischen uṣūl al-fiqh auch durchsetzen.
Wird der istiḥsān nun auch als ein Zweig der Diskussion um Maqāṣid aš-šarīʿa
verstanden, was durchaus möglich ist, so kann die Bearbeitung von Maqāṣid bis
auf Abū Ḥanīfa (gest. 150/767), Abū Yūsuf (gest. 182/798) und Muḥammad ibn
Ḥasan aš-Šaybānī (gest. 189/805) zurückgeführt werden.12 In den Fußstapfen
dieser genannten muǧtahidūn voranschreitend kann man den Anfang der Diskussionen über Mālik ibn Anas (gest. 179/795) bis zu Muḥammad ibn Idrīs aš-Šāfiʿī
Die Anfänge der islamischen Rechtsphilosophie
(gest. 204/819) fortführen. Während Mālik ibn Anas die Wichtigkeit von istiḥsān
Die Ausführungen von al-Ǧuwaynī, der – wie erwähnt wurde – als erster Syste- mit dem Leitsatz „al-istiḥsān tisʿat aʿšar al-ʿilm (istiḥsān ist neunzehntel des
matiker der Diskussion um Maqāṣid aš-šarīʿa gilt, beinhalten einige Indizien
Wissens/der Wissenschaft)“ betont und eine sehr große Bedeutung der Beachdarauf, dass schon vor ihm teilweise auf theoretischer Basis diese Diskussion
tung der maṣlaḥa mursala zugeschrieben hat,13 verwarf aš-Šāfiʿī die Nutzung des
geführt und einige Ergebnisse festgehalten wurden. Denn die Erkenntnisse von
istiḥsān mit dem bekannten Leitsatz „man istaḥsana faqad šarraʿa (wer gutal-Ǧuwaynī basieren größten Teils auf den Ergebnissen von al-Bāqillānī (gest.
dünkt/istiḥsān betreibt, der stellt eine eigene Šarīʿa auf)“14. Die Tatsache, dass aš
403/985). Zu diesen Ergebnissen hatte al-Ǧuwaynī Zugang, da er Schüler von al- -Šāfiʿī keinen Bezug auf die maṣlaḥa genommen hat, zeigt, dass die Diskussion
Bāqillānī war und sein rechtsmethodisches Werk at-Taqrīb wa-l-iršād fī tartīb
um den istiḥsān früher entstanden ist als die Diskussion um maṣlaḥa.15 Da aber
ṭuruq al-iǧtihād unter dem Namen at-Talḫīṣ zusammengefasst hat.8 Da alder istiḥsān eher auf den qiyās bezogen ist und sich indirekt mit der Maqāṣid beǦuwaynī auch zugleich ein Kalāmwissenschaftler (mutakallim) war, kannte er
fasst, ist es wissenschaftlich betrachtet korrekt, den Anfang der theoretischen
9
sich sehr gut mit den Diskussionen um aṣlaḥ und ḥusn-qubḥ aus. Hier kann fest- Diskussionen bei al-Ǧuwaynī beginnen zu lassen, welcher sich konkret und exgestellt werden, dass die Diskussion um Maqāṣid sich in den Kalāmdiskussionen plizit mit der Thematik befasst hat. Es können trotzdem einige Gelehrte im Vorfinden, auf diese basieren lässt und früher als das 5./11. Jahrhundert zu datieren aus genannt werden, um zu zeigen, dass die Ergebnisse von al-Ǧuwaynī nicht in
ist. Auch wenn al-Ǧuwaynī der erste in diesem Feld ist, gehen ihm aš-Šāfiʿī
einem Milieu entstanden sind, das völlig frei von ähnlichen Überlegungen war.
(gest. 204/819) mit einigen Ansätzen im Qiyāsverständnis, Ḥākim at-Tirmiḏī
Heute wird auch die Ansicht vertreten, dass die Grundlagen der Maqāṣid aš(gest. Ende 3./9. Jahrhundert) mit der weiträumigen Nutzung des Wortes
šarīʿa auf den Propheten, ja sogar auf die Verkündigung des Korans zurückzu-
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
führen ist. Diese Ansicht teilend, wird die historische Skizze in diesem Aufsatz
mit der Prophetie Muḥammads begonnen, über die Prophetengefährten und die
ersten Muǧtahidūn wie Abū Ḥanīfa, Abū Yūsuf, Mālik ibn Anas, aš-Šāfiʿī und
weiteren genannten Gelehrten bis al-Ǧuwaynī weitergeführt.
Auch wenn der Anfang der theoretischen Diskussion vielseitig betrachtet und
variabel gestaltet werden kann, ist die Entwicklung nach al-Ǧuwaynī relativ eindeutig. Als Nachfolger al-Ǧuwaynīs gilt sein Schüler Abū Ḥāmid al-Ġazālī (gest.
505/1262), der die Gedanken seines Lehrers systematisiert und bedeutend weiterentwickelt hat.16 Obwohl die ihm nachfolgenden Gelehrten wie ar-Rāzī (gest.
606/1209), al-Āmidī (gest. 631/1233), Ibn ʿAbd as-Salām (gest. 660/1262) und
al-Qarāfī (gest. 684/1285) die Hauptthesen mehrheitlich rezipiert haben, haben
sie auch für wichtige Entwicklungen in diesem Themenfeld beigetragen. Besonders hervorstechend sind Ibn ʿAbd as-Salām und al-Qarāfī, ein Schüler Ibn ʿAbd
as-Salāms.17 Denn diese haben der maṣlaḥa eine weitere sufische Betrachtungsweise verliehen, die im Verlauf dargestellt wird. Aṭ-Ṭūfī (gest. 716/1316), Ibn
Taymiyya (gest. 728/1328) und Ibn Qayyim al-Ǧawziyya (gest. 751/1350) sind
Gelehrte, welche die Beachtung der maṣlaḥa in den Urteilen oder bei fatwās
(Rechtsgutachten) sehr betonen.18 Aṭ-Ṭūfī stößt aufgrund der übermäßigen Betonung der maṣlaḥa sogar auf heftige Kritik, weil er bei einem Widerspruch oder
einer Kollision zwischen naṣṣ, iǧmāʿ und maṣlaḥa die Beachtung der maṣlaḥa
vorzieht (taqdīm al-maṣlaḥa).19
Eine besonders große Entwicklung hat schließlich bei Abū Isḥāq aš-Šāṭibī (gest.
790/1388) stattgefunden. Dieser integriert die vor ihm vorhandenen Ergebnisse
in seine Untersuchungen und entwickelt sie weiter, gibt dieser Thematik die besondere Wichtigkeit, die heutzutage immer wieder betont wird.20 Die konkreten
Beiträge werden später im Detail bei der historischen Skizze dargestellt.
Mit den politischen Entwicklungen in der Moderne, durch die Publikation der
Werke von aṭ-Ṭūfī und aš-Šāṭibī hat die Betonung der Maqāṣid im uṣūl al-fiqh u.
a. aber auch als selbstständige Disziplin – so wie Ibn ʿĀšūr es betont21 – eine immense Bedeutung erlangen können. Parallel zu dieser positiven Entwicklung ha-
ben Gelehrte wie aṭ-Ṭāhir ibn ʿĀšūr (gest. 1973) und ʿAllāl al-Fāsī (gest. 1974)
eigenständige Werke über Maqāṣid aš-šarīʿa verfasst.22
In diesem Aufsatz werden nun im Folgenden die wichtigsten Termini in dieser
Diskussion definiert, ihre Widersacher, Befürworter und der Inhalt der Diskussion dargestellt und hiernach die Entwicklung der Maqāṣid skizziert und die
Hauptthesen der wichtigsten Gelehrten präsentiert.
Definition von Maqāṣid aš-šarīʿa
Das Wort Maqāṣid aš-šarīʿa besteht aus zwei Begriffen und bildet eine Genitivverbindung (al-muḍāf wa-l-muḍāf ilayh). Maqāṣid wird von den Radikalen m-q-ṣ
abgeleitet. Das Verb (fiʿl) qaṣada bedeutet „beabsichtigen, bezwecken“.23 Aus
diesen Radikalen gebildet bedeutet der Plural von maqṣid, nämlich maqāṣid
„Ziele, Absichten“.24 In Verbindung mit dem Wort aš-šarīʿa, welches im Deutschen gewöhnlich mit Religionsgesetz wiedergegeben wird, bedeutet diese Genetivverbindung „Ziele, Zwecke, Absichten des Religionsgesetzes“25.26 Als Synonym für diesen Begriff werden auch Bezeichnungen wie maqāṣid aš-šāriʿ
(Absichten des Gesetzgebers), maqāṣid at-tašrīʿ (Absichten der Gesetzgebung),
al-maqāṣid aš-šarʿiyya (šarīʿarechtliche Absichten) und in modernen Untersuchungen ahdāf aš-šarīʿa (Zwecke des Religionsgesetzes) und rūḥ aš-šarīʿa
(Geist des Religionsgesetzes)27, ḥikma at-tašrīʿ (Weisheit der Gesetzgebung),
falsafat at-tašrīʿ (Philosophie der Gesetzgebung)28 genutzt.
Das Bezeichnende in der Beachtung der Maqāṣid aš-šarīʿa ist, dass die Theorie
eng verbunden mit der Praxis behandelt wird. Denn die Grundzüge der Maqāṣid
lassen sich auf die praktische Anwendung des Propheten und seiner Gefährten
zurückführen. Sowohl der Prophet als auch seine Gefährten haben das Allgemeinwohl (maṣlaḥa) der Menschen beachtet und dementsprechend Urteile gefällt, revidiert oder sogar aufgehoben.29 Falaturi betont außerdem, dass die Gefährten sogar gegen den Wortlaut des Korans gehandelt haben, weil sie nicht unabhängig von der damaligen Situation urteilten. Als eines der Hauptfiguren der
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
Prophetengefährten ist ʿUmar ibn al-Ḫaṭṭāb, der die Maqāṣid sehr betont und
dementsprechend geurteilt hat. 30 Hallaq stellt dar, dass Gelehrte wie as-Saraḫsī,
al-Pazdawī, ad-Dabūsī den al-furūʿ – somit den praktischen Teil des fiqh – und
den uṣūl zusammen betrachtet haben, wodurch sie anhand der Induktion ein uṣūl
-System entwerfen konnten.31 Atay ist auch ähnlicher Meinung und sieht den
Rückgang der Wissenschaften in der islamischen Welt aufgrund der Aufgabe der
Induktion (istiqrāʾ) und Übernahme der Deduktion – wie die Methode der mutakallimūn im uṣūl. Somit sei die Beziehung zu der Realität verloren.32 Neben den
genannten Gelehrten nennt Opwis zusätzlich die Namen aṭ-Ṭūfī, Ibn Taymiyya,
Ibn Qayyim und aš-Šāṭibī, die sich gegen die übertriebene Formalität der mutakallimūn-Methode widersetzen und die Induktion betonen, wodurch die Verbindung zu der Realität aufrechterhalten und die strikten Formalitäten für einen dynamischen fiqh aufgehoben werden soll.33 Aufgrund dieser Verbundenheit der
Praxis und der Theorie haben die muslimischen Rechtsmethodologen (uṣūliyyūn)
das Allgemeinwohl (al-maṣlaḥa) im Rahmen der Maqāṣid aš-šarīʿa behandelt,
ja sogar die maṣlaḥa als Synonym für Maqāṣid verwendet, da sie die Beachtung
der Maqāṣid mit der Beachtung der maṣlaḥa gleich gesehen haben.34 Daher lassen sich die theoretischen Diskussionen und die damit verbundenen Ergebnisse
der Maqāṣid in der klassischen uṣūl-Literatur besonders unter der Überschrift almaṣlaḥa (al-mursala) wiederfinden.
In der klassischen Literatur werden Begriffe wie ḥikma (Weisheit), ʿilla (ratio
legis), sabab (Grund), maʿnā (Bedeutung, Sinn) und waṣf al-munāsib (passende/
s Eigenschaft/ Merkmal) mit dem Maqāṣid aš-šarīʿa-Begriff synonym benutzt.
Auch wenn diese Begriffe synonym benutzt werden, sind sie dennoch nicht so
umfassend wie der Begriff Maqāṣid aš-šarīʿa. Denn dieser ist allgemeiner im
Gegensatz zu den Synonymen in der klassischen Literatur, welche speziell nur
auf die detailspezifischen Urteile abzielen und sie nicht als gesamtes Konzept
betrachten.35 Da auch andere Begriffe für Maqāṣid verwendet wurden, wurde in
der klassischen Literatur auch kein gesondertes Kapitel für die Maqāṣid aššarīʿa angeordnet. Meist kann man die Diskussionen über diese unter den Kapi-
teln der maṣlaḥa bzw. maṣlaḥa mursala finden, oder unter waṣf al-munāsib, der
unter den Kapiteln zum qiyās subsummiert wird.36 Weitaus übersichtlicher sind
die neueren uṣūl-Werke, welche aber die Thematik um Maqāṣid aš-šarīʿa nicht
behandeln, sondern – ähnlich wie die klassischen Werke – diese unter der maṣlaḥa mursala, dem istiḥsān zur Sprache bringen. Doch ist in den neueren Werken die Behandlung der maṣlaḥa und dergleichen nicht unauffällig unter dem
qiyās verteilt, sondern meist als „sekundäre/derrivate Quellen“ aufgeführt und
sichtbar gekennzeichnet.37 Nun da die Maqāṣid unter den qiyās subsummiert
wird, kann der Grund hierfür an dieser Stelle untersucht werden.
Der qiyās (Analogieschluss) ist zwar streng an formelle Regeln gebunden, doch
lässt sich durch die Beachtung der passenden Eigenschaft (waṣf al-munāsib) die
Maqāṣid darin auch anwenden. Wenn eine ʿilla (ratio legis) in einem Qiyāsvorgang zu keinem šarīʿakonformen Urteil führt, so ist auch der qiyās nicht gültig
(fāsid). Außerhalb einiger Muʿtaziliten wie Naẓẓām, den Ẓāhiriten und Šiʿīten
akzeptiert die Mehrheit der Rechtsgelehrten (ǧumhūr min al-fuqahāʾ) den qiyās
für die Ableitung von Urteilen aus Koran und Sunna.38 Dementsprechend nehmen auch die Gelehrten an, dass die Urteile eine ʿilla besitzen (muʿallal), um mit
dieser in den Urteilen eine ḥikma zu verfolgen und die diesseitige bzw. jenseitige
maṣlaḥa zu verwirklichen.39 Falls nun ein neues Urteil (farʿ/al-maqīs) dieselbe
ʿilla wie das basisbietende Urteil (aṣl/al-maqīs ʿalayh) hat, so wird ein Analogieschluss gezogen und der farʿ gleich bewertet wie der aṣl.40 Als Beispiel kann
man den Qiyāsvorgang im Bezug auf den Wein nennen. Veranschaulichen wir
den Qiyāsvorgang mit den entsprechenden Schritten:
1. Al-Aṣl/al-Maqīs ʿalayh: Wein (ḫamr) ist verboten, denn es wird im Koran
das Verbot gegen den Wein erwähnt: „Ihr Gläubigen! Wein, das Losspiel, Opfersteine und Lospfeile sind (ein wahrer) Greuel und des Satans Werk. Meidet es!
Vielleicht wird es euch (dann) wohl ergehen“ (5|90). Darin befindet sich auch
der ḥukm al-aṣl (Urteil des basisbietenden Elements).
2. Al-ʿIlla: Wein ist alkoholisierend und berauschend (muskir), was dazu führt,
dass der Mensch sich nicht gesittet und korrekt verhält und der Verstand geraubt
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
und negativ beeinträchtigt wird.
3. Al-Farʿ/al-maqīs: Angenommen das Bier wird als die zu vergleichende Flüssigkeit betrachtet. Bier birgt in sich auch die Eigenschaft, zu berauschen und den
Menschen zu alkoholisieren.
4. Ḥukm al-aṣl: ḫamr ist ḥarām (verboten).
Ḥukm al-farʿ: Beide Substanzen haben dieselbe ʿilla. Aufgrund dieser Beziehung kann geschlussfolgert werden, dass Bier gleichermaßen wie Wein (ḫamr)
verboten (ḥarām) ist.
Aus diesem Analogieschluss kann nun geäußert werden, dass jede beliebige
Flüssigkeit oder Substanz, die die ʿilla „alkoholisierend“ oder „berauschend“
trägt, dementsprechend auch verboten wird, weil der farʿ und der aṣl durch die
ʿilla verbunden werden.41 Der Qiyāsvorgang zeigt, dass man durch die Bestimmung der ʿilla die Maqāṣid auch anwenden kann. Denn al-Ǧaṣṣāṣ (gest.
370/981) weist auch darauf hin, dass Gott hinter den Urteilen bestimmte Absichten hat, die er an eine ʿilla gebunden hat. Denn Gott handle nicht zwecklos
(ʿabaṯ). Alle seine Handlungen seien einer großen, erhabenen Absicht gewidmet.
Daher existiere ein Urteil, wenn die ʿilla auch vorhanden ist; das Urteil verschwindet, sobald die ʿilla auch verschwindet.42
Der qiyās ist eben aus diesem Grund so wichtig, weil mit dieser Methode neu
entstandene Situationen šarīʿakonform bewertet werden können. Obwohl die
nuṣūṣ begrenzt sind, sind die neu entstehenden Situationen unendlich.43 In diesem Rahmen bietet der qiyās einen Platz für die Diskussion um Maqāṣid, welche
demselben Ziel dienen: šarīʿagerechte Beurteilung neuer Situationen. Da für den
qiyās die Bestimmung der ʿilla und somit auch die Beachtung der Maqāṣid wichtig ist, haben sich die Rechtsmethodologen auch mit der Problematik der Feststellung der ʿilla beschäftigt, denn die ʿilla verbindet den farʿ mit dem aṣl. Die
Mehrheit der Gelehrten ist der Meinung, dass die ʿilla aus den Texten abgeleitet
werden müssen. Daher müsse die ʿilla Kriterien wie ẓāhir (deutlich), munḍabiṭ
(fest) und „die Eigenschaft sich auf den farʿ übertragen zu lassen“ erfüllen.44 Die
Gegenmeinung vertritt die Ansicht, die ʿilla sei mit der Weisheit (ḥikma) zu
bestimmen, wodurch man die Maqāṣid besser beachten kann. Aber die ḥikma
kann die genannten drei Kriterien nicht immer erfüllen. 45 Daher wird die erste
Auffassung unter den Gelehrten eher vertreten, um Rechtssicherheit zu schaffen
und die Willkür einzubinden.46 Die Konsequenz für die Praxis und Urteilsfällung
wäre beispielsweise die Behandlung der (juristischen) Lizenz (ar-ruḫṣa), das
Fasten auszulassen. Wird durch den Text die ʿilla bestimmt, so ist das „sich auf
Reisen befinden (fa-man kāna minkum […] ʿalā safarin)“47 die ʿilla. Somit kann
jeder, der sich auf einer Reise befindet auf diese Lizenz berufen. Wird die ʿilla
aber durch die Weisheit (ḥikma) bestimmt (taʿlīl) 48, so ist die Mühsal (mašaqqa)
der bestimmende Faktor der Lizenz. Ist eine Reise nicht mühselig, so ist es nicht
richtig, sich auf diese Lizenz zu berufen. Jedoch ist die Mühseligkeit der Reise
sehr subjektiv, wodurch jeder für sich entscheiden muss, ob er fastet oder es unterlässt. Daher berufen sich die Gelehrten eher auf die Bestimmung der ʿilla
durch den Text, wodurch jeder gleich behandelt und die Rechtssicherheit aufrecht erhalten wird.
Wie oben erwähnt ist die al-munāsaba ein weiterer wichtiger Faktor der Beachtung der Maqāṣid im Rahmen des qiyās. Es wird überprüft, ob die ʿilla zwischen
aṣl und farʿ passend (munāsib) ist. Laut Pekcan sind die meisten Qiyāsvorgänge
durch diese Art durchgeführt und die ʿilla demgemäß bestimmt worden. Er fasst
die Definitionen von ad-Dabūsī, al-Qarāfī und ar-Rāzī zusammen und führt folgendes Ergebnis an: Der waṣf al-munāsib (die passende Eigenschaft) ist das, was
der Vernunft der Menschen entspricht, den Nutzen bringt und den Schaden vermeidet.49 Daraus ist leicht zu erkennen, dass hiermit das Hauptziel der Maqāṣid
aš-šarīʿa genannt wird, nämlich die Herbeiführung des Nutzens und die Abwendung des Schadens (ǧalb al-manāfiʿ wa-dafʿ al-mafāsid). Die Rechtsmethodologen unterscheiden zwischen verschiedenen Formen der waṣf al-munāsib:
a. Munāsib ḥaqīqī: Die wirkliche/reale Beziehung bzw. Verbindung zwischen den Urteilen. Dazu kann das genannte Beispiel bezüglich des Alkohols
herangezogen werden. In diesem Bereich werden die munāsib außerdem in dunyawī (diesseitig) und uḫrawī (jenseitig) unterteilt. Die Beachtung der Diesseiti-
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
gen ist der Schutz der Religion, des Lebens, der Vernunft, der Nachkommen und
des Besitzes. Auffällig ist hier auch der Schutz dieser fünf Elemente, denn diese
werden später bei al-Ġazālīs Erarbeitung unter maṣlaḥa als Maqāṣid aš-šarīʿa
dargestellt.51 Neben diesen ḍarūriyyāt (!) werden auch die ḥāǧiyyāt (!) und taḥsīniyyāt (!) – drei Leitbegriffe in der Abhandlung der Maqāṣid-Theorie, die im
Verlauf unter maṣlaḥa dargestellt und erklärt werden – beachtet. Der Schutz der
jenseitigen Elemente wird durch die ʿibādāt und den ethischen Prinzipien verwirklicht.52
b. Munāsib iqnāʿī (anscheinende Beziehung): Auch wenn auf dem ersten
Blick eine Verbindung vorhanden zu sein scheint, ist durch weitere Überlegung
keine Verbindung vorhanden.53
c. Munāsib muʾaṯṯir: Die Beziehung wird durch naṣṣ und iǧmāʿ dargestellt
oder angedeutet. Das heißt es gibt einen bestimmten naṣṣ über diese ʿilla.54
d. Munāsib mulāyim: Dass diese ʿilla geltend ist, wird nicht in derselben
naṣṣ des sich dort befindenden ʿilla dargestellt, sondern in einer anderen Koranpassage oder in einem Ḥadīṯ.
e. Munāsib ġarīb: Durch Gott wird diese ʿilla als nichtig erklärt. Dementsprechend ist auch ein taʿlīl mit solch einer ʿilla nicht möglich. Hier ist eine erstaunliche Ähnlichkeit zu dem Begriff maṣlaḥa mulġā zu beobachten, den ich im
späteren Verlauf erklären werde. Auch wird diese Kategorie als al-munāsib almulġā bezeichnet.55
f. Munāsib mursal: Es gibt keine Anzeichen in den Quellen, ob solch eine
munāsaba gültig oder ungültig ist. Diese werden auch maṣlaḥa mursala genannt.56 Dieser Bereich bildet den Dreh- und Angelpunkt für die Diskussionen
um die Maqāṣid. Jedoch wird sie entweder als munāsib mursal oder maṣlaḥa
mursala betitelt.
Auch wenn die Gelehrten die Diskussion der Maqāṣid unter waṣf al-munāsib
behandeln, liegt der Fokus eher in der Beachtung der maṣlaḥa, auf die ich an dieser Stelle eingehen möchte.
al-Maṣlaḥa (Allgemeinwohl)
Der Begriff maṣlaḥa wird von den Radikalen ṣ-l-ḥ abgeleitet. Wörtlich bedeutet
es „das Gute, das Passende, richtig, gut und tadellos sein“. Als Terminus technicus wird es in dem Sinne genutzt, dass es das Gute bringt, das Schlechte abwehrt, passend zu einer Absicht einer Tatsache und nützlich ist und zum Guten
führt. Das Antonym zu maṣlaḥa bzw. manfaʿa – diese beiden haben eine ähnliche Bedeutung und stehen für das Nützliche und Wohlbringende – ist mafsada
oder maḍarra.57 In der englischen und deutschen Literatur wird maṣlaḥa als
„public interest“58 bzw. als „Interesse, Wohlergehen, Allgemeinwohl“59 u.a. aber
auch als „allgemeines Interesse“60 übersetzt. Die gängigste Definition und das
Funktionsfeld der maṣlaḥa wird in der folgenden Formulierung dargestellt: Die
maṣlaḥa sollte etwas Nützliches herbeiführen und etwas Schädliches abwehren
(ǧalb al-manāfiʿ wa-dafʿ/darʿ al-mafāsid).61 Es werden oft die Verse (21|107),
(2|185), (5|3) und (10|57) zitiert, um vorzuweisen, dass die Šarīʿa die maṣlaḥa
der Menschen beachtet, das Gute herbeiführt und das Schlechte abwehrt.62 Doch
welche Faktoren führen dazu, dass die maṣlaḥa beachtet werden muss, wenn
schon der Koran existiert und die Menschen rechtleitet? Natürlich ist diese Frage
damit zu beantworten, dass die soziale Situation der Menschen sich niemals in
einer endlosen Stagnationsphase befinden kann. Ereignisse entstehen, die neu
aufgegriffen werden müssen. Technische, medizinische und politische Entwicklungen finden statt. All diese Entwicklungen müssen nun im Lichte der Šārīʿa
bewertet werden. Und der qiyās ist nicht die allgemeingültige, universelle Methode, die für die Bewertung dieser nützlich ist. Denn für den qiyās muss es bestimmte naṣṣ geben, die als aṣl für den farʿ dienen. Außerdem kann es auch dazu
kommen, dass durch den bloßen qiyās Mühsal verursacht werden kann, wodurch
die maṣlaḥa nicht mehr zustande kommt.63 Wie müssen Rechtsgelehrte nun vorgehen?
Nach dem Tode des Propheten und analog dazu nach der Offenbarungsperiode
haben die Prophetengefährten und die Nachfolger (tābiʿūn) versucht, solche Um-
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stände durch den Geist der Šārīʿa zu bewerten und zu beurteilen. Spätere Gelehrten haben dann Methoden wie den istiḥsān, istiṣlāḥ und istiṣḥāb entwickelt, die
zur Zeiten der obengenannten Generationen zwar durchgeführt aber nicht durch
Begriffe festgelegt wurden.64 Dies bedeutet auch zugleich, dass bestimmte maṣlaḥa befolgt wurden, die nicht im koranischen Text erwähnt werden, d. h. dass
sie weder befürwortet noch als nichtig erklärt (mursala) wurden. Doch damit
verbunden entstand ein weiteres Problem. Und zwar sollte jetzt auf theoretischer
Basis für ein kohärentes Rechtssystem allgemein definiert werden, welche maṣlaḥa unter welchen Bedingungen beachtet werden dürfen, gewiss sogar sollten.
Fragen wie: „Welche Stufen gibt es, um eine Entscheidung unter den maṣāliḥ zu
treffen, falls mehrere in einem Urteil vorhanden sind? Werden die maṣāliḥ mursala alle beachtet oder nur jene, die bestimmte Bedingungen erfüllen?“ sind nun
entstanden. Um diese Fragen beantworten zu können, müssen zunächst die Arten
der maṣlaḥa analysiert werden.
Die maṣlaḥa wird im klassischen uṣūl al-fiqh in drei Arten unterteilt:65
a. Maṣlaḥa muʿtabara (gültige Interessen): Diese maṣlaḥa wird in den
nuṣūṣ angegeben und müssen befolgt werden. Mit der Beachtung dieser maṣlaḥa
kann qiyās ausgeübt werden. Dazu wird oft das Beispiel des Alkoholverbotes
und mit dem damit verbundenen Qiyāsvorgang dargestellt. Diese Art der Maṣlaḥa ist mit der munāsib muʾaṯṯir gleichzusetzen.66
b. Maṣlaḥa mulġā (als nichtig erklärte, nicht zu beachtende Interessen):
Diese maṣlaḥa wird daher nicht beachtet, weil in den nuṣūṣ diese auch unbeachtet geblieben ist. In den nuṣūṣ wird eine andere maṣlaḥa befolgt und diese durch
den Menschen später erkannte maṣlaḥa dann vernachlässigt. Als Beispiel wird
eine fatwā genannt, die einem König nicht erlaubt hat, die Sühne (kaffāra) für
das unerlaubte Fastenbrechen auszuwählen. Eigentlich ist die Sühne entweder
Arme zu speisen, 60 tagelang zu fasten oder einen Sklaven zu befreien. Jedoch
hat ihm ein malikitischer Gelehrter namens Yaḥyā ibn Yaḥyā al-Layṯī die Optionen verwehrt und ihm auferlegt, 60 tage zu fasten. Denn aus den anderen beiden
Strafen würde er nichts dazu lernen, da es für ihn aufgrund seines Reichtums zu
einfach fallen und daher seine Haltung nicht bessern würde. Die Befolgung dieser maṣlaḥa sei aber hinfällig, da Gott den Menschen die freie Wahl zwischen
den Sühnen bestimmt hat.67 Al-Ġazālī ist beispielsweise auch dieser Meinung.68
c. Maṣlaḥa mursala (unbeachtete, offengelassene, „unattested“ Interessen):
Diese Art der Interessen wurden von Gott weder befürwortet noch als nichtig
erklärt. Es sollte im Allgemeinen dafür dienen, um einen Schaden zu vermeiden
und einen Nutzen zu bringen.69
Die maṣlaḥa muʿtabara und mulġā sind den Texten durch grammatikalische
Auslegung zu entnehmen, jedoch sind die maṣāliḥ mursala schwierig zu ermitteln, da sie auf der Erfahrung der Menschen basieren und durch die teleologische
Auslegung bestimmt werden. Daher variieren die Bedingungen für die Akzeptanz unter den Gelehrten, wohingegen andere Schulen die maṣlaḥa mursala verwerfen.
Mālik ibn Anas und die Mehrheit der Mālikiten akzeptieren die maṣālih mursala
als eine unabhängige Quelle. Generell gelten die Ḥanbaliten und Mālikiten als
Befürworter, die Šāfiʿīten und Ḥanafiten als Gegner der maṣlaḥa mursala. Dies
beschränkt sich aber auch nur auf die Theorie,70 denn die letzteren beiden Schulen weisen in ihrem System auch vielmals daraufhin, dass sie die maṣlaḥa mursala beachtet haben, vor allem die Ḥanafiten durch ihre weit verbreitete Methode
des istiḥsān.71 Die Haltung der Šāfiʿīten kann nicht auf die Weise negativ ausgerichtet sein, wie es dargestellt wird, weil sie die Diskussionen über Maqāṣid dominieren und erheblich zur Entwicklung dieser Thematik beigetragen haben. Dabei kann man Namen wie al-Ǧuwaynī, al-Ġazālī, Ibn ʿAbd as-Salām nennen.72
Auf die Art und Weise, wie die Ḥanafiten die Beachtung der maṣlaḥa unter
istiḥsān verstehen, verstehen die Ḥanbaliten deren Beachtung unter as-siyāsa aššarʿiyya.73 Zusammengefasst kann man sagen, dass all diese Rechtsschulen die
maṣlaḥa mursala akzeptieren, jedoch die Methode unterschiedlich bezeichnen.
Die Bedingungen für die Akzeptanz der maṣlaḥa mursala kann man aus der Untersuchung von al-Būṭī zusammenfassen. Dieser äußert, dass die maṣlaḥa passend zu den Maqāṣid sein muss, nicht dem Koran, der Sunna und dem qiyās wi-
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dersprechen und nicht eine ähnliche oder eine vorzüglichere maṣlaḥa aufheben
darf. 74 Mit den Worten al-Ġazālīs muss die gesuchte maṣlaḥa (a) ḍarūrī
(notwendig), (b) qaṭʿī (definitiv) und (c) kullī (universell) sein. Aus den Untersuchungen von Pekcan kann resümierend dargestellt werden, dass die maṣlaḥa folgende Bedingungen erfüllen muss, um akzeptiert zu werden75:
1. Die maṣlaḥa darf nicht durch einen šarīʿrechtlichen Beweis für nichtig erklärt sein.76
2. Es muss sicher sein, dass diese maṣlaḥa auch existiert. D. h., dass man nicht
entsprechend einer maṣlaḥa urteilen soll, die nur vermutet wird (wahmī)
oder die die persönliche Neigung darstellt.
3. Die maṣlaḥa muss allgemein sein (kullī). Wenn sie speziell ist, kann man
nicht dementsprechend urteilen. Wenn nun eine maṣlaḥa nicht den Nutzen
der Allgemeinheit darstellt, sondern nur den Nutzen für eine oder wenige
Personen beachtet, so kann man sie nicht als Quelle für die Füllung der Lücken im Recht gebrauchen.
4. Die maṣlaḥa muss mit dem Verstand zu erfassen sein (maʿqūl).77
5. Da die Stufen der maṣlaḥa interdependent sind, ist auch die Befolgung der
maṣlaḥa auf allen drei Stufen unter den oben genannten vier Aspekten zu
beachten. Jedoch hat die erste Stufe Vorrang gegenüber den anderen beiden,
und die zweite gegenüber der dritten Stufe, falls eine Kollision zustande
kommt und somit eine Entscheidungsfolge notwendig wird.78
Im letztgenannten Kriterium wurden die Stufen der maṣlaḥa angesprochen. Nun
werden an dieser Stelle diese genannten Stufen der maṣlaḥa behandelt. Die Bedürfnisse der Menschen variieren je nach Wichtigkeit und Notwendigkeit. Menschen haben Bedürfnisse, die unter allen Umständen beachtet werden müssen.
Zum Beispiel ist der Schutz des Lebens ein Bedürfnis, der notwendigerweise geschützt werden muss. Neben diesen notwendigen Bedürfnissen existieren ebenfalls andere, die den Menschen Erleichterungen (ruḫṣa) bringen oder den Luxus
fördern bzw. das Leben noch komfortablerer gestalten und vereinfachen. Doch
lassen sich keine klaren Grenzen unter diesen Stufen ziehen. Denn etwas, dass
ehemals als Luxus angesehen worden ist, kann heute als etwas Unverzichtbares
gelten. Hierbei ist das Automobil eines der vielleicht besten Beispiele. Zu früheren Zeiten könnte das Auto als Luxusgut kategorisiert werden, jedoch ist es heute ein unverzichtbares Mittel für das Leben der Menschen. Unter dieser Kategorie befindet sich aber auch natürlich der Besitz von Luxusgut; denn ein Auto zu
benötigen heißt nicht zwangsläufig, dass man bspw. ein Luxussportwagen fahren
muss. Demnach muss auch die Qualität des notwendigen Bedürfnisses bestimmt
werden.
Diese Unterscheidungen zwischen den Stufen sind sehr wichtig für das islamische Recht. Denn auch bei Almosengaben muss definiert werden, was zu den
Grundbestandteilen des Besitzes gehört, von denen dann keine Almosensteuer
(az-zakāh) gefordert wird. Daher haben die muslimischen Gelehrten die maṣlaḥa
in drei Stufen unterteilt: ḍarūriyyāt, ḥāǧiyyāt und taḥsīniyyāt.79 Al-Ǧuwaynī und
al-Ġazālī sind die ersten Gelehrten, die solch eine Teilung vorgenommen haben.
Die Rohfassung der Kategorisierung als Fünfermodell stammt von al-Ǧuwaynī.
Dieses Fünfermodell hat al-Ġazālī überarbeitet und auf drei Stufen reduziert.
Seine Ausführungen wurden als Grundlage anerkannt und haben somit das sunnitisch-islamische Recht elementar beeinflusst.80 Spätere Gelehrten haben dann
auch diese Teilung der maṣlaḥa-Stufen akzeptiert und übernommen. Aš-Šāṭibī
betont, dass die Ermittlung dieser Stufen auf der Induktion basieren.81 Somit erhalten sie einen definitiven oder der sich der Definität annähernden Charakter.
aḍ-Ḍarūriyyāt
Die wichtigste Stufe der drei genannten sind die ḍarūriyyāt. Die ḍarūriyyāt müssen beachtet werden. Falls diese ignoriert werden, gerät die Ordnung im Diesseits verloren, wobei auch das Glück des Jenseits gefährdet wird. Außerdem
kann eine Gesellschaft ohne Beachtung dieser nicht existieren.82 Bei der Berücksichtigung dieser Stufe der maṣlaḥa ist die gesellschaftliche Ordnung und Existenz grundlegend. Denn ohne den Schutz dieser Stufe kann eine Gesellschaft
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nicht existieren. Der Schutz der ḍarūriyyāt besteht aus dem Schutz der fünf Notwendigkeiten (aḍ-ḍarūriyyāt al-ḫamsa/al-kulliyyāt al-ḫamsa/al-uṣūl al-ḫamsa)
83
:
1.Schutz der Religion (ḥifẓ ad-dīn)
2.Schutz des Lebens (ḥifẓ an-nafs)
3.Schutz der Vernunft (ḥifẓ al-ʿaql)
4.Schutz der Nachkommen (ḥifẓ an-nasl)
5.Schutz des Besitzes (ḥifẓ al-māl).
Es gibt keinen Konsens unter den Gelehrten, welche Stufe am schutzwürdigsten
ist.84 Daher ist auch keine klare Hierarchie vorhanden. Gelehrte wie al-Qarāfī
wiederum zählen weitere Elemente unter den ḍarūriyyāt wie z.B. den Schutz der
Ehre (ḥifẓ al-ʿirḍ). Aber generell gelten die aḍ-ḍarūriyyāt al-ḫamsa als die Basiselemente; alle anderen Elemente wie Schutz der Ehre können unter diesen
fünf subsummiert werden.85 Es wird betont, dass die ḍarūriyyāt nicht nur im islamischen Recht befolgt werden, sondern dass sie religionsübergreifend sind. Jede
Gesellschaft versucht, diese zu schützen, damit sie überhaupt existieren können.86 Der Schutz dieser fünf Elemente liegt des Weiteren auch in der fiṭra87 des
Menschen,88 so wie aṭ-Ṭāhir ibn ʿĀšūr es auch betont.89 Da die islamische Religion der fiṭra des Menschen entspricht, sie beachtet und dementsprechend auch
Urteile aufstellt, ist der Schutz dieser fünf Elemente unumgänglich. Die gegenseitige Hilfe, der Überlebenswille, den Schaden zu vermeiden; all diese Elemente liegen in der fiṭra des Menschen. Und diese können durch den Schutz der aḍḍarūriyyāt al-ḫamsa gewährleistet werden. Der Vers (30,30) weise darauf hin,
dass die Šarīʿa der fiṭra entsprechend sei.90 Auch wenn Begriffe wie Gerechtigkeit, Freiheit oder Gleichheit nicht explizit unter diesen fünf Notwendigkeiten
genannt werden, können all diese unter der aḍ-ḍarūriyyāt al-ḫamsa subsummiert
werden.91 Die Legitimation der ḍarūriyyāt wird unter anderem im Koran in Vers
(60,12) gefunden. Unter anderem befürworten Verse wie (2,256), (10,99) und
(88,22) den Schutz der Religion, (2,188), (3,130), (4,3), (5,38) und (89,19-29)
den Schutz des Besitzes, (17,32) und (24,3; 19) den Schutz der Nachkommen
und (4,93), (5,32), (6,151) und (17,33) den Schutz des Lebens. Ebenfalls sind
viele Ḥadīṯe vorhanden, die als Legitimation bzw. Beweis für den Schutz der
fünf Notwendigkeiten dienen.92
al-Ḥāǧiyyāt
Auf der zweiten Stufe nach den ḍarūriyyāt befinden sich die ḥāǧiyyāt
(bedürfnisorientierte Interessen).93 Auf dieser Stufe wird durch die Nichtbeachtung der ḥāǧiyyāt die Existenz zwar nicht gefährdet, jedoch wird den Menschen
übermäßige Mühsal und Bedrängnis auferlegt.94 Doch befinden sich diese Bedrängnisse und die Mühsal nicht auf der Stufe der ḍarūriyyāt, wodurch die Existenz nicht gefährdet werden kann.95 Als Leitmotiv kann hier die Prämisse dafʿ al
-ḫaraǧ wa-l-mašaqqa (Abwehr des Mühsals und des Bedrängnisses) gelten.96
Das Hauptmerkmal der ḥāǧiyyāt ist somit nicht das „Muss“ aufgrund der Existenzgefährdung, sondern die Aufhebung der Mühsal und des Bedrängnisses.
Auch kann man aus dem Vers (4|28) „Gott will euch Erleichterung gewähren.
Der Mensch ist (ja) von Natur schwach“ dieses Prinzip ableiten. Ibn ʿĀšūr betont, dass der größte Bereich des Rechts, nämlich die muʿāmalāt sich auf dieser
Stufe der Interessen befindet. Daher ist diese Stufe die Umfangreichste der drei
Stufen.97 Methoden wie dafʿ al-ḫaraǧ (Abwehr der Mühsal), at-taysīr
(Vereinfachung) und ar-ruḫṣa (Lizenz, Erlaubnis) fallen unter die Beachtung der
ḥāǧiyyāt.
at-Taḥsīniyyāt
Die dritte Stufe der Kategorisierung der maṣlaḥa bilden die taḥsīniyyāt. Diese
zielen auf die Verbesserung der Interessen und der Bedürfnisse der Menschen,
ergänzen und verschönern das Leben. Sie sorgen dafür, dass gute Dinge besser
hervortreten können. Wenn man diese nicht beachtet, entsteht weder ein Mühsal
wie auf der Ebene der ḍarūriyyāt, welche existenzgefährdend wirken, noch wie
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auf der Ebene der ḥāǧiyyāt, welche eine möglichst zu vermeidende Bedrängnis
hervorruft. Auf sie kann verzichtet werden, sofern keine Mühsal dadurch zustande kommt.98
Auch wenn durch die dargestellte Kategorisierung der Anschein erweckt wird, es
seien klare Grenzen unter den drei Stufen vorhanden, zeigt die Theorie des uṣūls,
dass eine klare Trennung nicht möglich ist; die genannten Stufen sind ineinander
übergreifend. Daher haben die Rechtsmethodologen Zwischenstufen entwickelt,
die mukammilāt, takmīlāt und tatimmāt genannt. Jede Stufe wird mit diesen
takmīlāt miteinander verbunden. 99 Als takmila der ḍaruriyyāt kann folgendes
Beispiel genannt werden: der geringe Konsum des Alkohols ist ebenso verboten
wie der Konsum, der zur Trunkenheit führt.100 Diese Art der Urteilsbestimmung
bzw. Argumentation wird auch argumentum a fortiori101 genannt.102
Der Schutz der genannten Stufen hingegen kann sowohl passiv als auch aktiv
gestaltet werden. Zum Beispiel kann der Schutz der Religion durch das aktive
Handeln wie Gewährleistung der Lebensfreiheit, Schutz der Gesundheit, Freiheit
rechtliche Unternehmungen durchzuführen gewährleistet werden.103 Durch bestimmte Normen bzw. Sanktionen hingegen ist der passive Schutz gewährleistet.
Beispielsweise verbietet der Vers (5,32), Menschen zu töten. In ähnlicher Weise
wird der Schutz für die restlichen Interessen gestaltet.104
Als Letztes ist es noch wichtig zu nennen, dass die Beachtung aller Stufen wichtig ist, da die Stufen interdependent sind. Aš-Šāṭibī bearbeitet diese Beziehung
detailliert heraus. Seine Ergebnisse können folgendermaßen zusammengefasst
werden: 1. Die ḍarūriyyāt sind der Grundbaustein für die ḥāǧiyyāt und taḥsīniyyāt, 2. Wenn die ḍarūriyyāt geschädigt werden, werden die beiden anderen
Stufen auch negativ beeinflusst und aufgehoben, 3. Die Schädigung der ḥāǧiyyāt
und taḥsīniyyāt führt nicht zur Schädigung der ḍarūriyyāt, jedoch die Aufhebung
der ersteren kann dem letzteren schaden und 4. Für die ḍarūriyyāt müssen die
ḥāǧiyyāt und taḥsīniyyāt geschützt werden, da sie als ergänzende Elemente für
die höchste Stufe gelten. Ihre Störung oder Aufhebung kann die ḍarūriyyāt schädigen.105
Somit müssen alle Stufen beachtet werden, falls ein neues Urteil gefällt werden
muss, wenn die naṣṣ die maṣlaḥa nicht bewirken. Die Methode hingegen, die auf
der maṣlaḥa basiert und sie anwendend neue Urteile formt, wird istiṣlāḥ genannt.
al-Istiṣlāḥ
Der istiṣlāḥ ist eine sekundäre, untergeordnete Methode bzw. Quelle (al-maṣādir
al-farʿiyya at-tabʿiyya)106 in der islamischen Rechtsmethodologie (uṣūl al-fiqh).
Somit befindet sie sich auch nicht unter der al-adilla al-arbaʿa (im übertragenen
Sinne „die vier Hauptquellen“).107 Diese Methode führt dazu, den Bereich zu füllen, der durch einen normalen Qiyāsvorgang nicht zu füllen ist. Denn in dieser
Methode lässt sich kein spezifischer Beweis (dalīl) für einen Urteil finden. Wenn
nun viele nuṣūṣ zusammen beurteilt werden und dabei als Ergebnis herauskommt, dass der Schutz der Maqāṣid aš-šarīʿa gewährleistet wird, so dienen diese alle als Beweis für dieses eine neue Urteil.108 Natürlich ist es nicht möglich,
von einem „gewöhnlichen“ qiyās zu reden. Daher haben die uṣūl-Gelehrten eine
weitere Methode entwickelt, die istiṣlāḥ genannt wird. Wie erwähnt, wird bei
dieser Methode die Beachtung der Maqāṣid aš-šarīʿa vorgeschrieben, da es keinen spezifischen Beweis für einen Qiyāsvorgang gibt. Bei diesem Vorgang beachtet man nun die maṣlaḥa, um die Maqāṣid zu berücksichtigen und šarīʿakonform urteilen zu können.109 Im Endeffekt dienen bestimmte Prinzipien, die induktiv bestimmt wurden, als Beweise. Somit trennt sich der istiṣlāḥ als Methode
vom qiyās. Aber Methoden wie al-munāsaba führen die klassischen uṣūlGelehrten dazu, dass sie den istiṣlāḥ auch als eine qiyās-Methode verstehen und
es darunter subsummieren.110 Vergleicht man die Methoden qiyās und istiṣlāḥ
miteinander, so sind folgende Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu sehen.
a. Überschneidungen:
1. Beide Methoden werden nur dann herangezogen, wenn kein direkter Beweis
im Koran, in der Sunna und im iǧmāʿ über einen Urteil vorhanden ist.
2. Das Urteil, sei es durch qiyās oder durch istiṣlāḥ ermittelt, muss auf einer ʿilla
aufbauen, die eine passende Bedeutung (waṣf al-munāsib) zu den Maqāṣid aš-
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šarīʿa beinhaltet.111
b. Unterschiede:
1. Im qiyās gibt es entweder im Koran, in der Sunna oder im iǧmāʿ eine ähnliche
Begebenheit. Mit dem waṣf al-munāsib, d.h. mit der ʿilla, kann nun zwischen
den beiden eine Verbindung aufgebaut werden, wodurch der neuen Begebenheit
das Urteil der schon in den naṣṣ oder im iǧmāʿ bestimmten Urteils übertragen
wird.
Bei istiṣlāḥ gibt es keinen aṣl, mit dem ein Vergleich bzw. eine Verbindung aufgebaut werden kann. Die Orientierung bei der Beurteilung liegt direkt bei der
maṣlaḥa mursala. Man fußt somit nicht explizit auf einem detailspezifischen Beweis, sondern es besteht ein Korpus an verschiedenen Beweisen.112
2. Im qiyās gibt es einen speziellen Beweis darüber, dass die hier beachtete maṣlaḥa gültig ist (maṣlaḥa muʿtabara).
So wie der Name es auch verrät, ist bei istiṣlāḥ dies nicht der Fall. Viele Beweise
können sich gegenseitig unterstützen, um mit einer nicht bestimmten freigelassenen maṣlaḥa (mursala) urteilen zu können.113
Das Wirkungsfeld des istiṣlāḥ liegt in der Beurteilung neuentstehender Situationen, die nicht in den naṣṣ oder im iǧmāʿ explizit dargestellt werden. Somit wird
eine Rechtslücke (maskūt ʿanh) šarīʿakonform gefüllt. Durch taǧdīdBewegungen hat dieser Begriff mehr an Bedeutung gewonnen, was auch den Gedanken der Modernisierung des Rechts in den islamischen Staaten mit sich gebracht hat.114
al-Istiḥsān
Eine weitere Methode, die ähnlich wie der istiṣlāḥ eine sekundäre/derrivate
Quelle ist,115 auch die maṣlaḥa beachtet und neue Möglichkeiten öffnet, vorhandene Urteile zu ändern und gemäß den Maqāṣid zu revidieren, ist al-istiḥsān
(Billigen, Gutdünken, juristische Präferenz). Das Wort „istiḥsān“ ist maṣdar
(Nomen) vom zehnten Stamm und wird nach dem Muster „istifʿāl“ gebildet. Es
wird von dem Wort „ḥusn“ abgeleitet was „Schönheit, Vorzüglichkeit, Trefflichkeit“ bedeutet.116 Mit dieser Wurzel ḥ-s-n bedeutet das Wort literarisch
„Billigung, Zustimmung, Beifall“.117 Als Terminus technicus wird der istiḥsān
folgendermaßen genutzt: Der muǧtahid entscheidet sich aufgrund eines speziellen Beweis (dalīl ǧuzʾī) wie ʿurf, iǧmāʿ, ḍarūra, maṣlaḥa anders, als in einer
Entscheidung für eine ähnliche Situation oder einem ähnlichen Präzedenzfall. Er
unternimmt somit durch einen Beweis eine Ausnahme zu der allgemeinen Regel.
Eine andere Anwendungsmöglichkeit des istiḥsān ist die Entscheidung – welche
„ʿudūl“ genannt wird118– für einen nicht direkt zu erkennenden „versteckten
qiyās (al-qiyās al-ḫafī)“119 und der Verzicht auf den offensichtlichen, direkten
qiyās (al-qiyās al-ǧalī). Man entscheidet sich demnach nicht nach dem ersten,
was ersichtlich ist, sondern vertieft sich in der Untersuchung und entscheidet
sich für den „versteckten“ qiyās.120 Ziel des istiḥsān ist Mühsal aufzuheben, die
durch einen normalen qiyās zustande kommen würde. Folglich ist der muǧtahid
in der Bemühung die Maqāṣid aš-šarīʿa zu verwirklichen.121 Es ist demnach entweder eine Ausnahme zu der allgemeinen Regel durch einen bestimmten Beweis
oder es wird nicht direkt die erste Lösung in Betracht genommen, sondern weitergeforscht, um den durch die erste Möglichkeit zu entstehenden Mühsal zu vermeiden und eine bessere Lösung zu finden. Somit ist der istiḥsān auch nicht eine
Methode, in der die bloße Vernunft eingesetzt wird. Vielmehr dient sie zur Beachtung der Maqāṣid aš-šarīʿa und fußt auf einem šarīʿarechtlich anerkanntem
Beweis wie Koran, Sunna, iǧmāʿ, maṣlaḥa, ḍarūra oder sie ist ein versteckter
qiyās.122
Als die größten Vertreter des istiḥsān gelten die Ḥanafiten und Mālikiten.123
Mālik ibn Anas sieht sogar im istiḥsān neunzehntel des Wissens bzw. des
Rechts.124 Auch wenn große Namen wie Abū Ḥanīfa, Abū Yūsuf, Muḥammad
ibn Ḥasan aš-Šaybānī, Anas ibn Mālik und Abū l-Ḥuṣayn al-Baṣrī den istiḥsān
akzeptieren, sind auch ebenso große Namen vorhanden, die als Widersacher gelten. Die meist zitierten Namen als Gegner des istiḥsān sind aš-Šāfiʿī, Ibn Ḥazm
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
und al-Ġazālī125.126 Die Kritikpunkte überschneiden sich in folgendem Aspekt:
Der istiḥsān sei eine Methode der Urteilsbestimmung, die ohne bestimmte šarīʿarechtliche Beweise erfolgt. Somit stellt man eine eigene Šarīʿa auf.127 Dass ašŠāfiʿī den istiḥsan in der Theorie nicht akzeptierte, ist daran zu erkennen, dass er
in seinem Werk al-Umm einen Kapitel für die Nichtigerklärung des istiḥsān zugeordnet hat: ibṭāl al-istiḥsān (Nichtigerklärung des istiḥsān).128 Der Leitsatz für
die Kritik von aš-Šāfiʿī lautet: „man istaḥsana faqad šarraʿa: Wer gutdünkt, der
stellt eine eigene Šarīʿa auf.129 Hierbei ist erneut festzustellen, dass aš-Šafiʿī von
einer nicht šarīʿarechtlich bewiesenen Quelle für den istiḥsān ausgeht. Aš-Šāfiʿīs
Kritikpunkte resultieren alle aus dem Ausgangspunkt, dass der muǧtahid sich
nicht auf einen šarīʿarechtlichen Beweis stütze. Dies bedeute die Urteilsfällung
gemäß der persönlichen Neigung. Aber anhand der zuvor genannten Definitionen ist es unmissverständlich herauszulesen, dass der istiḥsān nicht die ausschließliche Nutzung des bloßen Verstandes ist, sondern die Entscheidung ist,
die auf den anerkannten Quellen basiert. Demnach sind auch die Kritikpunkte
insofern durch aš-Šāfiʿī nicht für den anerkannten istiḥsān berechtigt. Für den
willkürlich benutzten istiḥsān gelten sie jedoch. Aš-Šāfiʿī kritisiere istiḥsān nur
deshalb, weil er gedacht habe, es handle sich dabei nur um eine Urteilsbestimmung durch Willkürentscheidung ohne Berufung auf eine šarīʿarechtlich anerkannte Quelle.130 Daher betont auch Abū l-Ḥusayn al-Baṣrī explizit, dass der
istiḥsān eine religiöse Basis hat und daher nicht bedeuten kann, eine eigene
Šarīʿa aufstellen zu können bzw. zu wollen.131 Vielleicht war die Kritik des
istiḥsān seitens aš-Šāfiʿī auch so stark, da er die Rolle der schriftlichen Quellen
in seiner Methodik stark betont. Der istiḥsān hingegen schwächt gewissermaßen
die schriftlichen Quellen, indem er auch einen versteckten qiyās und die Beachtung der maṣlaḥa stark befürwortet. Um diese Gefahr zu umgehen, könnte ašŠāfiʿī den istiḥsān in dieser Form kritisiert haben.
Zuvor wurde angemerkt, dass aš-Šāfiʿī in der Theorie den istiḥsān nicht akzeptiert hat. Doch in der Praxis hat er eine differente Annäherung zum istiḥsān.
Ausdrücke wie „astaḥsinu“ (ich billige) sind auch in seinen fatwās zu sehen.
Denn aš-Šāfiʿī hat den istiḥsān in seinen fatwās auch genutzt. Ein Beispiel kann
als Beweis hier genannt werden: Falls bei der Durchführung der Diebesstrafe die
linke Hand des Diebes anstatt der rechten abgehackt wird, so wird ihm die rechte
Hand aufgrund des istiḥsāns nicht zusätzlich abgehackt.132 Letzten Endes kann
gesagt werden, dass alle vier Rechtsschulen den istiḥsān oder istiṣlāḥ als gültige
Methode akzeptieren. Doch wird der istiḥsān anders betitelt, sei es maṣlaḥa mursala, qiyās oder taḫṣīṣ al-ʿilla.
Im Gegensatz zum istiṣlāḥ sind verschiedene Arten des istiḥsān vorhanden. In
der Literatur lassen sich verschiedene Unterteilungen des istiḥsān finden.
Manchmal wird der istiḥsān in zwei Arten eingeteilt und zwar in al-istiḥsān alqiyāsī (auf Analogie basierender istiḥsān) und istiḥsān aḍ-ḍarūra (istiḥsān der
Notwendigkeit).133 Eine weitere Zweiteilung ist die folgende: 1. al-qiyās al-ḫafī
2. Bestimmung eines Ausnahmeurteils durch Beachtung der naṣṣ, maṣlaḥa,
ḍarūra und ʿurf, wohingegen auf einen allgemeinen Urteil (ḥukm kullī) verzichtet wird.
Eine Viererteilung ist auch in der Literatur oft vorzufinden:
1. Istiḥsān al-qiyās
2. Istiḥsān as-sunna
3. Istiḥsān al-iǧmāʿ135
4. Istiḥsān aḍ-ḍarūra.136
Doch hat sich die Sechserteilung in der ḥanafitischen Literatur durchgesetzt:
1. Istiḥsān an-naṣṣ
2. Istiḥsān al-iǧmāʿ
3. Istiḥsān aḍ-ḍarūra
4. al-Qiyās al-ḫafī
5. Istiḥsān al-ʿurf
6. Istiḥsān al-maṣlaḥa.137
Auch wenn sich diese sechser-Kategorisierung in der ḥanafitischen Literatur
durchgesetzt hat,138 sind auch andere Unterteilungen möglich. Beispielsweise
teilen die Mālikiten den istiḥsān in drei Arten auf: istiḥsān basierend auf dem
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
Gewohnheitsrecht (ʿurf), basierend auf der maṣlaḥa (im Sinne von Maqāṣid aššarīʿa) oder der istiḥsān dient zur Aufhebung einer bedrängenden Situation.139
Der istiḥsān kann zu einem bestimmten Grade mit der Radbruchschen Formel,
welche eine Zwischenposition zwischen Rechtspositivismus und Naturrecht einnimmt,140 verglichen werden. Sie besteht aus der Unerträglichkeits- und Verleugnungsthese,141 die besagen, dass ein extrem ungerechtes, somit unerträgliches
Gesetz nicht ausgeführt werden muss und nicht einmal als Recht gelten kann,
wenn es die Gerechtigkeit nicht bewirkt.142 Zwar beschränkt sich die Radbruchsche Formel auf die Situation, in der extremes Unrecht der Fall ist, jedoch zielt
sie auch auf eine Ausnahme hin, wie es der istiḥsān auch macht. Doch ist der
istiḥsān auch auszuführen, wenn durch den normalen qiyās kein extremes Unrecht, sondern ein Nachteil entsteht. Somit ist der istiḥsān weitgefasster als die
Radbruchsche Formel, die auch als eine Reaktion auf den Nationalsozialismus
entstanden ist.143 In diesem Rahmen kann aber auch diskutiert werden, inwieweit
die islamische Rechtsmethodologie sich mit Rechtspositivismus und Naturrecht
überschneidet.
dieser beiden Methoden führt.145
Der Vergleich zwischen istiṣlāḥ und istiḥsān
Sowohl der istiḥsān als auch der istiṣlāḥ sind Methoden, um die Grenzen des
Rechts zu erweitern, neue Situationen maqāṣid-gerecht zu beurteilen und die
maṣlaḥa und den sozialen Wandel zu beachten. Somit haben sie dasselbe Ziel.
Wo liegen dann nun die Gemeinsamkeiten und Unterschiede, sodass man von
zwei verschiedenen Methoden redet? Um diese Frage beantworten zu können,
müssen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede analysiert werden. Die Gemeinsamkeiten sind folgende:
1. Beide Methoden beachten die maṣlaḥa mursala, um die Maqāṣid aš-šarīʿa
berücksichtigen zu können.146
2. Rechtslücken werden durch die Beachtung der sozialen Umstände und der Gewohnheiten der Menschen (ʿurf) gefüllt. Dabei wird die maṣlaḥa als Basis genommen.
Neben diesen Gemeinsamkeiten gibt es aber auch Unterschiede, die verdeutlichen, weshalb es sich um zwei verschiedene Methoden handelt:
Der Vergleich zwischen istiḥsān und qiyās
1. Es existieren im istiḥsān eigentlich schon Fälle, bei denen durch qiyās ein
Wird der istiḥsān mit dem qiyās als versteckter qiyās (al-qiyās al-ǧalī) vergli(mögliches) Ergebnis schon feststeht. Jedoch wird durch einen anderen Beweis –
chen, so kann man in diesem Punkt die Ähnlichkeit der Methoden entdecken.
ʿurf, ḍarūra, maṣlaḥa, al-qiyās al-ḫafī – eine Ausnahmebestimmung entwiDoch wird im qiyās etwas Bekanntes mit etwas Bekanntem verglichen. Es gibt
ckelt.147
keine weitere Entscheidungsmöglichkeit. Bei istiḥsān kann auch eine andere
2. Für den istiṣlāḥ gibt es keine ähnliche, vergleichbare Situation. Es gibt keine
Entscheidung getroffen werden, die nach tieferer Untersuchung gefunden und
qiyās-Möglichkeit. Die neue Situation ist nicht mit einem älteren Urteil verbungegenüber dem anderen qiyās bevorzugt werden kann. Auch wenn etwas Beden. Daher ist der istiṣlāḥ eine Entscheidung, die sich komplett auf die maṣlaḥa
kanntes vorhanden ist, entscheidet man sich für das außerordentliche Urteil. Es
mursala stützt. Somit wird eine direkte Verbindung zur maṣlaḥa aufgebaut.148
kommt zu einer Ausnahme im Gegensatz zu der allgemeinen Regel.144
Auch wenn die beiden Methoden sich sehr ähneln, unterscheiden sie sich in dieAndererseits gleicht der istiḥsān auch dem qiyās. Es befinden sich mehrere ʿilla, sen genannten Punkten. Die ältere Methode, nämlich der istiḥsān, ist durch die
die man aufgrund der munāsaba auswählt und eine Analogie vollzieht. Jedoch
enge Korrelation mit dem qiyās eher wortlautgebunden. Jedoch wird sie genauso
wird durch die Entscheidung eine Ausnahme gebildet, was dann zur Trennung
stark kritisiert wie der istiṣlāḥ. Der istiṣlāḥ scheint eher die Weiterentwicklung
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
des istiḥsān zu sein, in dem die Wortlautgebundenheit und die Formalität des
qiyās vermieden bzw. gelockert wurde. Man kann feststellen, dass der istiṣlāḥ
und der istiḥsān Geschwistermethoden sind, die gleiche Ziele befolgen, nämlich
die Verwirklichung der Maqāṣid aš-šarīʿa. Obwohl diese beiden Methoden stark
kritisiert werden, dienen sie für den Schutz der Maqāṣid aš-šarīʿa. Durch die Beachtung der maṣlaḥa, der ḍarūra und der ʿurf 149 wird mit dem istiḥsān eine Brücke zur Realität und zu den Maqāṣid aufgebaut.150 So kann auch das Recht dynamisch bleiben und je nach Zeit und Ort aktualisiert werden.151 Außerdem kann
gesagt werden, dass die Methode des istiḥsān genauso wie der istiṣlāḥ ein Ergebnis der Universalität des islamischen Rechts und somit des Islams ist.
Historische Skizze
Die Beachtung der Maqāṣid haben ihre Wurzeln schon in der Art und Weise, wie
der Prophet Muḥammad Urteile gefällt hat – von einer theoretisch ausgeformten
Methodik kann zu dieser Zeit nicht gesprochen werden. Besonders der Prophet,
die rechtgeleiteten Kalifen und die Imāme der vier sunnitischen Rechtsschulen
haben den zeitlichen Wandel beachtet. Dadurch wurden Urteile gefällt, die oft
literarisch gesehen gegen allgemeine Regeln verstießen. Es wurden Neuinterpretationen und Revisionen im Recht unternommen. Diese Haltung lässt sich auch
anhand der Position des Korans legitimieren. Denn der Koran nimmt die zeitund lokalbedingten Probleme als Offenbarungsanlass wahr und beinhaltet Lösungen für entstehende Probleme.152 Um größere Schäden zu vermeiden, hat der
Prophet bestimmte Sanktionen (al-ḥadd), die auch im Koran fest verankert sind,
nicht befolgt. Zum Beispiel hat er die Diebesstrafe153 in Kriegsfällen nicht durchgeführt, damit die Schuldigen nicht die Fronten wechseln und zum Feind werden.154 Daher kann auch gesagt werden, dass der Prophet die maṣlaḥa in den Urteilen beachtet hat, wodurch er Urteile auch ändern konnte, wenn die maṣlaḥa
nicht zustande kam.155
Besonders wichtig ist auch die absichtsorientierte (maqṣadī) Haltung des Pro-
pheten. Er hat nicht nur eine literarische Annäherung zu den Urteilen gezeigt,
sondern auch die Absichten (maqāṣid) hinter den Urteilen beachtet. Dass keine
bestimmten Methoden vorhanden waren, zeigt auch seine Ungebundenheit an
bestimmte Formalia, wodurch ein großer Spielraum für die Beachtung der
Maqāṣid bestand.156
Als eine weitere wichtige Figur kann an dieser Stelle ʿUmar ibn al-Ḫaṭṭāb stellvertretend für die Annäherung gelehrter Prophetengefährten angeführt werden,
obwohl nicht alle Prophetengefährten seine Ansicht und seine teleologische Herangehensweise teilten. Denn es waren auch viele Prophetengefährten vorhanden, die die literarische Herangehensweise bevorzugt haben.157 ʿUmar hingegen
ist einer der Schlüsselfiguren, auf der die These basiert, dass die Urteile sich mit
der Zeit ändern können. Daher ist die besondere Betrachtung dieser Person auch
von immens wichtiger Bedeutung. In diesem Rahmen wird nur ein Beispiel genannt, in der er, die Maqāṣid beachtend, den koranischen Befehl anders ausführt
und sogar für seine Zeit außer Anwendung lässt (!). Einer der bekanntesten Fälle,
in der ʿUmar den Wortlaut des Korans nicht beachtet und die Maqāṣid verfolgt
hat, ist der Fall der al-muʾallafa qulūbuhum158. Diese Gruppierung erhält einen
Anteil der Almosensteuer laut dem Vers (9|60) im Koran. Jedoch wehrt sich
ʿUmar dagegen, weil er davon ausgeht, dass die islamische Gemeinde stark genug ist und nicht mehr den Menschen diese Almosensteuer entrichten muss, damit sie die islamische Gemeinde nicht angreifen.159 Somit schafft er trotz des koranischen Urteils die Entrichtung der Almosensteuer an die al-muʾallafa qulūbuhum ab, weil er die Maqāṣid hinter dem Urteil beachtet. Die Entrichtung erfolgte
bis dato nur deshalb, damit die islamische Gemeinde sicher vor Feinden war und
außerdem gestärkt werden konnte. Wenn nun der Islam stark genug ist, so muss
auch keine Almosensteuer mehr an diese Gruppierung entrichtet werden.160 Desweiteren führt ʿUmar die Diebesstrafe in einem Jahr der Hungersnot nicht
durch.161 In solch einem Jahr beachtete ʿUmar die Umstände und führte die Strafe nicht aus. Denn der Koran will nicht die blinde Ausführung der Strafen, sondern versucht die Gerechtigkeit aufrechtzuhalten. Die Strafe soll den Menschen
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erziehen. Daher ist die bloße Durchführung auch nicht erwünscht.162 Es wird dargestellt, dass ad-Dawālibī, Fazlur Rahman163 und Naṣr Ḥāmid Abū Zayd auch
der Meinung sind, dass ʿUmar die Maqāṣid beachtet und daher die Strafe nicht
durchführt.164 Letzten Endes hat er die Absicht (maqṣid/maqṣad)165 hinter dem
Urteil beachtet und nicht einfach das Urteil ausgeführt. Denn hungernden Menschen die Diebesstrafe zu erteilen, weil sie zum Überleben gestohlen haben, wäre keine Gerechtigkeit. Weitere Beispiele, in denen die Prophetengefährten als
ein Kollektiv die Maqāṣid beachtend geurteilt haben sind bspw. (a) die Sammlung des Korans,166 (b) Bestrafung des Alkoholkonsums, obwohl im Koran keine
rechtliche Sanktion gegen Alkoholkonsum erteilt wurde,167 (c) Einführung von
Gefängnissen und Geld,168 (d) Einführung des Zwischengebetsrufes vor der Freitagspredigt durch ʿUṯmān ibn ʿAffān.169
Die vier Gründer-muǧtahid
In den Fußstapfen von ʿUmar ibn al-Ḫaṭṭābs Annäherung haben die vier
„Gründer“ der heute existierenden sunnitischen Rechtsschulen die Beachtung der
maṣlaḥa und somit der Maqāṣid auch stark betont. Abū Ḥanīfa ist bspw. bekannt
dafür, dass er den istiḥsān weiträumig nutzt und skeptisch gegenüber Einzeltraditionen ist.170 Neuere Situationen hat er durch diese Methode bewerten können.171 Er hat den istiḥsān sehr weiträumig genutzt, aber dennoch nicht definiert.
Doch wurde er missverstanden und von aš-Šāfiʿī und Ibn Ḥazm kritisiert, welche
davon ausgingen, dass der istiḥsān eine Methode sei, in der die Beachtung der
persönlichen Neigung als Quelle dient.172 Abū Ḥanīfa hat den qiyās für einen
stärkeren Beweis vernachlässigt oder den raʾy benutzt, falls kein naṣṣ vorhanden
war.173 Im Rahmen des istiḥsān hat Abū Ḥanīfa die maṣlaḥa mursala beachtet.
Durch die Beachtung der ḍarūra und der Gewohnheit der Gesellschaft hat er Urteile bestimmen können, die dem offensichtlichen qiyās widersprechen würden.174 Seine Akzeptanz der maṣlaḥa mursala kann anhand seiner liberalen Interpretationen gesehen werden.175
Imām Mālik hat unter raʾy den istiṣlāḥ, sadd aḏ-ḏarāʾiʿ (Versperrung der
Rechtsmittel), istiḥsān und istiṣḥāb verstanden. Bei der Entscheidung um die
Authentizität der Ḥadīṯe nahm er die Handlungen der Leute von Medina (ʿamal
ahl al-madīna) als Maßstab.176 Mālik ibn Anas gilt bekanntermaßen als derjenige, der die maṣlaḥa am meisten befolgt und befürwortet hat. Daher sagt er auch,
dass der istiḥsān neun Zehntel des Wissens ist.177 Mālik sah in der Beachtung der
maṣlaḥa mursala eine Ausnahme zu der Regel. Er wurde in dem Sinne falsch
verstanden, dass er auch die maṣlaḥa mulġā akzeptieren würde. Doch habe er
das Prinzip der maṣlaḥa nur dann eingesetzt, wenn kein textueller Beweis vorhanden war. Falls kein naṣṣ vorhanden war oder die maṣlaḥa nicht erreicht wurde, so hat er die maṣlaḥa berücksichtigt.178 Bei aš-Šāfiʿī hingegen ist im Gegensatz zu Abū Ḥanīfa und Mālik ibn Anas eine ambivalente Haltung zu sehen. Er
ist zwar einer der größten Vertreter der literarischen (lafẓī) Herangehensweise,
doch schenkt er der teleologischen Herangehensweise auch große Beachtung. In
erster Linie überwiegt der Anschein, als verwerfe aš-Šāfiʿī sowohl die maṣlaḥa
mursala als auch den istiḥsān. Jedoch versteht er den istiḥsān als die Urteilsbestimmung durch Beachtung der bloßen Vernunft und somit der persönlichen Neigung (hawā). Aš-Šāfiʿī akzeptiert zwar die maṣlaḥa nicht als eine unabhängige
Quelle, jedoch setzt er die maṣlaḥa mursala gleich der maṣlaḥa muʿtabara.
Denn er geht davon aus, dass die Hauptquellen alle Angelegenheiten und somit
alle möglichen maṣlaḥa erwähnen.179 Folglich kann es für aš-Šāfiʿī keine maṣlaḥa geben, die sich außerhalb der naṣṣ befinden, wodurch er auch nicht den
istiḥsān akzeptieren kann. In diesem Rahmen kann nun verstanden werden, weshalb in der Theorie aš-Šāfiʿī den istiḥsān nicht akzeptiert, jedoch in der Praxis
schon, wie oben erwähnt wurde.180 Im Endeffekt kann gesagt werden, dass auch
aš-Šāfiʿī die maṣlaḥa in den Urteilen beachtet hat, jedoch sich mehr auf den Text
bezogen hat als die ersten beiden Gelehrten. Dass er die Beachtung der maṣlaḥa
unter dem qiyās verstanden hat, ist ein Hinweis darauf. Diese Haltung hat sich
auch in der klassischen uṣūl-Literatur durchgesetzt.
Aḥmad ibn Ḥanbal, dessen Methode stark der Methode aš-Šāfiʿīs ähnelt und der
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
doch die Überlieferung noch mehr gewichtet, sucht bei Abwesenheit von Überlieferungen eine Lösung im qiyās, istiṣḥāb, istiḥsān und maṣlaḥa mursala.182 Somit ist festzuhalten, dass auch die frühen Rechtsgelehrten die Maqāṣid in variierenden Graden beachtet haben.
Gegner der maṣlaḥa und führt auch Begriffserklärungen an, jedoch kann eine
theoretische Diskussion der maṣlaḥa wie bei al-Ǧuwaynī nicht gefunden werden.
Doch zeigen seine Ausführungen auch, dass auch im 4./10. Jahrhundert die maṣlaḥa neben dem istiḥsān Diskussionsgegenstand war.187
Historische Skizze der theoretischen Diskussion
Abū Bakr al-Ǧaṣṣāṣ (gest. 370/980)
Auch wenn al-Ǧaṣṣāṣ die Grenzen der maṣlaḥa mursala mit istiḥsān eng hält,
versucht er die Maqāṣid aš-šarīʿa zu beachten und dabei eine Kontrollfunktion
Abū Manṣūr al-Māturīdī (gest. 333/994)
Al-Māturīdī, der eine führende Rolle in der sunnitischen Theologie
zu errichten, damit sich durch die bloße Nutzung der Vernunft die Beachtung der
(Kalāmwissenschaft) inne hat, hat sich auch mit dem uṣūl al-fiqh beschäftigt. In persönlichen Neigung nicht durchsetzen kann. Daher sieht er die Anwendung der
seiner Methodologie wird das nicht Erwähnte (ġayr manṣūṣ) nicht nur durch
maṣlaḥa als ʿilla im istiḥsān, der sich u. a. auch auf textuelle Quellen stützt.
183
qiyās, sondern auch durch andere Wege wie istiḥsān erreicht und bewertet. Er Denn die wirkliche maṣlaḥa ist eigentlich durch die nuṣūṣ bestimmt, die Verbetont sehr stark die Rolle der Vernunft bei der Ermittlung von Urteilen. Denn
nunft kann ja irren und eine „falsche maṣlaḥa“ als wahr anerkennen und somit
die Vernunft kann das Gute und Schlechte in den Urteilen erfassen, jedoch nicht falsch urteilen. Im istiḥsān könne die Vernunft das Nützliche erfassen und das
ohne die Unterstützung der samʿiyyāt (Offenbarungen und Überlieferungen) als Schädliche vermeiden.188
der objektive Maßstab.
Im nasḫ-Verständnis von al-Māturīdī ist die Beachtung der maṣlaḥa am stärksten Abū l-Ḥusayn al-Baṣrī (gest. 436/1044)
zu spüren. Falls ein Urteil nicht die maṣlaḥa der Menschen herbeiführt, so wird Abū l-Ḥusayn al-Baṣrī, ein muʿtazilitischer Gelehrter, geht auch wie die vorheridurch ein anderes Urteil das Letztere aufgehoben, sei es durch Beachtung der
gen Gelehrten davon aus, dass die Urteile Wissen über maṣlaḥa und mafsada
184
naṣṣ oder der bloßen maṣlaḥa. Diese Art des nasḫ nennt er nasḫ iǧtihādī (auf vermitteln und somit die Vernunft diese erfassen kann.189 Jedoch ist die Vernunft
iǧtihād basierende Abrogation) und als Beispiel dazu nennt er die Urteilsändenicht alleine dazu befähigt, sondern sie wird durch die Offenbarung unterstützt.
185
rung durch ʿUmar bezüglich der al-muʾallafa qulūbuhum. Demnach hat er ein Nur die Vernunft alleine kann nicht ermitteln, weshalb der Wein als Ganzes versehr dynamisches Verständnis bezüglich des nasḫ und erweitert dessen Wirboten ist.190 Daher hängt es auch davon ab, ob Gott etwas befiehlt, wodurch man
kungsfeld. Jedoch ist das, was al-Māturīdī unter nasḫ versteht, kein nasḫ nach
die maṣlaḥa erkennen kann. Ist eine Handlung verboten, so wird diese dann auch
der klassischen Lehre der Koranwissenschaften (ʿulūm al-qurʾān) und uṣūl alals mafsada wahrgenommen. Somit ist die maṣlaḥa nicht durch die menschliche
186
fiqh, sondern eher Methoden wie istiṣlāḥ, taḫṣīṣ oder istiḥsān.
Vernunft determiniert, jedoch aber erfassbar.191 Folglich kann die maṣlaḥa muʿtabara und u. a. auch maṣlaḥa mursala als ʿilla fungieren.192
Al-Ḫwārazmī (gest. 387/997)
Al-Ḫwārazmī benutzt die maṣlaḥa zum ersten Mal als Terminus technicus und
Imām al-Ḥaramayn al-Ǧuwaynī (gest. 478/1085)
diskutiert sie als eine Disziplin des uṣūl al-fiqh. Er zeigt die Befürworter und
Al-Ǧuwaynī, der wie erwähnt als Gründer der theoretischen Diskussion gilt,193
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
ist der Meinung, dass ohne das Wissen der Maqāṣid aš-šarīʿa keine treffsicheren
und šarīʿakonformen Urteile zu fällen sind.194 Er setzt sogar die Beachtung der
maṣlaḥa vor dem iǧmāʿ und dem qiyās an. Es sollen zuerst die allgemeinen Prinzipien (kulliyat aš-šarʿ) und die allgemeinen maṣlaḥa (wörtl. maṣāliḥuhā alʿāmm) betrachtet werden. Falls hier kein Ansatz und keine Lösung zu finden ist,
so muss der Blick auf den iǧmāʿ und den qiyās gerichtet werden.195 Falls der
qiyās anwendbar ist und mit den ḍarūriyyāt kollidiert, so ist den ḍarūriyyāt um
der Maqāṣid Willen den Vorrang zu geben.196 Somit kann gesehen werden, dass
al-Ǧuwaynī versucht, die strengen Formalia des qiyās zu durchbrechen und dass
er einen lebendigen iǧtihād befürwortet.197 Die Subsumtion der maṣlaḥa unter
dem qiyās mit der Überschrift al-munāsaba ist schon bei al-Ǧuwaynī zu sehen.
Aber dennoch muss die munāsaba nicht zwangsläufig einen textuellen Beweis
haben, wodurch die Beachtung der maṣlaḥa mursala an Bedeutung gewinnt.198
Maßgeblich für die weitere Entwicklung der Maqāṣid und maṣlaḥa ist das Fünfermodell al-Ǧuwaynīs, das aus folgenden Elementen besteht:
1. Notwendige und unumgängliche Bedeutung bzw. ʿilla, die man durch die Vernunft erfassen kann, so wie es im qiyās der Fall ist.199
2. Was für allgemeine Bedürfnisse steht, jedoch nicht notwendigerweise zu beachten ist.200
3. Diese (dritte) Stufe ist weder notwendig zu beachten, noch spiegeln sie die allgemeinen Bedürfnisse wider. Sie steht für die Vervollkommnung ethischer Moralwerte oder Aufhebung der Störfaktoren.201
4. Es ist weder vom Typ ḍarūriyyāt, noch von ḥāǧiyyāt, jedoch dient es zur Förderung von schönen/empfohlenen (mandūb) Handlungen.202
5. Der muǧtahid kann die ʿilla nicht erfassen. Sie ist weder auf der Stufe der
ḍarūriyyāt und ḥāǧiyyāt, noch dient sie als Element der Verschönerung des Charakters.203
Dieses Fünfermodell lässt sich auf ein Dreiermodell reduzieren. Denn die dritte
und die vierte Stufe beziehen sich beide nicht auf die ḍarūriyyāt und ḥāǧiyyāt
und bezwecken die Vervollkommnung des Charakters und die Durchführung
von empfohlenen Handlungen. Der fünfte Bereich behandelt das nicht mit der
Vernunft erfassbare Feld, somit bleibt sie auch außer Acht. Diese basieren nur
auf den nuṣūṣ. Daraus entsteht das klassische Dreiermodell, das bei al-Ġazālī in
dieser Form formuliert wird.204
Abū Ḥāmid al-Ġazālī (gest. 505/1111)
Abū Ḥāmid al-Ġazālī behandelt die Thematik über die Beachtung der Maqāṣid
aš-šarīʿa sowohl unter waṣf al-munāsib bezüglich des qiyās bzw. der ʿilla und
unter dem istiṣlāḥ.205 Unter dem waṣf al-munāsib verstehe al-Ġazālī in seinem
Werk Šifā al-ġalīl die Herbeiführung des Nützlichen und Abwehr des Schadens
(ǧalb al-manāfiʿ wa dafʿ al-maḍarra). Die absolute Akzeptanz der maṣlaḥa mursala sei nicht gewährleistet. Nur die maṣlaḥa, die durch Koran, Sunna und iǧmāʿ
dargestellt werden, werden auch akzeptiert.206 Daher gilt auch der istiṣlāḥ für alĠazālī als eine aṣl mawhūma (illusionierte Quelle).207 Allgemein kann gesagt
werden, dass al-Ġazālī den istiṣlāḥ zwar verwirft, jedoch die Stufe der ḍarūriyyāt unter bestimmten Bedingungen beachtet und das Urteilen durch maṣlaḥa
mursala befürwortet.208
Für al-Ġazālī existieren drei Arten der maṣlaḥa: a. maṣlaḥa muʿtabara (gültige
maṣlaḥa), welche durch die Texte festgelegt werden und beachtet werden müssen, b. maṣlaḥa mulġā (ungültige maṣlaḥa), welche durch die Texte als nichtig
festgelegt wurden und nicht mehr zur Anwendung gebracht werden dürfen, auch
wenn der Mensch denkt, dass hierin ein Nutzen sein könnte, c. maṣlaḥa mursala
(freigelassene maṣlaḥa), zu welchen der Gesetzgeber (šāriʿ) bzw. Gott geschwiegen hat. Unter dieser Kategorie versteht al-Ġazālī nicht wie andere Gelehrte das absolute Herbeiführen des Nützlichen und Abwehr des Schädlichen,
sondern die Beachtung der ḍarūriyyāt al-ḫamsa.209 Demnach ist alles, was die
fünf Grundelemente schützt und herbeiführt maṣlaḥa und alles, was dagegen
wirkt, ist mafsada.210 Im Bereich der munāsaba versteht al-Ġazālī die Beachtung
dieser fünf Elemente. Alles, was diese fünf schützt, ist munāsib und mit dieser
ʿilla kann dementsprechend qiyās durchgeführt werden.211
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
Aus dieser Position heraus erarbeitet al-Ġazālī auf dem Fünfermodell des alǦuwaynī aufbauend das Dreistufenmodell, das oben dargestellt wurde.212
Es wurde ebenfalls schon dargestellt, dass jede maṣlaḥa muʿtabara akzeptiert
und unter waṣf al-munāsib verstanden wird. Mit dieser maṣlaḥa kann nun qiyās
ausgeübt werden. Unter welchen Bedingungen kann nun die maṣlaḥa mursala
akzeptiert werden? Al-Ġazālī stellt dar, dass die beiden unteren Stufen ḥāǧiyyāt
und taḥsīniyyāt bei der Urteilsbestimmung nicht beachtet werden können, sofern
sie nicht durch einen Beweis auf die höchste Stufe der ḍarūriyyāt aufsteigen.213
Aber in der Stufe der ḍarūriyyāt kann der muǧtahid ohne einen detailspezifischen, šarīʿarechtlichen Beweis ein Urteil bestimmen, indem er die maṣlaḥa
mursala beachtet.214 Doch bestehen drei Bedingungen für die Beachtung der
maṣlaḥa mursala: Sie muss 1. ḍarūrī (notwendig), 2. qaṭʿī (definitiv) und 3. kullī
(allgemeingültig/universell) sein.215
achtung der maṣlaḥa mursala aufgrund der Anwendung der Prophetengefährten
zu legitimieren, die ja nicht den qiyās einfach nutzten, sondern die maṣlaḥa aufgrund des Schutzes der Absichten der Šarīʿa beachteten.224
Sayf ad-Dīn al-Āmidī (gest. 631/1233)
So wie ar-Rāzī mit seinem al-Maḥsūl habe auch al-Āmidī versucht, alMuʿtamad, al-Burhān und al-Mustaṣfā zusammenzufassen und eine Synthese
zwischen ihnen herzustellen.225 Wie die vorherigen Gelehrten nutzt er eine Überschrift mit dem Titel al-maṣlaḥa al-mursala,226 behandelt diese aber unter dem
qiyās.227
Al-Āmidī übernimmt auch das Dreistufenmodell mit ihren jeweiligen tatimmāt.228 Er sieht unter der Stufe der ḍarūriyyāt die Beachtung der al-maqāṣid
al-ḫamsa (identisch mit aḍ-ḍarūriyyāt al-ḫamsa).229 Systematisch stellt er dar,
wie der Schutz der Religion, des Lebens, der Vernunft, der Nachkommen und
des Besitzes gewährleistet wird.230 Die klassische Beschreibung der ḥāǧiyyāt und
Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī (gest. 606/1209)
Die Annäherung von Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī an die Thematik der maṣlaḥa mursala taḥsīniyyāt wird mit den entsprechenden Beispielen beibehalten.231 Die Begrenscheint eine Rezeption der Untersuchung von al-Ġazālī zu sein.216 Seine Ergeb- zung der ḍarūriyyāt auf die Anzahl fünf habe damit zu tun, dass dies mit der Renisse und Beispiele gleichen der al-Ġazālīs und er bringt auch zum Ausdruck,
alität übereinstimme und außer diesen keine weiteren existieren würden.232
dass er sich auf der Linie von al-Ġazālī befindet.217 Die Arten der maṣlaḥa als
Ein neuer Ansatz wird darin gesehen, dass er eine Entscheidungsfolge zwischen
218
muʿtabara, mulġā und mursala und die daraus resultierenden Ergebnisse über- den Stufen feststellt, und zwar dass erst die ḍarūriyyāt, dann die ḥāǧiyyāt und
nimmt ar-Rāzī von al-Ġazālī.219 Das Dreistufenmodell wird ebenfalls übernom- zuletzt die taḥsīniyyāt gewählt werden. Eine ähnliche Entscheidungsfolge taucht
men, sowie die drei Bedingungen qaṭʿī, kullī und ḍarūrī für die Beachtung der
auch unter den tatimmāt auf.233
maṣlaḥa.220 Die Beachtung der maṣlaḥa mursala, falls diese ḍarūrī, qaṭʿī und
kullī ist, subsummiert er unter dem qiyās unter al-munāsaba.221 Er versteht unter Al-ʿIzz ibn ʿAbd as-Salām (gest. 660/1262)
der Beachtung der munāsaba die Herbeiführung des Nützlichen und die Abwehr Einer der wichtigsten Protagonisten bezüglich der Diskussion um maṣlaḥa ist
des Schädlichen. Ebenso wie al-Ġazālī befürwortet er auch, dass die maṣlaḥa
ʿIzz ad-Dīn (bzw. al-ʿIzz) ibn ʿAbd as-Salām. Indem er an der Diskussion teilge222
mursala auf der Stufe der ḍarūriyyāt auch ohne Text beachtet werden kann.
nommen hat, hat er auch eine sufische Deutung in die Diskussion eingebunden
Jedoch muss gewährleistet sein, dass die maṣlaḥa mursala keine maṣlaḥa mulġā und somit die Diskussion auch erweitert.234 Al-ʿIzz sieht in maṣlaḥa die Beachist.223 Unter diesen Gesichtspunkten akzeptiert auch ar-Rāzī die Integration der
tung der Absichten der Urteile. Die maṣlaḥa besteht aus Behagen, Freude und
maṣlaḥa mursala auf der Stufe der ḍarūriyyāt in den qiyās. Er versucht, die Be- deren Gründe dafür. Dementsprechend besteht die mafsada aus dem Gegen-
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
teil.235 Gott hat Propheten und Bücher für die maṣlaḥa der Menschen im Diesseits und Jenseits und für die Abwehr des Schadens, der diese beiden gefährdet,
gesandt bzw. herabgesandt.236 Sofern kein naṣṣ und iǧmāʿ vorhanden ist, wird
aufgrund der Beachtung der maṣlaḥa geurteilt.237 Denn Gott möchte das Nützliche für die Menschen herbeiführen und das Schädliche abwehren.238 So wie die
vorherigen Gelehrten teilt auch er die Urteile in muʿallal und taʿabbudī auf.239
Die Maṣlaḥa kann dementsprechend in den Urteilen, die muʿallal sind, befolgt
werden.240 Die Erkenntnis der maṣlaḥa variiert aber je nach Person. Die höchste
Stufe der maṣlaḥa können laut al-ʿIzz nur die awliyā (Gottesfreunde) erkennen.241
Šihāb ad-Dīn al-Qarāfī (gest. 685/1286)
Al-Qarāfī, einer der bekanntesten Schüler Ibn ʿAbd as-Salāms242, stützt sich sehr
auf die Erkenntnisse von seinem Lehrer und stellt sehr wichtige Regeln in seinem Werk al-Furūq auf. In seinem Werk behandelt er 548 qawāʿid fiqhiyya
(rechtliche Maxime).243 Ähnlich wie ar-Rāzī sieht er den waṣf al-munāsib für die
Erhaltung des Nützlichen und Abwehr des Schädlichen.244 Jedoch kritisiere er alĠazālī, weil er das Feld der zu beachtenden maṣlaḥa sehr einschränkt. Al-Qarāfī
akzeptiert die maṣlaḥa mursala als eine eigenständige Quelle. In diesem Rahmen
betont er auch, dass die Prophetengefährten die maṣlaḥa auch für die Urteilsfällung akzeptiert haben.245 Des Weiteren befindet er sich in der Tradition der klassischen Lehre und teilt die Meinung über das Dreistufenmodell. Er benennt aber
die taḥsīniyyāt als tatimmāt.246 Al-Qarāfī subsummiert die juristische Lizenz
bzw. ar-ruḫṣa und die sadd aḏ-ḏarāʾiʿ (Versperrung der Rechtsmittel) auch unter die Beachtung der Maqāṣid bzw. maṣlaḥa. Sofern eine maṣlaḥa nicht zustande kommt, kann man auf diese Lizenzen zurückgreifen und Urteile revidieren
oder Ausnahmeurteile erlassen, so al-Qarāfī.247 Führt ein Mittel (wasāʾil) zu einem erlaubten und befohlenen Zweck, so ist das Mittel auch befohlen, wie die
Methode des sadd aḏ-ḏarāʾiʿ darstellt. Ist nun eine maṣlaḥa zu bewirken, muss
das Mittel dazu auch erlaubt sein. Wird eine maṣlaḥa durch ein vorhandenes Ur-
teil nicht bewirkt, so ist dies eine mafsada, wodurch dieses Mittel nicht mehr zur
Anwendung gebracht wird; es wird somit versperrt.248 Als innovativ kann die
Klassifizierung der prophetischen Ḥadīṭe durch al-Qarāfī gesehen werden. Er
teilt die Handlungen je nach Verbindlichkeit in vier Bereiche auf: 1. at-tablīġ
(Verkündigung der Offenbarung), 2. al-fatwā (Rechtsgutachten), 3. al-qaḍā
(rechtliche Urteilsbestimmung/richterliche Handlung) und 4. al-imāma
(Staatsführung).249 Je nach Kategorie der Handlung können sich die Urteile ändern, die der Prophet zu seiner Zeit bestimmt hat. Dies gilt besonders für die
letzten drei Kategorien.250
Naǧm ad-Dīn aṭ-Ṭūfī (gest. 716/1316)
Eine weitere wichtige Figur ist Naǧm ad-Dīn aṭ-Ṭūfī, der die wichtige Stellung
der maṣlaḥa mursala betont.251 Meistens gilt er als jemand, der sich auf einer
Extremen bei der Beachtung der maṣlaḥa befindet.252 Desweiteren erhält er aufgrund seiner Haltung gegenüber der maṣlaḥa sehr viel Kritik. Meist wird Zāhid
al-Kawṯarī zitiert, der aṭ-Ṭūfī stark kritisiert hat.253 Aṭ-Ṭūfī beschreibt, dass 19
šarīʿarechtliche Beweise existieren, welche aufgrund der Induktion (istiqrāʾ) ermittelt wurden und beachtet werden müssen.254 Er versteht unter der Berücksichtigung der maṣlaḥa – im Gegensatz zu al-Ġazālī – das Abwenden des Schädlichen und die Herbeiführung des Nützlichen im Allgemeinen. Wenn die Šarīʿa
eine mafsada aufhebt, so ist dies eine maṣlaḥa. Dies wird anhand des Ḥadīṯ „lā
ḍarara wa lā-ḍirāra (es gibt keinen Schaden und kein Schadenhinzufügen)“ bewiesen. Falls die textuellen Quellen die maṣlaḥa nicht bewirken, so wird der
maṣlaḥa der Vorrang gegeben (taqdīm al-maṣlaḥa). Dies ist, so aṭ-Ṭūfī, nicht die
Aufhebung des naṣṣ und des iǧmāʿ, sondern die Spezifikation (taḫṣīṣ) und Erklärung (bayān) durch die maṣlaḥa.256
Verschiedene Beweise legitimieren laut aṭ-Ṭūfī die Beachtung der maṣlaḥa. Darunter führt er die Verse (2|179), (5|38), (24|2) und verschiedene Ḥadīṯe an.257 Er
stellt dar, dass die Handlungen Gottes maṣlaḥa für die Menschen beinhalten und
somit muʿallal sind. Diese führen aber für Gott keinen Nutzen herbei, sondern
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
sind rein aus seiner Güte heraus an seine Geschöpfe gerichtet.258 Neben den Beweisen im Koran und in der Sunna gibt es laut aṭ-Ṭūfī Konsens (iǧmāʿ) unter den
Gelehrten für die Beachtung der maṣlaḥa.259 Außerdem kann man anhand der
Nutzung der Vernunft (naẓar) auch beweisen, dass man die maṣlaḥa beachten
muss. Denn Gott beabsichtigt die maṣlaḥa der Menschen und möchte ihnen nicht
schaden.260
Die Unterscheidung zwischen ʿibādāt und muʿāmalāt ist auch in aṭ-Ṭūfīs Abhandlung zu entdecken.261 Die muʿāmalāt können durch Beachtung der maṣlaḥa
revidiert werden. Denn die Handlungen Gottes sind muʿallal in diesem Bereich.262 Auch die Aussage aṭ-Ṭūfīs, dass die Festlegung der naṣṣ und des iǧmāʿ
für die ʿibādāt ausreicht, aber im Feld der muʿāmalāt die maṣlaḥa beachtet werden muss, zeigt seine Haltung bezüglich der Unmöglichkeit der Änderungen in
den ʿibādāt.263 Am Ende der Abhandlung betont er wieder die Unterteilung und
stellt dar, dass die Beachtung der maṣlaḥa nur im Bereich der muʿāmalāt erfolgen kann.
Taqī ad-Dīn ibn Taymiyya (gest. 728/1328)
Im Allgemeinen kann gesagt werden, dass Ibn Taymiyya die Beachtung der maṣlaḥa und somit der Maqāṣid auch beachtet. Doch ist eine ambivalente Haltung
bei Ibn Taymiyya bezüglich der Beachtung der maṣlaḥa vorhanden. An einigen
Stellen befürwortet er die maṣlaḥa, an anderen Stellen nicht.264 Doch ist im Allgemeinen zu sehen, dass er unter maṣlaḥa die mubāḥ versteht. Somit setze er die
maṣlaḥa gleich den ḥāǧiyyāt. Ein weiteres Kriterium für dieses Ergebnis ist
auch, dass er unter der Beachtung der maṣlaḥa die Existenz von ar-ruḫṣa
sieht.265 Außerdem redet Ibn Taymiyya sehr allgemein über die maṣlaḥa und benutze nicht das Dreistufenmodell. Die maṣlaḥa mursala akzeptiert er nicht, jedoch befürwortet er die maṣlaḥa, die unter bestimmten Bedingungen zu beachten
sind.266 Jede maṣlaḥa, die Nutzen herbeiführt und Schaden vermeidet, ist laut Ibn
Taymiyya eine zu akzeptierende maṣlaḥa. Somit subsummiert Ibn Taymiyya die
gültige maṣlaḥa mursala unter maṣlaḥa muʿtabara. Daher verwirft er auch die
maṣlaḥa mursala im Sinne von „den Texten widersprechende maṣlaḥa“.267 Vor
allem verteidigt er die Beachtung der Maqāṣid in seiner Abhandlung as-Siyāsa
aš-šarʿiyya, wo er darstellt, dass Gott die maṣlaḥa der Menschen beachtet.268
Ibn Qayyim al-Ǧawziyya (gest. 751/1350)
So wie sein Lehrer Ibn Taymiyya befürwortet Ibn Qayyim al-Ǧawziyya den
Wandel des Rechts durch den iǧtihād, da er die „Muʿallalität“ der Urteile befürwortet.269 Vor allem der Bereich der as-siyāsa aš-šarʿiyya bietet einen großen
Platz für die Beachtung des iǧtihād. Wie seine Vorgänger unterscheidet er auch
zwischen muʿāmalāt und ʿibādāt. Die muʿāmalāt können aufgrund soziopolitischer Umstände geändert werden. Alles, was dem Geiste der Religion entspricht, ist somit zu akzeptieren und alles, was dagegen ist, ist nichtig. Denn Ziel
der Šarīʿa ist laut Ibn Qayyim die Herbeiführung des Nutzens für den Menschen
im Diesseits und Jenseits.270 Wenn nun etwas für die Gerechtigkeit und maṣlaḥa
der Menschen steht, so soll dies akzeptiert werden. Alle Wege, die dorthin führen, sind zu beachten. Ziel sind die Absichten und nicht die Arten der Mittel
(wasāʾil), welche variieren können.271 Des Weiteren geht Ibn Qayyim davon aus,
dass es unabänderliche Urteile im Koran gibt und diese unabhängig von Raum
und Zeit sind, wie z. B. die Gerechtigkeit unter den Menschen zu bewahren. Die
Wege und Mittel zu diesem Ziel sind unterschiedlich; zu dem, was im Koran und
in der Sunna vorhanden ist, jedoch adäquat. Denn Ziel ist die Erhaltung der Gerechtigkeit.272 Seine Haltung kann man auch in dem Werk Iʿlām al-muwaqqiʿīn
ʿan rabb al-ʿālamīn sehen. In diesem behandelt er unter dem Kapitel „Über die
Änderung in den Rechtsgutachten mit der Änderung der maṣlaḥa, Absicht, Bedingung, Ort und Zeit“ verschiedene Rechtsgutachten, die einigen Änderungen
unterliegen. Sein obengenanntes Prinzip durchläuft die komplette Abhandlung.273
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Abū Isḥāq aš-Šāṭibī (gest. 790/1388)
Aš-Šāṭibī ist eine der zentralen Figuren, die der Debatte um Maqāṣid aš-šarīʿa
die bedeutende Wichtigkeit verliehen haben. Er hat neben der Beachtung der
klassischen Literatur auch innovative Annäherungen eingeführt und die Behandlung dieser Thematik systematisiert und hervorgehoben, indem er sie außerhalb
des qiyās in einem unabhängigen Werk – al-Muwāfaqāt – diskutiert hat.274 Einer
der bedeutendsten Schritte ist, dass er die Induktion für die Erhaltung allgemeiner Prinzipien betont.275 Für ihn sind die Urteile muʿallal und die Beachtung der
maṣlaḥa ein essenzieller Bestandteil der Maqāṣid aš-šarīʿa.276
Auf den Linien des klassischen uṣūl sagt aš-Šāṭibī auch, dass Gott die maṣlaḥa
der Menschen herbeiführt und den Schaden abwehrt. Es befinden sich aber unter
der maṣlaḥa drei Stufen, die die Wichtigkeit der Beachtung darstellen. Diese drei
Stufen sind die klassischen ḍarūriyyāt, ḥāǧiyyāt und taḥsīniyyāt.277 Die ḍarūriyyāt bestehen aus dem Schutz der aḍ-ḍarūriyyāt al-ḫamsa, über die es eine
Übereinkunft der Gelehrten gibt. Diese können auf zwei Arten geschützt werden,
nämlich im positiven und negativen Sinne. Der positive Schutz wird durch Gottesdienste, Sitten und zwischenmenschliche Beziehungen gewährleistet. Der negative Schutz hingegen wird durch bestimmte Strafen herbeigeführt.278 Die
ḥāǧiyyāt dienen der Erleichterung der Beachtung der ḍarūriyyāt und der Erweiterung der Grenzen der Maqāṣid.279 Die taḥsīniyyāt hingegen dienen der ethischen Vollkommenheit und der Entfernung von schlechten Handlungen.280 So
wie bisher bei al-Ġazālī zu sehen war, stellt aš-Šāṭibī auch dar, dass verschiedene
takmīlāt der jeweiligen Stufen existieren, die diese Stufen ergänzen und unterstützen. Wenn die Hauptstufen (aṣl) aufgehoben oder zerstört werden, werden
die takmīlāt gleichermaßen beeinflusst; sie nehmen denselben Status wie die
Hauptstufen ein.281 Als einen innovativen Schritt kann die Betonung der Interdependenz durch aš-Šāṭibī genannt werden, die oben schon dargestellt wurde.282
Aufgrund der Beachtung der maṣlaḥa befürwortet aš-Šāṭibī den Wandel der Urteile mit dem Wandel der sozialen Umstände. Sofern sich die ʿurf ändern und die
maṣlaḥa nicht erhalten werden kann, wird die maṣlaḥa als Quelle für Revision
oder Änderung der Urteile genutzt. Dies findet aber nur im Bereich der muʿāmalāt statt. Der Wandel oder die Änderung in dem Feld der ʿibādāt wird von
ihm als bidʿa betrachtet.283 Damit man die Änderungen beachten kann, müssen
diese kontinuierlich und real sein. Die Beachtung des Wandels in den ʿādāt ist
wichtig, denn der Islam hat auch die guten Sitten der vorislamischen Zeit übernommen bzw. revidiert und in das System integriert, wie z. B. die diya
(Blutgeld/Wergeld)284 und die Versammlung am Freitag.285
Ein weiteres wichtiges Element des Systems aš-Šāṭibīs ist die Beziehung der
mekkanischen Suren zu den medinensischen Suren. Die universalen Prinzipien
wie der Schutz des Lebens oder der Religion befinden sich laut aš-Šāṭibī in den
mekkanischen Suren. Diese stellen die Universalia dar, die als Basis für die Urteile der medinensischen Periode dienen. Denn die medinensischen Suren enthalten detailspezifische Urteile, die im Lichte der universalen Prinzipien in den
mekkanischen Suren aufgestellt wurden.286 Der Koran versucht mehrheitlich universale Prinzipien und keine Partikularia zu vermitteln. Die Partikularia sind
meist Ausführungen von universalen Prinzipien. In diesem Rahmen betont er,
dass die Sure al-Baqara als Ganzes die Ausführung der Sure al-Anʿām ist.287
Auch die Sunna beachtet die universalen Prinzipien und die maṣlaḥa und stellt
somit Urteile auf. Daher darf die Sunna nicht dem Koran widersprechen.288
Aš-Šāṭibī befürwortet die Betrachtung des Korans als Ganzes und sieht die chronologische Betrachtung des Korans als sehr wichtig an. Der Koran soll nicht wie
ein literarisches Buch gesehen werden, dessen Wortlaut eins zu eins durchgeführt werden muss. Man kann von den vorhandenen Urteilen im Koran und in
der Sunna weitere ableiten. Das islamische Recht ist nicht mit den vorhandenen
Urteilen eingegrenzt.289 Die starre Festhaltung an den Wortlaut des Korans und
der Sunna befürwortet er nicht. Denn nur durch die Festhaltung am Wortlaut
kann man nicht unbedingt die Absichten Gottes erfüllen.290 Um die Absichten
korrekt ermitteln zu können, muss man auch die Offenbarungsanlässe (asbāb an-
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nuzūl) kennen. Ebenso wichtig sind die Kenntnisse über die Sitten und Bräuche
der damaligen Araber.291 Somit kann eine Synthese zwischen der Beachtung des
Wortlautes und der Beachtung der Absichten erzielt werden, wodurch die Beachtung der maṣlaḥa der Menschen gewährleistet wird.292
Šāh Walī Allāh ad-Dihlawī (gest. 1176/1762)
Der „al-Ġazālī Indiens”293 ist auch eine der wichtigen Personen, die die Änderung der Urteile unter Beachtung der Maqāṣid aš-šarīʿa befürwortet. Er geht
auch davon aus, dass die Urteile muʿallal sind und dass Gott hinter den Urteilen
bestimmte maṣlaḥa für die Menschen vorgesehen hat. Die Handlungen der Menschen teilt er in ʿibādāt, muʿāmalāt und Glaubensgrundlagen ein.294 Seine Methode, die Essenz der Urteile zu beachten, nennt er taṭbīq. Diese Methode soll für
die Erkennung der Essenz dienen, um universale Prinzipien abzuleiten und diese
zu beachten.295 Ad-Dihlawī teilt auch die Ansicht, dass die Religion die Sitten
korrigiert und/oder übernimmt und in das rechtliche System integriert. Darin ist
auch die Beachtung der maṣlaḥa durch das Religionsgesetz zu sehen.296 Die
Trennung von ʿibādāt und muʿāmalāt ist auch bei ad-Dihlawī zu sehen, welcher
die Änderung im Bereich der letzteren befürwortet. Je nach Ort und Zeit können
sich die Urteile in diesem Bereich ändern. Diese Haltung ist, so ad-Dihlawī, in
den prophetischen Handlungen zu entdecken.297
Diese kurze Skizze zeigt eindeutig, dass auch sehr bekannte und wichtige Theologen und Rechtsgelehrte die Beachtung des Allgemeinwohles und der Maqāṣid
stark befürworten und somit in einem kontrollierten System die Dynamik des
Rechts zu gewährleisten versuchen. Diese Haltung hat sich auch mit den politischen Entwicklungen in den islamischen Ländern durchgesetzt. Charakteristisch
für die Entwicklungen der Diskussion um Maqāṣid aš-šarīʿa ist die Betonung
des iǧtihād gegen den fanatischen Radikalismus bezüglich der Festhaltung an
den Rechtsschulen und der klassischen Literatur, die nicht mehr die Bedürfnisse
der Menschen beachten kann.298 In diesem Rahmen betonen auch die Gelehrten
und Wissenschaftler der Moderne den talfīq (interrechtsschulische Zusammensetzung von fatwās) und somit die Nutzung aller fatwās von allen Rechtsschulen.
Die fatwās müssen die Ansprüche der Menschen beachten und die maṣlaḥa herbeiführen.299 Leitwörter dieser Periode sind demnach iǧtihād, taġayyur und
talfīq. Führende Gelehrte wie ʿAbduh und Rašīd Riḍā sind zum Beispiel wichtige Protagonisten, die diese Methoden befürworten und von der Nachahmung
(taqlīd) abraten.300 Aber um der persönlichen Neigung (hawā) keinen Freiraum
zu lassen, wird die Methode der Šūrā (besetzt durch ahl al-ḥall wa-l-ʿaqd) beim
iǧtihād immer wieder betont.301 Die Etablierung des iǧtihād in der Legislatur und
die damit verbundene Revitalisierung des Rechts können nur durch einen liberal
humanistischen Ansatz erfolgen. Hierfür dient der istiṣlāḥ, denn der formale
qiyās ist nicht in der Lage diese Aufgabe zu erfüllen.302 Zentrale Figur für diese
Entwicklung ist Muḥammad ʿAbduh (gest. 1905).
Er ist der Befürworter der Rückkehr an die Quellen und der Korrelation zwischen Vernunft und Offenbarung und der Gegner des taqlīd. In diesem Rahmen
versucht er die Grenzen und Schranken der Rechtsschulen (maḏāhib) aufzuheben. Es muss eine Einheit unter der muslimischen Gesellschaft herrschen, daher
können fatwās aus verschiedenen Rechtsschulen kombiniert werden (talfīq).303
Um die maṣlaḥa der Menschen zu beachten, der Entwicklungen in der Technik,
Medizin, im Rechtssystem etc. gerecht zu werden, müssen in den Urteilen die
zeitgenössischen Probleme und Bedürfnisse der Menschen beachtet werden, was
nur im Rahmen der Maqāṣid aš-šarīʿa geschehen kann.304
Einen ähnlichen Ansatz vertritt auch sein Schüler Rašīd Riḍā (gest. 1935), der
die Maqāṣid und maṣlaḥa stärker als sein Lehrer betont.305 Der Gedanke der
Maqāṣid durchdringt seine Betrachtungsweise der Religion und des Rechts. Für
die Urteilsbestimmung laut Riḍā muss der muǧtahid den Koran, die Sunna und
die Maqāṣid kennen, um šarīʿakonforme Urteile bestimmen zu können. Auch
muss der muǧtahid sich mit der Lebenssituation und den Gewohnheiten der
Menschen auseinandersetzen und diese analysieren, damit er die Maqāṣid an-
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wenden kann. Denn nur so ist es möglich, das Nützliche herbeizuführen und das
Schädliche abzuwenden, was auch das höchste Prinzip der Šarīʿa ist. Die vorhandenen Ergebnisse aus der klassischen Rechtsmethodik integriert er in seine
eigene Methodik, die sich in seinen fatwās wiederspiegelt.306
Ähnlich wie Riḍā befürwortet Mūsā Ǧar Allāh Bigiyef (gest. 1949) die Beachtung der Maqāṣid. Seine Ausführungen ähneln stark der aš-Šāṭibīs. Jedoch versucht Bigiyef moderne Begriffe und Annäherungen in das klassische System zu
integrieren. Er sieht alles, was die maṣlaḥa herbeiführt bzw. den ṣalāḥ der Menschen gewährleistet, als einen Teil der Šarīʿa. Dass heißt, dass beispielsweise
jegliche Staatsformen, Spiele für die Gesundheit des Körpers, ergänzende Gesetze und Regeln für die Ordnung im Leben ein Teil der Šarīʿa sind, sofern die
maṣlaḥa im Hinblick auf die allgemeinen Prinzipien beachtet werden.307 Auf alMāturīdi stützend teilt Bigiyef die Religion in zwei Bereiche auf: 1. die festen
Elemente, die sich nicht ändern, wie z. B. Ethik, Gerechtigkeit, Glaube an Gott,
und 2. die Elemente, die sich mit der Zeit ändern können, wie z. B. die Ausführung der Gerechtigkeit.308 Der Mensch ist nicht nur ḫalīfa (Stellvertreter) auf der
Erde, sondern auch ḫalīfa im Bereich der Gesetzgebung (at-tašrīʿ). Er ist in der
Lage, Gesetze zu erlassen, indem er den iǧtihād nutzt. Jedoch muss dies kollektiv geschehen (šurā-Prinzip und iǧmāʿ). Daher muss er auch im Bereich des Religionsgesetzes, der sich ebenfalls ändern kann, neue Gesetze erlassen, weil er
die Gesetzgebungskompetenz dafür besitzt.309
Die Beachtung der Änderungen durch die Religion sei darin zu entdecken, dass
die Religion (ad-dīn) im Kern konstant bleibt, jedoch die Religionsgesetze
(šarāʾiʿ) je nach Zeit und Ort variieren können.310 Somit beachtet die Religion
selbst die maṣlaḥa. Demnach sind alle Methoden wie istiḥsān, istiṣlāḥ und sadd
aḏ-ḏarāʾiʿ, die die maṣlaḥa befürworten, legitim. Jedoch gibt es zwei Bedingungen für die Beachtung der maṣlaḥa: 1. Sie muss definitiv sein und 2. sie muss
befreit von mafsada sein.311
Neben Bigiyef können weitere Namen wie ʿAbd al-Wahhāb Ḫallāf (gest. 1956)
mit seinem Werk Maṣādir at-tašrīʿ al-islāmī fi mā lā naṣṣ fīh, Ṣubḥī Maḥmaṣānī (gest. 1986) mit seinem Werk Falsafat at-tašrīʿ fī l-Islām, Ramaḍān alBūṭī mit seinem Werk Ḍawābiṭ al-maṣlaḥa und Hayreddin Karaman genannt
werden, die zwar die Beachtung der Maqāṣid und maṣlaḥa betonen und sie für
elementar wichtig halten, jedoch einige von ihnen eher die klassische Methode
befürworten und den Anwendungsbereich eingrenzen.312 Beispielsweise akzeptiert al-Būṭī die Beachtung der maṣlaḥa mursala. Jedoch versucht er die persönliche Neigung in der Urteilsbestimmung zu unterbinden. Es kann eine textuelle
Regelung nur dann geändert werden, wenn eine andere textuelle Regelung
(Spezifikation bzw. taḫṣīṣ), oder eine Abwehr der Erschwernis oder die Vereinfachung (at-taysīr) vorliegt.313 Auch wenn die maṣlaḥa mursala nicht direkt erwähnt, sondern vom Text abgeleitet wird, so ist diese keine mursala, sondern
muʿtabara. Somit versucht al-Būṭī die gültigen maṣlaḥa mursala als muʿtabara
zu kennzeichnen, wodurch er die These aufstellt, dass die maṣlaḥa mursala als
keine unabhängige Quelle fungieren kann. In diesem Sinne sieht er auch alĠazālīs Beispiel der Kriegsgefangenen als Schutzschilder nicht als maṣlaḥa mursala, sondern muʿtabara. Die Verengung des Bereiches der mursala erweitert
den Bereich der muʿtabara.314
Neben diesen genannten Gelehrten sind auch weitere wie aṭ-Ṭāhir ibn ʿĀšur
(gest. 1973), der für die Entwicklung der Maqāṣid sehr wichtig ist, ʿAllāl al-Fāsī
(gest. 1974) und sogenannte „Modernisten“ wie Muḥammad Iqbal (gest.
1938), Fazlur Rahman (gest. 1988) und Naṣr Ḥāmid Abū Zayd (gest. 2010)
zu nennen, die die Beachtung der Maqāṣid stärker betonen als die klassische
Lehre es zulässt. In diesem Rahmen möchte ich die Ausführungen aṭ-Ṭāhir ibn
ʿĀšūrs zusammenfassen, der sein Werk Maqāṣid aš-šarīʿa al-islāmiyya dieser
Problematik gewidmet hat.
Die Wortlautgebundenheit des klassischen fiqh und die untergeordneten Ansätze
der Beachtung der Maqāṣid aš-šarīʿa im strikten qiyās haben Ibn ʿĀšūr315 dazu
bewogen, die Maqāṣid aš-šarīʿa ebenso wie aš-Šāṭibī in einem unabhängigen
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
Werk zu analysieren.316 Dass die Šarīʿa bestimmte Absichten befolgt, sei anhand
der Verse (21|16), (23|115), (5|6), (2|179), (5|91) und (4|3) zu erkennen.317 Besondere Betonung liegt auch in der Methode der Induktion (istiqrāʾ), die zur Bestimmung der Maqāṣid aš-šarīʿa dient.318
Einer der wichtigsten Bereiche der Maqāṣid ist das Verständnis über die Äußerungen und Handlungen des Propheten. Nicht alle prophetischen Urteile sind unveränderbar, viele können sich aufgrund des Zeit- und des Ortswandels ändern,
da sie auch die historischen Umstände beachten. Nach al-Qarāfī teilt auch Ibn
ʿĀšūr die Handlungen des Propheten ein und zeigt, welche von ihnen zu befolgen verpflichtend sind, welche Urteile sich in diesem Sinne ändern können. Dabei teilt er die Handlungen nicht in vier, wie al-Qarāfī, sondern in zwölf Kategorien ein: 1. at-tašrīʿ (Gesetzgebung), 2. fatwā (Rechtsgutachten), 3. qaḍā
(juristisches Urteil), 4. imāma (Staatsführung), 5. hidāya (Rechtleitung), 6. ṣulḥ
(Frieden), 7. Beratung für Entscheidungen, 8. nasīḥa (Ratschlag), 9. Leitung der
Herzen in die bestmögliche Richtung, 10. Unterrichtung der höchsten Wahrheiten, 11. taʾdīb (Übertreibung für Abschreckung bzw. „Drohung“), und 12. Abstraktion von iršād (Rechtleitung). Außer dem ersten Bereich können sich die Urteile je nach Ort, Zeit und Umstände ändern. Die fatwā und der qaḍā betrachtet
Ibn ʿĀšūr als die Anwendung (ṭaṭbīq) der Gesetzgebung (tašrīʿ). Aṭ-Ṭāhir ibn
ʿĀšūr erwähnt sehr viele Beispiele für die Kategorien, die ich aber hier aufgrund
der Rahmenbedingungen nicht anführen kann.319
Aṭ-Ṭāhir ibn ʿĀšūr ist auch der Meinung, dass sich veränderbare und nicht veränderbare Urteile im islamischen Recht befinden. Die zwischenmenschlichen
Beziehungen (al-muʿāmalāt) wie das Öffentliche Recht, Zivil- und Strafrecht
können sich ändern, da sie eine ʿilla besitzen, die mit der Vernunft zu erfassen
ist. Die gottesdienstlichen Handlungen hingegen, sind nicht rational begründbar,
wodurch bei diesen keine Änderung möglich ist. Das Ziel ist, in den muʿāmalāt
die maṣlaḥa herbeizuführen.320 Als innovative Schritte setzt Ibn ʿĀšūr die
Maqāṣid mit der fiṭra und der Toleranz (simāḥa) in Verbindung. Da der Islam
nur Urteile erlässt, zu denen die Menschen fähig sind, diese zu erfüllen, muss der
fiṭra des Menschen gemäß die maṣlaḥa beachtet werden. Somit können sich die
Ausführungen im rechtlichen System verändern, sofern die maṣlaḥa nicht mehr
verwirklicht wird.321
Das klassische Dreistufenmodell übernimmt Ibn ʿĀšūr auch, jedoch versucht er,
diesem eine andere Gewichtung zu verleihen, damit die Interdependenz, die ašŠāṭibī stark betont, auch Anwendung finden kann.322
Ähnlich wie die vorangegangen Gelehrten sieht Ibn ʿĀšūr die ar-ruḫṣa auch als
ein Instrument der Beachtung der Maqāṣid. Er aber sieht nicht nur die Abweichung von einer allgemeinen Regel aufgrund einer Notwendigkeit als eine ruḫṣa,
sondern auch die fortbestehende und kontinuierliche Notwendigkeit im Bezug
auf das alltägliche Leben. Somit verwirft er die Beachtung der ruḫṣa als ein nur
partielles und temporäres Element. Die fuqahāʾ, so Ibn ʿĀšūr, gehen eher von
der partiell-temporären ruḫṣa aus. Aber die fortbestehende und kontinuierliche
ruḫṣa ist auch in großem Maße vorhanden. Ein Beispiel dafür ist laut Ibn ʿĀšūr
die Erlaubnis des salam-Vertrags.323 Dies ist eine ruḫṣa, die immer bestehen
bleiben wird und nicht partiell-temporär ist. Die meist beachtete partielle ruḫṣa
kann als allgemein-vorübergehend, die letztere hingegen wie der salam als allgemein-kontinuierlich bezeichnet werden. Neben diesen beiden gäbe es auch noch
speziell-vorübergehende – wie der Verzehr von Verendetem (mayta) – und allgemein-vorübergehende ruḫṣa. Letztere ist eine Handlung, die von der Allgemeinheit ausgeführt wird, aber nur temporär erlaubt wird, sofern eine Notwendigkeit
(ḍarūra) besteht.324
Außer der ruḫṣa sind für Ibn ʿĀšūr die beiden Methoden taġyīr und taqrīr für die
Beachtung der Maqāṣid sehr wichtig. At-Taġyīr beachtet die Änderung der Zustände und somit die Änderung der Urteile. Entweder wird eine Erschwernis verhindert, um eine mafsada abzuwehren oder eine Vereinfachung herbeigeführt,
um die maṣlaḥa zu erhalten. Der at-taġyīr dient außerdem dem Schutz vor Überund Untertreibung. Der at-taqrīr ist die Aufnahme der nützlichen Zustände, die
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
seitens der Menschen akzeptiert werden und in der Gesellschaft etabliert sind. In
den Versen wird ja auch der al-maʿrūf (das Bekannte bzw. Gute) befohlen und
die Menschen dazu aufgefordert, diese zu befehlen (amr bi-l-maʿrūf). Diese almaʿrūf werden durch die Erfahrungen der Menschen definiert und fest in der Zivilisation verankert. Der Islam beachtet, korrigiert und integriert diese in sein
System. Das Rechtssystem muss diese beachten und Urteile aufstellen (wie
nadb, ibāḥa, wuǧūb, ḥurma), damit diese Werte universell auf alle Gesellschaften als ein Prinzip weitergegeben werden können. Unter at-taqrīr kann somit die
Beachtung der ʿurf verstanden werden.325
Des Weiteren sollten die Urteile nicht nach Namen oder Formen orientiert sein,
sondern aufgrund einer Eigenschaft oder ʿilla. Wenn nun ein Tier in einer Sprache den Namen „Schwein“ trägt, so ist es nicht verboten, nur weil es diesen Namen trägt. Früher habe man versucht, Kaffee (qahwa) zu verbieten, weil der
Wein im Arabischen auch „qahwa“ genannt wurde. Die ʿilla bestimmt das Urteil
und nicht Namen oder Formen.326
Schlusswort327
Sowohl durch die historische Skizze von den Anfängen des Islam und der islamischen Rechtsmethodik (uṣūl al-fiqh) bis hin zur Moderne, als auch durch die allgemeine Darstellung der Methoden und Quellen des klassisch islamischen
Rechts ist festzuhalten, dass zu allen Zeiten des islamischen Rechts die maṣlaḥa
und somit auch die Maqāṣid aš-šarīʿa in der Rechtsprechung und Entwicklung
der Methodik beachtet wurden. Im Allgemeinen kann festgestellt werden, dass
muslimische Gelehrte die Nutzung der maṣlaḥa mursala – wenn auch unter
strengen Bedingungen wie im Falle al-Ġazālīs oder al-Būṭīs – befürworten. Jedoch verstehen einige Gelehrte die gültigen maṣlaḥa mursala unter waṣf almunāsib oder maṣlaḥa muʿtabara, wodurch sie die maṣlaḥa mursala als maṣlaḥa
mulġā verstehen und diese verwerfen (siehe al-Būṭī, Ibn Taymiyya). Einige Gelehrte verstehen die gültigen maṣlaḥa mursala im Rahmen der maṣlaḥa muʿtaba-
ra, aber behalten die Bezeichnung „mursala“ (siehe aš-Šāṭibī, Ibn ʿĀšūr) bei.
Andere hingegen wie die Ḥanafiten verstehen die Beachtung der maṣlaḥa mursala unter istiḥsān. Somit handelt es sich nach unserer Erkenntnis eher um eine nominelle Diskussion als dass die maṣlaḥa mursala nicht akzeptiert wird.
Die Annährung der Gelehrten an die behandelte Diskussionsgrundlage kann in
zwei Gruppen aufgeteilt werden: die erste Haltung als „rationalist objectivism“
und die zweite als „theistic subjectivism“. Die Haltung des rationalist objectivism repräsentieren mehrheitlich die muʿtazilitisch-mātūrīditisch orientierten Gelehrten. Die Vernunft ist in der Lage, das Gute und Böse zu erkennen und demnach zu urteilen. Denn das Gute ist das, was Nutzen bringt und das Böse das,
was Schaden bringt. Die Gesetzgebung ist dann korrekt, wenn der Nutzen herbeigeführt und der Schaden abgewehrt wird.328 Die Haltung des „theistic subjectivism“ – gleichzusetzen mit der ašʿarītischen Haltung – besagt, dass der Mensch
ohne die Hilfe Gottes nicht in der Lage ist, korrekte moralische Kenntnisse zu
entwickeln. Denn etwas ist nur gut (ḥusn), weil Gott es geboten hat, und etwas
ist nur böse, weil Gott es verboten hat.329 Der pure rationalist objectivism würde
kontinuierlich die Abnahme der Rolle des Korans und der Sunna bedeuten. Denn
immer wenn eine neue Situation entsteht, wird dann mit der puren Vernunft eine
Lösung gefunden und der Koran vernachlässigt.330 Der pure theistic subjectivism
führt auch zu negativen Ergebnissen, weil dadurch neue Entwicklungen aufgrund
der starken Festhaltung am Wortlaut des Korans nicht beachtet und šarīʿakonform behandelt werden können, da kein detailspezifischer, expliziter naṣṣ existiert.331 Damit dies nicht geschehen kann, müssen die Gelehrten meines Erachtens eine Position einnehmen, die als Kombination dieser beiden genannten Haltungen gelten kann. Diese kann auch als eine maturīdītische Position verstanden
werden. Die maturīditische Position besagt, dass die Vernunft zwar in der Lage
ist, das Gute und Böse zu entdecken, weil Gott ihr dies aus Güte ermöglicht, sie
kann aber nicht unabhängig von der Offenbarung objektiv bleiben. Denn die
Vernunft wird durch die persönliche Neigung und vielen anderen Faktoren nega-
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
tiv beeinflusst. Außerdem beachtet Gott auch das Gute und Böse bei der Urteilsbestimmung. Die Menschen können durch Analysen die Vernunft trainieren, um
das Gute und Böse im Lichte der Offenbarung zu erkennen.332 Im Endeffekt
kann gesagt werden, dass alle Haltungen versucht haben, der persönlichen Neigung (hawā) keinen Freiraum zu bieten.
Des Weiteren sind zwei Haltungen zu dem Problem der Epistemologie vorhanden. Dabei wird die Frage, ob der Mensch die maṣlaḥa und somit auch die
Maqāṣid aš-šarīʿa durch die Vernunft erkennen kann, zu beantworten versucht:
1. formal legal rationality, 2. substantive legal rationality. Die erste Haltung
kann im Qiyāsverständnis gesehen werden. Jede berechtigte maṣlaḥa mursala
wird unter waṣf al-munāsib verstanden und in den qiyās integriert, wodurch die
Subjektivität und die persönliche Neigung eingegrenzt werden.333 Die zweite
Haltung beachtet mehrheitlich keinen Formalismus und versucht, die Maqāṣid aš
-šarīʿa zu entdecken und demnach zu urteilen. Es wird nicht mehr allzu sehr die
formelle Anwendung, sondern die Konformität mit den abstrakten Normen und
Grundsätzen beachtet, die durch die Maqāṣid gewonnen werden. Eine Methode
dieser Haltung ist der sadd aḏ-ḏarāʾiʿ.334 Beide Haltungen sehen ihre Herangehensweise als Instrumente für die Beachtung des rechtlichen Wandels (legal
change).335 Durch die Betrachtung der historischen Skizze kann gesagt werden,
dass sich mit der Zeit mehrheitlich folgende Haltung durchgesetzt hat: Die Vernunft kann das Gute und Böse, die rationem legis, die durch Gottes Gnade festgelegt wurden, erkennen. Im Bereich der muʿāmalāt und wasāʾil können Änderungen beachtet und vorgenommen werden. In diesem Sinne findet auch ein
epistemologischer Wandel im uṣūl al-fiqh statt.
Mit den gesammelten Ergebnissen kann auch gesagt werden, dass die orientalistische Haltung „Das islamische Recht ist festgefroren (rigid) und nicht änderungsfähig (dynamisch)“ widerlegt ist. Der uṣūl al-fiqh bietet eine Theorie, die
jede Entwicklung im Leben šarīʿagerecht beurteilen kann. Sie ist eventuell ausbaufähig und es müssen gegebenenfalls heutzutage weitere Methoden entwickelt
werden. Jedoch existiert eine Basis, die bis auf den Propheten zurückgeführt
werden kann, welche die Beachtung der neueren Entwicklungen und die Formung neuerer šarīʿarechtlicher Urteile im Bezug auf aktuelle Rechtsfragen gewährleistet.
Auch heute ist die Diskussion um die Maqāṣid sehr wichtig, weil durch die technischen und medizinischen Fortschritte und den damit verbundenen, neu entstehenden gesellschaftlichen Probleme die textuellen Quellen erschöpft sind und
keine direkten Antworten liefern. Beispielsweise muss ein muǧtahid sich in Sachen der bioethischen Fragestellungen gänzlich auf die Maqāṣid berufen, da für
ihn keine direkten textuellen Beweise vorliegen.336
Die Theorie der Maqāṣid lässt sich auch in der praktischen Anwendung wiederfinden. An dieser Stelle möchte ich ein Beispiel aus dem Werk al-Mubsūṭ 337von
as-Saraḫsī anführen.
Šams al-aʾimma as-Saraḫsī (gest. 483/1090), der sowohl ein Rechtsgelehrter
(faqīh) als auch ein Rechtsmethodologe (uṣūlī) ist,338 behandelt in seinem Werk
u.a., wie das Wasser in einem Brunnen zu reinigen ist, falls bspw. tote Tiere in
einen Brunnen fallen.339 Fällt eine Maus in einen Brunnen (biʾr) und stirbt, so
muss sie aus dem Brunnen herausgeholt werden. Hiernach ist es ausreichend,
zwanzig Eimer Wasser aus dem Brunnen für dessen Reinigung zu schöpfen.
Falls eine Maus hingegen in einer Wassergrube (ǧubb) stirbt, muss das Wasser
komplett ausgegossen und die Grube komplett gereinigt werden, da sie aufgrund
des Todes der Maus komplett verunreinigt wurde (tanǧusu).340 Diese Prämisse
kommentiert as-Saraḫsī und sagt, dass verschiedene Meinungen hierzu geäußert
wurden. Bišr sei der Meinung, dass auch der Brunnen komplett gereinigt werden
müsse, weil die Verunreinigung sich sowohl in den Steinen als auch im
Schlamm gefestigt hat. Dem widersprechend aber, so as-Saraḫsī, wird von
Muḥammad (ibn Ḥasan aš-Šaybānī) überliefert, dass Abū Yūsuf und er im Hinblick auf die Reinigung des Brunnens durch Ausschöpfen von einer bestimmten
Anzahl von Eimern derselben Meinung sind. Denn ein Brunnen gleicht dem
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
fließenden Wasser.341 Daher darf man einen Brunnen nicht mit einer Grube vergleichen und dadurch einen Analogieschluss (qiyās) bilden. Hiernach diskutiert
er, in welchem Falle wie viel Eimer (dalw) Wasser ausgeschöpft werden müssen,
was sich je nach Größe und Art der Maus ändert. Er thematisiert auch, dass der
Brunnen komplett gereinigt werden muss, falls ein Schaf oder ein Mensch darin
stirbt. Wichtig ist nun, wie er die verschiedenen fatwās bezüglich der Anzahl der
Eimer für die Reinigung im Falle des Todes einer Maus erklärt.
Abū Ḥanīfa habe die Anzahl des Ausschöpfens klein gehalten, da sich in Kūfa
nur wenige Brunnen befanden; das Wasser war knapp und es sollte so wenig wie
möglich verloren werden. Imām Muḥammad hingegen habe viel mehr gefordert,
200 bis 300 Eimer Wasser, da es zu seiner Zeit in Bagdad viele Brunnen gab und
das Wasser nicht knapp war.342 Die Reinigung konnte ausführlicher gestaltet
werden. Somit ist zu sehen, dass auch in der Praxis der Wandel der Zeit und der
Umstände beachtet wurde und die theoretische Diskussion der Maqāṣid und
maṣlaḥa Anwendung fand.
Andere Formulierungen im Werk von as-Saraḫsī wie „der Sinn/das Ziel (dessen)
ist… (wa-l-maqṣūdu minhu/minhum)“ zeigen auch, dass nicht unabhängig vom
Sinn und Zweck des Religionsgesetzes geurteilt wurde. Jedoch ist eine Spannung
zwischen der Beachtung des Wortlautes und den Zwecken des Religionsgesetzes
bzw. zwischen der literarischen und teleologischen Herangehensweise vorhanden, falls beide Methoden in derselben Problematik zur Anwendung möglich
sind.
2
Für detaillierte Informationen siehe Abū Zahra, Muḥammad: Uṣūl al-fiqh.
Kairo: Dār al-fikr al-ʿarabī, 2006 (Im Folgenden Abū Zahra: Uṣūl al-fiqh
(2006)); Šaʿbān, Zakī ad-Dīn: Uṣūl al-fiqh al-islāmī. [o.O.] [o.J.] (Im Folgenden:
Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī (o.J.)); Krawietz, Birgit: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam. Berlin: Duncker und Humblot, 2002
(Im Folgenden: Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002)).
3
Vgl. KırbaĢoğlu, Hayri: er-Risâle‟nin ġekil ve Muhteva açısından EleĢtirisi. In: Sünni Paradigmanın OluĢumunda ġâfiî‟nin Rolü. Hrsg. Hayri KırbaĢoğlu.
Ankara: Kitabiyat, 2003². S. 217-267; Sezgin, Fuat: Geschichte des arabischen
Schrifttums. Band 1. Leiden: Brill, 1967, S. 484 f. (Im Folgenden: Sezgin: GAS
(1967)).
4
Vgl. Bakkal, Ali: Ġslâm Fıkıh Ekolleri. Ġstanbul: Rağbet Yayınları, 2007, S.
178 (Im Folgenden Bakkal: İslâm Fıkıh Ekolleri (2007)).
5
Vgl. Ibn ʿĀšūr, Muḥammad aṭ-Ṭāhir: Maqāṣid aš-šarīʿa al-islāmiyya. Amman: Dār an-nafāʾis, 2001². S. 183-189 (im Folgenden: Ibn ʿĀšūr: Maqāṣid aššarīʿa al-islāmiyya (2001)). Ibn ʿĀšūr betont, dass die maqāṣid aš-šarīʿa in der
klassisch, sunnnitischen Rechtsmethodik kaum Anwendung gefunden hat, und
anstelle ihrer Diskussion die munāsaba und maṣlaḥa mursala – im Wesentlichen
– als eine alternative qiyās-Methode diskutiert und festgelegt wurde.
6
Vgl. Pekcan, Ali: Ġslam Hukukunda Gaye Problemi. Zarûriyyât-HâciyyâtTahsîniyyât. Istanbul: Rağbet Yayınları, 2003. S. 56 (im Folgenden: Pekcan:
İslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003)).
Literaturangaben:
7
Vgl. ebenda, S. 283; Yaman, Ahmet: Ġslam Hukuk Ġlmi Açısından Makasıd
İçtihadının yada Gai/Teleolojik Yorum Yönteminin İlkeleri Üzerine. In: Makâsıd
ve Ġctihad. Hrsg. Ahmet Yaman. Konya: Yediveren, 2002. S. 160 (Im Folgenden
1
Vgl. el-Keylânî, Abdurrahman Ġbrahim Zeyd: Ġslam Hukuk Felsefesinin
Esasları, Mahiyeti ve TeĢrideki Yeri. Übersetzt von Nasi Aslan. In: Ç.Ü. Ġlahiyat Yaman: İslam Hukuk İlmi Açısından Makasıd İçtihadının İlkeleri Üzerine
Fakültesi Dergisi; 1,2. 2001. S. 121 (im Folgenden: el-Keylânî: Ġslam Hukuk
(2002)); Opwis, Felicitas: Maṣlaḥa in contemporary Islamic Legal Theory. In:
Felsefesinin Esasları (2001)).
Islamic Law and Society; 12,2. 2005. S. 191 (Im Folgenden: Opwis: Maṣlaḥa in
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
contemporary Islamic Legal Theory (2005)); Nagel, Tilman: Das islamische
Recht. Westhofen: WVA-Verlag, 2001. S. 253 (Im Folgenden: Nagel: Das
islamische Recht (2001)); Boynukalın, Ertuğrul: Makasidü‟Ģ-ġeria. In: Türkiye
Diyanet Vakfı Ġslam Ansiklopedisi. Bd. 27. Ankara: Türkiye Diyanet Vakfı Yayınları, 2003. 423-426, 27:424 (Im Folgenden: Boynukalın: Makasidü‟Ģ-ġeria
(2003)); Dönmez, Ġbrahim Kâfi: Maslahat. In: Türkiye Diyanet Vakfı Ġslam Ansiklopedisi. Bd. 28. Ankara: Türkiye Diyanet Vakfı Yayınları, 2003. 79-94,
28:82 (Im Folgenden: Dönmez: Maslahat (2003)); Khadduri, Majid: Maṣlaḥa. In:
The Encyclopaedia of Islam (Second Edition). Hrsg. E. van Donzel [u.a.]. Bd.
VI. Leiden: Brill, 1991. 738-740. VI: 739 (Im Folgenden: Khadduri: Maṣlaḥa
(1991)).
8
Vgl. Pekcan: Ġslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 86 ff.
9
Die Diskussion um ḥusn-qubḥ ist folgende: Verschiedene islamische Theologieschulen haben darüber diskutiert, ob der Mensch durch die reine Vernunft
das Gute (ḥusn) und Böse (qubḥ) an sich entdecken und dementsprechend
Urteile fällen kann. In diesem Rahmen wird auch diskutiert, ob daher Ereignisse
aufgrund der Kausalität auf der Erde stattfinden, oder ob Gott zu allen Zeitpunkten die kausale Verbindung erschafft. Darüber hinaus wird auch diskutiert, ob
der Mensch ohne die Offenbarung Gott auch erkennen und an ihn glauben kann,
wodurch er auch ohne eine Offenbarung am Jüngsten Gericht zur Rechenschaft
gezogen wird, falls er an Gott nicht glaubt. Die Muʿtazila und Zaydiyya (eine
šiʿītische Theologieschule) sind der Meinung, dass der Mensch in der Lage ist,
das Gute und Böse zu entdecken und über dem Koran hinaus mit der Vernunft
neu entstandene Situationen šarīʿagerecht beurteilen kann. Auch könne der
Mensch deswegen vorhandene Urteile revidieren und brauche die rechtlichen
Urteile des Korans, die die zwischenmenschlichen Beziehungen (al-muʿāmalāt)
thematisieren, nicht wortwörtlich auszuführen. Zweck ist, die Ziele dieser Urteile
zu verwirklichen, wobei die Ausführung variieren kann. Die Māturīdiyya vertritt
eine ähnliche Position, jedoch sagt sie, dass Gott durch die Offenbarung die Ver-
nunft unterstützt und der objektive Entscheidungsmaßstab für die Beurteilung
des Guten und Bösen darstellt. Die Ašʿariyya hingegen vertritt die Meinung,
dass der Mensch nicht in der Lage ist, das Gute und Böse auf sich alleine gestellt
zu entdecken und dass nur die Offenbarung diese bestimmt. Denn die Dinge sind
nicht aufgrund ihrer Natur gut oder schlecht, sondern erst durch den Befehl oder
das Verbot Gottes als gut und schlecht qualifiziert. Für detailliertere Informationen siehe Kalisch, Muhammad: Vernunft und Flexibilität in der islamischen
Rechtsmethodik. Darmstadt: 1997. S. 30-57.
10 Vgl. Pekcan: Ġslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 86 ff.
11 Vgl. Opwis, Felicitas: Maṣlaḥa: An intellectual history of a core concept in
Islamic Legal Theory. Yale: UMI Dissertation Services, 2001. S. 19 f. (Im Folgenden: Opwis: Maṣlaḥa (2001)). Diese beiden Persönlichkeiten behandeln die
Thematik unter maṣlaḥa und istiḥsān
12 Vgl. Pekcan, Ali: Hanefî Ekolünde Makasıd DüĢüncesi. In: Ġslam Hukuku
AraĢtırmaları Dergisi: 9. 2007. 313-336. (Im Folgenden: Pekcan: Hanefî Ekolünde Makasıd DüĢüncesi (2007)); Bardakoğlu, Ali: Ġstihsan. In: Türkiye Diyanet
Vakfı Ġslam Ansiklopedisi. Bd. 23. Istanbul: Türkiye Diyanet Vakfı Yayınları,
2001. 339-347. 23:340 (Im Folgenden: Bardakoğlu: İstihsan (2001)); Ad-Dabūsī,
Abū Zayd ʿAbd Allāh: Taqwīm al-adilla fī uṣūl al-fiqh. Editiert von Ḫalīl Muḥy
ad-Dīn al-Mays. Beirut: Dār al-kutub al-ʿilmiyya, 2007². S. 404 (Im Folgenden:
ad-Dabūsī: Taqwīm al-adilla (2007)); Paret, Rudi: Istiḥsān, Istiṣlāḥ. In: The Encyclopaedia of Islam (Second Edition). Hrsg. E. van Dozel [u.a.]. Bd. IV. Leiden: Brill, 1978. 255-259, S. 256 (Im Folgenden: Paret: Istiḥsān, Istiṣlāḥ (1978)).
13 Vgl. Zaydān, ʿAbd al-Karīm: al-Madḫal li dirāsa aš-šarʿiyya al-islāmiyya.
Alexandria: Dār ʿUmar ibn al-Ḫaṭṭāb, 2001. S. 200 (Im Folgenden: Zaydān: alMadḫal (2001)); Bardakoğlu: İstihsan (2001), 23:345; Al-Ašqar, Muḥammad
Sulaymān ʿAbd Allāh: al-Wāḍiḥ fī uṣūl al-fiqh. Amman: Dār an-nafāʾis, 2004².
S. 145 (Im Folgenden: al-Ašqar: al-Wāḍiḥ (2004)); Krawietz: Hierarchie der
Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 322.
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
14 Vgl. Bardakoğlu: Ġstihsan (2001), 23:340.
15 Vgl. Paret: Istiḥsān, Istiṣlāḥ (1978), IV:256 f.
16 Vgl. Pekcan: Ġslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 284.
17 Vgl. ebenda.
18 Vgl. Opwis: The Construction of Madhhab Authority: Ibn Taymiyyas Interpretation of Juristic Preference (istiḥsān). In: Islamic Law and Society; 15.
2008. 219-249.
19 Vgl. aṭ-Ṭūfī, Naǧm ad-Dīn: Risāla fī riʿāya al-maṣlaḥa. Editiert von
Aḥmad ʿAbd ar-Raḥīm as-Sāyiḥ. [o.O.]: ad-Dār al-miṣriyya al-lubnāniyya, 1993.
S. 23 (Im Folgenden: aṭ-Ṭūfī: Risāla fī riʿāya al-maṣlaḥa (1993)).
20 Vgl. Pekcan: Ġslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 284 f.
21 Vgl. Ibn ʿĀšūr: Maqāṣid aš-šarīʿa al-islāmiyya (2001), S. 183-189.
22 Vgl. Yavuz, Yunus Vehbi: Maksadi Yorum. In: Ġslam Hukuku AraĢtırmaları Dergisi; 8. 2006. 41-78. S. 48 f. (Im Folgenden: Yavuz: Maksadi Yorum
(2006)). Für eine Liste der verfassten Bücher über Maqāṣid in der klassischen
sowie modernen Phase siehe: Pekcan: Usul ve Makasıd Konusunda Yeni Eserler.
In: Ġslam Hukuku AraĢtırmaları Dergisi; 8. 2006. 341-358; Pekcan: Makasıd Literatürüne Dair. In: Ġslam Hukuku AraĢtırmaları Dergisi; 11. 2008. 417-443.
23 Wehr: Arabisches Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart (2007
-2008), S. 1029.; vgl. Boynukalın: Makasidü‟Ģ-ġeria (2003), 27:423.
24 Ebenda, S. 1030.
25 Rogler nutzt dieselbe Übersetzung und sagt, dass Gott mit und in seiner
Šarīʿa bestimmte Ziele und Absichten verfolgt, vgl. Rogler, Lutz: Maqâsid alsharîʿa als religiöses Reformkonzept. In: Inamo; 57. 2009. 22-26, S.22 (Im Folgenden: Maqâsid al-sharîʿa als religiöses Reformkonzept (2009)).
26 Vgl. Boynukalın: Makasidü‟Ģ-ġeria (2003), 27:423. Ähnlich übersetzt wird
es auch in dem Eintrag der Encyclopaedia of Islam: Gleave, R.M.: Maḳāṣid alSharīʿa. In: The Encyclopaedia of Islam (Second Edition). Hrsg. E. van Donzel
[u.a.]. Bd. XII. Leiden: Brill, 2004. 569-570, XII:569 f (Im Folgenden: Gleave:
Maḳāṣid al-Sharīʿa (2004).
27 Vgl. ebenda.
28 Vgl. Pekcan: Ġslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 26-29. Pekcan
erklärt im Detail die von ihn genutzten Definitionen, jedoch unterscheiden sie
sich nicht in der Bedeutung, sondern nur in der Wortwahl. Somit lässt sich die
detaillierte Definition aller Begriffe als überflüssig kennzeichnen und wir begnügen uns damit, nur die Begriffe zu nennen und nicht weiterhin zu definieren.
29 Vgl. Muslehuddin, Muhammad: Philosophy of Islamic Law and the Orientalists. New Delhi: Taj, 1992. S. 134 (Im Folgenden: Muslehuddin: Philosophy
of Islamic Law and Orientalists (1992)); Johnston, David L.: Maqāṣid al-Sharī„a:
Epistemology and hermeneutics of the Muslim theologies of human rights. In:
Die Welt des Islam; 47,2. 2007. 149-187. S. 174 ff. (Im Folgenden; Johnston:
Maqāṣid al-Sharī„a (2007)); Yavuz: Maksadi Yorum (2006), S. 49.
30 Vgl. Falaturi, Abdoldjavad: Die Šarīʿa - das islamische Rechtssystem. In:
Weltmacht Islam. Hrsg. Bayrisches Landeszentrum für politische Bildungsarbeit.
München: 1988. 93-115, S. 106 (Im Folgenden: Falaturi: Die Šarīʿa- das
islamische Rechtssystem (1988)).
31 Vgl. Hallaq, Wael B.: Uṣūl al-fiqh: Beyond tradition. In: Journal of Islamic
Studies; 3,2. 1992. 172-202, S. 182 (Im Folgenden: Hallaq: Uṣūl al-fiqh: Beyond
tradition (1992)).
32 Vgl. Atay, Hüseyin: Dini DüĢüncede Reformun Yöntemi ve Bir Örnek:
Hırsızlık. In: Kelam AraĢtırmaları; 4,1. 2006. 3-50, S. 11 f. (Im Folgenden:
Atay: Dini DüĢüncede Reformun Yöntemi ve Bir Örnek: Hırsızlık (2006)).
33 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 340-353.
34 Ibn ʿĀšūr: Maqāṣid aš-šarīʿa al-islāmiyya (2001), S. 183-189.
35 Vgl. Boynukalın: Makasidü‟Ģ-ġeria (2003), 27:423.
36 Vgl. Pekcan: Ġslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 49. Auch der
Blick in das Inhaltsverzeichnis der von mir genutzten klassisch-arabischen uṣūl-
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
Werke (siehe Literaturliste) beweist die These von Pekcan. Es lassen sich die
Abhandlungen über maṣlaḥa im Wesentlichen nur unter den Diskussionen um
qiyās und dem damit verbundenen ʿilla finden. Al-Āmidi z. B. bestimmt eine
Überschrift für maṣlaḥa mursala in seinem Werk al-Iḥkām fī uṣūl al-aḥkām, jedoch verweist er an dieser Stelle wieder auf die Abhandlung über munāsaba, die
sich unter qiyās befindet. Diese dort sich befindenden Ergebnisse listet er an dieser Stelle unter der Überschrift maṣlaḥa mursala auf. Dabei fügt er hinzu, dass
die maṣlaḥa – so wie bei al-Ġazālī – bestimmte Bedingungen erfüllen muss, um
beachtet zu werden: vgl. al-Āmidī: al-Iḥkām (2005), S. 394 f. Eine ähnliche Annäherung ist auch bei ar-Rāzī vorzufinden, der unter der Überschrift maṣlaḥa
mursala dies als munāsaba versteht und auf die Abhandlung über qiyās hinweist,
nach dem er die ersten beiden Arten der maṣlaḥa dargestellt hat: ‫ ﻤﺍ ﻠﻢ‬:‫ﺍﻠﻗضﻢ ﺍﻠﺜﺍﻠﺚ‬
: ‫ ﻗﺪ ﺬﻜﺮﻨﺎ ﻔﻲ ﻜﺘﺎﺏ ﺍﻠﻗﻴﺎش ﺃﻦ ﺍﻠﻤﻨﺎضﺑﺔ‬:‫ ﻮﻻ ﺒﻺﺒﻄﺎﻞ ﻨﺺ ﻤﻌﻳﻦ; ﻔﻨﻗﻮﻞ‬,‫ﻴﺸﻬﺩﺒﺎﻻﻋﺘﺒﺎﺮ‬Ar-Rāzī, Faḫr
ad-Dīn: al-Maḥṣūl fī ʿilm uṣūl al-fiqh. Editiert von ʿĀdil Aḥmad ʿAbd alMawǧūd und ʿAlī Muḥammad Muʿawwaḍ. Sayda [u.a.]: al-Maktaba al-ʿaṣriyya,
1999². 3:1471 (Im Folgenden: ar-Rāzī: al-Maḥsūl (1999)).
37 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 159-196; Abū Zahra: Uṣūl alfiqh (2006), S. 238-273; Atar, Fahrettin: Fıkıh Usûlü. Istanbul: M.Ü. İlâhiyat Fakültesi Vakfı Yayınları, 20087. S. VIII f. bzw. S. 71-87 (Im Folgenden: Atar:
Fıkıh Usûlü (2008)); Zaydān: al-Madḫal (2001), S. 196-212; al-Ašqar: al-Wāḍiḥ
(2004), S. 144-152. Diese Werke wurden repräsentativ ausgewählt und angeführt.
38 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 117: „ittafaqa l-ǧumhūru mina
l-fuqahāʾi ʿalā anna l-qiyāsa aṣlun min uṣūli t-tašrīʿi (Die Mehrheit der Rechtsgelehrten sind sich einig, dass der Analogieschluss eine Quelle der Methode der
Gesetzgebung ist)“. Für detaillierte Informationen über qiyās siehe Krawietz:
Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 204223.
39 Vgl. Pekcan: Ġslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 50.
40 Vgl. ebenda; Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 113 f.
41 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 113 ff. Für weitere Beispiele
und Erklärungen des qiyās können folgende Bücher unter dem entsprechenden
Kapitel angesehen werden: Zaydān: al-Madḫal (2001); Abū Zahra: Uṣūl al-fiqh
(2006); al-Ašqar: al-Wāḍiḥ (2004); Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.].
42 Vgl. Pekcan: Ġslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 50.
43 Vgl. ebenda, S. 51.
44 Vgl. ebenda, S. 53.
45 Vgl. ebenda, S. 55.
46 Vgl. ebenda, S. 56.
47 Siehe Koran (2,184)
48 Die Bestimmbarkeit eines Urteils durch die ʿilla wird in der klassischen
Literatur taʿlīl genannt.
49 Vgl. ebenda, S. 60.
50 Vgl. Masud, Muhammad Khalid: Islamic Legal Philosophy. A Study of
Abū Isḥāq al-Shāṭibī‟s Life and Thought. Islamabad: Islamic Publication, 1977.
S. 2 (Im Folgenden: Masud: Islamic Legal Philosophy (1977)).
51 Vgl. Al-Ġazālī, Abū Ḥāmid: al-Mustaṣfā min ʿilm al-uṣūl al-fiqh. Editiert
von Ḥamza ibn Zahīr Ḥāfiẓ. Medina: [o.J.]. 2:478 ff. (Im Folgenden: al-Ġazālī:
al-Mustaṣfā min ʿilm al-uṣūl [o.J.]).
52 Vgl. Pekcan: Ġslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 61.
53 Vgl. ebenda.
54 Vgl. ebenda, S. 62 f.; Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 153 f.
55 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 153 f.
56 Vgl. ebenda; Pekcan: Ġslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 61.
57 Vgl. Dönmez: Maslahat (2003), 28:79; Khadduri: Maṣlaḥa (1991), VI:738.
58 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa in contemporary Islamic Legal Theory (2005), S.
182 f. Opwis weist an dieser Stelle auch darauf hin, dass der Begriff „maṣlaḥa“
auch engere Bedeutungen wie Wohlbefinden, Wohlergehen, soziales Wohl (well
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
-being, wellfare, social weal) beinhaltet. Jedoch wird meist der Begriff maṣlaḥa
mit public interest übersetzt. Siehe außerdem: Khadduri: Maṣlaḥa (1991),
VI:738; Khadduri, Majid: The Maslaha (Public Interest) and ʿilla (Cause). In:
N.Y.U. Journal of International Law and Politics; 12. 1979. 213- 217 (Im Folgenden: Khadduri: The Maslaha (Public Interest) and ʿIlla (Cause) (1979)); Hallaq: Uṣūl al-fiqh: Beyond tradition (1992).
59 Vgl. Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen
Islam (2002), S. 460.
60 Vgl. Rohe, Matthias: Das islamische Recht. München: C.H. Beck Verlag,
2009, S. 66 (Im Folgenden: Rohe: Das islamische Recht (2009)).
61 Vgl. Dönmez: Maslahat (2003), 28:79; Zaydān: al-Madḫal (2001), S. 202;
al-Ašqar: al-Wāḍiḥ (2004), S. 149.
62 Vgl. Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen
Islam (2002), S. 249; Abū Zahra: Uṣūl al-fiqh (2006), S. 250.
63 In diesen Fällen hat die ḥanafitische Rechtsschule die Methode des istiḥsān
genutzt, auf die auch später detaillierter eingegangen wird.
64 Vgl. Pekcan: Ġslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 67; Dönmez:
Maslahat (2003), 28:79.
65 Vgl. Dönmez: Maslahat (2003), 28:82; Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 242; Zaydān: al-Madḫal
(2001), S. 202.
66 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 159 ff.
67 Vgl. ebenda.
68 Vgl. al-Ġazālī: al-Mustaṣfā min ʿilm al-uṣūl [o.J.], 2:479 f.
69 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 159 ff.; Krawietz: Hierarchie
der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 242.
70 Vgl. Pekcan: Ġslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003), ebenda, S. 71; Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S.
242.
71 Vgl. ebenda, S. 71 ff.
72 Vgl. ebenda, S.73.
73 Vgl. ebenda, S.72.
74 Vgl. Dönmez: Maslahat (2003), 28:85.
75 Vgl. Pekcan: Ġslam Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 74-81.
76 Hierbei nennt Pekcan als Beispiel die gleiche Teilung des Erbes unter den
Geschwistern (Schwester und Bruder). Der Bruder erhält aus dem ẓāhir
(äußerem Wortsinn) des Korans das Doppelte wie die Schwester. Eine gleiche
Verteilung sei nicht im Sinne der Šarīʿa (vgl. ebenda), denn die naṣṣ bestimmen
im Detail, wie die Erbverteilung stattfinden muss, vgl. Erdoğan, Mehmet: Ġslâm
Hukukunda Ahkâmın DeğiĢmesi. Istanbul: M.Ü. Ġlâhiyat Fakültesi Vakfı Yayınları, 20096, S- 134 f. (Im Folgenden: Erdoğan: İslâm Hukukunda Ahkâmın
DeğiĢmesi (2009)).
77 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 164 ( „[…] An takūna lmaṣlaḥa maʿqūla fī ḏātihā […]“)
78 Vgl. Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen
Islam (2003), S. 245; Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 262-275; aš-Šāṭibī: alMuwāfqāt [o.J.], 2:6-13; Masud: Islamic Legal Philosophy (1977), S. 227.
79 Vgl. Dönmez: Maslahat (2003), 28:82; Aš-Šāṭibī, Abū Isḥāq: alMuwāfaqāt fī uṣūl al-aḥkām. Beirut: Dār al-fikt, [o.J.], 2:1-6 (Im Folgenden: ašŠāṭibī: al-Muwāfaqāt [o.J.], 2:1-6); Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im
tradierten sunnititschen Islam (2002), S. 230-234; Johnston: Maqāṣid al-Sharī„a
(2007), S. 160.
80 Für das Fünfermodell al-Ǧuwaynīs s. Al-Ǧuwaynī, Imām al-Ḥaramayn: alBurhān. Editiert von ʿAbd al-ʿAẓīm ad-Dayyib. Katar: 1979, 2:924-926 (Im Folgenden: al-Ǧuwaynī: al-Burhān [o.J.]). Für das Dreistufenmodell al-Ġazālīs, das
die Entwicklung der islamischen Rechtsmethodik sehr beeinflusst hat, s. alĠazālī: al-Mustaṣfā [o.J.], 2:480-483; Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 44 ff.
81 Vgl. aš-Šāṭibī: al-Muwāfaqāt [o.J.], 2:5 f.
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
82 Vgl. ebenda; Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 229; aš-Šāṭibī: al-Muwāfaqāt [o.J.], 2:4-5; Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 45.
83 Vgl. ebenda, S. 133; Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten
sunnitischen Islam (2002), S. 230; Dönmez: Maslahat (2003), S. 82; Dasuki,
Asyraf Wajdi/ Abdullah, Nurdianawati Irwani: Maqasid al Shari'ah - Maslaha
and Corporate Social Responsibility. In: The American Journal of Islamic Social
Sciences; 24,1. [o.J.]. 25-45, S. 32 (Im Folgenden: Dasuki/Abdullah: Maqasid al
Shari'ah [o.J.]).
84 Der Vergleich der Aufzählung unter Gelehrten wie al-Ġazālī, ar-Rāzī, alĀmidī, al-Qarāfī aṭ-Ṭūfī, aš-Šāṭibī und Ibn ʿĀšūr hat gezeigt, dass alle Gelehrten
die Aufzählung anders gestalten und somit eine andere hierarchische Ordnung
bevorzugen, vgl. al-Ġazālī: al-Mustaṣfā min ʿilm al-uṣūl [o.J.], 2:482; Pekcan:
İslam Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 271 ff.; Al-Āmidī, Sayf ad-Dīn: alIḥkām fī uṣūl al-aḥkām. Editiert von Ibrāhīm al-ʿAǧūz. Beirut: Dār al-kutub alʿilmiyya, 20055, 3:240 (Im Folgenden: al-Āmidī: al-Iḥkām (2005)); aš-Šāṭibī: alMuwāfaqāt [o.J.], 2:3; Ibn ʿĀšūr: Maqāṣid aš-šarīʿa al-islāmiyya (2001), S. 301.
85 Vgl. ebenda, S. 134 ff.; Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 230 f.
86 Vgl. Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen
Islam (2002), S. 231; aš-Šāṭibī: al-Muwāfaqāt [o.J.], 2:3. Pekcan stellt ebenfalls
dar, dass al-Ġazālī auch derselben Meinung ist. Er führt noch weitere Beispiele
aus den monotheistischen Religionen sowie aus Buddhismus, Jainismus und dem
Drusentum an. In all diesen Religionen wird betont, dass das Leben geschützt
werden muss, dass man nicht stehlen darf und weitere ähnliche Gebote: vgl. Pekcan: Ġslam Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 147-153. All diese Prämissen
zeigen, dass die aḍ-ḍarūriyyāt al-ḫamsa universell sind. Hier kann auch ein Ansatz für den Schutz der Menschenrechte erkannt werden, auch wenn dies in den
westlichen Forschungen oft übersehen wird.
87 Der Begriff fiṭra kann als die „natürliche Ausrichtung des Menschen zu
Glauben“ übersetzt werden.
88 Vgl. Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen
Islam (2002), S. 231.
89 Vgl. Ibn ʿĀšūr: Maqāṣid aš-šarīʿa al-islāmiyya (2001), S. 259-267.
90 Vgl. ebenda.
91 Vgl. Dönmez: Maslahat (2003), 28:82.
92 Vgl. At-Tirmiḏī, Abū ʿĪsā Muḥammad: Sunan at-Tirmiḏī. Editiert von
ʿUbayd ad-Daʿās. Damaskus: Dār Ibn Kaṯīr, 2007 (Im Folgenden: at-Tirmiḏī:
Sunan at-Tirmiḏī (2007)), S. 103 f., Kitāb al-ḥudūd, bāb 12, Ḥadīṯ Nr. 1439. AšŠāṭibī zählt eine Vielzahl von Ḥadīṯen in diesem Rahmen auf, vgl. aš-Šāṭibī: alMuwāfaqāt [o.J.], 4:40 ff.
93 Vgl. Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen
Islam (2002), S. 232.
94 Vgl. ebenda, S. 233; aš-Šāṭibī: al-Muwāfaqāt [o.J.], 2:4 f.; Opwis: Maṣlaḥa
(2001), S. 45 f.
95 Vgl. Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen
Islam (2002), S. 234.
96 Vgl. Pekcan: Ġslam Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 203.
97 Vgl. Ibn ʿĀšūr: Maqāṣid aš-šarīʿa al-islāmiyya (2001), S. 306 ff.
98 Vgl. Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen
Islam (2002), S. 234 f. Dönmez: Maslahat (2003), 28:83. Dasuki/Abdullah: Maqasid al Shari'ah [o.J.], S. 33.
99 Vgl. aš-Šāṭibī: al-Muwāfaqāt [o.J.], 2:6 f.
100 Vgl. ebenda (auf dieser Seite im al-Muwāfaqāt befinden sich noch mehrere
Beispiele); Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen
Islam (2002), S. 237.
101 Hallaq beschäftigt sich in seinem Aufsatz mit der Nutzung dieser Beweisführung im islamischen Recht u. a. im Bezug auf den qiyās: vgl. Hallaq, Wael
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
B.: Logic of Legal Reasoning in Religious and Non-Religious Cultures: The Case of Islamic Law and the Common Law. In: Cleveland State Law Review: 34.
1985-86. 79-96.
102 In diesem Falle handelt es sich von den zwei Beweismöglichkeiten „a
maiore ad minus und a minore ad maius“ um die Möglichkeit a minore ad maius (Schluss vom Kleineren zum Größeren).
103 Vgl. Pekcan: Ġslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 170.
104 Für nähere Informationen kann die Magisterarbeit herangezogen werden,
vgl. S. 63-65.
105 Vgl. aš-Šāṭibī: al-Muwāfaqāt [o.J.], 2:8-15.
106 Vgl. az-Zarqā: al-Madḫal [o.J.], S. 87.
107 Vgl. Özen, ġükrü: Ġstislah. In: Türkiye Diyanet Vakfı Ġslam Ansiklopedisi.
Bd. 23. Istanbul: Türkiye Diyanet Vakfı Yayınları, 2001. 383-388, 23:381 (Im
Folgenden Özen: Ġstislah (2001)).
108 Vgl. Karaman, Hayreddin: Ġslâm Hukuk Tarihi. Istanbul: Ġz Yayıncılık,
20044, S. 69 (Im Folgenden: Karaman: İslâm Hukuk Tarihi (2004)).
109 Vgl. ebenda.
110 Vgl. Özen: Ġstislah (2001), 23:385.
111 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 170.
112 Vgl. Emon, Auwer M.: Natural Law and Natural Rights in Islamic Law.
In: Journal of Law and Religion; 20,2. 2004-2005. 351-395, S. 377 (Im Folgenden: Emon: Natural Law and Natural Rights in Islamic Law (2005)).
113 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 170.
114 Vgl. Özen: Ġstislah (2001), 23:388; al-Ġazālī: al-Mustaṣfā min ʿilm uṣūl alfiqh [o.J.], 2:487-490.
115 Vgl. Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen
Islam (2002), S. 313; az-Zarqā ordnet den istiḥsān auch unter die sekundären
Quellen (maṣādir al-farʿiyya at-tabʿiyya) an: vgl. az-Zarqā: al-Madḫal al-fiqhī al
-ʿāmm [o.J.], S. 87. Auch in neueren uṣūl-Werken ist diese Unterteilung zu sehen: vgl. Zaydān: al-Madḫal (2001), S. 196 (al-maṣādir at-tabʿiyya).
116 Vgl. Wehr: Arabisches Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart
(2007-2008), S. 257.
117 Vgl. ebenda, S. 257 f.
118 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 173 f. Beispielsweise wird in
az-Zarqās Werk dieser Begriff durchgehend in der Behandlung des istiḥsān genutzt: vgl. az-Zarqā: al-Madḫal [o.J.], S. 87-98.
119 Vgl. az-Zarqā: al-Madḫal [o.J.], S. 88.
120 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 173 f. Bernard Weiss stellt den
istiḥsān fälschlicher Weise nur als eine Entscheidung im Sinne von qiyās al-ḫafī
dar und weist nicht auf die verschiedenen Arten, die ich noch im folgenden Kapitel darstellen werde, hin. Er reduziert es eher zu einem tarǧīḥ (Entscheidung).
Daher betrachtet er sowohl istiḥsān als auch istiṣlāḥ als eine Art des qiyās: vgl.
Weiss, Bernard: Interpretation in Islamic Law, the theory of ijtihad. In: The
American Journal of Comparative Law; 26.1978. 199-212, S. 202 (Im Folgenden: Weiss: Interpretation in Islamic Law (1978)).
121 Vgl. Bardakoğlu: Ġstihsan (2001), 23:339; Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 315; al-Ašqar: al-Wāḍiḥ
(2004), S. 144; Opwis: The Construction of Madhhab Authority (2008), S. 220;
Zaydān: al-Madḫal (2001), S. 200 f.; Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 173
f.; Paret: Istiḥsān, Istiṣlāḥ (1978), IV:256; Rohe: Das islamische Recht (2009), S.
64.
122 Vgl. al-Ašqar: al-Wāḍiḥ (2004), S. 144; Tyan, Emil: Méthodologie et
sources du droit en Islam (istiḥsān, istiṣlāḥ, siyāsa sharʿiyya). In: Studia
Islamica; 10.1959. 79-109, S. 84 (Im Folgenden: Tyan: Méthodologie et sources
du droit en Islam (Istiḥsān, Istiṣlāḥ, siyāsa šarʿiyya) (1959)).
123 Vgl. Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen
Islam (2002), S. 315; Bardakoğlu: Ġstihsan (2001), 23:341.
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
124 Vgl. al-Ašqar: al-Wāḍiḥ (2004), S. 145; Abū Zahra: Uṣūl al-fiqh (2006), S.
238 f.; Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam
(2002), S. 322.
125 Al-Ġazālī kritisiert alle Beweise der Ḥanafiten bezüglich des istiḥsān und
sieht auch darin eine Urteilskraft durch persönliche Neigung (hawā), vgl. alĠazālī: al-Mustaṣfā min ʿilm al-uṣūl (o.J.), 2:467 f. Laut Paret akzeptiert alĠazālī den istiḥsān im Sinne von taḫṣīṣ al-ʿilla, aber dies sei schon ein Teil des
qiyās, wodurch eine weitere Benennung mit dem Namen istiḥsān laut al-Ġazālī
überflüssig sei, vgl. Paret: Istiḥsān, Istiṣlāḥ (1978), IV:256.
126 Vgl. Bardakoğlu: Ġstihsan (2001), 23:340.
127 Vgl. ebenda. Aufgrund dieser Kritik von aš-Šāfiʿī findet man auch in den
Definitionen der Befürworter oft die Bemerkung, dass der istiḥsān keine Methode ist, durch welche die persönliche Neigung befürwortet wird.
128 Vgl. Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen
Islam (2002), S. 318.
129 Vgl. al-Ašqar: al-Wāḍiḥ (2004), S. 144; Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 318. In aš-Šāfiʿī, Muḥammad
ibn Idrīs: ar-Risāla. Editiert von Aḥmad Muḥammad Šākir. Kairo: Maktaba dār
at-turaṯ, 2005³, S. 497 heißt es außerdem: „wa-innamā l-istiḥsān talaḏḏuḏ“.
130 Vgl. ebenda, S. 323.
131 Vgl. Bardakoğlu: Ġstihsan (2001), 23:345.
132 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 189 f. Es wird an anderer Stelle betont, dass aš-Šāfiʿī mehr als zwanzig bekannte fatwās erteilt hat, die auf
istiḥsān basieren, vgl. al-Ašqar: al-Wāḍiḥ (2004), S. 144.
133 Vgl. az-Zarqā: al-Madḫal [o.J.], S. 88. Im Verlauf stellt az-Zarqā zwei
weitere Arten des istiḥsān, nämlich istiḥsān as-sunna (istiḥsān der Sunna) und
istiḥsān al-iǧmāʿ (istiḥsān des Konsenses) dar. Diese Darstellung kritisiert er
und stellt dar, dass diese zwei Arten des istiḥsān kein istiḥsān in dem Sinne sein
können. Es sei vielmehr die Entscheidung für eine Sunna oder einen iǧmāʿ ge-
genüber einem qiyās, somit eine Entscheidung pro naṣṣ und contra qiyās. Die
Bezeichnung als istiḥsān sei nicht angebracht (vgl. ebenda, S. 94). Für eine ähnliche Einteilung siehe: Kamali, Muhammad Hashim: Istihsan and the renewal of
Islamic Law. Abrufbar unter: http://www.iais.org.my/en/index.php?
option=com_k2&view=item&task=download&id=33&Itemid=100; (Abruf
22.03.2010; 11.30 Uhr), S. 3 (Im Folgenden Kamali: Istihsan and the renewal of
Islamic Law).
134 Vgl. Zaydān: al-Madḫal (2001), S. 200.
135 Hierunter versteht Abū Zahra auch den istiḥsān al-ʿurf, wodurch er eine
Art des istiḥsān unter einer anderen subsummiert und somit die Anzahl der Arten
reduziert wird, vgl. Abū Zahra: Uṣūl al-fiqh (2006), S. 242.
136 Vgl. Abū Zahra: Uṣūl al-fiqh (2006), S. 240 ff. Atar unternimmt auch eine
Viererteilung, ordnet und bezeichnet sie aber anders: istiḥsān an-naṣṣ (somit
schließt er auch den Koran ein), istiḥsān al-iǧmāʿ, istiḥsān aḍ-ḍarūra und alqiyās al-ḫafī (vgl. Atar: Fıkıh Usûlü (2008), S. 72 f.)
137 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 176; Krawietz: Hierarchie der
Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam (2002), S. 317; al-Ašqar: alWāḍiḥ (2004), S. 145 ff.
138 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 187.
139 Vgl. Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen
Islam (2002), S. 317. Eine detaillierte Behandlung der Einteilung der Arten des
istiḥsān ist in der Überschrift „Arten des istiḥsān“ in der Magisterarbeit wiederzufinden, s. Kurnaz: Der Diskurs um Maqāṣid aš-šarīʿa – Ein Konzept zur Lösung aktueller Rechtsprobleme (2010), S. 84 ff.
140 Vgl. Kaufmann, Artuhr: Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart. Heidelberg: Müller, 2011, S. 220 ff.
141 Vgl. Adachi, Hidehiko: Die Radbruchsche Formel. Baden-Baden: Nomos,
2006, S. 80 f.
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
142 Vgl. Radbruch, Gustav: Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht.
In: Rechtsphilosophie. Hrsg. Ralf Dreier und Stanley Paulson. Heidelberg: Müller, 1999, S. 211 ff.
143 Vgl. Scheuren-Brandes, Christoph: Der Weg von nationalsozialistischen
Rechtslehren zur Radbruchschen Formel. Paderborn [u.a.]: Schöningh, 2006, S.
13.
144 Vgl. Bardakoğlu: Ġstihsan (2001), 23:342.
145 Vgl. ebenda.
146 Vgl. ebenda.
147 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī [o.J.], S. 190.
148 Vgl. ebenda.
149 Vgl. Kamali: Istihsan and the renewal of Islamic Law [o.J.], S. 3.
150 Vgl. ebenda, S. 12.
151 Vgl. Bardakoğlu: Ġstihsan (2001), 23:346.
152 Vgl. Falaturi: Die Šarīʿa – das islamische Recht (1988), S. 101.
153 Für die Diebesstrafe siehe: Koran (5|38).
154 Vgl. Falaturi: Die Šarīʿa – das islamische Recht (1988), S. 106.
155 Vgl. ebenda, S. 108.
156 Vgl. Yavuz: Maksadi Yorum (2006), S. 47.
157 Die Wahrnehmung der Prophetengefährten bezüglich der Urteile kann man
in zwei Arten aufteilen: literarisch (lafẓī) und auf die Absicht bezogen bzw. teleologisch (maqṣadī). Auch wenn die großen Prophetengefährten (aṣ-ṣaḥāba alkibār) und die Gefährten, die ein stark geprägtes Rechtsverständnis besaßen und
somit als Rechtsgelehrte (fuqahāʾ) bezeichnet wurden, wie ʿUmar ibn al-Ḫaṭṭāb,
ʿĀʾiša, ʿAlī ibn Abī Ṭālib, Ibn ʿAbbās und ʿAbd Allāh ibn Masʿūd die Absichten
hinter den Urteilen sahen und demnach urteilten, gab es auch eine Haltung, die
den literarischen Sinn bevorzugte (vgl. Atay: Dini DüĢüncede Reformun Yöntemi ve Bir Örnek: Hırsızlık (2006), S. 15; Kamali: Istihsan and the renewal of Islamic Law [o.J.], S. 5 f.). Als Beispiel kann das Verständnis des Befehls vom
Propheten, dass sie das Nachmittagsgebet (ṣalāt al-ʿaṣr) in Banū Qurayza verrichten sollten, erwähnt werden. Viele der Gefährten haben es so verstanden,
dass sie wirklich in Banū Qurayza zu beten haben, gleichgültig ob die Zeit dafür
abläuft oder nicht. Einige andere hingegen verstanden den Befehl als eine Anregung des Propheten, damit man zügig in Banū Qurayza eintrifft. Diese Gruppe
verrichtete somit das Gebet auf dem Weg und beachtete die Absicht hinter dem
Urteil, die andere Gruppe hielt am Wortlaut fest und betete erst in Banū Qurayza
(vgl. Atay: Dini DüĢüncede Reformun Yöntemi ve Bir Örnek: Hırsızlık (2006),
S. 15-18).
158 Eine Gruppe von Menschen, deren Herzen für den Islam gewonnen werden
sollen oder bei denen versucht wird, ihre Feindschaft gegenüber den Islam einzudämmen, indem laut (9|60) die Möglichkeit besteht, ihnen die Almosensteuer zu
entrichten, vgl. Erdoğan, Mehmet: Fıkıh ve Hukuk Terimleri Sözlüğü. Istanbul:
Ensar NeĢriyat, 2005², S. 414 (Im Folgenden: Erdoğan: Fıkıh ve Hukuk Terimleri Sözlüğü (2005)).
159 Vgl. Köse, Saffet: Hz. Ömer‟in Bazı Uygulamalrı Bağlamında Ahkâmın
DeğiĢmesi TartıĢmalarına Bir BakıĢ. In: Ġslam Hukuku AraĢtırmaları Dergisi; 7.
2006. 13-50, S. 18 (Im Folgenden: Köse: Hz. Ömer’in Bazı Uygulamaları Bağlamında Ahkâmın DeğiĢmesi TartıĢmalarına Bir BakıĢ (2006)).
160 Vgl. Hatiboğlu, Mehmed Said: Ġslâm ve DeğiĢim. In: Ġslamın Aktüel Değeri Üzerine 2. Ankara: Otto, 2009. 91-97., S. 94 (Im Folgenden: Hatiboğlu: Ġslam
ve DeğiĢim (2009)); Falaturi: Die Šarīʿa – das islamische Rechtssystem (1988),
S. 107.
161 Vgl. Köse: Hz. Ömer‟in Bazı Uygulamaları Bağlamında Ahkâmın DeğiĢmesi TartıĢmalarına Bir BakıĢ (2006), S. 29; Atay: Dini DüĢüncede Reformun
Yöntemi ve Bir Örnek: Hırsızlık (2006), S. 21 ff.
162 Vgl. Atay: Dini DüĢüncede Reformun Yöntemi ve Bir Örnek: Hırsızlık
(2006), S. 21 ff.
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
163 Für die Darstellung der Meinung von Rahman und dessen Kritik siehe Sifil, Ebu Bekir: Fazlur Rahmanda Hikmet Maksad Maslahat. In: Makâsıd ve Ġctihad, Hrsg. Ahmet Yaman Konya 2002. 417- 428.
164 Vgl. Köse: Hz. Ömer‟in Bazı Uygulamaları Bağlamında Ahkâmın DeğiĢmesi TartıĢmalarına Bir BakıĢ (2006), S. 30.
165 Für die Möglichkeit der Deklination als „maqṣid“ und „maqṣad“ siehe:
Wehr: Arabisches Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart (20072008), S. 1030.
166 Vgl. Dönmez: Maslahat (2003), 28:80. Für den Vorgang der Sammlung
des Korans und die entsprechenden Überlieferungen siehe: Az-Zarkašī, Badr adDīn: al-Burhān fī ʿulūm al-qurʾān . Editiert von Muḥammad Abū al-Faḍl
Ibrāhīm. Beirut: Dār al-maʿrifa, 1972², 1:295-303.
167 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 49 ff.
168 Vgl. Özen: Ġstislah (2001), 23:383.
169 Vgl. Erdoğan: Ġslam Hukukunda Ahkâmın Değismesi (2009), S.118 f.
170 An dieser Stelle möchte ich auf eine Arbeit hinweisen, die sich damit beschäftigt, Ünal: Ġmam Ebu Hanife‟nin Hadis AnlayıĢı ve Hanefi Mezhebinin Hadis Metodu (2001).
171 Vgl. Karaman: Ġslam Hukuk Tarihi (2004), S. 178.
172 Vgl. ebenda, S. 179 f.
173 Vgl. ebenda.
174 Vgl. ebenda, S. 194.
175 Vgl. Abdulkader, Deina: Modernity, the Principles of Public Welfare
(maslaha) and the Endgoals of Sharīʿa (maqāṣid) in Muslim Legal Thought. In:
Islam and Christian-Muslim Relationship; 14,2. 2003. 163-174, S. 171 f. (Im
Folgenden: Abdelkader: Modernity, the Principles of Public Welfare (maslaha)
and the Endgoals of Sharīʿa (maqāṣid) in Muslim Legal Thought (2003)).
176 Vgl. Karaman: Ġslam Hukuk Tarihi (2004), S. 184 f.
177 Vgl ebenda, S. 181.
178 Vgl. Abdelkader: Modernity, the Principles of Public Welfare (maslaha)
and the Endgoals of Sharīʿa (maqāṣid) in Muslim Legal Thought (2003), S. 171
f.
179 Vgl. Abdelkader: Modernity, the Principles of Public Welfare (maslaha)
and the Endgoals of Sharīʿa (maqāṣid) in Muslim Legal Thought (2003), S. 171
f.
180 Vgl. ebenda.
181 Vgl. Karaman: Ġslam Hukuk Tarihi (2004), S. 195.
182 Vgl. ebenda, S. 191.
183 Vgl. Özen, ġükrü: Ġmam Ebu Mansur al-Maturidi‟nin Fıkıh Usulünün Ġnşası. In: İmam Mâturîdî ve Maturidilik. Hrsg. Sönmez Kutlu. Ankara: kitabiyât,
2003. 203-242, S. 215 (Im Folgenden: Özen: Ġmam Ebu Mansur al-Maturidi‟nin
Fıkıh Usulünün ĠnĢası (2003)).
184 Vgl. ÖzdeĢ, Talip: Maturidi„nin Tevil AnlayıĢında Aklın Yeri. In: Ġmam
Mâturîdî ve Maturidilik. Hrsg. Sönmez Kutlu. Ankara: kitâbiyât, 2003. 243-257,
S. 249 f. (Im Folgenden: ÖzdeĢ: Maturidi„nin Tevil AnlayıĢında Aklın Yeri
(2003)).
185 Vgl. ebenda.
186 Vgl. Kutlu, Sönmez: GiriĢ. In: Ġmam Mâturîdî ve Maturidilik. Hrsg. Sönmez Kutlu. Ankara: kitâbiyât, 2003. 17-55, S. 44 (Im Folgenden Kutlu: GiriĢ
(2003)).
187 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 19.
188 Vgl. ebenda, S. 20-23; Emon: Natural Law and Natural Rights in Islamic
Law (2005), S. 355 ff.;
189 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 27; al-Baṣrī, Abū al-Ḥusayn: al-Muʿtamad
fī uṣūl al-fiqh. Editiert von Ḫalīl al-Mays. Beirut: Dār al-kutub al-ʿilmiyya,
2005³, 2:328 (Im Folgenden: al-Baṣrī: al-Muʿtamad (2005)).
190 Vgl. ebenda; al-Baṣrī: al-Muʿtamad (2005), 2:328.
191 Vgl. ebenda, S. 28; al-Baṣrī: al-Muʿtamad (2005), 2:328.
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
192 Vgl. ebenda, S. 30 f.
193 Vgl. Hallaq, Wael B.: Consideration on the Function and Character of
Sunnī Legal Theory. In: Journal of the American Oriental Society; 104,4. 1984.
679-689, 686 (Im Folgenden: Hallaq: Consideration on the Function and Character of Sunnī Legal Theory (1984)); Masud: Islamic Legal Philosophy (1977), S.
151.
194 Vgl. Yaman: Ġslam Hukuk Ġlmi Açısından Makasıd Ġçtihadının Ġlkeleri Üzerine (2002), S. 160; Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 31.
195 Vgl. Pekcan: Ġslam Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 31; . alǦuwaynī: al-Burhān [o.J.], 2:1338.
196 Vgl. Raysûnî, Ahmet: Makâsıd ve içtihad. Tercüme: Ahmet Yaman. In:
Makâsıd ve Ġctihad. Hrsg. Ahmet Yaman. Konya: Yediveren, 2002. 127-157, S.
131 (Im Folgenden: Raysūnī: Makâsıd ve Ġçtihad (2002)).
197 Vgl. Atay: Dini DüĢüncede Reformun Yöntemi ve Bir Örnek: Hırsızlık
(2006), S. 14.
198 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 34.
199 Vgl. al-Ǧuwaynī: al-Burhān [o.J.], 2:923. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 36.
Opwis fügt hinzu, dass die ḍarūriyyāt dann zustande kommen, wenn die
Bedürfnisse (ḫaǧiyyāt) alle Personen betreffen. Daher müssen diese auch notwendigerweise beachtet werden. Ein weiteres Ergebnis ist, dass die ḥāǧiyyāt
somit spezieller sind als die ḍarūriyyāt: vgl. ebenda, S. 36 f.
200 Vgl. al-Ǧuwaynī: al-Burhān [o.J.], 2:924.
201 Vgl. ebenda, 2:924 f.; Pekcan: Ġslam Hukukunda Gâye Problemi (2003), S.
89.
202 Vgl. ebenda.
203 Vgl. ebenda, 2:926.
204 Vgl. Pekcan: Ġslâm Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 90 f.
205 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 55 f.; Pekcan: İslam Hukukunda Gâye
Problemi (2003), S. 93. Opwis vergleicht diese seine Haltung mit der Haltung
von al-Baṣrī und zeigt, dass sie eine ähnliche Position gegenüber der Maqāṣid aš
-šarīʿa einnehmen. Beide behandeln diese im Rahmen der munāsaba und
Maqāṣid aš-šarīʿa: vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 42.
206 Vgl. Pekcan: Ġslam Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 93 f.
207
Vgl. ebenda, S. 94; al-Ġazālī: al-Mustaṣfā [o.J.], 2:478; Opwis: Maṣlaḥa
(2001), S. 52.
208 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 41.
209 al-Ġazālī: al-Mustaṣfā [o.J.], 2:478 ff.; Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 41;
Muslehuddin: Philosophy of Islamic Law and the Orientalist (1992), S.159 f.;
Khadduri: Maṣlaḥa (1991), VI:739.
210 Vgl. ebenda; Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 42 f.
211 Vgl. ebenda; Koca, Ferhat: Ġslam Hukuk Metodolojisinde Tahsis. Istanbul:
Türkiye Diyanet Vakfı Yayınları, 1996, S. 265 (Im Folgenden: Koca: Ġslam Hukuk Metodolojisinde Tahsis (1996)); Goolam, Nazeem M.: Ijtihad and its significance for Islamic Legal interpretation. In: Michigan State Law Review;
2006.1443-1467, S. 1451 (Im Folgenden: Goolam: Ijtihad and its significance
for Islamic Legal interpretation (2006)).
212 Al-Ġazālī erarbeitet die Stufen heraus und führt für jede Stufe bestimmte
Beispiele an. Die Fundstelle dieser Erarbeitung ist: al-Ġazālī: al-Mustaṣfā [o.J.],
2:481 ff.
213 Vgl. ebenda, 2:487.
214 Vgl. ebenda.
215 Vgl. ebenda, 2:489. Die Ausführungen al-Ġazālīs können ebenfalls in
zusammengefasster Form gefunden werden in: Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 4263; Muslehuddin: Philosophy of Islamic Law and the Orientalists (1992), S. 163
f., 182 f.; Emon: Natural Law and Natural Rights in Islamic Law (2005), S. 367377; Johnston: Maqāṣid al-Sharī„a (2007), S. 160, 246 ff.; Abdelkader: Modernity, the Principles of Public Welfare (maslaha) and the Endgoals of Sharīʿa
(maqāṣid) in Muslim Legal Thought (2003), S. 170 f.; Hourani, George F.:
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
Ghazālī on the Ethics of Action. In: Journal of the American Oriental Society;
96,1. 1976. 69-88, S. 86 f.; Kerr, Malcolm H.: Moral and Legal Judgement Independent of Revelation. In: Philosophy East West; 18,4. 1968. 277-283., S. 279.
216 Opwis stellt verschiedene Modelle der Haltung gegenüber der maṣlaḥa
mursala dar und als erstes Modell gelte das Modell von al-Ġazālī und ar-Rāzī.
Dabei sei ersichtlich, dass beide Gelehrte dieselben Ergebnisse erzielen bzw.
dass ar-Rāzī sich im Wesentlichen auf al-Ġazālī stützt: vgl. Opwis: Maṣlaḥa in
contemporary Islamic Legal Theory (2005), S. 193. Neben diesem Modell kategorisiert Opwis andere Annäherungen in weiteren drei Modellen (Modell von
Qarāfī, aṭ-Ṭūfī und aš-Šāṭibī), wodurch sie vier verschiedene Modelle bezüglich
der maṣlaḥa erzielt: vgl. Opwis: Maṣlaḥa in contemporary Islamic Legal Theory
(2005), S. 193-197.
217 Vgl. ar-Rāzī: al-Maḥṣūl (1999), 3:1471. An dieser Stelle thematisiert arRāzī die Haltung al-Ġazālīs gegenüber der maṣlaḥa mursala und nutzt auch die
gleichen Beispiele, die bei der Untersuchung von al-Ġazālī genannt wurden
(Muslime als Schutzschilder, „Überbordwerfung“ von Menschen etc.).
218 Ar-Rāzī sieht wie al-Ġazālī die Beachtung der maṣlaḥa muʿtabara den
„normalen“ qiyās. Als Beispiel für die maṣlaḥa mulġā nennt er dasselbe Beispiel
bezüglich der fatwā an den Herrscher, der sein Fasten gebrochen habe: vgl. arRāzī: al-Maḥṣūl (1999), 3:1470.
219 Vgl. ar-Rāzī: al-Maḥṣūl (1999), 3:1470 f.; al-Ġazālī: al-Mustaṣfā [o.J.],
2:279 ff.
220 Vgl. ebenda, 3:1471.
221 Vgl. ebenda.
222 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 102.
223 Vgl. ebenda.
224 Vgl. al-Maḥṣūl (1999), 3:1473.
225 Vgl. Šaʿbān: Uṣūl al-fiqh al-islāmī (o.J.), §11; Pekcan: İslam Hukukunda
Gâye Problemi (2003), S. 96.
226 Vgl. al-Āmidī: al-Iḥkām (2005), 3:394.
227 Vgl. ebenda und 3:240-246.
228 Vgl. ebenda, 3:240 f. Die tatimmāt sind laut al-Āmidī nicht basisbietend
(„aṣlan“), sondern sekundär und ergänzend. Diejenigen, die aṣlī sind, sind die,
die z. B. die Beachtung der aḍ-ḍarūriyyāt al-ḫamsa unter der höchsten Stufe gewährleisten: vgl. ebenda.
229 Vgl. ebenda, 3:240.
230 Vgl. ebenda. Die Beispiele für den Schutz der aḍ-ḍarūriyyāt al-ḫamsa sind
die gleichen wie bei al-Ġazālī.
231 Vgl. ebenda, 3:241. Die ḥāǧiyyāt erleichtern das Leben, aber sind nicht
notwendig und die taḥsīniyyāt verschönern die Handlungen und verbessern den
Charakter des Menschen.
232 Vgl. ebenda, 3:240.
233 Vgl. ebenda, 3:204 f.
234 Vgl. ebenda, S. 98.
235 Vgl. Ibn ʿAbd as-Salām, ʿIzz ad-Dīn: Qawāʿid al-aḥkām fī iṣlāḥ al-anām.
Editiert von Nazīr Kamāl Ḥammād [u.a.]. Damaskus: Dār al-qalam, [o.J.], S. 15
f. (Im Folgenden: Ibn ʿAbd as-Salām: Qawāʿid al-aḥkām fī iṣlāḥ al-anām [o.J.],
S. 15 f.; Ibn ʿAbd as-Salām, ʿIzz ad-Dīn: Qawāʾid aṣ-ṣuġrā. Editiert von Iyād
Ḫālid aṭ-Ṭabbāʿ. Damaskus: Dār al-fikr, 1996, 1:32 (Im Folgenden: Ibn ʿAbd asSalām: Qawāʿid aṣ-ṣuġrā (1996)).
236 Vgl. Ibn ʿAbd as-Salām: Qawāʿid aṣ-ṣuġrā (1996), 1:32.
237 Vgl. Haçkalı, Abdurrahman: el-Ġzz ibn Abdisselâm‟da Maslahat-Ġçtihad
İlişkisi. In: Makâsıd ve İctihad, Hrsg. Ahmet Yaman Konya 2002. 247-268, S.
250 (Im Folgenden: Haçkalı: el-İzz ibn Abdisselâm’da Maslahat-İçtihad İlişkisi
(2002)).
238 Vgl. Ibn ʿAbd as-Salām: Qawāʿid al-aḥkām fī iṣlāḥ al-anām [o.J.], S. 5 f.
239 Alle Urteile die muʿallal sind, haben eine ratio, die mit der Vernunft erfasst werden kann. Die Urteile, die taʿabbudī sind, sind mit der Vernunft nicht zu
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
erfassen und somit auch transrational. Hierunter können die gottesdienstlichen
Handlungen subsummiert werden. Hier ist die Anwendung der maṣlaḥa nicht
möglich.
240 Vgl. Haçkalı: el-Ġzz ibn Abdisselâm‟da Maslahat-Ġçtihad ĠliĢkisi (2002), S.
251.
241 Vgl. Pekcan: Ġslam Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 98.
242 Vgl. ebenda, (2003), S. 100.
243 Vgl. al-Qarāfī, Šihāb ad-Dīn: al-Furūq. Editiert von Ḫalīl Manṣūr. Beirut:
Dār al-kutub al-ʿilmiyya, 2001, Band 1-4 (Im Folgenden: al-Qarāfī: al-Furūq
(2001)).
244 Vgl. Pekcan: Ġslam Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 100; Opwis:
Maṣlaḥa (2001), S. 117 f., S. 151; Kerr: Moral and Legal Judgement Independent of Revelation (1986), S. 280.
245 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 147 ff.
246 Vgl. Pekcan: Ġslam Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 100.
247 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 122; al-Qarāfī: Šarḥ tanqīḥ al-fuṣūl fī luṣūl (2004), S. 73 ff.
248 Vgl. ebenda, S. 132 ff.
249 Vgl. Apaydın, H. Yunus: Karafinin Ġzlediği Yöntemin Genel Çizgileri ve
Maslahat AnlayıĢı. In: Makâsıd ve Ġctihad. Hrsg. Ahmet Yaman. Konya: Yediveren, 2002. 269-273, S. 273.
250 Vgl. ebenda.
251 AteĢ betont die Beachtung der maṣlaḥa und bezieht sich auf aṭ-Ṭūfī, den er
als eine wichtige Figur für die heutige Entwicklung der Beachtung der maṣlaḥa
sieht, obwohl aṭ-Ṭūfī seine Abhandlung vor 700 Jahren verfasst hat, vgl. AteĢ:
Kur‟ân Ansiklopedisi [o.J.], 13:43-46. Er führt sogar eine türkische Übersetzung
der Risāla fī riʿāya al-maṣlaḥa an: siehe Ateş, Süleyman: Kur’ân Ansiklopedisi.
Istanbul: Kuba, [o.J.], 13:49-68 (Im Folgenden: AteĢ: Kur‟ân Ansiklopedisi
[o.J.]).
252 Vgl. Döndüren, Hamdi: Sosyal Değişme Karşısında İslam Hukuku ve Yeni YaklaĢımlar. In: Ġslam Hukuku AraĢtırmaları Dergisi; 1. 2003. 29-50, S. 41 f.
(Im Folgenden: Döndüren: Sosyal Değişme Karşısında İslam Hukuku ve Yeni
YaklaĢımlar (2003)).
253 Vgl. ebenda; Koca: Ġslam Hukuk Metodolojisinde Tahsis (1996), S. 272 ff.
254 Vgl. aṭ-Ṭūfī: Risāla fī riʿāyat al-maṣlaḥa (1993), S. 13-18. Auf diesen genannten Seiten gibt der Editor in Fußnoten verschiedene Erklärungen der jeweiligen Termini technici an.
255 Vgl. ebenda, S. 23.
256 Vgl. ebenda, S. 23 f.
257 Vgl. ebenda, S. 29 f.
258 Vgl. ebenda, S. 28 f. An dieser Stelle fasst er die Meinung der Muʿtazila
und ahl as-sunna zusammen und kommt zum Ergebnis, dass die Beachtung der
maṣlaḥa die Güte Gottes ist und Er damit nicht verpflichtet ist, sie zu beachten,
wie die Muʿtazila es im Gegensatz zu der ahl as-sunna behauptet.
259 Vgl. ebenda, S. 30.
260 Vgl. ebenda, S. 31.
261 Vgl. Johnston, David: A Turn in the epistemology and hermeneutics of
Twentieth-Century uṣūl al-fiqh. In: Islamic Law and Society; 11,2. 2004. 233282, S. 253 (Im Folgenden: Johnson: A Turn in the epistemology and hermeneutics of Twentieth-Century uṣūl al-fiqh (2004)); Kayadibi, Saim: Al-ṬūfīCentred Approach To al-Maṣlaḥah al-Mursalah (Public Interest) in Islamic Law.
In: Ġslam Hukuku AraĢtırmaları Dergisi; 9. 2007. 71-96, S. 79 (Im Folgenden:
Kayadibi: Al-Ṭūfī-Centred Approach To al-Maṣlaḥah al-Mursalah (Public Interest) in Islamic Law (2007)).
262Vgl. aṭ-Ṭūfī: Risāla fī riʿāyat al-maṣlaḥa (1993), S. 29.
263 Vgl. ebenda, S. 27.
264 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 162 f.
265 Vgl. ebenda, S. 164.
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
266 Vgl. ebenda, S. 165 f.
267 Vgl. ebenda, S. 169.
268 Vgl. Pekcan: Ġslam Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 104 f.; Ibn Taymiyya: as-Siyāsa aš-šarʿiyya (1983), S. 20-25. Auf diesen Seiten wird oft die
Verbesserung der Menschen (iṣlāḥ) betont und dass die Šarīʿa dafür herabgesandt wurde. Diese sind alle Zeichen dafür, dass die maṣlaḥa beachtet werden
muss.
269 Vgl. Apaydın, Yunus: Ġbn Kayyim el-Cevziyye. In: Türkiye Diyanet Vakfı
İslam Ansiklopedisi. Bd. 20. Istanbul: Türkiye Diyanet Vakfı Yayınları, 1999.
109-123.,S. 114 f.
270 Vgl. Johnston: A Turn in the epistemology and hermeneutics of TwentiethCentury uṣūl al-fiqh (2004), S. 249-252.
271 Vgl. Yavuz: Maksadi Yorum (2002), S. 61.
272 Vgl. Falaturi: die Šarīʿa – das islamische Rechtssystem (1988), S. 104.
273 Vgl. al-Ǧawziyya, Ibn Qayyim: Iʿlām al-muwaqqiʿīn ʿan Rabb al-ʿālamīn.
Editiert von Ṭāhā ʿAbd ar-Raʾūf Saʿd. Kairo: Maktaba kulliyyāt al-Azhariyya,
1968, Band 3. Unter dieser Abhandlung diskutiert er Themen wie ob eine Frau
während ihrer Menstruation die Moschee betreten und die Kaaba umrunden darf.
Außerdem beachtet er die Urteilsänderungen bezüglich der Diebesstrafe durch
den Propheten und ʿUmar. All diese bewertet er unter der Beachtung der maṣlaḥa der Menschen und dem Wandel der Zeit und der Möglichkeiten der Menschen.
274 Vgl. Pekcan: Ġslam Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 108.
275 Siehe z.B. aš-Šāṭibī: al-Muwāfaqāt [o.J.], 2:2 f.
276 Vgl. ebenda, 2:3; Masud: Islamic Legal Philosophy (1977), S. 223.
277 Vgl. ebenda, 2:3 f.
278 Vgl. ebenda, 2:4; Masud: Islamic Legal Philosophy (1977), S. 226.
279 Unter den ḥāǧiyyāt subsummiert aš-Šāṭibī die Beachtung der ar-ruḫṣa, vgl.
Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 332.
280 Vgl. aš-Šāṭibī: al-Muwāfaqāt [o.J.], 2:4 ff.
281 Vgl. ebenda, 2:5 ff.
282 Vgl. ebenda, 2:8-15.
283 Vgl. Masud: Islamic Legal Philosophy (1977), S. 291.
284 Paret übersetzt das Wort diya in (4|92) als Wergeld: vgl. Paret: Der Koran
(2007), S. 69.
285 Vgl. ebenda, S. 293 ff.
286 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 305; Hallaq, Wael B.: The Primacy of the
Qurʾān in Shāṭibīs Legal Theory. In: Islamic Studies Presented to Charles J. Adams. Hrsg.: Wael B. Hallaq and Donald P. Little. Brill 1991. 69-90, S. 76 (Im
Folgenden: Hallaq: The Primacy of the Qurʾān in Shāṭibīs Legal Theory (1991));
aš-Šāṭibī: al-Muwāfaqāt [o.J.], Band 3. Dieser Band des Werkes handelt im Wesentlichen über die Beziehung unter den mekkanischen und medinensischen
Suren.
287 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa (2001), S. 305 ff.; Hallaq: The Primacy of the
Qurʾān in Shāṭibīs Legal Theory (1991), S. 76.
288 Vgl. ebenda, S. 309.
289 Vgl. Hallaq: The Primacy of the Qurʾān in Shāṭibīs Legal Theory (1991),
S. 69 f.; aš-Šāṭibī: al-Muwāfaqāt (2008), S. 759 („al-iǧtihād lā yatawaqqafu ʿalā
l-luġa“).
290 Vgl. ebenda, S. 72.
291 Vgl. ebenda, S. 73.
292 Die Entscheidungsfolge für die Beachtung der maṣlaḥa wurde aufgrund
des Rahmens der Arbeit unbeachtet gelassen. Für weitere zusammenfassende
Informationen für die Theorie aš-Šāṭibīs siehe: Opwis: Maṣlaḥa (2001); Masud:
Islamic Legal Philosophy (1977).
293 Vgl. Hermansen, Marcia K.: Shāh Walī Allāh of Delhi's "Ḥujjat Allāh alBāligha": Tension between the Universal and the Particular in an EighteenthCentury Islamic Theory of Religious Revelation. In: Studia Islamica; 63. 1986.
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
143-157, S. 144 (Im Folgenden: Hermansen: Shāh Walī Allāh of Delhi's "Ḥujjat
Allāh al-Bāligha" (1986)).
294 Vgl. Pekcan: Ġslam Hukukunda Gâye Problemi (2003), S. 110.
295 Vgl. Hermansen: Shāh Walī Allāh of Delhi's "Ḥujjat Allāh alBāligha" (1986), S.144; Goolam: Ijtihad and its significance for Islamic Legal
interpretation (2006), S. 145 f.
296 Vgl. ebenda, S. 146 f.
297 Vgl. ebenda, S. 151 f.
298 Vgl. Layish, Aharon: The contribution of the Modernists to the Secularisation of Islamic Law. In: Middle Eastern Studies; 14,3. 1978. 263-277, S. 263;
Opwis: Maṣlaḥa in contemporary Islamic Legal Theory (2005), S. 197.
299 Vgl. ebenda; Kerr: Moral and Legal Judgement Independent of Revelation
(1986), S. 281.
300 Vgl. ebenda, S. 264; Opwis: Maṣlaḥa in contemporary Islamic Legal Theory (2005), S. 197.
301 Vgl. ebenda; Johnston: Maqāṣid al-Sharī„a (2007), S. 257.
302 Vgl. ebenda, S. 266.
303 Für eine zusammenfassende Erklärung des talfīq siehe Erdoğan: Fıkıh Terimleri Sözlüğü (2005), S. 562 f.
304 Vgl. Özervarlı, M. Sait: Muhammed Abduh. In: Türkiye Diyanet Vakfı
İslam Ansiklopedisi. Band 30. Istanbul: Türkiye Diyanet Vakfı Yayınları, 2005.
482-487, S. 482; Rogler: Maqâsid al-sharîʿa als religiöses Reformkonzept
(2009), S. 23; Masud: Islamic Legal Philosophy (1977), S. 173.
305 Vgl. Ibrahim, Yasir S.: Rashid Riḍā and maqāṣid al-Sharīʿa. In: Studia Islamica; 102/103. 2006. 157-198, S. 157 (Im Folgenden: Ibrahim: Rashid Riḍā
and Maqāṣid al-Sharīʿa (2006)).
306 Vgl. ebenda, S. 169; 181-198. Zum Beispiel legitimiere Riḍā den Verzehr
vom Fleisch, der durch die ahl al-kitāb (Schriftbesitzer) geschlachtet und zubereitet wurde. In erster Linie ist nicht die Art und Weise, wie man das Tier
schlachtet, relevant, sondern ob damit ein rituelles Schlachten für andere Gottheiten beabsichtigt ist oder nicht, so Riḍā. Es wird hauptsächlich das Verbot behandelt, das Fleisch der von Polytheisten geschlachteten Tiere nicht zu verzehren, weil hiermit die Opfergabe an andere Götter beabsichtigt wurde, was Beigesellung (širk) bedeutet. Jedoch ist dies nicht der Fall, wenn die Leute der Schrift
Tiere schlachten. Wenn demnach kein religiöses Motiv beim Zubereiten von
Fleisch bzw. Essen vorzufinden ist, so kann ein Muslim dies auch verzehren.
307 Vgl. Bigiyef, Musa Carullah: Ġslam ġeriatının Esasları, DeğiĢkenler ve Sabiteler. Ankara: kitâbiyât, 2002, S. 8 (Im Folgenden: Bigiyef: Ġslam ġeriatının
Esasları, DeğiĢkenler ve Sabiteler (2002)).
308 Vgl. ebenda, S. 8.
309 Beispiel für die ḫilāfa auch im Bereich des tašrīʿ sei (38|26), vgl. Bigiyef:
İslam Şeriatının Esasları, Değişkenler ve Sabiteler (2002), S. 9.
310 Vgl. ebenda, S. 18. Außerdem führt er als Beweis den Vers (42|13) an.
311 Vgl. ebenda, S. 91.
312 Siehe für die detaillierte Erarbeitung Kurnaz: Der Diskurs um Maqāṣid aššarīʿa – Ein Konzept zur Lösung aktueller Rechtsprobleme (2010), S. 155-165.
313 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa in contemporary Islamic Legal Theory (2005), S.
218.
314 Vgl. ebenda, S. 219.
315 Für die Darstellung des Lebens und der Werke von aṭ-Ṭāhir ibn ʿĀšūr siehe Pekcan, Ali: Muhammed et-Tâhir b. ÂĢûr (1879-1973). In: Ġslam Hukuku
AraĢtırmaları Dergisi; 6. 2005. 449-460.. Für die zusammenfassende Darstellung
seiner Meinungen bezüglich der Maqāṣid aš-šarīʿa siehe Günay, Mehmet: Ibn
AĢur ve Makasid AnlayıĢı. In: Makâsıd ve Ġctihad, Hrsg. Ahmet Yaman Konya
2002. 384-416..
316 Vgl. Ibn ʿĀšūr: Maqāṣid aš-šarīʿa al-islāmiyya (2001), S. 163-172.
317 Vgl. ebenda, S. 179-181.
318 Vgl. ebenda, S. 180.
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
319 Vgl. ebenda, S. 207-228.
320 Vgl. ebenda, S. 241-247.
321 Vgl. ebenda, S. 259-267.
322 Vgl. ebenda, S. 299-316.
323 Bei dem salam-Vertrag wird etwas verkauft, was noch nicht vorhanden ist.
Die Ware wird nicht gleichzeitig mit der Bezahlung ausgehändigt, sondern erst
im Nachhinein (s. Erdoğan, Mehmet: Fıkıh ve Hukuk Terimleri Sözlüğü. Istanbul: Ensar NeĢriyat, 2005, S. 56). Da nach dem allgemeinen Prinzip „Etwas
Nicht-Vorhandenes (maʿdūm) darf auch nicht verkauft werden“ ist diese Art eines Vertrages nichtig. Doch durch die Sunna wird eine Ausnahme gemacht und
der qiyās zum allgemeinen Prinzip unterlassen. Diesen Vorgang nennen die Ḥanafiten istiḥsān bi-s-sunna, vgl. Bardakoğlu, Ali: İstihsan (2001), 23:343.
324 Vgl. Ibn ʿĀšūr: Maqāṣid aš-šarīʿa al-islāmiyya (2001), S. 380-383.
325 Vgl. ebenda, S. 340-345.
326 Vgl. ebenda, S. 346-349. In den folgenden Kapiteln gibt Ibn ʿĀšūr noch
weitere Methoden an, wie dass keine Details in den Urteilen angegeben werden.
Darauf werde ich aber nicht zurückgreifen, weil das den Rahmen dieser Arbeit
überschreiten würde.
327 Die Prinzipien des taġayyur al-aḥkām (Änderung der Urteile), die in der
Magisterarbeit ebenfalls ansatzweise behandelt wurden, werden an dieser Stelle
nicht thematisiert.
328 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa in contemporary Islamic Legal Theory (2005), S.
189; Johnston: A Turn in the epistemology and hermeneutics of TwentiethCentury uṣūl al-fiqh (2004), S. 236.
329 Vgl. ebenda; Johnston: A Turn in the epistemology and hermeneutics of
Twentieth-Century uṣūl al-fiqh (2004), S. 236.
330 Vgl. ebenda; Johnston: A Turn in the epistemology and hermeneutics of
Twentieth-Century uṣūl al-fiqh (2004), S. 236 f.
331 Vgl. ebenda, S. 190; Johnston: A Turn in the epistemology and hermeneutics of Twentieth-Century uṣūl al-fiqh (2004), S. 237.
332 Vgl. Johnston: A Turn in the epistemology and hermeneutics of TwentiethCentury uṣūl al-fiqh (2004), S. 238; Alper, Hülya: Ġmam Mâtürîdî‟de Akıl-Vahiy
İlişkisi. Istanbul: İz Yayıncılık, 2010², S. 93-95.
333 Vgl. Opwis: Maṣlaḥa in contemporary Islamic Legal Theory (2005), S.
192.
334 Vgl. ebenda.
335 Vgl. ebenda, S. 193.
336 Einige Beispiele wurden in der Magisterarbeit angeführt. An dieser Stelle
kann auf folgende Rechtsgutachten hingewiesen werden, die ihre Argumentation
auf den maṣāliḥ bzw. den Maqāṣid aufbauen, vgl. Eich, Thomas/Grundmann,
Johannes: Muslimische Rechtsmeinungen zu Hirntod, Organtransplantation und
Leben. [o.O.] [o.J.].; Takım, Abdullah: Bioethik in der Türkei. Bochum: RuhrUniversität Bochum, 2005. Abrufbar unter: http://www.ruhr-uni-bochum.de/
orient/bioethik/dokumente/bioethiktuerkei2.pdf; Krawietz, Birgit: Die Ḥurma:
schariatrechtlicher Schutz vor Eingriffen in die körperliche Unversehrheit nach
arabischen Fatwas des 20. Jahrhunderts. Berlin: Duncker und Humblot, 1991; At
-Tayyib, Ahmad: Die Gentechnologie aus der Sicht des Islams. In: Bioethik im
christlich-islamischen Dialog. Hrsg. Thomas Eich/Helmut Reifeld. St. Augustin:
Konrad Adenauer Stiftung e.V., 2004. 65-76.
337 Das Werk al-Mabsūṭ ist ein Kommentar (šarḥ) des Werkes al-Muḫtaṣar al
-kāfī – wiederum ein Kommentar des Werkes von Muḥammad bin Ḥasan ašŠaybānī – von Muḥammad ibn Muḥammad al-Marwazī, bekannt als Ḥākim ašŠahīd (gest. 334/945), das zur Zeit der Gefangenschaft des as-Saraḫsī entstanden
ist. Es ist eines der wichtigsten furūʿ-Werke der ḥanafitischen Literatur und hat
auch die ḥanafitische Jurisprudenz bis in das 19. Jahrhundert geprägt. Dieses
Werk beschäftigt sich auch mit dem furūʿ der restlichen Rechtsschulen und versucht nicht nur die ḥanafitische Rechtsschule zu bestätigen, sondern eher eine
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Serdar Kurnaz: Maqāṣid aš-šarīʿa
Analyse und eventuelle Korrekturen zu unternehmen, s. as-Saraḫsī, Šams alAʾimma: Kitāb al-Mabsūṭ. Editiert von Muḥammad Ḥasan Muḥammad Ḥasan
Ismāʿīl. Beirut: Dār al-kutub al-ʿilmiyya, 2009³, 1: 46 f. und 68 ff (Im Folgenden
as-Saraḫsī: al-Mabsūṭ (2009)); Hamidullah, Muhammed: Serahsî, Şemsüleimme.
In: Türkiye Diyanet Vakfı Ġslâm Ansiklopedisi. Band 36. Istanbul: TDV Yayınları, 2009. 544-547, S. 546. Calder, N: al-Sarakhsī. In: The Encyclopaedia of Islam (second edition). Band IX. Leiden: Brill, . S. 35 f.
338 Siehe Quellenangabe der Endnote 337.
339 Der Anfang dieser Diskussion lässt sich finden in as-Saraḫsī: al-Mabsūṭ
(2009), 1:147 (bāb al-wuḍūʾ wa-l-ġusl). Damit verbunden bietet auch das Kapitel bāb al-biʾr ähnliche Informationen an, vgl. as-Saraḫsī: al-Mabsūṭ (2009),
1:219-228.
340 Vgl. as-Saraḫsī: al-Mabsūṭ (2009), 1:172.
341 Vgl. ebenda, 1:172 f.
342 Vgl. ebenda, 1:174.
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Mark Chalîl Bodenstein: Koranische Rückbeziehung religionsdidaktischer Konzepte
Dr. Mark Chalîl Bodenstein1
KORANISCHE RÜCKBEZIEHUNG RELIGIONSDIDAKTISCHER KONZEPTE
geisteswissenschaftlich oder eben theologisch ausgerichtet, angepasst werden
(müssen). Zu berücksichtigen ist, dass es nicht um die islamische ReligionspädaAls ein gängiges Argument in der Diskussion über islamischen Religionsunter- gogik geht, sondern nur um den Teil, der sich auf den Lernort Schule bezieht und
richt, das Michael Kiefer in einem früheren Artikel aufgreift, kann das Problem somit bestimmte Prämissen berücksichtigen muss. Auch wenn man nach Domseiner eigenständigen islamischen Religionspädagogik und Fachdidaktik gelten, gen die Lernorte zusammen denken und systemisch aufeinander beziehen muss,
die – so die Argumente verschiedener Akteure im Feld – sich einerseits nicht auf so hat doch »[j]eder Lernort […] seine eigene Logik [und] verfolgt ein eigenes
Vorbilder aus sogenannten islamischen Ländern berufen könnten und andererKonzept religiöser Bildung, Erziehung und Sozialisation«.5 Deshalb kann auch
seits gegenüber der traditionsreichen »evangelischen und katholischen Fachdidifferenziert werden zwischen der Moscheegemeinde, in der eher rituell gelernt,
daktik […] ein eigenständiges Profil entwickeln« müssten. Deren Einfluss sei
und der Schule, in der stärker die intellektuell-theologische Dimension betont
schon bedenklich groß und Kiefer verweist auf das Beispiel der katholischen
wird, ohne fürchten zu müssen, dass durch eine stärker schülerorientierte theoloKorrelations- bzw. evangelischen Verschränkungsdidaktik, »die scheinbar nun
gische Ausrichtung des schulischen Religionsunterrichts die orthopraxe Dimenauch unvermeidliche Bestandteile einer islamischen Fachdidaktik zu sein hasion des Islams vernachlässigt würde.
2,3
ben«. Fragt sich nun, ob nicht doch didaktische Modelle aus der christlichen
So wie auch die christlichen Religionsunterrichte damit umgehen müssen,
Religionspädagogik akzeptabel wären beziehungsweise sogar als genuin islami- dass die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler nicht mehr unbedingt religiös
sche Modelle gelten könnten, oder aber, ob nicht unter den gegebenen gesellsozialisiert oder vorgebildet sind, steht auch der islamische Religionsunterricht
schaftlichen, rechtlichen und politischen (?) Bedingungen der (Post-)Moderne,
vor dem Problem einer äußert inhomogenen Schülerschaft, deren gemeinsamer
die erst zur lebhaften Entwicklung (auch) der Religionspädagogik beigetragen
Nenner eine im Zweifel als ethnisch zu charakterisierende Zugehörigkeit zum
haben, kaum prinzipiell anders geartete »islamische« Modelle entstanden und
Islam ist.
viabel wären, wir nur erst zu einem recht späten Zeitpunkt in die religionspädaBesonders auf diese schwierige Konstellation soll mit korrelativen Didaktikgogische Diskussion einsteigen, wodurch sie wie übergestülpt erscheinen. Mög- modellen reagiert werden können, weil hier den verschiedensten Erfahrungen der
licherweise kann man aber auch von allgemeinen, säkularen, originär nicht fach- Schülerinnen und Schüler Deutungsangebote aus der islamischen Glaubensüberspezifischen Modellen sprechen, als Teil der allgemeinen pädagogischen Entlieferung gegenübergestellt werden. Dies bezieht sich sowohl auf die Korrelatiwicklungen und Debatten der vergangenen Jahrzehnte – wie ein Blick auf das
onsdidaktik an sich, aber auch auf die didaktischen Modelle der Elementarisie4
von Kiefer selbst herangezogene quasi Standardwerk von Jank & Meyer zeigt –, rung, der Symboldidaktik und des Konstruktivismus.
die nur jeweils an die verschiedenen Fächer, seien sie naturwissenschaftlich,
1 Eine »islamische« Religionsdidaktik?
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Mark Chalîl Bodenstein: Koranische Rückbeziehung religionsdidaktischer Konzepte
mit einem bestimmten Vorverständnis herangeht, sondern die Erfahrung, die
Frage des Menschen, auf die der Text antwortet. Hierbei lassen sich zum einen
Schon Bülent Uçar hat 2008 mit Blick auf Korrelationsdidaktik und Elementari- elementare, generalisierbare Erfahrungen und Fragen des Menschen heranziesierung angeregt, die Ansätze der evangelischen und katholischen Didaktiken
hen, zum anderen aber auch konkrete Erfahrungen, von denen Schüler im Unterweder blind nachzuahmen noch sie zu ignorieren, sondern vielmehr ihre Zielset- richt berichten. Als problematisch kann angesehen werden, dass theologische
zungen und Voraussetzungen auf »Kompatibilität mit dem Islam hin« zu unter- Korrelationen auch didaktische begründen sollen, wo doch zum einen die Lesuchen.6 Denn auch wenn diese Didaktiken im traditionellen islamischen Bilbenssituation der Schüler Ausgangspunkt für die Konstruktion von Entsprechundungswesen nicht verbreitet waren und sind (was im Einzelfall zu überprüfen
gen sein soll, und zum zweiten die Schüler selbst die Korrelationen aufdecken,
wäre), sagt das noch nichts darüber aus, ob sie nicht doch kompatibel, wenn
also lernen sollen, die richtigen Fragen zu stellen, um so in einen Dialog mit der
nicht sogar begründbar sind. An dieser Stelle soll gar nicht erst der Versuch un- Offenbarung und der Glaubensüberlieferung einzutreten.
ternommen werden, Vorläufer solcher Didaktikmodelle in der muslimischen BilInwieweit kann nun vom Koran behauptet werden, dass er hörerorientiert sei
dungstradition ausfindig zu machen, sondern vielmehr untersucht werden, ob
und korrelativ argumentiere? Zumindest die muslimische Exegesetradition geht
nicht im Koran selbst Ansätze von Korrelations- und Symboldidaktik zu entde- davon aus, dass große Teile des Korans mit sogenannten Offenbarungsumstäncken sind.
den in Verbindung gebracht werden können, den asbāb an-nuzūl, wie sie schon
in frühesten tafsı̄r-Werken, wie von Muqātil b. Sulaymān (st. 150/767), durch
ergänzende Berichte aus dem Leben des Propheten dargestellt wurden, die aber
2.1 Korrelationsdidaktik
auch in expliziten asbāb an-nuzūl-Werken – die bekanntesten sind die von ʿAlı̄
Grundlage der Korrelationsdidaktik ist das reziproke Verhältnis von »Erfahrung b. Aḥmad al-Wāḥidī (st. 468/1075) und Ǧalāl ad-Dı̄n ʿAbd ar-Raḥmān b. Abı̄
und Offenbarung, von heutiger Situation und von gelebtem und überliefertem
Bakr as-Suyūṭı̄ (st. 911/1505) – gesammelt wurden.10
Glauben«, das für die christliche Religionspädagogik seinen Ursprung in den
Welcher kausale Zusammenhang auch immer zur Offenbarung bestehen mag,
7
christlichen Theologen Paul Tillich und Karl Rahner hat. Eine Krise hat die
so lässt sich schon behaupten, dass einerseits der Koran explizit Bezug nimmt
Korrelationsdidaktik in den vergangenen Jahren erlebt, insofern man in der Pra- auf die Ereignisse und Anfragen der Hörer, und andererseits in der Exegese der
xis »ausgehend von der Traditionsentfaltung, immer seltener bei den ErfahrunVersuch unternommen wird, Koranpassagen mit berichteten Ereignissen zu korgen ankam. Versuche der Erfahrungskatechese haben umgekehrt gezeigt, daß
relieren.
man von den Erfahrungen nicht selbstverständlich zur christlichen Tradition geAls ein Beispiel könnte Q 2:189 genommen werden, die beginnt mit: »Sie fra8
langt«. Denn in der Praxis und in der Diskussion werden die beiden Pole Tradi- gen dich nach den Neumonden: Sprich …«, eine Formulierung, die sich in den
tion und Lebenswelt zugespitzt und gegeneinander ausgespielt. Also weder die
nachfolgenden Versen 215, 217, 219 und 222 wiederholt (»yasʾalūnaka …qul
deduktive noch die induktive Korrelation führt automatisch zum gewünschten
…«). Zu Q 2:189 bemerkt al-Wāḥidı̄ zum einen, dass Muʿaḏ b. Ǧabal sich an den
9
Ziel.
Propheten wandte und sagte, dass die Juden ständig nach dem Mond fragten,
Ausgangspunkt (der deduktiven Korrelation) ist nicht der Text, an den man
worauf dieser Vers offenbart worden sei. Zum zweiten führt er einen Bericht an,
2 Koranische Wendung christlicher Religionsdidaktik …
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Mark Chalîl Bodenstein: Koranische Rückbeziehung religionsdidaktischer Konzepte
wonach zwei von den anṣār mit Fragen nach dem Mond zum Propheten kamen.11 Wir sehen also sowohl wie der Koran auf die Anliegen seiner Hörer eingeht als auch wie die Exegeten versuchen, entweder induktiv die Lebenswelt der
frühen Gemeinde mit dem Koran, oder aber deduktiv, den Koranvers mit der Lebenswelt zu korrelieren.
Weitergehend würde ich behaupten, dass der Koran auch bei den Berichten
über die früheren Propheten sich korrelationsdidaktischer Elemente bedient. So
nimmt der Koran mit ihnen die Notlage des Propheten auf, bei seinem eigenen
Volk kein Gehör zu finden und für seine Warnungen verfolgt zu werden, und mit
der Geschichte von Abraham/Ibrāhı̄m sogar dessen Auswanderung und auch
räumliche Distanzierung von seinen Vorvätern und deren Glauben zu thematisieren. Der Eindruck, dass der Koran die Prophetengeschichten nicht der Geschichten selbst wegen, sondern ihrer moralischen Wirkung auf den Hörer wegen erzählt, verstärkt sich noch, wenn man sieht, dass sie zum guten Teil ihrer historischen Elemente entkleidet sind, oder sogar, wie in Q 17:23 das Volk Noahs die
Gottheiten Wadd, Suwāʿ, Yaġūṯ, Yaʿūq und Naṣr anbeteten, Namen aus dem arabischen Götterhimmel zu Zeiten des Propheten Muḥammad,12 womit der Koran
zudem Prinzipien der Elementarisierung berücksichtigt und genau in die Welt
des Propheten und der Ersthörer traf und sie somit in ihrer elementaren Erfahrung der Ausgrenzung stärken konnte.
Ideen oder Theorien« und ist »der Prozess der Bildung von Hypothesen in Anbetracht von erklärungsbedürftigen Tatsachen«.15 Es handelt sich also um ein
Modell der Interpretation, nach dem Beobachtungen in schon bestehende Kategorien eingeordnet oder mit neuen Hypothesen erklärt werden (können). In didaktischer Perspektive soll der Schlussmodus der Abduktion ergänzend zur Deduktion und Induktion Wissenserweiterung und Lernfortschritt ermöglichen, der
»nur aus gedeutetem und verarbeitetem <Altem> emergieren« kann.16 Im Grunde tut der Koran auch nichts anderes, indem er die individuelle – für ihn selbst
möglicherweise überraschende – Situation des Propheten Muḥammad aufgreift,
sie in die schon bekannte Prophetologie einordnet, aber nicht dabei stehen bleibt,
sondern im dritten Schritt das »Alte«, die »Fabeln der Früheren« (asāṭı̄r al- auwalı̄n, Sg. usṭūra) (neu) deutet. Nehmen wir als ein Beispiel etwa Q 54: dort
werden fünf sogenannten Straflegenden der Völker von Noah (Nūḥ), der ʿĀd und
Ṯāmūd, Lots (Lūṭ) und des Pharaos angerissen, an drei Stellen unterbrochen
durch den Vers »Wir haben die Lesung (al-qurʾān) leichtgemacht zur Mahnung:
Doch ist da einer der sich mahnen lässt?« (Q 54:22; 32; 40). Diese verbinden die
Geschichten der Alten mit den aktuellen Erfahrungen der Zurückweisung und
Ignoranz und deuten sie in Verbindung mit dem die Sure rahmenden eschatologischen Passus: »Euresgleichen haben wir bereits zugrunde gehen lassen. Doch
ist da einer, der sich mahnen lässt?« (Q 54:51) Nicht die historische Beschreibung, nicht der Trost des Propheten, dass es vor ihm schon anderen Gesandten
gleich ergangen ist, sondern das Weiterführende bestimmt diese Sure und führt
2.1.1 Abduktive Korrelation
zu Wissensgewinn und möglichem Lernfortschritt.
Ob eine solche Korrelation aber heute noch funktioniert scheint angesichts der
Es ist also nicht gänzlich zu verwerfen, dass der Koran nicht nur die quasi
Debatte in der christlichen Religionspädagogik durchaus zweifelhaft. Deshalb
klassischen Formen der induktiven und deduktiven Korrelation als didaktische
soll noch ein Blick auf den Versuch einer Neuausrichtung der Korrelationsdidak- Methode verwendet, sondern – unter Einbeziehung der Elementarisierung – die
tik auf die abduktive Korrelation13 geworfen werden, die grundsätzlich von einer elementaren Erfahrungen der ersten Hörer aufgreift, mit Althergebrachtem kor»Konvergenz von Tradition und Lebenswelt in religiöser Hinsicht« ausgeht. 14
reliert und im abduktiven Schlussmodus zu einer neuen Perspektive zusammenAbduktion kann nach Charles Sanders Peirce bestimmt werden als »der Weg
führt.
vom Einzelnen zum Allgemeinen, von überraschenden Tatsachen zu erklärenden
Mit diesem aus dem semiotischen Denken von Peirce übernommenen Ansatz
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Mark Chalîl Bodenstein: Koranische Rückbeziehung religionsdidaktischer Konzepte
nähern wir uns gleich der Symboldidaktik an, die davon in gleicher Weise profi- mit dem Abstieg in den Brunnen der Geschichte des Menschen mit Gott, mit
tieren kann.
dem Zusammenfügen des Symbols ein: die Aktualisierung des Rituals in der
Nachahmung des Propheten Muḥammad und zuvor Ibrāhı̄m; die Bewusstwerdung der absoluten Ergebung des Propheten Ibrāhı̄m in den Willen Gottes und
2.2 Symboldidaktik
der unglaublichen Bereitschaft, das ihm in der Welt teuerste zu opfern, sein eigeAls zweiter Ansatz soll an dieser Stelle die Symboldidaktik beispielhaft behan- nes Kind; die Barmherzigkeit Gottes, auf das größte Opfer zu verzichten und
delt werden.17 Der Begriff des Symbols scheint selbst schon ambivalent genug
sich mit einem Tieropfer zu begnügen; religionsgeschichtlich sehen wir hier
zu sein, aber an dieser Stelle könnte es genügen, auf den Verweischarakter des
möglicherweise den Zeitpunkt des Wandels vom – in sogenannten primitiven
Symbols hinzuweisen, der jedoch für das semiotische Zeichen allgemein gültig Religionen nicht unüblichen – Menschenopfer zum Tieropfer. Damit soll der
ist. Das Symbol selbst, sei es bildlich oder sprachlich, hat für sich selbst eine Be- Symbolisierungsprozess nur beispielhaft angerissen werden, ohne eine Bedeudeutung – so dass ein Text auf der wörtlichen oder figurativen Ebene einen Sinn tung festlegen zu wollen. Aber es wird klar, dass über die Symbolisierung die an
behält, wenn nicht interpretativ gelesen wird18 –, verweist aber über sich hinaus sich rein diesweltliche Handlung des Schlachtens an spiritueller Tiefe und Bezug
auf eine oder mehrere weitere Bedeutungen, die aber in der Regel erst gestaltet
zu Gott gewinnt.
werden müssen und dann per Konvention möglicherweise dauerhafter werden.
Nach diesem Verständnis bietet ein Symbol nicht nur die wörtliche BedeuSo entwickeln Religionsgemeinschaften eigene Symbolwelten und nach Halbfas, tung an, sondern darüber hinaus noch (mindestens) eine zweite, so wie die zwei
der 1982 mit seinem Buch Das dritte Auge die Diskussion um die Symboldidak- Seiten einer Münze. Nehmen wir als Beispiel den /geraden Weg/ aus der Sure 1
tik angestoßen hat, ist das Symbol »die spezifische Ausdrucksgestalt religiöser
al-fātiḥa, Vers 5: so bedeutet /Weg/ einfach nur Weg; darüber hinaus verweist
Erfahrung und Kommunikation, ohne deren Verständnis die Religionen in ihrer dieser /gerade Weg/ aber auf die richtige (gottgefällige) Lebensführung, den
eigentlichen Mitte nicht erschlossen werden können.«19 Andererseits wird jede
rechten Glauben etc. Wir sehen also, dass auf der Rückseite der Münze eine unLesart von Symbolen von einer Theologie legitimiert, die damit wiederum die
klare Vielzahl möglicher Bedeutungen/Verweise lauern, die teils schon gängig
absolute Offenheit von Symbolen einschränkt, die Bedeutungsvielfalt kanalisiert sind, also per Konvention dauerhaft geworden sind, teils aber im Unterricht von
oder aber einen Lichtkegel in den Inhaltsnebel wirft.
den Schülern frei assoziiert werden können.
Erst mit der Bildung des Symbolverständnisses kann die Tiefe und HinterEs steht also außer Zweifel, dass eine symbolische Lesart des Korans dem
20
gründigkeit der Realität erschlossen , und das eigene (religiöse) Handeln zur
Verständnis eine weitere Dimension hinzufügt, ohne dass dadurch die Gültigkeit
Menschheits- und Religionsgeschichte und zu Gott in Beziehung gesetzt werden. anderer Zugänge infrage gestellt werden muss. Dennoch stellt sich die Frage,
Bei der Symboldidaktik geht es also primär darum, die kultur- und religionsspe- inwieweit der Koran selbst schon symboldidaktische Ansätze nutzt.
zifischen Traditionen des Umgangs mit bestimmten Zeichen zu vermitteln und
So ist zuerst festzuhalten, dass der Begriff Symbol im Koran selbst keine Vereinzuüben.
wendung findet, die arabische Wurzel r-m-z kommt lediglich an einer Stelle vor
Ohne Symbolbewusstsein bleibt beispielsweise das Ritual des Schlachtens
und auch in Übersetzungen ist »Symbol« resp. die Übersetzungen davon sehr
beim Opferfest schal; eigene Betroffenheit, vielleicht sogar Ergriffenheit setzt
selten zu finden. Lediglich Muhammad Asad21 verwendete symbol in seiner eng-
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Mark Chalîl Bodenstein: Koranische Rückbeziehung religionsdidaktischer Konzepte
lischen Übersetzung für die arabischen Begriffe šaʿāʾir (Sg. šaʿı̄ra) und an einigen, wenigen Stellen für āya (Pl. āyāt), wobei unter ersterem in der Regel Riten
bzw. Rituale verstanden werden und letzteres zumeist mit Zeichen übersetzt
wird.
2.2.1 Zeichen
Auf den Symbolcharakter von Ritualen wurde ja oben mit dem Beispiel des Opfers schon hingewiesen.22 Verfolgen wir nun die Spur, die Asad mit der Übersetzung von āya mit dem Begriff Symbol gelegt hat. Dieses Wort kommt im Koran
in verschiedenen Fromen etwa 380 mal vor und auch in mehreren möglichen Bedeutungen, zumeist in Bezug auf Gott, der diese Zeichen setzt, und verbunden
mit der Aufforderungen an die Menschen, diese āya zu bedenken,23 sei es ein
übernatürliches Ereignis, wie der Koran selbst oder die sogenannten Straflegenden – im Koran von den Anderen als »Fabeln der Früheren« (asāṭı̄r al- auwalı̄n,
Sg. usṭūra) bezeichnet (z. B. Q 83:13, 68:15) –, Wunder – als Zauberei bezeichnet (z. B. Q 54:2, 61:6) –, sei es die Erschaffung der Welt (Q 29:44) oder die
Welt selbst (Q 34:9). Man mag sich hier an den Satz »Symbole geben zu lernen«
erinnert fühlen, wie Peter Biehl in Anlehnung an Paul Ricoeurs »das Symbol
gibt zu denken« formuliert.24 Man ist aufgefordert, die Zeichen nicht nur anzuerkennen, sondern auch darüber nachzudenken. Denn außer dem Koran selbst als
sogenanntem Beglaubigungswunder finden wir an diesen Stellen im Koran Zeichen, die nach Susanne Langer als diskursive resp. sprachliche Symbole bezeichnet werden können.25 Als solche bedürfen sie – jenseits jedweden historischen
Anspruchs – der Analyse und Interpretation. Wenn wir den Begriff Symbol eher
im Sinne eines symbolischen Modus verstehen, also einer Textmodalität, welche
die Art und Weise der Textproduktion und -rezeption bzw. -interpretation darstellt,26, was der koranische Sprachgebrauch nahelegt, wären auch weitere Formen miteinzubeziehen, wie bspw. Fabel, Legende, Mythos, Allegorie, Metapher
und Gleichnis, so dass wir eigentlich besser im semiotischen Sinne von Zei-
chen27 oder aus rhetorischer Perspektive von Tropen28 sprechen sollten.
2.2.2 Archetypen
Daneben wäre aber zu fragen, ob auch der Ansatz, den Halbfas mit Bezug auf
das Symbolverständnis von C. G. Jung und Mircea Eliade vorschlägt, kurzgefasst: das Erlernen der archetypischen Symbolsprache29 als religiöse Kompetenz,30 im Koran zu finden ist.
Einerseits greift der Koran archetypale Handlungen wie die Opferung des
Erstgeborenen auf, wie sie oben schon geschildert wurde. Diese war nach Eliade
ursprünglich ein Ritual zur Stärkung der Fruchtbarkeitsgötter, deren durch den
Erhalt der Welt erschöpfte Kraft erneuert werden musste. Aber schon im Alten
Testament vollzieht sich die Abkopplung vom archaischen Umlauf der kosmischen Energie von der Gottheit zum Menschen und zurück hin zum personalen
Gott, der ohne rationale Rechtfertigung befehlen, fordern und begnadigen kann,
und »diese neue religiöse Dimension macht erst den <Glauben> möglich«.31
Zugleich bestätigt der Koran mit der Einsetzung Ismāʿı̄l/Ismaels dessen Rechtmäßigkeit als ersten Sohn und damit die Erwähltheit der sich auf ihn zurückführenden arabischen Stämme als wahre Nachfahren Ibrāhı̄m/Abrahams.
Andererseits greift der Koran in interessanter Weise das für Eliade zentrale archetypische Symbol des Berges auf, des Ortes, der auch durch heilige Städte und
Stätten symbolisiert werden kann, an dem sich Himmel und Erde begegnen und
der somit der Mittelpunkt der Welt ist. Als solch ein Ort galt Eliade zufolge auch
Jerusalem, das ja ohnehin nach einem himmlischen Vorbild erbaut und zudem
bei der Sintflut nicht überschwemmt wurde, also den höchsten und dem Himmel
nächsten Ort darstellt, die Mitte der Welt!32 Nun beschreibt der Koran (Q 2:142
ff.) die Änderung der Gebetsrichtung von Jerusalem nach Mekka, in Richtung
der masǧid al-ḥarām, und ergänzt: «Und so haben Wir euch zu einer Gemeinde
der Mitte gemacht […]» (Q 2:143). Die Mitte der Welt wurde hier (neu) bestimmt. Später wird der Historiker al-Birūnı̄ schreiben, dass die Kaʿba der höchs-
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Mark Chalîl Bodenstein: Koranische Rückbeziehung religionsdidaktischer Konzepte
te Punkt der Erde sei, weil »der Polarstern bezeugt, daß sie dem Mittelpunkt des
Himmels gegenüberliegt.«33 Der Koran greift hier den Archetypen der Mitte der
Welt auf und bestimmt dazu die Kaʿba, die dies möglicherweise in vorislamischer Zeit zumindest für die Stämme, die sie als höchstes Heiligtum ansahen,
schon war.34
Desgleichen lassen sich auch Archetypen wie Wasser, Weg und Licht sowie
Herz, Auge, Ohr und Hand, die Halbfas als Grundbestände des Daseins respektive menschliche Organe zu den elementaren Symbolen zählt35, im Koran finden.36
gen, interpretativ, kreativ weitere Bedeutungen erschließen, dann betreten wir
den symbolischen Modus. Mit diesem Erschließen knüpfen wir an die Methodik
der Korrelation an, indem wir zum einen induktiv aus unseren subjektiven, elementaren Erfahrungen in den Text hineinlesen, zum zweiten deduktiv auf ein
Archiv von Deutungsmöglichkeiten, dem unserer religiösen Tradition, zurückgreifen, und zum dritten abduktiv unsere Erfahrungen mittels des Archivs kategorisieren oder aber zu neuen Schlüssen kommen.
Dies betont nochmals die Bedeutung des Erlernens der jeweils religionseigenen Semantik, aber vor allem der religiösen Grammatik, des »islamischen« Codes zur Dechiffrierung religiöser Sprache, der allein schon aufgrund ihres Verweischarakters auf Transzendentes der symbolische Modus inhärent ist. Die Lek2.2.3 Symbolischer Modus
türe religiöser Texte, wie etwa dem Koran, im symbolischen Modus kann sich
Anders jedoch als der oben im Sinne Halbfas‟ angesprochene Verweischarakter als überaus ergiebig zeigen, denn der Koran regt diesen Modus selbst an, weil er
des Symbols, dem eine enzyklopädische Kompetenz entgegenzusetzen wäre, soll gleichzeitig – in einer Metaebene – auf die eigene Zeichenhaftigkeit hinweist.
am Ende noch auf die Unzulänglichkeit eines solchen Modells hingewiesen wer- Insofern der Koran von nicht-diesseitigen, transzendenten Dingen spricht tut er
den. Auch Symbole in ihren verschiedensten Ausformungen sind als Zeichen zu es dies in symbolischer Weise. Denn menschliche Sprache kann für uns nicht
verstehen, deren Bedeutung (auch auf oberster Ebene) nicht per se feststeht, son- erkennbares, nicht greifbares und nicht zugängliches nur in annähernder, vergleidern Ergebnis von Übereinkunft ist; das Zeichen /Weg/ – bei Halbfas ein elechender, symbolischer Sprechweise beschreiben. Dies verlangt aber neben der
mentares Symbol – hat als sprachliches Zeichen nur im Deutschen die BedeuArbeit am Archiv auch die Entwicklung kreativer Kompetenzen zum abduktiven
tung »etwas, was wie eine Art Streifen – im Unterschied zur Straße oft nicht be- Schluss, der die Tradition aktualisiert und weiterentwickelt.
festigt – durch ein Gebiet, Gelände führt und zum Begehen [und Befahren]
dient« oder »Richtung, die einzuschlagen ist, um an ein bestimmtes Ziel zu kom- 3 …koranische Religionsdidaktik?
men«37. Für den koranischen Kontext, den wir eben herangezogen haben, stellt
sich die Frage, ob der Begriff /ṣirāṭ/ auf die gleiche Sache verweist und inwieDieser kurze Ausflug in didaktische Ansätze im Koran, bei dem wir selbst wieweit sich die Bedeutung mit der koranischen Offenbarung gewandelt hat – eben derum induktiv vorgegangen sind und der bei einer offenen Lesart womöglich
mit Blick auf die Eschatologie.
mehr oder anderes zutage gefördert hätte, hat Möglichkeiten aufgezeigt, allgeGesetzt den Fall, per Konvention bezeichnen /Weg/ und /ṣirāṭ/ die gleiche
meine, auch in den christlichen Religionspädagogiken genutzte didaktische Monatürliche Sache, dann liegt bislang nur ein Zeichen vor und noch kein Symbol. delle im Koran wiederzufinden. Diese lassen sich aus Sicht einer koranischen
Wenn der imaginierte Weg, auf den das Wort /ṣirāṭ/ verweist, nun weiter verReligionsdidaktik nicht als alleinig christliche didaktische Modelle bezeichnen,
folgt wird, wenn wir versuchen, dem Weg durch seinen Bedeutungsnebel zu fol- sondern eher als dem Wesen des Menschen generell angemessene Vermittlungs-
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Mark Chalîl Bodenstein: Koranische Rückbeziehung religionsdidaktischer Konzepte
formen.
Vorläufig bleibt dieses Résumée jedoch, weil erst nach einer umfassenden
Untersuchung koranischer Didaktik von annähernd validen Ergebnissen zu sprechen sein wird. Dies bleibt vorerst ein Desiderat.
Literaturangaben:
1
Der Autor vertritt die Professur für Kultur und Gesellschaft des Islams in
Geschichte und Gegenwart am Institut für Studien der Kultur und Religion des
Islam der Goethe-Universität Frankfurt a. M. und ist wissenschaftlicher Berater
am Forschungszentrum für Religion und Gesellschaft (forege) in Köln
2
Vgl. Kiefer, Michael: ›Islamische Religionspädagogik und -didaktik – Offene Fragen zu den Gegenständen einer neuen wissenschaftlichen Fachrichtung‹.
In: Irka-Christin Mohr & Michael Kiefer (Hgg.): Islamunterricht – Islamischer
Religionsunterricht – Islamkunde. Viele Titel – ein Fach? (Globaler lokaler Islam) Bielefeld, 2009, 19 f.
3
So auch der Tenor bei Bartsch, Darjusch: Konzepte und Modelle zur Vermittlung der Lehrinhalte im deutschsprachigen Islamkunde-Unterricht. (Beiträge
zur Islamischen Religionspädagogik ; 3) Hamburg, 2009.
4
Jank, Werner & Hilbert Meyer: Didaktische Modelle. Berlin, 72005.
5
Domsgen, Michael: ›Plädoyer für eine systemische Religionspädagogik‹.
International Journal of Practical Theology, 11 (2007) 1, 4.
6
Vgl. Uçar, Bülent: ›Didaktik, Methodik und Inhalte eines Islamischen Religionsunterrichts in Deutschland‹. In: Harry Harun Behr, Mathias Rohe & Hansjörg Schmid (Hgg.): <Den Koran zu lesen genügt nicht!> – Fachliches Profil und
realer Kontext für ein neues Berufsfeld. Auf dem Weg zum islamischen Religionsunterricht (Islam und Bildung ; 1) Berlin, 2008, 119.
7
Hilger, Georg: ›Korrelationen entdecken und deuten‹. In: Georg Hilger,
Stephan Leimgruber & Hans-Georg Ziebertz (Hgg.): Religionsdidaktik – ein
Leitfaden für Studium, Ausbildung und Beruf. München, 62010, 344.
8
Propkopf, Andreas & Hans-Georg Ziebertz: ›Abduktive Korrelation – Eine
Neuorientierung für die Korrelationsdidaktik‹. Religionspädagogische Beiträge,
44 2000 http://www.abduktionsforschung.de/tl_files/abduktionsforschung/
dokumente/Prokopf.pdf, 19.
9
Einen Überblick über die Diskussion bietet Conrads, Eva Irmtrud: Systemisch-konstruktivistische Ansätze und ihre mögliche Perspektive in der Religionspädagogik und -didaktik mit Blick auf den Religionsunterricht an Berufskollegs. Diss. RWTH Aachen, Phil. Fak., 2009, http://darwin.bth.rwth-aachen.de/
opus3/volltexte/2009/2828/ – Zugriff am 29. 9. 2011, 40 ff.
10 Dazu etwa: Rippin, Andrew: ›The Function of asbāb al-nuzūl in Qur’ānic
Exegesis‹. Bulletin of the School of Oriental and African Studies, 51 (1988) 1, 1–
20.
11 Vgl. al-Wāḥidı̄, „Alı̄ b. Aḥmad: Asbāb an-nuzūl. Miṣr: Hindı̄ya,
1315/1897, 35.
12 Vgl. Wellhausen, Julius: Reste arabischen Heidentums. Berlin, 21897, 13
ff. Siehe auch Öztürk, Mustafa: ›Über die Notwendigkeit und die Methoden der
Entmythologisierung des Koran‹. Übersetzer: Johannes Zimmermann. Die Welt
des Islams, 50 (2010), 282 f.; wobei ich dem Tenor des Artikels nicht zustimmen
würde, sondern im Gegenteil die Bewusstmachung der mythologischen Anteile
befürworte.
13 Vgl. Propkopf & Ziebertz, 19–50.
14 Prokopf, Andreas: Religiosität Jugendlicher : zwischen Tradition und Konstruktion. Eine qualitativ-empirische Studie auf den Spuren korrelativer Konzeptionen. Diss. Kath.-Theol.-Fak., Univ. Würzburg, Würzburg, 2006, http://
opus.bibliothek.uni-wuerzburg.de/volltexte/2006/1770/ , 263.
15 Nach Hoffmann, Michael H. G.: ›Lernende lernen abduktiv: eine Methodologie kreativen Denkens‹. In: Hans-Georg Ziebertz, Stefan Heil & Andreas
Prokopf (Hgg.): Abduktive Korrelation. Religionspädagogische Konzeption, Methodologie und Professionalität im interdisziplinären Dialog. Münster, 2003
http://works.bepress.com/michael_hoffmann/25 – Zugriff am 30. 9. 2011, 6.
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Mark Chalîl Bodenstein: Koranische Rückbeziehung religionsdidaktischer Konzepte
16 Prokopf, 265.
17 Einführend dazu bspw. Hilger, Georg: ›Symbole verstehen und gestalten‹.
In: Hilger, Leimgruber & Ziebertz: Religionsdidaktik, 355–364.
18 Vgl. Eco, Umberto: Semiotik und Philosophie der Sprache. (Supplemente ;
4) München, 1985, 240.
19 Halbfas, Hubertus: Das dritte Auge. Religionsdidaktische Anstöße.
(Schriften zur Religionspädagogik ; 1) Düsseldorf, 41989, 15. Hervorhebung im
Original.
20 Vgl. Halbfas, 15.
21 Vgl. Asad, Muhammad (Trans.): The message of the Qur’ān : the full account of the revealed arabic text accompanied by parallel transliteration = alQur’ān al-karı̄m. Bitton, Bristol, 52003. Dort als Appendix I seine Überlegungen zu »Symbolism And Allegory In The Qur‟an«, wobei er ausgehend von der
Aufteilung der Verse in muḥkamāt und mutašābihāt (Q 3:7) eben auch für eine
übertragene Lesart plädiert .
22 Interessant wäre noch, den etymologischen Zusammenhängen der verschiedenen Formen und Bedeutungen aus der Wurzel š-ʿ-r (z. B. begreifen, fühlen, Dichtung, Ritual) nachzuspüren. Ein Hang zum Symbolischen lässt sich
schon erahnen …
23 Ähnliches stellt übrigens auch Meyer-Blanck für die Bibel fest: so ist in
der gesamten Bibel der Begriff Symbol nicht zu finden, jedoch etwa 150mal der
Begriff Zeichen, dem Meyer-Blanck als Formalbegriff eine Nähe zur Semiotik
und als solchem einen Aufforderungscharakter zuspricht. Vgl. Meyer-Blanck,
Michael: Vom Symbol zum Zeichen: Symboldidaktik und Semiotik. (Vorlagen –
Neue Folge; 25) Hannover, 1995, 102, 109.
24 Vgl. Biehl, Peter: Symbole geben zu lernen. Einführung in die Symboldidaktik anhand der Symbole Hand, Haus und Weg. (Wege des Lernens; 6) Neukirchen-Vluyn, 1989, 54.
25 Vgl. Langer, Susanne K.: Philosophy in a new key. A study in the symbolism of reason, rite, and art. (Mentor book.25) New York, 61954, 63 ff.
26 Vgl. Eco: Semiotik, 193 ff., hier 238 f.
27 Dazu Eco, Umberto: Zeichen. Einführung in einen Begriff und seine Geschichte. (edition suhrkamp 985) Frankfurt a. M., 1977.
28 Zu Tropen in den heiligen Texten siehe Sabbath, Roberta Sterman (Hg.):
Sacred Tropes: Tanakh, New Testament, and Qur’an as Literature and Culture.
(Biblical interpretation series ; 98) Leiden, 2009.
29 Zu beachten ist natürlich, dass Eliade den Begriff »Archetypen« nicht wie
Jung als Strukturen eines kollektiven Unterbewusstseins verwendet, sondern
eher im Sinne der griechischen Ideenlehre. Vgl. Eliade, Mircea: Kosmos und Geschichte. Der Mythos der ewigen Wiederkehr. (Gesammelte Werke in Einzelausgaben ; 1) Frankfurt a. M., 1984, 11 f.
30 Vgl. Meyer-Blanck, 24 f. Dort findet sich ein tabellarischer Überblick über
die wichtigsten symboldidaktischen Ansätze.
31 Eliade, 122 f.
32 Vgl. Eliade, 25 f.
33 Nach a. a. O., 27.
34 Zu den verschiedenen Legenden siehe Nagel, Tilman: Mohammed. Leben
und Legende. München, 2008, 19 ff.
35 Vgl. Halbfas, 135.
36 Beispiele dazu etwa in Colby, Frederick S.: ›Symbolic Imagery‹. In: Jane
Dammen mcauliffe (Hg.): Encyclopaedia of the Qurʾān. Band 5, Leiden [u. a],
2006, 180a–184b.
37 http://www.duden.de/rechtschreibung/Weg.
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M. Fuad Sezgin: Die Quellen al-Buḫārīs
Prof. Dr. M. Fuad Sezgin
DIE QUELLEN AL-BUḪĀRĪS*
Die ersten schriftlichen Quellen der Ḥadīṯe
Die Zusammentragung der Ḥadīte (tadwīn)
Wenn die Zusammentragung der Ḥadīṯe (tadwīn) thematisiert wird, wird azZuhrī im Allgemeinen als der erste mudawwin (Autor einer Ḥadīṯsammlung) angeführt1, während der Beginn der Zusammentragung der Ḥadīṭe auf die Kalifenzeit von ʿUmar bin ʿAbd al-ʿAzīz datiert wird, zu der auch az-Zuhrī wirkte.
Aus den Berichten über die schriftlichen Urzeugnisse, welche die Ḥadīṯliteratur
sowohl anlässlich der Biographien, als auch bei der Erläuterung der Regeln für
die Überlieferung der Ḥadīṯe (genannt taḥammul al-ʿilm = Übernahme der Wissenschaft) an verschiedenen Stellen erwähnen, ist zu schließen, dass diese Periode durchaus als der Anfang des tadwīn gelten kann.
Während Goldziher2 seinem Vorgänger Sprenger darin zustimmt, dass die Ḥadı̇ ṯe
auf ṣaḥīfa, d.h. auf schriftliche Aufzeichnungen zurückzuführen sind, setzt er die
Anfänge der Ḥadīṯsammlungen, welche in den islamischen Quellen dargestellt
werden, entgegen Sprenger erst ein Jahrhundert später an. Demnach hätte die
tadwīn-Epoche mit az-Zuhrī angefangen und bis zum Anfang des 3. Jahrhunderts
angedauert, in dem die ersten musnad-Werke verfasst worden sind.
Das Kapitel in Goldzihers Muhammedanische Studien, in dem der Autor die Anfänge des tadwīn beschreibt, ist von enormer Bedeutung.3 Die Argumentation,
die er anführt, um die Epoche der Ḥadīṯsammlung zu verändern oder um sie etwa
ein Jahrhundert später anzusetzen, ist recht verworren und seine widersprüchlichen Aussagen sind in seinem Werk selbst vorzufinden. Aus welchem Grund
auch immer führt Goldziher merkwürdige Erklärungen an, um zu seinen ge-
wünschten Ergebnissen zu gelangen.
Bevor wir auf diese Auseinandersetzung eingehen, sei zunächst darauf hingewiesen, dass es zwei unterschiedliche Angelegenheiten gibt, die Goldziher als Widerspruch ansieht und die er folglich zu beseitigen versucht. Diese sind zum einen die Zusammentragung (tadwīn) der Ḥadīṯe, zum anderen die Klassifizierung
der Ḥadīṯe (tasnīf). Die Definitionen, welche die islamischen Quellen für diese
beiden vorgeschlagen haben, unterscheiden sich deutlich voneinander. Für tadwīn wird der Ausdruck „awwalu man dawwana al-Ḥadīṯ“4, für tasnīf dagegen
„awwalu man ṣannafa al-kutub“5 benutzt. Die erste Bezeichnung beschreibt die
Zusammentragung der Ḥadīṯe in Büchern, die zweite die Klassifizierung gesammelter Ḥadīṯe in bestimmte Kapitel.
Somit sind die zeitlichen Angaben, welche die Quellen für diese beiden Angelegenheiten anführen, unterschiedlich und zweifellos geht der tadwīn dem taṣnīf
voran. Diese Unterscheidung hat Goldziher offensichtlich nicht beachtet, d.h. er
hat die Epochen des tadwīn und taṣnīf nicht voneinander unterschieden und folglich angenommen, dass die beiden verschiedenen zeitlichen Festlegungen, welche die islamischen Quellen hierfür anführen, widersprüchlich seien. Aus diesem
Grund beseitigt Goldziher die eine Angelegenheit, nämlich den tadwīn, indem er
die diesbezüglichen Quellen für schwach erklärt. Wir werden versuchen, seine
erwähnten Argumentationen und Meinungen zu zitieren, um diese anschließend
zu diskutieren. Er sagt Folgendes:
Das früheste Datum, welches uns muhammedanische Autoren bezüglich der
Sammlung des Ḥadīṯ bieten, ist von Muḥammad b. Al-Ḥasan al-Šaybānī (gest.
* Dieser Übersetzung liegt folgende Originalausgabe zu Grunde: Sezgin, M. Fuad: Buḫârî„nin Kaynakları. Ankara: Kitâbiyât, 2001.
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M. Fuad Sezgin: Die Quellen al-Buḫārīs
189), der von Mālik b. Anas erfahren haben soll, dass ʿUmar II. dem Abū Bakr
b. ʿUmar b. Ḥazm den Auftrag gegeben habe: „Siehe nach, was sich vom Ḥadīṯ des Propheten oder seiner Sunna, oder vom Ḥadīṯ des ʿUmar und von dergleichen vorfindet und schreibe es nieder; denn ich befürchte den Untergang
der Wissenschaft und das Schwinden der ʿUlamāʾ(durūs al-ʿilm waḏahāb alʿulamāʾ)“. Dieser Bericht ist vielfach nachgeschrieben worden und er dient der
muhammedanischen Literaturgeschichte über das Ḥadīṯ vielfach als Ausgangspunkt; auch die moderne Literaturgeschichte hat ihm zuweilen historischen
Charakter beigemessen. Wohl hören wir ja genug vom Sunna-Eifer des ʿUmar
II., durch welchen er gegenüber der Religionslosigkeit seiner Vorgänger eine
neue Epoche in der Regierung des Islam einzuleiten bestrebt war. Auch von
seinem Eifer hinsichtlich des Niederschreibens und Sammelns der Ḥadīṯe haben wir in anderer Richtung die Nachricht, dass ʿUmar II. einzelne Gruppen
von Traditionen, z.B. die durch ʿAmra bint ʿUbaydallāh b. Kaʾb b. Mālik
(gest. 106) aufbewahrten Ḥadīṯe niederschrieben ließ. Auch dem Ibn Šihāb azZuhrī soll der Chalife den Auftrag erteilt haben, die Traditionen niederzuschreiben und nach Al-Suyūṭī (in seinem Kitāb al-awāʾil von älteren Autoritäten citierend) war diese Sammlung der erste Versuch in dieser Richtung. Wir
sehen hieraus, wie sich die verehrende Nachwelt bestrebt hat, den frommen
Chalifen mit der Traditionsliteratur des Islam in enge Beziehung zu setzen, so
wie sie ihn auch hinsichtlich des Eifers, einzelne Aussprüche des Propheten in
authentischer Form zu erhalten, den frommen Theologen nicht nachstehen
liess. Nichts destoweniger können wir in Anbetracht der Widersprüche, welche in den von verschiedenen Seiten in Verkehr gesetzten Angaben auftauchen, die Nachricht des Šaybānī bezüglich der Veranlassung systematischen
Sammelns durch ʿUmar II. nicht als Ausgangspunkt der Literatur nehmen.
Nachdem Goldziher die diesbezüglichen Berichte weiter diskutiert, fährt er
wie folgt fort:
Viel positiver treten andere Daten der muhammedanischen Literaturgeschichte
bezüglich der Anfänge der Traditionsliteratur auf. Diese Daten anticipieren
sogar, wie wir sehen werden, einen Schritt, welcher in dieser Literatur erst
später vollzogen wurde, für die Charakteristik ihrer Entwicklungsstufe in diesem II. Jahrhundert.
Damit hält Goldziher auch die Daten, die in den islamischen Quellen für die
erwähnte Geschichte der ersten muṣannaf-Werke angeführt werden, für ungeeignet. Aus welchem Grund auch immer setzt Goldziher den tadwīn und den taṣnīf
gleich und setzt deren Anfang ein Jahrhundert später an, obwohl die tadwīnPhase schon viel früher begonnen haben muss.6 Aus seiner Aussage wird deutlich, dass er die zwei verschiedenen Epochen, die in den islamischen Quellen
für den Anfang des tadwīn und des taṣnīf angegeben werden, miteinander verwechselt. Aus diesem Grund findet er die Berichte der Quellen widersprüchlich.
In der Tat hat keine Quelle die systematische Zusammenstellung der Ḥadīṯe auf
die Anregung von ʿUmar bin ʿAbd al-ʿAzīz begrenzt und die Klassifizierung der
Ḥadīṯe auf seine Zeit zurückgeführt. Die Quellen versuchen nur eine Verbindung
zwischen ihm und der Sammlung von Ḥadīṯen herzustellen.
Auch Goldziher erwähnt in seinem Buch, dass die umayyadische Regierung azZuhrī, der mit der Niederschrift der Ḥadīṯe vertraut war, gezwungen hat, diese zu
verschriftlichen. Hierfür führt Goldziher auch Belege an.7 Jedoch ordnet er den
Bericht, der von Šaybānī in Māliks Muwaṭṭaʾ überliefert wird, als unauthentisch
ein8 und konstatiert, dass dieser von den anderen Quellen nicht bestätigt wird,
um somit die erste zeitliche Angabe auszuschließen, die für diese Angelegenheit
[d.h. die Beauftragung az-Zuhrīs] genannt wird.
Den gleichen Bericht zitieren allerdings Ibn Saʿd in seinem Kitāb aṭ-ṭabaqāt alkabīr, al-Buḫārī in seinem Ṣahīḥ unter dem Kapitel „Kitāb al-ʿilm“9 und in seinem Kitāb at-taʾrīḫ aṣ-ṣaġīr10, Dārimī in seinem Sunan11 und auch viele spätere
Quellen. Im Gegensatz zu der Behauptung Goldzihers betrachtet außerdem keiner Abū Bakr b. ʿAmr b. Ḥazm (gest. 120) als den ersten mudawwin, sondern es
wird nur vermerkt, dass ʿUmar ibn ʿAbd al-ʿAzīz ihm diesbezüglich einen Befehl erteilt und dieser daraufhin einige Bücher verfasst hat.12 Als erster mudaw-
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M. Fuad Sezgin: Die Quellen al-Buḫārīs
win wird stets az-Zuhrī genannt.
Wie aus den Überlieferungen über die Ḥadīṯbücher, die Ḥadīṯgelehrten
(muḥaddiṯūn) und deren Leben hervorgeht, war zur Zeit az-Zuhrīs das Gedächtnis nicht mehr das einzige Mittel zur Tradierung der Ḥadīṯe. Stattdessen wurde
diese Funktion weitgehend von der Niederschrift übernommen. Es wurden azZuhrī Bücher vorgelegt, die Ḥadīṯe enthielten und gefragt, ob man diese von ihm
überliefern darf oder nicht. Auf diese Weise wurden Ḥadīṯe in derartigen Büchern mit Überliefererketten (sanad) tradiert, in denen somit auch sein [d.h. azZuhrīs] Name aufgenommen wurde.13 Oder aber er selbst übergab seinen Schülern ihm vorliegende schriftliche Ḥadīṯkollektionen, mit dem Ziel, dass sie diese
von ihm überliefern.14 Gleichwohl deuten Berichte aus der gleichen Epoche darauf hin, dass auch az-Zuhrīs Zeitgenossen mehrere Bücher besaßen. Az-Zuhrī,
der sagte, die umayyadischen Khalifen hätten ihn dazu gezwungen, Ḥadīṯe aufzuzeichnen15, schrieb schließlich Ḥadīṯe nieder, deren Umfang so anstieg, dass
sie einige Viehlasten bildeten, während sie nach der Ermordung des Kalifen Walīd von der Palastbibliothek transportiert wurden.16
Sein noch jüngerer Zeitgenosse Hišām b. Ḥassān (gest. 147) hatte sich etlicher
Bücher von Ḥawšab, dem Überlieferer von al-Ḥasan al-Baṣrī und ʿAṭāʾ, bemächtigt.17 Sein anderer Zeitgenosse al-Aʿlā b. ʿAbd al-Raḥmān (gest. 139) stellte
denjenigen, die die ṣaḥīfa, die sich später bei Imam Mālik befinden sollte, überliefern wollten, die Bedingung auf, dass sie entweder den ganzen Inhalt der ṣaḥīfa oder gar nichts von ihr übernehmen sollten.18 Der vielleicht interessanteste
Bericht über die Bücher der genannten Epoche, dem man an dieser Stelle noch
weitere hinzufügen könnte, ist die Aussage von az-Zuhrīs Ehefrau, dass der Bücherhaufen, den sie immer um ihren Gatten sehen musste, unerträglicher sei als
die weiteren drei Ehefrauen, die noch nach Hause gebracht werden sollten.19
nommen können wir nicht eindeutig sagen, ab welcher Epoche die Ḥadīṯbücher
ihr Material gänzlich aus den schriftlichen Quellen geschöpft haben. Jedoch vermuten wir, dass es nach dem noch zu ziehenden Vergleich zwischen den Überlieferern (ruwāt) – wie im Folgenden erläutert werden soll –, deren Namen in
den bis zu uns gelangten Ḥadīṯsammlungen in den Überliefererketten angeführt
werden, möglich ist, diese Epoche annähernd zu bestimmen. Eins ist gewiss: Je
mehr man sich vom Ursprung der Ḥadīṯe entfernte und die Materialien zunahmen, desto mehr konnten sich Bücher binnen kurzer Zeit als unabdingbares Mittel der Ḥadīṯbewahrung etablieren. Al-Ḫaṭīb al-Baġdādī stellt die natürliche Entwicklung der Zusammentragung der Ḥadīṯe in Buchform auf folgende Weise
dar:
Nachdem man die Niederschrift der Ḥadīṯe eine Zeit lang für unangebracht
gehalten hatte, kam sie sodann weitgehend zur Anwendung und man begann mit
der Ḥadīṯsammlung in Buchform, denn Überlieferungen hatten sich verbreitet
und Isnāde wurden immer länger, die Namen, die Beinamen der Männer sowie
die Bezeichnungen über ihr Herkunftsort und ihre Verwandschaft (nisba) hatten
sich vermehrt. Ferner hatten die Ausdrucksweisen in den Überliefererketten
(sanad) verschiedene Formen angenommen. Kurzum: Das Gedächtnis des Menschen war nicht mehr imstande, diese erwähnten Informationen zu memorieren.
Somit stellte sich heraus, dass die schriftliche Ḥadīṯwissenschaft sicherer war als
das nur im Gedächtnis bewahrte Wissen…20
Übertragung des Wissens/Überlieferung der Ḥadīṯe (taḥammul al-ʿilm)
Um die Analyse der Quellen von al-Buḫārīs al-Ǧāmiʿ aṣ-Ṣaḥīḥ zu erleichtern, ist
es neben der thematisierten Angelegenheit des kitābat al-ʿilm (Verschriftlichung
des Wissens/der Ḥadīṯe) genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger, sich mit
taḥammul al-ʿilm, das die Ḥadīṯüberlieferungsregeln zur Grundlage hat, zu beEs wird ersichtlich, dass in der Zeit az-Zuhrīs und seiner Zeitgenossen oder zu fassen. Auch wenn in der Ḥadīṯliteratur von diesen zwei Themen die zweite in
Beginn des zweiten Jahrhunderts der Ḥiǧra, in dem Bücher eine größere Rolle
der Anfangsphase ihre Bedeutung nicht so wie die erste unter Beweis stellen
spielten, eine Gruppe von Ḥadīṯen mündlich überliefert wurde. Im Grunde gekonnte, nimmt sie im Hinblick auf die Tätigkeit der Festlegung der Ḥadīṯe oder
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M. Fuad Sezgin: Die Quellen al-Buḫārīs
Überlieferungen einen wichtigere Stellung ein. Die Diskussion über kitābat alʿilm hat gegen Ende der umayyadischen Regierung nahezu ernsthaft ihre Bedeutung verloren. Während der Widerstand gegen die Festlegung der Ḥadīṯe durch
Verschriftlichung nicht über eine sehr schwache Bemühung hinausging, wurde
der taḥammul al-ʿilm unter den Ḥadīṯgelehrten vorwiegend bis zum Ende des
dritten Jahrhunderts21 nach dem Untergang der umayyadischen Regierung sehr
strengen Bedingungen unterzogen.
Je mehr man sich durch die Weitergabe der Ḥadīṯe und Nachrichten oder mit
der alten Bezeichnung, des Wissens (ʿilm) von Person zu Person, demzufolge
von Generation zu Generation von der ursprünglichen Quelle entfernte, desto
mehr nahm diese Weitergabe an Bedeutung zu. Neue Probleme kamen in diesem
Sinne auf, da sich weitere Personen an dem Prozess der Weitergabe der Überlieferungen vom Propheten und von seinen Gefährten beteiligten. Kurze Zeit später
entstand durch die intensive Anwendung der Schrift eine der islamischen Gemeinden eigene Einrichtung, die keine Beziehung zu anderen Gemeinschaften
aufweist.22 Die Grundlage hierfür bildete das Anliegen und die Bemühung, einen
Ḥadīṯ soweit wie möglich in seiner Ursprungsform zu bewahren und zu verhindern, dass diesem etwas hinzugefügt oder entnommen wird. Bei der Überlieferung eines Ḥadīṯ von einem Gewährsmann (rāwī) zu einem anderen stellte sich
die Frage, welchen Ausdruck der Gewährsmann zur Bezeichnung der Überlieferung benutzen sollte und welcher Weg der beste war, um dabei Fehler zu verhindern. Welcher Weg war hingegen unzulässig? Auf welche Weise konnte der
Ḥadīṯ aus einer schriftlichen Quelle überliefert werden?
Eben diese und ähnliche Angelegenheiten werden in den Büchern des muṣṭalaḥ
al-ḥadīṯ in acht Kapiteln in unterschiedlicher Gewichtung untersucht.23 Wenn
wir Einzelheiten außer Acht lassen, bestehen diese aus samāʿ, qirāʾa, iǧāza,
munāwala, kitāba oder mukātaba, iʿlām, d.h. dem Umstand, dass ein Lehrer
(Šayḫ) sich damit begnügt, dem Schüler mitzuteilen, dass ihm ein Ḥadīṯ oder ein
Buch durch eine andere Person durch samāʿ überliefert wurde, ohne seinem
Schüler die Erlaubnis zu erteilen, von ihm selbst zu überliefern, sowie aus
waṣiyya und wiǧāda. Diese [acht Kapitel] beinhalten viele weitere Unterkapitel.
Im Folgenden wird versucht, diese zusammenfassend und mit ihren einfachsten
Definitionen zu thematisieren, sodass sie uns verdeutlichen, wie al-Buḫārī von
seinen Vorgängern Ḥadīṯe übernommen hat.
Samāʿ
Samāʿ bezeichnet das Zuhören des Schülers während sein Šayḫ eine Überlieferung auswendig oder aus seinem Buch vorträgt. Hier ist der Šayḫ derjenige, den
die Überlieferung des erwähnten Ḥadīṯes über die gültigen Wege des taḥammul
al-ʿilm erreicht hat.
Qirāʾa
Qirāʾa ist das Vortragen von einem oder mehreren Ḥadīṯen seitens des Schülers
oder einer anderen Person – entweder aus einem Buch oder auswendig – wobei
der Šayḫ dies auswendig oder aus einem vorliegenden Exemplar mit verfolgend
abhört.
Iǧāza
Die iǧāza besteht generell aus zwei Teilen:
a)
b)
Der Besitzer der Überlieferung gibt die Erlaubnis zur Überlieferung von
etwas Bestimmten. Er sagt z.B.: „Ich gebe dir das Recht von al-Buḫārī
oder von Büchern, deren Überlieferung in meiner Verantwortung stehen,
zu überliefern.“
Er gibt einer bestimmten Person die Erlaubnis für etwas Unbestimmtes. Er
sagt z.B.: „Ich habe dir das Recht gegeben, all das, was ich durch samāʿ
erhalten habe (masmūʿāt) oder all meine Überlieferungen, zu überliefern“.
Diese Art hingegen beinhaltet aus überlieferungstechnischer Sicht neun
Bereiche, welche in einer hierarchischen Anordnung stehen.
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M. Fuad Sezgin: Die Quellen al-Buḫārīs
Munāwala
Der Šayḫ gibt seinem Schüler das Original seines samāʿ oder eine Kopie des
Originals, welche vom Schüler mit dem Original des Šayḫs verglichen und auf
Fehler hin überprüft worden ist (muqābala) und sagt: „Dies ist mein samāʿ oder
meine Überlieferung; so überliefere von mir“, oder: „…ich gebe dir das Recht,
von mir zu überliefern“. Dadurch wird das Überlieferungsrecht vollkommen
oder unter der Bedingung von Vervielfältigung (istinsāḫ) weitergegeben. Oder
aber der Schüler zeigt seinem Šayḫ entweder die originale Handschrift des Šayḫs
oder eine Kopie bzw. Vervielfältigung des Originals (muqābala). Nachdem der
Šayḫ diese sorgfältig und gründlich überlegend überprüft hat, sagt er: „Das ist
mein Ḥadīṯ oder meine Überlieferung; überliefere sie von mir weiter“.
schriftliches Exemplar vom letzten Überlieferer des jeweiligen Buches vorliegt.
Dabei ist nicht entscheidend, ob die Person die Ḥadīṯe oder Bücher von einem
Zeitgenossen erhält oder nicht.
Die verschiedenen Teilgebiete der Ḥadīṯüberlieferung, die von den Ḥadīṯgelehrten unterschiedlich gewertet werden, haben bis zu einem bestimmten Grad
Ausdrucksweisen erlangt, die ihre Gattungsart darlegen. Aus diesem Grund ist in
den Quellen, welche die verschiedenen Bestandteile der Ḥadīṯüberlieferung thematisieren, zu beobachten, dass neben diesen Bestandteilen der Terminus Technicus alfāẓ eine große Stellung einnimmt. Diese Ausdrücke sind in den Überliefererketten zu finden und variieren je nach der Anzahl der Personen, die sich
zwischen dem Erst- und dem Letztüberlieferer befinden. Diese lauten samiʿnā,
ḥaddaṯanā, aḫbaranā, anbaʾanā; sie können aber auch in der Singularform
Kitāba oder Mukātaba
(samiʿtu usw.) vorkommen. Ihre Verwendung ist oft eng mit der Eigenart des
Ein Šayḫ schreibt für jemanden, der sich in seiner Gegenwart oder in der Ferne Ḥadīṯgelehrten und dessen Sorgfältigkeit und Gleichgültigkeit in der Ḥadīṯüberbefindet, seine samāʿ oder einige Teile der Ḥadīṯe hiervon selbst nieder oder
lieferung verbunden.
lässt diese niederschreiben. Dies geschieht entweder dadurch, dass der Šayḫ sagt: Der übereinstimmenden Bezeichnung in den Überlieferungsketten zufolge, ha„Ich gebe dir die Erlaubnis für meine Abschriften“, oder aber er gibt derartiges
ben die Prophetengefährten vom Propheten mit Hilfe des Ausdrucks qāla übernicht bekannt.
liefert. Wir wissen nicht ganz genau, welche Ausdrucksweise die ersten Tābiʿūn
Die sechste Grundlage des taḥammul al-ʿilm ist, wie man der Definition entneh- bei der Überlieferung von den Prophetengefährten benutzte. Vielleicht besaßen
men kann, dass der Šayḫ seinem Schüler zwar sagt, dass er einen Ḥadīṯ oder ein sie nicht einmal eine gemeinsame Methode. Mit Hinblick auf den Ursprung der
Buch auf dem Weg des samāʿ erhalten hat, jedoch nicht ausdrücklich den Satz: Ḥadīṯe nahm die Bedeutung dieses Ausdrucks [d.h. qāla] zu, je mehr Personen
„Überliefere dies von mir“ geäußert hat.
hinzukamen.
Gemäß den Auskünften alter Quellen war Zuhrī (gest. 124) derjenige, der
Waṣiyya
zum ersten Mal die Ḥadīṯe ihren Überlieferern zuordnete.24 Tatsächlich sehen
Dies bezeichnet das Testament des Šayḫs, in dem er kurz vor seinem Tod oder
wir, dass einige Schriften, die uns aus den vorangehenden Epochen erhalten
einer Reise vermerkt, dass sein Buch durch jemanden überliefert werden sollte. geblieben sind, keine Isnāde und die oben erwähnten Ausdrücke der Isnāde in
ihren Ḥadīṯen und Nachrichten aufweisen. Das Werk Faḍāʾil al-Makka25 von alWiğāda
Ḥasan al-Baṣrī (gest.110), die ʿAbīd ibn Šariyya al-Ğurhumī zugesprochenen
Wiǧāda liegt vor, wenn einer Person Ḥadīṯe oder Bücher zuteil werden, welche Schriften mit dem Titel Aḫbār al-Yaman wa aš‘āruhā wa anṣābuhā ‘alā al-wafā
diesen nicht durch einen Überlieferungsweg erreicht haben und deren handwa al-kamāl26 und die erhaltenen Abschnitte aus dem Kitāb at-tīǧān fī mulūki
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M. Fuad Sezgin: Die Quellen al-Buḫārīs
ḥimyar von Wahb ibn Munabbih (gest. 114) in der Redaktion von Ibn Hišām
(gest. 218) erwähnen weder die Überlieferer der Ḥadīṯen und Nachrichten, die
vom Propheten und seinen Gefährten tradiert wurden, noch haben sie für jene
Ausdrücke, die sie fortwährend benutzen. Das al-Ğāmiʿ des im Jahre 153 nach
der Ḥiǧra verstorbenen Maʿmar ibn Rāšid, das bis in unsere Zeit gelangt ist, sowie das Muwaṭṭaʾ des Imam Mālik beinhalten in ihren Überliefererketten alfāẓ
[Ausdrücke], welche die Berichte bestätigen, dass es az-Zuhrī war, der mit der
Isnād-Tätigkeit begann oder dass diese in seine Epoche zurückzuführen ist.
Die Nachfolger von az-Zuhrī oder die ihm folgende erste Schicht der Ḥadīṯgelehrten setzten für den ordnungsgemäßen Zustand eines Ḥadīṯes die alfāẓ voraus, welche bei den Ḥadīṯen die Isnād-Thematik und die Überliefererketten miteinander verbanden. Es war sogar so, dass die Ḥadīṯe, die diese Ausdrücke nicht
enthielten, in keinster Weise Bedeutung erlangten. Šuʿba (gest.160) sagte dazu:
„Ḥadīṯe, in denen nicht die Ausdrücke aḫbaranā und ḥaddaṯṯanā in der Überliefererkette vorkommen, sind wirr.“27
Im Allgemeinen versucht man eine Beziehung zwischen diesen Ausdrücken und
den verschiedenen Teilen des taḥammul al-‘ilm herzustellen und auf ihre voneinander abweichenden Geltungen hinzuweisen, indem man unter den betreffenden alfāẓ den geeigneten Begriff auswählt. Die Verwendung dieser Wörter über
die Jahrhunderte hinweg unterlag einer historischen Kritik, die zeigt, dass bereits
unter den Muslim (gest. 261) vorangehenden Ḥadīṯgelehrten ein fließender Ablauf stattfand. Was die Erforschung der Quellen des al-Buḫārī angeht, werden
wir feststellen, dass im Hinblick auf den Gebrauch dieser Ausdrücke ein Teil
von denjenigen Ausdrücken, die die späteren Generationen al-Buḫārī zugeschriebenen haben, falsch ist.
Laut al-Ḫaṭīb al-Baġdādī sind die wertvollsten Ausdrücke in den Überlieferungsketten samiʿtu gefolgt von ḥaddaṯanā, anbaʾana und nabbaʾana. Spätere
Ḥadīṯwissenschaftler erheben dagegen Einspruch.28
Falls wir von der relativ unbedeutenden Meinungsverschiedenheit sowie von den
Veränderungen in den Verwendung [dieser Ausdrücke] zu jeweils unterschiedli-
chen Zeiten absehen, weisen die erwähnten Ausdrücke im Allgemeinen auf samāʿ und qirāʾa hin.29 Den Ausdrücken in der Überliefererkette eines Ḥadīṯes, die
den letzten Überlieferer erreichten, kam eine solch absolute Bedeutung zu, dass
keinerlei Veränderungen an ihnen vorgenommen werden sollten. So wurde es
beispielsweise keineswegs als erlaubt betrachtet, in der Formulierung
„ḥaddaṯanā fulān qalā ḥaddaṯanā fulān“ einer Überliefererkette kleine Veränderungen hinsichtlich der Ausdrücke vorzunehmen, indem z.B. [ḥaddaṯanā] durch
aḫbaranā oder haddaṯanī ersetzt wird. Dies wurde lediglich von denjenigen toleriert, die auf die Bedeutung (maʿnā) in der Ḥadīṯüberlieferung mehr Wert legten.30
Im Allgemeinen haben die Ḥadīṯgelehrten, die in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts lebten, den Ausdruck aḫbaranā bevorzugt, damit er in vielen
Bereichen der Ḥadīṯüberlieferung angewendet werden konnte. Unter den Lehrern
der Lehrer von al-Buḫārī haben ʿAbdullāh ibn al-Mubārak (gest. 181) und
Hušaym ibn Bašīr (gest. 183), ʿUbaydullāh ibn Mūsā (gest. 213), ʿAbdarrazāk
ibn Hammām (gest. 211) und Yazīd ibn Hārūn (gest. 212) diesen Ausdruck bevorzugt.31 Manche Ḥadīṯgelehrte haben ihre Ausdrucksweise nie verändert. Dies
ging so weit, dass al-Buḫārīs Kommentatoren (šāriḥ) an undeutlichen Stellen
wie „ḥaddaṯanā Ishāq“ auf den folgenden Ausdruck schauten, um festzustellen,
um welchen Ishāq es sich hierbei handelte. Sofern der Ausdruck „ḥaddaṯanā“
folgte, wurde es Ishāq ibn Manṣūr, zugeschrieben. Folgte hingegen der
Ausdruck „aḫbaranā“, handelte es sich um Ishāq ibn Rāhūya, denn man wusste,
dass letzterer den Ausdruck „ḥaddaṯanā“ niemals gebrauchte.32
Laut Imam Šāfiʿī (gest. 204) sollte man für die Ḥadīṯe, die der Schüler seinem
Lehrer vorliest, den Ausdruck „aḫbaranā“, für jene wiederum, die der Lehrer seinem Schüler vorliest, den Ausdruck „ḥaddaṯanā“ verwenden.33 Jedoch kann man
nach der Meinung vieler anerkannter Ḥadīṯgelehrten die genannten Ausdrücke
auch synonym verwenden. Al-Buḫārī überliefert, dass nach Sufyān ibn ʿUyaynas
(gest. 198) Ansicht, alle Ausdrücke gleich zu bewerten sind.34 Al-Awzaʿī (gest.
157):
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M. Fuad Sezgin: Die Quellen al-Buḫārīs
„Auf die Frage seines Schülers: ,Ich habe viel von dir niedergeschrieben, welchen Ausdruck soll ich für diese benutzen?„, antwortete er folgendermaßen:
,Ḥaddaṯanī benutzt du für das, was ich dir alleine vorgelesen habe, ḥaddaṯanā
für das, was ich dir in Anwesenheit von vielen anderen Personen vorgelesen
habe, aḫbaranī für das, was du mir alleine vorgelesen hast, aḫbaranā für das,
was zusammen mit dir mehreren Personen vorgelesen wurde. Den Ausdruck
ḫabbaranī benutzt du für das, wofür ich nur dir die Erlaubnis zur Überlieferung
(iǧaza) gab; ḫabbaranā für das, wofür ich dir und vielen anderen die Erlaubnis
zur Überlieferung gab.“35
Literaturangabe:
1
Ibn ʿAbdilbarr, Abū ʿUmar Yūsuf an-Namarī: Ǧāmiʿ bayān al-ʿilm wafaḍlih wa-mā yanbaġī fī riwāyatih wa-ḥamalatih. Band 1-2. Kairo: o.J, I. 73 (Im
Folgenden: Ǧāmiʿ bayān al-ʿilm); al-ʿAsqalānī, Ibn Ḥaǧar: Fatḥ al-bārī bi šarḥ
ṣaḥīḥ al-Imām Abī ʿAbdillāh Muḥammad b. Ismāʿīl al-Buḫārī. Band 1-13. Bulak
1300-1301, I. 147 (Im Folgenden Fatḥ al-bārī); Tadrīb ar-rāwī, S. 25; as-Suyūṭī,
Ǧalāl ad-Dīn: Tanwīr al-ḥawālik šarḥ Muwaṭṭaʾ al-Imām Mālik. Bd. 1-2. Kairo,
o.J., I. 4 (Im Folgenden:Tanwīr al-ḥawālik); Zurqānī: Šarḥ Muḥammad azZurqānī ʿalā Ṣaḥīḥ al-Muwaṭṭaʾ. Bd. 1-4. Kairo 1310, I. 10 (Im Folgenden:
Man kann erkennen, dass die Ḥadīṯüberlieferung und ein Teil der kurz thema- Zurqānī).
2
Goldziher, Ignaz: Muhammedanische Studien, Theil 1-2. Halle: 1889-90,
tisierten [Überlieferungs-]Arten schon sehr früh behandelt und diskutiert wurden. Den Quellen ist sogar zu entnehmen, dass samāʿ und qirāʾa in der Zeit von II. 8-11 (Im Folgenden: Muh. Stud.).
3
Muh. Stud., II. 208-211.
ʿAlī ibn Abī Ṭālib und Ibn ʿAbbās bekannt waren. Es wird überliefert, dass der
Ğāmi‘ bayān al-‘ilm, I. 73; Fatḥ al-bārī, I. 174; Tanwīr al-ḥawālik, I. 6;
Erste [d.h. ʿAlī] es als gleich ansah, dem Lehrer vorzulesen und dem Lehrer zu- 4
zuhören. Über den anderen [d. h. Ibn ʿAbbās] wird berichtet, dass er seiner Hö- Zurqānī, I. 10.
5
Ar-Rāmahurmuzī, Abū Muḥammad al-Ḥasan: al-Muḥaddiṯ al-fāṣil bayna r
rerschaft sagte: „Es besteht kein Unterschied darin, dass ich euch vorlese und
dass ihr mir vorliest.“36 Einige Ḥadīṯgelehrte der Tābiʿīn haben unterschiedliche -rāwī wa-l-wāʿī. Şehid Ali Paşa Bibliothek Nr. 531, 126 b, [S. 611] (Im Folgenden: Rāmahurmuzī, al-Muḥaddiṯ al-fāṣil (Bibliotheksabteilung Şehid Ali));
Meinungen über diese Angelegenheit vertreten, die in den Quellen zu finden
sind. So heißt es z.B. von az-Zuhrī, dass er in dieser Hinsicht nachsichtig war: Er Tanwīr al-ḥawālik, I.7.Siehe außerdem für die Unterschiede zwischen den Termini Technici tadwīn und taṣnīf: Ibn Manẓūr, al-Imām Abū l-Faḍl: Lisān alerlaubte Personen, die ihm Bücher vorbrachten, diese von ihm zu überliefern,
ʿarab. Bd. 1-20. Bulak 1300-8 (im Folgenden: Lisān al-ʿarab), az-Zabīdī,
auch wenn sie diese zuvor von ihm selbst nicht gehört bzw. sie diese in seiner
Muḥibb ad-Dīn: Tāǧ al-ʿarūs. Bd. 1-10. Kairo 1331-34 (im Folgenden: Tāǧ alAnwesenheit nicht vorgelesen haben.37
Diese Teile, die in den Büchern der muṣṭalaḥ al-ḥadīṯ in mehrere Unter- ʿarūs), Einträge zu den Radikalen d-w-n und ṣ-n-f.
6
Muh. Stud., II. 210-211.
kapitel aufgeteilt sind, sind im Hinblick auf ihre Richtigkeit unterschiedlich zu
7
Muh. Stud., II. 38; für diesen Bericht siehe al-Laknawī, Abū l-Ḥasanāt
bewerten. So bevorzugen die Ḥadīṯgelehrten je nach ihren eigenen Prinzipien
einige Teile und lassen wiederum andere unberücksichtigt. Im Allgemeinen wird Muḥammad ʿAbdalḥayy: al-Muwaṭṭaʾ li-l-Imām Muḥammad raḥimahullāh
taʿālā maʿa taʿlīq al-mumaǧǧad ʿalā Muwaṭṭaʾ Muḥammad…. Lokno 1898,
in den Uṣūl-Werken vermerkt, welche Teile von namhaften Ḥadīṯgelehrten als
„Bāb al-iktitāb al-ʿilm“, S. 389 (im Folgenden: al-Muwaṭṭaʾ (in der Überliefegültig anerkannt werden.
rung aš-Šaybānīs)).
8
Ṭabaqāt, II. 2, 134; VIII. 353
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M. Fuad Sezgin: Die Quellen al-Buḫārīs
9
al-Buḫārī, Abū ʿAbdillāh Muḥammad b. Ismāʿīl: Ṣaḥīḥ al-Buḫārī. Bd. 1-9.
Bulak, 1311-3, I. 31 (im Folgenden Buḫārī); Fatḥ al-bārī, I. 174; al-ʿAynī, Badr
ad-Dīn: ʿUmdar al-qārī fī šarḥ ṣaḥīḥ al-Buḫārī. Bd. 1-11. Istanbul, 1308-9, I.
526-527 (im Folgenden: ʿAynī); Goldziher sagt, dass er in späteren Quellen diese
Stelle nicht (wieder)finden kann, obwohl er gesehen hat, dass bspw. bei Zurqānī
dies von Buḫārī überliefert wird (Muh. Stud., II. 210, Fußnote 2).
10 at-Tārīḫ aṣ-ṣaġīr, S. 105.
11 ad-Dārimī, Abū Muḥammad ʿAdballāh: al-Ǧāmiʿ aṣ-Ṣaḥīḥ fī s-sunan. Haidarabad, 1309, I. 68 (im Folgenden: Sunan ad-Dārimī).
12 In den Überlieferungen bei Imam Mālik, al-Buḫārī und ad-Dārimī ist die
Überlieferung, dass Abū Bakr b. ʿUmar b. Ḥazm auf diesen Befehl hin einige
Bücher verfasst hat und dass ʿUmar b. ʿAbd al-ʿAzīz verstarb, bevor ihm diese
Bücher geschickt wurden, nicht vorzufinden. Die erwähnte Überlieferung ist eine Überlieferung, zu der man indirekt gelangen kann. (Siehe Tanwīr al-ḥawālik,
II. 6; Zurqānī, I. 10.)
13 …Samiʿtu Yaḥyā ibn Maʿīn yaqūlu: Ḥaddaṯanā Abū Ḥamza Ḥaddaṯanā
ʿUbaydullāh ibn ʿUmar qāla: Kuntu arā z-Zuhrī yuʾtī bi-l-kitābi mā qaraʾa walā quriʾa ʿalayhi fa-yuqālu lahū narwī hāḏā ʿanka? Fa-yaqūlu: Naʿam (al-Ḫaṭīb
al-Baġdādī, Abū Bakr: Kitāb al-kifāya fī ʿilm ar-riwāya. Haidarabad: Dāʾirat almaʿārif al-ʿUṯmāniya, 1357, S. 318 (im Folgenden: al-Kifāya)).
14 …ʿAn ʿAbdilmalik ibn Yaḥyā ibn ʿAbbād ibn ʿAbdillāh ibn az-Zubayr anna
Ibn Šihāb az-Zuhrī dafaʿa ilā baʿḍi aṣḥābihi aḥādīṯa min aḥādīṯihi fī ṭūmāri faqāla: hāḏihi aḥādīṯī, ḫuḏhā fa-ḥaddiṯ bihā. Fa-qabila ḏālika minhu (al-Kifāya,
S. 319).
15 Qāla z-Zuhrī: Kunnā nakrahu l-kutuba ḥattā akrahnā ʿalyhi s-sulṭān fakarihnā n-namnaʿahu n-nās (al-Iṣbahānī, Abū Nuʿaym: Ḥilyat al-awliyāʾ waṭabaqāt al-aṣfiyā. Bd. 1-10. Kairo, 1932-1938, III. 363 (im Folgenden Ḥilyat alawliyāʾ)).
16 …ʿAbdurrazzāq qāla: Samiʿtu Maʿmaran yaqūlu: Kunnā narā innā qad
akṯarnā ʿani z-Zuhrī ḥattā qutila l-Walīd, fa-iḏā d-dafātiru qad ḥumilat ʿalā ddawābbi min ḫizānatihī, yaqūlu min ʿilmi z-Zuhrī (Ḥilyat al-awliyāʾ, III. 36).
17 al-Ǧuz aṯ-ṯāliṯ min suʾālāt Abī ʿUbayd Muḥammad b. ʿAlī b. ʿUṯmān alĀǧurrī šayḫahū Abā Dāwūd as-Siǧistānī. Köprülü Bibliothek Nr. 292
[Muḥammad ʿAlī Qāsim al-ʿUmarī, Medina 1979], 2 b [I. 284] (im Folgenden:
Suʾālāt al-Āǧurrī).
18 Ibn Qutayba, Kitāb al-maʿārif, S. 168 [siehe Ibn Qutayba: Kitāb al- maʿārif = Ibn Coteibas Handbuch der Geschichte. Hrsg. v. F. Wüstenfeld. Göttingen
1850, Anm. d. Übers.].
19 Ibn Ḫallikān, Abū l-ʿAbbās Šams ad-Dīn: Wafayāt al-aʿyān wa-anbāʾ azzamān. Bd. 1-2. Bulak 1273, I. 644 (im Folgenden: Ibn Ḫallikān, al-Wafayāt).
20 al-Ḫaṭīb al-Baġdādī: Taqyīd al-ʿilm. Editiert von Yūsuf al-ʿĀš. Damaskus:
Institut français Damas, 1949, 64 (im Folgenden: Taqyīd al-ʿilm). ‫إنﻤﺎ ﺍتضع ﺍلﻨﺎس فﻲ‬
‫ ألن ﺍلﺮوﺍﻳﺎت ﺍنﺘﺸﺮت وﺍألصﺎنﻴﺪ طﺎلت و‬,‫ وﻋ ّﻮلﻮﺍ ﻋﻠى تﺪوﻳﻨه فﻲ ﺍلصحف ﺑﻌﺪ ﺍلﻜﺮﺍهﺔ لﺬلك‬.‫كﺘﺐ ﺍلﻌﻠﻢ‬
,‫ فﻌجزت ﺍلقﻠﻮﺏ ﻋﻦ حﻔظ مﺎ ﺫكﺮنﺎ‬,‫ وﺍلﻌﺒﺎﺭﺍت ﺑﺎأللﻔﺎظ إخﺘﻠﻔت‬,‫ﺃصﻤﺎء ﺭجﺎل كﻨﺎهﻢ وﺃنضﺎﺑﻬﻢ كﺜﺮت‬
.‫وصﺎﺭ ﻋﻠﻢ ﺍلحﺪﻳﺚ فﻲ هﺬﺍ ﺍلزمﺎن ﺍثﺒت مﻦ ﻋﻠﻢ ﺍلحﺎفظ‬
21 Bekanntlich setzt sich dieses Jahrhundert aus der Epoche zusammen, in der
die kanonischen Ḥadīṯsammlungen al-Kutub as-sitta entstanden sind.
22 Für die Idee, dass diese gänzlich eine originäre Einrichtung der islamischen Gemeinde ist, siehe Goldziher, Muh. Stud., II. 188.
23 Siehe z.B. Tadrīb ar-rāwī, S. 129-149.
24 Sami‟tu Mālikan yaqūlu: awwalu man asnada al-ḥadīṯa Ibn Šihāb (Ibn Abī
Ḥātim, Abū Muḥammad ʿAbdurraḥmān Muḥammad b. Idrīs b. al-Munḍir atTamīmī al-Ḥanzalī ar-Rāzī: Taqdima al-maʿrifa li kitāb al-ǧarḥ wa-t-taʿdīl. Haydarabad 1952, S.20 (Im Folgenden: Muqaddima al-ǧarḥ wa-t-taʿdīl).
25 Brock., G. I2, 67, Suppl., I., 103.
26 Brock., Suppl., I. 100.
27 al-Kifāya, S. 283. Kullu ḥadīṯin laysa fīhi aḫbaranā wa ḥaddaṯṯanā, fa huwa
ḫallun wa baqlun.
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M. Fuad Sezgin: Die Quellen al-Buḫārīs
28 al-Kifāya, S. 283-284; Tadrīb ar-Rāwī, S. 130.
29 Siehe z.B. Tadrīb ar-Rāwī, S. 132-133.
30 al-Kifāya, S. 292.
31 al-Kifāya, S. 284-285.
32 Fatḥ al-bārī, VIII. 197.
33
al-Kifāya, S. 303. An-Nawawī gibt uns recht wertvolle Informationen
über die Vorzüge der Ḥadītgelehrten in dieser Angelegenheit. Über den
Ḥadīṯgelehrten Muslim sagt er: „Er trennte sie beide (d.h. ḥaddaṭanā und
aḫbaranā). Er benutzte den Ausdruck ḥaddaṯanā für Ḥadīṯe, die er lediglich von
seinem Šayḫ gehört hat, während er aḫbaranā für diejenigen Ḥadiṭe benutzte,
die er dem Šayḫ vorgelesen hat. Dies ist die Lehrmeinung (maḏhab) Šafiʿīs,
seiner Freunde, der Mehrheit der morgenländischen (šarqī) (diese Bezeichnung
wird als Gegensatz zu „maġrib“ verwendet) Muḥaddiṯūn, sowie von [Personen
wie] Muḥammad ibn al-Ḥasan al-Ǧawharī al-Misrī… Ibn Ǧurayǧ, al-ʾAwzaiʿī,
Ibn Wahb und an-Nasāʾī. Unter den Traditionalisten (ahl al-ḥadīṯ) ist diese die
verbreiteteste und bekannteste Lehrmeinung. Der Erlaubnis für die Nutzung der
Ausdrücke ḥaddaṭanā und aḫbaranā für Ḥadīṯe, die dem Šayḫ vorgelesen
wurden, haben viele zugestimmt. Dies ist die Lehrmeinung von Zuhrī, Mālik,
Sufyān ibn ʿUyayna, Yaḥyā ibn Saʿīd al-Qaṭṭān…Buḫārī sowie vieler
Muḥaddiṭūn aus dem Ḥiǧāz und aus Baṣra.“ (an-Nawawī: Šarḥ al-Imām anNawawī ʿalā Muslim. Band 1-10, (am Rande von Qasṭallānī), I. 33 (Im
Folgenden: Šarḥ Muslim).
34 al-Buḫārī, I. 22.
35 ‫ ما قرأته عليك وحدك‬:‫ كتبت عنك حديثا كثيرا فما أقول فيه؟ قال‬:‫ قلت ألبي عمرو األوزاعي‬:‫قال‬...
,‫ وما قرأته عليّ وحدك فقل فيه أخبرني‬,‫ وما قرأته على جماعة أنت فيهم فقل فيه حد ثنا‬،‫قال فيه حدثني‬
‫ وما أجزته‬،‫ وما أجزته لك وحدك فقل فيه خبرني‬،‫وما قرأت على جماعة أنت فيهم فقل فيه أخبرنا‬
.‫لجماعة أنت فيم فقل فيه خبرنا‬
al-Kifāya, S. 302.
36 ar-Rāmahurmuzī, Abū Muḥammad al-Ḥasan b. ʿAbdirraḥmān b. Ḫallād: al
-Muḥaddiṯ al-fāṣil bayna ar-rāwī wa-l-wāʿī. Köprülü Bibliothek Nr. 397
[Editiert von Muḥammad ʿAǧǧāǧ al-Ḫaṭīb. Beirut: Dār al-fikr, 1404] 76b, [S.
428-429] (Im Folgenden: Rāmahurmuzī) und Tadrīb ar-Rāwī, S. 131; für jene,
die von Ibn ʿAbbās überliefert worden sind, siehe: Tirmiḏi, II. 337.
37 al-Kifāya, S. 318.
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Christiane Geisthardt: Interreligiöser Dialog als Chance
Dr. Christiane Geisthardt
INTERRELIGIÖSER DIALOG ALS CHANCE
Man stelle sich vor1
 es hätte in Europa weder Kreuzzüge, noch ‚Heilige‟ Kriege, noch Vertreibungen, noch Zwangskonversionen, noch religiöse Diskriminierungen gegeben
 Muslime und Juden wären nicht im 15. Jahrhundert aus Spanien vertrieben
oder zur Konversion gezwungen worden
 bis in die Gegenwart würden die Vertreter aller Religionen Anerkennung erfahren
 überall würde die Mehrheit auf Minderheiten Rücksicht nehmen
Dann würden unsere Stadtbilder von Kathedralen, Synagogen sowie Moscheen
und anderen Häusern des Gebetes geprägt sein. Nicht nur das Glockengeläut,
sondern ebenso der Ruf des Muezzin wären regelmäßig zu hören, wie es seit langer Zeit in Jerusalem geschieht.
Dann würden in allen Ländern Europas Juden, Christen und Muslime und andere
Religionsgemeinschaften friedlich zusammenleben.
So könnte es sein:
Die Mehrheit ist bemüht, den Minderheiten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Alle Regierungen achten darauf, dass alle Gruppen der Bevölkerung bei allen
wichtigen Entscheidungen beteiligt sind.
Eine Heirat zwischen den Anhängern verschiedener Religionen wird nicht mit
Gewalt verhindert. Entweder werden diese Ehen mit Bedauern als Mischehen
geduldet oder positiv als religionsverbindende Ehe interpretiert.
Überall finden sich religiös Praktizierende oder ausschließlich nominelle Religi-
onszugehörige, dazu kommen Religionslose. In den Schulen wird je nach Bevölkerungszusammensetzung ein differenzierter Religionsunterricht eingerichtet
bzw. Ethik für Religionslose. In Ethikräten, Rundfunkkommissionen, Jugendschutzkonferenzen haben Vertreter der verschiedenen Religionsgemeinschaften
Sitz und Stimme. Interreligiöse Dialoge gehören zum kulturellen Leben der Gesellschaft dazu, alle sind um eine angemessene Streitkultur bemüht.
Konversionen sind an der Tagesordnung, wenn auch von manchen Familien und
Religionsvertretern nur schmerzlich toleriert. Der Schmerz derer, die ein Familienmitglied nicht mehr in der eigenen Religionsgemeinschaft finden, kann die
Motivation sein, sich die Wahrheitsfrage zu stellen, die von den Gelehrten und
Interessierten bedacht wird.
So könnte es sein
Fragen werden gestellt und diskutiert:
Ist die von meinen Eltern ererbte Religion oder die Religion, für die ich mich
durch Konversion entschieden habe, die wahre Religion?
Ist es vielleicht am besten, die Frage nach Gott ganz auszuklammern und sich
atheistisch oder agnostisch auf die Verbesserung der Lebensumstände zu konzentrieren?
Interessierte Vertreter der verschiedenen Überzeugungen befassen sich mit den
Übereinstimmungen und den Divergenzen. Sie sind vielleicht mit Spaziergängern zu vergleichen, die sich zunächst auf einem gemeinsamen bequemen Weg
in der Ebene bewegen. Dann erscheint vor ihren Augen der erhabene Gipfel, der
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Christiane Geisthardt: Interreligiöser Dialog als Chance
Weg wird schwieriger, schmaler und mehrere Wege werden sichtbar. Man trennt
sich – welcher Weg führt zum Gipfel?
Die meisten halten den von ihnen gewählten Weg für den wahren Weg. Andere
sind der Auffassung, dass alle Wege zu Gott gleich zu bewerten sind und man
am besten auf die Frage nach der wahren Religion verzichtet, wie in der berühmten Ringparabel in Lessings Schaupiel „Nathan der Weise“.
Nicht zu vernachlässigen ist, dass die Wahrheitsfrage auch innerhalb einer Religion eine Rolle spielt. In allen Religionen gibt es verschiedene Konfessionen und
Richtungen.
Auf jeden Fall haben sich alle auf die Anerkennung der Menschenrechte geeinigt, auf das Recht der Meinungsfreiheit, der Religionsfreiheit, der Gleichheit
zwischen Männern und Frauen, auf das Recht der körperlichen Unversehrtheit.
Natürlich gibt es zwischen den Religionen und Überzeugungen Unterschiede im
Bereich von Ethik und Moral. Nicht selten kommt es zu erbitterten Streitgesprächen innerhalb einer Religion oder Konfession über die Unauflöslichkeit der
Ehe, über den Schutz des ungeborenen Lebens, über Homosexualität, über Speisevorschriften und Kleiderordnungen, über den Stand der Priester und Gemeindevorsteher.
Eine Religion kann entscheiden, welche Position sie für rechtgläubig hält. Es
kann sein, dass Menschen aufgrund ihrer Lebensweise aus einer Religionsgemeinschaft ausgeschlossen werden. Diese Personen können sich dann z.B. um
die Aufnahme in eine andere Glaubens- oder Überzeugungsgemeinschaft bemühen.
Alle halten sich aus Überzeugung an die Regel des Gewaltverbotes. Alle Religionsgemeinschaften halten sich an die Gesetze, die durch demokratisch legitimiert sind. Alle Religionen leisten ihren Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit und
setzen sich für die Benachteiligten, für die Armen und die Kranken ein. Jugendliche genießen mit vierzehn Jahren Religionsfreiheit, bis zu diesem Alter bestimmen die Eltern die Religion oder Überzeugung.
Es gibt keine religiös begründeten Verbrechen, nicht in Europa, nicht in der
Welt.
An dieser Stelle könnte man analog sich vorstellen: Es gibt überhaupt keine
Verbrechen. Alle Konflikte werden friedlich gelöst. Man braucht weder Strafgesetzbücher, noch Polizei, noch Militär, weil kein Mensch gewalttätig ist.
Die Realität und der Weg zum Frieden
All das, was man sich vorstellen kann, ist Illusion.
Jeder von uns weiß, dass jeder Mensch und jede Gruppe, ob religiös oder nicht,
zur Lösung von Konflikten Gewalt anwenden kann. Es gibt also Gewalt und Gegengewalt als Angriff oder Notwehr. Es herrscht Krieg im Kleinen und im Großen. Die meisten Opfer sind zu beklagen, die größte Gewaltausübung findet statt,
wenn durch Zwang eine Vereinheitlichung einer Gesellschaft erhalten oder erreicht werden soll, d.h. wenn Minderheiten benachteiligt und ausgerottet werden.
Die Vereinheitlichung kann unter atheistischen (Kommunismus, Nationalsozialismus) oder unter religiösen Vorzeichen erfolgen, wenn eine diktatorische
Staatsreligion herrscht.
Als Zeichen der Hoffnung gibt es aber auch Beispiele von Verzicht auf Gewalt.
Es gab und gibt Menschen, die nicht einmal Notwehr ausüben und eher Gewalt
erleiden als Gewalt anwenden.
Der Weg zum Frieden beginnt immer wieder mit dem Anerkennen des
Menschseins des anderen. Im Namen der Mitmenschlichkeit sollten alle Kräfte,
auch die militärischen Systeme zur Rettung von Menschenleben eingesetzt werden. ‚Bomben sollten durch Stimmzettel ersetzt werden‟2, alle, auch potentielle
Selbstmordattentäter sollten sich auf den langen Weg des gewaltlosen Protestes
begeben.
Fragen werden bleiben: Gibt es den gerechten Krieg? Unter welchen Umständen
darf ein Tyrann getötet werden? Welche Formen der Notwehr sind zu akzeptieren?
Auf dem Weg zum Frieden werden Minderheiten anerkannt und geschützt. Kei-
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Christiane Geisthardt: Interreligiöser Dialog als Chance
nem darf verwehrt sein, seine Überzeugung für wahr zu halten. Gleichzeitig ist
zu akzeptieren, dass es in der Geschichte wie in der Gegenwart nie nur eine
Überzeugung gab und gibt. Wenig deutet auf eine einheitliche Weltüberzeugung
in der Zukunft hin. Wenn es aber Gläubige gibt, die auf eine im Glauben geeinte
Welt hoffen, dann ist auch diese Überzeugung zu tolerieren, wenn ihre Anhänger
sich friedlich verhalten.
In vielen religiösen Schriften und ‚heiligen Büchern’, wahrscheinlich in allen
religiösen Traditionen gibt es Hinweise auf die Berufung aller Menschen. Gott
erscheint in den Religionen als der Schöpfer aller Menschen, der keineswegs nur
einer Religionsgemeinschaft verbunden ist.
In der Bibel spricht der Prophet Jesaja von der großen Wallfahrt der Völker zum
gesegneten Jerusalem (Jesaja 60, 1-11): „ Völker wandern zu deinem Licht, und
Könige pilgern zu deinem strahlenden Glanz.“ Im Neuen Testament wird von
Jesus überliefert, dass er sich seiner Sendung bewusst ist und doch auch Menschen zugewandt ist, die keineswegs seinen religiösen Standpunkt teilen. Er heilt
den Knecht des heidnischen römischen Hauptmanns, ohne ihn zu seinem Glauben zu bekehren. (Matthäus 13, 5-8). Als Aufruf zur Toleranz kann Sure 5, 49
bezeichnet werden:
„Und hätte Allah gewollt, Er hätte euch alle zu einer einzigen Gemeinde gemacht, doch Er wünscht euch auf die Probe zu stellen durch das, was Er euch
gegeben. Zu Allah ist euer aller Heimkehr; dann wird er euch aufklären über das,
worüber ihr uneinig wart.“
Es gilt also wenigstens, den herrschenden Pluralismus der verschiedenen religiösen Überzeugungen geduldig zu ertragen. Neben diesem eher passiven Umgang
mit den divergierenden religiösen Überzeugungen ist der interreligiöse Dialog
die aktive Auseinandersetzung mit den verschiedenen religiösen Bekenntnissen.
In jedem Fall dienen die eher passive Duldung wie der aktive Umgang mit der
religiösen Vielfalt im Dialog dem Frieden, da beide Wege Gewalttätigkeit ausschließen.
Die Leistungen des interreligiösen Dialogs
„Nie zuvor in der Menschheitsgeschichte hat es so viele Kontakte und Begegnungen zwischen Angehörigen verschiedener Religionen gegeben wie heute.“3
Der gegenwärtige interreligiöse Dialog hängt so gesehen mit der Globalisierung
zusammen und ist ein Ausdruck der weit verbreiteten gesellschaftlichen Mobilität. Gleichzeitig gibt es weiterhin gleichgeschaltete Gesellschaften und Staaten,
die diktatorisch jeden Dialog unterbinden. Wird der immer vorhandene religiöse
Pluralismus anerkannt, sind verschiedene Formen des Dialogs zu beobachten:
Als Dialog des Lebens4 ist die alltägliche Begegnung in der Nachbarschaft, am
Arbeitsplatz, beim Einkaufen usw. zu bezeichnen. Man kennt sich oder nimmt
sich wahr, möglicherweise ohne über die verschiedenen religiösen Überzeugungen zu sprechen.
Intensiver ist der Dialog des Handelns5, wenn sich die Angehörigen verschiedener Religionen zusammentun, um konkrete Probleme zu lösen, ob es sich um
Stadtteilarbeit oder um die Hilfe für Hungernde, Flüchtlinge oder die Opfer von
Naturkatastrophen handelt. Primär religiös motiviert sind die Dialoge, die dem
Austausch religiöser Erfahrungen dienen oder im theologischen Austausch bestehen. Der Dialog des theologischen Austauschs6 findet zwischen Fachleuten
der Theologie oder Religionswissenschaften statt. Der Dialog der religiösen
Erfahrungen7 ist eine Begegnung zwischen frommen Menschen, die sich z.B.
über ihre Gebetspraxis, über das Fasten, über ein gottgefälliges Leben austauschen.
Das Ziel aller Dialoge ist das friedliche Zusammenleben. Zugleich leistet jeder
Dialog eine Bereicherung, denn man lernt sich gegenseitig kennen, erfährt etwas
über andere Glaubensweisen und erlebt die Menschlichkeit der Anhänger anderer Religionen. Natürlich kann ein Dialog auch der Ausgangspunkt für eine Konversion sein. In jedem Fall ist der interreligiöse Dialog praktizierte Religionsfreiheit oder anders ausgedrückt: Religionsfreiheit ist die Voraussetzung für die verschiedenen Möglichkeiten der interreligiösen Dialoge.
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Christiane Geisthardt: Interreligiöser Dialog als Chance
Abrahams Runder Tisch in Hildesheim8
Literaturangaben:
Abschließend möchte ich die Grundsätze zitieren, die der Hildesheimer Arbeitskreis, der seit 15 Jahren besteht, formuliert hat. Interessierte Juden, Christen,
Muslime und Bahāʾī, Vertreter der in Hildesheim anwesenden Religionen treffen
sich, reden miteinander und organisieren interreligiöse und interkulturelle Begegnungen in den Räumen der verschiedenen Gemeinden oder der Stadt. Die
regelmäßigen Planungssitzungen finden z.B. im Meditationsraum einer Berufsschule statt.
Folgende Fragen könnten zum Anlass genommen werden, im eigenen Umfeld
mit der Dialogarbeit zu beginnen oder diese zu vertiefen. Die Antworten auf
diese Fragen können regional verschieden sein, je nachdem, welche Religionen
im Umkreis vorhanden sind. In Hildesheim ergibt sich die Konzentration auf die
abrahamitischen Religionen.
1
Vgl. Michael Brenner, Gott ist kein Christ, Frankfurter Allgemeine, Zeitung für Deutschland, 28.04.2009.
2
Vgl. ebda. Jordan Mejias, Der 11. September und das Ende aller Kriege,
07.09.2011.
3
Francis Arinze, Begegnung mit Menschen anderen Glaubens, Den interreligiösen Dialog verstehen und gestalten, München, Zürich, Wien 1/1999 S. 5
4
Ebda. S. 11.
5
Ebda. S.12.
6
Ebda. S. 13.
7
Ebda. S. 14.
8
Vgl. www.abrahams-runder-tisch.de.
Was führt uns zusammen?
 Wir glauben an den einen Gott, der sich Abraham, Sara und Hagar offenbart
hat
 Wir entdecken in unseren unterschiedlichen Heiligen Schriften gemeinsame
Werte
Wir erfahren, indem wir uns einander öffnen, eine Vertiefung unseres Glaubens
Dr. Christiane Geisthardt, 1944, bis 2007 Schulrätin im Kirchendienst im Bistum Hildeheim. Sie war zuständig für die religionspädagogische Fort- und
Weiterbildung der Religionslehrer und Religionslehrerinnen. Innerhalb der
Hauptabteilung Bildung vertrat sie die Generalie ‚Interreligiöser Dialog‟. Sie
gehörte zu den Mitbegründern des Arbeitskreises ‚Abrahams Runder Tisch in
Hildesheim‟.
Was wollen wir?
 Wir wollen unsere Religionen und Traditionen besser kennen- und verstehen
lernen
 Wir stellen uns gemeinsam vor Gott und erleben einander im Gebet
 Wir laden zu interreligiösen Begegnungen und zur Mitarbeit in interkulturellen Aktivitäten
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Alexander Schmidt: „Gottes Menschenwort“ von Abu Zaid
Alexander Schmidt
REZENSION ZU „GOTTES MENSCHENWORT“ VON ABU ZAID
L
etztes Jahr verschied der Gelehrte Nasr Abu Zaid 2010 in Ägypten.
Der Todesort wäre eine belanglose Fußnote, doch wer das Leben
dieses Gelehrten nur ein wenig kennt, weiß, dass dies mehr als eine
Fußnote ist.
Geboren ist er im Jahr 1943. Er studierte an der Universität Kairo und promovierte im Jahr 1981 mit einer Arbeit zur Auslegung des Korans. Hier in Europa
ist er aber weniger wegen seiner wissenschaftlichen Arbeiten bekannt geworden,
sondern er wurde bekannt, weil er durch ein aufsehenerregendes Gerichtsurteil in
Ägypten von seiner Frau Ibtihal Yunis zwangsgeschieden wurde. Begründet
wurde dieses Urteil dadurch, dass er zum Apostaten erklärt wurde und aus diesem Grund nicht länger mit einer Muslima verheiraten sein darf. Seitdem lebte
und lehrte er in den Niederlanden. Erst in den letzten Jahren konnte er auch wieder in Ägypten einreisen. Dadurch war es ihm vergönnt, in seiner Heimat zu
sterben.
Thomas Hildebrandt wählte für sein Buch „Gottes Menschenwort“ fünf Texte
von Nasr Abu Zaid aus. Die Texte zeigen, wie das Denken dieses Gelehrten sich
im Laufe der Jahre entwickelte. Das Denken und das ganze wissenschaftliche
Schaffen von Abu Zaid drehten sich immer um die Herausforderung, Offenbarung und Vernunft zusammen zu denken.
Nasr Abu Zaid vertritt die These der Muʿtazila von der Geschaffenheit des Koran, ohne indes bei dieser Position stehen zu bleiben, sondern er bringt in die Debatte auch moderne hermeneutische Ansätze hinein, wie z.B. Hans-Georg Gadamers Ansatz von Deutung bzw. Dekodierung. Sein Anliegen ist es dabei, den
Menschen ein Verständnis der Offenbarung zu vermitteln, welches es ihnen er-
möglicht, auf der Höhe ihrer Zeit zu sein und trotzdem eine tiefe spirituelle Beziehung zu Gott haben.
Bei Abu Zaid wird die Offenbarung des Koran als ein kommunikativer Prozess
verstanden wird, der zwischen dem Propheten und Gott einsetzte und sich bis
heute fortsetzt. Gott kommuniziert mit dem Menschen auch weiterhin durch den
Koran, aber um den Koran zu verstehen, oder besser gesagt, ihn zum Reden zu
bringen, bedarf es immer einen hermeneutischen Entschlüsslung des Sinnes hinter dem Wortlaut, anders gesagt, einer Kontextualisierung der koranischen Aussagen. So wird es möglich der Botschaft des Koran treu zu bleiben und trotzdem
im Einklang mit der jeweiligen Zeit zu leben. Hierzu müssten, nach Abu Zaid,
heute moderne literaturwissenschaftliche Methoden eingesetzt werden, um die
Botschaft des Korans für die heutige Zeit zu dekodieren.
Er plädiert für ein humanistisches Verständnis des Korans und der Religion, wo
die Scharia nicht als eine überzeitliche, unveränderliche Große verstanden wird,
sondern als ein Produkt menschlicher Interpretation, das somit auch wandelbar
ist.
Er geht auch mit den religiösen Autoritäten stark in Gericht. Hierzu führt er in
dem Text „Historizität. Der missverstandene Begriff“ eine begriffliche Unterscheidung ein, zwischen dem Wort „Sprache“ (langue) und dem Wort
„Rede“ (parole). Diese Unterscheidung hat er von dem Sprachwissenschaftler
Ferdinand de Saussure übernommen, welche grob vereinfacht besagt, dass Sprache (langue) sich dem gesellschaftlichen Wandel entgegenstellt und immer nach
Stillstand strebt, während die Rede (parole) der individuelle Gebrauch der Sprache ist und somit immer neues hervorbringt. Der Koran sei Rede und somit Pro-
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Alexander Schmidt: „Gottes Menschenwort“ von Abu Zaid
duzent einer Kultur und die Vorbeter und Prediger, die sich selbst als Gelehrte
bezeichnen, seien nur Produzenten von Sprache, die nur das ewige Gleiche immer und immer wieder wiederholten, ohne wirklich was zu sagen.
Sein humanistisches Verständnis des Korans will Abu Zaid nicht verstanden wissen als ein Nachahmen der als überlegen erkannten westlichen Kultur, sondern er
will diesen Humanismus verstanden wissen als einen dem eigenem Erbe inhärenten Verständnis. Er verweist in seinen Texten auf viele Gelehrte und dabei nicht
nur auf muʿtalizitische Gelehrte,.
Im fünften Text „Den Koran neu denken. Für eine humanistische Hermeneutik“
erwähnt er den andalusischen Mystiker Ibn ʿArabī und seinen hermeneutischen
Ansatz, vier Bedeutungsebenen zu unterscheiden, nämlich den Äußerem (ẓāhir),
den Inneren (bāṭin), den Mindesten (ḥadd) und den Höchsten (matla‘). Durch
diesen Ansatz umging Ibn ʿArabī die Dichotomie eindeutiger und mehrdeutiger
Verse, die die Juristen aufstellten und somit ihr Verstehen beschränkten auf das
rein äußere Verstehen. Dieser Ansatz von dem Mystiker ermögliche es, auch tiefergehende Ebenen des Verstehens zu ermöglichen und verschiedene Arten des
Verstehens ebenfalls nebeneinander stehen zu lassen.
Eins scheint mir sicher zu sein: Sein Denken wird das Denken der meisten seiner
Gegner bei Weitem überleben. Nasr Abu Zaid zeigt Möglichkeiten auf, in welche Richtung sich das islamische Denken entwickeln kann und dass es noch einen gangbaren dritten Weg gibt zwischen den Fundamentalisten und der Aufgabe der Religion, nämlich einen Weg, in dem sich die Muslime – sich ihres eigenen Erbes bewusst – wieder der intellektuellen und geistigen Aufgabe stellen,
den Koran für diese Zeit entsprechend hörbar zu machen.
Abu Zaid, Nasr Hamid : Gottes Menschenwort. Für eine humanistisches
Verständnis des Koran. Ausgewählte und übersetzte Texte und mit einer
Einleitung von Thomas Hildebrandt. Buchreihe der der Georges-AnawatiStiftung Bd. 3. Herder 2008.
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Büchervorstellung
AyĢe Boztürk
Büchervorstellung
Gnilka, Joachim: Bibel und Koran. Was sie verbindet, was sie trennt.
Freiburg im Breisgau: Herder, 2010. 216 Seiten, € (D) 9,95
(ISBN 978-3-451-06218-6)
D
as Buch „Bibel und Koran. Was sie verbindet, was sie trennt“ ver- Zunächst das Verbindende in den Heiligen Schriften:
sucht auf einer wissenschaftlichen, historisch-kritischen Methode
- Bibel und Koran:
dem nichtkundigen Leser eine Hinführung auf die Heiligen Schrif
stellen eine Offenbarungsreligion dar
ten, Bibel und Koran, zu ermöglichen.

stellen monotheistische Religionen dar
Gnilka bemüht sich um eine vergleichende Darstellung. Dabei klassifiziert er

betrachten die Welt als Schöpfung Gottes
den Aufbau seines Werkes in drei Kapitel: Historischer Hintergrund, Bibel und

sprechen über Jesus und Maria mit Verehrung
Koran – ein allgemeiner Vergleich und ausgewählte theologische Themen, wie

stellen abrahamitische Religionen dar
z.B.

lehren, dass in der Erschaffung Adams der gemeinsame Ursprung liegt
1. das Gottesbild
- Das Neue Testament und der Koran erwarten den Tag des Weltgerichts mit
2. die Welt als Gottes Schöpfung
der Auferstehung der Toten
3. Schöpfungsmittler
- Der Koran kennt wie das Neue Testament den Dekalog, interpretiert jedoch
4. die Sendung der Gottesboten und ihr Schicksal
einiges anders
5. Jesus – Christologie
6. Jesuslogien im Koran
Zusätzlich gibt es einige weitere Themen, die Bibel und Koran voneinander tren7. die gemeinsame Berufung auf Abraham
nen:
8. das Menschenbild
- Nach christlichem Offenbarungsverständnis offenbart sich Gott in Jesus
9. Eschatologie
Christus. Laut dem Koran offenbart sich Gott jedoch im Buch.
10. Juden – Christen – Muslime
- Im christlichen Glauben ist Jesus der Sohn, der die Menschen zu Gott füh11. Ethische Weisung: Dekalog, heiliger Krieg und anderes.
ren und zu Gotteskindern erheben will. Der Koran wertet diesen Glauben
Somit werden Verbindendes und Trennendes von Bibel und Koran in der breiten
als unvergebbare Sünde.
Facette der Themen dargestellt und erläutert.
- Der Koran weist den christlichen Erlösungsgedanken ab.
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Büchervorstellung
- Die gemeinsame Berufung auf Abraham wird unterschiedlich interpretiert.
Die Muslime sehen ihn als den Begründer der Religion des Eingottglaubens und die Christen als ein Vorbild des Glaubens.
- Die eschatologische Erwartung des Neuen Testaments und des Korans unterscheiden sich. Die Christen erwarten die Wiederkunft Christi, die Gemeinschaft mit ihm und die Teilhabe am göttlichen Leben, während Muslime das Paradies ersehnen und erwarten.
- Der Dekalog wird im Neuen Testament in der Bergpredigt gedeutet. Das
hier enthaltene Gebot der Feindesliebe hat im Koran keine Parallele.
Der zentrale Gedanke Gnilkas bei der Analyse von Koran und Bibel basiert darauf, dass Bibel und Koran nur verstanden werden können, „(…) wenn man sie
als Ganzes ernst nimmt und die verbindenden Teile in ihrem Kontext belässt.
Eine isolierte Betrachtung von Texten führte zu irrigen Resultaten, mit denen
man sich selber täuschen würde“.
„Bibel und Koran. Was sie verbindet, was sie trennt“ ist eine empfehlenswerte
Literatur für diejenigen, die den Vergleich der Religionen aus der Sicht der
christlichen Perspektive entdecken und den interreligiösen Dialog suchen möchten.
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ZIS - Zeitschrift für Islamische Studien
Institut für Studien der Kultur und Religion des Islam
Gräfstr. 78
60486 Frankfurt a.M.
Email: [email protected]
Web: www.islamische-studien.de
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